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Sechstes Kapitel

Frau Bachmann erfuhr durch Binchen, daß diese Afra, die still einherschleichende Duckmäuserin, sich täglich mehr in die Gunst des gnädigen Fräuleins einzuschmeicheln verstehe.

»Ich kann gar nichts mehr recht machen!« klagte sie. »Immer werde ich gescholten und schon zweimal habe ich mir sagen lassen müssen, bei Afra brauche man nicht so viel zu reden!«

Fräulein Duval bestätigte die Angaben ihrer Untergebenen und erzählte, es sei ganz auffällig, wie sanft und gut gelaunt das gnädige Fräulein sei, wenn Afra den Dienst habe und wie empfindlich und reizbar es sich gegen Binchen zeige. Weiter wurde berichtet, man habe auch schon bemerkt, daß Afra in längere Gespräche gezogen würde und, wenn das gnädige Fräulein sich zu Bett begebe, dauere es oft lange, bis sie entlassen würde, während Binchens Dienst in diesem Falle binnen weniger Minuten erledigt zu sein pflege.

Diese wußte zu erzählen:

»Letzthin wachte ich auf, als sie vom Nachtdienst in unsere Schlafstube kam. Es war gerade Mondschein, und ich konnte deutlich sehen, daß sie, nachdem sie das Licht ausgelöscht hatte, noch eine gute Weile aufrecht im Bette saß und betete.«

»Sie ist eine Fromme und will vielleicht das gnädige Fräulein bekehren!« setzte sie spottend hinzu.

Frau Bachmanns ernstes Gesicht veranlaßte Fräulein Duval mit einem leichten Lächeln von ihrer Wahrnehmung zu erzählen, daß das gnädige Fräulein, das sich sonst vor den Dienerinnen sehr ungeniert zu gebärden pflege, wenn Afra zugegen sei, in allerlei kleinen Zügen etwas wie Geschämigkeit zeige.

Alsbald richtete die Bachmann an Kitty die Frage: »Euer Gnaden sind noch immer mit dieser Afra zufrieden?«

»Oh sehr!« lautete die Antwort.

»Die Person soll ja eine Frömmlerin sein?« fuhr jene in gedehntem Ton fort.

»Haben Sie das schon wieder ausgekundschaftet? Wollen Sie dem Mädchen etwas am Zeuge flicken, weil es bei mir zu sehr in Gunst steht?« versetzte Kitty und wies mit boshaftem Lächeln die Zähne. »Nun, meine Liebe, die verjagen Sie mir nicht, denn ich habe sie sogar sehr gern. Und damit man sieht, daß ich doch auch noch etwas in meinem Hause zu sagen habe, so wird Afra von jetzt an den persönlichen Dienst allein bei mir haben, und dieses Binchen, dessen Art ich nicht liebe, wird ausschließlich den Garderoben- und Zimmerdienst thun.«

Frau Bachmann wurde blaß, indessen Kitty klingelte und der auf das besondere Zeichen herbeigekommenen Kammerfrau ihre Ordre mitteilte.

Die Bachmann faßte sich rasch und meinte, sie habe natürlich nicht das Geringste gegen der Gnädigen Vorliebe für jenes Mädchen einzuwenden und werde offenbar ganz mißverstanden. Sie habe nur gemeint, eine Frömmlerin sei der Gnädigen selber unangenehm, weil solche Personen meist heimtückisch und intrigant zu sein pflegten.

»Das ist meine gute Afra ganz und gar nicht«, antwortete Kitty gelassen.

Als Frau Bachmann sich baldmöglichst unter einem Vorwand zurückzog, um erst über das Geschehene sich besinnen zu können, stieß sie zufällig auf Afra.

»Ich gratuliere, Fräulein!« sagte sie mit zorngepreßter Stimme. »Sie haben ja ein seltenes Talent sich bei großen Damen einzuschmeicheln. Lernt man das von dem Herrn Pfarrer in Ihrem Dorfe?«

»Ich thue meine Pflicht, und das gnädige Fräulein sieht, daß ich es gut meine. Das ist wohl alles!« lautete die mit sanfter Bestimmtheit gegebene Antwort.

»Wissen Sie, daß Sie hier gar nichts zu meinen haben!« zischte Frau Bachmann das Mädchen an.

Afra hielt ihrem Zorne schweigend stand. Aus den mandelförmigen dunklen Augen aber traf die gefürchtete Frau Leibkammerdiener ein Blick, vor dem sie erst verwundert stutzte, um dann mit der Phrase: »Wir sprechen uns noch!« davonzugehen. In diesem Blicke, den man nicht unbescheiden nennen konnte, lag doch etwas Drohendes, etwas unangenehm Mutiges. Die Meinung, eine solche unerfahrene Landjungfer sei besser in der Umgebung des Königsliebchens als irgend ein naseweises, geriebenes Dingelchen, hatte da zu einem argen Mißgriff verleitet. Bekehrung war Unsinn; aber als Feindin mußte diese Person betrachtet werden.

Binchen weinte heiße Thränen über ihren Ausschluß vom persönlichen Dienst. Das sah wie eine Degradierung aus, und überdies hatte trotz der neulichen üblen Launen der Herrin ein geheimer Reiz in diesen Obliegenheiten gelegen, den nunmehr zu missen ihr schwer fiel.

