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Achtes Kapitel

Johannes fuhr des andern Tages mit dem festen Entschluß nach Gundlach, seiner Frau alles zu gestehen.

Er erwartete sie in voller Tätigkeit zu finden, wie er bisher gewohnt war, in ihrem Bureau. Da hatte sie das männliche Wesen der Mutter, das ihm oft fast wehe tat, seine Sehnsucht erweckte nach dem kindlichen Klärchen. Heute wäre er dafür dankbar gewesen. Aber er traf sie mitten im Glanze ihres Mutterglückes, mit dem Kleinen beschäftigt, ein ganzes, volles, seliges Weib. Da versagte ihm der Mut, das Bekenntnis blieb ihm in der Kehle stecken, anstatt dessen brachte er Ausreden über sein Ausbleiben, deren mehr teilnahmslose als gläubige Hinnahme von seiten Klärchens ihn kränkte. Ja, selbst als er vorbeugend erwähnte, daß er in den nächsten Tagen wohl öfters über Nacht in der Mandelgasse bleiben müsse, – die Arbeit wachse ihm über den Kopf, er finde hier die nötige Ruhe nicht, hatte Klärchen, ganz in ihr Glück versunken, nichts einzuwenden.

Das war mehr, als er wünschte. Als dann plötzlich Soran eintrat, von Klärchen mit einem herzlichen Lächeln begrüßt, erwachte jäh ein häßlicher Verdacht in ihm, der ihm in diesem Augenblick gar nicht so unwillkommen war, gewissermaßen vor sich selber rechtfertigte.

Ein häßlicher Neid gegen den vom Glück Bevorzugten, den der Zufall seiner Geburt zum ständigen Vorzug gereicht, während er ihn für immer schändet, regte sich in ihm.

War es ein Wunder, wenn Klärchen bei langem Verkehr Ähnliches instinktiv herausfühlte, ihre innerste Natur sich von dem Befleckten ab- und dem Reinen zuwenden würde?

Es gab so geheimnisvolle Kräfte der Seele.

Hin und her geworfen zwischen der tödlichen Furcht, das Einzige verloren zu haben, was ihm einigermaßen Aussicht auf Lösung bot: die Liebe Klärchens, und die traurige Genugtuung, dadurch ein leichteres Spiel zu haben, Schuld gegen Schuld zu tauschen, verlebte Johannes einen qualvollen Tag.

Wohin er blickte, hoffnungslos, fast daß er in die Kramergasse floh zu der todkranken Greisin. Wer weiß, ob ihm dort nicht das einzige treue Herz schlug!

Doch er wollte erst mit Ferrol im reinen sein, – sicher im Rücken! Wer weiß, was sich bis dahin begab. Der Betrug schreitet schnell, wenn er ihm freie Bahn läßt. Vielleicht kann er morgen schon Klärchen getrost gegenübertreten als der geborene Stubensand, ohne nur rot zu werden.

So weit verstieg er sich in seiner überreizten Phantasie.

Der nächste Tag brachte keine Änderung. Klärchen war ebenso harmlos, Soran ebenso besorgt.

Beim Mittagessen erwähnte Johannes seine Absicht, die Nacht in der Stadt zuzubringen. Er habe um sieben Uhr Vorlesung, dann Konferenz und müsse wieder einmal an die Arbeit denken.

Klärchen machte keinerlei Einwendung, nur eine leise Röte stieg auf auf ihren Wangen, – und dann – Johannes täuschte sich diesmal nicht – wechselten die beiden einen Blick des Einverständnisses, an dem ihm vor allem die Sorglosigkeit empörte, das bedenklichste Merkmal eines schon vorgeschrittenen Betruges. Nur mit Mühe hielt er sich zurück. Nach kurzer Zeit stand er auf, schützte Geschäfte vor und ging.

Johannes hat einen schweren Kummer, gnädige Frau, sagte Soran, als Johannes das Zimmer verlassen. Halten Sie sich bereit!

Klärchen erschrak nicht wenig. Sie erkannte sofort die Wahrheit der Worte und machte sich die bittersten Vorwürfe, darüber hinweggesehen zu haben. Oh, ich weiß alles! Eifersüchtig ist er, und er hat auch allen Grund dazu.

Soran machte eine Bewegung offenen Erstaunens und konnte eine aufsteigende Röte nicht unterdrücken. Ich wüßte wirklich nicht, gnädige Frau, – – dann allerdings wäre es an mir –

Jetzt kam das Betroffensein an Klärchen. An Ihnen? Ihr Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. Herr Graf, Sie haben mich völlig mißverstanden. Es kann sich doch nur um mein Kind handeln.

Eine peinliche Stille trat ein.

Oder halten Sie es wirklich für möglich? Auf Klärchens Stirne erschien eine Wolke.

Soran hatte sich wieder gefaßt. Die rasche Untersuchung seines eigenen Innerns, die er angestellt, hatte kein sträfliches Ergebnis, – was er für diese Frau fühlte, brauchte er niemand gegenüber zu verhehlen, auch Johannes nicht.

Ja, gnädige Frau, nicht nur für möglich, sondern für gewiß. Und ich verlange von Ihnen, daß Sie mir die Hand bieten zu seiner gründlichen Heilung.

Gern, nur seien Sie vorsichtig! Johannes ist blind, wenn ihn der Zorn faßt.

