Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Zweiter Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Die Nebenbuhler

Sokrates erzählt

(132) Zu Dionysios dem Grammatiker ging ich hinein, und traf dort die unter den jungen Leuten für die ausgezeichnetsten gelten der Gestalt nach, und von den angesehensten Vätern, mit ihren Liebhabern. Zwei von den Knaben nun waren eben in einem Streit begriffen, worüber aber, das konnte ich nicht recht vernehmen. Sie mußten aber wohl über den Anaxagoras oder den Oenopides streiten; wenigstens sah ich, daß sie Kreise beschrieben und gewisse Neigungen mit den Händen sich überneigend darstellten, und daß sie sehr vertieft waren. Ich darauf, ich hatte mich nämlich neben den Liebhaber des einen von ihnen gesetzt, stieß diesen also mit dem Ellbogen an, und fragte, was doch die beiden Knaben so eifrig betrieben, und sagte, Gewiß ist es etwas Großes und Schönes wobei sie solchen Eifer beweisen. – Er antwortete, Was doch Großes und Schönes? Sie schwatzen eben über die Erscheinungen am Himmel, und treiben Albernheit mit Philosophieren. – Ich nun wunderte mich über seine Antwort, und sagte, Junger Mann, etwas schlechtes dünkt dich das Philosophieren zu sein? Oder warum sprichst du so verdrießlich? – Da nun der Andere, denn er saß neben diesem als sein Nebenbuhler, hörte wie ich fragte und jener antwortete, sprach er, Es tut dir kein gutes, Sokrates, daß du diesen auch nur fragst, ob er die Philosophie für etwas schlechtes hält. Oder kennst du ihn nicht dafür, daß er sein ganzes Leben lang noch nichts anderes getan hat, als sich raufen und dann wieder sich voll füllen und schlafen? Was meinst du also wohl, könne er anders antworten, als daß die Philosophie etwas schlechtes ist. – Dieser nämlich von den beiden Liebhabern hatte sich auf Musik gelegt, jener aber über den er so loszog auf die Gymnastik. Daher glaubte ich, ich müßte wohl den einen, den ich vorher gefragt, lieber loslassen, weil er sich selbst nicht einmal dafür ausgab in Reden erfahren zu sein sondern nur in Taten, und dagegen den, der sich für weiser gab, ausfragen um doch, wenn ich könnte, einigen Vorteil von ihm zu ziehen. Ich sagte also, ich habe die Frage insgemein vorgelegt, und glaubst du nun, sie besser beantworten zu können als jener, so frage ich dich dasselbe wie ihn, ob du das Philosophieren für etwas schönes hältst oder nicht? – Als wir so ohngefähr sprachen, merkten die Knaben darauf und schwiegen, und wurden mit Beseitigung ihres (133) Streites unsere Zuhörer. Und wie nun dabei den Liebhabern zu Mute war, weiß ich nicht, ich aber war ganz in Entzücken außer mir; denn jedesmal werde ich von schönen Jünglingen so entzückt. Es schien mir aber doch auch der eine von ihnen nicht minder Pein zu haben als ich, demohnerachtet aber antwortete er mir und zwar sehr ruhmredig. – Wenn ich, sprach er, o Sokrates, glaubte, das Philosophieren wäre etwas schlechtes, so würde ich mich kaum für einen Menschen halten, auch keinen Andern der so dächte, womit er auf seinen Nebenbuhler deuten wollte, und recht laut sprach, damit sein Liebling es hören möchte. – Darauf sagte ich, Also für etwas schönes hältst du das Philosophieren? – Allerdings, sagte er. – Und wie, fragte ich, dünkt es dich möglich von irgend einer Sache zu wissen, ob sie schön oder häßlich ist, wovon man überall nicht weiß, was sie ist? – Nein, sagte er. – Also weißt du, sprach ich, was das Philosophieren ist? – Allerdings, sagte er. – Was ist es denn? sprach ich. – Was wohl anders, sagte er, als das Solonische. Denn Solon sagt ja, Ich von Tage zu Tag' altere weiter belehrt. So dünkt auch mich müsse, wer philosophieren will, doch immer etwas lernen, sei er nun alt oder jung, damit er so viel als möglich im Leben wisse. Dies nun schien mir anfänglich etwas gesagt zu sein, hernach aber bedachte