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Viertes Kapitel

Die alte Gräfin Wurzhof war unrettbar krank geworden und ihr Ende binnen kurzer Frist unvermeidlich. Sie bewohnte unweit des Schlosses ein kleines Palais in einer stillen, eleganten Straße. Bachmann erfuhr, daß sie nur Seitenverwandte besitze, die sich in das Erbe teilen würden. Es hielt nicht schwer, sich hinlänglich darüber zu vergewissern, daß die Besitzung für die Maitresse des Königs sehr geeignet war. Er suchte dann Fühlung mit den Verwandten, die, wenn auch vornehm zurückhaltend, doch verrieten, daß sie im gegebenen Augenblicke die vorteilhafte Gelegenheit wohl wahrnehmen dürften. Bachmann wartete mit Ungeduld auf den sich verzögernden Tod der alten Dame, und wenige Stunden nach dessen Eintritt meldete er dem König, daß das Palais um dreihunderttausend Mark zur Verfügung stehe. Die alte Gräfin ruhte acht Tage im Grabe, als die Hofkasse den Befehl zur Auszahlung der Kaufsumme erhielt. Der Hofsekretär Dannenberg aber war völlig zerschmettert, da er zum König befohlen wurde und dieser ihm sehr kühl sagte:

»Das Haus, zu dessen Ankauf ich Sie beauftragt habe, ist mir jetzt von anderer Seite besorgt worden. Auch um das Weitere der Einrichtung und Instandsetzung brauchen Sie sich nicht zu kümmern.«

Man flüsterte in den Hofämtern über die Kostspieligkeit des Ankaufs. Auch in der Stadt verbreiteten sich Redensarten über das Ehepaar Bachmann. Man munkelte von fünfzigtausend Mark, die der Leibkammerdiener bei dem Handel eingesteckt habe, und als man nach kurzer Frist von den Aufträgen hörte, die für die innere Einrichtung gegeben worden waren, unterhielt man sich über die Trinkgelder, die auch da wieder für ihn abgefallen sein mochten.

Aber der Leibkammerdiener und seine Frau wurden von alledem wenig belästigt, vielmehr sahen sie sich von den meisten Leuten, mit denen sie in Berührung kamen, und nicht zum geringsten von der Geschäfte treibenden Bürgerschaft als höchst wichtige Persönlichkeiten geschätzt, denn jeder hoffte, auch wenn er nicht Hoflieferant war, früher oder später sein Teilchen an der so großartig einsetzenden Ära der neuen Favoritin mitzubekommen. Frau Bachmann zumal, die »intime Freundin des gnädigen Fräuleins«, wie sie sich selbst bezeichnete, wurde nicht nur in den Magazinen hofiert, sondern mit unterthänigen Briefen und mit persönlichen »Aufwartungen« von Geschäftsleuten förmlich bedrängt, die ihre Vermittlung anriefen, um »auch etwas« dem gnädigen Fräulein zur Probe liefern zu dürfen. Man rühmte es auch lebhaft, daß die Bestellungen alle am Orte gemacht und nichts direkt aus Paris oder London bezogen wurde.

Der König ließ sich über das kleinste Detail der Neueinrichtung des gekauften Palais berichten, und Bachmann hatte viel unter seiner Ungeduld über die Langsamkeit der Arbeiten zu leiden. Streng verboten war es, Kitty, die nur wußte, daß ein Haus für sie gekauft war, irgend welche nähere Mitteilungen zu machen.

In den ersten Tagen des April wurde dem König gemeldet, daß das Palais zur Aufnahme der neuen Herrin bereit sei. Er bestimmte den Vorabend des bevorstehenden Geburtstages Kittys zu deren Übersiedelung.

Abends acht Uhr verließ diese in Begleitung ihrer Kammerfrau und in großer Toilette das Hotel Viktoria, nachdem sie sich herzlich von Frau Kern und sehr freundlich von deren Gatten verabschiedet hatte. Mit dumpfem Rollen fuhr der Wagen in die säulengeschmückte, von einer mächtigen, vergoldeten Laterne erleuchtete Vorhalle. Ein Portier mit breitem, rotem, silberbordiertem Bandelier und großem Hut hob den Stab und stieß ihn klirrend auf die Steinfliesen. Ein Lakai, braun livriert, wie die Diener ihres Gefährtes, aber mit weißer Perücke und roten Plüschhosen über den weißen Strümpfen, riß den Schlag behende auf und bot ihr mit tiefer Verneigung die Hand zur Stütze beim Aussteigen. Herr Bachmann stand da und stellte ihr einen glattrasierten Herrn, gleich ihm im schwarzen Frack und schwarzseidenen Escarpins, als ihren Haushofmeister vor. Dieser Haushofmeister schritt ihr voraus, der Lakai folgte ihr. So ging es die breite, teppichbelegte Treppe empor, an deren Wänden rosenfarbene elektrische Blumenkelche leuchteten. Jetzt blieb der Haushofmeister vor einer hohen Flügelthüre stehen, der Lakai nahm ihr den pelzverbrämten dunkelblauen Sammetumhang ab; ein Flügel wurde geöffnet; sie trat in einen rosig durchleuchteten goldglitzernden Saal ein, und ihr Blick fiel auf das lebensgroße Ölgemälde des Königs, wie er dastand, den hermelingefütterten Purpur um die Schultern, Scepter und Krone neben sich auf einem Tische. Die Thüre hatte sich geräuschlos hinter ihr geschlossen. Sie starrte auf das Bild, dessen goldener Rahmen funkelte und gleißte.