Aber auch ein harmloses Kind, wenn er seinen Irrtum einsieht. Wir folgen ihm heute in die Stadt, steigen in der Mandelgasse ab, Dominik darf uns nicht verraten. Johannes befindet sich eher wie nicht im Laboratorium. Er kennt keinen andern Platz, wenn ihn etwas drückt. Dort macht er einen Anschlag auf uns, den ich genau zu kennen glaube. Wir lassen ihn ruhig darüber nachdenken. Wenn er aufbrechen will, erscheinen wir im Laboratorium und richten ihn, anstatt daß er zum Richten kommt. Sie werden sehen, gnädige Frau, wir haben Erfolg mit der Kriegslist!

Schlimm genug, daß wir eine anwenden müssen, im glücklichsten Frieden!

Klärchen gab nur widerstrebend nach. Soran hatte zu oft seine wahre Freundschaft zu Johannes bewiesen, als daß sie jetzt daran zweifeln konnte.

*

Johannes war schon um acht Uhr im Laboratorium.

Auf dem Schreibtisch lag ein Brief mit ihm bekannter Handschrift, – vom Polizeirat Möller.

Hastig öffnete er ihn. Sollte Ferrol –? Das war doch undenkbar. Das ganze Entsetzen über eine mögliche Enthüllung kam über ihn.

Das war seltsam, er traute seinen Augen nicht.

 

»Sie sind mit einem gewissen Christian Ferrol, aus der Kramergasse, in Verbindung getreten, jedenfalls in wissenschaftlichem Interesse. Nachdem ich davon erfahren, ist es meine Pflicht, Sie zu warnen. Dieser Mensch ist ein höchst gefährliches Subjekt, dem das Schlimmste zuzutrauen ist. Ich erlaube mir, Sie an die Affaire Cassan zu erinnern. Auch er war ein Opfer seiner Sorglosigkeit. Sehen Sie in dieser privaten Mitteilung nichts, als eine lebhafte Fürsorge für Ihre Person.

Ihr ergebener Doktor Möller.«

 

Sollte er diesen Mann wirklich falsch beurteilt haben? – – Lebhafte Fürsorge für seine Person! –

Wie er nur davon erfahren hat? – Da fiel ihm der Mann ein vor der Kneipe Ferrols, mit seinem beobachtenden Blick. Der wird ihn erkannt haben.

Das war ja jetzt alles schon wieder Nebensache, dieser Ferrol, die Abfindung, draußen in Gundlach saßen Klärchen und Soran beisammen und lachten vielleicht seiner.

Das war ein noch viel grausameres Bild, wogegen alle anderen verschwinden mußten. Und wenn er mit Ferrol zu Ende, dann eilt er hinaus, schleicht in das Haus, ganz heimlich und – – – Oh! Er öffnete die Augen, um nicht so Entsetzliches zu sehen.

Da wurde er ruhiger. Was er doch für ein Mensch war, in einer Minute hat er an zwei Gewalttaten gedacht, – Ferrol und Soran lagen vor ihm in ihrem Blute!

War das nicht höchst bedenklich? Oder stiegen sie aus diesem blutgetränkten Boden auf, die Dämonen der Vernichtung?

Ein unerträgliches Angstgefühl erfaßte ihn. Gleich neun Uhr! Wenn er nicht bald kommt, geht er. Die Luft versagt ihm hier. Draußen rauschte der Wind in den Ulmen, der Regen schlug an die Fenster. Oder kam wer? – Er lauschte. – – Nichts!

Auf dem Tische lagen die Banknoten, die Abfindungssumme. Es war ihm unmöglich gewesen, mehr als fünftausend Mark los zu machen, ohne Klärchen davon zu benachrichtigen. Die zweite Hälfte sollte Ferrol erhalten, wenn er die Stadt verlassen. Das wollte er ohnedies zur Bedingung machen. Für die Mutter wollte er selbst sorgen.

Die Warnung des Rates fiel ihm ein. Besser wäre es doch, er legte das Geld in die Lade. Der Anblick hatte ja hier schon einen toll gemacht.

Er griff nach den Papieren, plötzlich besann er sich und legte sie wieder zurück; dann öffnete er die Lade, nahm einen kleinen Revolver heraus und steckte ihn zu sich für alle Fälle.

Er wird sich hüten! murmelte er vor sich hin. Es ließ ihm jetzt keine Ruhe mehr. Er trat hinaus in den Garten, ging der Gartenpforte zu, die er selbst für Ferrol geöffnet.

Da knirschten Schritte auf dem Kies. Ein Mann trat aus dem Dunkel.

Ferrol?

Jawohl, Herr! flüsterte die Stimme.

Folgen Sie mir.

Bitte! Ich kenne mich aus. Ferrol betrat hinter ihm das Zimmer.

Er blieb unter der Türe stehen, sah sich neugierig um und nickte mit dem Kopfe. Ich möchte hier nicht wohnen, Herr.

Johannes war an den Schreibtisch getreten. Hier treten Sie her, befahl er barsch.

Ferrol befolgte den Befehl nur zögernd, sich vorsichtig umsehend, nach allen Seiten horchend. Er machte jetzt wirklich einen unheimlichen Eindruck.

Beruhigen Sie sich, es ist niemand um die Wege, bemerkte Johannes. Vor allem, wie geht es Frau Ferrol?

Ferrol erwartete wohl die Frage nicht. Er schien förmlich zu erschrecken darüber. Besser gerad' nicht, aber was kann man sagen.

