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Fünftes Kapitel

Unter schattigen Bäumen waren buntgestreifte Tücher zeltartig gespannt. Im Innern des weitgeöffneten, auf einen Wiesenplan und darüber nach der Rückfront des Palais mit der von Majolikatöpfen geschmückten Terrasse schauenden Raumes saß das Königsliebchen in einen Strohfauteuil zurückgelehnt, den Rücken von einem kleinen Seidenkissen gestützt. Frau Kern und eine andere Dame leisteten ihm Gesellschaft, Sherry-Cobler zur Kühlung gegen die Sommerhitze schlürfend. Die große Tigerdogge spielte unweit von den Damen mit den beiden Pudeln. Ein weißes Hauskleid, mit Stickereien und gelbseidenem Bandwerk ausgeputzt, trug das Königsliebchen, die beiden Damen waren in den elegantesten Straßentoiletten mit weiten Puffärmeln, winzige Blumenhütchen auf dem Kopf. Ihre weißen Spitzenschirme mit den wertvollen Stöcken lagen in der Nähe auf einem der Strohstühle. Schmale Goldreife klingelten leise ins Gespräch hinein, ein stärkerer Hauch des zarten Parfumduftes entströmte bei einer gelegentlichen Bewegung den Röcken.

Frau Kern war eine der Wenigen, die aus dem früheren Gesellschaftskreise Kittys sich noch häufiger im Palais sehen ließ. Den meisten war der neue Stil bald zu unbehaglich pomphaft geworden. Die eine oder die andere fürchtete auch, in Zukunft ihre Beziehungen zum Königsliebchen mehr kontrolliert und besprochen zu sehen als bisher. Frau Bachmann that ebensowenig wie Kitty selbst etwas, diese zurückweichenden Elemente festzuhalten. Statt dessen fanden die Damen des Hoftheaters mehr Zugang, denen sie nicht mehr als Kollegin gegenüberstand, die aber jetzt in ein Bereich gehörten, auf das ihr vom königlichen Gebieter ein gelegentlicher protegierender Einfluß gestattet wurde. Neben und durch diese Damen hatten andere Eintritt gefunden, Vertreterinnen der höchsten Eleganz und des verwöhntesten Lebensgenusses, die, meist Ausländerinnen, sich unter allerlei Motiven in Siebenbürgen aufhielten. Frau Bachmann hatte über sie insoweit Recherchen angestellt, daß keine Abenteuerinnen und notorisch anrüchigen Personen sich darunter befanden. Zu dieser Kategorie gehörte die Dame, die mit Frau Kern vor dem Palais zusammengetroffen war, Frau von Ablinowski, eine Landsmännin Kittys, und wie sie gar nicht verhehlte, durch die längere Liaison mit einem Wiener Großindustriellen, sehr vermöglich gewordene, geschiedene Frau.

Frau Kerns Gatte war inzwischen Hoflieferant geworden und stand mit dem Haushalte des Königsliebchens noch immer in Geschäftsverbindung. Daraus, wie aus dessen früherem Aufenthalt hatte er eine glänzende Reklame gewonnen, so daß jetzt das Viktoriahotel namentlich für die Diners und Soupers der goldenen Jugend in Mode war. Frau Kern, die eine sehr lebhafte, kokette Frau geworden war und ihre frühere bürgerliche Eleganz zum höchsten Moderaffinement gesteigert hatte, verleugnete nicht einen wesentlichen Wandel ihrer moralischen Anschauungen; aber jede Anspielung auf diesen oder jenen Kavalier wies sie ärgerlich als Klatscherei zurück.

Die beiden Damen hatten erstaunt nach dem Verbleib der sonst von Kitty unzertrennlichen Frau Bachmann gefragt und den Bescheid erhalten, daß sie zu dringlichen Besorgungen in der Stadt sei. Daraus entwickelte sich ein Gespräch über die Abwesende, in dem auch der Umstand berührt wurde, daß sie nacheinander zwei Vorleserinnen verdrängt hatte.

»Ich nehme gar keine mehr!« sagte Kitty. »Es waren ohnehin eigentlich nur Paradefiguren. Die Bachmann selber behauptete, eine Vorleserin gehöre nun einmal in meinen Train, aber sie ist eifersüchtig und kann es ganz und gar nicht vertragen, wenn außer ihr mir jemand näher zu treten scheint. Sie hat die armen Dinger arg chicaniert, obwohl ich mit beiden eben nur freundlich war, gar keine besondere Anhänglichkeit an sie hatte.«

»Gnädiges Fräulein gewähren ihr zu viel Rechte«, meinte Frau von Ablinowski.

»Das liegt eben einmal in den Verhältnissen«, lautete die kühle Antwort.

»In den Verhältnissen läge es meines Erachtens eher mit solchen Einflüssen einmal aufzuräumen«, fuhr die Ablinowski fort.

»Diese Bachmanns machen sich viele Feinde durch ihre Überhebung. Es könnte einmal der Schaden davon auf Sie fallen, gnädiges Fräulein«, sagte Frau Kern in vorsichtigem Tone.

»Sie ist ja nicht so übel, die Frau«, fuhr die Ablinowski fort, »aber für die Stellung, die sie bei Ihnen einnimmt, hat sie doch nicht die nötigen Voraussetzungen.«

»Was redet Ihr, Kinder?« sagte Kitty lächelnd. »Die Bachmann haben mich ›gemacht.‹ Die gute Frau Kern kennt das recht wohl.«

Frau Kern senkte die Augen und errötete. Das Königsliebchen hatte den Blick so starr auf sie geheftet, in dem Lächeln lag's wie Malice.

»Ich muß ihnen dankbar sein. Sie sorgen glänzend für mich, daß ich kaum etwas zu wünschen brauche.«

»Und beuten Sie aus!« versetzte die Ablinowski.

