Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

In der Stadt war der Sturz der »Kammerdienerwirtschaft« das große Ereignis, das allerorts lebhaft besprochen wurde, und zwar zumeist in dem Sinne, daß nun auch die Tage des Königsliebchens gezählt seien, denn man sah in dem Geschehenen nur die Einleitung eines wohlgeplanten Verfahrens.

Graf Lanzendorf galt in manchen Kreisen als der feine Diplomat, der den richtigen Augenblick des Eingreifens abgewartet hatte, und diejenigen, die mißtrauisch gegen ihn geworden waren, zeigten sich zum Eingeständnis ihres Irrtums geneigt. Aus gewissen Boudoirs drang aber durch den Mund der Zofen und Stubenmädchen in die breiteren weiblichen Volksmassen die Ansicht, die Höflinge wollten das Königsliebchen stürzen, aus Ärger darüber, daß es der Comtesse Lanzendorf, einer der Ihrigen, so ähnlich sehe, und man empörte sich in den Arbeitsstuben, in denen Kitty die gefeierte Heldin war, in derb demokratischen Redensarten gegen diese »Niederträchtigkeit des adeligen Geschmeißes.«

Man hörte zunächst nichts weiter, als daß eine gewisse Frau von Ablinowski, von der man so gut wie nichts wußte, an Stelle der Frau Bachmann beim Königsliebchen getreten sei, und es schien, als ob damit ein neues System der Zurückhaltung vor der Öffentlichkeit verbunden sei, das wohl mit einem anbefohlenen Sparsystem zusammenhing, und dieses war natürlich der Anfang vom Ende. Eines Sonntags tauchte das Königsliebchen in der von Spaziergängern dichtbelebten Chlodwigstraße auf. Ganz prachtvoll war der Viererzug von zierlichen Schimmeln, mit chick livrierten Stangenreitern, hübschen jungen Burschen, und ihre Herbsttoilette fanden die Damen entzückend.

Die Ereignisse hatten im Palais Kittys im ersten Augenblick etwas wie Bestürzung hervorgerufen. Der Hofsekretär Dannenberg hatte zunächst Kitty die Nachricht überbracht, daß Bachmann als Leibkammerdiener entlassen sei und eine Stelle als Vogt des Schlosses Wichtelstein mit dem Bemerken abgelehnt habe, er werde in Siebenburgen als Privatmann wohnen bleiben. An diese Nachricht war die Meldung des königlichen Befehles geknüpft, daß die Frau des Entlassenen ferner nicht mehr bei dem gnädigen Fräulein vorgelassen werden dürfe. Das klang sehr unheimlich, und, als kurz daraus der Portier in der That Frau Bachmann, die ganz bescheiden, wenn auch dringlich, sagte, sie wolle sich nur von der Gebieterin verabschieden, den Eintritt ins Palais verweigerte, da legte sich auf die ganze Dienerschaft ein Druck unheimlicher Erwartung nachfolgender Dinge. Kitty selbst brütete stumm vor sich hin. Auf den Rat der Kammerfrau ließ sie den für den Abend bestellten Variétésängern absagen und wagte nicht einmal eine Spazierfahrt. Afra aber ging mit glühenden Blicken, heiße Gebete im Herzen, umher. Jetzt war die große Stunde sicher nahe. Gottes Hand hatte diese Bachmann unschädlich gemacht und so Satans letzten Anlauf, sich der armen Seele zu bemächtigen, zurückgeschlagen. Unverkennbar war das Walten dieser Hand, und sie mußte sich nun rüsten, bereit zu sein.

Als am Abend der König kam, war er sehr gnädig mit Kitty und bedauerte, daß sie die Sänger abbestellt hatte. Er gab ihr dann die freundliche Weisung, sich eine neue Hofmeisterin zu suchen, die eine Dame besseren Standes sein sollte. Sie war über die unverhoffte Wendung freudig erregt. Ihr fiel die Ablinowski ein, die sie sofort nannte. Der König begehrte, diese vorgestellt zu sehen. Die Stimmung war so heiter, daß Kitty nach dem Souper zum erstenmale, wie sie es vor ihrer Kammerfrau und vor der Bachmann wiederholt gethan hatte, vor ihm die französische Chansonette kopierte, und er war darüber sehr belustigt.

Die Ablinowski sträubte sich anfangs. Ihre Gesundheit sei nicht dazu angethan, sie habe keine Neigung aus ihrer bequemen Zurückgezogenheit herauszutreten, eigne sich auch gar nicht für eine solche Stellung. Sie ließ sich aber doch bald überreden. Es kitzelte sie, dem König vorgestellt zu werden, den sie aus der Entfernung schon oft gesehen hatte und sie meinte schließlich, die veränderte Lebensweise, der Reiz des Neuen thue vielleicht ihren Nerven gut. Zur Vorstellung hatte sie sehr geschmackvolle Toilette gemacht, und ihr zierlich gewandtes Wesen kam dabei zu guter Geltung. Der König unterhielt sich lange mit ihr und lud sie schließlich ein, ihm und Kitty Gesellschaft zu leisten. Sie hielt sich sehr bescheiden, plauderte aber, dazu angeregt, sehr amüsant.

Die Ablinowski siedelte in das Palais über, und auf des Königs Geheiß wurde es Sitte, daß sie während seiner Anwesenheit eine Weile an der Unterhaltung teilnahm, Kitty in der Erweisung der Honneurs unterstützend. Er plauderte gern mit ihr, und sie fand immer mit graziöser Wendung den richtigen Moment zur Beendigung ihrer Rolle. Während sie aber am Abend das Bild der liebenswürdig gewandten Weltdame bot, war sie tagsüber oft leidend, ging matt und seufzend umher oder lag stöhnend auf dem Sofa. Einigemal verursachte sie durch krampfartige Zustände Beunruhigung, und Kitty bekam Einblick in ein Trugleben, dessen Geheimnisse ihr unheimlich waren. Nicht nur sie, auch ihre ganze Umgebung spürte etwas von einer gifthaltigen Atmosphäre, die ins Haus gekommen war und, wo sonst nur von den Künsten die Rede war, mit denen die heimlichen Reize blühender Jugend noch lockender gemacht wurden, flüsterte jetzt das Stubenmädchen der Frau von Ablinowski von Tropfen, Pulvern, Injektionen, mit denen ein zäher Lebensdrang zerstörte Nerven, entartete Säfte meisterte. Wie ein unheimliches Gespenst, so meinte gelegentlich die Duval, nehme sich die magere, kleine Frau mit dem Fieberblick aus, wenn sie zuweilen im Toilettezimmer stehe und zusehe, wie man die weiße, schwellende Gliederpracht des Königsliebchens pflegte.

Afra aber hatte neuen Mut geschöpft. Schon in den ersten Tagen ihrer Anwesenheit hatte die Ablinowski gelegentlich ein Gespräch mit ihr angeknüpft.

»Sie sind neuerdings ein bißchen beiseite geschoben worden von dem gnädigen Fräulein, wie mir scheint?« begann sie. »Wie kam das denn? Das war ja doch eine förmliche Freundschaft gewesen?«

»Da müssen Sie das gnädige Fräulein selbst fragen!« antwortete Afra, durch den spöttelnden Ton noch besonders gereizt, der ihr so unsympathischen Dame ziemlich unfreundlich.

Diese versetzte lächelnd:

»Sie sind auf falscher Fährte, wenn Sie in mir eine Feindin sehen. Ich bin keine Bachmann. Also, was hat das gnädige Fräulein gegen Sie?«

Afra zögerte noch und sah die Ablinowski zaudernd an. Dann erzählte sie, wie die Bachmann Frau Kerns Selbstmord verwertet habe.

»Und diese Erfahrung hat ihre Hoffnungen nicht herabgestimmt?« fragte die Ablinowski.

Wieder sah Afra sie mißtrauisch an.