ich mich, und fragte ihn, ob er denn die Philosophie für Vielwisserei hielte? – Da sagte er, Allerdings. – Und hältst du die Philosophie nur für schön oder auch für gut? fragte ich. – Auch für gut, gar sehr. – Siehst du nun dies als etwas der Philosophie eignes an, oder glaubst du, es verhalte sich mit andern Dingen eben so? wie die Liebe zur Gymnastik, hältst du diese nicht nur für schön, sondern auch für gut? oder nicht? – Da sagte er sehr scherzhaft, Beides. Nämlich zu diesem will ich gesagt haben, daß sie keins von beiden ist; dir aber, o Sokrates gestehe ich ein, daß sie etwas schönes ist und gutes. – Glaubst du nun auch, daß bei den Leibesübungen die Vieltuerei in Anstrengungen die Liebe zur Gymnastik ist? – Freilich, antwortete er, so wie ich auch im Philosophieren die Vielwisserei für die Liebe zur Weisheit halte. – Da sprach ich, Glaubst du denn, daß die, welche sich der Leibesübungen befleißigen, etwas anderes begehren als das, woraus ihnen eine tüchtige Beschaffenheit des Leibes entsteht? – Eben dieses, antwortete er. – Machen also etwa, fragte ich, die vielen Anstrengungen den Leib tüchtig? – Und wie könnte man wohl, sprach er, durch wenige Anstrengungen zu einer (134) solchen Tüchtigkeit gelangen? – Da dünkte mich, es wäre nunmehr Zeit den Gymnastiker aufzuregen, damit er mir zu Hülfe käme mit seiner Erfahrung in der Gymnastik. Also fragte ich ihn, Warum aber, Bester, schweigst du uns so still, und läßt diesen dergleichen sagen? Meinst denn auch du, daß die Tüchtigkeit des Leibes dem Menschen durch die vielen Anstrengungen entsteht oder durch die mäßigen? – Ich, sprach er, o Sokrates, glaubte jenes Bekannte ließe sich auch jetzt erkennen, daß die mäßigen Anstrengungen den Leib tüchtig machen. Woher also? würdet ihr nicht sonst einen überwachten und ausgehungerten Mann sehen, ungelenk im Genick und mager von Abquälungen? – Als er dies sagte, freuten sich die Knaben und lachten, der Andere aber errötete. – Und ich sprach, Wie nun? gibst du jetzt zu, daß weder die vielen noch die wenigen Anstrengungen den Menschen zum Wohlbefinden des Leibes verhelfen, sondern die mäßigen? oder willst du dich noch wehren gegen uns zwei für deinen Satz? – Und er antwortete, Gegen diesen wollte ich noch gar gern streiten, und bin gewiß daß ich im Stande wäre, der Behauptung durchzuhelfen, die ich aufgestellt habe, und wenn ich eine noch weit schlechtere als diese aufgestellt hätte, denn an dem ist gar nichts. Mit dir aber brauche ich nicht gegen meine Überzeugung Rechthaberei zu treiben, sondern ich gestehe dir zu, daß nicht viele, sondern mäßige Übungen den Menschen zum Wohlbefinden verhelfen. – Und wie die Speisen? die mäßigen oder die vielen? fragte ich. – Auch von den Speisen gestand er dasselbe. – Da nötigte ich ihn noch weiter auch von allem andern, was den Leib betrifft, zu dem Geständnis, daß das Mäßige am vorteilhaftesten sei, aber weder das Viele noch das Wenige. Und er gestand überall das Mäßige. Und wie, sprach ich, von dem was die Seele angeht, nützt ihr das mäßig oder das unmäßig beigebrachte? – Das mäßige, sagte er. – Und von dem was der Seele beigebracht wird, sind nicht auch eins die Kenntnisse? – Das gestand er. – Auch von diesen also nützen nur die mäßigen, nicht die vielen? – Das gestand er. – Wen würden wir nun wohl Recht tun zu fragen, was für Bewegungen und Speisen wohl die mäßigen sind für den Leib? – Wir kamen überein alle Drei entweder den Arzt oder den Meister der Leibesübungen. – Wen aber über die Aussaat des Samens, wieviel hier wohl die mäßige ist? – Und hierüber, waren wir eins, den Landmann. – Wen aber täten wir Recht über die Saat und Einpflanzung der Kenntnisse in die Seele zu fragen, wie viele und welche die mäßigen sind? – Und hier (135) befanden wir uns nun alle in Verlegenheit. Da fragte ich sie im Scherz, Wollt ihr