»Mich eigentlich nicht, lautete die gelassene Antwort. Sie sind's auch nicht allein und wenns die Bachmann nicht wären, dann wären es andere. Ich kenne nicht viel von der Welt. Das weiß ich aber doch, daß in meiner Umgebung immer ausgestreckte Hände bereit sein werden, die auffangen, was vom Goldregen nebenher fällt. Lassen wir das doch!«

Man sprach nunmehr vom Modekram, vom Theater, und dabei kam die Rede auf eine Dame, die im Rufe der Morphiumsucht stand.

Frau von Ablinowski knüpfte daran Erörterungen, die eine unheimliche Sachkenntnis auf dem Gebiete moderner Entartung des Nervenlebens verrieten. Frau Kern horchte mit naiver Sensationslust. Kitty aber meinte:

»Was sind das für tolle Dinge! Ich weiß gar nichts von Nerven. Ich schlafe wie eine Ratte, esse wie ein Wolf, habe höchstens Kopfweh, wenn ich zu viel Champagner getrunken habe und nach meinem Morgenbade ist mir's, als sollte ich mit dem Ajax dort ringen.« Dabei wies sie lachend die Zähne und bog katzenartig den Leib in den Hüften Hin und her.

Frau von Ablinowski beobachtete sie aufmerksam. Ajax, der seinen Namen gehört hatte, kam majestätisch herangetreten und hob fragend das mächtige Haupt zur Herrin aus. Diese klopfte leicht auf ihren Schoß, und auf dieses Zeichen legte er, sich aufrichtend, die Vorderpfoten auf ihre beiden Schenkel. Mit den blauen Sphinxaugen ihn anstarrend, weit in den Stuhl zurückgelehnt, ahmte sie mit heller Stimme in kurzen Tönen das Bellen nach. Ajax erwiderte mit rauhem, lärmendem Gebelle, den heißen Atem des weit sich öffnenden Rachens ihr gerade ins Gesicht hauchend. Wenn er schwieg, schlug sie ihn rechts und links auf die tiefherabhängenden Lefzen und wiederholte ihre kurzen, hellen Laute, und wieder gab Ajax seine Antwort, desto wilder, je länger das Spiel dauerte. Dann faßte ihr kleiner, fleischiger Arm den muskulösen Hals des Tieres, es zurückschleudernd. Mit lautem Gebell sprang dieses wieder auf die Schenkel der Herrin, bis diese endlich wieder: »Setz' Dich!« rief. Nun streckte Ajax den gefleckten Leib in welligen Biegungen vor ihr nieder und sie rieb ihm das Fell mit der schmalen Sohle des spitzen Lackschuhes. Die beiden Pudel waren indessen auch herangekommen und umspielten, Gunst bettelnd, die Herrin, die ihnen die Wollköpfe mit hurtigem Fingerspiele kraute.

Frau von Ablinowski wandte keinen Blick von ihr.

Unter den Blauaugen zogen sich feucht glänzende, schmale Einschnitte gegen die Wangen, und beim Lächeln wurden die Mundwinkel von einer kaum merkbaren Bewegung durchbebt, auf den Schläfen schimmerte es elfenbeinartig, und man sah zeitweilig das leise Zucken eines Blutwellchens, Die Bewegung der das Pudelgelock durchwühlenden Fingerspitzen enthielt Nervenreiz. Sonst aber atmete alles an ihr blutvolle Gesundheit, pralle Jugend, ungestörtes Quellen reicher Lebenssäfte. Frau Kern weckte die Ablinowski aus ihren stillen Betrachtungen, indem sie das unterbrochene Gespräch wieder aufnehmend, in etwas spießbürgerlichen Wendungen über all die Sonderbarkeiten der Zeit staunte und dabei auch auf die bombenwerfenden Anarchisten und Nihilisten kam, meinend, es sei gerade, als ob der Weltuntergang drohe.

»Wenn hier die ganze Geschichte mit einem lauten Krach in die Luft flöge, ich oben einen großen Purzelbaum schlüge und dann portionsweise wieder herunterkäme, – das ist ein possierlicher Gedanke!« scherzte Kitty.

»Wie gnädiges Fräulein darüber spaßen können!« sagte Frau Kern.

»Mir wär' heutigen Tages bange, immer einen so hohen Herrn zu empfangen!«

»Aber, Frau Kern!« mahnte Frau von Ablinowski, ganz erschreckt über deren ungeschickte Rede.

Kitty machte sich mit einem der Hunde zu schaffen, und es entstand eine kurze peinliche Pause, über die sie mit den leise hingeworfenen Worten hinweghalf:

»Das Haus ist wohl bewacht!«

Die Stimmung war aber doch derart geworden, daß Frau von Ablinowski sich erhob und Frau Kern ihrem Beispiel folgte. Kitty gab, von ihren drei Hunden umkreist, den Damen eine kurze Strecke weit das Geleite und ging, nachdem sich diese verabschiedet hatten, der großen Volière zu, wo, als sie sich näherte, ein lautes Gekreische und wildes Geflatter entstand. Mit ungeduldiger Miene sah sie umher. Ein schlankes, junges Mädchen kam eben mit tiefem Gruße vorüber.

»Ach, Afra!« rief Kitty sie an. »Wollen Sie mir doch etwas Zucker beschaffen. Ich will die Vögel füttern.«

Eilfertig entschwand Afra und kam bald mit einer Krystallschale voll Zuckerstückchen zurück.

»Das ist eigentlich Willys Sache. Er weiß doch, daß ich um diese Zeit die Vögel füttere!« sagte Kitty in etwas erzürntem Tone. Willy hieß der junge Mohr.

»Soll ich ihn suchen gehen, Euer Gnaden?« fragte Afra.

»Nein! Bleiben Sie jetzt hier und halten Sie mir die Zuckerschale!« lautete der Befehl.

