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Drittes Kapitel

»Da ist noch etwas, mein lieber Lanzendorf!« sagte der König zum Hofmarschall, als dieser am Schlusse der täglichen Meldung die übliche Frage nach etwaigen weiteren Befehlen gestellt hatte. »Ich habe Sie bisher damit nicht behelligt und will es auch ferner nicht, aber wissen müssen Sie schließlich doch davon. Es betrifft die Sängerin Rita. Ganz neu wird Ihnen die Sache ja nicht sein!«

Graf Lanzendorf erwiderte: »Es ist mir allerdings bekannt, daß die Dame sich der allerhöchsten Gnade erfreut.«

»Nun also! Ich habe dem Dannenberg allerlei Aufträge für ihre Etablierung gegeben. Vor allem Ankauf und Einrichtung einer passenden Villa. Es wird wohl noch manches im Laufe der Zeit dazu kommen. Ich wünsche, daß keine Schwierigkeiten entstehen und vor allem die Dame selbst nicht irgendwie durch Bedenklichkeiten belästigt wird! Sie sind ja ein musterhafter Chef meines Hofhaushaltes, lieber Lanzendorf, aber ich kenne Sie und weiß, daß es Ihnen ein Greuel ist, wenn derartige Depensen zu große Dimensionen anzunehmen scheinen.«

Graf Lanzendorf verneigte sich mit einer leise protestierenden Gebärde. »Ja! ja!« fuhr der König heiter fort. »Es ist mir nicht unbekannt geblieben, daß Sie in ähnlichen Fällen indirekt Wasser in meinen Wein gemischt, und, soweit Sie es vermochten, meine Gnadenbezeugungen erst nach einer Verdünnung oder Beschränkung an ihre Adresse gelangen ließen. Ich würde ja sonst gar nicht mit Ihnen über die Angelegenheit sprechen. Diesmal aber müßte ich ernstlich zürnen, wenn Sie mich heimlich bevormunden wollten. Lassen Sie also Dannenberg machen und legen Sie ihm nichts in den Weg.« Der Graf verneigte sich wiederum stumm, und mit einem etwas spöttischen Lächeln wünschte der König ihm guten Morgen.

Dieser Lanzendorf war ein treuer Diener, und es hatte den König nur ergötzt, hinterher zu erfahren wie er wiederholt gerade die galanten Ausgaben seines Herrn auf listige Weise kontrolliert und so gelenkt hatte, daß der königliche Wille auf eine möglichst wohlfeile Art ausgeführt wurde. Das ging aber bei Kitty ganz und gar nicht an.

König Lothar war allein geblieben, an das Fenster seines Arbeitszimmers getreten und sah auf das breite, glitzernde Band des Stromes hinab, der in scharfer Krümmung aus dem Gebirge heraustrat, auf die felsdurchmischten Waldberge in ihrer herbstlichen Farbenpracht, auf die an beiden Ufern sich dehnenden Vororte, dort aus Villen, die zwischen buschigen Anlagen hell glänzten, anderswo aus großen Häusermassen mit aufragenden Türmen bestehend. Ganz in der Ferne stiegen Fabrikschlote empor, und die Morgensonne machte die Dampfwolken, die sie ausatmeten, weiß schimmernd. Weithin überspannte das blaue Himmelsgewölbe die bunt bewegte, von der Gebirgskette begrenzte Fernsicht. Wie er vom Berge ins schöne Thal hinabsah, so stand er auf ragender Höhe als Führer eines tüchtigen Volkes, eines stolzen Landes, geliebt und geehrt.

Sechs Jahre trug er jetzt die Krone. Seinem kriegerischen Vater, unter dessen siegreicher Herrschaft das Waffengeklirr die Hauptmusik gewesen und der Soldat die herrschende Kaste gebildet hatte, war er als Friedensfürst gefolgt, der den Künsten huldigte, seine Hauptstadt zu einer der schönsten Europas gestaltete und im ganzen Lande neues Leben erstehen ließ. Er wollte ein großer König sein, und man hielt ihn auch dafür. Trotz aller Siege hatte der kriegerische Vater nur verwickelte politische Zustände hinterlassen, aus denen immer neue Kriege hervorzugehen drohten.