»Ich kenne ja doch Ihr Geheimnis!« fuhr jene fort. »Sie wollen das gnädige Fräulein auf den Pfad der Tugend führen, eine Büßerin aus ihr machen.«

»Und wenn ich das will?« sagte Afra sich reckend.

»Ei! Ich hindere Sie nicht daran. Ich bin nur neugierig, wie Sie das fertig bringen.«

»Freilich nicht ohne die Gnade Gottes; die aber hat sich schon gezeigt.«

»Wieso?« fragte Frau von Ablinowski halb spöttisch, halb verwundert.

»Nun, Frau Bachmann ist gefallen!« lautete die Antwort.

»Ach was! Ich habe geglaubt, da bestätige sich nur das alte Sprichwort: »»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!«« Die Bachmann hatten's zu arg getrieben mit ihrer Habgier. So habe ich's aufgefaßt.«

»Sie freilich spotten meiner!« entgegnete Afra mit fast verächtlicher Miene.

Da ging es zornig über Frau von Ablinowskis Gesicht, ihre sonst sanfte und weiche Stimme wurde laut und schrill, als sie sagte:

»Jüngferchen, spielen Sie sich nur nicht mit Ihrer Weisheit auf! Das ist die schlechte Gewohnheit der Frommen, daß sie auch noch klüger sein wollen, als wir Weltkinder. Wissen Sie was?« fuhr sie ruhiger fort. »Eher bekehren Sie mich, die über diese Dinge doch schon zuweilen nachgedacht hat, als dieses gnädige Fräulein!«

Afra machte ein unbeholfenes Gesicht.

»Sie hat auch schon darüber nachgedacht!« wendete sie ein. »Aber man erstickt ja jede bessere Regung immer wieder in ihr.«

»Ja, ja, ich weiß! Das Ende der Frau Kern hat sie etwas aufgerüttelt«, versetzte die Ablinowski, und ihre zarten Fingerchen tändelten mit der Tischdecke. »Abergläubisch kann sie werden. Aber zur Büßerin hat sie nicht die Figur; das wird man nicht mit solchen Sitzwerkzeugen. Da wird man fett und fetter, meine Liebe, dem König vielleicht schließlich zu fett, geht vom Champagner zu den Liqueuren über, sieht beim Liebhaber mehr auf die Statur als auf den Stand, ißt gut, spielt Karten und reist wegen Asthma in die Bäder. Das ist so meine Meinung, mit der ich Sie aber gar nicht decouragieren will. Wie gesagt, ich bin keine Bachmann und habe gar kein Interesse daran, Ihre frommen Pläne zu durchkreuzen.«

Afra hörte verwundert den gehässig klingenden Ton in so wüsten Reden der vermeintlichen Freundin Kittys. Aber als sich in der Folge zeigte, daß diese in der That keinen Einfluß auf sie geltend machte, Kitty selber aber sich der beiseite geschobenen Dienerin wieder um so mehr näherte, je unbehaglicher das ganze Wesen der Ablinowski auf sie zu wirken schien, da zerbrach sie sich nicht weiter den Kopf darüber, sondern betete in der Stille um das Einzige, was jetzt noch nötig war: daß des Königs Sinn sich wende.

Die Ablinowski hatte ihre bittere Rede aus einer jener Stimmungen herausgesprochen, die, je länger sie in Kittys Nähe weilte, desto häufiger und quälender sich ihrer bemächtigten. Früher, da sie nur besuchende Freundin gewesen war, hatte die eigentümliche Atmosphäre, die das Königsliebchen umwehte, ihre nervös reizbaren Sinne nur gefächelt, vorübergehend gekitzelt; jetzt aber, in der täglichen Intimität, wirkten sie intensiver, und erzeugten ganz andere, allzu starke, die Nerven überspannende Reizungen. Daher fühlte sie sich seit ihrer Übersiedelung leidender als sonst.

Er lockte immer wieder unwiderstehlich an, dieser starke, animalische Duft blühender Jugendfülle, dieser appetitliche Reiz weißer, runder Weiblichkeit, und etwas Belebendes, heiter Stimmendes ging von ihm aus; aber wenn sie sich dieser Stimmung zu lange aussetzte, oder wenn die Nerven eben nicht richtig disponiert waren, that das weh, furchtbar weh, trieb das Blut zu Kopf, drängte sich mit seiner quellenden Kraft atembeklemmend auf und erzeugte Scham, Schmerz über die eigene Hinfälligkeit und aus dieser weiter einen dumpf brütenden, die Nerven durchwühlenden und an ihnen zerrenden Haß, der über diese straffe, prahlerisch sich wölbende Jugend hätte herfallen und sie mit den Fingern zerfleischen mögen. Und mehr und mehr gesellte sich dem Walten und Weben dieser dunklen Instinkte ein klares, bestimmtes Gefühl, das ihre Qualen und Beängstigungen steigerte. Sie wehrte sich dagegen, sie nannte es vorübergehende Erregung des Blutes, gewisse Augenblicksstimmung, aber immer deutlicher und unverkennbarer trat es an sie heran – sie liebte den König. Wohl hatten die Sinne mit schmerzlichen Gelüsten mächtigen Anteil an dieser Liebe, aber nicht die schöne physische Erscheinung des Königs, sondern sein bezauberndes geistiges Wesen, das er in seinem Geplauder bei längerer Gewohnheit in immer reicheren Wendungen offenbarte, hatte das Wohlgefallen zunächst erzeugt, und über die Begehrlichkeit des verdorbenen Weibes hinaus träumte die Sehnsucht von einer großen, vollen, Leib und Seele beglückenden Liebe, von der Wiederkehr einer einst genossenen, nie vergessenen Seligkeit. Nicht den König wollte sie, nicht nach der Pracht, die seine Maitresse umgab, ging ein neidvoller Wunsch; von Lothar, dem herrlichen Manne, wollte sie geküßt sein und sich in seine Seele schmiegen. Martervoll war diese Liebe, nervenzerrüttend, aber sie brachte es nach kurzer Frist nicht mehr über sich, zu fliehen.

Eines Abends war der König sehr erregt. Er erzählte den beiden Damen auch alsbald den Grund seiner Stimmung. Einer der hervorragendsten Parlamentarier der Opposition in der Provinz hatte als Redner bei einer politischen Versammlung in sehr kühner Weise den Sturz Bachmann's und die damit zusammenhängenden Verhältnisse herangezogen. Die Versammlung war infolgedessen polizeilich aufgelöst worden, und der Staatsanwalt hatte gegen jenen Parlamentarier das Verfahren wegen Majestätsbeleidigung eingeleitet. Nun wollte der Minister des Innern im Hinblick auf das politisch höchst gefährliche Aufsehen, das dieser Prozeß bei dem Ansehen des Beschuldigten machen würde, das Verfahren eingestellt wissen, wogegen aber der Justizminister sich entschieden sträubte. Der König war aus die Seite des Justizministers getreten und hatte nur eine spätere Begnadigung in Aussicht gestellt. In hastenden Worten, mit unruhigen Handbewegungen hatte er den Hergang erzählt und dabei das Gesicht meist Frau von Ablinowski zugewandt. Dann aber wandte er sich lebhaft gegen Kitty, drückte ihren nackten Arm und sagte:

»Du paßt dem Herrn von der Opposition nicht, Kindchen. Bist eine politische Persönlichkeit geworden. Wie gefällt Dir das?«

»Meinetwegen soll der Herr eingesperrt werden? Ach, dulden Sie das nicht, Majestät!« erwiderte Kitty bittend.

»Was? Du bist gegen mich?« sagte der König lachend, und gab ihr einen Klaps aus die Wange.

