Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Erster Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Alkibiades

Sokrates • Alkibiades

(138) Sokrates: Gehst du etwa zu dem Gotte um zu beten, o Alkibiades?

Alkibiades: Allerdings, Sokrates.

Sokrates: Du siehst ja auch ganz finster aus, und zur Erde blickend, wie wenn du dir etwas überlegtest.

Alkibiades: Was sollte sich einer da wohl überlegen, o Sokrates?

Sokrates: Die wichtigste Überlegung, o Alkibiades, wie mich wenigstens dünkt. Denn sprich beim Zeus, glaubst du nicht, daß die Götter, was wir von ihnen bitten jeder für sich und gemeinschaftlich für Alle, davon bisweilen einiges verleihen und anderes nicht, und auch Einigen wohl, Anderen aber nicht?

Alkibiades: Allerdings.

Sokrates: Dünkt dich also nicht große Vorsicht erfordert zu werden, damit nicht einer unvermerkt sich selbst große Übel erbitte, die er aber für Gutes hält, die Götter aber dann gerade in der Verfassung seien, in welcher sie gewähren, was einer bittet? wie z. B. vom Oidipus gesagt wird, er habe gebetet, daß seine Söhne mit dem Schwert das väterliche teilen möchten; da er konnte um eine Milderung der vorhandenen Übel gebeten haben, hat er sich zu denen die schon da waren noch andere erwünscht. Woher denn nicht nur dieses in Erfüllung ging, sondern zufolge dessen noch viel anderes schreckliche, was ich nicht wüßte, wozu ich es einzeln aufzählen sollte.

Alkibiades: Du sprichst aber auch von einem rasenden Menschen, Sokrates. Denn wer glaubst du wohl daß bei gesunden Sinnen dergleichen werde gebetet haben?

Sokrates: Dünkt dich das Rasen das Gegenteil vom Vernünftigsein?

Alkibiades: Allerdings.

Sokrates: Und unvernünftig und vernünftig dünken dich doch auch einige Menschen zu sein?

Alkibiades: Freilich sind solche.

Sokrates: Wohlan denn, laß uns sehen, welche es wohl eigentlich sind. Denn daß einige unvernünftig sind und andere vernünftig, darüber sind wir einig, und Rasende auch noch außerdem.

Alkibiades: Darüber sind wir einig.

Sokrates: Weiter gibt es doch auch gesunde?

Alkibiades: Die gibt es.

Sokrates: Auch wohl andere kranke?

Alkibiades: Freilich.

(139) Sokrates: Und zwar nicht dieselben?

Alkibiades: Nein.

Sokrates: Gibt es etwa auch noch Andere, denen weder Eins noch das Andere zukommt?

Alkibiades: Nicht füglich.

Sokrates: Denn notwendig ist ein Mensch entweder krank oder nicht krank.

Alkibiades: So dünkt es mich wenigstens.

Sokrates: Und wie wegen der Vernunft und Unvernunft hast du etwa dieselbe Meinung?

Alkibiades: Wie meinst du das?

Sokrates: Ob dich dünkt, man sei entweder vernünftig oder unvernünftig? oder ob es dazwischen eine dritte Beschaffenheit gibt, welche den Menschen zu einem weder vernünftigen noch unvernünftigen macht?

Alkibiades: Nicht füglich.

Sokrates: Notwendig also kommt eines davon Jedem zu.

Alkibiades: So wenigstens dünkt mich.

Sokrates: Erinnerst du dich auch eingestanden zu haben, der Wahnsinn sei der Vernunft entgegengesetzt?

Alkibiades: Sehr wohl.

Sokrates: Und auch, daß es keine dritte mittlere Beschaffenheit gebe, welche macht daß der Mensch weder vernünftig noch unvernünftig ist?

Alkibiades: Das habe ich freilich eingestanden.

Sokrates: Wie aber könnte wohl zweierlei einem einzigen entgegengesetzt sein?

Alkibiades: Auf keine Weise.

Sokrates: Unvernunft also und Wahnsinn mag wohl einerlei sein?

Alkibiades: So zeigt es sich.

Sokrates: Wenn wir also behaupteten, daß alle Unvernünftigen wahnsinnig wären, wäre das wohl eine richtige Behauptung, wie gleich von deinen Altersgenossen, wenn es unvernünftige unter ihnen gibt, wie es denn deren gibt auch unter den weit älteren? Denn sage mir, beim Zeus, glaubst du nicht, daß von denen hier in der Stadt nur wenige vernünftig sind, die meisten aber unvernünftig, welche du also Wahnsinnige nennst?

Alkibiades: Das glaube ich.

Sokrates: Glaubst du nun, wir würden unter so vielen Wahnsinnigen ruhig in der Stadt leben ohne geschlagen oder geworfen oder durch sonst irgend was die Wahnsinnigen auszuüben pflegen schon lange gestraft worden zu sein? Sieh also, mein Kluger, ob es sich nicht etwa doch anders verhält.

Alkibiades: Wie mag es sich aber wohl verhalten, Sokrates? Denn es scheint sich freilich nicht so zu verhalten, wie ich es meinte.

