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V.
Das theologische Essen

Es war kein gewöhnliches Fest, das Fräulein von Pierrefeu ihrem teuern Kranken bot: zu einer anderen Zeit hätte er es zu schätzen gewußt.

Als die Kirche ihre Geheimlehre vergaß, hat sie diese verdammt. Der Bequemlichkeit hat man alles geopfert, so sehr, daß die Hierarchie keinem geistigen Wert entspricht. Der Bischof besitzt nicht die Kenntnisse, die auf der Höhe seiner Macht stehen. Seine Autorität wird nur disciplinarisch ausgeübt.

Die fünf Geistlichen dieses Essens vertraten das wirkende Licht des unendlichen Katholicismus: ein Konzil wäre nur an Quantität mehr gewesen. Das wußte Ramman. Er kam keineswegs mit der Absicht, zu glänzen: daß Fräulein von Romanil anwesend sein würde, bedrückte ihn, statt ihn zu elektrisieren.

Als das wunderbare Mädchen im Salon erschien, wo sich bereits die Schwarzröcke versammelt hatten, wurde es plötzlich hell. Selbst die Brillen erstaunten; je nach dem Temperament, erwachte ein mehr oder weniger starkes Interesse.

Adelaïde ging der Eintretenden entgegen und küßte sie.

– Meine Cousine Emezinde von Romanil, sagte sie.

Die Priester verbeugten sich.

– Die Vorstellung fällt gewöhnlich so aus, daß man beim Fortgehen fragt, mit wem man so lange geplaudert hat. Ich halte darauf, daß meine schöne Cousine so bedeutende Männer nicht unter einander verwechselt.

Sie faßte Emezinde um die Taille und drehte sie zuerst zu einem hohen Greise, mit schönem Bart, edlen Zügen, von entschlossenem Wesen.

– Reverendus Pater Ephrem, Visitator der Klöster Asiens, Provinzial der Lazaristen für Frankreich, der die gelben, braunen und schwarzen Seelen kennt.

Dann ging sie zu einem Priester von fast militärischer Haltung, mit eckigem Schädel und kurzgeschnittenen ergrauenden Haaren, der Offenheit und Herrschsucht atmete.

– Herr Abbé Boussagol, General-Vikar von Typhonia Peladan, Typhonia (Roman)..

An die Reihe kam ein Magerer und Melancholischer, dessen Antlitz sanft und sehr bleich war.

– Reverendus Pater Reugny, von der Gesellschaft Jesu.

Dann folgte der Abbé Morillet, Lehrer der moralischen Theologie am Seminar von Besançon: kurz und stämmig, mit lebhaftem Auge, das Kinn blau angelaufen.

Endlich Monsignore Cantalupo, Sekretär der Congregation: hübsch, geschmeidig, falsch.

Fünf Male verbeugte sich Emezinde.

– Herr Ramman, sagte Adelaïde einfach.

Emezinde hatte ihn nicht gesehen, da er in einer Ecke stand. Sie bewilligte ihm eine Neigung des Kopfes.

In dieser Reihenfolge zog man alsbald in den Speisesaal, mit höflichen »insistances et défenses«.

Pater Ephrem mußte den Platz der Hausfrau nehmen, die sich auf seine rechte Seite setzte, während Emezinde die linke einnahm: diese Sitte war dem Ceremoniell des Königs entlehnt, der seinen Vasallen besucht. Das »Benedicite« wurde ohne Ostentation angehört, und man setzte sich.

Morillet. – Meine Herren, wir sind hier nicht nur Esser, sondern auch Gerichte. Es giebt ein geistiges Menü, und wir müssen es liefern. Wir werden nur von der Liebe vor der Kirche sprechen: ein »Symposion«. Fräulein von Romanil wird die Schlußrede halten müssen, die Rede der Diotima.

Cantalupo (zu Ramman). – Mein Herr, Sie sind der jüngste, der einzige, der das Recht hat, der Liebe ins Gesicht zu blicken. Würden Sie Fräulein von Romanil mit einem Wort bezeichnen? Von diesem Wort werden wir ausgehen …

Ramman. – Das Wagners Kundry schildert: Fräulein von Romanil ist »furchtbar schön«.

Das junge Mädchen erinnerte sich des Wortes »fera«.

Emezinde. – Kundry ist eine Dämonin, eine Versucherin. Nicht ihre Schönheit ist furchtbar, sondern ihr entarteter Wille.