Afra wurde befohlen, die Herrin zur Spazierfahrt umzukleiden. Diese entstieg in ganz weiten, reichgestickten und durchbrochenen Beinkleidern aus Battistleinen den niederfallenden Röcken. Das Hauskorsett selber öffnend, sagte sie zu der nach den Röcken sich bückenden Dienerin:

»Ich will jetzt immer »Du« sagen, Afra! Ist Dir's recht?«

»Oh gewiß, Euer Gnaden!« erwiderte Afra und fing das leichte rosaseidene Atlasschnürleibchen auf, das ihr Kitty zuwarf. Dann nahm sie wassergrüne Seidenbändchen und Kokarden vom Toilettetische und vertauschte diese niederkniend mit den rosafarbenen Durchzugbändchen und Seitenkokarden des Beinkleides. Kitty löste selbst die schmalen Bänder, die das dem Beinkleide gleichartige Hemd an den Schultern befestigten und hielt dieses mit einer Hand unter dem hochgerundeten, jugendlich frischen Busen. Afra bespritzte, sie umschreitend, aus einem kleinen Gummiballe mit silbernem Syphon den milchweißen Hals, den schön gerundeten Nacken, die vollen Oberarme und, während diese sich wechselnd hoben, die Achselhöhlen. Mit einem rauhen Wolltuche wurde dann die fein duftende Büste abgetrocknet. Die Schulterbändchen wurden jetzt auch vertauscht. Dann setzte sich Kitty auf ein Tabouret und, wieder vor ihr knieend, legte ihr Afra statt der schwarzen Seidenstrümpfe dunkelgrüne mit gelben Tupfen an. Kitty streifte das Beinkleid etwas auf, und um die Strümpfe wurden breite, wassergrüne Seidenbänder gelegt, mit großen Schleifen und goldenen Schnallen an der Seite und vorn leicht darüber sich neigenden, künstlichen Maiglöckchen. Während dieses Geschäftes unterbrach Kitty plötzlich die bisherige Stille mit den Worten:

»Die Bachmann hat Dich bei mir angeschwärzt, Du seist eine Frömmlerin. Ich weiß wohl, daß Du an diese Geschichte glaubst, aber mich geniert das nicht und, gerade um sie zu ärgern, habe ich die neue Anordnung getroffen.«

Afra zog der Herrin vorsichtig die englischen Stiefeletten an. Kitty richtete sich auf. Während sie ihr das in Übereinstimmung mit Hemd und Beinkleid, an der gestickten Bordüre wassergrün durchzogene, erste Röckchen umwarf und es festband, legte Afra ein gutes Wort für Binchen ein.

»Laß das!« entgegnete die Herrin. »Ich habe sie ja nicht fortgeschickt. Schon lange wollte ich's so einrichten. Die Bachmann möchte Dich nur wegbeißen, weil sie sieht, daß ich Dich gern habe. Das soll sie aber nicht! Wenn Dir irgendwer was thut, dann sag mir's nur!«

»Euer Gnaden sind sehr gütig!« sagte Afra.

»Ich hab' Dich wirklich lieb«, fuhr Kitty fort. »Laß' Dich nur nicht verderben! Equipagen und Diamanten giebt's einmal nicht für jede, und das andere ist Unsinn!«

»Ich denke nicht an dergleichen!« bemerkte Afra bescheiden und schmiegte das wassergrüne, mit Maiglöckchen bestickte Seidenkorsett der Herrin sorgsam an die Hüften.

»Na, na!« meinte diese, »das kann schon anders werden trotz aller Frömmigkeit.«

Als Afra die Haken ineinander gezwungen hatte und nun im Rücken die Schnüre festzog, sprach sie weiter:

»Es läßt sich eben einmal nicht ändern, daß die Dinge hier anders sind als in Deinem Dörfchen. Wird Dir doch manches ins Blut gehen!« Die Hände in die Seiten stemmend, streckte sie sich im Korsett zurecht und fuhr fort:

»Bekommst es oft genug zu hören, wie sie sich auf das Königsliebchen berufen und meinen, wenn man's auch nicht so weit bringt, solle man doch nicht verstecken, was man Schönes hat.«

Während alsdann Afra den mit schwarzer Tüllspitze überdeckten Jupon von dunkelgrüner Seide festheftete, meinte sie mit leisem Lachen:

»Ich komme mir ganz spaßig vor mit meinen Mahnungen. Aber ...«

Der Rock war befestigt. Sie wandte das Gesicht wieder der Dienerin zu und sagte:

»S'ist mir so ... ich möchte Dich immer nur so recht gut, recht brav denken. Ich ... na ja ... was finge ich mit Bravheit an? Aber es thut wohl, so was um sich zu haben. Ich schaue Dich darum so gern an.«

Sie hatte ihre Hände auf Afras Oberarme gelegt, und ihre Vergißmeinnichtaugen starrten eine Weile auf das verwirrt lächelnde Mädchen.

»Mach fertig!« befahl sie dann kurz.