also, weil wir doch in Verlegenheit sind, daß wir diese Knaben fragen? Oder schämen wir uns etwa, wie Homeros von den Freiern sagt, sie hätten nicht gewollt, daß es einen andern geben sollte, der den Bogen spannen könnte? Da sie aber schienen unlustig zu sein zu dieser Untersuchung: so versuchte ich die Sache anderswie zu überlegen, und sagte, Welcherlei Kenntnisse dürfen wir ohngefähr vermuten daß vorzüglich zu denen gehören, welche der Philosoph lernen muß, wenn doch nicht alle, noch auch viele? – Da nahm jener weisere das Wort und sagte, Die schönsten und anständigsten Kenntnisse wären die, von denen einer den meisten Ruhm haben würde in der Philosophie; und den meisten Ruhm würde einer haben, wenn er schiene in allen Künsten erfahren zu sein oder doch in den meisten und am meisten der Rede werten, indem er dasjenige davon lernte, was anständigen Leuten zu lernen ziemt, was nämlich zum Verständnis gehört, nicht zur Ausübung. – Meinst du es also etwa so, sprach ich, wie bei den Maurern, denn da kannst du für fünf oder sechs Minen einen ganz geschickten Maurer haben, einen Baumeister aber wohl kaum für zehntausend Drachmen. Es gibt deren ja auch nur sehr wenige unter den Hellenen. Meinst du nicht etwa so etwas? – Und nachdem er mich angehört, räumte er ein, daß er es auch so meine. – Da fragte ich ihn, ob es nicht unmöglich wäre für Einen auch nur zwei Künste auf diese Art zu verstehn, geschweige viele und große? – Darauf sagte er, du mußt mich nicht so verstehen, Sokrates, als meinte ich, der Philosophierende müsse jede Kunst genau verstehn, so wie der, der sie selbst inne hat, sondern nur wie es einem freien und unterrichteten Manne ziemt im Stande zu sein, dem was ein Künstler sagt zu folgen vorzüglich vor andern Anwesenden und selbst auch eine Meinung dazu zu geben, so daß er immer als der gebildetste und verständigste erscheint unter den Anwesenden, wo von Künsten gesprochen und gehandelt wird. – Darauf, denn ich war noch zweifelhaft über seine Rede, was sie eigentlich wollte, fragte ich, Verstehe ich etwa wie du es meinst mit dem Philosophen? Mich dünkt nämlich, du meinst es etwa so wie in den Kampfspielen die Fünfkämpfer sich verhalten zu den Läufern oder Ringern. Denn sie werden von diesen übertroffen in der eignen Übung eines Jeden und stehen ihnen nach als die zweiten, unter den andern Kämpfern aber sind sie die ersten und besiegen sie. Zu so etwas, meinst du vielleicht, mache auch das Philosophieren diejenigen, welche sich mit dieser Beschäftigung einlassen, daß sie hinter den ersten zwar in dem Verständnis einer jeden Kunst zurückbleiben, die Andern aber (136) indem sie den zweiten Preis erlangen übertreffen, und solchergestalt in allen Dingen ein Untermeister werde wer philosophiert hat. Als einen solchen scheinst du mir ihn zu bezeichnen. – Sehr gut, o Sokrates, sagte er darauf, scheinst du mir aufgefaßt zu haben, wie es um den Philosophen steht, indem du ihn dem Fünfkämpfer verglichen hast. Denn ein solcher ist er offenbar, der sich keiner Sache ganz zum Dienst ergibt, und nichts bis zur Genauigkeit durcharbeitet, so daß er wegen seines Fleißes in diesem einen müßte in allem andern zurückbleiben, wie die Künstler, sondern der sich mit allem mäßig befaßt. – Nach dieser Antwort wollte ich doch nun recht bestimmt erfahren, was er eigentlich meine, und fragte ihn, Ob er sich denn die Guten als brauchbar vorstellte oder als unbrauchbar? – Als brauchbar doch gewiß, o Sokrates, sagte er. – Also wenn die Guten brauchbar, sind wohl die Schlechten unbrauchbar? – Das gab er zu. – Und wie? hältst du die Philosophen für brauchbar oder nicht? – Für brauchbar, gestand er, und noch dazu für die brauchbarsten, sagte er, hielt er sie. – Wohl, so laß uns denn nachsehen, wenn du Recht hast, wo uns doch diese Halbmeister brauchbar sind. Denn das ist doch