Sokrates: Auch mir scheint es nicht. Aber so etwa laß es uns ansehn.

Alkibiades: Wie meinst du denn?

Sokrates: Ich will es dir sagen. Wir nehmen doch an, daß Einige krank sind; oder nicht?

Alkibiades: Allerdings.

Sokrates: Dünkt es dich nun etwa notwendig, daß ein Kranker entweder die Gicht habe oder das Fieber oder den Augenschmerz? Oder dünkt dich nicht er könne auch ohne daß ihm etwas hievon zukomme an einer andern Krankheit leiden? Denn es gibt deren ja wohl viele, und nicht jene allein.

Alkibiades: So denke ich auch.

Sokrates: Also jeder Augenschmerz dünkt dich doch Krankheit?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Etwa auch jede Krankheit Augenschmerz?

(140) Alkibiades: Nicht füglich; aber ich weiß doch nicht, was ich sagen soll.

Sokrates: Aber wenn du mir nur aufmerksam bist: so sollten wir zween suchend zugleich es wohl finden.

Alkibiades: Das will ich sein, Sokrates, nach meinem Vermögen.

Sokrates: Sind wir also nicht einig darüber geworden jeder Augenschmerz zwar sei Krankheit, nicht aber jede Krankheit Augenschmerz?

Alkibiades: Darüber wurden wir einig.

Sokrates: Und mit Recht glaube ich. Denn auch alle Fiebernden sind krank; nicht aber alle Kranke fiebern oder haben die Gicht oder Augenschmerz, glaube ich. Sondern Krankheit ist zwar jedes dergleichen; verschieden aber, sagen die welche wir Ärzte nennen, wären sie ihrer Wirkung nach. Denn weder sind einander alle ähnlich, noch wirken sie auf ähnliche Art; sondern jede nach ihrer eigentümlichen Beschaffenheit; Krankheiten aber sind sie alle. Wie wir auch annehmen es gibt Handwerker; oder nicht?

Alkibiades: Allerdings.

Sokrates: Nämlich die Schuhmacher, die Zimmerleute, die Bildhauer, und andere gar viele, was sollen wir sie alle nennen, sie haben aber einzelne Teile des Handarbeitens unter sich geteilt, und sind Alle Handarbeiter; nicht aber sind Alle Zimmerleute oder Schuhmacher, oder Bildhauer, welche doch sämtlich Handarbeiter sind.

Alkibiades: Freilich nicht.

Sokrates: Eben so nun haben sie auch die Unvernunft unter sich verteilt, und die den größten Teil davon haben nennen wir Wahnsinnige, die aber weniger, Blödsinnige und Schwachköpfige. Und die wir mit den schonendsten Namen benennen wollen nennen wir teils Eingebildete, teils Einfältige, andere wieder sagen unschädlich oder unschuldig oder kindisch. Und noch viele andere Namen wirst du finden wenn du nachsuchst. Alles dieses nun ist Unvernunft unterschieden aber, wie sich uns vorher eine Kunst von der andern zeigte, und eine Krankheit von der andern. Oder wie meinst du?

Alkibiades: Ich eben so.

Sokrates: Also von hier laß uns wieder zurückgehn. Denn auch im Anfang unseres Gespräches waren ja wohl die Unvernünftigen und die Vernünftigen zu untersuchen, welche es wären. Denn daß welche es wären, war eingeräumt. Oder nicht?

Alkibiades: Ja das war eingeräumt.

Sokrates: Nimmst du nun etwa diejenigen als Vernünftige an, welche wissen was einer tun und reden soll?

Alkibiades: Ja diese.

Sokrates: Welche aber als Unvernünftige? Etwa die, welche keines von diesen beiden wissen?

Alkibiades: Diese.

Sokrates: Werden nun nicht die keines von diesen beiden Wissenden unbewußt reden und tun was man nicht muß?

Alkibiades: Das leuchtet ein.

Sokrates: Unter diese Menschen nun, Alkibiades, meinte ich, gehöre auch Oidipus. Du wirst aber auch finden, daß unter den (141) Jetzigen viele, nicht etwa im Zorn, wie jener, und wissentlich sich Böses wünschen, sondern in der Meinung es sei Gutes. Denn Jener, wie er sich nichts Gutes wünschte, so glaubte er es auch nicht zu tun; es gibt aber Andere, welchen das Gegenteil hievon begegnet. Denn ich glaube gleich du wenn der Gott, zu welchem du jetzt hingehn willst dir erschiene und ehe du noch etwas gebeten hättest dich fragte, ob es dir genug wäre Eigenherrscher über die Stadt der Athener zu sein, und wenn du dies für unbedeutend hieltest und für nichts großes, auch gleich hinzusetzte und über alle Hellenen; und wenn er sähe, du glaubtest noch nicht genug zu haben wenn er dir nicht ganz Europa bewilligte, dir dann auch dieses nicht nur bewilligen wollte, sondern auch gleich heute, wenn du es wolltest, Alle fühlen ließe daß Alkibiades der Sohn des Kleinias der Herr wäre: so glaube ich würdest du hocherfreut von ihm gehn, als der größten Güter teilhaftig geworden.

