Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Das Haus und der Maulwurf.

Ich habe im Anfang zu übereilt gesagt, daß ich meinen Vater gekannt habe. Ich habe ihn nicht gekannt. Ich war vier und einhalb Jahr alt, als er starb. Als er einmal mit einem seiner Trabakel nach Korsika gefahren war, wegen gewisser Handelsgeschäfte, die er dort machte, kehrte er nicht mehr zurück; er war in drei Tagen von einem bösartigen Wechselfieber dahingerafft worden, im Alter von achtunddreißig Jahren. Er hinterließ in ziemlichem Wohlstand seine Gattin und zwei Söhne: Mattia (der ich wäre und auch war) und Robert, der zwei Jahr älter war als ich.

Mancher von den Alten meiner Heimat hat noch seine Freude daran zu glauben, daß meines Vaters Reichtum (der keinen Schatten mehr auf ihn werfen dürfte, da er schon seit geraumer Zeit in andere Hände übergegangen ist) – sagen wir – geheimnisvollen Ursprungs sei.

Manche wollen, daß er ihn sich in Marseille durch das Kartenspiel erworben habe mit dem Kapitän eines englischen Handelsdampfers, der, nachdem er alles Geld verloren, das er bei sich führte, und das mußte nicht wenig gewesen sein, auch noch eine große Ladung Schwefel verspielt hatte, die er im fernen Sizilien für Rechnung eines Kaufmanns aus Liverpool eingenommen hatte. (Auch das wissen sie! Und der Name?) Eines Kaufmanns aus Liverpool, der den Dampfer gemietet hatte. Jener Kapitän hatte sich dann aus Verzweiflung, nachdem er die Anker gelichtet, auf hoher See ertränkt. So wurde der Dampfer, in Liverpool gelandet, erleichtert auch noch um das Gewicht des Kapitäns. Ein Glück nur, daß er wenigstens als Ballast die Bosheit meiner Landsleute hatte.

Wir besaßen Länder und Häuser. Scharfsinnig und abenteuerlich wie mein Vater war, hatte er niemals für seine Handelsgeschäfte einen festen Sitz: immer war er mit seinem Trabakel unterwegs; wo er die verschiedensten Waren billiger und günstiger fand, kaufte er sie und verkaufte sie sofort wieder. Und deswegen fühlte er sich nicht zu allzu großen und riskanten Unternehmungen versucht; die Gewinne legte er nach und nach in Ländereien und Häusern an, hier in seinem eigenen Heimatsland, wo er vielleicht bald damit rechnete, sich in den mühsam erworbenen Bequemlichkeiten zur Ruhe zu setzen, zufrieden und im friedlichen Kreis von Gattin und Söhnen.

So erwarb er zuerst das Land Due Riviere, reich an Oliven und Maulbeerbäumen, ferner das Gut Stia, auch dieses reich ausgestattet und mit einer schönen Quelle versehen, das daher für eine Mühle genommen wurde; dann die ganze Höhe von Sperone, welche der beste Weinberg unserer Gegend war und schließlich San Rocchino, wo er eine entzückende Villa baute. Außer dem Hause, in dem wir wohnten, erwarb er in unserer Heimat noch zwei Häuser, und jene Häusergruppe, die jetzt in ein Arsenal umgewandelt ist.

Sein unvorhergesehener Tod wurde unser Ruin. Meine Mutter, ungeeignet für die Verwaltung der Erbschaft, mußte sie jemandem anvertrauen, von dem sie glaubte, da er von seiten meines Vaters so viel Wohltaten empfangen hatte, daß er zumindest die Verpflichtung zu etwas Dankbarkeit empfinden müsse, eine Dankbarkeit, die ihm außer Eifer und Ehrlichkeit weiter keine Opfer kosten würde, da sie überdies glänzend belohnt wurde.