»Guten Abend, mein Kind! Ich begrüße Dich in Deinem neuen Heim!« klang es an ihr Ohr, und des Gemäldes Urbild streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. Sie knixte tief und küßte die dargereichte Hand. Der König strich ihr über das Kraushaar, in dem ein kleiner Brillantstern funkelte, und sagte:

»Gratulieren werde ich Dir später! Jetzt will ich Dir zunächst Dein Geburtstagsgeschenk zeigen. Sieh Dich einmal um! Gefällt es Dir?«

Goldverziertes Holzgetäfel, schwere Brokattapeten, schlankfüßige Nipptische, zierliche Sofas in mattfarbiger Seide mit buntbestickten Kissen darauf, kostbare Vasen auf hohen Gestellen, Eisbären- und Tigerfelle über dem dicken Smyrna, duftige Spitzengardinen unter reich befransten Draperien, das alles streifte Kittys Blick, um wieder zurückzukehren zu dem Bilde vom Könige mit dem Purpurmantel.

»Findest Du's ähnlich'?« fragte der König.

»Ja, Majestät!« flüsterte sie schüchtern.

»Bist ja ganz sonderbar! Was bedrückt Dich denn?« meinte dieser und zog sie schmeichelnd an sich. »Fast möcht' ich glauben, das Staatsportrait da von mir sei Dir unbehaglich. Ich wollte meiner kleinen Kitty damit sagen, daß sie von nun ab die anerkannte, von jedem demnach zu respektierende Dame des Königs ist und daß ich die, wie ich höre, schon üblich gewordene Bezeichnung »das gnädige Fräulein« zur offiziellen gemacht habe mit der persönlichen Anrede »Euer Gnaden!« Habe auch die Weisung erlassen, daß Du mit morgigem Tage nicht mehr dem Theaterverbande angehörst.«

Kitty schickte sich zu einem neuen Knixe an.

»Jetzt wollen wir uns weiter umsehen!« sagte der König, ihre Bewegung hemmend. »Komm mal, Geburtstagskindchen!« Das knisternde Kleid wallte über des Königs Schulter und Arm nieder. Er hatte sie mit kräftigem Griff hochgehoben. Auf sein Geheiß stützte sie eine Hand leicht auf seine linke Schulter. So trug er sie durch den anstoßenden kleinen, in kokett lichtem Rokoko gehaltenen Salon nach dem darauf folgenden Musikzimmer. Dort tändelten seine starken Arme noch mit dem ängstliche Rufe ausstoßenden Spielzeuge, das schließlich mit wie Fittiche rauschenden, und eine bunte Wolke bildenden Röcken halb springend, halb gleitend den Boden gewann. Nunmehr setzte sich der König an den Flügel, der dem Stile des Zimmers entsprechend auf hellgelblicher Politur Blumen und Putten gemalt trug. Er war ein geschulter tüchtiger Pianist und mit mächtigem Anschlag, in temperamentvoller Fingerfertigkeit erprobte er den Wert des Instrumentes.

Nachdem noch ein Boudoir, das Schlafzimmer und das Badezimmer besichtigt waren, meinte der König:

»Jetzt ist es Zeit, Deine Küche zu erproben!«

In dem kleinen Speisezimmer mit den hellgrünen, silberumrahmten Seidentapeten und den entsprechenden, im Empirestil gehaltenen Möbeln, bediente der neue Lakai, überwacht vom Haushofmeister. Auf den silbernen Tellern gewahrte Kitty ihr Monogramm. –

Das Kaffeekränzchen wurde in der bisherigen Weise fortgesetzt. Bei der ersten Zusammenkunft bestaunte die Gesellschaft die Einrichtung des Palais. Die Neugierde galt besonders den intimem Gemächern, zunächst dem Schlafzimmer mit dem Prachtbette. Auf der hohen Kopfwand sah man in bunter Einlegearbeit Giorgiones schlafende Venus, das Fußteil schmückte in gleicher Weise eine Nachbildung von Tizians Danae. An den Kanten und in der Mitte saßen goldene Guirlanden tragende Amoretten. Die Längsstücke boten Medaillons mit den drei Grazien auf der einen, tanzenden Bacchantinnen auf der anderen Seite. Diese Bildwerke waren von Kompositionen, die Blumen, Tauben und Genien mit Libellenflügeln darstellten, umrahmt. Ein Baldachin aus schwerer weißer, mit goldenen Blumen durchwirkter Seide überwölbte das Bett und auf seinem kuppelartigen, mit goldenem Tressenwerk geschmückten Schlußteile schwebte eine Anordnung von weißen Straußenfedern. Frau Bachmann lüftete etwas die weißseidene, mit reicher Goldstickerei, deren Mitte Kittys Monogramm bildete, versehene Überdecke und zeigte die Kissen mit den sie umrandenden Antikspitzen. Die dem Baldachin entsprechende Seidentapete war über die Decke zeltartig in Falten gespannt und umschloß dort ein Gemälde, das das Urteil des Paris nach Rubens darstellte. Eine kleine Chaiselongue, ein Fauteuil und zwei Puffer waren mit denselben weißgoldenen Seidenüberzügen ausgestattet. Neben der Chaiselongue stand ein mit dem Bette übereinstimmend eingelegtes Tischchen mit einem zierlichen, altmeißner Frühstücksservice für zwei Personen; auf dem Nachtschränkchen, dessen Thüre ein Amor schmückte, der den Finger an den Mund hielt, war ein kleines Lämpchen mit rotem Seidenschirm angebracht. In einer Ecke aber erhob sich auf schlanker, gelber Marmorsäule die dunkle Broncefigur eines springenden nackten Weibes mit einem Zweige in der Hand, an dem mehrere elektrische Kelche wie Blumen hingen. Ein großes schwarzes Fell lag vor das Bett gebreitet. Nur eine Portière trennte das Bade- und Toilettenzimmer vom Schlafraume. Diesem ähnlich war es mit rosenfarbenem und himmelblauem Seidenstoff zeltartig überspannt. Dazwischen waren lange schmale Spiegel so eingefügt, daß jede der eintretenden Damen zunächst ganz verwirrt wurde von dem Spiegelspiel, das, wie sie sich auch wendete, ihr die eigene Gestalt stets gleichzeitig von vorn, rückwärts und von beiden Seitenansichten vor Augen führte.