Was der Doktor sagt, möchte ich wissen?

Der Doktor! Oh, der Doktor! Sie kennen ja die Herren Doktoren. Der Doktor meint halt schwach, recht schwach – sonst weiter – Er zuckte die Achseln und atmete schwer auf.

Dann zu unserer Angelegenheit! fuhr Johannes fort. Sie verlangen also 10 000 Mark für Ihr unverbrüchliches Schweigen?

Nicht um einen Heller mehr, Herr Doktor!

Das kann ich Ihnen aber mit dem besten Willen nicht zahlen, – wenigstens auf einmal nicht.

Ferrol runzelte die Stirn. Herr Doktor, drücken Sie sich nicht so herum. Gehandelt wird nicht. Dort liegen sie ja schon. Er blinzelte nach den Banknoten auf dem Tische.

Johannes beobachtete ihn scharf. Die Habgier leuchtete aus seinen kleinen, scharfen Augen.

Es sind aber nur 5000. – Sie wissen ja selbst, ich verfüge über keine großen Mittel, – außerdem zahle ich die zweite Hälfte erst, wenn Sie aus der Stadt sind. Ich muß doch eine Sicherheit haben, Ihnen gegenüber.

Sicherheit! Ferrol lachte spöttisch. Hören Sie, so weit sollten Sie unsereines doch kennen, als der Sohn vom Stubensand.

Johannes stieg das Blut in das Gesicht, er hielt sich mit sichtlicher Mühe zurück. Nie wird er vor diesem Menschen Ruhe bekommen! Sie wollen also nicht? – Dann können Sie gehen. Seine Hand zitterte auf der Lehne des Stuhles.

Ferrol lachte ärgerlich und rührte sich nicht. Sind Sie doch nicht so, – Sie lassen mich ja doch nicht –

Ich rate Ihnen zu gehen, sagte er drohend Augenblicklich! Sie können tun, was Sie wollen, – ich fürchte Sie nicht mehr.

Ah, wirklich? Sie fürchten mich nicht mehr? Ferrol trat ganz nahe an ihn heran und legte die Hand auf den Tisch, – ein stechender Blick traf Johannes.

Der dachte der Warnung des Polizeirates und senkte die Hand in die Tasche mit dem Revolver. – Er fühlte das kalte Eisen.

Gehen Sie! sage ich Ihnen.

Warum haben Sie das schöne Geld da schon hergerichtet? Ferrol blickte gierig auf den Pack Banknoten.

Johannes ließ ihn nicht aus den Augen. Er glaubte die Begierde wachsen zu sehen, hinter dieser niederen Stirne.

Ich rate Ihnen, Sie geben das Geld, Herr. – Ich geh' nicht ohne das Geld.

Johannes schwieg.

Sie geben es nicht? Ferrol beugte sich vor, daß sein Gesicht dicht vor dem Ohnesorgs war.

Zurück, Mensch! Johannes flüsterte es nur mehr, seine Lippen waren krampfhaft geschlossen, – seine Finger umklammerten die Waffe in der Tasche. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!

Ferrol setzte das Scheitern aller seiner habgierigen Hoffnungen in die äußerste Wut.

Mein Leben? Um Ihr Leben handelt es sich, Herr!

Vor Johannes senkte sich die rote Wolke.

Um Ihr Leben! Die Hand Ferrols legte sich auf seine Schulter.

Da faßte ihn Johannes schon mit eisernem Griff an die Schulter. Schurke! Räuber!

Ferrol wollte sich losreißen. So wär's gemeint, Herr Stubensand?

Ein Schlag traf ihn. Er erwiderte ihn. Johannes glaubte etwas blitzen zu sehen in der Hand Ferrols, – ein Messer, – da hatte er schon den Revolver gezogen.

Ferrol stieß einen heiseren Schrei aus und umklammerte mit einem Griff seine Kehle.

Da blitzte ein Schuß auf!

Ferrol taumelte zurück. Ein zweiter Schuß fiel. Da lief er brüllend zum Fenster, riß es auf.

In dem Augenblick ertönte draußen ein schriller Pfiff, ein zweiter antwortete aus der Ferne.

Ferrol prallte zurück. Auch Johannes stand regungslos, aschfahl, die noch rauchende Waffe in der Hand.

Wieder ertönte der Pfiff, dicht vor dem Fenster.

Ferrol lachte gell auf. Das haben S' gut gemacht! Das ist der ›Hahnenkamm‹!

In dem Augenblick zeigte sich schon ein Gesicht am Fenster, der Helm eines Polizisten, zu gleicher Zeit ging die Türe auf und ein zweiter trat ein.

Ein Blick auf Ferrol, der trotzig dastand, die Hand in der Tasche, genügte.

Der Polizist trat auf ihn zu. Ferrol, Sie sind verhaftet!

Natürlich! Ferrol lachte. Und was ist's mit dem da? Er wies auf Johannes, der zur Besinnung gekommen, den Wahnsinn seiner Tat begriff.

Der Mensch hat mich, wollte mich wenigstens angreifen – erklärte Johannes stammelnd.

Der Polizist winkte ihm ab. Sie brauchen sich nicht zu verteidigen, Herr Doktor. Wir kennen den Mann.

So, Ihr kennt den Mann? brach jetzt Ferrol los. Aber den, – – den kennt Ihr nicht! Er wies höhnisch auf Johannes.