offenbar, daß der Philosoph schlechter ist als jeder von denen, welche die Künste wirklich inne haben. – Das gestand er. – Du also, sprach ich, wenn du entweder selbst krank wärest oder einer von deinen Freunden, um den es dir sehr ernstlich zu tun ist, würdest du, um für die Rückkehr der Gesundheit zu sorgen, jenen Halbmeister den Philosophen ins Haus holen, oder würdest du den Arzt nehmen? – Ich, sprach er, beide. – Nicht so, sagte ich, sprich mir nicht von beiden, sondern welchen du eher und lieber nehmen würdest. – Darüber, sagte er, kann wohl Niemand im Zweifel sein, daß man nicht den Arzt eher und lieber nähme. – Und wie? in einem vom Sturm bedrängten Schiffe, welchem würdest du dich und das Deinige lieber anvertrauen, dem Steuermann oder dem Philosophen? – Ich dem Steuermann. – Ist nun nicht auch in allen andern Dingen, so lange es einen Meister gibt, der Philosoph zu nichts nutz? – So zeigt es sich, sprach er. – Jetzt also ist uns der Philosoph doch ein unbrauchbarer; denn wir haben ja Meister. Wir hatten aber ausgemacht, die Guten wären brauchbar, und die Schlechten unbrauchbar. – Er war genötiget dies einzugestehen. – Was soll ich dich nun hiernächst fragen? oder wäre es unartig noch zu fragen? – Frage was du willst. – Ich will auch nichts, sprach ich, als nur noch einmal zusammennehmen, was gesagt worden ist. Es steht aber damit so. Wir sind übereingekommen, die Philosophie wäre etwas schönes und wir selbst wären (137) Philosophen; die Philosophen aber wären gut, und die guten auch brauchbar, die schlechten aber unbrauchbar. Dann haben wir aber auch wieder zugegeben, die Philosophen wären, so lange die Künstler da wären, unnütz, Künstler aber wären immer da. Haben wir das nicht zugegeben? – Allerdings, sprach er. – Wir haben also, wie es scheint nach deiner Rede wenigstens, zugegeben, wenn Philosophieren heißt der Künste kundig sein auf die Art wie du sagst, daß sie alsdann schlecht und unbrauchbar sind so lange es noch Künste unter den Menschen gibt. Aber, Freund, daß es nur nicht etwa gar nicht so mit ihnen steht, und das gar nicht Philosophieren heißt, sich mit den Künsten abgeben, und in Vieltuerei und Vielwisserei mühselig leben, sondern ganz etwas anderes. Denn ich glaubte auch, dies wäre eine Schande, und man nennte die gemeine Leute, die sich mit den Künsten abgäben.

Wir können aber so noch genauer sehn, ob ich Recht habe, wenn du mir dieses beantworten willst. Wer versteht die Pferde recht zu bändigen? etwa die, welche sie besser machen oder Andere? – Die, welche sie besser machen. – Und wie die Hunde? wer die besser zu machen versteht, versteht der nicht auch sie recht zu bändigen? – Ja. – Also dieselbe Kunst bessert und bändiget auch auf die rechte Art? – Das behaupte ich, sagte er. – Und weiter, die nun bessert und auf die rechte Art bändiget, unterscheidet die nicht auch die guten und die schlechten, oder ist dies eine andere? – Dieselbe, sagte er. – Willst du nun dieses auch in Beziehung auf die Menschen zugestehen, daß die, welche sie bessert auch die ist, welche sie auf die rechte Art bändiget, und welche die guten und schlechten unterscheidet? – Allerdings, sagte er. – Und dieselbe, die dies mit Einem kann, kann es auch mit Vielen, und die mit Vielen auch mit Einem? – Ja. – Und mit den Pferden und allem andern ist es eben so? – Das behaupte ich. – Welches ist nun die Wissenschaft, welche die in den Städten unbändigen und gesetzwidrigen auf die rechte Art bändiget? Nicht die Rechtspflege? – Ja. – Nennst du nun etwa eine andere die Gerechtigkeit als eben diese? – Keine andere. – Und durch dieselbe Kunst, wodurch man sie bändiget, unterscheidet man auch die Guten und Schlechten? – Durch dieselbe. – Und wer Einen unterscheidet, der wird auch Viele unterscheiden? – Ja. – Und wer dies an Vielen nicht erkennt, der erkennt