Aber unsere Mutter, o heilige Madonna! Von scheuer und sanftester Gemütsart hatte sie ja so spärliche Erfahrungen vom Leben und den Menschen! Wenn man sie sprechen hörte, schien sie wie ein Kind. Sie sprach mit nasalem Akzent und lachte auch mit der Nase, da sie jedesmal, gleich als schämte sie sich zu lachen, die Lippen zusammen preßte. Von zartestem Körperbau – war sie nach dem Tode meines Vaters immer von schwankender Gesundheit; aber nie beklagte sie sich über ihre Leiden, auch glaube ich nicht, daß sie selber Überdruß deswegen empfand; sie nahm sie hin, resigniert, als eine natürliche Folge ihres Unglücks. Vielleicht war sie auch darauf gefaßt, vor Kummer zu sterben und mußte so Gott bitten, daß er sie am Leben erhielte, wenn auch noch so elend und kummervoll, zum Wohl ihrer Söhne.

Für uns hatte sie eine geradezu krankhafte Zärtlichkeit, voll Herzklopfen und Bestürzungen: sie wollte uns immer in ihrer Nähe haben, gleichsam als fürchte sie, uns zu verlieren, und oft schickte sie die Dienerinnen herum durch das geräumige Haus, sobald sich einer von uns ein wenig entfernt hatte.

Wie eine Blinde hatte sie sich der Führung ihres Gatten überlassen; ohne ihn zurückgeblieben, fühlte sie sich in der Welt verloren. Und das Haus verließ sie nicht mehr, ausgenommen die Sonntage, zeitig in der Frühe, wo sie zur Messe in die nächste Kirche ging, begleitet von zwei alten Dienerinnen, die sie wie Verwandte behandelte. In diesem selben Haus beschränkte sie sich darauf, in nur drei Zimmern zu leben, indem sie die vielen anderen der spärlichen Sorgfalt der Dienerinnen und unseren ausgelassenen Streichen überließ.

In jenen Zimmern ging von all den alten Möbeln, von den ausgeblaßten Vorhängen jener eigentümliche Geruch nach alten Sachen aus, gleichsam wie der Atem einer anderen Zeit; und ich erinnere mich, daß ich mich mehr als einmal mit einer seltsamen Bestürzung umblickte, die von der schweigsamen Unbeweglichkeit jener alten Gegenstände kam, die seit so vielen Jahren außer Gebrauch, ohne Leben waren.

Unter denen, die unsere Mama am häufigsten besuchen kamen, war eine Schwester meines Vaters, eine wunderliche alte Jungfer, mit einem Paar Frettchenaugen, braun und stolz. Sie hieß Scolastica. Aber sie hielt sich jedesmal nur sehr wenig auf, weil sie plötzlich beim Reden in Wut geriet und, ohne jemand zu grüßen, davoneilte. Ich hatte als Knabe eine große Furcht vor ihr. Ich beobachtete sie scharf, besonders wenn ich sie in Wut auffahren sah und sie zu meiner Mutter gewandt schreien hörte, indem sie wütend mit dem Fuß auf den Boden stampfte:

– Fühlst du das Leere? Der Maulwurf! Der Maulwurf! –

Sie spielte auf Malagna an, auf den Verwalter, der uns heimlich unter unseren Füßen eine Grube grub.

Tante Scolastica (ich habe es später erfahren) wollte auf jeden Fall, daß meine Mutter sich wieder verheiratete. Gewöhnlich haben Schwägerinnen nicht solche Gedanken und geben auch nicht solche Ratschläge. Sie aber hatte ein herbes und boshaftes Gefühl von Gerechtigkeit; und sicherlich mehr deshalb als aus Liebe zu uns, vermochte sie nicht zu ertragen, daß jener Mensch uns so ungestört bestahl. Jetzt, wo die absolute Untauglichkeit und Blindheit unserer Mutter eine Tatsache war, sah sie kein anderes Hilfsmittel mehr als einen zweiten Gatten. Und sie bestimmte ihn auch schon in der Person eines armen Mannes, der Gerolamo Pomino hieß.

Jener war Witwer mit einem Sohne, der noch jetzt lebt und wie der Vater Gerolamo heißt: mein intimster Freund, vielleicht mehr als Freund, wie ich später erzählen werde. Schon als Knabe kam er mit seinem Vater in unser Haus und war meine und meines Bruders Roberto Verzweiflung.