Kitty entnahm der vorgehaltenen Schale ein Zuckerstückchen nach dem andern, mit den am Gitter sich festkrallenden, flügelschlagenden und kreischenden Tieren, bald liebkosende, bald scheltende Rede führend, und Afra sah dem gefälligen Schauspiel mit lächelnder Aufmerksamkeit zu.

Als die Fütterung beendet war, glitt Kittys Blick über die Gestalt des hübschen Mädchens mit dem blassen Gesicht, dem schönen roten Mund und dem feinen Näschen, und sie fragte in nachlässig hingeworfenem Ton:

»Wie lange sind Sie jetzt schon bei mir?«

»Vierzehn Tage, Euer Gnaden!« lautete die Antwort.

»Die Duval ist sehr zufrieden mit Ihnen, sagte sie mir.«

Afra verneigte sich.

Kitty fragte weiter und erfuhr, daß Afra die Tochter eines vor nicht langer Zeit verstorbenen Dorfschullehrers sei und daß noch ihre Mutter mit fünf Geschwistern zu Hause lebe. Dann, sich erinnernd, daß ihr das Mädchen von Frau Bachmann als Neuling, der noch nie gedient hatte, vorgestellt war, forschte sie weiter, ob es nicht Heimweh empfinde, ob es sich im Hause wohl fühle und wie ihr die große Stadt gefalle. Afra antwortete in schlichter Kürze und meinte zur letzten Frage, sie habe sich noch wenig in der Stadt umgesehen, denn es fehle ihr an Bekannten. »Sie müssen sich eben Gesellschaft suchen!« sagte Kitty mit anzüglichem Scherze. Da wurde in einiger Entfernung, von einem Hauslakai begleitet, ein Reitknecht sichtbar, der die königliche Livree trug. Der Lakai verschwand alsbald, der Reitknecht schritt eilfertig sporenklirrend, den Kopf schon von weitem entblößend, auf das gnädige Fräulein zu, dem er in strammer Haltung mit den Worten: »Von Seiner Majestät!« ein Briefchen überreichte.

»Bleiben Sie!« befahl Kitty, den Brief öffnend, Afra, die eben sich entfernen wollte. Sie überflog rasch die wenigen Zeilen. »S'ist gut!« sagte sie zum Reitknecht, der sich mit geschlossenen Hacken tief verneigte und abtrat, dann zu Afra: »Pichler und die Duval sollen zu mir auf die Terrasse kommen!«

Der Haushofmeister und die Kammerzofe erschienen fast im selben Augenblicke, als Kitty sich in einem der Gartenstühle auf der Terrasse niederließ. »Um neun Uhr fahre ich nach der Sphinx. Willy soll mich begleiten«, war die kurze Weisung an den Haushofmeister, während die Besprechung mit der Kammerfrau etwas länger dauerte. Sie wurde in französischer Sprache geführt und war eigentlich nur ein Vortrag der Toilettenkünstlerin, in den Kitty kurze Bemerkungen mischte.

Es war noch ein halbes Stündchen bis zur Dinerzeit. Kitty blieb, nachdem die Duval verschwunden war, auf der Terrasse, zog das Billet des Königs aus dem Gürtel, in den sie es gesteckt hatte und riß es in kleine Fetzchen, die sie dann über die Balustrade auf einen darunter gelegenen Rasenfleck niederwirbeln ließ.

Die Bachmann blieb lange aus. Wie die beiden vorhin gegen sie gestichelt hatten! Keine dachte daran ihre Stelle einzunehmen; nur der ziellose Weiberneid sprach aus ihnen. Die Bachmann war ihr ganz unentbehrlich, ohne sie war das Leben gar nicht zu denken.

Sie war eine vorzügliche Vertraute geworden. Schlau genug war sie gewesen zu merken, daß ihr Zögling mit den Verhältnissen Schritt hielt und aus der tölpelhaften Betäubung eines zwischen Pracht und Wollust hin und her geworfenen Neulings immer mehr erwachte. Da ließ sie die Gouvernante und nicht minder die zärtlich scherzende Freundin fallen und wurde zur feinspürigen ersten Dienerin, vor der die Herrin sich in anderer Weise entblößen und rückhaltloser gehen lassen konnte als vor Kammerfrau und Zofen. Sie bereicherten sich, diese Bachmann, an ihr, aber sie vergifteten sich auch. In einer behaglich bürgerlichen Ehe hatten sie früher gelebt. Seit er es zu Vermögen gebracht hatte, trieb sich der Herr Kammerdiener mit leichten Weibern herum, und die Frau hatte selber nicht dem Hauch der Gifte widerstehen können, die sie als Beraterin und Vertraute bereitet hatte. Kitty wußte es. Ein heimlicher Liebeshandel hielt sie in der Stadt. Hoflieferant war dieser Kern geworden und Geld verdiente er an ihr, sein schönes Weibchen aber hatte ihr allzu oft bei der Toilette zugesehen und betrog ihn in den Kabinetten verschwiegener Hotels. Denen in Wien hatte sie, die Betteleien los zu werden, ein hübsches Jahrgeld ausgesetzt. Der Onkel hatte sein Amt verlassen und bummelte, das Vetterchen war nach den Briefen der Tante, die fast offen beklagte, daß Therese zu häßlich für ein Maitressenpöstchen war, ein ganzer Taugenichts geworden.

Kittys Augen starrten vor sich hin. Kleine Lichtfleckchen funkelten darin. Die Oberzähne blinkten zwischen den feuchten, hellroten Lippen.

Das war so das Richtige, diese Nachtfahrten auf der Sphinx! Da war der hohe Herr guter Laune, wenn er eine solche begehrte und ihr selber strich es bei der Witterung des Kommenden wie Sammet über die Haut. Sie war gar nicht mehr dumm und wußte recht genau, was sie zu denken hatte. Sie fühlte sich ganz als große Dame und war völlig hineingewachsen in den pomphaften Stil, mit dem man sie umgeben hatte.