es auch nicht an einem? – Das behaupte ich. – Wenn also ein Pferd die guten und schlechten Pferde nicht erkennt, so erkennt es auch sich selbst nicht, was für eins es ist? – Das behaupte ich. – Und wenn ein Ochse die guten und schlechten Ochsen nicht erkennt: so erkennt er auch sich selbst nicht, was für einer er ist. – Ja, sagte er. – Eben so auch ein Hund? – Er gestand es. – Wie nun, wenn einer ein Mensch ist, und die guten und schlechten Menschen nicht erkennt, ist dem dann (138) nicht auch von sich selbst unbekannt, ob er gut oder schlecht ist, da er ja auch ein Mensch ist? – Das räumte er ein. – Und sich selbst nicht erkennen, heißt das besonnen sein oder nicht besonnen sein? – Nicht besonnen sein. – Sich selbst erkennen also ist besonnen sein? – Das behaupte ich, sagte er. – Dieses also, wie es scheint, befiehlt auch jene Schrift im delphischen Tempel, Besonnenheit zu üben und Gerechtigkeit. – So scheint es. – Und vermittelst dieser nämlichen verstehn wir auch Andere recht zu bändigen? – Das behaupte ich. – Und durch die wir Andere recht zu bändigen verstehen, das ist Gerechtigkeit; durch welche aber sich selbst und Andere recht zu erkennen, das ist Besonnenheit? – So scheint es. – Einerlei also ist Gerechtigkeit und Besonnenheit? – Offenbar ja. – Und so werden doch auch Städte gut verwaltet, wenn den Unrechttuenden ihr Recht widerfährt? – Ganz richtig, sagte er. – Also ist auch die Staatskunst dieselbige? – Das schien ihm auch so. – Und wie, wenn ein Mann den Staat recht verwaltet, heißt der nicht Herrscher und König? – Ja. – Und vermöge der königlichen und Herrscherkunst verwaltet er sie doch? – Allerdings. – Also auch diese Künste sind dieselben mit jenen? – Offenbar. – Und wie, wenn Ein Mann ein Hauswesen richtig verwaltet, wie heißt der? nicht Hausvater und Herr? – Ja. – Wird nun auch der durch Gerechtigkeit sein Haus recht verwalten oder durch eine andere Kunst? – Durch Gerechtigkeit. – Also ist dies einerlei wie es scheint, König, Herrscher, Staatsmann, Hausvater, Herr, Besonnener, Gerechter? Und Eine Kunst die Königs- und Herrscherkunst, die Staatskunst, die Hausverwaltungskunst, die Besonnenheit, die Gerechtigkeit? – So zeigt es sich, sagte er. – Wie also? soll es dem Philosophen zwar, wenn der Arzt etwas über die Kranken sagt, schimpflich sein dem Gesagten nicht folgen, noch selbst ein Wort dazu geben zu können, und wenn einer von den übrigen Meistern etwas von seinem Geschäft sagt eben so: wenn aber ein Richter oder König oder einer von den jetzt beschriebenen, hierin soll es ihm nicht zur Schande gereichen, nicht folgen und nichts eigenes dazu beitragen zu können? – Wie sollte das nicht Schande sein, o Sokrates, über so wichtige Dinge nichts vorbringen zu können! – Wollen wir also sagen, der Philosoph müsse auch hierin der Fünfkämpfer sein und der Halbkünstler, und indem er den zweiten Rang einnimmt, unnütz bleiben so lange noch einer von jenen da ist? Oder darf er doch zuerst schon sein Hauswesen nicht einem Andern überlassen, noch sich mit der zweiten Stelle hierin begnügen, sondern selbst es in Ordnung halten durch gehöriges Rechtsprechen, wenn ihm sein Hauswesen gut soll verwaltet werden? – Das räumte er mir freilich ein. – Dann auch wohl, wenn seine Freunde ihm ihre Angelegenheiten überlassen und die Stadt ihm etwas aufträgt zu untersuchen und zu schlichten, ist es auch hierin schändlich sich als (139) der zweite zu zeigen, oder der dritte und nicht der erste zu sein. – So dünkt es mich. – Weit gefehlt also, Bester, daß das Philosophieren Vielwisserei wäre und Beschäftigung mit allerlei Künsten. – Als ich dies sagte, schämte der weisere sich seiner vorigen Behauptung und schwieg; jener ungebildete aber sagte, es wäre so; und auch die Andern lobten, was gesagt worden war.


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