Afra zog ihr die rehfarbene, mit leuchtend grünem Sammt ausgeputzte Straßentoilette an, steckte das Kapothütchen aus goldigem durchbrochenen Gewebe und Bändern, die dem Kleidausputz entsprachen, fest, legte das Mäntelchen über die Schultern, das sich aus einer Stufenfolge dunkelgrüner Kragen mit schmaler, gelber Einfassung zusammensetzte, und knüpfte ihr die Handschuhe zu.

»Sieh' zu, ob der Wagen bereit ist!« lautete endlich der Befehl. Als Afra nach einer Minute bejahenden Bescheid gebracht hatte, raschelte Kitty eilfertig kleinen Schrittes davon und winkte ihr noch an der Thüre mit den Worten zu:

»Adieu, Afra!«

In sehr erregter Stimmung blieb diese im Toilettenzimmer zurück. Diese herzliche Vertraulichkeit der Herrin war zwar unerwartet gekommen, aber doch nicht völlig überraschend. Seit jener ersten Anrede vor der Volière hatten sich die Zeichen ihres Wohlwollens stetig gemehrt, von der Antwort auf den Morgengruß bis zu der freundlichen Art des Befehles und des Dankes für eine Dienstleistung.

Gerne benutzte Kitty jede Gelegenheit zu einem Gespräche und des Abends, wenn sie schon im Bette lag, sagte sie wiederholt: »Ich will noch ein bißchen plaudern!« Afra erzählte allerlei von der Heimat und der Kindheit im Elternhause, und die Herrin war dann zuweilen ganz lebhaft geworden und hatte von ihrer »Mama«, von Orten, deren sie sich dunkel erinnerte, von der Schule gesprochen. Auch kannte Afra allerlei Sagen und Volksgeschichten, wie sie der Vater zu erzählen pflegte, sowie heitere und schreckhafte Ereignisse, die im Laufe der Jahre im Umkreis der Heimat vorgekommen waren. Den Krauskopf auf einen Arm gestützt, lag die Herrin im Prachtbette, von kostbarem Nachtgewand umhüllt und lauschte mit der großäugigen Neugier eines Kindes den Geschichtchen der Dienerin, kaum, daß eine Viertelstunde vergangen war, seit der König sie verlassen hatte. Zuweilen freilich griff sie auch eine ganz harmlose Wendung auf, um daran eine häßliche Rede zu knüpfen, die das Geplauder auf böses Gebiet lenken sollte. Mit grinsendem Lächeln sah sie dabei Afra an und wand sich unter der seidenen Decke in den Hüften; dieser aber kam die Erinnerung an die schönen Hexlein der Sage, denen Mäuse aus dem Munde springen. Sie brach in solchen Fällen, wenn es sich eben schicklich thun ließ, die Unterhaltung ab oder fuhr in ihrer Erzählungsweise fort, als habe sie der Herrin Meinung gar nicht verstanden. Bei mannigfacher Gelegenheit sprangen dieser die Mäuse aus dem Munde, und zuweilen schien es Afra, als sollte sie absichtlich damit geneckt werden. Da stieg auch einmal ein zorniger Unwille in ihr auf, und sie dachte daran, sich doch endlich dem eklen Possenspiele zu entziehen, in dem man sich vor einem verdorbenen Kinde voll böser Unarten verbeugen und es »Euer Gnaden« nennen mußte. Aber immer wieder errang der Zug der Liebe den Sieg über solche Verstimmungen, denn immer wieder glaubte sie Spuren besserer Regungen in diesem sündhaften Geschöpfe zu entdecken, aus aller Unsauberkeit der Seele aufleuchtende Lichtpünktchen des guten Willens, und der Glaube an ihre Sendung stärkte sich daran, obwohl sie keinen Weg sah.

Der Versuch, in die Kindheitserinnerungen, für die sich die Herrin so empfänglich zeigte, religiöse Anklänge einzuschmuggeln, scheiterte an einer völligen Gleichgültigkeit. Offenbar hatte schon in deren Kindheit die Religion keine Rolle gespielt. »Das ist ja doch nicht wahr!« »Das ist komisch!« »Erzählen Sie doch was anderes. Das ist ja dummes Zeug!« Mit derlei kühlen Redensarten wurden Versuche dieser Richtung abgelehnt, und Afra war sich klar darüber, daß die Dienerin nicht eine zudringliche Erörterung beginnen durfte. Mit dem Geplauder von Heimat und Jugend und dem Geschichtchenerzählen schien es aber auf die Dauer doch nicht gethan. Jetzt war nun ein ganz neues Licht in die Sache gekommen, aber ein höchst peinliches, höchst verhängnisvolles Licht. Die Reinheit war es, was die sündige Herrin in ihr so gerne anschaute, wovon sie in geheimnisvollem Zärtlichkeitsdrange gelockt wurde. Rein war sie wieder durch Reue geworden. Aber nie würde der Herrin verdorbener Sinn solche Reinheit achten, und der verheißende Zauber war gebrochen, sah sie nicht mehr eine Unbefleckte vor sich. Unerträglich schien es ihr dagegen, mit einer widerlichen Lüge schweigend die Herrin darüber zu täuschen, daß es nicht mehr der echte Duft der Jungfräulichkeit war, der von ihr ausströmte, daß auch ihr Leib den Makel trug. Überhebung war es gewesen, freche Hoffart, mit der sie sich angemaßt hatte, ein Werkzeug Gottes sein zu können. So gnädig ist er nicht, daß er eine Gefallene zu einer That wählt, die eines Engels würdig ist. Innig, mit ganzer, hingebendster Schwesterseele liebte sie in diesem Augenblick das unkeusche Geschöpf, das aus dem Sumpfe zu ihr die Arme emporstreckte und sagte: »Ich schaue so gerne die Reinheit in Dir!« Sie konnte die Schwester nicht retten, sie mußte sie zurücksinken lassen in den Sumpf!