Nie sonst hatte in Gegenwart der Ablinowski der König Zärtlichkeiten gegen Kitty geübt. Jetzt trank er sehr hastig und scherzte, sie gar nicht beachtend, mit der Geliebten, in einer Weise, die sie veranlaßte, während man noch am Nachtisch knabberte, sich zu erheben und vor dem König die übliche Verneigung zu machen. Sonst reichte er ihr die Hand und sagte sehr freundlich: »Gute Nacht, liebe Ablinowski!« oder »beste Ablinowski!« Heute nickte er nur mit dem Kopfe, und ganz zerstreut klang das: »Gute Nacht, Gute Nacht!«

Ihr Stubenmädchen, das sie auskleiden wollte, schickte sie mit heftigen Worten von sich, warf sich mit dem Gesicht nach unten auf das kleine Sofa, das in ihrem Schlafzimmer stand, schluchzend und stöhnend. Dann riß sie hastig, mit ächzendem Atem die Kleider vom Leibe und stand splitternackt vor dem Spiegel. Das war scheußlich, kein Weib, ein Skelett! Aber die schweren, schwarzen Schatten, die über das Fleisch streiften, machte das. Sie nahm den Leuchter, hielt ihn dicht an den Körper und besah sich ganz genau, das Licht hin und her bewegend, sich drehend und wendend und jede Stelle weiblichen Reizes angstvoll prüfend. Diese hochgespannten Füße waren entschieden zierlich, die Beine waren gar nicht so mager, sie paßten zur ganzen Figur, hatten einen eleganten Bau. Aber diese dünnen Ärmchen, diese Höhlen am Halse, diese kleinen, schlaffen Brüstchen, ach, und dieser Rücken, der das ganze Knochengerüst erkennen ließ!

– – Sie fror. Sie hatte gar kein Blut mehr in den Adern! So lächerlich war sie in ihrer verkümmerten Blöße, daß sie sich schämte und weinend das Nachtkleid überwarf. Erst dreißig Jahre und fertig, so ganz fertig, ein vertrocknetes Bouquet, das man auf den Kehrichthaufen wirft! – – Die verwelkte Blume ist tot, aber das Weib, dessen Reize abgestorben sind, es lebt, es fühlt, es begehrt ... Das Weib? ... Das wäre also ein aufrechtgehender, glattwangiger kleiner Zweihänder, der ein schön gefärbtes, weich gerundetes Körperchen unter allerlei Lappen versteckt und damit die Neugierde der Männer kitzelt. Hat es unter den Lappen nichts Ordentliches mehr zu Verstecken, dann ist es nichts anderes, als was eben ein Tier ist, dessen Fell schäbig wird. Die da, die jetzt in ihrem prunkvollen Liebestempel dem König sich als Spielzeug bietet, sie ist das echte Weib, wie es die Männer wollen, die Bedeutendsten, die Stärksten vor allem. Das Rätsel der berühmten Sphinxaugen war leicht zu lösen. Da war keine Seele, leise, wie im Schlafe sich gelegentlich bewegende Andeutungen eines Seelenlebens höchstens, und wenn die Lappen fielen, ein Prachtexemplar eines Zweihänders. Da hat König Lothar ... Lothar! herrlicher, geliebter Lothar! ... was er vom Weibe will. Und sie, sie bietet ihm eine sehnende Seele, die ihn anbetet, ihr ist er ein Gott, sie möchte sterben vor Durst nach seiner Neigung ... Wenn er diesen Körper sähe! ... Sie wand sich, wie von Leibschmerzen gequält in ihrem Bette ... Diese Afra! Ein sonderbares, aber sympathisches Geschöpf. Man kann in diesem Fahrwasser Ruhe finden. Ruhe? Ja, ausruhen, wenn man könnte, auf eine Weile! Aber dieses Verzichten? ... Verzichten ist nicht leben, es stillt nicht den Durst, es ist eine qualvolle Operation ... Nur nicht verzweifeln! Eben, weil das Weib kein bloßer Zweihänder ist, weil es Seele hat, weil es denken kann, heißt es denken, immer denken, wie's möglich wäre, hinweg zu kommen über die physischen Mängel. Die ist gar kein Weib, die weiß gar nicht, was Liebe, was Sünde ist, die da nicht mit Kräften des Geistes die Fehler ihres Körpers besiegen kann. Aber der Kopf raste, und sie war so müde. Da lag's auf dem Nachttischchen. Ein kleiner Stich in die dürre Wade, und man hatte Ruhe vor allem Jammer und allen Wünschen.

Kitty sagte es zuerst der Ablinowski, daß sie sich in anderen Umständen glaube. Sie that es ganz mit der ängstlich bedrückten Miene eines gefallenen Mädchens, denn die Bachmann hatte ihr früher einmal, als sie den Wunsch nach einem Kindchen aussprach, gesagt, das würde ein sehr unglücklicher Zwischenfall sein und wahrscheinlich die Verhältnisse ganz verändern. Dabei gedachte sie jenes Abends, der der Ablinowski so viel Schmerzen gekostet und erzählte mit der ihr eigenen naiven Schamlosigkeit von des Königs besonders gnädiger Laune. Die Ablinowski vermochte kaum mit erstickter, stockender Stimme zu sagen:

»Das ist ja eine sehr überraschende Neuigkeit!«

Nach wenigen Tagen wußten auch die Dienerinnen davon, und sie verhielten sich scheu zurückhaltend. Auch Afra war sich nicht klar, wie sie den Fall betrachten sollte. Da kam mehr und mehr eine Wandlung in das Wesen des Königsliebchens. Die vergißmeinnichtblauen Augen schienen noch größer geworden, aber sie starrten nicht mehr so seelenlos, sondern ein Glanz leuchtete aus ihnen, bald verzückt schwärmerisch, bald gebieterisch stolz anmutend. Die Ablinowski vermochte sie nicht zu ertragen, diese prachtvoll schönen Augen. Trennte das Ereignis den König von seiner Geliebten oder knüpfte es die Banden fester? Die Frage trat trotz ihrer Wichtigkeit ganz in den Hintergrund vor dem verzehrenden, erstickenden Gefühl des Neides, das als übermächtiger Instinkt das Weib mit löblichem Hasse gegen das Weib erfüllte. Sie witterte das göttliche Wunder des Muttergefühles, das aus diesen Augen leuchtete, widerwillig wurde sie zur Ehrfurcht gezwungen, vor diesem sanften, langsam träumerischen Gang; aus ihren Sünden und deren bitteren Nachgeschmack, aus ihrem Leiden und Verblühen wußte sie, daß darin die Gnade des Weibes gelegen ist, die selbst auf die niederste Sünderin einen Schimmer des Erhabenen wirft.

... Ein Kind, ein Kind Lothars, des herrlichen, an der Brust, die Zukunft verklärt von dieses Kindes Liebe, in der Muttertreue das Mittel der Sühne für die Sünden der Jugend ... Warum das alles gerade diesem Geschöpfe? Warum ihm die Sünde so gewinnreich gemacht? Warum ihm kein Gift, ihm kein Fluch? ...

Kitty lag nicht mehr in träger Odaliskenlaune auf der Ottomane. Aufrecht saß sie gern am Fenster, die Hände im Schoße und vor sich hinträumend. So auch eines Tages, als Afra im Raume weilte.

»Komm zu mir, Afra!« sagte sie plötzlich, ihr die Hand entgegenstreckend.

»Ich war recht garstig mit Dir! Verzeih' mir! Das soll jetzt anders, ganz anders werden. Es stak so tief in mir, das Schlechte, sie haben mich so ganz verdorben! Aber jetzt ist's heraußen. Er hat schon was gemerkt. Heute will ich's ihm sagen. Ich hab' ihn jetzt eigentlich erst recht gern. Aber ... so ... das kann ich nicht mehr, das darf nicht mehr sein. Er wird mein Kindchen doch lieb haben?«

Ein Strom voll Thränen entquoll jählings ihren Augen. Afra neigte sich mitfühlend zu ihr.

»Mich hat mein Vater nicht lieb gehabt«, murmelte sie mit zuckenden Lippen und trocknete sich die Augen.