Der Vater hatte als junger Mann sich lange um die Hand der Tante Scolastica beworben, die jedoch nichts davon hatte wissen wollen, wie sie übrigens auch nichts von irgendeinem anderen hatte wissen wollen. Doch das nicht etwa, weil sie sich nicht für fähig hielt zu lieben, sondern weil der leiseste Verdacht, daß der von ihr geliebte Mann sie allein in Gedanken betrügen könnte, sie – wie sie sagte – ein Verbrechen hätte begehen lassen. Die Männer waren alle falsch in ihren Augen, alle waren Schufte und Betrüger. Pomino auch? Nein, das wars: Pomino nicht. Aber sie hatte es zu spät bemerkt. Bei allen Männern, die um ihre Hand angehalten und die sich dann verheiratet hatten, war es ihr gelungen, irgendeinen Betrug zu entdecken, und daran hatte sie eine wilde Freude gehabt. Nur bei Pomino nichts; dieser arme Mann war vielmehr der Märtyrer seiner Frau gewesen.

Und warum heiratete sie ihn jetzt nicht? Du liebe Güte, weil er Witwer war! Er hatte einer anderen Frau gehört, an die er vielleicht dann und wann hätte denken können. Und dann, weil ... ja weiter! Man sah es ihm auf hundert Meilen Entfernung an trotz seiner Schüchternheit: er war verliebt, er war verliebt ... versteht sich, in wen ... dieser arme Herr Pomino!

Man denke sich, wenn meine Mutter je darin eingewilligt hätte. Es wäre ihr wie ein wirkliches Sakrileg erschienen. Aber sie glaubte vielleicht auch gar nicht, die Arme, daß Tante Scolastica es ihr im Ernst gesagt hatte; und sie lachte in jener ihr eigentümlichen Art über die Wutausbrüche der Schwägerin, über die Ausrufe des armen Herrn Pomino, der bei jenen Diskussionen zugegen war und gegen den die alte Jungfer die übertriebensten Lobeserhebungen schleuderte.

Ich stelle mir vor, wie er manches Mal ausgerufen haben wird, indem er auf seinem Stuhl wie auf einem Marterwerkzeug hin und her rutschte:

– O heiliger Name des gebenedeiten Gottes! –

Ein sauberes kleines Männchen, gepflegt, mit kleinen himmelblauen sanften Augen, puderte er sich, wie ich glaube, und hatte auch die Schwäche, sich ein wenig Rot auf die Wangen zu legen, kaum merklich, nur wie ein Hauch. Sicher war, daß er seine Freude daran hatte, bis in sein Alter noch das Haar konserviert zu haben, das er sich mit größter Sorgfalt kämmte und unaufhörlich mit den Händen ordnete.

Ich weiß nicht, wie es uns allen ergangen wäre, wenn meine Mutter, sicher nicht ihretwegen, sondern in Anbetracht der Zukunft ihrer Söhne, dem Rat der Tante Scolastica gefolgt wäre und Pomino geheiratet hätte. Zweifellos ist, daß es uns nicht hätte schlechter ergehen können als so, wo wir dem Malagna (dem Maulwurf) anvertraut waren.

Als Robert und ich erwachsen waren, war ein großer Teil unseres Vermögens, das ist wahr, in Rauch aufgegangen; aber wir hätten wenigstens den Rest aus den Krallen jenes Spitzbuben retten können, was uns sicher erlaubt hätte, wenn auch nicht mehr wohlhabend, so doch ohne Not zu leben. Wir waren zwei Müßiggänger und wollten uns um nichts Gedanken machen, sondern nur als Große so weiter leben, wie unsere Mutter, als wir klein waren, es uns gewöhnt hatte.

Sie hatte uns nicht einmal in die Schule schicken wollen. Ein gewisser Pinzone wurde unser Erzieher und Lehrer. Sein wahrer Name war Francesco oder Giovanni Del Cinque; aber alle nannten ihn Pinzone, und er selber hatte sich schon so daran gewöhnt, daß er sich selber Pinzone nannte.