Lassen Sie das Geschwätz und folgen Sie mir, erklärte barsch der Polizist und griff nach Ferrol.

Da öffnete sich die Türe. Johannes wandte sich. Der Polizeirat Möller trat ein, mit einem Polizisten.

Hallo! Jetzt kommt der Rechte! höhnte Ferrol, sichtlich zum Äußersten entschlossen.

Johannes zweifelte keinen Augenblick mehr an dem, was kommen mußte. Eine Ergebung in das Unabänderliche kam über ihn.

Der Polizeirat überblickte rasch die Situation, dann trat er zu Johannes. Sie sehen, daß meine Warnung, die Sie leider nicht geachtet, völlig gerechtfertigt war. Wäre ich nicht sorgsamer gewesen, wie Sie, und hätte den Mann nicht Schritt für Schritt beobachten lassen, hätten Sic Ihre Unvorsichtigkeit schwer zu büßen gehabt. Führen Sie den Mann ab! befahl er dem Polizisten.

Nur langsam, Herr Polizeirat! begann Ferrol. Sie sind ja ein gerechter Herr, das weiß ich, und wir sind ja immer gut g'fahren, wir zwei –

Schweigen Sie! – Fort mit dem Menschen! befahl jetzt der Rat kupferrot. Was Sie zu sagen haben, hören wir noch früh genug. Auf der Tat ertappt und erlaubt sich noch Frechheiten!

Auf was für einer Tat? – Wissen S' das auch, Herr Rat?

Der Polizist packte Ferrol und zerrte ihn nach der Türe. In dem Augenblick hemmte der Aufschrei einer Dame, die, von einem Herrn gefolgt, stürmisch eingetreten und sich Johannes an den Hals warf, jede weitere Handlung.

Selbst der Polizeirat verlor seine starre Diensthaltung. Nur Ferrol grinste befriedigt. Der furchtbare Humor des Gauners kam über ihn, der nichts mehr zu verlieren hat.

Sind die Herrschaften jetzt alle da? – Na, dann kann's losgehen! – Jetzt hören S', auf welcher Tat Sie mich ertappt haben, Herr Polizeirat!

Dieser war selbst peinlich berührt, von der Dazwischenkunft Klärchens, welche den Arm um den Nacken des Gatten geschlungen, ihn herausfordernd ansah. Er machte eine Bewegung der Abwehr.

Sie müssen mich anhören! rief jetzt Ferrol. Der Rat wies mit einem Wink die beiden Polizisten an, das Zimmer zu verlassen. Sehen S' das Geld dort am Tisch? – Das ist mein Schweiggeld, – um das er mich herbestellt hat, der Herr Doktor Ohnesorg! Schweiggeld um was? –

Es lag jetzt so abgrundtiefe Bosheit und Haß in diesem verzerrten Gesichte, daß Klärchen die Augen davor schloß.

Da schauen S' her, Herr Rat! Da! Ferrol streckte den Arm gegen Johannes aus, der Klärchen fest an sich preßte. Da steht das ›Kind‹, um das Sie mich schon so oft gefragt haben, – das Kind vom Stubensand! – Haha! Ja, ja, gnädige Frau, – das Kind vom Stubensand! – der auf dem Platz da – Ihren Vater ermordet hat! Georg Stubensand!

Die Wirkung der Worte wirkte lähmend auf alle Anwesenden.

Klärchen aber stieß ein kurzes Stöhnen aus und lag wie leblos in den zitternden Armen Johannes', den wohl nicht die zarte Last allein in die Knie herabzog.

Ferrol selbst schien einen Augenblick betroffen, dann fuhr er von neuem fort: Er soll mich nur Lügen strafen, wenn er's kann! Darum das Schweiggeld! Da liegt's noch, Herr Rat! Und weil er mich los hat sein wollen für alle Zeiten, hat er auf mich geschossen. – Da – Er riß Rock und Weste auf. Untersucht mich, ob ich ein Messer bei mir hab'! Oder schau' ich so stark her mit meine siebzig Jahr, daß ich mit der bloßen Hand zu fürchten wär'? Aus dem Weg hat er mich haben wollen! Umbringen hat er mich wollen, wie sein Vater den Cassan auf demselben Platz. – So, jetzt bin ich fertig – und ich dank' schön, Herr Rat, daß mich ang'hört haben!

Dieser hatte seine ganze Haltung verloren. Er trat ganz gebeugt zur Türe, öffnete sie und rief den Polizisten. Ferrol folgte willig mit einem höhnischen Gruß an alle Anwesenden.

Klärchen lag noch in den Armen Johannes', der, über sie gebeugt, seine ganze Umgebung vergessen zu haben schien.

Möller trat zu ihm. Ich bedaure selbst von ganzem Herzen diesen Ausgang, Herr Doktor, sagte er mit unsicherer Stimme, nichts weniger als hart. Ich wollte Sie nur vor dem Schlimmsten schützen. Hätten Sie mir vertraut!

Da erhob Soran seine Stimme, der am Fenster stehend den ganzen Vorgang tief erschüttert mit angesehen. Sparen Sie Ihre Worte, Herr Rat! Sie stehen ja glücklich am Ende Ihrer Fährte, – und können mit eigenen Augen sehen, wie es um die Gerechtigkeit steht, wenn der Haß sie leitet anstatt die Liebe, das starre Gesetz anstatt der lebendige Geist!. Hier, – Ihre Opfer! Er wies auf Johannes und Klärchen.