»Es wird schön werden!« sagte sie dann. »Er ist schön, ich bin es auch. Ein Königskind! Wie das klingt! Und das ist's, wenn's auch nicht Prinz oder Prinzessin heißen darf.«

Mit lebhafter Zärtlichkeit drückte sie Afra die Hand und fuhr fort:

»Du hilfst es mir erziehen. Nicht wahr? Die Ablinowski, die behalte ich dann nicht mehr. Gar keine schlechten Menschen, lauter gute will ich um das Kind haben!«

Afra war unzufrieden. Mit diesem immer sichtbarer werdenden Stempel der Schmach gebrandmarkt, von der Verantwortung belastet, daß ihre Sünde einem so unseligen verachteten Geschöpfe, wie einem Jungfernkinde, das Leben gab, mußte die Herrin in die bitterste Reue, in die thränenvollste Zerknirschung verfallen. Dann war die göttliche Gnade nahe. Diese Freude aber, die aus ihren Augen leuchtete, als wäre sie eine ehrliche Mutter, bewies nur, daß ihr noch immer alle moralischen Begriffe fehlten, und die weichmütigen Redensarten vom Bravwerden mochten jetzt noch mehr als früher nur Launen, Stimmungen ohne tieferen Wert sein.

Kitty offenbarte sich dem König. Dieser schien unangenehm berührt. Die kühle Zurückhaltung, mit der er ihr Geständnis hinnahm, that ihr recht weh.

Eines Abends ging sie mit der Ablinowski in die Oper. In dem gewaltigen, in reichem elektrischem Lichte strahlenden Vestibüle mit seinen weißen Statuen, schwarzgrünen Säulen, rötlichen Treppenaufgängen, dunklen Broncekandelabern und den goldumrahmten Meistergemälden an Wänden und Decke sammelte sich gegen Ende der Vorstellung auf dem zwischen den beiden Logentreppen sich dehnenden Mosaikflur die Livreedienerschaft, die sich mit den Überwürfen und Tüchern der vornehmen Damen auf dem Arme in Reihen aufstellte; in der Ecke rechts und links drängten sich die Dienstmädchen bescheidenerer Herrschaften zusammen, und dazwischen gingen der Ihrigen harrende Ehegatten und Brüder auf und nieder. Ein Portier mit mächtigem roten Vollbart, den großen Schiffhut auf dem Kopfe und den Stab mit der gekrönten Silberkugel in der Hand, sorgte, daß nicht zu laut geschwatzt wurde und keine Unordnung entstand. Jetzt kamen einzelne befrackte Herren, die sich noch den Überzieher zurechtrückten aus den lautlos sich öffnenden und schließenden Klappthüren. Die Harrenden gerieten in kurze Bewegung. Bald kamen die ersten Damen, kleine, helle Fichus über die Achseln, die seidenen Kleider raffend, in Begleitung ihrer Herren die Marmortreppe hinab. Dichter und dichter wurde die rauschende, knisternde, schlurfende, klappernde Prozession hellbunter, mit schwarzen und weißen Flecken der Herrentoilette durchsetzter Damentoiletten, ein Summen und Surren breitete sich durch den hochgewölbten Raum, unten im Flur entstand ein leichtes Gedränge, von der Straße hörte man die nach den Kutschern rufenden Stimmen, das Rollen der Räder, das Klingen der Pferdehufe, das Zuschlagen der Wagenthüren.

Kitty stand, ein hellblaues, mit weißem Pelz garniertes Doppelkrägelchen über den Schultern, in schneeweißem spitzenbesetztem Atlaskleide, neben sich die in malvenfarbene Seide mit dunkelrotem Umhang gekleidete Frau von Ablinowski, oben auf der Höhe der einen Marmortreppe, als unten ein gellender Aufschrei von Frauenstimmen ertönte, dann der Ruf von Männerstimmen: »Arzt! Arzt!« und ein wirres Gedränge entstand. Daraus wurde vom Portier ein Mensch gezerrt, Schutzleute erschienen, und gestikulierend und schreiend umringten diese ein Haufe von Herren. Zugleich wurde eine Dame aus dem Gewühle nach den Kassenbureaus getragen, und neben ihr sah man die schwankende Gestalt einer älteren Dame schreiten. Gleich Kitty blieben auch andere Herrschaften gebannt auf den Stufen stehen, und fragten: »Was ist geschehen?« und sahen angstvoll hinab auf die mit lautem Lärm sich hin und her bewegende Menge, aus der einzelne Herren und Damen fluchtartig dem Portale zueilten. Das hatte sich in wenigen Minuten abgespielt. Dann, als Kitty und die Ablinowski die Stufen hinabschritten, tönte ihnen bald aus dem Stimmengewirr entgegen: »Die Rita ist gestochen worden!« »Es ist ja die Comtesse Lanzendorf!« »Dem Königsliebchen hat's gegolten!« »Die arme Comtesse!« »S'ist doch die Rita!«

»Gestochen! Mir hat's gegolten!« stammelte Kitty und totenbleich, an allen Gliedern zitternd, klammerte sie sich krampfhaft an ihre Begleiterin, die völlig Herr ihrer selbst blieb und ihr zuraunte: »Nur Fassung! Wir müssen durch!«

Jetzt wurden sie bemerkt. Ein Surren, Flüstern, etwas wie ein heftiger Windhauch ging durch die Menge. Die einen machten Platz, andere drängten lebhaft heran.

»Da ist das Königsliebchen!« »Welche Ähnlichkeit!«

»Sie hat's gesehen!« »Ein solcher Zufall!« »Die arme Comtesse muß es büßen!« »Sie kann nichts dafür!« »Wie bleich sie ist!« So raunte es ringsum.

»Jetzt ist sie unmöglich geworden!« hörte sie noch jemanden sagen, ehe sie das Portal erreichte, das der vorausspringende Diener hastig öffnete, während der Portier die erregt nachdrängende Masse mit sanfter Entschiedenheit zurückschob.

»Mein Gott! Mein Gott!« stöhnte Kitty in die Wagenecke zurücksinkend.

»Ein erschütterndes Ereignis!« sagte die Ablinowski.

»Wenn sie stirbt! Meinetwegen! Ganz unschuldig! Oh, das wäre ja furchtbar! Das arme, arme Mädchen!« jammerte Kitty weiter.

»Beruhigen Sie sich, Euer Gnaden!« mahnte die Ablinowski. »Das ist ein trauriges Verhängnis, das man beklagen muß, für das aber nur der Ruchlose verantwortlich ist, der Ihnen nach dem Leben trachtete. Ihnen ist bei alledem zu gratulieren, denn der Zufall, daß die Dame ein paar Minuten vor Ihnen dem Mörder vor die Hände kam, hat Sie gerettet.

»Umbringen will man mich. Ohne einen Zufall wäre ich jetzt tot oder sterbend. Oh!«

Kitty schauerte zusammen.

»Mir ist so schlecht! Ich fiebere! Wenn's nur dem Kind nichts schadet!« sagte sie nach einer Weile. »Das muß es am Ende auch noch büßen!«

Die Ablinowski sprach wieder einige Trostworte. In ihrem Inneren aber tobten allerlei Gedanken. Das Glückskind war auch noch dem Dolche des Mörders entronnen! Wurde es dadurch etwa dem Könige noch teurer oder mußte er es vielleicht einer öffentlichen Strömung opfern? Sie hatte jenes Wort: »Jetzt ist sie unmöglich geworben!« gehört. Mit dem Mutterglücke konnte auch noch mancherlei geschehen. Ober wenn jetzt eine Gemütsbewegung in Gang käme, die selbst diese träge Seele ausrüttelte und ein Glück ganz anderer Art, ein Glück, das vielleicht noch mehr zu beneiden war, begründete? Noch mehr zu beneiden? Jetzt nur keine Schlaffheit der Nerven! Der Augenblick konnte gekommen sein, wo es galt, das Ziel der lechzenden Sehnsucht zu erreichen. Da war's albern, sich mit nutzlosen Empfindsamkeiten zu quälen; da hieß es entschlossen sein, was man war. Erhaschten die verwegenen Künste auch nur den Augenblick, in dem ein Mann die Frucht, die vor seine Füße rollend, nicht wegstößt, sondern, ohne viel dabei zu denken, aufhebt und kostet, so war das schon der martervollen Begierde genug, um der Verhaßten dafür den Frieden in Afras frommer Obhut zu gönnen.