Die Badewanne war aus rosenfarbenem, blaugemusterten Porzellan und auf drei Löwenklauen ruhend in ein Gerüst von Silber mit goldenem Zierwerk gebettet. Ihr Rückteil bildete eine Muschel, aus deren Rand ein goldener Amor den Bogen spannte. Auf der Seite der Wanne war die Stoffdekoration bis zu gewisser Höhe durch entsprechende Fayenceplatten ersetzt. Der Doucheapparat mit allen Douchearten hatte eine Spiegelfläche als Hintergrund, und ein muschelförmiges, der Wanne gleichartiges niederes Becken zu Füßen. Auf einem großen Marmortisch lagen wohlgeordnet die verschiedenartigsten Toilettevorrichtungen, reich gestickter Tüll bedeckte das Tischchen, auf dem Kittys kostbares Silberservice glänzte. Ein zierlicher Lehnstuhl mit rosenfarbener Seide und gesticktem Tüll überzogen stand davor. Auch ein breites Ruhebett war von solcher Stoffanordnung bedeckt.

Am Abend, als die elektrischen Lampen brannten, lud Kitty ihre Gäste zur Besichtigung eines Raumes ein, den sie noch nicht gesehen hätten und führte sie zunächst in das ihnen schon bekannte aus Rokoko und japanischem Geschmack zierlich gemischte Boudoir. Dort schob sie einen orientalischen Behang aus Rohr mit Glasperlzierat zurück und die Stufen emporsteigend betrat die Gesellschaft einen Raum, eben groß genug, daß man dicht nebeneinander auf den ausgebreiteten Tierfellen verschiedener Art stehen konnte. Vor ihnen, von farbenbunten, wie in einem Treibhaus duftenden Blumen und hohen Blattpflanzen umgeben, dehnte sich eine prächtige Lagerstätte von ungewöhnlichem Umfang aus. Aus schwellenden Polstern, Kopfrollen und kleinen Kißchen aufgebaut, war es in roter, blumengestickter Seide mit goldgelbem Plüsch und mattgetöntem Spitzenwerk ausgestattet, und auf der Kopfseite stieg, von zwei gekreuzten Goldstangen gehalten, eine malerische Draperie der drei Stoffarten des Lagers auf. Die Spitze der Goldstangen aber schmückten Wedel aus weißen Strauß- und bunten Papageienfedern. Ein mit Perlmutter eingelegtes Tischchen, auf dem ein schwersilbernes kunstvolles Rauchservice stand und ein niederes Sitzpolster befanden sich neben dem Lager.

Als die Anwesenden auf eine Weisung nach oben blickten, sahen sie ein offenbar von innen beleuchtetes Kuppelgewölbe, das dem tiefblauen Nachthimmel nachgestaltet war und funkelnde Sterne darauf, die sich zur Krone und zum königlichen L ordneten. Aus der Herme einer Bacchantin von weißem Marmor plätscherte Wasser in ein muschelförmiges Becken. Die Wände gaben, soweit sie nicht mit Pflanzen verstellt waren, in von Blumenmalerei umrahmten Spiegelscheiben das Bild des Raumes mehrfach wieder, ähnlich dem Badezimmer. Ohne daß man es ihnen sagte, wußten die Gäste, wo sie sich befanden. Lautlos ließen sie die Blicke die Wände entlang, zur Kuppel, nach dem plätschernden Brunnen schweifen, um immer wieder sich dem blumenumdufteten, spitzenbesetzten Prachtlager zuzuwenden und nur flüchtige Begegnungen der Augen deuteten die Gedanken an. Jetzt streckte sich Kitty mit einer raschen Bewegung darauf aus, den Gästen zulachend, sprang dann wieder auf und sagte zu der zunächststehenden Frau Kern:

»Probieren Sie's einmal, wie bequem mollig sich's da liegt!«

Frau Kern setzte sich an den Rand und betastete die Polster. »Strecken Sie sich aus! Sie müssen sich ausstrecken!« rief Kitty, und jene wagte nicht zu widerstreben. Einen Augenblick zog sie die Beine empor, dann aber erhob sie sich rasch. Glühend rot im Gesicht, gesenkten Blickes, gesellte sie sich wieder den anderen Damen.

In dem Verkehre des Königs mit seiner Favoritin hatte sich rasch ein besonderes Ceremoniell ausgebildet. Zumeist kam er am späten Abend nach Schluß des Theaters zu ihr. Sie empfing ihn im kleinen Salon im geschlossenen Deshabillés, die in eigenartigen, vielfach wechselnden Formen ein Gemisch von Robe, Schlafrock und Negligé und mit einem ebenso mannigfachen Wechsel kostbarster Unterkleider verbunden waren.

Im kleinem Salon nahm man den Thee mit einem Imbiß. Dann ging man ins Musikzimmer, wo der König sich teils von Kitty, deren Stimme im engeren Raume sehr gut klang, Opernarien und Konzertlieder vortragen ließ, teils selbst nach den für ihn bereit gehaltenen Musikalien spielte, während sie die Notenblätter umwendete.