Morillet. – Ohne die Achtung zu verletzen: es giebt theologische Komplimente. Den Sie, Fräulein, zur Sünde verleiten, ist weniger schuldig als andere; denn die Casuisten haben gesagt, je häßlicher eine Frau ist, um so mehr giebt man dem Laster nach; ich biete Ihnen das Umgekehrte.

Boussagol. – Haben Sie, Fräulein von Pierrefeu, das Wort dieser heiligen Charade gewählt?

Cantalupo. – Es könnte heißen: mein erstes wird nicht vom zweiten anerkannt …

Reugny. – Das verstehe ich nicht.

Ramman. – Monseigneur hat Recht: die Kirche erkennt die Liebe nicht an.

Boussagol. – Die Liebe, ganz kurz, ist der Trieb.

Morillet. – Alles wird durch seinen Zweck erklärt: also die Liebe, das ist die Ehe.

Reugny. – Wir sind auf einem Boden, wo die Troubadours Tollgerste gesäet haben …

Morillet. – Wir haben zwei Worte zu definieren, damit dieser ausgezeichnete Madeira nicht bewirkt, daß wir den Patriarchen Noah nachahmen. Da wir über die Kirche einig sind: wer wird die Liebe definieren?

Cantalupo. – Fräulein von Romanil, was ist die Liebe? Ihre Auffassung wird sicher interessant sein …

Emezinde. – Viel zu sehr, um sie hier zu sagen. Priester sind noch Männer: würde ein junges Mädchen schamhaft sein, wenn sie etwas von ihrer Seele, vom Geheimnis ihrer Seele zeigte?

Pater Reugny faltete die Hände: er applaudierte schweigend.

Reugny. – Man kann nicht Richter und Partei sein.

Cantalupo (zu Ramman). – Und Sie, Herr, der jüngste, den kein Gelübde bindet?

Ramman. – Hat ein Platoniker Stimme im Kapitel?

Morillet. – Der Akademiker sagt Ihnen, der Zweck der Liebe ist das Gebären …

Ramman. – … das geistige Gebären.

Ephrem. – Das Gespenst des Petrarca müßte erscheinen: wir sind ja in der Nähe des Vaucluse In dem »geschlossenen Tale« der Sorgue, die bei Avignon in die Rhône mündet, lebte Petrarca sechzehn Jahre.. In seinem Gespräch mit dem heiligen Augustinus sagt er: »Laura hat mir Flügel gegeben, damit ich mich in den Himmel erheben kann. Alles, was ich wert bin, schulde ich ihr.«

Ramman. – Petrarca war seit neun Jahren Priester: deshalb sagte ihm Augustinus, Laura entziehe ihn den himmlischen Gütern. Der Dichter von Vaucluse ist der Liebe gegenüber kein größeres Muster als der Kirche gegenüber: er hatte uneheliche Kinder, Jean und Françoise. Was ist ein ungetreuer Liebhaber?

Ephrem. – Das ist eine Überlegung, die Ihnen ohne Zweifel gefällt, meine Damen.

Adelaïde. – Sie wird allen Frauen gefallen; meiner Cousine und mir besonders, denn in Romanil und in Pierrefeu hielten die Ketzer ihre Sitzungen.

Reugny. – Kennt man deren Lehre?

Morillet. – Die Göttin Leidenschaft vor der Göttin Vernunft, das geschlechtliche Aufwiegeln des Volkes …

Emezinde. – Verzeihung! Nur die vornehmsten Damen spielten dabei mit.

Boussagol. – Das Wappen verteidigt nicht die Begierde.

Emezinde. – Ein gemeines Wort!

Boussagol. – Für eine gemeine Sache!

Ramman. – Gemein? Bedenken Sie doch, was sie ersetzen muß, damit man darauf verzichtet …

Emezinde. – Gott selbst!

Ephrem. – Kreiden wir Fräulein von Romanil einen Punkt an: Das ist gut geantwortet! Wer hebt den Handschuh auf? Den hübschen Handschuh!

Morillet. – Was ist die Liebe?

Adelaïde. – In Paris giebt es eine ehrbare Dame, wenn auch nicht von Adel, die berühmte Leute einladet, denen sie ein geistiges Essen vorschreibt; aber sie hat eine größere Glocke als ich und sie interpelliert der Reihe nach jeden.

