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X.
Ausblick in die Zukunft

Fräulein von Pierrefeu erschien um elf Uhr morgens in großer Toilette aus Purpurseide: Ramman erstaunte sehr.

– Ich danke Ihnen, edle Fee, daß Sie gekommen sind, um sich zu zeigen in einem Festgewande, das Ihnen entzückend sitzt. Die altertümliche Farbe Ihres Kleides, dieses heraldische Violett, gefällt mir unendlich.

– Nicht deshalb unterbreche ich Ihre Arbeit. Emezinde hat mir geraten, Ihnen nichts zu sagen; aber ich denke mir, daß Sie viel Vergnügen haben werden, sie in ihrer Umgebung zu sehen, wo ihre Anmut zum Sprichwort geworden ist … Ja, man sagt »ein Wesen wie die Romanil«, wie man von dem Wesen der Châteauneuf sprach. Sie werden Ihre Fräulein vom Liebeshof sehen. Man kommt immer zu spät, zwischen zwölfeinhalb und ein Uhr: Emezinde wird Sie überraschen. Sie können sich nicht vorstellen, wie elegant sie ist.

– Es ist eine vornehme Hochzeit? fragte Ramman.

– Urteilen Sie selbst, da Sie die Geschichte der Provence kennen: Agnete des Porcellets und Elzear de Sabran.

Er setzte sich wieder an die Arbeit, frühstückte und ging neugierig nach Saint Pierre.

Die Menge überfüllte den kleinen Platz; er hatte Mühe, in die Kirche zu dringen, denn es war ein Schauspiel: der ganze Adel der Provence war da. Ein glatt rasierter Mann, in weißen Haaren, mit dem Benehmen eines alten Dieners aus gutem Hause, setzte seine Eitelkeit darin, Frauen, die seine Verwandten zu sein schienen, die Namen des Gefolges zu nennen.

– Ja, man würde hier die zweiundzwanzig Familien aus der Zeit des Königs René finden.

Die heraldischen, eine Vergangenheit beschwörenden Namen, die er ohne Zweifel einst angesagt hatte, wenn er die beiden Flügel einer Tür öffnete, erklangen wieder auf seinen Lippen mit Wohlgefallen. Er kannte sogar diese Vornamen, die sich keinem Heiligen des Kalenders verbanden, nur dem Lande der Zikaden eigen: Mabile für Amabilis, Agnete, Douce, Phanette, Alayette, Rixende.

Ramman sah zuerst Fräulein von Simiane, köstlich in ihrem rosigen Tüll, und Fräulein von Forcalquier, anmutig schnurrend. Die hellen Kleider, die Strahlen einer lebhaften Sonne, die Blumengewinde des Altars, das vergoldete Geländer des Chors klangen zusammen in eine heitere Symphonie.

– Seht, sprach der Mann, diese große weiße Feder, das ist die schönste Person der Grafschaft: Fräulein Hermezinde de Romanil. Der Prinz des Baux begleitet sie. Sie muß die erste Ehrenjungfrau sein. Aber warum hat sie den Prinzen Balthasar zum Kavalier, nicht einen jungen? Es ist wahr, daß der König von Frankreich nicht sein Vetter ist: das Haus der Baux beginnt mit den Magiern … Also, ihr begreift, die Bourbonen Hugo Capet, Chlodwig, das ist nichts dagegen …

– Und die Romanil, sind sie auch alt?

– Ich weiß nicht, aber sie haben sicher die Kreuzzüge mitgemacht. In diesem Hause sollen die Frauen die große Rolle gespielt haben.