Sie wußte aber auch, daß dem Herrn gegenüber die große Dame nicht vergessen durfte, daß sie ihm vor allem das »weiße Tierchen« war, und diese Rolle spielte sie jetzt mit klarer Berechnung. Mit dem Märchenprinzeßlein war's ebenso vorbei, wie mit dem übergewaltigen Königszauber. Das Königsliebchen, über das die Straße nach wie vor entzückt war, das »gnädige Fräulein«, vor dem die Dienerschaft sich tief verneigte, war in der Heimlichkeit der kostbaren Seidenpfühle ein völlig verderbtes Geschöpf, das verworfene Eitelkeit mit unersättlicher eigener Sinnenlust verband und hündisch sich duckend vor dem gelegentlichen Unmute des Herrn, wie eine Spielkatze seinen Liebkosungen stille hielt und seine Leidenschaft umringelte wie eine Schlange.

Aber da war wieder jenes andere Gefühl, das dann und wann auftauchte in Augenblicken müßigen Alleinseins. Da sie auf den abendlich sich verfärbenden Himmel und auf die Rauchsäulchen, die zwischen den Bäumen aus den Dächern aufstiegen, gestarrt hatte und durch die Stille der Umgebung vom Strome her der Ton der Nebelhörner herüberklang, war's allmählich über sie gekommen. In der Brust saß es leise drückend und nach Luft ringend, im Kopfe wühlte es und lastete auf der Scheitelgegend. Es hatte nichts mit Gewissensunruhe zu thun. Kitty moralisierte nicht. Sie wußte, daß sie schlecht war, wie man so sagte. Aber alles ringsum war so, vom König, der heute nacht in der Prachtkabine der Sphinx Weib und Kind, Krone und Land vergaß, bis zur niedlichen Zofe Binchen, in deren Fingerspitzen sie bei der Toilette die Lüsternheit brennen fühlte; und wenn in kurzer Frist die lichtdurchflammte Nacht über Siebenburgen kam, dann war sie nur die von Königsarmen umschlungene Fürstin der Tausende, die hüben und drüben vom Strome unter den Dächern des Häusermeers sündigten. Aber sie fühlte sich so allein mitten in der großen Stadt, umgeben von einem Troße von Dienern. Es fiel ihr ein, daß sie jung war und sie tastete nach etwas, was zur Jugend gehörte und was sie in ihrer Pracht vermißte. Sie sehnte sich nach einer Lust, die nicht mit üppigen Polstern und heißatmender Begierde zusammenhing, nach einer Heiterkeit, die nicht aus dem Unreinen stammte. Ein zärtliches Verlangen lebte in ihr, ein Durst nach Liebe und ihr war jetzt auf der blumengeschmückten Terrasse genau ebenso zu Mute wie damals, wenn sie im Hause der bösen Verwandten die Stirne an das Fenster drückte und auf die Straße hinaussah. Dann hätte sie fortlaufen mögen in die weite Welt und blieb doch unbeweglich am Fenster stehen, und es war ihr zum Weinen, aber die Thränen kamen nicht. Und wenn damals aus solcher Stimmung immer eine andere trotzig haßerfüllte erwuchs, in der sie das Haus anzünden, Therese die Haare ausreißen, der Tante die Zunge herausstrecken, den Onkel hätte verhöhnen mögen, so war sie jetzt kein albern ungebärdiges Kind mehr und sie hatte keinen eigentlichen Gegenstand des Hasses. Aber als eben Frau Bachmann kam und sich wegen ihres langen Ausbleibens lebhaft entschuldigte, fühlte diese doch alsbald, daß das gnädige Fräulein schlechter Laune war. Der Ton, in dem das »S'ist gut!« klang, war keineswegs liebenswürdig, und nach einer kleinen Pause kam es bedrohlicher: »Ich muß mir von Ihnen ja alles gefallen lassen!« und auf erneute Entschuldigungen lautete die Antwort: »Ich kann mir aber auch allein helfen! Majestät haben eine Spazierfahrt auf der Sphinx befohlen, und ich habe mit Pichler und der Duval schon das Nötige beredet. Sie sind nicht so unentbehrlich, wie Sie glauben.«

Dann ließ sie den Blick über die hochelegante Erscheinung der Vertrauten gleiten und sagte boshaft:

»Ah! Eine sehr schicke Ehebruchstoilette!«

»Aber Euer Gnaden!« erwiderte Frau Bachmann abwehrend.

»Möchten Sie etwa gar heucheln, meine Liebe?« fuhr Kitty höhnisch fort. »Interessiert mich übrigens gar nicht, wo und mit wem Sie sich herumtreiben.«

»Ich habe auch gar nicht die Verpflichtung, Aufschluß zu geben, was ich thue. Den Ausdruck »herumtreiben« muß ich mir übrigens höflichst verbitten, Euer Gnaden«, lautete Frau Bachmanns spitze Antwort.

Kitty schwieg jetzt. Bei solchen gar nicht seltenen kleinen Zänkereien kam es übrigens dann und wann dazu, daß das geärgerte Königsliebchen Fäustchen machte, mit den Füßen stampfte und böse Worte gebrauchte, was Frau Bachmann aber immer sehr kalt ließ, denn zu puffen wagte es in solchen Fällen übler Laune doch nur die Kammerfrau oder die Zofen. Gespuckt hatte es freilich schon mehrmals gegen sie, dann aber auch durch ein Geschenk sich die Verzeihung erkaufen müssen.

»Haben Euer Gnaden noch besondere Wünsche?« fragte sie kühl unterthänig.

»Setzen Sie sich! Werden mich doch nicht wieder allein lassen. Und dann dinieren Sie mit mir, wenn Sie wollen!« entgegnete Kitty mürrisch.

Frau Bachmann verneigte sich.

Damit war die Versöhnung eingeleitet, die dann nach einer etwas peinlichen Zwischenpause in einem Geplauder über Frau Kern, die doch die Spießbürgerin nicht ganz abstreifen könne und Frau von Ablinowski, die nach Frau Bachmanns Ansicht wohl selber so etwas, wie eine Morphinistin war, sich völlig festigte.