Ramman. – Für diese Herren nennt sich die Liebe: Elzear und Delphine von Sabran, oder Valens und Cazarie, heilige Gatten, die das Gelübde der Keuschheit ablegen.

Cantalupo. – Junger Mann, werden Sie nicht aggressiv!

Ramman. – Monseigneur, wenn ich die berühmten Ansichten citierte, würden die Damen aufschreien. Räumen Sie nur gleich ein, daß die Kirche keinen Respekt vor der Liebe hat.

Reugny. – Die Kirche schuldet nur sich selbst Respekt.

Morillet. – Hören wir diese Ansichten, über welche die Damen schreien werden …

Ramman. – Wollen Sie Bossuet? »Welche Mühe hat nicht die menschliche Schwäche, sich in den Grenzen der ehelichen Pflicht zu halten, die im Heiratsvertrage ausgedrückt sind!«

Emezinde. – Es ist klar, daß der große Bischof nicht die Liebe ins Sakrament eintreten läßt.

Ramman. – Augustinus sagt über die eheliche Keuschheit …

Adelaïde. – Das sind zwei Worte, die sich widersprechen. Was soll die Keuschheit in der Ehe?

Der Großvikar hob seine Gabel und sein Messer.

Boussagol. – Liebes Fräulein, Sie leugnen Kapitel X der »Wollust«. Paulus rät, daß jeder sein Gefäß in Ehren halte, nicht in der Brunst fleischlicher Begierden, wie die Heiden Paulus an die Thessalonicher IV, 4..

Adelaïde. – Ich dachte mir: einmal verheiratet, lebt man so heidnisch, wie es einem gefällt.

Ramman begann sich zu unterhalten.

Ramman. – Im Buche des Tobias steht geschrieben, daß der Teufel Asmodäus die sieben Gatten der jungen Sara tötete, weil diese sie hatten heiraten wollen, um ihrer Unzucht zu fröhnen. Nach Augustinus führt eine Unzucht mit dem eigenen Weibe zum Ehebruch.

Emezinde. – Die Liebe hat ein Gesetz, das ihr eigen ist.

Ephrem. – Mein schönes Fräulein, wie definieren Sie dieses Gesetz?

Emezinde. – Ich definiere nicht die Harmonie bei Beethoven, ich empfinde sie. Man hat gesagt, die Musik sei aus Noten geschaffen, die sich unter einander rufen: so verhält es sich mit den Gedanken und mit der Liebe.

Ephrem. – Meine lieben Kollegen, wir rühren flüchtig an sehr ernste Dinge. Hier ist bereits die Laienpartei vertreten, die uns nur aus Höflichkeit Ehre erweist: für sie faseln wir. Unsere Wirtin ist ein Muster von Frömmigkeit, ihre Cousine ein reines junges Mädchen, Herr Ramman ist Platoniker, das heißt Idealist. Zeigt ihnen den Satz von Paulus 1. Corinther 7, 29., daß die Verheirateten leben, als hätten sie kein Weib; fügt Bossuets Erklärung hinzu, »das heißt, ohne an einander gebunden zu sein«: wenn sie nicht die Achseln zucken, so hält ihre gute Erziehung sie zurück.

Ramman. – Mein Reverend, wenn Fräulein von Romanil ihren Körper kasteite, ihn abtötete, würde sie nicht ein Heiligtum schänden? Ihre Verfasser verherrlichen die Natur und deren Gesetze, nur nicht die Schönheit und die Wollust.

Morillet. – Da haben wir einen Ketzertext, von Romanil oder von Pierrefeu.

Reugny. – Leider! Ich wundere mich nicht, wenn ein heiliger Bernhard bei seinen Mönchen die vollkommene Gesundheit fürchtete.

Ephrem. – Wir beherrschen die Gläubigen nicht mehr.

Ramman. – Sie haben zu lange unter dem Feigenbaum geweilt. »Die Schrift verschmäht nicht, Aussehen und Stoff dieser neuen Kleidung zu bezeichnen; sie legten sie an aus einem geheimen Grunde, den die Schrift in diese Worte hüllt, um die Ohren und die Scham des Menschengeschlechts zu schonen und uns verstehen zu lassen, ohne es zu sagen, wo die Empörung sich am meisten fühlbar macht.«

Ein Lachen schallte wie ein Choral.