Der Rat nahm die Mahnung gelassen hin, in den harten Zügen kämpfte sichtlich eine tiefe seelische Erregung, die Erkenntnis eines großen Irrtums mit einem starren Sinn.

Ich kann Ihnen darauf nichts erwidern, Herr Graf. Sie werden aus meinen weiteren Maßnahmen sehen, wie weit ich Ihren herben Vorwurf verdiene. Er verbeugte sich gemessen und verließ sichtlich tief bewegt das Zimmer.

Klärchen weckte wohl die lautlose Stille, die jetzt auf den Tumult der Stimmen folgte. Sie schlug die Augen auf, sah sich verwirrt um, dann auf Johannes. An seinem bleichen Gesicht kam sie zum Bewußtsein des Geschehenen, blitzschnell ordnete es sich in ihr. Sie löste seine Arme, richtete sich auf die Knie empor. Johannes! Frage und Anklage lag darin. Starr blickte sie ihn an. Ist es wahr, was er sagte?

Er nickte mit dem Kopfe. Es ist wahr!

Du! Du! Sie schlug die Hände vor das Antlitz und schluchzte laut.

Soran trat vor sie. Fassen Sie sich, gnädige Frau, urteilen Sie nicht zu rasch, bei dem großen Toten nicht!

Oh, es ist zu furchtbar, – er – er –! Und er wußte es und konnte schweigen!

Er wußte es nicht, bis vor zwei Tagen.

Klärchen schienen die Worte etwas zu beruhigen. Ist das so, Johannes? sagte sie, sichtlich von einer neuen Hoffnung beseelt. Ja, es muß ja so sein, – du wußtest es nicht? fragte sie.

Johannes beugte das Haupt und schwieg. Es war eine furchtbare Anklage, dieses Schweigen. – Eine Anklage, die auch Soran verstummen machte.

Klärchen seufzte schwer auf, legte die Hand auf die Stirne und schwankte der Türe zu.

Soran hielt sie nicht zurück.

Als ihr schleppender Schritt verhallt war, hob Johannes erst das Haupt. Er schien um Jahre gealtert, die Augen blickten irre.

Warum folgtest du ihr nicht? fragte er Soran. Jetzt kommt ja deine Zeit!

Das schmerzhafte Zucken seines Antlitzes, die Tränen in seinen Augen, die Größe seines Unglückes ließen bei Soran keine Bitterkeit aufkommen.

Johannes! Noch nicht geheilt, – und so viel gelitten?

Es lag eine so tiefe Mitempfindung in diesen Worten, es sprach solche Liebe aus diesen Augen, daß Johannes mit einemmal seinen törichten Wahn begriff.

Er warf sich an die Brust des Freundes und ließ dem Sturm der Gefühle freien Lauf, der ihm die Brust zu zersprengen drohte.

Soran ließ ihm Zeit.

Und jetzt sag mir: Warum hast du nicht geantwortet, als sie dich fragte? Du wußtest doch wirklich nichts, noch vor zwei Tagen?

Aber ich ahne es seit zwei Jahren, ich bin ihm nur feige ausgewichen. Ich habe nicht redlich geteilt mit Klärchen, wie du von mir verlangt hast. Ich habe betrogen, und daß ich jetzt schwieg, ist nur der Anfang der langen Buße, der ich entgegengehe. Ich danke dir, Soran, du hast viel an mir getan! Jetzt gebe ich dich selber frei!

Johannes schäme dich! Hast du den Bund vergessen, damals in H.... an deinem Krankenbette? Wir wollen der Finsternis ihr Eigentum entreißen auf allen unseren Wegen! Hältst du mich für wortbrüchig?

Du kannst mir auf meinen Wegen nicht mehr folgen!

Das stimmte schlecht zu unserem Vorsatz! Nenne mir den Weg, auf den ich dir nicht folgen kann!

Das will ich, Soran! Zur Frau des Cassanmörders, zum Weib dieses Ferrol, zu meiner Mutter, in die Kramergasse! Es ist mein nächster Weg. Die nachher kommen, kenne ich selbst noch nicht.

Und wann willst du ihn antreten? fragte Soran.

Sofort! Ferrol ist verhaftet. Es wäre ja möglich, daß die Polizei sie belästigt, – die Nachbarn – Johannes' Blick erhob sich nicht vom Boden.

So komm! Gehen wir!

Johannes sah verwirrt auf. Du, Soran, – du willst mit – – wirklich mit? Zu meiner Mutter, – der Frau des Stubensand!?

Wenn ich dich nicht störe, Johannes.

Soran, – das – das ist zuviel! Johannes versagte die Stimme. Wenn man dich dort sieht! – Die Polizei! – Sie könnten deinen Namen verlangen. – – Aber nein – du mußt mit, Soran, – aus ihrem Munde sollst du alles hören, wie es gekommen, – wie sie es mir erzählte. Oh, ich weiß bestimmt, du wirst milder denken über die Unglückliche. – Es klingt das ganz anders, wie man es in den Gerichtsstuben hört oder in den Büchern liest.

Johannes hatte mit diesen erregten Worten Hut und Stock genommen. Und dann, – seine stürmische Erregung machte plötzlich einem schwermütigen Ernst Platz, dann kannst du vielleicht doch meiner Frau davon erzählen. – Ich meine nur, – dich wird sie ja anhören.