Ramman hörte den Rest nicht. Hermezinde, wie der Mann sagte, begann Almosen zu sammeln. Ganz weiß, einen Filzhut mit langer Feder auf ihren blonden Haaren, in einem Kostüm aus weißem Tuch mit einem Aufschlag von weißem Satin: gewissermaßen mit ihrer Schönheit allein bekleidet, setzte sie ihre Gesellschaft wie die Menge durch ein Strahlen der Jugend und eine Art von Geheimnis in Erstaunen. Ein Murmeln der Bewunderung erhob sich, als sie vorbeiging: die Anmut in ihr verführte ebenso wie die Seltsamkeit. Sie bewegte sich stolz und sanft zugleich, ihrer Würde sicher und gütig in ihrem Lächeln. Jede Gebärde, jeder Blick war ebenso treffend wie passend. Sie schien für eine Prinzessin oder Gesandtin geschaffen zu sein, für das Leben der Höfe oder der Repräsentation. Dieses Publikum begriff nicht ihre unsagbare Schönheit; da es aber die vornehme Welt gut zu beurteilen wußte, bezeigte es durch den Eifer seiner Blicke diesem Wunder an Rasse seinen Beifall.

Ramman hätte schreien mögen, so litt er, während diese Huldigung dauerte. Die steile Schranke, welche die Jungfrau übersprungen hatte, um mit ihm zusammen zu kommen, erschien ihm.

Noch nie hatte er, wie in diesem Augenblick, sich so niedergeschlagen gefühlt. Das Gewicht seiner Armut und Niedrigkeit zermalmte ihn. Er dachte an Ruy Blas Drama von Victor Hugo: Der Lakai als Edelmann.: er hätte seine Seele nicht dem Teufel gegeben, um einer von diesen jungen Adeligen zu sein, weil er nicht an den Teufel glaubte und weil er seine Seele liebte. Von Liebe ergriffen, als er das Fräulein von Romanil erblickte, und von ihr getrennt durch Vorurteile, die entscheidender waren als Partisanen: wie sollte er sich dem adeligen Mädchen nähern? Der herzhafte Bauer hätte früher nur ein Mittel gehabt: die Kutte, die alle überlegenen Köpfe aus der sozialen Tiefe gehoben hatte. Durch die heilige Pforte konnte der gemeine Mann die adelige Frau erreichen: er predigte vor ihr und die Beichte gab ihm ihr Herz. Wieviel Talent zur Liebe unter der Tonsur, bis der Troubadour erschien, der auch vor den Damen sprach und von Liebe sprach und sein Herz bot, unter dem schwerfälligen und unaufmerksamen Auge des tapferen und gewöhnlichen Gatten.

Ohne die providentielle Adelaïde wäre seine Lage nicht verzweifelter gewesen als im Jahre tausend? Ebenso hübsch wie dieser Marquis, ebenso vornehm in seiner Haltung, maß er die Ärmlichkeit seines Anzuges, den Mangel an sportlicher Ausbildung, das Fehlen jener ungezwungenen Haltung, die der Verkehr in der eleganten Welt gewährt.

Wirklich, er hatte noch nicht gemerkt, was die Jungfrau ihm opferte und wie tief sie hinabsteigen mußte, um bis zu ihm zu gelangen.

Was bedeutete er? Die Aussichten eines Talents? Von welcher Flügelweite? Diese Weihe des Erfolges, die aus einem Schriftsteller eine Berühmtheit macht, läßt auf sich warten. Mit einundzwanzig Jahren imponiert man niemandem.

Ach, welch feines Gefühl hatte Emezinde gezeigt, als sie Adelaïde verbot, ihm von dieser Feier zu sprechen! Die Gütige hatte die schmerzliche Stunde vorhergesehen und ihm ersparen wollen.

Der Erzbischof segnete die Verbindung, die, vom Gesichtspunkt der Stadt aus gesehen, glänzend war.

Ein wilder Neid quälte das Herz des jungen Mannes. Niemals würde er zum Altar gehen, im Lichte eines ähnlichen Morgens, glücklich in den Augen aller. Er war das Wesen der doppelten Sünde, gegen Kirche und Familie; das Wesen der Nacht, das man nicht sieht, da es sich verbirgt; der Dieb, der die Ehre stiehlt; der Liebhaber, den man nicht eingesteht; der unmögliche Gatte; der, den man aus Unvernunft liebt, den man aber nicht mehr kennt, sobald der Hahn gekräht hat.

Er besaß, was Salomo vom Herrn erbat, Scharfsinn: er war eine Intelligenz. Was hat das social für einen Wert? Die geistige Macht hat keine andere Evidenz als die Werke und die langsame Zustimmung, die sie hervorrufen.