Ramman. – »Die Vorsicht der Schrift entblößt unsere Scham um so mehr, als sie scheinbar nicht wagt sie zu entblößen.«

Boussagol. – Genug! Das ist ein kleiner Dämon, dieser Page von Romanil.

Emezinde. – Er gehört nicht mir.

Adelaïde. – Pierrefeu nimmt ihn in Anspruch.

Ephrem. – Meine Herren, der Versuch ist gelungen: wir haben über Bossuet gelacht. Das ist doch schrecklich …

Ramman. – Mein Vater, niemals hat Bossuet mehr Leser oder Bewunderer gehabt, aber sein Geist verteidigt nur noch veraltete Begriffe, die auf Irrtümern der Übersetzung oder Erklärung beruhen.

Cantalupo. – Nieder mit dem Albigenser!

Emezinde. – Jedes Mal, wenn einer von Ihnen über die Liebe spricht, empört er mich.

Reugny. – Sie stammen von den Frauen, die eine Religion der Gefühle stiften wollten, die sie einflößten.

Morillet. – Das sind unsere frommen Damen! Und man tadelt die Inquisition!

Adelaïde. – Wenn Sie das Gefühl nicht achten, hören wir auf Ihnen zu folgen. Ohne Gefühl giebt es für uns nur Worte. Gebietet uns, Gott, die heilige Jungfrau, den Nächsten zu lieben, aber achtet die Liebe.

Boussagol. – Man traut seinen Ohren nicht! Wir, wir sind Entweiher!

Emezinde. – Der Liebe, ja!

Reugny. – Schändlicher Vorwurf!

Emezinde. – Ja, die Hölle den Großen, die Rute den Kindern: das ist Eure ganze Kunst zu überzeugen.

Ramman. – Die heiligen Autoren haben die Schönheit der Jungfrau gefühlt. Wie köstlich ist dieser Satz des Gregorius von Nyssa: »Die Jungfrauen haben in ihrem Körper etwas, das nicht körperlich ist und mehr vom Engel als vom Menschen hat.«

Gegen ihren Willen errötete Emezinde.

Boussagol. – Guter Albigenser, Sie halten die Jungfräulichkeit in Ehren, selbst im weltlichen Leben?

Ephrem. – Wie soll das zugehen? Diesen Körper, den man nicht kasteien darf, sobald er schön ist, den wollten Sie doch für die Liebe bestimmen.

Ramman. – Virginitas non est Castitas.

Morillet. – Oh! Oh! Hört, hört!

Boussagol. – Jungfräulichkeit ohne Keuschheit, das ist dämonisch.

Morillet. – Die Liebe wartet auf ihre Definition, und wir sind beim Braten.

Cantalupo. – Sie, Herr Laie, geben Sie eine Formel: nichts hindert Sie.

Ramman. – Die Liebe ist eine dreifache Anziehung: sinnlich, seelisch, geistig . Indem sie die beiden Pole des Menschen vereinigt, hat sie zur Aufgabe, die Sinnlichkeit in Gefühl, das Gefühl in Gedanke zu verwandeln, um für den Augenblick den Zustand der Gnade vor dem Fall, oder, wenn Sie das vorziehen, nach dem Fegefeuer zu verwirklichen.

Adelaïde. – Sehr gut.

Morillet. – Warum dreifache Anziehung?

Ramman. – Gott ist dreieinig und wir spiegeln ihn.

Reugny. – Wozu dient diese Verwandlung?

Ramman. – Sie wirkt dem Trieb entgegen und entfernt uns vom Tierischen.

Boussagol. – Wer will den Engel machen …

Ephrem. – Nach Ihnen wäre die Ehe also …

Ramman. – Die dreifache Verbindung: organisch, seelisch, geistig.

Boussagol. – Und wenn sie nicht dreifach ist?

Ramman. – Dann bleibt sie unvollkommen.

Morillet. – Diese dreifache Verbindung hat zum Zweck, die gefühlvollsten Lüste und die geistigsten Gefühle und die göttlichsten Gedanken zu schaffen?

Boussagol. – Und die Kinder, wann zeugt man die?

Ramman. – Zeugen ist ein priesterlicher Akt, durchaus verschieden von der dreifachen Entwicklung der Liebe …

Ephrem. – Entwicklung bedeutet für Sie …

Ramman. – Aus der Zone der Gattung in die der Persönlichkeit übergehen, aus der Zone der Persönlichkeit in die der Abstraktion.