»Jetzt ist die Zeit gekommen! Jetzt kann Ihr Plan vielleicht gelingen, und ich störe Sie nicht dabei!« flüsterte sie denn auch dieser zu, als man nach erregten Auseinandersetzungen und unter großem Aufwand von Trostworten die schluchzende, in verzweifelten Ausrufen sich ergehende Gebieterin zu Bett brachte. Während man damit beschäftigt war, fuhr der König vor. Er pflegte das Opernhaus an einer Seitenthüre zu verlassen und wußte noch nichts von den Geschehnissen, die ihm vom Haushofmeister am Wagenschlage mitgeteilt wurden. Erregt eilte er die Treppe empor und nahm die weiteren Meldungen der noch in voller Theatertoilette ihn empfangenden Frau von Ablinowski entgegen. Als er darauf den Wunsch äußerte, sich selbst von Kittys Zustand zu überzeugen, hielt sie ihn mit dem unterthänigen Bemerken davon ab, daß bei den besonderen Umständen gerade sein Erscheinen die Leidende aufs heftigste aufregen und zu einer peinlichen Scene führen könnte.

»Ja, ja, Sie mögen recht haben!« sagte der König mit trüber Nachdenklichkeit. »Ein entsetzlicher Fall! Ganz entsetzlich!« Es muß sofort jemand zu Graf Lanzendorf und jemand anderer auf die Polizei. Ich erwarte hier die Berichte. Bitte, besorgen Sie das, liebe Ablinowski.«

Dabei ging er heftigen Schrittes auf und nieder.

Als die Ablinowski nach erteilten Befehlen zu ihm zurückkehrte, sagte er:

»Sie sind eine kluge Frau. Raten Sie, was nun zu thun ist. Das wird ungeheueres Aufsehen machen. Wenn die Comtesse Lanzendorf etwa gar stirbt ... die Rita geriete da in eine höchst eigentümliche Situation. Sie muß verreisen, schleunigst. Meinen Sie nicht auch?«

»Es wird wohl das Klügste sein!« erwiderte die Ablinowski.

»Aber das sieht aus, wie eine Ausweisung, eine Verbannung. So wird sie's selber ansehen. Ich will aber nicht, daß sie dergleichen auch nur argwöhnt. Bei ihrem Zustand wäre so etwas brutal. Nach einiger Zeit, nach ihrer Entbindung etwa, kehrt sie zurück. Mein Wort darauf!«

Frau von Ablinowski sammelte sich und sagte dann nicht ohne einiges Herzklopfen:

»Majestät! Es ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß das gnädige Fräulein selber wünscht, von einer solchen Reise nicht wiederzukehren.«

»Wie kommen Sie dazu?« rief der König heftig.

»Hat sie Derartiges geäußert?«

»Das wohl nicht, aber ein solches Ereignis geht doch nicht spurlos vorüber ...«

»Sie meinen also ...«

Der König schwieg und sah die Ablinowski fragend an.

»Das gnädige Fräulein hat eine sehr fromme Kammerjungfer, eine gewisse Afra Schlosser ...«

»Wie kommt denn die hierher?«

»Frau Bachmann brachte sie in die Stellung.«

»Nun und ...«

»Ich habe Grund zu glauben, daß diese Person gerade jetzt Einfluß auf das erregte Gemüt gewinnen wird. Der Sturz des Ehepaares Bachmann, die Mutterhoffnungen, jetzt dieses Ereignis – die Dinge treffen zuweilen im Leben so zusammen, daß es dem Glauben an überirdische Einflüsse leicht wird, in einer solchen zufälligen Aufeinanderfolge von Ereignissen einen inneren Zusammenhang zu finden und von Vorsehung, von Fingerzeigen Gottes zu sprechen.«

Der König ging einen Augenblick schweigend auf und nieder. Dann setzte er sich und winkte der Ablinowski ein Gleiches zu thun.

»Und sie meinen, Fräulein Rita sei solchen Dingen zugänglich?« fragte er.

»Gerade sie.«

»Warum das? Ich habe nie etwas von abergläubischen Neigungen an ihr bemerkt. Hat sie die? Das würde sich doch wieder beruhigen, so etwas wirkt nicht nachhaltig.«

»Majestät sprechen von Aberglauben. Es handelt sich hier um Glauben, um religiöse Eindrücke.«

»Bitte, erklären Sie sich näher. Das sind mir ganz wunderliche Dinge, was ich da höre.«

»Das gnädige Fräulein hat wohl niemals einen Gedanken der Empörung gegen religiöse Begriffe, einen gotteslästerlichen Einfall gehabt. Ihre Sünde beruht nicht auf perverser Überzeugung, sondern ... nun ja, es ist die einfachste Sache von der Welt. Sie glaubt im Grunde noch an den lieben Gott, versteckt sich nur vor ihm und täuscht sich dann selber vor, er sei nicht da, um ungestört weiter sündigen zu können. So machen es wohl die meisten Sünderinnen. Im richtigen Moment aber, wenn das Gemüt beunruhigt ist, sind sie zitternde Schäfchen, die sich in ein Gesträuch verwickelt haben und leicht für die Hürde eingefangen werden.«

»Das ist auch gut so«, setzte sie, eines der kleinen Füßchen etwas weiter unter dem Rocke hervorstreckend, bei. »Wer in den Lebensängsten nicht mehr die Vorsehung sieht, ist gepeinigt genug. Nur arglose Menschen, die nichts erleben, können ohne Gott zufrieden sein. Die anderen leiden schwer an dem Mangel, sie sind auf Erden schon verdammt.«

»Lassen Sie ihr die Freiheit!« sagte sie dann, die Hände faltend, mit wunderschönem Ausdruck in den flehenden Augen und neigte dabei den Oberkörper so weit vor, das; die pikante Täuschung einer geschickten Dekolletage zu vorteilhafter Wirkung kam.

»Da möchte man ja glauben, es handle sich um ein Komplott, das die Ereignisse zur Reife gebracht haben, die Kammerjungfer, von der Sie eben sprachen, arbeite unter Ihrer Leitung und Sie selbst hätten die entsprechende Rolle mir gegenüber übernommen. Nur sind Sie mir nicht recht glaubhaft in der Maske der Sittenpredigerin!«

Der König begleitete seine unmutig spottenden Worte mit einer leichten Handbewegung, die auf die Dekolletage hinzuweisen schien. Die Ablinowski entgegnete, sich zurücklehnend in einem kampflustigen Konversationston:

»Majestät haben recht. Ich tauge nicht zur Sittenpredigerin. Ich bin nichts weiter als eine Frau, die viel gesündigt hat, eine jener Verdammten, die keinen Gott finden können. Um ein Komplott handelt es sich nicht, nur um die Eingebung des Augenblickes, die Euer Majestät eigener Gedanke von der Abreise des gnädigen Fräuleins hervorrief. Ich sehe aber, daß das arme Geschöpf aus diesen Erschütterungen zum Frieden kommen kann, den wir uns alle wünschen.«

»Ein armes Geschöpf! Sie drücken sich etwas seltsam aus, meine liebe Ablinowski!«

»Jeder Mensch ist arm, Majestät, der die Sünde, aber nicht die Liebe kennen gelernt hat!« entgegnete sie trotzend.

Der König sah sie verwundert an.

»Sie kokettieren!« sagte er dann langsam und faßte ihren Arm über dem Handgelenk.

Sie verneigte sich tief und streifte mit halb unter den Lidern versteckten Augen seinen forschenden Blick, während sie sagte!