Alkibiades: Ich glaube wohl auch jeder andere, Sokrates, wenn ihm dergleichen begegnete.

Sokrates: Aber doch für dein Leben würdest du wohl auch aller Hellenen und Barbaren Land und Herrschaft nicht nehmen wollen?

Alkibiades: Das glaube ich wohl. Wie sollte ich auch, wenn ich dann doch keinen Gebrauch davon machen könnte?

Sokrates: Und wie wenn du nur einen schlechten und schädlichen Gebrauch davon machen würdest; auch so nicht?

Alkibiades: Freilich nicht.

Sokrates: Siehst du also wie wenig es sicher wäre für dich, dieses Gegebene aufs Geratewohl anzunehmen, oder es selbst zu erbitten, wenn doch einer dadurch Schaden erleiden oder gar das Leben deshalb verlieren könnte. Viele auch könnten wir anführen, welche nach der Herrschaft gestrebt und sich viel Mühe darum gegeben haben, als hätten sie etwas Gutes daran wenn es ihnen damit gelänge, denen aber hernach eben der Herrschaft wegen nachgestellt und das Leben genommen wurde. Wie ich denn glaube, dir wird manches nicht unbekannt geblieben sein, was sich in diesen Tagen ereignet hat, da den König der Makedonier Archelaos sein in die Herrschaft nicht minder als jener in ihn verliebter Liebling, wiewohl jener sein Liebhaber war, umgebracht, um ein Herrscher und beglückter Mann zu werden, nachdem er aber drei oder vier Tage die Gewalt besessen, selbst durch Nachstellung einiger anderen umgebracht ward. Auch unter unsern Mitbürgern siehst du, was wir nicht von Andern gehört, sondern selbst Augenzeugen davon gewesen, wie viele schon nach der Feldherrnwürde getrachtet, (142) und nachdem sie ihnen geworden teils noch gegenwärtig verbannt sind aus dieser Stadt, teils ihr Leben eingebüßt haben; die aber die glücklichsten unter ihnen zu sein scheinen, haben unter vielfältiger Gefahr und Angst gelebt nicht nur während ihrer Heerführung, sondern auch nach der Rückkehr ins Vaterland wegen der Angeber, die ihnen nicht minder hartnäckig zusetzten als die Feinde. So daß einige wünschten, lieber ohne jene Würde geblieben zu sein als sie verwaltet zu haben. Und führten noch die Gefahren und Mühseligkeiten zu einigem Nutzen: so wäre es doch etwas, itzt aber ist es ganz das Gegenteil. Ganz dasselbe wirst du finden in Absicht der Kinder, daß Einige sich gewünscht welche zu bekommen, nachdem sie sie aber bekommen, in die schwersten Unfälle und Trübsale geraten sind. Denn einige haben, weil ihre Kinder bis an ihr Ende ungeraten blieben, ihr ganzes Leben in Kummer verbracht, andere hingegen, denen sie zwar wohl geraten, die aber ihrer durch Unglücksfälle beraubt worden, haben selbst auch nicht geringeren Kummer erduldet als jene, und gewünscht, die Kinder möchten ihnen lieber nicht geboren sein als geboren. Dennoch aber, wie offenbar auch sowohl dieses ist als vieles andere das sich eben so wenden pflegt: so ist doch selten Einer zu finden, der entweder des Angebotenen sich enthielte, oder wenn er durch Wünschen etwas zu erlangen wüßte, aufhören sollte zu wünschen; sondern die meisten würden weder die Alleinherrschaft wenn sie ihnen angeboten würde, zurückweisen, noch die Heerführung, noch vieles andere, was wenn es jemand hat ihm mehr schadet als hilft; vielmehr dies alles sich sogar herbeiwünschen wenn Einer es noch nicht hätte. Nach einer kurzen Zeit aber widerrufen sie nicht selten, und wünschen wieder weg, was sie zuerst herbeigewünscht. Ich daher bin auch zweifelhaft, ob nicht in Wahrheit die Menschen wider die Götter fälschlich klagen, wenn sie vermeinen nur von jenen sei ihnen Böses, aber sie schaffen durch Unverstand, oder ob man Unvernunft sagen soll, auch gegen Geschick sich das Elend. Und so mag wohl, o Alkibiades, jener Dichter gar vernünftig sein, welcher wie ich glaube, auch unverständige Freunde hatte, und als er sie tun und wünschen sah, was nicht das beste war, ihnen aber doch so schien, für alle gemeinschaftlich dieses Gebet scheint gedichtet zu haben. Er sagt aber so etwa: Zeus du Herrscher, das Gute, spricht er, auch (143) wann wir es nicht uns erflehen Immer verleih, doch Arges dem Beter sogar zu verweigern bittet er. Mich dünkt dies sehr gut und sicher gesprochen von dem Dichter, hast aber du etwas dagegen in Gedanken, so verschweige es nicht.