Reugny. – Woher schöpfen Sie diese Träumereien?

Ramman. – Man hat sie einst in der Provence verkündet, aber mit Unrecht, es ist eine aristokratische Lehre.

Ephrem. – Und wohin gehen Sie?

Ramman. – Zu den Füßen der Jungfrau Maria unter den Flügeln der Engel.

Cantalupo. – Das hat er gut gesagt! Fräulein von Romanil, hören Sie oft diese Glocke?

Emezinde. – Es ist das erste Mal, aber der Ton gefällt mir; vielleicht bin ich von meinen Vorfahren her, wie Adelaïde, für diese Ideen empfänglich.

Boussagol (zu Emezinde). – Ihr Beichtvater wird künftig viel zu tun haben.

Emezinde. – Wie soll ich das verstehen?

Morillet. – Was vom Katechismus abweicht, schweift ab: darin steht, daß wir aus Körper und Seele zusammengesetzt sind.

Adelaïde. – Das ist falsch! Den Appetit, den ich fühlte, als ich mich zu Tisch setzte, die Zärtlichkeit, die ich für meine Cousine empfinde, und die Auffassung, die ich vom Geheimnis der Erlösung habe, sind drei verschiedene Dinge. Eine Neigung und eine Idee dürfen nicht verwechselt werden.

Ephrem. – Sie brauchen also drei Lieben statt einer. Sie wollen drei Elemente im Menschen, um Ihre Umwandlung zu vollziehen?

Morillet. – Wie erkennt man, daß ein sinnlicher Eindruck im Gefühlszustande ist?

Ramman. – Wenn man ihn nur von einem einzigen Wesen empfangen kann.

Ephrem. – Eine Alchemie der Seele, ebenso chimärisch wie die andere!

Ramman. – Alles, was erhaben ist, bleibt chimärisch, bevor es verwirklicht wird.

Boussagol. – Und die Idee, kann sie sich auch umwandeln?

Ramman. – In Gott! Nur dort kann man sie begreifen außerhalb der Zeit und mit unmöglichen Formen.

Reugny. – Welche andere Idee als die von Gott herrscht außerhalb der Zeit?

Ramman. – Jede Idee der Vollkommenheit, jeder Superlativ …

Morillet. – Wahrhaftig, der menschliche Geist ist ein wunderbares Werkzeug der Lüge! Dieser junge Mann stellt einen ganz anarchischen Grundsatz auf, als sei der die Basis der Harmonie und das Mittel der Auswahl. Ein hübsches System für Damen, über das Theologen lächeln. Ihre dreifache Anziehung ist nur ein dreifacher Fall: durch sein Gewicht zieht der Körper die ausschweifende Seele mit und stürzt den Geist in die Kloake, die Sie gerade vermeiden wollen. Ihr dreifacher Bund ist eine Erfindung für leidenschaftliche Zierpuppen. Man schafft gefühlvolle Sinnlichkeit, denn man gehört zu den Aristokraten. Das Sprungbrett der Sinnlichkeit schleudert uns zu den Sternen; wir fallen in die verpestete Gosse. Weg mit dem Menschengeschlecht! Flügel werden wachsen, der Schmetterling der Psyche. Sobald Sie für einen Augenblick ein Wesen den andern vorziehen, wird die Sünde verschwinden. Was ein einziges Wesen Ihnen giebt, haben Sie das Recht zu nehmen. Es kommt darauf an, sich sehr zu verlieben, dann überspringt man das Gesetz. Wenn man die Idee erreicht … oh, dann nimmt und giebt man alles, was verboten ist und was aufhört es zu sein. Kein sechstes Gebot mehr. »Mein Vater, ich mache aus der Sinnlichkeit ein Gefühl; ich vergeistige das Gefühl. Lassen Sie mir den Frieden, ich bin auf dem Punkte, die Hurerei zu vergöttlichen. Ich begreife sie außer der Zeit, als vollkommen; verhindern Sie mich nicht, sie zu erfüllen; ich muß mich entwickeln! Mein Vater, ich verwandle! Ich verwandle!«

Das Lachen kreiste lärmend; die beiden Cousinen blieben kalt.