Die Spiegel, die sonst die nackten Reize des Königsliebchens von allen Seiten widerstrahlten, gaben die Gestalt der auf einem Tabouret zusammengekrümmten, die unwiederbringlich verlorene Unschuld bitterlich beweinenden Afra zurück.

Als die Herrin von der Spazierfahrt heimkehrte, stand schon Afra's Entschluß fest, ihr, welches auch die Folgen sein mochten, bei schicklichem Anlasse die Wahrheit zu offenbaren, denn sie hatte sich darauf besonnen, daß diese, wie ihre Art einmal war, früher oder später zu Fragen kommen würde, deren Beantwortung nur in einer unmittelbaren Lüge oder aber in einem Geständnis bestehen konnte, dessen Verspätung um so schädlicher wirken mußte. Sie wunderte sich sogar, daß es bisher noch nicht zu dergleichen gekommen war. Zunächst ergab sich auch jetzt keine Gelegenheit, und sie faßte sich auf eine solche beim Schlafengehen der Herrin.

Diese pflegte, sobald der König ihre Gemächer verlassen hatte, der im Garderoberaum harrenden Zofe zu klingeln und wurde von ihr meist schon im Schlafzimmer angetroffen, jedenfalls aber im Boudoir. Afra hatte schon längst das Geräusch des davonrollenden Wagens gehört und lauschte mit vergeblicher Spannung auf das sie rufende Zeichen. Allmählich wurde sie unruhig, ging ungerufen in das Schlafzimmer, das sie leer fand, und horchte an der Boudoirthür. Tiefe Stille herrschte. Nach einigem Zögern öffnete sie die Thüre. Auch dieser Raum war leer, aber gegen sonstige Gewohnheit war die orientalische Rohrgardine vor dem Kuppelraum weit geöffnet und silbriges Sicht, wie Mondenschein, drang Afra daraus entgegen. Eine gute Weile horchte sie noch einmal ängstlich auf irgend einen Laut. Sie hatte sich nicht getäuscht, der König war bestimmt fortgefahren. Ihr wurde entsetzlich bange in der totenstillen, lichtdurchfluteten, wohlgeruchdurchwehten Pracht. Endlich stürzte sie mit verzweifeltem Entschlüsse in den Kuppelraum hinein, um alsbald einen kurzen Schreckensruf auszustoßen.

Da lag die Herrin auf den Fellen wilder Tiere mit von sich gestreckten Armen. Die mit Spitzen und Netzwerk von Goldschnüren reich verzierte Negligérobe aus graublau schimmerndem Plüsch wallte ihr wirr um die Beine, daß die blumenbestickten himmelblauen Strümpfe sichtbar waren. Afra kniete nieder und sah die Brust sich atmend bewegen. Sie ordnete die Kleider der Herrin und rief und rüttelte sie sanft am Arme. Endlich kamen lallende Laute von deren Lippen. Sie erkannte, daß die Herrin sinnlos betrunken war. Ein Versuch sie zu tragen, mißlang. So richtete sie die Gestalt mühsam auf und schleifte sie Schritt für Schritt nach dem Schlafgemache. Dort erwachte die Trunkene während des Umkleidens auf eine Sekunde zu halbem Bewußtsein. »Afra!« murmelte sie und sah die Zofe mit gebrochenem Blicke an. Afra beobachtete noch eine Weile den tiefen Schlaf der Herrin.

»Armes, armes Geschöpf!« sagte sie dann und hauchte einen zaghaften Kuß auf die Stirn der Schlafenden, ehe sie ging.

Spät am Vormittag wurde sie von der erwachenden Herrin gerufen, die ihr entgegenklagte:

»Oh, mir ist so elend! Ich bin so krank!«

Der Meinung Afras, noch liegen zu bleiben, widersprach sie aber mit den weinerlich klingenden Worten:

»Das Bad wird mir gut thun!«

Langsam, mit schlaff niederhängendem Kopfe glitt sie aus dem Bette und steckte die Füße in die Badepantöffelchen. Als sie dann aufrecht dastand, legte sie die Arme auf Afras Schulter und sagte, sich leicht an deren Brust schmiegend! »Ich schäme mich vor Dir!«