In der Menge verloren, fühlte er sich nicht genug verborgen. Wenn Emezinde ihn bemerkt hätte, würde sie diesem Burschen, der sich unter die Menge mischte, kaum einen Blick gewähren können.

Eine herzzerreißende Idee begann auf diesen entmutigenden Gedanken zu sprießen. Diese vornehmen Hochzeiten schaffen die Gelegenheit, andere einzuleiten. Man befindet sich dort in dem Geiste, der nötig ist: das Sakrament erscheint unter überraschenden Farben. Wenn ein alter Diener die Palme der Schönheit dem Fräulein von Romanil zuerkannte, wieviele von diesen jungen Leuten, der Rasse nach ihresgleichen, würden die Anwandlung fühlen, als Bewerber aufzutreten! Die Welle von Bewunderung, die das Kielwasser der Jungfrau bewegte, verkündete Pläne, Geständnisse, Handeln.

Zum ersten Male sah er, daß das Band, das ihn mit Emezinde vereinigte, so stark es im Nervensinne war, in Wirklichkeit nicht existierte. Es war ein unvergleichliches Abenteuer, der Traum eines Sommers!

Die Orgel und die Gesänge vollendeten seine Betrübnis: er ging.

An seinen Tisch zurückgekehrt, zwang er sich zur Arbeit.

Als Virginia ihm sein Essen brachte, fragte er sie.

– Fräulein von Pierrefeu, antwortete sie, wird gegen neun oder zehn Uhr zurückkehren, nach dem Diner; die jungen Leute werden noch lange bleiben, um zu tanzen.

Der Appetit war ihm genommen.

Emezinde, an der Hand gehalten und um die Taille gefaßt! Ein Mann, wer es auch sei, so nahe das Aroma dieses feenhaften Körpers einatmend: das brachte ihn in Zorn.

Selbst wenn Fräulein von Romanil ihn liebte, selbst wenn sie ihm gefallen wollte, wie konnte er sie den Ansprüchen der Gesellschaft entreißen? Das war unmöglich zu verlangen, unmöglich zu erreichen.

Er war so traurig, daß er bedauerte, nach Saint Pierre gegangen zu sein!

Gegen zehn Uhr erklang das Pflaster unter dem Rollen eines Wagens. Adelaïde kehrte zurück. Er fühlte sich so verstimmt, daß er nicht hinabstieg, um sie zu empfangen.

Hinter ihm wurden die Türen geöffnet und die köstliche Stimme, bei der jede Nüance ihn liebkoste, rief:

– Die guten Hunde schlafen zu dieser Stunde!

Sie warf sich auf den Stuhl.

– Ah, wie tut das gut, aus diesem Lärm zu dir zu kommen! Adelaïde hat mir nicht gehorcht: ich sehe es an deinem Gesicht: du schaust aus wie ein geschlagener Hund. Komm näher … dort unter die Lampe … Sieh mich an … Du bist bleich … Gieb mir deine Hände … Du bist heiß … du hast gelitten … Gegen meinen Willen … Ich hatte meiner Cousine zu schweigen geboten. Wenn du nicht ein seltsamer Geist wärest … wenn du mir vertraut hättest … du hättest etwas Seltenes gesehen … ich wage es zu sagen … Nämlich: eine Frau, die jeder anblickt und die sich beständig sagt: »Wenn er mich sähe, würde er mit meiner Haltung zufrieden sein? Würde er fühlen, wie sehr ich mich bewahre, mich verschließe, mich zum Salamander mache, für ihn, der es nicht einmal wissen wird?«

– Du bist köstlich, Emezinde!

Sie lachte.

– Dummkopf! Ich bin eifersüchtig, eifersüchtig wie eine Tigerin, wie eine Göttin, so eifersüchtig, daß ich nicht mehr leben könnte, wäre auch nur der Schatten eines Verdachtes. Man hat immer Mitleid für die Übel, die man fürchtet.

– Du bist unsagbar schön und du scheinst mir dazu bestimmt, die Menge zu blenden.