Boussagol. – Mein Lieber, Ihr Feuer vermag nichts. Wir beherrschen die Gläubigen nicht mehr. Der Teufel beherrscht sie.

Ephrem. – Wie verwirrt sind die Begriffe in den Geistern von heute!

Morillet. – In einem Stück, ich weiß nicht mehr, in welchem, erblickt ein Kapuziner ein Hühnchen und tauft es Karpfen. Ist es eher erlaubt, mit dem Herzen und mit dem Geist zu machen, was dem Körper verboten? Sie verwenden ein edles Element zu einem niedrigen Werke und glauben nicht mehr zu sündigen! Das Tierische lassen Sie wieder ins Herz hinaufsteigen, und bis ins Gehirn. Ein Ideal, aus Schmutz geformt, rahmen Sie mit hohlen Phrasen ein.

Ephrem. – Wir haben der Verklärung der Ursünde beigewohnt, die sogar zum Stoffe der Entwicklung geworden ist. Ja, Herr Ramman, Sie haben dem Triebe einen schön geschmückten Altar errichtet: wie die Ägypter verehren Sie ein Krokodil.

Emezinde. – Die Schönheit ein Krokodil!

Boussagol. – Wenn Sie es vorziehen, ein Bock!

Adelaïde. – Warum nicht ein Schwein?

Ramman. – O göttliche Taube des heiligen Geistes!

Morillet. – Jawohl, es giebt einen Kuß der Taube.

Ramman. – Sie achten nicht den Kuß!

Cantalupo. – Von uns verlangen, daß wir die Berührungen achten, das geht zu weit, mein lieber Nachbar.

Ramman. – Der Kuß ist das Zeichen der engsten Verbindung zwischen zwei Wesen. Der Kuß, das ist die Mündung des Lebens; sein sprechendes Wappen. Glücklich, wer ihn vom Himmel empfängt! Friede dem, der ihn hier unten giebt.

Cantalupo. – Fräulein von Romanil billigt unsere Ansicht nicht.

Emezinde. – Darf ich aufrichtig sein? Seit Sie die Ketzerei zurückweisen, ist die Luft schwer geworden, ich atme nicht mehr leicht; ich sehe nur traurige oder schmutzige Bilder. Sie haben das Ideal verjagt, und, ich wage es zu sagen, die Gemeinheit ist eingetreten …

Boussagol. – Die Gemeinheit hier ist die Wirklichkeit. Wir drehen uns um eine tierische Tatsache, so tierisch, daß die Macht der Einbildung nötig ist, um sie zu schmücken. Auf sich selbst beschränkt, ekelt sie, widert sie.

Morillet. – Die Idealisierung der Sünde ist eine Sünde, die nicht ihresgleichen hat. Unsere Pflicht als Leiter der Gewissen gebietet uns, diesen Wahn zu zerstreuen, und der Kuß, der das Ende von allem scheint, ist nur eine Begegnung der Schleimhäute.

Die beiden Damen wurden eiskalt; gegen ihren Willen wandte sich Emezinde an Ramman, zugleich gebietend wie flehend:

– Herr Ramman!

Er fuhr zusammen; er hatte nur für sie gesprochen; er gehorchte den Goldaugen mit Begeisterung.

– Mein Fräulein, Sie rufen mich auf, Ihre Ahnfrauen zu verteidigen. Ein Blick von Ihnen und ich werde dem Anathema dieser hochwürdigen Herren trotzen! Aber diese sind durch große Studien, edle Arbeiten beglaubigt. Damit ich nicht dreist erscheine, mögen Ihre Farben meine Kühnheit rechtfertigen: indem Sie mich zu Ihrem geistigen Ritter machen, geben Sie mir eine solche Würde, daß ich die Herren nicht beleidigen kann, wenn ich ihnen widerspreche.

Mitten ins Antlitz erhielt er die weiße Rose, die Emezinde an ihrem Mieder trug.

– Oh, sagte Cantalupo, wir sind gerichtet.

Ramman war so erregt, daß er zuerst nicht sprechen konnte. Man glaubte, er bereite sich auf seine Rede vor.

Adelaïde suchte die Hand ihrer Cousine und behielt sie in ihren Händen, mit einem lebhaften Druck der Dankbarkeit.