Alkibiades: Hart wäre es, Sokrates, etwas vorzubringen gegen das, was gut gesagt ist. Dieses nun begreife ich, an wie vielen Übeln die Unwissenheit den Menschen Ursach ist, da wir, wie es scheint, durch sie unvermerkt uns das Ärgste zufügen, ja was noch mehr sagen will, sogar herbeiwünschen. Was doch Niemand glauben sollte, sondern jeder glaubt das wenigstens zu verstehen, sich selbst das Beste zu wünschen und nicht das Schlimmste. Denn das wäre ja in der Tat einem Fluch ähnlich und nicht einem Gebet.

Sokrates: Aber, Bester, vielleicht würde ein Mann der weiser wäre als ich und du behaupten, wir sprächen nicht richtig, wenn wir so ins Blaue die Unwissenheit verwürfen und nicht wenigstens hinzusetzten, daß Unwissenheit über gewisse Dinge für gewisse Menschen unter gewissen Umständen gut wäre, eben wie für andere übel.

Alkibiades: Wie meinst du das? Kann irgend etwas irgend Jemanden unter was immer für Umständen besser sein nicht zu wissen als zu wissen?

Sokrates: Mir scheint es so; und dir nicht?

Alkibiades: Nein gewiß, beim Zeus.

Sokrates: Aber doch will ich auch das nicht von dir denken, daß du gegen deine eigne Mutter das möchtest verübt haben, was man vom Orestes sagt und Alkmaion, und was für Andere etwa noch dasselbe wie jene verübt haben mögen.

Alkibiades: Um Zeus willen, sprich besser, Sokrates.

Sokrates: Nicht den, Alkibiades, welcher sagt du werdest dergleichen nicht wollen verübt haben, mußt du besser sprechen heißen, sondern vielmehr wenn einer das Gegenteil sagte, wenn dich doch die Sache so arg dünkt, daß man ihrer auch nicht einmal unnötig erwähnen müsse. Glaubst du aber wohl, daß Orestes, wenn er vernünftig gewesen wäre und gewußt hätte, was für ihn das beste wäre zu tun, sich würde erkühnt haben etwas hievon zu verüben?

Alkibiades: Gewiß nicht.

Sokrates: Auch wohl, glaube ich, kein Anderer.

Alkibiades: Freilich nicht.

Sokrates: Ein Übel also, wie es scheint, ist es das Beste nicht zu kennen, und die Unkenntnis des Besten.

Alkibiades: Mich dünkt es.

Sokrates: Und zwar wie Jenem, so auch allen Übrigen?

Alkibiades: Das behaupte ich.

Sokrates: Betrachten wir nun auch noch dieses. Wenn dir etwa auf einmal einfiele, weil du meintest es sei so das Beste, ein Messer zu nehmen, ins Vorzimmer des Perikles deines Freundes (144) und Vormundes zu gehn und zu fragen, ob er drin wäre, in der Absicht eben jenen zu töten und keinen andern, und sie sagten er wäre drin. Nämlich ich sage gar nicht, daß du jemals etwas dergleichen werdest tun wollen; sondern ich meine nur, wenn du dies gut fändest, da ja nichts hindern kann, daß nicht dem, der das Beste nicht kennt auch einmal eine solche Meinung einfalle, daß er auch das schlechteste für das Beste hält. Oder meinst du das nicht?

Alkibiades: Allerdings.

Sokrates: Wenn du nun im Hineintreten ihn verkenntest beim Anblick und glaubtest, es wäre ein Anderer, würdest du dann wohl noch den Mut haben ihn zu töten?

Alkibiades: Nein, beim Zeus, das dünkt mich nicht.

Sokrates: Denn nicht den ersten Begegnenden, sondern nur eben jenen wolltest du. Nicht wahr?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Also wenn du es auch oft unternähmest, jedesmal aber den Perikles verkenntest, wenn du im Begriff wärest es auszuüben, so würdest du ihn wohl niemals angreifen?

Alkibiades: Nicht füglich.

Sokrates: Und wie? meinst du Orestes würde je seine Mutter angegriffen haben, wenn er sie auf gleiche Weise verkannt hätte?

Alkibiades: Ich glaube wohl nicht.

Sokrates: Denn auch Jener hatte ja nicht die erste beste Frau noch des ersten besten Menschen Mutter im Sinne zu töten, sondern seine eigne.

Alkibiades: So ist es.

Sokrates: Dergleichen zu verkennen ist also besser für die so beschaffenen und mit solchen Meinungen behafteten.

Alkibiades: Das zeigt sich.

Sokrates: Siehst du also daß Unkenntnis von gewissen Dingen, für gewisse Menschen unter gewissen Umständen gut ist und kein Übel, wie es dir vorher schien.

Alkibiades: So scheint es.

Sokrates: Willst du nun weiter das folgende erwägen: so kann dich vielleicht dünken, es sei ungereimt.

Alkibiades: Was doch eigentlich, Sokrates?