Soran antwortete nicht darauf und drängte Johannes zum Gehen. Er fragte den alten Dominik, der, noch immer am ganzen Körper zitternd, das Tor öffnete, nach Frau Ohnesorg.

Fort! – Fort! – Nach Gundlach! – Kommt wohl nimmer in das Haus, stotterte er.

Johannes beugte das Haupt noch tiefer bei der Nachricht. Geflohen – vor mir!

Soran war anderer Ansicht. Zu ihrem Kinde! – Ich wüßte mir keinen Platz, an dem sie in diesem Augenblicke besser aufgehoben wäre. Alle bösen Geister fürchten ihn.

Die beiden Freunde schritten der Kramergasse zu. Johannes mußte Soran den Vorfall mit Ferrol erzählen. Er konnte sich selbst nicht mehr Rechenschaft geben über seine Handlungsweise, so ausgelöscht erschien alles in ihm. Er erinnerte sich wohl, von einer plötzlichen Furcht befallen worden zu sein, an einen tätlichen Angriff Ferrols geglaubt zu haben, andererseits aber war er mißtrauisch gegen sich selbst, – ob ihm nicht der Haß, der Widerwille, – Schlimmeres vielleicht, – den Sinn verwirrt und Dinge vorgespiegelt, die nicht waren. Nun, Rat Möller wird gewiß nicht versäumen, Licht in die Sache zu bringen. – Ich bin auf alles gefaßt!

Soran teilte seine Befürchtung nicht. Du hast nicht Zeit gehabt, ihn zu beobachten. Du irrst dich in ihm. Es wird sich ganz anders zeigen als du erwartest.

Johannes lächelte nur über die Beruhigungsversuche Sorans nach allen Seiten.

Sie betraten die Kramergasse. Johannes fiel sofort eine gewisse Erregung auf, die das Erscheinen zweier unbekannter Herren sichtlich noch vermehrte. Mißtrauische Blicke trafen sie, – man steckte die Köpfe zusammen.

Als sie sich aber der Nummer vierzehn näherten, fanden sie den engen Durchgang von einer Menschenmenge förmlich verstopft.

Es herrschte eine auffallende, fast feierliche Stille, die bei solchen Volksansammlungen und solchen Anlässen nicht üblich ist.

Die Leute murrten über das rücksichtslose Vordrängen der beiden gegen den Eingang des Hauses. Ein Polizist trat hinzu und drängte Johannes rauh zurück.

Schämen Sie sich! Wenn a Tote im Haus! hörte er neben sich eine Frauenstimme.

Da stieß Johannes den Polizisten gewaltsam zurück. Ein förmlicher Auflauf entstand. Er war nahe daran, verhaftet zu werden. Vergebens legte sich Soran in das Mittel.

In diesem Augenblicke trat ein Mann aus dem Hause.

Lassen Sie den Herrn durch! befahl er dem erstaunten Polizisten.

Johannes erblickte den Polizeirat Möller vor sich. Folgen Sie mir, meine Herren!

Die drei betraten das Haus, von Schimpfworten aus der Menge verfolgt.

Johannes sah sich in dem Gewölbe, in dem er seine Mutter gefunden, – nur der gelbe Stern fehlte im Hintergrunde, – schwarze Finsternis! – – Der Rat entzündete ein Licht. Folgen Sie mir!

Johannes wußte, was ihn erwartete. – Er folgte mit Soran zwischen den krausen Dingen, die rings umher lagen und hingen, von dem Lichtschein phantastisch beleuchtet.

Der Lehnstuhl stand auf demselben Platz, – leer.

Johannes hielt einen Augenblick. – In der tiefen Grube in dem Kissen, die das Haupt gedrückt, kauerte die Qual einer ringenden Seele und glotzte ihn an mit tieftraurigem Blick.

Hier war's! flüsterte er zu Soran. Du kommst zu spät!

Der Mann mit dem Lichte bog nach rechts und blieb vor einer Holztür stehen. Sein Gesicht hatte den brutalen Ausdruck völlig verloren, nur ein tiefer Ernst lag darauf.

Herr Ohnesorg, da drinnen liegt Frau Ferrol. Sie war schon gestorben, als der Elende zu Ihnen kam. Ich lasse Sie allein. Er zog sich zurück.

Johannes legte die Hand auf den Drücker der Türe, zögerte einen Augenblick, dann öffnete er.

Es war ein enger Raum, angefüllt mit demselben Gerümpel, das alle Winkel des Hauses füllte. Auf einem Stuhl stand ein Unschlittlicht mit herabgebranntem Dochte und streute sein spärliches Licht über Frau Sanne. Auf dem ungepflegten Lager mit den zerrissenen Kissen, aus denen die Federn quollen, mit einem schäbigen Pelzmantel bedeckt, der in seiner verblichenen Vornehmheit seine Herkunft aus dem Gewölbe verriet, das graue Haar verwirrt, glich sie selbst einem zerschellten Stück Leben, angeschwemmt im Gewölbe der Kramergasse!

Und doch ging ein Glanz von ihr aus, der nicht von der Unschlittkerze stammte auf dem Stuhle, das war das Antlitz, das hervorleuchtete aus dem düstern Kram.