Ramman. – Hochwürdige Herren, geruhen Sie, den geistigen Herold der edlen und schönen Dame von Romanil zu hören. Die erste Aufgabe des Christen ist, Gott zu betrachten. Als Urquell hat er uns geschaffen; als Mittler hat er uns geliebt; als Heiligender wird er uns reinigen. Unser Schicksal liegt ganz in ihm, er ist Ursprung und Ende. Dieses Schicksal hängt von der Antwort ab, die unser Herz Gott dem Vater, Gott dem Sohne, Gott dem Geiste giebt. Die Antwort, die er erwartet, die er verlangt, ist eine dreifache Liebe. Allein, was dreifach ist, wird ewig werden. Die Liebe bezahlt man nicht wie eine Steuer, man verschwendet sie, man sprüht sie ohne Maß, ohne Ordnung, ohne Regel, in Bestürzung, in Verzweiflung; man muß sie begehren mit Angst, mit Fieber, mit Leidenschaft, mit Wut, mit Wahnsinn. Man verliert sich nicht in Gott! Und gesegnet ist der Narr, der sich wie ein Trunkener auf den Ewigen wirft: die göttlichen Arme öffnen sich weit dem armen flammenden Herzen. Invisibilia per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur: das Unsichtbare offenbart sich in dem, was man sinnlich wahrnimmt. Den Geist Dantes finde ich in seinem Werk! Den Geist Gottes in dem, was er geschaffen. In welches Werk hat er sein Wohlgefallen gelegt? In das letzte, das wahre Nachspiel der Schöpfung, den Höhepunkt aller Beziehungen: das Weib, das höchste Meisterwerk des ewigen Künstlers. Er hat es mit wunderbarer Sorgfalt geschaffen; er hat aus allen Reichen der Natur deren Schönheit genommen; er hat das Werk der sechs Tage gekrönt und aus den Superlativen des Lebens hat er Eva geformt. Ja, die Frau ist das Wunder der Welt und die höchste Offenbarung des Schöpfers. Sie singen in Ihren heiligen Hymnen, daß die Himmel den Ruhm Gottes feiern: betrachten Sie die Augen einer Jungfrau und die Sterne werden Ihnen matt erscheinen. Jesus spricht uns von der Lilie auf dem Felde: was ist das, ich bitte Sie, neben diesem Körper, den Sie verwünschen? Er ist zwar auch vergänglich, aber sein Glanz rührt mich mehr, und ich beeile mich ihn zu genießen. Was nennen Sie die Vorsehung? Doch das völlige Bewußtsein von der Zukunft! Sollte der Fall dem göttlichen Voraussehen spotten, wenn ein Mensch das Glück unter den Zügen eines Geschöpfes erblickt? Man verliert sich nicht in Gott; ich gehe weiter, man verliert sich nicht in der Liebe. Man leidet, man weint, also entartet man nicht. Zu außerordentlichen Preisen kauft man sie. Welches Zittern geht ihr voraus! Welche Furcht folgt ihr! Sie glauben, daß die Liebe genießt? … Nein, meine Väter, die Liebe ist eine Marter, die uns gefällt; ein Rad, auf das wir uns aus freiem Willen flechten: das ist ein so tiefes Geheimnis, daß man es grüßen muß, ohne es erklären zu dürfen; das einzige, dem das menschliche Wesen gern trotzt. Unser inneres Leben nährt sich vom Geheimnis, selbst hier unten. Dieses Geheimnis, den göttlichen Gedanken, der in der Liebe verborgen liegt, nehmen Sie nur wahr durch ernste Betrachtung, durch Idealisierung. Sie nennen die Ehe ein Heilmittel! Sie sagen zu diesem jungen Mädchen: Fräulein, Sie werden eines Tages das Heilmittel eines Herrn sein, der wieder Ihr Heilmittel sein wird; Sie werden die eheliche Pflicht geben und verlangen.

Emezinde. – Pfui!

Adelaïde. – Welche Schande!

Ramman. – Ich bitte Sie, meine Herren, zu bestätigen, sei es auch durch Ihr Schweigen, daß dies die Lehre und die Ausdrücke von Benedicti Benedicti, Sünden und Heilmittel, Lyon, Ende des 16. Jhrh. bis zu Debreyne sind.