– Ich werde diese Bestimmung schlecht erfüllen, denn da bin ich bei dir, und bin glücklich, bei dir zu sein.

– Du trägst nicht das gleiche Kleid.

– Doch, aber nicht das gleiche Mieder. Ich bin gekommen, um dir meine Schultern zu zeigen. Man hat sie ohne Zweifel gesehen, aber ich zeige sie dir. Willst du sie sehen? Die Schultern sind festliche Personen: benutze die Gelegenheit, daß ich sie dir bieten kann.

Sie hakte ihren Überwurf auf und warf ihn zurück.

Ein plötzliches Licht erschien in dem Halbschatten: die Haut phosphorescierte.

– Du bist so schön, daß man Furcht empfindet. Ich glaubte deinen herrlichen Körper geahnt zu haben: er überrascht mich, er verblüfft mich. Die Linie von deinem Hals bis zu deinem Arm ist reiner als die Antike.

– Glaubst du, daß der Augenblick für Emezinde günstig ist, etwas zu erreichen?

– Geliebte, wenn ich dir sagte, welche Gedanken mich während dieses Tages heimgesucht haben, bis zu welcher Demut ich hinabgestiegen bin, wie sehr ich mich dir gegenüber als ein armes Tier fühle …

– Um so besser! Setze dich auf den Rand des Tisches und beantworte mir klar und deutlich, was ich frage. Dein ursprünglicher Plan war, im September nach Paris zu reisen und dann ohne Zweifel die Mutter zu besuchen. Du wirst erst Ende November reisen und du wirst zu Weihnachten zurückkehren.

– Es handelt sich da um materielle Fragen, die nicht in meiner Macht liegen.

Sie erhob sich, legte ihre wunderbaren Arme um seinen Hals und ließ die Kraft ihrer Blicke leuchten:

– Ich will es. Ich werde jeden Preis bezahlen. Aber hüte dich, auf mein Verlangen zu spekulieren! Es hat mehr Wert für dich, bedenke es wohl, daß du mich nicht zwingst, meine Laune zu bezahlen.

– Ich werde Ende November reisen und ich werde zu Weihnachten zurückkehren.

– Du glaubst schwach zu sein, und ich bin es. Während sie sich um mich drehten wie Nachtfalter um ein Licht, dachte ich daran, deine Abreise zu verschieben und deine Rückkehr zu bestimmen!

– Du liebst mich also! rief Ramman.

– O Dummheit meines Hundes! Narr der Narren! Du sprichst nur Torheiten, wenn du mir gegenüber stehst! Ob ich dich liebe? In Summa, ich weiß es nicht genau, und es hängt von dir ab. In diesem Augenblick, da du wie eine Birke zitterst, weil mein Mund deinem Munde ganz nahe ist, weil du meine nackten Arme gegen deine Wangen fühlst, weil du meine Brust siehst: in diesem Augenblick, da du aus Beherrschung die Liebe ohne Lippen, die Liebe ohne Arme bist, nur der zitternde Spiegel meiner Macht; in diesem Augenblick, da du unter meiner Schönheit leidest, statt sie zu genießen, ja, ich liebe dich! Du ahnst meine Seele, wie du meinen Körper geahnt hast: du widmest mir die Huldigung, die ich wünsche, die keiner von denen, die ich soeben sah, mir geben kann. Ich bin noch nicht Frau, ein Mann ist mir verhaßt. Oh, wie abstoßend drängt deren Begierde! Meine Begierde allein zählt und meine Begierde ist geschaffen aus dem, was du nicht aussprichst und was dich erstickt, aus deiner Zurückhaltung, aus der harten Disciplin, die ich dir auferlege. Ich freue mich als Jungfrau an deinem Begehren, das ich wie eine Jungfrau überwinde. Und weil du mir umsonst gewährt hast, was ich teuer bezahlt hätte; und weil du deine Lippen beißest, um mich nicht zu küssen; und weil du deine Hände krallst, um mich nicht zu berühren: werde ich dir den Trost der Vollkommenen geben, o mein vollkommener Liebhaber!

 


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