»Eigentümlich schön ist sie aber«, meinte Kitty.

»Sie macht geschickte Toilette, aber ich glaube, daß sie furchtbar mager ist, und der große Mund mit den dicken Lippen ist doch sicherlich nicht schön«, versetzte die Bachmann.

»Aber das feine Köpfchen und die wunderschönen Augen.«

»S'ist was Krankhaftes in diesen Augen, gerade, als ob sie immer Fieber hätte. Aber, das ist wahr, vornehme Hände hat sie und sehr viel Grazie in ihrem Auftreten.«

»Wie alt mag sie wohl sein?«

»Jünger, als sie aussieht, und keinesfalls mehr als dreißig.«

Bald nach dem Diner ging es an die Toilette, die zu solchen Fahrten auf der Sphinx besonders auserwählt sein mußte. Eine tiefausgeschnittene Prachtrobe aus weißem, gelblich schimmernden Sammet war gewählt, mit Einsätzen und Zwischenstücken aus schlohweißer, silberverzierter Seide. Auf Brust und Nacken und von den hochbauschigen Ärmeln herab wallten breite gelbliche Spitzen. Die gelbe Seide des Unterrockes schimmerte durch in Volants und Puffen aufgebauschten Tüll hindurch; die gleichfarbigen Strümpfe waren silberbestickt. In den blonden Löckchen schwebte ein weißer Federstutz über einem Brillantstern, große Diamanten hingen in den Ohren, den Hals schmückte dagegen nur ein schmales Perlkettchen. Am Arme trug Kitty einen breiten, reich mit verschiedenen Edelsteinen besetzten Reif, von der Taille hing an einer kostbaren Chatelaine das kleine Ührchen aus dunkelblauem Email mit dem Monogramm in Brillanten.

Die beiden Zofen Binchen und Afra wechselten täglich insofern den Dienst, als die eine nur mit der Instandhaltung der Garderobe und dem Ordnen der Schlafstube und des Boudoirs beschäftigt war, während die andere die vom Bade bis zum Schlafengehen nötigen persönlichen Dienstleistungen bei der Herrin zu besorgen hatte. Heute hatte Afra der persönliche Dienst getroffen, und so war sie auch als Gehülfin der Kammerfrau bei der großen Abendtoilette thätig. In einen besonderen schwarzen Lederkarton wurde eines der schönsten Deshabillés gepackt, und diesen Karton hatte Afra der Herrin nachzutragen, als diese, ein himmelblaues Seidentuch so um den Kopf gebunden, daß es weit über das Gesicht, dieses fast ganz verhüllend, vorstand, und in einen bordeauxroten leichten Seidenmantel gehüllt, die Treppe hinab zum Wagen schritt. Am Schlage harrte Willy, den Fez auf dem Kopfe, in dunkelblauen Pumphosen und kurzer Jacke, deren rote Farbe kaum zwischen den reichen Silberverschnürungen sichtbar war. Als er den Schlag hinter der Herrin geschlossen, nahm er den Karton zu sich auf den Bock, und mit dumpfem Gerolle verließ die Equipage das Palais. – –

Die Röcke aufnehmend, ging Kitty raschen Schrittes über das Landungsbrett. Der Schiffsführer zog die Mütze, sie nickte einen Gegengruß und verschwand in der Deckkajüte. Ein kleiner Salon enthielt um einen Tisch mit Marmormosaik ein zierliches Sofa und zwei Fauteuils, deren graublaue Sammetüberzüge mit reicher Silberstickerei auf dem Sitze und der Rücklehne geschmückt waren, in gleicher Art ausgestattet und quer vor eine Ecke gestellt eine Chaiselongue mit einem Doppelkissen daneben, dann ein Pianino mit kunstvollem Holzwerk und silberbesticktem Tabouret davor und einen großen Blumentisch. Eine blaue, silbergepreßte Ledertapete bedeckte die Wände, aus denen goldene Armleuchter mit milchigen elektrischen Blumenkelchen hervorragten; die Decke war mit verschiedenen kostbaren Holzarten getäfelt und mit goldenen Verkröpfungen ausgestattet, ein Smyrna bedeckte den Fußboden. Rechts und links durchquerten dem Meublement entsprechende Sammetvorhänge den kalt durchleuchteten, metallisch glitzernden Raum. Kitty öffnete mittelst einer herabhängenden silbernen Schnur den einen Vorhang zur Hälfte und trat in den Toiletteraum, in dem sie sich eben bequem drehen konnte. Er enthielt nur einen großen, ins helle Wandgetäfel eingelassenen Spiegel und ein großes Gestell aus Nickel mit Marmorplatten, auf dem alle Toiletteutensilien in Silber standen oder eingelassen waren. Dort stellte Willy den Karton hin und verschwand alsbald. Kitty entnahm das Deshabillé dem Behälter, hing es an einen Wandhaken auf und prüfte sich dann, da und dort tippend und zupfend im Spiegel. Nach einigen Wendungen und Drehungen verließ sie den Raum, schloß den Vorhang und begab sich dann nach der anderen Seite. Als sie dort den Vorhang seiner ganzen Breite nach aufgezogen hatte, drückte sie auf einen Wandknopf, worauf sich der Salon verdunkelte und nur ein gedämpftes, tiefrotes Licht den Raum vor ihr beleuchtete, der an den Wänden in durch schwarze Säulchen getrennten länglichen Flächen, an der Decke in Strahlenform, abwechselnd Spitzen- und gelbe Seidendraperie zeigte. Ein breites Lager stand vor ihr mit reichgestickten und spitzenbesetzten weißen Kissen, von einem duftigen, durch goldene Amoretten gehaltenen Arrangement eines aus vielfaltiger gelber Seide hervorrieselnden Spitzengewoges an der Kopfseite überdacht. Aus Ebenholz war das niedere Gerüst des Lagers mit goldenen Rosenguirlanden und Amorettenfigürchen in den verschiedensten Stellungen. Am Fußende ragte ein goldener Nixenleib empor und streckte mit jauchzender Gebärde die Arme aufwärts. Nach einer sorgfältigen Prüfung trat Kitty zurück, ließ wieder Licht in den Salon und schloß den Vorhang. Pfeilschnell flog das Boot dahin. Kitty hatte sich auf der Chaiselongue niedergelassen. Jetzt stampfte das Schiff stärker, immer lauter wurde das Rauschen und Sprudeln des Wassers, dann folgte ein kurzer Stoß, für Kitty das Zeichen, sich zu erheben. Gleich darauf wurde die Thüre rasch geöffnet, und der König trat ein. Willy nahm ihm den leichten Mantel ab und harrte an der Thüre des nächsten Befehles.