Als flugbereite Adler lauerten die Nachbarmächte auf seine Schwäche, als er den Thron bestieg. Weil er dem Übergewichte der Generale in der Umgebung seines Vaters nicht hold gewesen, war er von der Militärpartei als ein Schwächling verschrieen worden, der mit leichtem Sport und Weiberjägerei Zeit und Kraft vertändle, trotzdem er sich im Kriege als guter Soldat gezeigt hatte. Seiner staatsmännischen Klugheit, seiner besonnenen Kraft des Auftretens war es jedoch gelungen, alle Verwickelungen auszugleichen und im sicheren Frieden mit den Nachbarn zu leben. Dem großen Krieger war der große Staatsmann gefolgt.

War es nicht beschämend, ein solcher König zu sein und sich so viel mit einem Persönchen, wie diese Kitty zu beschäftigen, so vernarrt in das Dingelchen zu sein? Es war was anderes als Vernarrtheit oder eine Vernarrtheit besonderer Art. Dieses Geschöpf war's, was er brauchte, was gärende Mißstimmungen in ihm beruhigte und geheime Empfindungen befriedigte. Das Weib! Man kann es nicht entbehren und ein König zumal nicht.

Da ist der Kronprinz großjährig geworden. Erst war er von Gouverneuren streng bewacht, abgeschlossen von aller fröhlichen Kameradschaft, denn die hochadligen jungen Herren, die man zuweilen zu ihm lud, waren wohl darüber belehrt, daß der Spielgefährte ein besonderes Ding sei, das vorsichtig angefaßt werden müsse. Jetzt geht es hinaus ins Leben. Was ist für einen Prinzen das Leben? Die Vergnügungen des Studenten, des jungen Offiziers verschließt ihm die Etikette zum wesentlichsten Teil. Er darf sich die Freunde nicht aussuchen, wie er will, hat nur innerhalb einer engen Grenze die Freiheit der Bewegung. Der Lebensdrang, die Jünglingsneugierde treiben zum Weibe hin, und willfährige Leute giebt es, die einem Prinzen bei diesem Drange gefällig mit Rat und Beihilfe sind. Das Weib und immer nur das Weib ist der Höhepunkt des Lebensgenusses für einen Prinzen. Und was für Weiber! Keine fröhliche Jünglingsliebschaft, keine tolle Schwärmerei: Damen aller Art, die recht wohl wissen, worauf es bei einer Prinzenliebschaft ankommt, eine eitle Ehebrecherin aus der Gesellschaft oder ein junges Ding, das man ihm verkuppelt hat! Und wenn es anders kommt? Da war sie gewesen, Ida, des Oberstallmeisters liebliches Töchterchen. Was gut und rein an ihm war, brachte dieses Wesen in dem Jüngling zu reicher Frühlingsblüte und mit Verachtung kehrte er dem bisherigen Treiben den Rücken. Ein aufgefangenes Briefchen, – welch seelenvolle edle Briefe konnte sie schreiben! – Die arme Comtesse wurde zu entfernten Verwandten gebracht und dort baldigst verheiratet, der Kronprinz aber kehrte zurück in die lustige Gesellschaft der Halbweltlerinnen und Balletteusen!

Einige Jahre später verheiratete man ihn. Die ausgesuchte Braut war schön, er willigte in den Plan und er hatte es gut vor. Da war nun wieder die Prinzessinnenerziehung das gerade Gegenstück zur eigenen. Eine Prinzessin ist kein Weib. Die Etikette hat ihre weiblichen Gefühle zugerichtet, wie die Füße der Chinesinnen zugerichtet werden. Seine Gattin war eine tadellose Königin, sie wußte, daß sie die Aufgabe hatte, die Dynastie fortzupflanzen und sie erfüllte diese Aufgabe, aber sie gab dem Könige nicht, wessen sich der ärmste Mann erfreut, die trauliche Liebe, die natürlich menschliche Empfindung. Es war gewiß nicht böser Wille. Sie konnte eben nicht lieben. Als er dann des Kampfes mit ihrer Kälte müde geworden war, da kam jene Art von Eifersucht, die nicht dem Schmerze betrogener Liebe, sondern der weiblichen Eitelkeit entsprang, die sich in die Maske des Stolzes hüllte und beleidigt schien, daß niedriger geborene Geschöpfe die Gunst des Königs mit ihr teilten. Diese stolze Betonung von Würde und verletzten Rechten verband sich mit Reizbarkeiten und Kränkungen, die die Erkältung nur vermehrten. Eine öde Heuchelei vor dem Volke, die jeder Höfling durchschaute, trat an die Stelle des Familienlebens. Das Glück des Menschen war dahin. So blieb nur der König übrig.