Sokrates: Daß ja scheint, um es nur heraus zu sagen, als ob der Besitz der andern Erkenntnisse, wenn Jemand sie ohne die des Besten besitzt, nur selten von Nutzen sei, sondern meistenteils dem Inhaber schade. Betrachte es nur so. Dünkt es dich nicht notwendig zu sein, wenn wir etwas tun oder reden wollen, daß wir zuvor dasjenige entweder zu wissen glauben oder wirklich wissen müssen, was wir mit festerer Zuversicht reden oder tun wollen?

Alkibiades: Das dünkt mich.

Sokrates: Also gleich die Redner verstehen entweder uns Rat zu geben oder glauben es zu verstehen, so oft sie Rat geben, der eine über Krieg und Frieden, der Andere über die Erbauung der Mauern, oder die Ausrüstung der Häfen. Mit einem Worte, (145) was der Staat unternimmt gegen einen andern Staat oder in und für sich selbst, das rührt alles her von dem Rate der Redner?

Alkibiades: Ganz richtig.

Sokrates: Sieh nun auch das folgende, wenn es geht. Du nennst doch Einige vernünftig, Andere unvernünftig?

Alkibiades: Gewiß.

Sokrates: Die Meisten doch wohl unvernünftig, und nur die Wenigeren vernünftig?

Alkibiades: Gerade so.

Sokrates: Doch auf irgend etwas sehend nennst du beide so?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Etwa den, der Rat zu geben weiß ohne zu wissen welches und wenn es besser ist, nennst du vernünftig?

Alkibiades: Wohl nicht.

Sokrates: Auch wohl den nicht, glaube ich, der das Kriegführen selbst versteht, aber nicht wann es das bessere ist und so lange als es das bessere ist. Nicht wahr?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Also auch nicht wenn Jemand versteht Einen zu töten, oder des Geldes zu berauben, oder zum Verbannten zu machen aus seinem Vaterlande aber nicht wenn und wem dieses zu tun das Beste ist?

Alkibiades: Auch nicht.

Sokrates: Den also, der hievon etwas versteht, wenn zugleich die Erkenntnis des Besten damit verbunden ist. Diese aber war ja wohl einerlei mit der des Nützlichen. Nicht wahr?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Diesen also wollen wir für vernünftig halten und für einen zuträglichen Ratgeber sich selbst und dem Staat; wer aber nicht, den dafür daß er das Gegenteil hievon tut. Oder wie denkst du?

Alkibiades: Ich eben so.

Sokrates: Und wie wenn Jemand das Reiten und das Schießen versteht? oder das Ringen und den Faustkampf, oder sonst etwas von den übrigen Kampfspielen, oder auch etwas Anderes von dem, was wir durch Kunst verstehen, wie nennst du den, welcher das versteht was in dieser Kunst das Beste ist? Nicht wahr in Beziehung auf die Reitkunst einen Reitkundigen?

Alkibiades: Ja.

Sokrates: Und wer es in Beziehung auf den Faustkampf versteht den einen Faustkampfkundigen, und wer in Beziehung auf das Flötenspielen den einen Flötenspielkundigen, bei dem Übrigen also auf dieselbe Weise; oder anders?

Alkibiades: Nein, sondern so.

Sokrates: Dünkt es dich nun notwendig zu sein, daß wer hievon etwas versteht zugleich ein vernünftiger Mann ist? Oder sollen wir sagen, daran fehle gar viel?

Alkibiades: Gar viel, beim Zeus.

Sokrates: Was für ein Staat, glaubst du nun wäre dies, der aus guten Schützen und Flötenspielern und Kämpfern und den andern Künstlern bestände, und unter diese die wir eben erwähnt wären dann einige gemischt, welche das Kriegführen selbst verstehen, und das Totschlagen, und dann noch rednerische Männer recht staatskundig aufbläht, alle diese aber ohne die Erkenntnis des Besten und ohne einen der da weiß wenn es am besten ist dies alles anzuwenden, und gegen wen?

(146) Alkibiades: Ein schlechter, denke ich, o Sokrates.

Sokrates: Das würdest du wenigstens sagen, glaube ich, wenn du sähest wie sie ehrgeizig mit einander wetteifern, und Jeder das als den wichtigsten Teil der Staatsverwaltung vorzieht wo er sich selbst noch als den Besten übertrifft, ich meine nämlich was im Gebiete jeder Kunst selbst das Beste ist, das wahre Beste aber für sich selbst und den Staat meistens verfehlt, weil er, glaube ich, ohne Einsicht nur seiner Meinung vertraut. Verhält sich nun dieses so, würden wir dann nicht das Richtige sagen, wenn wir behaupteten, ein solcher Staat sei voll Verwirrung und Ungesetzlichkeit?

Alkibiades: Gewiß das Richtige.

Sokrates: Dünkte es uns nun nicht notwendig, daß wir zuvörderst dasjenige entweder glauben müßten zu wissen oder wirklich wissen, was wir mit Zuversicht reden oder tun sollten?

Alkibiades: Das dünkte uns.