Der König hatte Kitty mit einem »Guten Abend!« und einem Händedruck begrüßt, dann gab diese dem Mohren ein kurzes Zeichen mit dem Kopfe. Er verschwand, um alsbald auf goldenem Cabaret den Thee zu servieren. In einem verlangsamten Zeitmaße fuhr die Sphinx thalwärts weiter. – –

Afra Schlosser hatte heute zum erstenmale das gnädige Fräulein bei der Toilette bedient. In den vierzehn Tagen seit ihrem Dienstantritt waren zwar solche Gelegenheiten schon mehrmals gewesen, sei es, daß es einer Fahrt auf der Sphinx oder einem Königsdiner galt, aber, auch wenn sie »Jour« hatte, war von der Kammerfrau doch vorsichtshalber hierzu Binchen herangezogen worden. Jetzt war sie auch für diesen vornehmsten Teil des Dienstes reif erklärt, und Fräulein Duval meinte in ihrem gebrochenen Deutsch, bei solcher Anstelligkeit könne sie es wohl dahin bringen, einmal selber als Kammerfrau in ein vornehmes Haus einzutreten. Das war ihr schon damals von der Verdingerin gesagt worden, daß, wenn sie sich hier bewähre, ihr dies zur Empfehlung bei den feinsten Damen gereichen würde, und gelacht hatte die Frau über die Einfalt vom Lande, die scheu fragte, ob denn das Haus der Geliebten des Königs auch ein ehrbares Haus sei. Frau Bachmann, der es die Verdingerin wieder erzählte, hatte zwar auch gelächelt, ihr aber gesagt, ein solches Mädchen wünsche sie eben für das gnädige Fräulein anzuwerben, das nicht durchtrieben sei, wie die Stadtmädchen, sondern bescheidenen und gesitteten Wesens. Darauf war sie in dem prächtigen Salon der anmutigen Herrin vorgeführt worden, die nur fragte: »Wie heißen Sie?«, sie flüchtig grüßend ansah und dann mit einem: »S'ist gut!« und einem Kopfnicken entließ.

Bis zum heutigen Tage hatte sie außer einigen kurzen Befehlen kein Wörtchen mit ihr gewechselt, ein völlig unnahbares höheres Wesen stand sie der Dienerin gegenüber. Mit der Kammerfrau sprach sie mehr, immer in französischer Sprache, und lachte auch zuweilen mit ihr. Und heute war sie auf einmal so freundlich und lustig gewesen. Sie hätte daran Freude gehabt, wäre zuletzt nicht das leichtfertige Wort von der Gesellschaft, die sie sich suchen solle, gefallen. Alle derartigen Anspielungen thaten ihr weh, denn sie weckten ekle persönliche Erinnerungen und weh that ihr's aus diesem lieblichen Munde, denn was sie zwei Tage nach ihrem Eintritt von Frau Kullich, der jungen Portiersfrau, gehört hatte, kam ihr wieder lebendig in den Sinn. Frau Kullich hatte ihr ausführlich die Geschichte vom Königsliebchen erzählt mit dem gräßlichen Schlusse:

»Die Bachmann sind dabei reiche Leute geworden!«

Als sie dann entsetzt etwas ausgerufen hatte von »Verbrechen«, war ihr die Frau ins Wort gefallen:

»Verbrennen Sie sich den Mund nicht, albernes Kind! Es könnte Ihnen sonst noch Schlimmeres begegnen, als nur entlassen zu werden. Wir essen ehrlich verdientes Brot, und wenn Sie brav bleiben wollen, können Sie's hier, so gut wie anderswo. Der Dienst ist gut und – setzte sie ernsthaft mahnend hinzu – so was dürfen Sie auch nicht anschauen nach Eurer groben Bauernart. Der Katechismus freilich kennt keinen Unterschied. Aber damit, meine Liebe, kommt man, in der Stadt wenigstens, nicht durch.«

Afra wußte es wohl, auch auf dem Lande reichte er nicht aus. Das Glück herrschte im kindergesegneten, kärglich bestellten Lehrerhause. Emsig liebevoll schaffte die wackere Mutter, der edle Vater wußte in den Feierstunden die Seinen mit gottesfürchtigem Sinne zu belehren und ehrbar zu unterhalten. Sie, die Älteste, war des Vaters Liebling und aus froher Kindheit wuchs sie zur sittsamen heiteren Jungfrau heran, fern gehalten von allem Rohen des ländlichen Lebens. Sie errötete lächelnd, wenn Vater oder Mutter darüber scherzten, wann wohl ein Freiersmann kommen möchte. Das Lächeln aber schwand und eine heißere Röte flog über ihre Wangen, als eines Tages der Vater sie ermahnte, dem jungen Gehülfen von der unfernen Försterei thunlichst aus dem Wege zu gehen, denn es sei ein leichtfertiger Geselle, vor dem ein junges Mädchen sich hüten müsse. In der That hatte der flotte Jägersmann sich ihr mehrmals mit besonderer Freundlichkeit genähert, und sie fand Wohlgefallen an ihm, denn sehr ehrbar war seine Art gewesen. Der Vater urteilte wohl zu streng, und seiner Mahnung entnahm sie vor allem nur, daß der erfahrene Blick des Alters ihre eigenen schüchternen Hoffnungen bestätigte. Gar mancher leichtsinnige Bursche ist ein guter Ehemann geworden, wenn er die rechte Frau fand, und machte Herr Kolb Ernst, so änderte sich wohl auch des Vaters Gesinnung. Zwar that sie bei Begegnungen zunächst spröde, aber das schien den Eifer Kolbs nur zu erhöhen und als sie ihm einmal erst Gelegenheit gegeben hatte, mit schönen Worten das vom Vater ihr eingehauchte Mißtrauen zu beseitigen, da kam es auch zu jenen Heimlichkeiten, die man damit rechtfertigte, daß jede junge Liebe erst mit dem Widerstand der Eltern zu kämpfen habe.