Sein eheliches Ungemach hatte ihn dazu verführt in der Betonung seiner Königswürde, in dem Nimbus des Majestätsbegriffes eine Art Narkose zu suchen, die das Mißbehagen ersticken, die Seele in steter Erregung halten sollte. Aber vom Puppenspiele des Hofceremoniells abgesehen, das doch nicht ernst zu nehmen war, sah er sich auch hier beengt, geärgert, sobald er ganz ein König, ein aus eigener Kraft schaffender Herrscher sein wollte. Da war erst das Parlament, dem er grundsätzlich nicht abhold, wie sein Vater, war, das aber nur zu oft sich zu kleinlich erwies, seinem großen Wollen gerecht zu werden und Lieblingspläne die mehr als Launen und Spielereien waren, um nichtiger Gründe willen kurzsichtig vereitelte. Dann kamen Minister und Bureaukraten, spießbürgerlich denkende Stadtbehörden, Interessentengruppen, nicht zuletzt die Geistlichkeit mit ihren Schrullen, und das alles lähmte bald da, bald dort mit diesen und jenen Bedenklichkeiten und Intriguen die freie Flugkraft des Königswillens, unterwühlte immer bohrwurmartig den Bau schöner Gedanken. Das allein bot reine Freude, wenn er, mit dem niederen Volke, Bauern und Kleinbürgern in Berührung kommend, sah, wie diesen Leuten das Königtum noch von um so größerem Glanze umgeben schien, je leutseliger er die Krone und den Purpurmantel verbergend als Mensch mit Menschen sprach. Aber auch diese Freude zwang die Etikette in mehr oder minder enge Schranken und gestattete ihr nur eine gelegentliche, zufällige Äußerung. Nur dann war der König frei, hemmte ihn nicht nur nichts, sondern überbot man sich an dienstfertigem Eifer, wenn es galt durch Wollust zu ersetzen, was eine unglückliche Ehe an Liebesglück entbehren ließ. Die alte Prinzenwirtschaft trat wieder in Geltung, mit dem Unterschiede nur, daß sich dem Könige die Opfer noch williger boten, als dem Prinzen.

Eine Wendung kam, als die Waldeyer mit dem Zauber schöner Augen und anmutiger Beredsamkeit auf ihn wirkte. Da schien es fast als würden tiefere Gemütsbedürfnisse befriedigt, als fände eine einsame Seele endlich die verständnisvoll mitfühlende Genossin. Aber nach einer Weile holder Täuschung mußte König Lothar mehr und mehr erfahren, daß er nicht so sehr geliebt war, als vielmehr einem ehrgeizigen Kopfe als Mittel zum Zwecke diente. Herrschen, Macht besitzen wollte dieses Weib, das mit Schlangenklugheit die wechselnden Stimmungen herauszufühlen verstand und jetzt mit geistreichem Geplauder, jetzt mit sinnlichen Lockungen den königlichen Geliebten fesselte. So geschickt spann die Sirene ihr Netz, so sicher war sie ihrer Kunst, daß sie weder seinen gelegentlichen Zorn fürchtete, noch ihren eigenen Launen und Verstimmungen Zwang anthat. Sie hatte in seiner Seele gelesen und wußte, was sie ihm ersetzte und wie sehr er sich davor fürchtete, wieder in das leere Treiben der flüchtigen Gelüste zurückkehren zu müssen. In der That ließ er sich von ihr tyrannisieren.

Wie nahe auch zuweilen der Bruch drohte, immer war er es wieder, der sie ihre Unentbehrlichkeit erkennen ließ. Dadurch wurde sie kühner gemacht, ließ sie sich allerlei Übergriffe in Intriguen und Machenschaften zu Schulden kommen, deren er endlich überdrüssig wurde. Die Eifersuchtsscene, die sie mit einer Ballettänzerin auf der Bühne vor dem ganzen Personal ausfocht, war nur der zufällige Anlaß zu der entscheidenden That, die ihren Pompadourgelüsten ein Ende bereitete. Er aber hatte die letzte Illusion verloren. Auch keine Maitresse von geistiger Bedeutung durfte er haben, wenn er nicht ein Schwächling werden wollte, denn von einem König geliebt zu sein, reizte die Herrschsucht, die Machtbegierde des klugen Weibes. Und diese Rita jetzt? Ein weißes Tierchen, hatte er sie in kosendem Scherze genannt. Das war das Rechte für den Mann, den der Königsreif um höheres Glück gebracht hatte! Ein anbetungswürdiger Engel oder ein weißes Tierchen! Denn jegliches Mittelding mit falschen Flügeln und echten Krallen ist vom Übel am Weibe!