Afra schwieg, aber ihre Rechte berührte mit ganz leiser Liebkosung der Herrin Oberarm. Als sie nach dem Bade im Boudoir den Morgenthee servierte, ergriff diese ihre Hand und sagte, aus ihrer liegenden Stellung zu ihr aufblickend: »Setz Dich ein wenig zu mir. Da, das Kissen trag Dir her! Näher! So!« Afra setzte sich bescheiden auf das seidene Doppelkissen mit den schweren Quasten, dicht am Kopfe der auf dem niederen Diwan gestreckten Herrin und goß dieser aus der kleinen Goldkanne den rauchenden Thee in die gleichartige Schale, die auf einem mit Perlmutter eingelegten japanischen Tischchen stand, das Kitty, ohne sich zu erheben, bequem erreichen konnte. Während diese den Trank abkühlen ließ, sagte sie, an der vor ihr niederhängenden Quaste des Doppelkissens mit den weißen Fingern spielend:

»Ich bin ein rechtes Schwein, nicht wahr?«

»Euer Gnaden!« wehrte Afra ab.

»Vor den anderen, weißt Du, da habe ich mich nicht geniert. Aber Du, Du gehst am Ende fort, magst nicht bleiben, wo es so zugeht.«

»Wenn Euer Gnaden es nicht wünschen, werde ich nicht gehen!« antwortete Afra.

»Wirklich nicht?« rief Kitty, sich mit lebhafter Bewegung ein wenig aufrichtend. »Das ist sehr lieb von Dir!«

Dabei klopfte sie der Dienerin auf den Arm. Dann nippte sie vom Thee und biß mit Behagen in ein Lachsbrötchen.

»Befinden sich Euer Gnaden jetzt besser?« fragte Afra.

»Jetzt nach dem Bade schon; nachmittags kommt es erst so recht heraus. Wie war denn das eigentlich heute nacht?«

Afra erzählte in wenigen Worten den Hergang.

»Ja, ja ... Ich habe ... ihn nicht wie sonst bis in den kleinen Salon begleitet und muß gefallen sein, als ich Dir klingeln wollte. Wüst, wüst! ... Du mußt es nicht falsch nehmen. Ich trinke gern Champagner und habe manchmal ein bißchen was weg; aber so arg kömmt es doch nur selten.« Kitty streckte den Kopf näher gegen die Dienerin und fuhr in leiserem Tone fort:

»Er war furchtbar schlechter Laune. Da hat er denn immer seine Schrullen, und, wenn ich widerstrebe, giebt er mir häßliche Namen. Ich mußte sehr viel trinken, immer das ganze Glas auf einen Zug, und dann hieß er mich noch den Kopf in seinen Schoß legen und goß mir selber den Sekt in den Mund. Da muß man ja betrunken werden!« Afra sagte zögernd:

»Bei mir zu Hause denkt man sich den König so ganz anders – so viel besser.«

»Er ist auch gut«, antwortete Kitty, »und alle Leute haben ihn sehr lieb. Ein so mächtiger Herr will aber nicht im Zwang leben, und immer gut sein müssen, ist ein Zwang. Daß er auch einmal anders sein kann, so, wie er gerade das Gelüste hat, dazu bin ich eben da. Vor seinen Unterthanen muß er sich als würdiger König zeigen, das ist er seiner Ehre schuldig. Vor mir braucht er sich nicht zu schämen und kann er sich gebärden, wie es ihm beliebt.«

Afra schüttelte langsam den Kopf.

»Er ist auch mit mir meist ganz gut!« fuhr Kitty fort. »Wenn er mich schlecht behandelt hat, thut es ihm hinterher immer leid. Gewiß schickt er mir heute irgend ein Geschenk. Aber geschämt habe ich mich wahrhaftig vor Dir. S'ist ganz gut, daß Du bei mir bist ...«

Nach einer Weile, indessen sie starr vor sich hinsah, sagte sie:

»Letzte Zeit träume ich wieder von Mama. Sonst habe ich immer nur unanständige Sachen geträumt. Das kommt von Dir. Seit meine gute Mama tot ist, seit meinem zehnten Jahre, hat mich niemand mehr lieb gehabt. Du hast mich aber lieb?«

»Von ganzem Herzen, Euer Gnaden!« antwortete Afra bewegt.

Kitty setzte sich auf und raunte ihr vertraulich zu: »Wenn wir allein sind, dann sag' nicht Euer Gnaden zu mir. Duze mich auch!«

»Ich, der Dienstbote!« meinte Afra zaudernd und von einem drückenden Gedanken beschwert.

»Ich will's, ich will eine Freundin haben! Und jetzt gieb mir auch einen Kuß!« Mit diesen lebhaften Worten wendete sie Afra ihr Gesicht zu. Diese aber, in deren heißgeröteten Zügen verhaltenes Weinen zuckte, sprach leise, gesenkten Hauptes vor sich starrend:

»Ich darf es nicht, denn ich bin nicht, wofür Sie mich halten.«

»Was soll das heißen?« fragte Kitty verwundert. Dicke Tropfen rannen langsam über Afras Wangen, als sie in wenig Worten ihr Geständnis ablegte.

»Auch Du!« sagte Kitty gedehnt und erst nach einer kleinen Pause befragte sie die jetzt heftig Weinende nach dem Näheren. Afra erzählte und erzählte auch von den bitteren Qualen ihrer Reue.