Im Nachbarorte war Afra zu einer Besorgung gewesen. Herr Kolb gesellte sich zufällig zu ihr. Zwischen wogenden Kornfeldern führte die Straße hindurch, die Nachmittagssonne brannte glühend heiß, und Leute kamen des Weges. Gar schwatzhaft ist das Volk und der Umweg durch den Wald nicht sehr groß. So bieder klangen des Forstgehülfen Worte, ihm die Hand zu lassen, war noch keine Sünde und, wenn sie auch bangte, mochte sie ihm nicht wehren, als er den Arm ihr um die Taille legte. So weiter wandernd, kamen sie ans Küssen. Wieder sahen die dunklen Tannen das küssende Paar, und endlich kam ein Tag, an dem man einen gar weiten Umweg machte mitten durch den Hochwald, wo es ganz still, ganz weltverloren war. Die Sünde lauerte auf dem grünen Moos, und als Afra aus dem Walde kam, schämte sie sich vor dem Abendsonnenlicht, klopfte ihr das Herz beim Anblick der Eltern. Aber sie war Braut, sie hatten sich vorher Treue geschworen; nimmermehr hätte sie sonst seine Leidenschaft geduldet. Da kam eines Morgens, als man beim Frühstück saß, die Kunde, bei Tagesgrauen sei Herr Kolb erschossen vor dem Wirtshaus gefunden worden, das etwas abseits vom Nachbarorte lag. Afra schrie auf und wurde totenbleich. Von Wilderern war erst die Rede, bis im Laufe des Tages die weitere Kunde kam, der Wirt sei nach dem Amtsstädtchen gefahren, sich selber dem Gericht zu stellen, denn er habe als Rächer seiner Hausehre den Forstgehülfen bei frischer That erschossen. Der Vater wies darauf hin, wie berechtigt seine Warnung gewesen und meinte, was etwa in des Töchterchens Herzen für den Bösewicht gelebt, das sei durch solch ruchloses Ende wohl gründlich ausgelöscht.

Afra verriet sich nicht, denn sie war zunächst erstarrt, keiner Regung des Körpers und der Seele fähig. Allmählich aber gewann sie wieder Leben, ein neues, fürchterliches Leben! Bei Tage saß sie unter den Ihrigen als die unreine Schänderin des Familientempels, betrog die ahnungslosen Eltern um ihr zärtliches Lächeln und ihre liebevollen Worte, wandelte durchs Dorf als die leibhaftige Lüge und des Nachts mußte sie sich hüten in lautes Schluchzen auszubrechen, denn in derselben Stube schliefen noch Geschwister. In der Kirche kniete die Lehrerstochter an der Spitze der Jungfrauen und durfte mit keiner Miene verraten, daß ihr Gebet der Notschrei einer elenden Seele war, wenn auch der Gekreuzigte voll Trauer auf sie niedersah und die Mutter Gottes, die unter dem Kreuze stand, so voll Schmerz über ihre Sünde himmelwärts blickte. Nur dann und wann fand sie auf kurze Augenblicke Gelegenheit, in einsamem Winkel sich schluchzend unter der Last des Schmerzes zu winden. Der Beichtiger kannte ihr Geheimnis, aber seine strengen Vorwürfe trösteten nicht, und seine Mahnung, nicht wieder solche Sünde zu begehen, bewies, wie wenig er ihren Jammer verstand. Wohl ward sie losgesprochen von ihrer Sünde, aber keine Reue reinigte den befleckten Leib, keine Buße tilgte die schauervolle Erinnerung an die Schuld, die jetzt so häßlich schien, wie sie Häßlicheres nichts denken konnte. Als fromme Christin durfte sie den verstorbenen Verführer nicht hassen. Er war ihr auch nichts anderes als der Träger jenes Bösen, vor dem sie gewarnt war, mit dem sie in frevelhaftem Leichtsinn getändelt hatte und sie wälzte nichts ab auf ihn von der eigenen Schuld. Unter dem Schmerze ihres heimlichen Jammers reifte allmählich eine neue Erkenntnis. Gott, Christus, Maria, die der niegestörten Gewöhnung frommen Glaubens keine bloßen Begriffe, sondern deutlich vorstellbare, überirdische Gestalten waren, zu denen sie wie zu den Eltern in einem lebendigen Gemütsverhältnisse stand, hatte sie durch Beichte, Reue und Buße versöhnt. Aber die Erziehung des Vaters hatte noch andere Gedankenkeime als rein religiöse Vorstellungen in ihre Seele gepflanzt und die Lebensenergie eines jungen Landmädchens hielt sich im bittersten Schmerz so weit aufrecht, um nicht in einer stumpfen Frömmelei abzusterben. Sie verband sich bei Afra mit den religiösen Begriffen zu einem heiligen Ernste, der, auf Glück demütig verzichtend, die Existenz des Bösen in der Welt tief betrauernd, im Leben die Summe schwerer Pflichten sah und gut zu sein als den höchsten Daseinszweck erkannte. Ehe sie noch sich klar werden konnte, wie in ihren Lebensverhältnissen sich die praktische Bethätigung dieser in der schlichtesten Gedankenform ihr vorschwebenden Lebensphilosophie gestalten sollte, starb nach kurzer Krankheit der Vater. Nach längerem Widerstreben der Mutter wurde es doch zu einer Notwendigkeit, daß Afra in die Stadt ging, einen Dienst zu suchen. Sie war für einfachere Handarbeiten sehr geschickt, und noch beim Abschied meinte die Mutter, wenn es ihr gar zu schwer fiele, einen besseren Dienst zu finden, solle sie wieder heimkehren und zusehen, ob sie als Näherin durchkomme, ehe sie sich allzu niederer Arbeit unterwürfe. Afra aber war trotz der Liebe zur Heimat froh draußen im großen Leben Gelegenheit zu werkthätiger Buße zu finden und im stillen fest entschlossen, auch die härtesten Dienste zu übernehmen. Mit einer Art von Kampflust betrat sie die glänzende Hauptstadt. Als man ihr nun die Stelle bei der Geliebten des Königs anbot, waren ihre Bedenken nicht nur durch die Heiterkeit der Verdingerin und der Frau Bachmann so rasch beseitigt worden, sondern sie erinnerte sich auch der liebenden Ehrfurcht, mit der man in der Heimat vom König sprach. So mochte eine Königsgeliebte wohl etwas ganz anderes sein, als ihr vorgeschwebt. Zudem war die Aussicht etwas lernen zu können bestechend, denn ein wesentliches Ziel war auch, die Ihrigen nach Kräften zu unterstützen. Frau Kullichs Eröffnungen ließen ihr aber, trotz des Zusatzes, es sei dies etwas anderes als bei den Bauern, keinen Zweifel, daß sie sich an einem Orte befand, an dem sie am wenigsten hatte sein wollen. Von Tag zu Tag entrollte sich ihr reicher und deutlicher das Bild einer Welt, in der die Sünde die Triebkraft war, die alles in Bewegung setzte, eben die Sünde, um derentwillen sie so viel gelitten hatte. Was bei ihr der folgenschwere Fehltritt eines Augenblicks gewesen, war hier Gewöhnung und wessen sie sich als eines teuflisch Häßlichen mit Schauder erinnerte, dies zum glänzenden Zauber zu wandeln, war hier das Tagwerk emsiger Hände. Sie schämte sich vor sich selbst ihres befleckten Leibes. Hier bot ihn die Herrin den Händen der Dienerinnen als ein sorgsam zu pflegendes Kleinod. Sie hatte gebangt vor dem Fluche des Vaters, vor der Verachtung der Menschen, würde ihr Geheimnis verraten, hier wurde die offenkundige Schande mit fürstlichen Ehren und Kosenamen ausgezeichnet.