»Sekt!« warf der König nach einer Weile hin. Kitty setzte die elektrische Klingel in Bewegung. Wenige Minuten darauf ertönte ein Gegenzeichen und man schritt durch das Boudoir nach dem Kuppelgelasse. Wenn der König bei Kitty dinierte, erschien er im Frack, sie trug große Toilette, und unter Leitung des Haushofmeisters servierte der Lakai in Galalivree. In ihrer Equipage kehrte der König zu später Nachtzeit ins Schloß zurück.

Im Frühjahre ergab sich eine Reihe von Anlässen, die ihr ihre Stellung in einem neuen Lichte zeigten. Da war zunächst der feierliche Schluß der Parlamentssitzungen. Vom Hotel Viktoria aus sah sie die prunkvolle Auffahrt des Königs, der in großer Generalsuniform mit allen Orden im achtspännigen, ganz aus Gold und Spiegelscheiben gebildeten Galawagen saß. Der Oberststallmeister in goldstrotzendem rotem Frack, gefolgt von Stallmeistern und Reitknechten in reichen Livreen, endlich Edelknaben zu Pferde in der Tracht des vorigen Jahrhunderts, mit goldgestickten weißen Leibröcken, Spitzentüchern am Halse und Spitzenmanschetten, dreieckige Federhüte auf den anmutigen Jünglingsköpfen, umgaben den Wagen, an dessen Schlägen zu beiden Seiten je vier Hellebardiere in weißgelben, seidenen Wämsern und federgeschmückten Hüten spanischer Zeit in feierlichem Paradeschritt gingen. Die acht Schimmel, denen zwei Vorreiter auf Schimmeln vorausritten, wurden von Lakaien mit langen weißgelben Livreeröcken, roten Westen und Kniehosen geführt und vom himmelhohen Bock aus von einem Kutscher gelenkt, der wie die Lakaien eine mächtige Allongeperücke unter dem Dreispitz trug. Die Mähnen der Pferde waren mit goldenen Schnüren durchflochten, das Geschirr aus weißem Leder und rotem Sammet war reich mit Gold beschlagen, und aus den Köpfen trugen die Tiere weiße Straußenfedern, wie sie über ihrem Bette schwebten. Drei Lakaien standen rückwärts auf dem Wagen. Vierspännige Galawagen der obersten Hofchargen folgten. Der Prachtzug war vorn und hinten von den Trabanten zu Pferd in ihrer hellblauen Uniform mit weißen Reithosen, hohen eleganten Stiefeln und silberblinkenden Helmen mit weißem Busche geleitet.

Brausende Hochrufe der dichten Volksmassen begrüßten den feierlich langsam sich dahinbewegenden Zug und eine heftige Erregung bemächtigte sich Kittys bei dem Anblicke. Glühend heiß war ihr im Gesicht, der Atem stockte und sie zitterte am ganzen Körper. Zum erstenmale sah sie den Herrn in seinem vollen Glanze. Welch sonderbares Gefühl! Er war ja immer der König, der Gebieter. Aber in solcher Herrlichkeit, so hinausgehoben über alles, was anderer Menschen Art war, so gottähnlich den zu sehen, dem sie, noch nicht zwölf Stunden waren verstrichen, in der nächtlichen Stille ihres Kuppelgelasses Atem gegen Atem im Arme gelegen hatte, mit dem sie, wenn auch nur Sklavin, Spielzeug, doch – sie fühlte es mit mächtigem Instinkt – so vertraut war, wie niemand, niemand von diesem geputzten Trosse, von dieser tausendköpfigen Menge: das war schwindelerregend, sinnverwirrend, da wuchs das Märchen, in dem sie lebte, ins Uferlose, ins nicht mehr Ausdenkbare. Und doch war der Eindruck noch überwältigender, als acht Tage darauf die übliche Frühjahrsparade der Siebenburger Garnison stattfand. Verlegen, furchtbar verlegen wurde sie, als bei ihrer Einfahrt ins Paradefeld ein berittener Gensdarm vor ihr salutierte und voraussprengend im Gewirr der Wagen mit lautem Befehle ihrer Equipage Raum schuf, so daß sie allein durch eine Gasse rechts und links sich mühsam drängender Gefährte der vornehmsten Aristokratie in flottem Trabe auf freier Bahn durchfuhr. Als aber von weit her die Hochrufe an ihr Ohr näher und immer näher kommend tönten, die Kommandos über das weite Feld erklangen, die Adjutanten im Carrière auf dem Rasen dahinjagten, wie ein Blitz das Ziehen der Säbel und das Präsentieren der Gewehre durch die Reihen zuckte, auf allen Seiten die Trommler und die Regimentsmusiker den klirrenden, dröhnenden Königsmarsch spielten, die auf den Wagenkissen stehenden Damen mit den Taschentüchern winkten und, gefolgt von einem großen Haufen reich uniformierter Offiziere, der König heransprengte, ganz nahe an ihr vorbei, und unauffällig, ihr aber doch wohl bemerkbar, ihren ehrerbietigen Gruß, besonders, mit einem leisen Lächeln, erwiderte, da kamen ihr die Thränen in die Augen, so übermächtig war der Sturm der Empfindungen.