Lange blickte Johannes schweigend auf die Tote, – dann sank er plötzlich auf die Knie, barg sein Haupt in dem schäbigen Pelz und küßte die kalte, faltige Hand. Mutter!

Kannst du dich der Worte deiner Frau erinnern, neulich, vor dem Denkmal? sagte plötzlich Soran. »Wissen wir doch nicht, wieviel am Kleide haftet, wieviel an dem, was es bekleidet.« Hier haftete viel am Kleide!

Johannes packten die Worte. Nicht wahr, du siehst es durchleuchten, Soran? Sieh nur! – Sieh nur! Er strich mit seiner Hand über die kalte Stirne der Toten und betrachtete sie mit einem Blick zärtlicher Liebe. Oh, wenn sie jetzt da wäre! Wenn sie mit klaren Augen sähe! Soran, – ich – ich hoffte noch!

Hoffe auch so! Und jetzt komm! Lasse das Kleid!

Johannes ergriff ein bitteres Weh beim Scheiden, immer sah er die Lippen sich bewegen: »Mein kleiner Bini!« Noch einmal drückte er die Hand auf die geschlossenen Augen, – – dann folgte er dem Freunde.

Der Rat stand draußen und wartete.

Ich danke Ihnen! sagte Johannes. Sie waren mir das nicht schuldig.

Doch, – ich würde es sonst nicht getan haben! Der Redlichste vergreift sich! Es zuckte verdächtig in dem Gesichte des Rates. Ferrol ist morgen auf freiem Fuß, er wird Sie nicht mehr belästigen, – ich sorge dafür.

Soran drückte ihm schweigend die Hand.

Bitte, meine Herren, machen Sie den Weg durch den Gang links, Sie kommen dann durch den Hof ins Freie! mahnte der Rat. Es wird besser sein!

Es hatte gewittert. Die frische Nachtluft brachte Johannes erst wieder zur vollen Erkenntnis seiner Lage.

In der Nähe der Mandelgasse angekommen, bat er Soran, die Nacht bei ihm im Cassanhause zuzubringen.

Dieser schlug die Einladung rund ab, ohne einen stichhaltigen Grund dafür anzugeben.

Johannes drang nicht länger in ihn. Soran hatte am Ende recht: es kam ihm nicht mehr zu, dort Gastfreundschaft zu üben.

Wo bleibst du denn die Nacht?

Johannes bereute die Frage, als er sie kaum getan.

Ich fahre nach Gundlach! erwiderte Soran ohne Zögern. Jetzt wagte Johannes keine Frage mehr, und Soran erklärte sich nicht weiter.

Sie trennten sich gewissermaßen verlegen.

Gundlach!

Der Name erfüllte Johannes plötzlich ganz. Er glaubte es in der Ferne leuchten zu sehen wie eine Morgenröte!

Den Blick fest darauf gerichtet, schritt er an den Fuhrwerken vorbei in den unmerklich dämmernden Morgen hinaus.

*

Glorreich ging die Sonne auf über Gundlach! Es war empfindlich kalt, silberner Tau glänzte auf den Gräsern und Sträuchern.

Da fröstelte Johannes Ohnesorg, der auf den Stufen des Cassandenkmales saß, und er fuhr aus dem Schlummer auf, der ihn übermannt. Die Glocken in den Werkstätten riefen zur Arbeit. Das geschäftige Leben der Kolonie hatte begonnen. Der Dampfhammer pochte, die Schneidsägen kreischten, aus der Kirche drang der Ton der Orgel herüber, die verhallenden Töne eines Knabengesanges.

Johannes blickte den Weg entlang, der durch den Park führte. Die Sonne trieb ihr Lichtspiel in den Blättern der Buchen, die Vögel sangen, Eichhörnchen jagten sich Stamm auf, Stamm ab.

Es war ja töricht von ihm, jetzt schon daran zu denken! Jetzt herzte sie wohl ihren Kleinen, der aus dem Schlafe erwacht, und vergaß darüber alle Schmerzen des vergangenen Tages. Dann spricht Soran vielleicht mit ihr, bittet für ihn. Aber so rasch wird das nicht wirken. Sie muß sich erst an den entsetzlichen Gedanken gewöhnen, – Tage gehen vielleicht vorüber.

Gleichviel, er wird warten.

Wenn sie vergessen kann, kommt sie! Und wenn sie nicht kommt, – dann – nimmt er ihn allein auf, den Kampf, in dem keiner Sieger blieb bisher, und wenn auch sein Herz darüber bricht.

Wieder schlug die Uhr eine Stunde. Die Vögel schwiegen schon, sommerliche Schwüle stieg auf unter den Bäumen.

Vielleicht hatte die Erschütterung sie niedergeworfen, war sie krank – und erwartet ihn!

»Ja, es muß so sein! Du wußtest es nicht!« waren ihre letzten Worte, ihre letzte Frage. Er antwortete nicht darauf. Und doch hätte er darauf antworten sollen!

Er sprang auf, er traute sich selbst nicht mehr. Wenn sie noch länger ausblieb, dann ging er zu ihr. Oh, dieser vertrauensvolle Soran! Hatte er nicht ganz im geheimen auf ihn gerechnet, als er erklärte, nach Gundlach zu fahren?

Der Gedanke scheuchte ihn erst recht auf.

Er setzte seinen Hut auf, griff nach dem Stock, erhob sich schwerfällig. – – Noch einmal sah er hinauf zur Büste Cassans.