War's ruchlos, ein Verbrechen an der Menschenwürde, was er an diesem willenlosen, von der Königsmacht hypnotisierten Kinde beging? Auch ein König will leben! Hatte man nicht auch ihm die Seele verstümmelt, ihm das Weib in Engelsgestalt verweigert und ihn gezwungen den menschlichen Lebensdurst statt aus reinem Quell, mit berauschenden Giften zu löschen? Was ist's denn überhaupt um die Seele eines solchen Geschöpfes mit hübscher Larve und rundem Leib?

Wie viel von dem großen Menschengeist steckt denn darin? Nur Aberglaube oder überspannte Ideologie können die absurde Meinung hegen, in jedem menschlichen Leibe wohne eine gleich kostbare Seele. Der schaffende Geist weiß nichts von solcher Gleichheit, wie er nichts weiß von gleicher Schönheit, von gleicher Kraft des Körpers. Wahnwitzig, wider alle Vernunft wäre der Gedanke, in dieser Kitty wohne eine Seele, gerade so wertvoll wie seine, des weisen, Großes schaffenden Königs!

Graf Lanzendorf war bald nach der Unterredung mit dem König im Frühstückszimmer des auf der Herrenseite gelegenen Hotel Metropole erschienen, wo sich täglich verschiedene Aristokraten und höhere Offiziere beim Wein zu finden pflegten. Auch der Hoftheaterintendant befand sich in der Gesellschaft. Die Rede kam auf die Sängerin Rita, und man berührte mit vorsichtiger Zurückhaltung das Stadtgespräch von der außerordentlichen Gunst, deren sie sich an allerhöchster Stelle erfreue. Einer der Herren wendete sich an den Intendanten mit der Frage:

»Rita ist wohl nur ein Theatername?«

»Allerdings«, lautete die Antwort. »Mit ihrem wirklichen Namen heißt sie Brettschneider.«

»Woher kommt sie?« war die Frage eines anderen Herrn.

»Aus Wien!« Etwas vertraulicher fügte der Intendant hinzu: »Sie ist bei Verwandten erzogen worden. Ihre verstorbene Mutter war auch Sängerin. Scheint mir ein uneheliches Kind zu sein.«

Graf Lanzendorf entfernte sich früher als gewöhnlich aus der Gesellschaft. Nachdenklich langsam wandelte er durch die Parkanlagen des Villenviertels den Berg hinauf nach seiner Dienstwohnung in einem Nebenbau des hohen Schlosses. Kein Zweifel, diese Rita, die neue Favoritin des Königs, war sein eigen Fleisch und Blut. Er war damals Premierleutnant in einem preußischen Kavallerieregiment gewesen, als das Liebesverhältnis mit jener Sängerin Brettschneider spielte. Die längst vergangene Zeit trat ihm in deutlichen Bildern vor die Seele. Er war doch eigentlich so etwas wie der Verführer des schönen, in ihn verliebten Mädchens gewesen. Die Beziehungen zur Mutter waren bei der Geburt des Kindes schon abgebrochen und eine Abfindungssumme notariell festgelegt. Er hatte den Tod der ehemaligen Geliebten durch deren Bruder erfahren, mit der Mitteilung, daß das Kind bei diesem erzogen würde. Dann hatte er noch einmal davon gehört, vor zwei Jahren, als jener Bruder schrieb, die Abfindungssumme sei so ziemlich für die Erziehung des Mädchens aufgegangen und einen Zuschuß zu dessen weiterer Ausbildung für die Bühne erbat. Den Zuschuß hatte er gewährt, und damit waren die Beziehungen wieder erloschen.