Die Saison schloß mit dem großen Blumenkorso, der in den letzten Tagen des Mai unter Leitung des vornehmsten Sportklubs »Hallali« stattzufinden pflegte. Wenige Tage darauf gab der Hof durch seine Übersiedelung nach der unfernen Sommerresidenz Dianenlust der Aristokratie das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch nach den Landgütern. Man sprach viel darüber, daß die Königin diesmal den Korsotag gar nicht abwartete, sondern schon vorher Dianenlust mit den königlichen Kindern bezog, und die allgemeine Meinung brachte den außergewöhnlichen Vorgang in Zusammenhang mit dem nicht minder ungewöhnlichen Geräusch, das sich an die Beziehungen des Königs zu Fräulein Rita knüpfte. So unbeliebt die Königin im allgemeinen war, fanden sich doch nicht wenig Leute, die mit scharfen Worten die nunmehr zum öffentlichen Ärgernis gewordene Maitressenwirtschaft verurteilten. Auch bei Hofe selbst fühlte man sich in einer peinlichen Lage. Die Königin konnte man nicht einfach ignorieren, irgend eine Antipathie gegen die königliche Liebeslaune zu offenbaren, war aber höchst inopportun, obwohl gerade die höheren Hofchargen sehr verstimmt über die ungebührliche Stellung waren, in der der Leibkammerdiener sich immer mehr zu befestigen schien. Zu Parteiungen und bestimmten Strömungen kam es jedoch nicht, weil die einflußreichste Persönlichkeit, der Hofmarschall Graf Lanzendorf, sich völlig reserviert verhielt und auch auf diplomatische Ausforschungen seiner Gesinnung mit einer apathischen Kühle antwortete, als sei ihm die ganze Geschichte höchst gleichgültig. Wenn der mächtigste Höfling jede Parteinahme mit so leichter Gebärde ablehnte, dann war es für die anderen nicht guter Ton sich nach irgend einer Richtung zu erhitzen und obwohl mancher im stillen sich überlegte, was durch diese oder jene Parteistellung zu gewinnen sein möchte, nahm man außerhalb der Hofsphäre stehenden Leuten gegenüber die vom Grafen vorgezeichnete Miene an.

Der Blumenkorso begann auf der Herrenseite am Fuße des Schloßberges und zog sich durch das Villenviertel nach der Königsau, an deren Endpunkt, dem großen Rondelle, das Fest in der Blumenschlacht gipfelte. Dann zog man über die eiserne Brücke, fuhr noch das Ufer der Bürgerseite entlang und über die Chlodwigsbrücke nach dem Ausgangspunkte zurück. Ein Komitee von Kavalieren in rotem Reitfrack sorgte für die Ordnung, an bestimmten Stellen waren Musikcorps in flaggengeschmückten Holzpavillons aufgestellt. Das Fest der Vornehmen trug zugleich den Charakter eines Volksfestes. Dichte Massen von Zuschauern wogten die ganze Strecke entlang auf und nieder und füllten die Gärten der buntbewimpelten Restaurants. Neben den zahlreichen Blumenhändlerinnen, die auch jedem Zuschauer Gelegenheit boten, sich und seine weibliche Begleitung zu schmücken, belebten Hausierer mit Kinderfähnchen, farbigen Ballons und anderem Kleinkram das Volkstreiben. Eine heitere Sonne glänzte über der prächtigen Stadt und spielte mit dem jungen Grün der mächtigen Bäume in der Königsau, in deren lichtdurchzittertem Schatten helle Kleider, bunte Sonnenschirme als großstädtische Frühlingsblüten leuchteten und lachten. Jetzt ging eine murmelnde, stauende und drängende Bewegung durch die harrenden Massen. Mehrere Kavaliere des Komitees machten, in leichtem Galopp vorreitend und von zwei berittenen Schutzleuten unterstützt, den Fahrdamm frei. Die ersten Wagen rollten heran. Zunächst war die Reihenfolge noch locker, bald aber verdichtete sie sich zu einer geschlossenen Kolonne, die nun kein Ende mehr zu nehmen schien. Zu der Mehrzahl der Zweigespanne gesellten sich Viererzüge und zierliche Einspänner, Tandemgefährte, Mail-Coaches und russische Dreigespanne. Neben den immer wieder auftauchenden rotbefrackten Herren des Komitees mischten sich auch andere Reiter in die Wagenreihe, mit den Damen plaudernd, deren kostbare Frühjahrstoiletten sich in duftige Blumenguirlanden betteten. Da war eine Equipage zu einem Blumenkorb umgewandelt, dort saßen die Insassen unter einer von bunten Sträußen gebildeten Laube; hier war es die verschwenderische Kostbarkeit des Blumenwerkes, dort der geschmackvolle Einfall, der die Menge applaudieren ließ. Jetzt kam der König im Daumontzug, die Dienerschaft in den gelbseidenen, silberbetreßten Galajacken mit Veilchensträußen an der Brust, wie die Pferde an den Geschirren; veilchenumwunden waren die Radspeichen, eine mächtige Veilchenguirlande umrahmte den ganzen Wagen. Dem königlichen Wagen gaben sechs Herren des Komitees das Ehrengeleite. Sonnenschein, lichtes Grün, Blumenpracht, schöne Frauen, glänzende Livreen, stolze Pferde, jubelnde Musik, der Hornklang der Mail-Ceaches dazwischen, die Spitzen- und Stangenreiter des königlichen Gefährtes in dem heiteren Gelb mit den in der Sonne flimmernden Silbertressen – man war lustig und wollte dem König, der die Lustbarkeit verherrlichen half, zeigen, daß man ihm wegen seiner jüngsten ehelichen Mißhelligkeiten nicht weiter grolle. Etwa fünf Minuten später pflanzte sich durch die Reihen der Tausende das ununterbrochene, prasselnde Geräusch eines mit Bravorufen untermischten Händeklatschens fort. Im leichten, niedrigen, von zwei Rappen gezogenen Wägelchen saß Kitty. Die Pferde, die braunlivrierten Diener und die Radspeichen waren mit Goldregen geschmückt, zwischen dem feuerrote Bändchen flatterten. Ganz eingebettet in Goldregen, vor sich einen mit roter Seide überzogenen Korb, der dieselbe Blüte enthielt, trug Kitty einen roten Sonnenschirm, ein kleines Kapothütchen von braunem Spitzengewebe mit einem Goldregenausputz, eine braune Toilette mit gelben Brustflügeln, einer blousenartig faltigen roten Weste und hohem gelben Gürtel. Auf der roten Weste steckte ein Goldregenbusch. Das kleine Hütchen ließ das Kraushaar, das fast der Farbe des Goldregens glich, größtenteils frei und hocherrötend über die Huldigung, die großen blauen Augen starr vor sich gerichtet, aufrecht in gelbem Blumenbette sitzend, sah sie so drollig lieblich, so kindlich vollwangig, so maienhaft aus, daß sie vor allem die Frauen bezauberte, die am heftigsten in die Hände patschten und stellenweise sogar mit den Taschentüchern winkten. Es kam wohl auch das Wort »die neue Danaë« in Umlauf, und man witzelte an manchen Stellen über den Jupiter, der die kleine Komödie wohl selber erfunden habe; es gab auch Sittenrichter, die sogar eine freche Schamlosigkeit in dieser öffentlichen Andeutung der Danaërrolle sehen wollten. Aber die große Menge wußte von solchen gelehrten Auslegungen nichts, sondern war entzückt von dem lieblichen Anblicke, und etwas wie Trotz gegen die Königin, die mit ihrer Schmollerei einen Mißton in die allgemeine Freude hatte bringen wollen, mischte sich in das Wohlgefallen, um die Huldigung noch intensiver zu machen.