Mächtig fesselten ihn die Züge! – – Wie eifrig er auch darin las, er las kein verdammendes Urteil daraus, auch über das Letzte, das Äußerste Frau Mariannens.

Aber das waren Tritte auf dem Kies, das Rauschen eines Kleides. Er wandte sich vorsichtig und spähte hinter dem Denkmal vor.

Der Weg war leer, alles wieder still. Aber das Weiße dort hinter dem Buchenlaub! Wie ein weißer Nebelstreifen zog es heran, ganz langsam, – verschwand, – tauchte wieder auf.

Der Atem stockte ihm. Er mußte die Hand gegen das Denkmal stemmen. – – Immer näher! Jetzt muß es an die Lücke kommen, ein Kleid – – Klärchen!

Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Brust, sein Auge verschlang die Gestalt! Ganz in Weiß, wie damals! Aber der Gang war so schwer, – Schritt für Schritt, als ob die Füße die Last nicht tragen könnten. – – Jetzt sah er ihr Gesicht. Es leuchtete wie Marmor aus dem schwarzen Haar. Aber ihr Blick schweifte auf dem Boden, nicht einer verirrte sich hierher. Sie spähte nicht nach ihm, ahnte nicht seine Nähe.

Das war ihm ein mächtiger Trost, sie kam aus eigenem Antriebe, nicht auf Sorans Rat und Bitte. Sie kam, den Vater um Rat zu fragen in schwerer Herzensnot.

Jetzt barg er sich nicht mehr, – das wäre ein Spiel gewesen, und es war ein großer Ernst.

Aufrecht stand er an die Säule gelehnt, sie erwartend. Und es war, als ob eine Kraft ausströme aus dem kalten Marmor, er hob kühn das Haupt.

Sie kam ganz nahe, Schritt für Schritt, der Kampf der Nacht hatte seine Spuren gelassen auf dem bleichen erschöpften Antlitz, aus dem für Johannes jede frohe Hoffnung sprach.

Eine hohe Liebe entzündete seine Seele und brannte im Nu alles zu Asche, was von Kleinmut und Zweifel in ihm war.

Sie sah ihn nicht in ihrer Versunkenheit. Wie eine Vestalin, die ihr Morgenopfer bringt, trat sie vor das Bild des Vaters. Sie fiel auf die Knie, senkte das Haupt und weinte und sah ihn nicht. – – Sie hob das Haupt zur Inschrift, – ihre Lippen lispelten die hohen Worte.

Da klang es wie aus des Vaters eigenem Munde: Klärchen!

Johannes stand vor ihr.

Sie starrte auf ihn wie auf eine Erscheinung.

Sprich nur ein Wort, – und ich gehe. –

Sie sprach kein Wort, – nur ihr Blick hing an ihm, voller Zwiespalt der Seele.

Ich habe dir schweres Leid bereitet, Klärchen, und doch bin ich nicht so schuldig, als du glaubst –

Darum handelt es sich nicht mehr, Johannes. Die Schuld habe ich überwunden in dieser Nacht, sie ist leicht gegen die Wirklichkeit, deren Sklaven wir alle sind.

Nur solange wir uns nicht über sie stellen, dem Zuge unseres Herzens folgend; hier, Klärchen, fruchtet kein Fragen und Schließen mehr, kein Stein und kein Erz, kein Toter und kein Lebendiger, – nur dem Herz! Das frage, Klärchen, – liebst du ihn noch, den Johannes!

Klärchen beugte sich wie eine Weide unter der Kraft der Worte.

Seine Antwort löscht alles andere, was sich in dir regt, für mich oder wider mich! Du kannst nicht lieben im Widerspruche mit dir selbst, und wenn du liebst, ist alles Wahn, was sich deiner Liebe widersetzt. – Frage dein Herz, Klärchen, – liebst du ihn noch, deinen Johannes? – Du hast es ja längst gefragt, – und wagst es nur nicht – du glaubst ihn wohl zu kränken, den Guten, Großen, da oben. – Nein, ihn kränkst du nicht, und sie auch nicht mehr, die Mutter. – Da mißt man mit anderen Maßen, Klärchen. – Heute nacht habe ich es in einem Totenantlitz gelesen – – es war das Antlitz meiner Mutter, Klärchen! Wenn du es gesehen hättest! Johannes Stimme hatte sich verdunkelt. Er brach jäh ab in seinem Werben um Klärchen und beugte das Haupt in der Erinnerung des Geschauten!

Da legte Klärchens Arm sich um seinen Nacken. Johannes!

Er umfaßte sie wie einen Raub und drückte ihr Haupt an seine Brust.

Eine dunkle Welt stürzte donnernd über ihm ein, und er erhob sich in eine neue, verklärte, – das geliebte Weib an seiner Brust.

Sie hörten den Nahenden nicht, – Soran war es.

Er sah das Paar und hütete sich, es zu stören. Es ging in ihm selbst bei dem Anblick so manches vor, was der Einsamkeit bedurfte.

Auf der Erzplatte des Denkmals glühte der Spruch Cassans im Glanze der Morgensonne:

»Wer der Finsternis ihr Eigentum entreißen will, muß stark sein, wie sie selbst. Abstreifen muß er jedes Vorurteil, jeden Widerwillen, jeden Haß, nur drei Dinge dürfen in ihm wohnen, – die Gerechtigkeit, – die Wahrheit – und die Liebe!«


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