Er war von einer Magerkeit, die Abscheu einflößte, und von riesigem Wuchs; und er wäre bei Gott noch größer gewesen, wenn der Oberkörper sich nicht plötzlich, gleichsam müde, noch weiter so schmächtig in die Höhe zu schießen, unter dem Nacken in einen diskreten Buckel gebogen hätte, aus dem der Hals mühsam hervorzutreten schien wie der eines gerupften Huhns mit einem dicken, hervorquellenden Adamsapfel, der hinauf und hinunter ging. Pinzone mühte sich oft die Lippen zwischen den Zähnen zu halten, wie um zu beißen oder zu strafen und um ein schneidendes Lächeln, das ihm eigen war, zu verbergen. Aber dieser Versuch war zum Teil vergeblich, weil dieses Lächeln nun nicht durch die so gefangenen Lippen mehr entweichen konnte, sondern durch die Augen mußte und so noch schärfer und höhnischer wurde denn je.

Vieles sollte er mit jenen Augen in unserem Hause sehen, das weder die Mama noch wir sahen. Er sprach nicht, vielleicht weil er es nicht für seine Pflicht hielt zu sprechen oder weil er – was ich für wahrscheinlicher halte – es giftigerweise im geheimen genoß.

Wir machten mit ihm alles, was wir wollten, und er ließ uns tun; aber dann, gleich als ob er mit seinem eigenen Gewissen in Frieden leben wolle, verriet er uns, wenn wir es am allerwenigsten erwarteten.

Eines Tages zum Beispiel befahl ihm die Mama uns in die Kirche zu führen; Ostern war nahe und wir mußten beichten. Nach der Beichte ein kurzer Besuch bei der leidenden Gattin des Malagna und dann gleich nach Haus! Man stelle sich vor, welch Vergnügen! Aber kaum waren wir auf der Straße, als wir beide Pinzone einen kleinen Abstecher vorschlugen: wir würden ihm einen guten Liter Wein bezahlen, wenn er uns, statt in die Kirche und zu Malagna, nach Stia auf Nesterjagd gehen ließe. Pinzone nahm an, sehr beglückt sich die Hände reibend, während seine Augen funkelten. Er trank, wir gingen auf das Gut; ungefähr drei Stunden lang trieb er mit uns Torheiten, indem er uns half auf die Bäume zu klettern und indem er selbst hinaufkletterte. Aber Abends, als wir nach Haus zurückgekehrt waren, da fragte ihn die Mama, ob wir unsere Beichte abgelegt und den Besuch bei Malagna gemacht hätten.

– Ich werde es Ihnen sagen ... – antwortete er mit dem frechsten Gesicht von der Welt. Und er erzählte ihr haarklein, was wir gemacht hätten.

Aber sie nützten nichts, die Racheakte, die wir für seine Verrätereien unternahmen. Und doch erinnere ich mich, daß sie nicht nur Spaß waren. Eines Abends zum Beispiel waren wir, ich und Robert, da wir wußten, daß er in Erwartung des Abendessens auf der Truhe im Entreezimmer sitzend zu schlafen pflegte, heimlich vom Bett aufgestanden, in das wir uns zur Strafe vor der gewohnten Stunde hatten legen müssen; es gelang uns, ein Zinnrohr aufzuspüren, als Klistier, zwei Spannen lang, das wir mit Seifenwasser aus dem Wäschebassin füllten. Und so bewaffnet gingen wir vorsichtig zu ihm hin, legten das Rohr an seine Nasenlöcher – und ziff! – Wir sahen ihn bis an die Decke springen.

Wieviel wir von solch einem Lehrer beim Unterricht profitieren mußten, ist nicht schwer, sich vorzustellen. Die Schuld aber lag nicht ganz auf seiten Pinzones. Denn um uns wenigstens irgend etwas lernen zu lassen, kümmerte er sich weder um eine Methode noch um Disziplin, und nahm zu tausend Mitteln seine Ausflucht, um bloß unsere Aufmerksamkeit in einer Weise auf etwas zu lenken. Oft gelang es ihm auch bei mir, da ich von Natur aus sehr empfindlich bin. Aber er hatte seine eigene, merkwürdige und verschrobene Gelehrsamkeit. Er war beispielsweise sehr gelehrt in Wortspielen: er kannte die pedantisch-zopfige Poesie voll Latinismen und die maccaronischen Verse, die Manier des Burchiello und Leporeo, und er zitierte Alliterationen und Verse, korrelative, Ketten- und rückläufige Verse aller Tagediebpoeten; und nicht wenig seltsame Verse dichtete er selber.