»Das würde sich nicht Eurer Majestät gegenüber und nicht in diesem Augenblick geziemen.«

Er gab langsam, mit einer unmerklich streichelnden Bewegung ihren Arm frei. Nach einer kleinen Pause sagte er:

»Sie werden doch die Rita auf der unvermeidlichen Reise begleiten? Und welches Ziel schlagen Sie etwa vor?«

»Ich bedaure, Majestät«, lautete die Antwort, »daß ich diese Begleitung ablehnen muß.«

»Warum das?«

»Ich will Siebenburgen nicht verlassen und wäre auch neben Afra Schlosser eher unbequem als beliebt.«

»Aber wer spricht von dieser Person? Die kann doch ersetzt werden, und ich wünsche es sogar.«

»Damit thun Sie dem gnädigen Fräulein sehr weh, Majestät!«

Der König stampfte leise auf.

»Da wären wir wieder am alten Fleck«, sagte er ungeduldig.

»Sie spielen mit mir, Frau von Ablinowski! Das ist alles nicht aufrichtig ... Ich will zur Rita, will sie selber sprechen!«

»Erlauben Majestät nur, daß ich Sie anmelde. Das ist dringend nötig!« sagte die Ablinowski und stand auf, gesenkten Blickes, wie beleidigt.

»Bleiben Sie!« befahl er rauh und faßte sie an der Hand, um sie auf ihren Sitz zurückzudrängen. Er fühlte, daß die zarten Fingerchen sich gegen den kräftigen Druck sträubten und sah über den kleinen Körper eine zuckende Bewegung schleichen.

Er hielt sie fest und blickte zu ihr auf, ein ganz leises Lächeln lag auf seinen Lippen, dann ließ er sie plötzlich los und sagte:

»Wenn Sie denn nicht reisen wollen, dann werde ich doch auf Ihre Mithilfe in verschiedenen Anordnungen rechnen können?«

»Ich stehe Majestät zu Diensten!« lautete die Antwort.

Der König fragte sie nun nach dem besten Aufenthaltsort für Kitty, und sie entwickelte, verschiedene Orte nennend, und deren besondere Verhältnisse schildernd, eine aufgeregte Beredsamkeit. Da kehrte der Haushofmeister von seiner Sendung zu Graf Lanzendorf zurück. Die Comtesse war noch lebend nach Hause gebracht worden, aber die Ärzte erwarteten den unvermeidlichen Tod im Laufe der Nacht. Der Haushofmeister erzählte weiter, in seinen verzweifelten Schmerzensausbrüchen habe der Hofmarschall vor anwesenden Personen der Dienerschaft sich als den Vater des gnädigen Fräuleins bekannt.

Die Ablinowski stieß einen Schrei der Überraschung aus, und der König rief entsetzt:

»Kitty Lanzendorfs Tochter! Das ist furchtbar!«

In einen Fauteuil sich werfend, sprach er vor sich hin:

»Und er hat's gewußt! Menschen, Menschen!«

Nach einer langen Weile finsteren Brütens fuhr er plötzlich auf und sagte zur Ablinowski in scharf befehlendem Ton:

»Das darf ihr nicht gesagt werden! Nie!«

Die Ablinowski verneigte sich.

Gleich darauf erschien in Begleitung eines Polizeirates der zweite an die Polizeibehörde geschickte Sendbote. Die Mienen des Beamten beobachtend, gab der König der Ablinowski ein Zeichen, sich zu entfernen, und jener berichtete nun, seine Hierherkunft durch besonderen Befehl des Polizeipräsidenten rechtfertigend, daß der Attentäter, über die Verwechselung aufgeklärt, sich im Zustande tiefster Reue befinde. Er sei ein dreißig Jahre alter Tapezierer und stamme aus eben jener Stadt, in der die Angelegenheit des wegen Majestätsbeleidigung verfolgten Abgeordneten spiele. Erst seit drei Tagen in der Hauptstadt, habe er das gnädige Fräulein auf zwei Ausfahrten beobachtet und dann die günstigste Gelegenheit, sein Vorhaben auszuführen, den Schluß der Theatervorstellung, erspäht. Er bezeichnete sich als loyalen Monarchisten und habe eben darum das Land von dem Weibe befreien wollen, das einen edlen Fürsten in seine Bande verstricke.

Der König entließ den Beamten und sagte zur wiedereintretenden Ablinowski:

»Sie glauben also wirklich, daß das schauervolle Geschehnis für unsere Kitty zum Segen gereichen könnte?«

»Zumal, wenn Majestät das eben ausgesprochene Verbot aufheben und man ihr die ganze Wahrheit sagen darf!«

»Nein, nein! Bedenken Sie ihren Zustand!«

»Für den ist die Gefahr ohnehin schon da! Aber mit je stärkeren Farben die fromme Afra ihr den Fluch der Sünde ausmalen kann, desto sicherer ist die Wirkung auf ihr Gemüt. Wo wir Gottlosen nur ein Spiel der zwecklosen Grausamkeit des Lebens sehen, da malt der fromme Eifer dem einfältigen Gemüt das Bild der rächenden Gottheit vor, und die Furcht ist die teufelaustreibende Zauberin.«

Der König sann einen Augenblick, dann sagte er dumpf:

»So mag's sein! Ich werde bei dieser frommen Procedur freilich eine wenig schmeichelhafte Rolle spielen.«

Dann fuhr er lebhaften Tones fort:

»Ihre Rückkehr ist unmöglich. Findet sie auf diesem Wege noch ein Lebensglück, ich muß es zufrieden sein, denn ich war's, der andere Wege dazu ihr verschüttet hat. Und, wie böse auch mein Andenken bei ihr sein mag, ich will doch thun, was ich thun kann. Liebe Ablinowski, Hofsekretär Dannenberg wird mit Ihnen alles Nötige verhandeln. Wenn sie abgereist ist, berichten Sie mir mündlich. Sie sollen jederzeit ohne weiteres bei mir vorgelassen werden ... Sagen Sie ihr mein Lebewohl!«

Er war bewegt, als er ihr kräftig die Hand schüttelte.

»Ich fahre«, sagte er dann zu dem herbeigeklingelten Haushofmeister und, der tief sich verneigenden Ablinowski noch einmal mit einem »Gute Nacht!« ernst zunickend, folgte er dem voranschreitenden Bediensteten.

Im meergrünseidenen Nachtgewande saß Kitty in ihrem Prachtbette, weinend, händeringend, Entsetzensrufe ausstoßend, und vor ihr stand Afra, flammenden Auges, mit erhitzten Wangen ihr den Zusammenhang der Geschehnisse erklärend, wie Frau Kerns Selbstmord mahnend und doch ungehört zu ihrem Gewissen geredet habe, wie dann Gottes Hand im Sturz der Bachmann, der regsamen Helferin des bösen Feindes, sich ihr gnädig erwiesen und wie er nun mit furchtbarster Drohung an sie trete.

»Du bist die Hauptschuldige an diesem ruchlosen Morde, wenn das arme Fräulein stirbt. Ihr unschuldiges Blut kommt über Dich, und über Dich kommt das Blut des Mörders, der hingerichtet wird, weil er Deinetwegen zum Mörder geworden ist. Drei Menschenleben kostet vielleicht Deine Sünde! Und der Jammer der Familie dieses Fräuleins, das das Unglück hatte, Dir ähnlich zu sehen, der Jammer der Familie des Mörders! Sie bittet vielleicht als Engel für Dich vor Gottes Thron, ihr reines Blut, so hat's der Herr vielleicht gewollt, soll Dich erlösen aus den Banden der Sünde, es wiegt vielleicht schwer genug auf der Wage der Gerechtigkeit gegen Frau Kerns Anklage, die Du verdorben hast durch Dein Beispiel und in die Hölle getrieben! Wenn Du jetzt nicht in Dich gehst, wenn Du jetzt ihn nicht wegwirfst, den schändlichen Glanz Deines Sündenlohnes, dann bist Du das ruchloseste Geschöpf auf Gottes Erde, die Schmach des weiblichen Geschlechtes, ein fluchwürdiges Untier!«

So sprach unheimlich, halblaut flüsternd, Afra in immer neuen Wendungen, selbst erschauernd vor den Bildern, die der fromme Eifer in ihr erzeugte und doch unbarmherzig gegen die Angstlaute, die Kitty ausstieß, gegen den Schweiß, der ihr blondes Lockengeringel feuchtete und aus ihm auf die Stinte floß.