»Armer Schelm!« sagte Kitty dann, ihr die Hand auf die Schulter legend. »Da hast Du viel durchgemacht. Aber da sieht man's, was es mit solchen Liebschaften ist! Und jetzt willst Du gar nichts mehr von den Männern wissen?«

Afra lächelte bitter.

»Freilich, wenn man so hereingefallen ist«, fuhr Kitty nachdenklich fort. »Und doch ... die Frömmigkeit hat Dich so über alles hinweggebracht, als wenn es gar nicht gewesen wäre?«

»Nicht, als ob nichts gewesen wäre!« versetzte Afra schwer aufseufzend.

»Ich meinte« ... fuhr Kitty, alsbald stockend, fort, ich wollte nur sagen, daß Du wieder so ganz brav geworden bist ...«

Dann faßte sie Afra an beiden Schultern und sagte lebhaft:

»Mir bist Du fast lieber, da ich das weiß, daß es auch Dich nicht verschont hat. Und Du hattest Vater und Mutter, und nichts zwang Dich dazu.«

»Ich wollte Dir nicht weh thun, nein, nein!« unterbrach sie sich, als Afra heftig aufschluchzte. Bei der einen geht es so, bei der anderen anders. Alle sind wir dazu da, daß die Männer uns schlecht machen, und die verschont bleiben, bleiben es nur deshalb, weil sie ihnen nicht nahe genug kommen können.«

Afra schüttelte den Kopf.

»Das glaubst Du nicht?« sagte Kitty. »Du beweisest es ja gerade. Du wärst auch nicht fromm geworden, wenn er reich gewesen wäre und Dich zur großen Dame gemacht hätte. Dann hättest Du nach seinem Tode Dir eben einen anderen Liebhaber gesucht. Aber mir bist Du recht so. Mir gefällt Deine Bravheit, und ich weiß dazu, daß Du auch schon was erlebt hast. Das giebt viel mehr Zutrauen. Und jetzt giebst Du mir doch einen Kuß!«

Lächelnd näherte Afra ihr Gesicht, und Kitty küßte sie zweimal auf den Mund.

»So, jetzt bist Du meine Freundin, ganz im geheimen; das ist reizend!« sagte Kitty und rieb sich die Händchen, die sie dann über den Kopf legte, um fortzufahren:

»Fromm brauche ich ja deshalb nicht auch zu werden.« »Aber«, setzte sie hinzu, »ein bißchen will ich doch von Dir lernen. Die anderen haben mich ja gar so schlecht gemacht!«

Ein Lakai begehrte vorgelassen zu werden und überreichte ein vom Hofjuwelier im allerhöchsten Auftrag geschicktes längliches Paket. Kitty ließ es durch Afra öffnen. In einem Sammetetui lag, in zwei Teile zerlegt, ein Sonnenschirmstock ganz aus Elfenbein, der Griff zierlich geschnitzt, mit Goldfiligran und Perlen verziert und eine Lapis-Lazulikugel mit Brillantsternen als Knauf.

»Hab' ich's nicht gesagt?« wandte sich Kitty zu Afra. »Dafür kann man sich doch betrunken machen lassen? Bei Euch auf dem Lande giebt's so etwas nicht! Ihr habt leicht fromm sein und bereuen!«

Afra sah sich noch gezwungen, das Prachtstück mit einigen ungeschickten Redensarten zu bewundern, dann fand sie einen Vorwand, sich zurückzuziehen.

Sehr selten kam es in der Folgezeit vor, daß Kitty im Verkehr mit Afra ein Mäuslein über die Lippen sprang und, wenn es geschah, sah sie scheu wie ein ertapptes Kind auf deren ernster gewordene Miene. Aber der grellen Gegensätze und jähen Übergänge gab es in dem Freundschaftsbunde zwischen der sündigen Herrin und der büßenden Dienerin doch fast täglich.

Kitty hing mit überschwenglicher Zärtlichkeit an Afra.

Das »Guten Morgen« und »Gute Nacht« war stets von einem Kusse begleitet. Sie offenbarte eine mutwillige Freude, wenn es gelang, die Freundin in unauffälliger Weise längere Zeit bei sich zu halten und ersann dazu allerlei Vorwände. Immer wieder hörte Afra: »Ich hab' Dich so lieb!« und selbst vor der Dienerschaft wurde sie »liebe Afra« genannt, in den Unterhaltungen unter vier Augen hieß sie »Herzchen«, »liebes Kind« und dergleichen. Sie hatte Mühe, sich der Geschenke zu erwehren, die ihr immer wieder mit dringlichem Eifer angeboten wurden und kam schließlich nicht darüber weg, sich wenigstens reichliche Beiträge zur Unterstützung der Ihrigen gefallen zu lassen, da auf ihre anfängliche Weigerung Kitty mit schmollenden Thränen geantwortet hatte. Für die gemeinsame Unterhaltung fehlte es nie an Stoff, nötigenfalls mußten die Hunde, Affen und Papageien herhalten. Bei alledem änderte sich nichts an den sonstigen Gewohnheiten Kittys. So bemerkte Afra recht wohl, daß der in fremder Sprache geführte Verkehr mit der Kammerfrau dazu diente, eingewurzelte Gelüste zu befriedigen. Das geschah mit der Heimlichkeit eines verbotenen Streiches. Der Ton der hingeworfenen oder gemurmelten Sätze, die scheuen Seitenblicke auf sie sagten ihr, um was es sich bei den Badegesprächen handeln mochte, und wiederholt nahm sie wahr, daß die Herrin in die Garderobestube, wo neben der Kammerfrau auch Binchen arbeitete, gegangen war und sich dann bei ihr verlegen und mit ungeschickten Ausreden förmlich verteidigte.