Ich erinnere mich, in San Rocchino ließ er uns eines Tages, auf dem Hügel gegenüber, ich weiß nicht wie oft, sein Echo wiederholen:

In cuor di donna quanto dura amore?
– Ore.
Ed ella non mi amò quant'io l'amai?
– Mai
Or chi sei tu che si ti lagni meco?
– Eco. Ja Weiberherzen wielange dauert die Liebe?
– Stunden
Und sie liebte mich nie so, wie ich sie liebte?
– nie.
Wer bist Du nun, der sich so mit mir beklagt?
– Das Echo.

Und er gab uns alle die Rätsel in Ottaverime des Giulio Cesare Croce auf zu lösen und jene in den Sonetten des Moneti und die anderen eines anderen Tagediebs, der den Mut gehabt hatte, sich unter dem Namen Cato Uticensis zu verbergen. Er hatte sie mit schnupftabakbesudelter Tinte in ein altes Tagebuch mit vergilbten Seiten abgeschrieben.

– Hört, hört dieses andere von Stigliani. Wie schön! Was ist es? Hört:

Gleichzeitig bin ich selbst mir eins und zwei
Und mache zwei weil ich ursprünglich eins
Die Eins gebraucht mich mit den fünfen ihren
Gegen die unendlichen, die die Menschen im Kopfe haben.
Ganz bin ich Mund aus ihrem Umkreis
Und mehr beiß' ich zahnlos als mit Zähnen.
Zwei Nabel hab ich einander gegenüber gelegen.
Die Augen hab ich in den Füßen und oft an den Augen die Finger.

Mir ist als sähe ich ihn noch, in der Gebärde des Rezitierens wonneatmend mit dem ganzen Gesicht, die Augen halb geschlossen, während er die Finger zusammenpreßte.

Meine Mutter war überzeugt, daß das, was Pinzone uns lehrte, für unsere Bedürfnisse genügen könnte; und sie glaubte vielleicht auch, als sie uns die Rätsel des Croce oder des Stigliani rezitieren hörte, daß wir schon genug hätten. Nicht so die Tante Scolastica, die nun – da es ihr nicht geglückt war, meiner Mutter ihren Liebling Pomino aufzuschwatzen – angefangen hatte, Robert und mich zu verfolgen. Wir aber, stark durch den Schutz unserer Mama, beachteten sie nicht, und sie ärgerte sich so wild darüber, daß, wenn sie es ohne sich sehen oder hören zu lassen hätte tun können, sie uns sicherlich verprügelt hätte oder gar die Haut vom Leibe gerissen. Ich erinnere mich, daß sie einmal, als sie wie gewöhnlich in Zorn geriet, in einem der verlassenen Zimmer mir begegnete; sie packte mich am Kinn, drückte mich fest, fest mit den Fingern, indem sie zu mir sagte: Reizend! reizend! reizend! – Und indem sie sich mir näherte, sagte sie so langsam, ihr Gesicht immer näher an das meine bringend, ihre Augen in den meinen, bis sie schließlich eine Art Grunzen ausstieß und mich losließ, indem sie zwischen den Zähnen brüllte:

– Hundeschnauze! –

Sie hatte es besonders auf mich abgesehen, der ich nur den wunderlichen Unterricht des Pinzone unvergleichlich mehr als Robert genoß. Aber es mußte mein sanftes und ärgerliches Gesicht sein und diese große runde Brille, die man mir verschrieben hatte, um ein Auge wieder richtigzustellen, welches, ich weiß nicht warum, danach strebte auf eigene Rechnung, woanders hinzublicken.

Für mich waren diese Brillengläser ein wahres Martyrium. In einem gewissen Augenblick warf ich sie fort und ließ das Auge frei, daß es hinblicken konnte, wo es ihm am besten gefiele. Wenn es gerade gewesen wäre, hätte mir dieses Auge weiter nichts getan. Ich war gesund, und das genügte mir.

Mit achtzehn Jahren nahm mein Gesicht ein rötlicher und lockiger Bart ein, zum Schaden der ziemlich kleinen Nase, die wie verloren zwischen diesem und der geräumigen und ernsten Stirn war.