Sokrates: Und daß also, wenn Jemand tut was er weiß oder zu wissen glaubt, und das Nützliche damit verbunden ist, alsdann wir dem Staat zum Vorteil handeln werden und Jeder sich selbst?

Alkibiades: Wie anders?

Sokrates: Wenn aber das Gegenteil, dann, glaube ich, weder für den Staat noch für sich selbst.

Alkibiades: Freilich nicht.

Sokrates: Und wie? dünkt es dich nun noch eben so oder wieder anders?

Alkibiades: Nein, sondern eben so.

Sokrates: Behauptetest du nicht auch, du hieltest die Mehresten für unvernünftig und nur die Wenigeren für vernünftig?

Alkibiades: Das tat ich.

Sokrates: Behaupten wir nicht auch wiederum, daß die mehresten das Beste verfehlen, da sie ja meistenteils, denke ich, ohne Einsicht der Meinung vertrauen?

Alkibiades: Das behaupten wir freilich.

Sokrates: Also ist es den Mehresten zuträglich, daß sie nichts weder wissen noch zu wissen glauben, da sie ja aufgelegter sein werden dasjenige zu tun, was sie wissen oder zu wissen glauben, wenn sie es aber tun, doch in den mehresten Fällen mehr Schaden davon haben werden als Nutzen?

Alkibiades: Vollkommen richtig.

Sokrates: Siehst du nun, als ich sagte, es möchte wohl der Besitz anderer Erkenntnisse, wenn Jemand sie ohne die Erkenntnis des Besten besitzt, nur selten nutzen, öfter aber dem Inhaber schaden, ob sich nicht gezeigt hat, daß ich recht habe?

Alkibiades: Wenn auch damals nicht, so scheint es mir doch jetzt so, Sokrates.

Sokrates: Es muß also ein Staat sowohl als ein Einzelner, wenn er sein Leben richtig führen will, an diese Erkenntnis sich halten ordentlich wie der Kranke an den Arzt, oder wie an den Steuermann der welcher mit Sicherheit schiffen will. Denn ohne diese müssen je stärker die Seele treibt auf den Erwerb (148) äußerer Güter oder Leibesstärke oder sonst etwas um desto größere Fehler daraus entstehen. Und wer von den sogenannten Wissenschaften und Künsten gar viel besitzt, von dieser Erkenntnis aber verwaiset ist, und nur von irgend einer einzelnen unter den übrigen getrieben wird, wird der nicht in der Tat und mit Recht vielem Sturme ausgesetzt sein, als einer der wie ich glaube ohne Steuermann auf hoher See bleibend, nicht lange Zeit freilich nur sein Leben lang umhertreibt? So daß auch hier das Wort des Dichters zuzutreffen scheint, was er wo als Tadel gegen einen sagt: Welcher gar manches zwar wußte, doch übel nur spricht er, wüßt' er es alles.

Alkibiades: Und wie soll das wohl hier zutreffen, Sokrates? mir scheint er das auch nicht im geringsten verständig gesagt zu haben.

Sokrates: Gar sehr verständig; aber auch dieser Dichter, Bester, spricht nur rätselhaft, wie auch die andern Dichter fast alle. Und es ist auch ihrer Natur nach die gesamte Dichtkunst rätselhaft, und nicht eines Jeden Sache sie richtig zu deuten. Und wenn sie dann, außerdem daß sie von Natur so ist, noch einen mißgünstigen Mann ergreift, der seine Weisheit nicht zeigen, sondern soviel irgend möglich ist verbergen will, dann wird es eine über die Maßen schwer zu beurteilende Sache, was wohl jeder von ihnen meint. Denn du glaubst doch wohl nicht, daß Homeros der weiseste und göttlichste Dichter nicht sollte gewußt haben, daß es nicht möglich ist etwas übel zu wissen, denn er ist es, welcher von dem Margites sagt, daß er gar manches zwar wußte, doch übel nur, sagt er, wüßt' er es alles. Aber er spricht rätselhaft, glaube ich, indem er sagt übel statt zum Übel wüßt' er anstatt zu wissen. Daraus wird nun, wenn man es zusammennimmt, zwar nicht dem Versmaße geeignet, doch aber das was der Dichter von ihm sagen will, nämlich daß er gar Manches zwar wußte; aber zum Übel gereichte es ihm dies Alles zu wissen. Offenbar nun ist, daß, wenn es ihm ein Übel war vieles zu wissen, er ein schlechter Mensch muß gewesen sein, wenn man unsern vorigen Reden glauben soll.

Alkibiades: Ich wenigstens bin der Meinung, Sokrates. Oder ich würde schwerlich irgend anderen Reden glauben wenn nicht diesen.

Sokrates: Und mit Recht bist du der Meinung.

Alkibiades: So scheint es mir auch wieder.