Als sie dann in ihrer Umgebung herumhörte, war diese Sünde in der großen Stadt nur ein Schicksal, das da zum Elend, dort zum Glanze führte. Wo der Glanz war, war auch der Erwerb; auf ihn aber kam alles an, und lieber sogar diente man dem besser zahlenden Laster als der kärglich lohnenden Ehrbarkeit. Im Palaste des Königsliebchens hatte sich ein Dienstmädchen nicht gegen die Nachstellungen des Herrn und des Haussohnes zu wehren, und dieses für den Empfang des Geliebten zu putzen, war nicht so anstößig, als der gnädigen Frau beim Ehebruche fördernd beizustehen. Solche Dinge aber traten anderswo an sie heran, und, war sie auf die Straße gesetzt, dann mochte sie zusehen, wie sie im Gedränge zurechtkam. Da war der Stärksten schon der Mut vergangen, und die zuversichtlichste Tugend hatte Schiffbruch gelitten. Der Strom redete von Verzweifelten, die bei ihm Schutz gefunden. Sie fürchtete sich nicht vor dem düsteren Bilde, das vor ihr stand, und kampfesmutig hätte sie sich hinausgewagt ins Gedränge eine andere, reinere Stätte zu suchen; sie war auch nicht gesonnen, ihre strenge Anschauung der vergangenen Schuld zu wandeln. Heute nachmittag, als die vor der Volière stehende Gebieterin ein so liebliches Bild bot, war es klar und deutlich in ihr aufgestiegen, das Gefühl des Mitleides mit der, die trotz aller Pracht nichts anderes war, denn eines jener armen Wesen, die in dieser fürchterlichen Stadt Schiffbruch leiden, und am Abend bei der Toilette gesellte sich diesen durch der Herrin leichtfertiges Wort erst zurückgedrängten, dann neu erwachenden Gefühlen noch eine andere Regung. Als sie zu Füßen der vor ihr Sitzenden kniete, ihr die Schuhe anzuziehen, da dünkte es ihr, wie eine besonders gottgefällige Buße für die eigene Schuld, so sich zu demütigen vor einer Sünderin. Weiter spannen sich die Gedanken, da sie der Rückkehr der Herrin im Garderobezimmer einsam sitzend harrte. Von einigen freundlichen Worten des Königsliebchens zu dessen näherem Vertrauen war es noch gar weit. Aber schon oft hat sich die Vorsehung niederer Werkzeuge zu großen Thaten bedient, und eine große That wäre es, könnte sie dieses im Reiche des Bösen gefangen gehaltene, liebliche Geschöpf befreien und auf die Bahn des Guten führen. Das wäre eine werkthätige Buße, eine wunderschöne Sühne der eigenen Schuld!

Die Herrin kam zurück. Sie schien betrunken. In dem Zimmer, das Afra mit dem schon fest schlafenden Binchen teilte, betete sie in ihrem Bette für deren Seelenheil und bat Gott, ihr, der niederen Magd, den Weg zu offenbaren zu deren Rettung.


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