Die Stunde war gekommen! Die niedere Magd fühlte sich als Gottes Botin, sie durfte ihr Sühnopfer bringen!

»Schone mein Kind! Mein Kind!« rief endlich Kitty, die nur mehr Frau Kerns bleiches Gespenst, eine bluttriefende Mädchengestalt und einen Menschen mit abgeschlagenem Kopfe sah.

Da trat die Ablinowski raschen Schrittes ein und warf mit schonungsloser Hast hin:

»Die Komtesse Lanzendorf liegt im Sterben!«

Kitty stieß einen gellenden Aufschrei aus und bedeckte schaudernd das Gesicht mit den Händen.

»Sie müssen sich noch auf mehr gefaßt machen!« fuhr jene nach einer kleinen Pause fort. »Die Ähnlichkeit mit Ihnen, die ihr zum Verhängnis wurde und Sie rettete, beruht nicht auf einem merkwürdigen Zufall. Der Hofmarschall selber hat erklärt, Sie seien seine Tochter.«

»Mein Vater! Hier! hier!« kreischte Kitty und bäumte sich auf, als wollte sie aus dem Bette springen. Dann umklammerte sie Afras Hals und unter wildem Schluchzen stammelte sie:

»Hast Du's gehört? Einen Vater habe ich hier, und er hat zugesehen, zu allem zugesehen und mich, mich hat niemand lieb gehabt, mich haben sie schlecht gemacht! Afra, Afra! Ich will fort von hier, wohin Du willst! Nur fort, nur fort! Hier will ich nicht mehr bleiben! Hier ist die Hölle!«

»Gott straft ihn schwer!« sagte Afra.

»Ja, ja! Du hast recht! Das ist die Strafe Gottes! Aber das arme Schwesterchen! So jung sterben müssen! Und am Ende leidet es noch viele Schmerzen? Wenn ich so ein Schwesterchen hätte lieb haben dürfen! Sie war gewiß recht brav und kommt in den Himmel!«

Dann lehnte sie sich an Afras Brust und weinte heiße Thränen, dazwischen sagend:

»Es thut mir so leid, daß sie sterben muß!«

»Afra, Afra!« rief sie nach einer Weile. »Mir ist so Angst! Wenn mich der liebe Gott an meinem Kindchen strafte! Ich will ja so gern brav werden, ich will alles thun, wenn nur meinem Kindchen nichts geschieht! Afra! Komm! Bete mit mir, daß er dem Kindchen nichts thut!«

»Ah, Frau von Ablinowski, Sie sind noch hier!« sagte sie dann. »Das ist alles schrecklich, nicht wahr? So etwas haben Sie doch noch nicht erlebt. Da lernt man an den lieben Gott glauben. Aber Sie brauchen auch Ruhe. Ich habe noch viel mit Ihnen zu reden, aber nicht jetzt, morgen. Lassen Sie mich mit Afra allein. Ich muß beten, viel beten! Gute Nacht! Hoffentlich hat Ihnen all der Schrecken nichts geschadet!«

Zwei Tage später fuhr Frau von Ablinowski auf das »hohe Schloß.« Es war ihr gar nicht wohl zu Mut, als ihr, nachdem sie erst lange in einem kostbaren Gemach geharrt, eine Thür sich öffnete und in reicher Uniform der Flügeladjutant vom Dienst herantrat, sich leicht verneigte und halblaut mit einer kleinen Handbewegung sagte:

»Majestät erwarten Sie im Arbeitskabinett. Durch diesen Salon, wenn ich bitten darf!«

Sie hörte, wie sich hinter ihr die Thüre schloß, durchmaß einen ihr endlos scheinenden Raum auf spiegelglattem Parkett und stand vor einer weitgeöffneten Flügelthür. Da sah sie in teppichbelegtem, mit zahllosen Gegenständen ihr vor den Augen flimmernden Raume den König von einem Lehnstuhle aufstehen und die Cigarre weglegen. Zugleich hörte sie:

»Liebe Frau von Ablinowski, seien Sie bestens begrüßt!«

Sie wußte nicht, wie sie so nahe an den König gekommen war, daß er ihr die Hand drücken konnte.

»Nun erzählen Sie! Wie hat's gegangen?« sagte er leisen, trüben Tones.

Sie faßte sich und sprach:

»Das gnädige Fräulein ist heute morgen nach München abgereist, wo sie einstweilen zu verbleiben gedenkt. Außer der Kammerjungfer Afra Schlosser hat sie Willy, der Leibmohr, begleitet, der inständigst um diese Gunst gebeten hatte.«

»Erzählen Sie näher, genauer!« sagte der König in erregtem Tone.

»Sie trat am Morgen nach der Unglücksnacht zuerst an mich heran mit der Frage, ob sie an Majestät schreiben solle oder ob ich es übernehme, Euer Majestät zu sagen, daß sie ... daß sie bitte ...

»Ich verstehe, verstehe! Sprechen Sie weiter!«

»Als ich ihr dann mitteilte, wie die Verhältnisse lägen, schien sie dessen sehr zufrieden zu sein. Sie kümmerte sich nicht weiter um die praktischen Dinge, bei deren Behandlung die Schlosser mich sehr klug unterstützte, sondern verließ fast gar nicht ihr Boudoir, sah sehr verweint aus, wenn sie einmal zum Vorschein kam, und hatte die Schlosser viel um sich. Ich wurde mit kühler Höflichkeit behandelt. Beim Abschied schluchzte sie sehr heftig und drückte mir auf meinen Wunsch ferneren Glückes nur mit einem schmerzlichen Blicke die Hand. Hochaufgerichtet, eigentlich schön und gewissermaßen an einen Erzengel Michael erinnernd, ging Afra Schlosser neben ihr. Ich hatte dafür gesorgt, daß sie beim Fortgehen außer dem Portier niemanden von der Dienerschaft sah. Eine Mietskutsche war auf ihren Wunsch bestellt worden. Die kostbarsten Toiletten und fast die ganze Lingerie hat sie ihrer Kammerfrau und der zweiten Kammerjungfer geschenkt.«

Die Ablinowski schwieg.

»Das ist alles?« sagte der König nach einer Weile in zögerndem Ton.

Die Ablinowski verstand und sagte:

»Von München aus wird sie an Majestät ein Abschiedsschreiben richten. Bei ihrem jetzigen Zustand ...«

»Träfe sie die rechte Form nicht! Ganz recht, ganz recht!« sagte der König mit bitterem Lächeln. Dann fuhr er fort:

»Und diese Afra Schlosser ... eine ganz seltsame Person, wie es scheint ... wird ihr Einfluß von Dauer sein?«

»Ich glaube es wohl. Sie ist selbst eine Gefallene, die sich wieder aufgerichtet hat. Das ist eine besondere Gattung unseres Geschlechtes. Vor allem aber haben die religiösen Einwirkungen eine mächtige Bundesgenossin in der Natur selbst, in der Mutterliebe, gefunden. Um das Kind bangt dem gnädigen Fräulein, für dieses fürchtet sie das weiterwirkende Verhängnis einer göttlichen Strafe. Wo die Religion mit solchen tiefsten Gemütserregungen die Menschenseele verschmilzt, da wird sie allmächtig, unüberwindlich!«

»Das weiße Tierchen hat Flügel bekommen!« murmelte der König.