Am großen Rondelle bog der königliche Wagen aus der Korsoreihe aus, und der König betrat mit einigen Hofkavalieren eine kleine, von rotem Stoffe überspannte Tribüne, die einen Überblick über den ganzen Platz gestattete. Die Equipagen wurden am Eingang des Rondelles von zwei Komiteereitern nach rechts und links verteilt, so daß sie den Kreis umfahrend sich begegneten. Unter den Klängen der Musik bewarf man sich dann von Wagen zu Wagen mit Blumen, die Umfahrt mehrmals wiederholend. Den Teilnehmern des Korsos wurde Kitty erst jetzt allgemein sichtbar. Anfangs machten sich die Insassen der an ihr vorüberfahrenden Equipagen nur gegenseitig aufmerksam auf sie, wendeten ihr neugierige Blicke zu und machten Bemerkungen. Bald aber flogen ihr, zunächst von mit Herren besetzten Gefährten und von Reitern, die, von den Händlerinnen immer wieder neuen Vorrat kaufend, zwischen den Wagen hin und her sprengten, Blumen zu; dann faßten auch einzelne Damen Mut. Sie ahmte den andern nach, schleuderte die von roten Seidenbändchen umwundenen Goldregenblüten mit rührig kräftigem Händchen, vergnügt lächelnd durch die Luft und griff behend nach den ihr zugeworfenen Blumen. Der Anblick, den sie bot, fesselte die vornehmen Herrschaften ebenso, wie vorher die zuschauende Menge und, wenn auch die Damen im allgemeinen sich nur mit einer lächelnden Bewunderung und freundlichen Bemerkungen begnügten, so beeiferte sich um so mehr die Herrenwelt, sie mit einem förmlichen Blumenregen zu überschütten, der auch die Diener aus dem Bock und die Pferde traf, so daß der Kutscher Mühe hatte, die unruhig werdenden Tiere zu zügeln. Die Blumenhändlerinnen erkannten die vorteilhafte Gelegenheit und liefen zur Seite und hinter den Wagen mit ihrer Ware her. Die Insassen anderer Equipagen fuhren langsam, um das Schauspiel dieser Huldigung zu sehen, so daß wiederholt Stauungen um sie herum entstanden. Während in solchen Augenblicken der Blumenregen erst recht dicht fiel, erhoben sich die Damen in den Equipagen von ihren Sitzen, stiegen sogar auf die Wagenkissen, und aus der am Bürgersteig sich Kopf an Kopf drängenden und schiebenden Menge ertönten Hurrahrufe. Der Korb Kittys war längst geleert und sie hatte ihren Diener vom Kutschbocke geschickt, neuen Vorrat zu beschaffen. Da, als dieser mit dem frisch gefüllten Korb wieder bei ihr anlangte, waren auch alle Blumenmädchen mit Goldregenblüten versorgt, von allen Seiten flogen sie ihr in den Wagen und auch die anderen Equipagen wurden damit beworfen. Der Goldregen war plötzlich die Blume des Tages geworden. Als dann die Blumenschlacht endete und die Wagenkolonne über die eiserne Brücke nach der Bürgerseite kam, war Kittys Equipage von einer Reiterschar umringt, die in den Knopflöchern der Röcke und zum Teil auch im Zaumzeug der Pferde die Goldregenblüten stecken hatte, und diese Kavalkade gab ihr die ganze übrige Strecke der Korsofahrt das Geleite. Auf dieser Strecke, im Mittelpunkt des Großstadtverkehrs, nahe den altstädischen Quartieren, sammelten sich unter den Zuschauern viel mehr Angehörige der niedersten Volksklassen an, als in der Königsau. Als diese Leute nun das von Reitern umgebene liebliche Mädchen in dem schönen Gefährte sahen, brachen sie in johlende Hochrufe aus, und die Polizisten konnten es nicht hindern, daß sich von der Menge ein mit lautem Geschrei dem Wagen nachlaufender Haufen jungen Volkes loslöste.