So ein uneheliches Kind steht dem Gefühle nicht nahe, ist etwas Fremdes. Und doch gab es einen quälenden Stich, eine höchst peinliche Empfindung, dieses Wesen, dem man gewissermaßen wie ein Schuldiger gegenüberstand, als Favoritin des Königs zu wissen und noch dazu alles aus nächster Nähe ansehen, immer den pikanten Klatsch darüber anhören zu sollen. Zu ändern war an der Sache nichts mehr. Es wäre nur ein heilloser Skandal geworden, wenn er sich etwa als Vater bekannt und das Mädchen der fragwürdigen Stellung entzogen hätte. Er war dann nicht nur bei Hof unmöglich, sondern zerstörte auch den Frieden seiner glücklichen Ehe. Seine Frau war eine reiche Erbin aus altem Adelsgeschlecht gewesen. Durch sie war er nach Siebenburgen gekommen und das Ansehen ihrer Familie hatte zunächst veranlaßt, daß sich die Aufmerksamkeit des Hofes auf ihn lenkte und so der preußische Offizier a. D., der »Fremde«, zum Ärger weiterer Kreise eine Stellung errang, die man als natürliches Monopol der Einheimischen zu betrachten gewohnt war. Um jeden Preis hätte er die Anstellung des Mädchens an der Hofbühne hintertrieben; aber er kümmerte sich sonst sehr wenig um die Theaterverhältnisse. Man hatte ihm da in irgend welcher zweifelhaften Absicht einen bösen Streich gespielt. Wußte sie, wer ihr Vater war? Sich ihr persönlich zu nähern und sie auszuhorchen, war eine zu peinliche Sache. Ließ er dies durch eine Mittelsperson besorgen, so riskierte er einen Vertrauensbruch und den Stadtklatsch. Schriftliches nach Wien zu schicken schien nicht minder gefährlich. Etwas mußte aber noch zu rechter Zeit geschehen.

Man hatte in den Bekanntenkreisen des Grafen kaum von seiner Abwesenheit erfahren, als er schon wieder im Hotel Metropole beim Wein saß und erzählte, er sei in Vermögensangelegenheiten seiner Frau, die österreichische Industriepapiere in hohen Beträgen besitze, in Wien gewesen.

Eines Tages erhielt Kitty einen langen Brief ihres Oheims, der sie aus ihrer Verzauberung weckte und ihr die ganz vergessene Vergangenheit in Erinnerung brachte. Es war am Vormittag. Sie hatte eben ihr Bad genommen, saß von einem weiten, dunkelgrünen, mit dem grauen Federflaum einer kostbaren Vogelart verbrämten Schlafrock lässig umhüllt in den Fauteuil zurückgelehnt, und nippte bald an der Theetasse, bald kitzelte sie Muckerl, der sich in ihrem Schoß, das faltige Gesicht in ihren gebogenen Arm gelegt, recht bequem gebettet hatte, an den nackten Händen, daß er die Zähne fletschte und die Fingerchen abwehrend spreizte, als ihr der Brief überbracht wurde. Schon als sie die österreichische Marke mit dem deutlichen Stempel »Wien« sah, richtete sie sich so hastig auf, daß Muckerl erschreckt mit einem quiekenden Ton zu Boden sprang und aus einiger Entfernung, auf allen Vieren stehend, sie zornig ansah. In dem Briefe teilte der Oheim mit, er habe erfahren, in welchem Glanze sie lebe. Wenn auch zu einem Glückwunsche kein Anlaß vorliege, wolle er ihr doch andererseits keine Vorwürfe machen. Sie sei jetzt selbständig und habe mit ihrem Gewissen abzumachen, was sie thue. Daher habe sie keinerlei Einmischungen in ihr Treiben zu befürchten, obgleich die gute Tante bittere Thränen vergossen habe und sich nicht ohne tiefsten Schmerz in den Gedanken finden könne, daß die strengen Grundsätze eines soliden Bürgerhauses von ihr so überaus rasch mit Anschauungen vertauscht worden seien, in die sich eben eine schlichte Frau nicht so kurzweg finden könne. Cousine Therese habe von allem natürlich keine Ahnung, denn dieses unschuldige Kind wolle man nicht in solche Dinge einweihen. Er verzeihe ihr in väterlicher Milde, denn er begreife, wie groß die Versuchung gewesen sei. Dann hieß es weiter: »Du schmückst Dich mit Diamanten und Edelsteinen, trägst kostbare Kleider und lebst in Freuden und Üppigkeit! Aber im Taumel der Pracht, die Du mit einem Könige teilst, vergiß nicht ganz und gar derer, die die Beschützer und Fürsorger Deiner verwaisten Kindheit gewesen sind und die so manches Opfer gebracht haben. Lasse für sie von Deinem Überflusse nur einen kleinen Teil abfallen als Zeichen der Dankbarkeit! So stiftest Du doch Segen und kannst auf gute Werke verweisen, die Du gethan.« Es folgte dann eine nähere Erörterung verschiedener dringlicher Bedürfnisse und der Ausdruck der sicheren Erwartung, daß sie nicht so herzlos geworden sein könne, um die Reichtümer, die ihr auf einen Wink in den Schoß fielen, sündhaft zu verprassen ohne derer zu gedenken, denen sie Dank schulde.