Dann sagte er in elegantem Konversationston:

»Sie werden wohl noch manches mit Dannenberg zu beraten und zu reden haben. Ich bitte Sie, sich dem noch zu unterziehen. Die Form meines königlichen Dankes lassen Sie mich erst noch überlegen.«

Er reichte ihr die Hand, die sie mit tiefer Verneigung annahm. Wieder bemerkte er eine zuckende Unruhe ihres kleinen, schmächtigen Körpers, und sein prüfend auf sie gerichtetes dunkles Feuerauge traf auf einen kurzen, scheuen Blick ihrer feuchtglänzenden, ebenso dunklen Sterne. Er hob ihr kleines Händchen gegen seine Lippen und sprach:

»Sie sind ein kluges kleines Frauchen, liebe Ablinowski! Ich glaube, man könnte noch allerlei von Ihnen lernen!«

Frau von Ablinowski zitterte am ganzen Leibe und sah zu dem schönen König mit der flehenden Angst eines jungen Mädchens auf.

»Was war es doch für ein Wort, das Sie an dem unglücklichen Abend sprachen?« sagte er nachdenkend. »Ein Wort, das mir vorschwebt und dessen ich mich nicht mehr genau entsinnen kann.«

Die Ablinowski sann; alle Nerven, ihre ganze Lebenskraft sammelte sie, als sie erwiderte:

»Jeder Mensch ist arm, der die Sünde, aber nicht die Liebe kennen gelernt hat! So habe ich gesagt.«

»Ja, ja! Das haben Sie wohl gesagt. Das meine ich aber nicht!« entgegnete der König. Nach einer kleinen Weile fuhr er fort:

»Übrigens ist das Aperçu gar nicht übel. Es klingt wenigstens. Ach! Jetzt fällt mir's ein. Von Verdammtsein auf Erden war es etwas, was Sie sagten.«

»Uns auf Erden Verdammten giebt allein noch die Liebe, was das Leben erträglich macht.«

»Das haben Sie nicht gesagt! Aber jetzt sagen Sie das mit einem Überzeugungspathos –«

Er hielt im Sprechen inne und sah sie einen Augenblick durchdringend an. Dann riß er mit einem starken Griff das kleine Persönchen an sich, das bebend »Majestät!« stammelte.

»Sie haben so schöne Sprüche!« flüsterte er ihr begehrlich zu. »Die möcht' ich mir näher erklären lassen. Kommen Sie!«

Und er schleifte sie, wie eine Beute, in ein anstoßendes, mit Weidmanns- und Sportabzeichen ausgestattetes Kabinett. Sie stolperte über den haarbuschigen, kurzgehörnten Kopf eines Büffelfelles, das vor der Ottomane lag, und er fing sie so auf, daß sie ihm auf den Schoß zu sitzen kam. Jetzt riß sie das Capothütchen vom Haar, warf es auf den Boden und schlang die Arme um seinen Hals.

»Du großer Mann! Ich will Dich lieben, wie Du noch nie geliebt worden bist ... Was kümmert mich Deine Krone?« Ich will Deine Herrlichkeiten nicht, nur Dich, Dich! ... Du bist verdammt wie ich, Lothar, aber meine Liebe soll Dich's vergessen machen! ... Lothar, Liebling, Gott! Ich habe mich so gesehnt nach Dir! ... Das giebt Flügel, das löscht den Durst, das erlöst!« – –

So klangen zwischen seinen Küssen, die sie heiß erwiderte, und seinen tändelnden Fragen ihre Liebesworte an das Ohr des verwunderten, von ihrer innigen Zärtlichkeit fortgerissenen Königs.

   

König Lothar hatte an Kitty auf die Nachricht von der glücklichen Geburt eines Knaben ein sehr ernstes Handschreiben geschickt, in dem er es als eine seiner heiligsten Pflichten bezeichnete, über dieses Kind seine schützende Vaterhand zu halten. Vier Wochen später – Kitty war zu ihrer Erholung von München an den Starnbergersee gegangen – erschien der Hofsekretär Dannenberg. Er besprach insbesondere mit Afra Schlosser die Verhältnisse des kleinen Königssohnes, der eine Million als Wiegengeschenk erhalten hatte, und seiner Mutter, der schon bald nach ihrer Abreise von Siebenburgen ihr Palais um die gleiche Summe abgekauft worden war.

»Sie sind eine kluge Dame«, sagte er gelegentlich dieser Unterredungen zu Afra, »und ich habe das feste Vertrauen, daß Sie die Interessen von Mutter und Kind bestens vertreten werden. Wie aber, wenn Sie einmal heiraten?«

»Das wird nie geschehen!« antwortete sie kurz.

»Aber ...«

»Ich bin unserem Kleinen viel schuldig. Er hat mich Gott besser erkennen lassen und das göttliche Geheimnis der Liebe. Es wird zwei Mütter haben.«

»Eine andere Frage habe ich noch, eine sehr peinliche«, sagte Dannenberg weiter.

»Mein früherer Chef, Graf Lanzendorf, der jetzt auf seinen Gütern lebt, sprach mich kürzlich insgeheim. Er ist ein gebrochener Mann, seine Gattin ihm entfremdet, sein ganzes Dasein zerstört. Er wußte, daß ich die Beziehungen zum gnädigen Fräulein führe und fragte mich, ob ich's zu stande brächte, daß er Vergebung und vielleicht sogar eine persönliche Fühlung erlangen könnte. Würden Sie das für möglich halten?«

»Sagen Sie es dem gnädigen Fräulein«, entgegnete Afra. »Es werden damit zwar viele Schreckensbilder lebendig, die kaum vom jungen Mutterglück verwischt sind; aber das ist kein Übel, sondern eine heilsame Mahnung, daß die Vergangenheit nicht kurzweg ausgelöscht ist, eine ernste Probe.«

Als nun Dannenberg Kitty die Sache vortrug, erblaßte sie, ein Schauer ging durch ihren Körper, und sie fand nicht gleich Worte. Dann sagte sie leise: »Das wird eine schwere Stunde für beide Teile werden, aber ich bin bereit dazu.«

Dannenberg wurde zu Tisch geladen, wo Kitty sich sehr schweigsam und nachdenklich verhielt.

Nach dem Essen wandelte er, eine Cigarre rauchend, mit Afra in dem eleganten Garten, der die von Kitty gemietete Villa umgab und einen herrlichen Ausblick auf See und Gebirge gewährte, auf und nieder und erzählte dabei das Neueste aus Siebenburgen, was er vor Kitty nicht hatte erwähnen wollen. Der König hätte mit Frau von Ablinowski ganz im stillen, nur der engsten höfischen Umgebung bekannte Beziehungen unterhalten, in denen er sich sehr zufrieden zu finden schien, bis eines Tages ein nur andeutungsweise aufgeklärter Vorgang ihnen ein jähes Ende bereitete. Die Ablinowski, die ihre nähere Umgebung schon seit einiger Zeit beunruhigt hatte, sah eines Tages den bei ihr weilenden König für den Erlöser an. Die damit verbundene Scene mußte schauerlich gewesen sein, denn der König selbst war mehrere Tage hindurch ganz tiefsinnig, und mit der erschütternden Wirkung dieses Ereignisses brachte man die aus triftigen Gründen beruhenden Gerüchte von einer Aussöhnung des königlichen Ehepaares in Zusammenhang.

Afra sah auf die weite Landschaft hinaus, und unter dem glatt anliegenden grauen Kleide dehnte und hob sich ihr Busen in einem tiefen Atemzuge. Dannenberg aber schloß seine Neuigkeiten mit den Worten:

»Herr Bachmann ist großer Bauspekulant, sitzt im Verwaltungsrat der Baubank für den südwestlichen Stadtteil und im Ringbahnkonsortium und erwartet, wie ich vor einigen Tagen erst hörte, nach langer kinderloser Ehe demnächst Vaterfreuden!«


 << zurück