In den nächsten Tagen sprach man in der ganzen Stadt von nichts anderem, als von Kitty und ihrem jedermann überraschenden Triumph. Daß dieser durch eine künstliche Mache vorbereitet gewesen sei, glaubten nur einzelne überkluge Pessimisten. Wohl aber war die vorherrschende Meinung, daß das nach manchen Richtungen bedenkliche Schauspiel durch die Beteiligung der Königin an dem Feste vermieden worden wäre. In der Aristokratie war man sehr unwillig darüber, daß an der demonstrativen Kavalkade sich junge Herren aus den besten Familien beteiligt hatten. In den Hofkreisen herrschte eine Art Bestürzung über den Vorgang, und selbst Graf Lanzendorf zeigte sich etwas verstimmt.

Der König hatte nach dem Korsofeste die ganze Nacht im Palais der Rita verbracht, war am folgenden Tage ungewöhnlich heiterer Laune gewesen und hatte Ordre gegeben, daß seine Übersiedlung nach Dianenlust noch um acht Tage aufgeschoben sei.

Während Kittys Photographien in allen Schaufenstern zu sehen waren, bemächtigte sich der Geschäftsgeist ihrer Volkstümlichkeit, und zwar waren es die Bezeichnungen »Danaë« und »Goldregen«, mit denen auf sie hingewiesen wurde. Namentlich bei allen möglichen Damenartikeln vom Glacéhandschuh bis zum Badeschwamm wurde durch solche Bezeichnungen ein Zusammenhang mit ihr gesucht. Aber auch für Cigarren und Liqueure wurde diese versteckte Verbindung herangeholt, und in den Bierkonzerten spielte man eine Danaëpolka und eine Goldregenquadrille. Schließlich tauchte in einem der äußeren Viertel auch ein Restaurant »Zur neuen Danaë« auf. Neben dieser versteckt auf sie deutenden Geschäftsmode war aber vom Korsotage an eine Bezeichnung für sie in Umlauf gekommen, die rasch in allen Ständen zur Gewohnheit wurde. Man sprach weder von der Rita, noch von der Maitresse, Geliebten oder Favoritin, erst recht nicht vom offiziellen »gnädigen Fräulein«, sondern sie war für die ganze Stadt »das Königsliebchen.«

Der kosende Beiklang dieses Namens gewann für die Leute einen besonderen romantischen Reiz, als nach einigen Wochen ein neuer Vorgang allgemeiner Gesprächsgegenstand wurde. Ein kleines Dampfboot, das, wie man hörte, Bachmann angekauft hatte, nahm, weit draußen am Ende der Stadt, gegen Dianenlust zu liegend, zu dunkler Nachtzeit das Königsliebchen auf und legte wieder an einem bestimmten Punkte des großen Parkes von Dianenlust an. Dann fuhr es langsam den stillen Strom hinab und wieder hinauf. Aus einer großen goldgefaßten Laterne, die eine goldene Nixe am Vorderbug emporhielt, leuchtete weithin grünes Licht. »Sphinx« hieß das Schiff. Man sah hinter blauen Vorhängen die Deckkajüte beleuchtet. Ein Liebeslager von unerhörter Märchenpracht sollte sich da drinnen befinden. Des Schiffes Führer und die kleine Bedienungsmannschaft blieben nicht unbekannt, denn das Königsliebchen fuhr auch gelegentlich bei Tage auf dem Strom spazieren. Sie wollten aber nicht einmal wissen, daß sie in der Nacht, wo jede Schiffahrt verboten war, gefahren seien und wurden grob, wenn man viel fragte.