Geld wollten sie von ihr haben. Sie konnten haben, so viel sie begehrten, wenn sie ihr nur fern blieben, diese Gespenster der Vergangenheit, die ihr schon so weit entrückt gewesen waren und jetzt grauenhafter als je erschienen. Eine große Summe befahl sie der Gesellschafterin mit den Checks zu erheben und nach Wien zu schicken. Sie selber schrieb keine Zeile dazu. Umgehend kam aber ein Dankbrief der Tante, mehr unterthänig als verwandtschaftlich, dabei voll neugieriger Fragen, und mit dem Hinweise, daß der Onkel ihr jederzeit mit seinem Rat zur Verfügung stehe.

Kitty ergab sich ausgelassener Freude. Sie streckte die rote Zunge gegen das Fenster und drehte dazu eine Nase, bespuckte die Unterschrift der Tante und neckte mit dem Papiere Muckerl, bis dieser es in kleine Fetzchen zerrissen hatte. Sie wollte die Neugierde der Tante schon befriedigen und ihr schreiben, wie alles vor ihr katzbuckele und dienere, wie Frau Bachmann sie als ein Wunderwesen umschmeichle und Frau Kern ganz glücklich darüber gewesen sei, als sie einmal bei der Morgentoilette Zeugin sein durfte, wie die Damen der Aristokratie – so hatte man ihr erzählt – sich stritten, ob sie nur seidene Unterkleider oder auch solche von Linnenbattist trage und die Zahl ihrer schon fertigen oder in Bestellung befindlichen Roben, Negligés, Morgenröcke u.s.w. auswendig wüßten, wie ihr Coupé, wenn es vor einem Magazin stand, von den Leuten umlagert werde, bis sie erschien.

Das Gewissen hatte dann und wann noch die beängstigende Gestalt der bösen Verwandten angenommen und in den Gedanken: »Wenn sie es wüßten!« kleideten sich die Zuckungen der Scham.

Die Quälgeister machten es jetzt wie alle Welt und verbeugten sich vor der schönen, goldspendenden Favoritin des Königs. Diese keifende Tante, diese garstige Base, der freche Vetter, der dumme Onkel – was waren sie denn jetzt? Nichts, gar nichts waren sie! Sie sollten nur kommen! Einen seidenen Strumpf schlug sie ihnen um die Ohren, das gebrauchte Badewasser ließ sie ihnen ins Gesicht schütten, eine unanständige Gebärde bekamen sie zum Abschied, wenn der Groom sie mit Fußtritten hinauswarf. Das war schön, das that wohl, nicht gegen eine Perlenkette hätte sie das Behagen eingetauscht, das sie durchwärmte!

Der König ging nicht zart mit ihr um, ließ sie hart an, wenn etwas ihm nicht behagte, machte Späße, bei denen man die Thränen verschlucken mußte, und nicht selten schmerzte der rauhe Griff wilder Gewaltthätigkeit und ihr wurde ganz übel vor Angst, sie fürchtete sich vor seinen seltsamen Reden, seinen funkelnden Augen und seinem heißen Atem. Selbst wenn er liebenswürdig war, blieb er der spielende König und sie war die Sklavin. Aber gern that sie den Sklavendienst; treten, schlagen durfte sie der Herr, denn sein Geld hatte die Peiniger ihrer Kindheit ohnmächtig gemacht.

In der nächsten Zeit befahl sie der König öfter nach Hirschhütte. Trotz der seinetwegen gemachten Veränderungen war es ihm nicht ganz behaglich im Hotel. In Hirschhütte aber, wohin sie von ihrer Kammerfrau begleitet, des Nachmittags im eigenen Coupé fuhr, wurden in Verbindung mit einem Champagnergelage jene Liebesnächte gefeiert, die ihn immer fester an das Mädchen zu ketten schienen.

Mit zorniger Ungeduld drängte er Dannenberg, endlich doch eine Villa für Kitty zu beschaffen, was diesem durchaus nicht gelingen wollte. Der Leibkammerdiener Bachmann, der in Hirschhütte die Herrschaften stets bei Tische allein und mit einer von der übrigen kleinen Dienerschaft wohlbemerkten, geheimnisvollen Vorsicht servierte, sah in diesem Unvermögen Dannenbergs einen Schicksalswink.