Vielleicht, wenn in der Macht des Menschen die Wahl einer zu seinem Gesicht passenden Nase stünde, oder wenn wir, falls wir einen armen Menschen sehen, der von einer für sein abgezehrtes Gesicht allzu großen Nase bedrückt ist, ihm sagen könnten: – Diese Nase steht mir gut, ich nehme sie mir; – vielleicht, sage ich, hätte ich die meine gerne getauscht, und so auch die Augen und viele andere Teile meiner Person. Aber da ich wohl wußte, daß es nicht ging, ergab ich mich in meine Gesichtszüge und kümmerte mich nicht mehr viel darum.

Robert im Gegenteil, schön von Gesicht und Körper (wenigstens im Vergleich zu mir) konnte sich nicht vom Spiegel trennen und putzte sich und pflegte sich sorgfältig und vergeudete endlos Geld für die neuesten Krawatten, für die auserlesensten Parfüms und für Wäsche und Kleidung. Um ihn zu ärgern, nahm ich eines Tages aus seiner Garderobe einen funkelnagelneuen Frack, eine sehr elegante Weste aus schwarzem Samt, den Chapeau claque, und ging so vorbereitet auf die Jagd.

Batta Malagna kam indessen, um sich bei meiner Mutter über die schlechten Einnahmen zu beklagen, die ihn zwängen die drückendsten Schulden zu machen, um für unsere übermäßigen Ausgaben Vorkehrungen zu treffen sowie auch für die vielen Ausbesserungsarbeiten, welche die Ländereien ununterbrochen nötig hatten.

– Wir haben einen neuen netten Unglücksfall gehabt! – sagte er jedesmal, wenn er eintrat.

Der Nebel hatte die Oliven beim Keimen zerstört in Due Riviere; oder die Reblaus die Weinberge von Sperone. Man mußte amerikanische Weinstöcke pflanzen, die dem Übel widerstünden. Mithin also neue Schulden. Dann der Rat, Sperone zu verkaufen, um sich von den Halsabschneidern zu befreien, die ihn bestürmten. Und so wurde zuerst Sperone verkauft, dann Due Riviere, dann San Rocchino. Blieben die Häuser und das Gut Stia mit der Mühle. Meine Mutter war darauf gefaßt, daß er eines Tages käme, um ihr zu sagen, daß die Quelle ausgetrocknet sei.

Wir waren müßig, das ist wahr, und gaben maßlos aus; aber auch das ist wahr, daß nie ein größerer Spitzbube auf der Erdoberfläche geboren werden kann als Batta Malagna. Das ist das wenigste, was ich ihm sagen kann, in Anbetracht der engen Beziehung, die ich mit ihm zu schließen gezwungen wurde.

Er verstand die Kunst nirgends zu fehlen, solange meine Mutter lebte. Aber jene Wohlhabenheit, jene Freiheit bis zur Laune, die er uns genießen ließ, diente nur dazu den Abgrund zu verbergen, der dann, nach dem Tode meiner Mutter, mich ganz allein verschlang; da mein Bruder das Glück hatte, rechtzeitig eine vorteilhafte Heirat zu schließen.

Meine Heirat hingegen ...

– Ist es denn auch nötig, daß ich davon spreche, he, Don Eligio, von meiner Heirat? –

Hoch hinaufgeklettert, auf die Leiter eines Laternenanzünders, antwortete mir Don Eligio Pellegrinotto:

– Und weshalb nicht? Sicher. In anständiger Weise ...

– Aber bitte, anständig! Ihr wißt doch wohl, daß ... –

Don Eligio lachte, und die ganze kleine entweihte Kirche mit ihm. Dann rät er mir:

– Wenn ich an Eurer Stelle wäre, Herr Pascal, ich würde mir zuerst irgendeine Novelle des Boccaccio oder des Bandello durchlesen. Wegen des Tons, wegen des Tons ...

Er hat es mit dem Ton, Don Eligio. Ach! Ich werfe es einfach hin; wie es kommt, so kommt es.

Mut, also; vorwärts!


 << zurück weiter >>