Sokrates: Wohlan aber beim Zeus! du siehst ja doch was für eine und wie große Verlegenheit sich zeigt; auch selbst scheinst du mir Teil daran zu haben, da du ja nach allen Seiten dich hinwendend auch nirgends zur Ruhe kommst, sondern, was du am festesten behauptet hattest, scheinst du wieder abgelegt (148) zu haben, und nicht mehr derselben Meinung zu sein. Wenn also auch jetzt noch der Gott, zu welchem du gehen wolltest, dir erschiene und entweder dich fragte ehe du noch irgend etwas gebeten hättest, ob es dir genügte, wenn etwas von jenem in Erfüllung ginge, was wir anfänglich sagten, oder auch dir verstattete selbst zu bitten: was glaubst du wohl von dem Angebotenen annehmen oder was dir selbst erbitten zu können, um die Gelegenheit gut zu benutzen.

Alkibiades: Bei den Göttern, Sokrates, ich wüßte dir nichts so gleich zu sagen; sondern es dünkt mich ein töricht Ding zu sein, und in der Tat viele Vorsicht nötig, damit sich nicht einer unvermerkt Übles erbitte, in der Meinung es sei Gutes, nach weniger Zeit aber wie auch du sagtest widerrufe und wieder wegwünsche, was er zuvor herbeigewünscht.

Sokrates: Hat etwa nicht der Dichter, dessen wir ja am Anfang der Rede erwähnten, etwas mehr wissend als wir Arges dem Beter sogar zu verweigern gebeten?

Alkibiades: Mir wenigstens scheint es.

Sokrates: Auch die Lakedaimonier, Alkibiades, mögen sie nun diesen Dichter nachgeahmt, oder die Sache auch selbst so überdacht haben, beten immer sowohl öffentlich als Jeder für sich beinahe ein ähnliches Gebet, indem sie die Götter anrufen ihnen das Schöne zu dem Guten zu verleihen. Mehreres wird niemals Jemand einen von ihnen haben beten gehört. Deshalb sind sie bis auf die jetzige Zeit nicht minder beglückt als irgend Andere unter den Menschen. Und sollten sie auch nicht in allen Stücken immer beglückt gewesen sein, so kommt das doch nicht her von ihrem Gebet; denn es hängt doch von den Göttern ab, glaube ich, das zu geben was einer sich erbeten hat oder auch das Gegenteil davon. Auch noch etwas anderes will ich dir erzählen, was ich einst von alten Leuten gehört habe, daß nämlich als Streit war zwischen den Athenern und Lakedaimoniern, unserer Stadt begegnete, daß sie immer zu Lande sowohl als zur See, so oft es eine Schlacht gab, Verlust erlitt und niemals die Oberhand gewinnen konnte. Die Athener also unwillig über die Sache, und ratlos was sie wohl um diesem Übel abzuhelfen ersinnen sollten, hätten es nach gepflogener Beratung für das Beste gehalten zum Ammon zu schicken und ihn über diese Sache zu befragen, und außerdem auch noch darüber, weshalb doch den Lakedaimoniern die Götter lieber den Sieg gäben als ihnen, da wir doch, sprachen sie, unter allen Hellenen die meisten und schönsten Opfer bringen und mit Weihgeschenken ihre Tempel geschmückt haben wie keine Stadt sonst, und jegliches Jahr aufs prachtvollste und untadelhafteste sie beschicken und mehr Geld hierauf verwendet (149) haben als alle andere Hellenen zusammen. Den Lakedaimoniern aber, sprachen sie, war niemals irgend etwas dergleichen sehr angelegen; sondern so geringschätzig betragen sie sich gegen die Götter, daß sie sogar immer verstümmeltes opfern, und auch in allem übrigen sich um vieles dürftiger in ihrer Verehrung erweisen als wir, da sie doch nicht weniger Reichtum besitzen als unsere Stadt. Nachdem sie nun dieses gesagt und gefragt hatten, was sie tun sollten um das damalige Übel wieder abzuwenden, habe der Prophet nichts anders geantwortet, weil eben der Gott es ihm offenbar nicht zugelassen, sondern er habe sie nur herbeigerufen und gesprochen, Dies sagt Ammon den Athenern, er spricht der Lakedaimonier Schweigsamkeit gefalle ihm besser als der andern Hellenen Opfer insgesamt. Soviel habe er gesagt und nichts darüber. Mit dieser Schweigsamkeit nun scheint mir der Gott nichts anderes zu meinen, als jenes ihr Gebet. Denn in der Tat zeichnet es sich gar sehr aus von den übrigen. Denn die andern Hellenen, einige indem sie goldengehörnete Stiere darbringen, andere indem sie den Göttern Weihgeschenke verehren, beten dabei um diese Dinge, wie es sich trifft mögen sie nun grade gut sein oder übel. Indem die Götter dieses Lästerliche hören verwerfen sie alle jene herrlichen Beschickungen und Opfer. Daher dünkt es mich vieler Vorsicht und Überlegung zu bedürfen, was man wohl reden muß, und was nicht. Du wirst auch beim Homeros anderes dem bisher gesagten sehr ähnliches finden. Denn er sagt, daß die Troer als sie sich gelagert den Göttern vollkommene Festhekatomben brachten, und den Opferduft hätten vom Gefilde die Winde erhoben in den Himmel Süßes Geruches: doch nahmen ihn nicht die seligen Götter abgeneigt, denn verhaßt war die heilige Ilios jenen, Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigen Königs. So daß es ihnen nichts nutzte zu opfern und Geschenke zu bringen vergeblich, da sie den Göttern verhaßt waren. Denn dergleichen glaube ich haben die Götter nicht an sich, daß sie durch Geschenke sich bewegen lassen wie ein schlechter Wucherer. Daher auch wir eine einfältige Rede führen, wenn wir um deshalb vor den Lakedaimoniern den Vorzug begehren. Denn das wäre ja arg, wenn auf unsere Geschenke und Opfer die Götter sehen wollten, und nicht auf die Seele, wer fromm ist und gerecht. Weit mehr, glaube ich, als auf jene köstlichen Beschickungen und Opfer, welche wer auch vieles gegen die Götter und vieles gegen die Menschen gesündiget hat, sei es ein Einzelner sei es ein Staat, dennoch ungehindert jährlich vollbringen kann. Sie aber die keine (150) Geschenknehmer sind verachten dies alles, wie der Gott sagt, und der Prophet der Götter. Es mag aber wohl bei Göttern sowohl als bei Menschen die Verstand haben Gerechtigkeit und Vernunft ganz vorzüglich geehrt sein. Vernünftig aber und gerecht sind keine Andern als die, welche wissen, was man tun und reden muß gegen Götter und gegen Menschen. Ich möchte aber auch von dir gern hören, was du in Gedanken hast hierüber.