Seine eigenen Beobachtungen in Hirschhütte und die Mitteilungen seiner Frau, die Kitty bis ins kleinste auszuforschen wußte, belehrten ihn, daß der königliche Liebeshandel dem ein großes Vermögen einbringen konnte, der es verstand, sich nicht nur zum unentbehrlichen Vertrauten beider Teile, sondern gewissermaßen zum Regisseur der zuschauerlosen Scenerie zu machen. Ankauf und Ausstattung der Villa boten an sich die Gelegenheit zu einem »Schlag« und außerdem handelte es sich darum, daß man nicht etwa nach gethanen Kupplerdiensten beiseite geschoben und Herr Dannenberg sozusagen der Marschall der königlichen Maitresse wurde, sondern daß man diese aussichtsvolle Rolle selber übernahm.

Die Sache war nicht einfach, denn Bachmann gehörte in seiner Stellung zu den »Hofbediensteten«, Dannenberg war »Hofbeamter« und es lag die Wahrscheinlichkeit vor, daß die Führung dieser Angelegenheiten einem mittleren Hofbeamten übertragen, der Kammerdiener aber der allerhöchsten Maitresse gegenüber zu subaltern erscheinen würde. In der That machte Frau Dannenberg bei Kitty eine Staatsvisite. Sie war eine ganz harmlose junge Frau, die, wenn auch von ihrem Mann geschoben, keine ernste Rolle in der Sache zu spielen vermochte. Ein Zeichen war aber doch gegeben, nach welcher Richtung gesteuert werden sollte.

Der Kammerdiener ging mit seiner Frau ernstlich zu Rat. Diese war viel zuversichtlicher als er.

»Die hab' ich an der Strippe!« sagte sie lachend. Vorläufig ist's nichts weiter als ein Grasaffe, der die letzte Ohrfeige noch nicht vergessen hat. Hat sich der stramme Balg in Jahr und Tag aber zur großen Dame geformt, wie's am Ende nicht ausbleiben kann, dann kommen die anderen längst zu spät.«

Der Gatte wurde durch ihren Optimismus zunächst nicht überzeugt, aber beide gingen mit höchstem Eifer daran, sich die kostbare Beute zu sichern.

Frau Bachmann war eine nüchterne, mit ihrem Manne in bequemer Häuslichkeit zufrieden lebende Frau ohne irgend welche persönlichen bösen Neigungen oder bedenklichen Schwächen. Wenn sie früher gelegentlich dem Gatten bei diskreten Angelegenheiten kleine Hilfsleistungen gethan hatte, so war das eben Herrendienst gewesen, über den man weiter kein Wort verlor. Aber bei Kitty nahmen die Dinge eine neuartige ernstere Wendung. Zunächst war die Machination mit den Geschäftsleuten freilich nicht mehr gewesen als der geschickte Griff einer klugen Frau, die eine günstige Gelegenheit beim Schopf faßte, und auch im übrigen hatten nur Wichtigthuerei, Neugierde und eine Gewinnsucht kleineren Stiles sie an die Favoritin gefesselt. Jetzt kam System in die Sache.

Kitty befand sich bei ihrer Kammerfrau und Gesellschafterin in sorgsamster Pflege, sie war sehr freundlich mit ihr, kam aber bei dem leisetretenden, gezierten Wesen dieser vergilbten, süß lächelnden Person zu keiner wärmeren Vertraulichkeit des Verkehrs. Frau Kern wäre ihr sehr sympathisch gewesen. Die junge Frau bewegte sich gern und mit einem deutlichen Lustgefühl in der Atmosphäre des weiblichen Luxusses und der raffinierten Schönheitspflege, von der Kitty umgeben war. Aber eine scheue Unruhe, eine sonderbare Befangenheit in ihrem Wesen hinderte auch hier die eine volle Intimität. Gegen Frau Bachmann hegte Kitty zwar noch die heimliche Aversion, wie gegen eine Wächterin, diese schwand aber immer mehr, je deutlicher sie erkannte, daß die stets respektvoll höfliche, aber dabei heiter zuthunliche Frau ihr bis ins kleinste hilfreich war, immer guten Rat und nützlichen Wink bereit hatte und dabei eine Unterhaltung zu führen wußte, die prickelnden Reiz hatte und von selbst zur engsten Vertraulichkeit führte.