Auch nach manchen Damenbesuchen glaubte sie an der Gebieterin eine Nachwirkung zu bemerken, die einige Male geradezu danach aussah, als ob sie der neuen Freundschaft überdrüssig sei, sich davon gelangweilt fühle. Die Bachmann zwar hatte trotz ihres gewohnten täglichen Erscheinens ihren Einfluß so ziemlich verloren, und mit ihr gab es nach den eigenen Mitteilungen der Gebieterin mehr spitze Redensarten und Reizbarkeiten, als freundschaftliche Unterhaltungen. Frau Kern schien sich nur über Modeneuigkeiten und dergleichen zu unterhalten. Von den anderen aber, die gelegentlich vorsprachen, richtete sich Afras Interesse vor allen auf Frau von Ablinowski, die von der Gebieterin neuerdings besonders ausgezeichnet wurde und deren Namen sie öfters nannte, unter anderm auch in der Weise:

»Sie ist sehr chick und hat viel gesehen! Ich glaube aber auch, daß sie viel durchtriebener ist als alle anderen. Sie läßt es sich nur nicht so merken.«

Ein andermal sagte sie:

»Du gefällst der Ablinowski.«

In der That sah sie sich von dieser Dame mehrfach bei kleinen Handreichungen neugierig beobachtet.

War so ins Wesen der Gebieterin etwas Zwiespaltiges gekommen, ein Schwanken zwischen reinem Liebesbedürfnis und der Macht alter Gewohnheiten und Gelüste, so fühlte sich auch Afra selber verwandelt. Die schier fromm anmutende Zuneigung Kittys, aus der eine tiefinnerste Sehnsucht sprach, machte die Sünderin ganz und gar vergessen und auch der jugendwarmen Heiterkeit konnte sie sich nicht entziehen, ihr that's selber wohl, dem strengen Ernste auf eine Weile zu entfliehen, und sie nahm teil an einem erquickenden Gelächter, in dem sich auch die eigene Jugend Geltung verschaffte. Sie stand nicht mehr einsam in der Fremde, war keine herablassend behandelte Magd, sondern die Gefährtin eines liebenswürdigen jungen Mädchens. Das gab so viel Behagen, das wärmte das Gemüt. Die Verhältnisse im Hause trieben erst recht dazu, sich an diesen wohlthuenden Empfindungen immer wieder zu erquicken, in ihnen stets neuen Anreiz zu finden.

Frau Bachmann hatte ihre Ohnmacht eingesehen, irgendwie unmittelbar einzugreifen. Das Königsliebchen war so selbständig geworden, daß ein zu dreistes Vorgehen sie höchstens völlig über Bord schleudern konnte. Es war ihr immer deutlicher geworden, daß nicht bloß von Afra, sondern auch von Frau von Ablinowsky her ihre Macht untergraben wurde. Der Gatte aber hatte auf ihre Klagen hin sehr schroff jede Intrigue bei der Person des Königs abgelehnt, da er seinen Einfluß für wichtigere Dinge als solche Weibergeschichten brauche, die den hohen Herrn nur ärgerlich machen könnten. Dazu aber sei um so weniger Anlaß gegeben, als wie das Königsliebchen sich von ihr emancipiere, auch er beim König den Höhepunkt des Einflusses überschritten habe. Die Dinge seien ebendahin gekommen, daß man ihrer nicht mehr unbedingt bedürfe, und da konnte eine Kleinigkeit Wirkungen üben, die er möglichst lange aufschieben wolle. Frau Bachman beschränkte sich demnach darauf, Afra möglichst Unbequemlichkeiten zu bereiten. Zu diesem Behufe ergänzte sie ihr eigenes möglichst verletzendes Benehmen gegen das Mädchen durch eine erfolgreiche Aufhetzung des ganzen Personals. Diese Duckmäuserin, so hieß es, will das Königsliebchen fromm machen. Natürlich läßt der König seine Geliebte nicht mittellos ihres Weges ziehen, sondern es giebt eine Abfindung oder mindestens eine stattliche Pension, und während der ganze große Train sehen kann, wo er anders unterkommt, sitzt Fräulein Afra hübsch warm als Gesellschafterin des ehemaligen Königsliebchens und teilt sich mit den Pfaffen in die Beute. Mit einer Verschwörung hatte man es zu thun, mit einer feingesponnenen Intrigue der Kirchlichen. Jedermann begegnete ihr trotzig und mürrisch, halblaute Schmähworte wurden ihr gelegentlich nachgerufen, mit allerlei kleinen Bosheiten suchte man sie zu ärgern und ihr den Dienst zu erschweren. Gerade Frau Kullich, die ihr bisher als die vertrauenswerteste Person des ganzen Hauses erschienen war, benutzte eines Tages ihre arglos freundliche Annäherung dazu, sie in Gegenwart mehrerer Dienstgenossen in heftigster Weise anzugreifen.