Alkibiades: Mir meines Teils, Sokrates, erscheint es gar nicht anders als dir und dem Gott. Es wäre ja auch nicht recht, wenn ich dem Gott entgegen meine Stimme abgeben wollte.

Sokrates: Du erinnerst dich also doch der Behauptung, daß du in großer Verlegenheit wärest um dir nicht unbewußt übeles zu erbitten in der Meinung es sei gutes.

Alkibiades: Das tue ich.

Sokrates: Du siehst also, wie gar nicht sicher es für dich ist betend dem Gotte zu nahen, damit er nicht, wenn es sich so träfe, daß er lästliches von dir hört, dieses ganze Opfer verwerfe, oder du auch vielleicht noch etwas anderes davontragest. Daher dünkt mich das Beste, daß du dich ruhig verhältst. Denn des Gebetes der Lakedaimonier wirst du dich, glaube ich, als ein Eingebildeter, das war uns ja wohl der schonendste Name für die Unvernunft, nicht bedienen wollen. Also ist es notwendig zu warten bis einer lernt, wie er sich muß gegen Götter und gegen Menschen verhalten.

Alkibiades: Wann wird diese Zeit sein, o Sokrates? und wer der Unterrichtende? Denn gar gern, glaube ich, möchte ich diesen Menschen sehen, wer er ist.

Sokrates: Dieser ist es, der Sorge für dich trägt. Allein so wie Homeros sagt, daß Athene dem Diomedes erst mußte die Finsternis den Augen entnehmen, daß er wohl erkenne den Gott und den sterblichen Menschen, so glaube ich muß auch er zuvor von deiner Seele die Finsternis hinwegnehmen die jetzt darauf liegt, und dann erst dasjenige beibringen, wodurch du erkennen wirst wer gut ist oder auch böse. Denn jetzt dünkt mich kannst du es noch nicht.

Alkibiades: Er nehme also hinweg die Finsternis wenn er so will oder sonst etwas. Denn ich bin willig mich weder dem noch jenem zu entziehen was Jener anordnet, wer auch der Mensch sein mag, wenn ich nur dadurch kann besser werden.

(151) Sokrates: Eben so ist auch jener dir, es ist nicht zu sagen wie sehr, zugetan.

Alkibiades: Bis dahin dünkt mich nun auch das Beste das Opfer aufzuschieben.

Sokrates: Ganz recht, daß es dich so dünkt. Denn es ist sicherer als auf eine so große Gefahr es zu wagen.

Alkibiades: Wie aber, Sokrates, wenn ich diesen Kranz hier, da du mich gut beraten zu haben scheinst, dir aufsetzte. Den Göttern aber wollen wir Kränze und alles was sonst gebräuchlich ist alsdann verehren, wann ich jenen Tag kommen sehe. Er soll aber bald kommen, wenn sie nur wollen.

Sokrates: Wohl! ich nehme dieses an, und auch sonst, glaube ich, werde ich Alles was du nur geben magst, gern annehmen. Und wie Kreon beim Euripides als der den Teiresias kommen sah mit Kränzen, und hörte, er habe den ersten Sieg über die Feinde davon getragen vermöge seiner Kunst, sagt Zur Vorbedeutung nehm ich an siegreichern Kranz, denn mit dem Sturme kämpfen wir itzo wie du weißt: so nehme auch ich dieses dein Urteil zur Vorbedeutung, denn ich dünke mich in nicht leichterem Sturme mich zu befinden als Kreon und wünschte wohl der Siegbekränzte zu werden unter deinen Liebhabern.


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