Eine besondere Folge der Volkstümlichkeit Kittys waren nicht nur zahlreiche Bettelbriefe gewöhnlicher Art, sondern auch Gesuche um ihre Vermittlung beim Könige in allen möglichen Angelegenheiten, und nicht bloß auf schriftlichem Wege trat man an sie heran, sondern der Portier hatte oft seine liebe Not mit den Leuten, die bei dem gnädigen Fräulein vorgelassen werden wollten. Nach einigen Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten, die daraus entstanden, wurde auch diese Angelegenheit durch das Ehepaar Bachmann geordnet. Der Leibkammerdiener machte es seinem Gebieter klar, daß sich das gnädige Fräulein mit einfachen Abweisungen derjenigen doch nicht erwehren könne, die von ihrer Vermittlung besonderen Erfolg hofften, und deutete dabei an, daß eine immerwährende Zurückweisung ihrer Fürsprache sie in ein ungünstiges Licht bringen und allerlei Wühlereien und hetzenden Redensarten bei den niederen Klassen einen günstigen Boden bereiten könnte. So erteilte der König Kitty die Erlaubnis solche Gesuche, die nur auf Unterstützungen oder Begnadigungen Bezug hatten, zur Vermittlung an ihn zu übernehmen, schärfte ihr aber strenge ein sich von allen Angelegenheiten, die Anstellungen, Beschwerden oder gar politische Dinge betrafen, fernzuhalten. Frau Bachmann prüfte die direkt eingereichten Unterstützungsgesuche und lenkte auch die förmlichen Audienzen, die Kitty solchen Personen erteilte, die ihre Vermittlung beim König anstrebten. Ehe diese Leute das Königsliebchen zu Gesicht bekamen, hatten sie erst durch sie eine Prüfung und eine Unterweisung zu erfahren, so daß der königliche Befehl mit seinen Beschränkungen streng aufrecht erhalten wurde. Kitty selbst ließ sich in diesen Audienzen wie eine Puppe von Frau Bachmann lenken, nahm nach deren Weisung immer nur Schriftliches entgegen, lehnte jede rein mündliche Vermittlung ab und trat auch dem König in diesen Angelegenheiten nicht anders denn als niedliche Botin der Gesuchsteller gegenüber. Aber die Volksphantasie malte sich allerlei Bilder vor, in denen das Königsliebchen gewissermaßen um der Gesuchsteller willen sündigte, die Gewährung der Bitte der Leidenschaft des Königs zur Bedingung machte. Der Erfolg so manchen Gesuches bestätigte die Volksmeinung und, es waren keineswegs nur »kleine Leute«, die diesen Weg zur Gnade des Königs betraten, sondern auch Personen besseren Standes rechneten in solcher Weise mit den königlichen Schäferstunden. Zumal Frauen, die eine Audienz bei Kitty gehabt hatten, erzählten in ihren Kreisen, wie »lieb und süß« sie mitten in all der Pracht, die man mit Bangigkeit betrete, zu schauen sei, wie freundlich sie lächle und wie gütig sie das kleine, weiße Händchen mit den blitzenden Diamantringen reiche. Andere wieder sagten, sie seien mit einem bitteren Gefühl diese teppichbelegten Stufen und an den hochnäsigen Lakaien vorbeigeschritten, an die eigene Notlage angesichts dieser Üppigkeit einer großen Sünderin denkend, und widerlich sei ihnen der Gedanke gewesen als ehrliche Unterthanen auf solchem Umwege das Herz des Landesvaters zu suchen, aber das sei alles verflogen beim Anblick des Königsliebchens, das wahrhaftig wie ein Engelchen an sie herangetreten sei.

Immer stärker machte sich der Einfluß des Leibkammerdieners geltend. Mit einem Schweif von Klienten bildete er ein förmliches Konsortium zur Ausbeutung der Leidenschaft seines Herrn, der ohne Besinnen alles guthieß, was geeignet schien, den Glanz des Wesens zu erhöhen, das mit seiner weißen Gliederpracht ihn unentrinnbar umschlungen hielt. Am Palais des Königsliebchens, das in seinem Innern zu einer Schatzkammer sich ausgestaltete, wurde unaufhörlich gebaut. Einer beginnenden allzugroßen Fülle halber lernte Kitty reiten, und das wurde der Anlaß einen ganzen Marstall mit den prächtigsten Gespannen aller Art neben edlen Reittieren einzurichten. Dann erwiesen sich die Anlagen am Palais als zu klein. Es wurden benachbarte Grundstücke angekauft, die daraufstehenden Villen niedergerissen und ein Lustpark, der alle Gartenkünste bieten sollte, in Angriff genommen. Der Affe Muckerl war eines Tages an verdorbenem Magen verendet. Bald darauf machte in einem zierlichen Kiosk ein halbes Dutzend Äffchen der Herrin ihre possierlichen Sprünge vor. Ein weißer und ein schwarzer Pudel, eine getigerte Dogge und ein mächtiger Neufundländer waren bereit, sie je nach Laune einzeln oder alle zugleich mit Sprüngen und Gebell zu erlustigen, in einer großen Voliere kreischten buntfarbige exotische Vögel, seltene Tauben girrten in einer anderen, Pfauen schlugen auf einer großen Wiese das Rad. Die Dienerschaft wurde vermehrt, und dabei durfte ein junger Mohr in silberstrotzender Tracht des Spaßes halber nicht fehlen. Das Kerlchen schlug prächtige Purzelbäume und amüsierte das Königsliebchen mit seinen frechen Possen. An die Stelle des Fräulein Schwarz trat eine mit allen Künsten der Damentoilette meisterlich vertraute Pariserin. An Kittys Geburtstag führte das Hofballett im Palais nur vor ihr und dem König üppige Feerieen in prachtstrotzenden Kostümen aus.

Bei den Ladenfräuleins, den Näherinnen, Wäscherinnen und Plätterinnen, in den Fabriksälen war das Königsliebchen der beliebteste Gesprächsgegenstand, und es bildete sich in diesen Volkskreisen etwas wie ein Kultus, eine begeisterte Anhängerschaft, die in ihm gewissermaßen das heimliche Oberhaupt aller Mädchen sah, die verbotener Liebe huldigten. Aber auch die Töchter der besseren Stände zischelten untereinander über das, was sie von den Dienstmädchen erforscht hatten. Die kleinen Beamtenfrauen, die auch hübsch und jung waren und ihre Lebensfreude in der Enge einer sorgenvollen Ehe verkümmern sahen, dachten an das Königsliebchen und seufzten, wenn sie ein altes Kleid umändern mußten, weil zu einem neuen die Mittel fehlten. Die kleinen Maitreffen der Kavaliere und Börsenspekulanten waren in ihren Wünschen bestrebt, ihrem Vorbild möglichst nahe zu kommen, und die vornehmen Damen plauderten bei der Toilette mit ihren Zofen über die Künste der französischen Kammerfrau.

Die Königin hatte sich gänzlich nach Dianenlust zurückgezogen und war nur selten in den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Oft aber fuhr das Königsliebchen im prächtigen Gespanne durch die Königsau oder die Lotharstraße entlang und den Leuten, die den Blick nach ihr wandten, war's, als schauten sie es nackt auf goldenem Triumphwagen.


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