Sie wollte nichts zu thun haben mit einer solchen Schleicherin, sagte sie, die dunkle Zwecke verfolge und darauf ausgehe, ehrliche Leute um ihr gutes Brot zu bringen. Wenn sie es gar so ernst mit der Tugend meinte, dann wäre sie erst nicht in das Haus des Königsliebchens gekommen und hätte sich zumal nicht dazu gedrängt, ganz allein mit dem persönlichen Dienste betraut zu werden. Da gäb's doch allerlei, was frommen Augen und heiligen Händen ein Ärgernis sein müßte. Wie komme denn auch eine ganz gemeine Landpomeranze dazu, sich um das Seelenheil des Königsliebchens zu kümmern? Der Einfall sei nicht in ihrem Kopfe gewachsen. Ehrliche Dienstboten arbeiteten für ihre Herrschaft, der sie dienen, oder gingen, wenn ihnen die Herrschaft nicht paßt, aber mit Spionieren und Intriguieren für andere Leute gäben sie sich nicht ab.

»So, jetzt kennen Sie meine Meinung«, schloß Frau Kullich ihre Rede. »Beschweren Sie sich, wenn Sie wollen und machen Sie, daß ich mit Mann und Kind hinausgeworfen werde. Mir gilt's gleich! Sagen mußte ich Ihnen einmal, daß ich Sie für eine hinterlistige Kreatur halte.«

Die Zeugen lächelten höhnisch und nickten mit dem Kopfe.

Aber es erwuchs ihr ein Beschützer in dem Mohren Willy. Sie sah recht wohl, daß der schwarze Bursche in sie verliebt war. Diese Wahrnehmung berührte sie komisch, gefiel ihr aber auch mehr und mehr, denn Willy war sehr respektvoll gegen sie, und seine Beflissenheit, ihr gefällig zu sein, von anderen ihr bereitete Bosheiten zu hindern oder unschädlich zu machen, trug den Charakter einer gutmütigen Ritterlichkeit, die durch ein freundliches Wort, ein lächelndes Zunicken zu grinsender Freude beglückt wurde.

Auch Kitty wurde auf des Mohren verliebten Eifer für Afra aufmerksam und fand in kleinen Neckereien darüber eine neue Würze der freundschaftlichen Unterhaltungen. Diese hielt solchen Scherzen mit heiterer Abwehr stand. Der Gebieterin Freude an Putz und Modetand, die auch in den vertraulichen Gesprächen eine wesentliche Rolle spielte, erweckte dagegen auch in ihr das natürliche weibliche Interesse an solchen Dingen um so lebhafter, je mehr die tägliche Übung ihre Kenntnisse bereicherte und, je mehr Kitty bei den Vertraulichkeiten der Toilette sich eines größeren Zartgefühles gegen die bedienende Freundin befliß, desto geläufiger wurden dieser ihre Obliegenheiten als eine Berufsübung, die in den mannigfaltigen, höchste Sorgfalt, rasche Geschicklichkeit und genaue Aufmerksamkeit erheischenden Einzelheiten einen künstlerischen Reiz hatte. Sie war ehrgeizig darauf, jede Essenz, jedes Parfüm und die Dosis, in der sie verwendet wurden, im Griffe zu haben, das kosmetische Bad mit allen seinen Chicanen so zu bereiten, daß die Kammerfrau nur die Richtigkeit zu bestätigen brauchte, jedes Stück der Garderobe auswendig zu wissen und bei den Toiletteberatungen ihre Meinung abgeben zu können. Der Körper der Gebieterin war ihr ohne jeden Nebengedanken der Gegenstand höchster Kunstleistungen und feinster Hantierung geworden, in der sie mit der Kammerfrau wetteiferte, eifersüchtig, ihn nicht allein unter den Händen zu haben. Der eigentliche Zweck all dieses Bemühens kam ihr gar nicht mehr in den Sinn, das Kommen und Gehen des Königs war ein ordnungsmäßiger Vorgang, über den man nicht sprach und nicht dachte. Zeitweilig freilich tauchte es in ihr wie Gewissensvorwürfe auf, daß sie ganz verweltliche und ihre religiöse Empfindung sich verflache. Aber sie war eben nicht mehr im Dorfe, und in der Welt geht es gar merkwürdig zu. Sie hatte dieses Königsliebchen so lieb, und ihm den Rücken zu wenden, weil es sich nicht mit Gewalt bekehren ließ, wäre doch nicht christlich gewesen. Man muß Geduld üben mit den Sündern. Daß sie all die Herrlichkeit hinter sich werfe und in Armut eine Heilige werde, war von ihr vernünftigerweise doch nicht zu begehren. Manches war schon besser geworden, und menschlich war es jedenfalls, einem Wesen treue Liebe zu bewähren, das sonst nur gewinnsüchtige Ausbeuter um sich gehabt und von Gutem gar nichts erfahren hätte.


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