In kurzer Frist sammelte sich zunächst durch Frau Bachmanns Vermittelung, dann von selbst weiter wachsend ein Kreis von Besucherinnen um Kitty, der auf etwa zwanzig Köpfe anwuchs. Sie richtete ein allwöchentliches Kaffeekränzchen für diese Freundinnen ein. Das Kaffeekränzchen gipfelte in einer von den feinsten Leckerbissen begleiteten Champagnererfrischung. Die Art dieser Gastfreundschaft und Kittys eigene, zwar streng sachgemäße, aber in ihrer Art doch höchst kostbare Toilette führten die geladenen Damen dazu, auch einen größeren Aufwand in ihrer Kleidung zu machen, und so bot schließlich das Kaffeekränzchen mit den reichgeputzten Damen an dem Tische, den zwei überaus kostbare Blumengefäße, Geschenke des Königs, wie sie auf jeden Ausflug nach Hirschhütte zu folgen pflegten, schmückten, ein glänzendes Bild. Die Damen gehörten zum geringeren Teil der Bühne an. Es befand sich eine wegen Ehebruches geschiedene Frau darunter, und von der Witwe eines Hofbeamten flüsterte man, daß ein älterer Kavalier schon seit Jahren die bescheidene Witwenpension um ein Erkleckliches ergänze. Aber die beiden Damen traten sehr gesetzt auf, und auch Fräulein Alten, die Sängerin, die gar kein Hehl aus ihren Beziehungen mit einem berühmten Maler machte, spielte sich so wenig auf die Emancipierte hinaus, wie zwei andere junge Damen der Bühne, die Liaisons hatten.

Von den anderen Gästen, unter die auch Frau Kern zählte, war nicht das Geringste zu sagen. Es waren außer Frau Kern, Frauen von Hofbeamten, Hoftheaterkünstlern und Hoflieferanten. Kitty wurde wie eine Prinzessin mit ceremoniellsten Formen behandelt. Frau Bachmann spielte so etwas wie eine Oberhofmeisterin und hatte z. B. gleich zu Anfang dafür gesorgt, daß man sich die königlichen Geschenke vom »gnädigen Fräulein« zeigen lassen, aber nie Miene machen durfte, vom Geschenkgeber zu sprechen.

Der Kreis schloß sich sehr schnell zu näherer Vertraulichkeit zusammen. Kitty selbst sprach nicht viel, sondern verhielt sich vorzugsweise als Zuhörerin. Frau Bachmann war es, die den Anstoß zu einem sehr freien Gesprächston gab. Stockte einmal die starkwürzige Unterhaltung, geriet man auf sich zersplitternde, flaue Gesprächsstoffe, dann war es wieder Frau Bachmann, die, wie mit einem leichten Peitschenhiebe, mit einem kleinen Wörtchen die ruhenden Teufelchen wieder zum Tanzen brachte. Man war ja unter sich, ohne männliche Zeugen und ohne Zuhörerschaft, die Schaden nehmen konnte, und Frau Bachmann sagte bald dieser, bald jener Dame mit einem gutmütig lächelnden Augenwinken gegen Kitty: »Das macht ihr so viel Spaß!«

Wenn dann das rötliche Licht der Gaskronen mit harten, schweren Schatten spielte, der Geruch des Champagners, der Leckereien und der Blumen sich zu einem narkotisch süßlich die Nase umwehenden Gemengsel vereinte, jede das Bedürfnis zu einer bequemeren Haltung empfand, und der Fächer gegen die Hitze im Gesicht zu Hülfe gerufen wurde, sich die Sitze da und dort auf zwei Minuten leerten, da krochen aus verborgenen Winkeln der Seele verderbte Vorstellungen auf wollüstig lächelnde Lippen und machten sich in halblauten, scheuen Bemerkungen Lust, oder aber ein wilder Frevelmut kam über einzelne, die lechzende Begierde, die sengende Glut, die auf den Mienen der Genossinnen lag und aus ihren feuchten Augen flackerte, durch die eigene Zügellosigkeit zu reizen und zu schüren. Kitty, in ihrem Stuhl lässig zurückgelehnt, zuweilen langsam vom Champagnerglase schlürfend, den undurchdringlichen Sphinxblick auf die Sprecherin geheftet, die Zähnchen weisend, saß da in ihrer duftig koketten Kleiderpracht als das Symbol verbotener Gelüste und es war, als ob von ihrem Körper eine ansteckende Atmosphäre der Unkeuschheit ausströme.

Frau Bachmann verblieb meist noch eine kurze Weile bei Kitty, wenn die anderen sich zurückgezogen hatten, und fuhr dann in deren Equipage nach Hause. Auf dieser einsamen Fahrt wurde ihr zuweilen ein bißchen unheimlich. So etwas wie »Giftmischerin« klang ihr ins Ohr. Aber sie hatte »das Mädel« in fester Hand. Das rechte Klima war geschaffen, in dem es gedieh, wie es ersprießlich war.


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