Morillet. – Sie legen Bosheit hinein. Debreyne sagt: »Der eheliche Akt muß vollzogen werden zu gesetzlichem Zweck, in christlichem Geist, aus übernatürlichem Grunde. Wer sich von dieser Linie entfernt, begeht einen Akt der Sünde.«

Ramman. – Der Akt, immer der Akt! Wenn Sie wüßten, wie wenig der Akt in der Liebe bedeutet! Sie sind fasciniert durch ein Bild, und welches Bild! Bedarf die Liebe eines Aktes? Sie strahlt. Wenn es für Sie stärkere Eindrücke giebt als einen Blick, so beklage ich Sie! Wenn die Geliebte die Spitze ihres Fingers auf den des Liebenden legte, würde er vergehen.

Boussagol. – Das ist Krankheit oder Besessenheit!

Ramman. – Die wahre Liebe ist in der Tat eine Besessenheit.

Morillet. – Man soll ihm nicht mehr antworten, sondern ihm die Besessenheit austreiben.

Ephrem. – Das ist nicht mehr die Liebe des Romans und des Theaters: Sie sind des Teufels.

Ramman. – Erklärt die moralische Theologie nicht das »ob solam voluptatem« als Sünde in der Ehe?

Morillet. – Als verzeihliche! Die Wollust ist nur ein Mittel, und das Mittel von seinem Zweck trennen ist Entartung.

Ramman. – Oh, Herr, wenn man bedenkt, daß ein heiliger Thomas von Aquino, dieser erhabene Geist, sich in Widersprüchen, wie diese sind, verwickelt hat: »Es ist nicht erlaubt, die Ehe einzugehen oder anzuwenden, um die Gesundheit zu bewahren oder wiederzuerlangen; ein solcher Zweck ist der Ehe fremd.«

Adelaïde. – Meine Väter, wenn ich es wagte, würde ich sagen: Zum Teufel mit der moralischen Theologie!

Cantalupo (zu Ramman). – Sie üben einen schönen Einfluß.

Boussagol. – Sie fördern weltliche Pläne unter heiligen Farben.

Morillet. – Ihr Herold ist eine kleine Schlange, ein Sohn der, die Eva verführte.

Emezinde. – Er zischt eine Melodie, die edler ist, als die, welche Sie singen.

Reugny. – Wir erleben die Apotheose der Sünde: ich habe noch nie etwas so Skandalöses gehört.

Adelaïde. – Meine Herren, prüfen Sie, statt zu verfluchen.

Boussagol. – Die Wollust ist das Übel, dessen Quelle, dessen Wurzel, dessen Kraft; die Wollust, das ist unsere tiefste Erniedrigung; die Wollust macht uns den Tieren gleich. Die ganze Arbeit der Kunst und der Dichtung, um den Trieb zu schmücken, zu umwinden, zu färben, läuft nur darauf hinaus, daß die Seele verdorben wird.

Emezinde. – Wie kommt es denn, daß meine Seele sich bei der andern Lehre erhebt und vor Ihrer sich zurückzieht?

Boussagol. – Weil ein junger Mann spricht.

Emezinde richtete sich auf, als habe sie ein Skorpion gestochen; die Goldaugen schossen auf den brutalen Sprecher einen Blick des Hasses.

Ein kaltes Schweigen zog über die Gäste.

Cantalupo. – Eva will ihre liebe Schlange rächen.

Emezinde. – Immer die Begierde! Sie verachten also die Frau, Herr Generalvikar! Um eine Verleumdung Ihres Gedankens zurückzuweisen, muß ich Ihnen sagen, daß ich Herrn Ramman zum ersten Male höre. Er hat nicht auf Ihre Art eine Gebärde gedeutet, die vielleicht etwas provenzalisch war, aber leicht zu verstehen, wenn man wie ich acht Jahrhunderte Adel trägt und den Ruhm hat, durch seine Ahnfrauen die Erzieherin der unsterblichen Laura gewesen zu sein. Die Ideen, die Sie gehört haben, sind die meiner Rasse; meine Farben verteidige ich; es sind die Dantes und anderer, die sich die Getreuen der Liebe nennen, und deren Geist ist derselbe, dem ich applaudiert habe. Sie sind brutal gewesen, Herr Generalvikar, wie ein Casuist. Wenn man Sie hört, glaubt man einen Mediziner zu hören. Ob Sie Unrecht oder Recht haben, Sie sind verletzend. Ihr Heilmittel »Ehe« für die Krankheit »Begierde« ist mir widrig. Solche Geist und Seele tötenden Lehren stoße ich mit Ekel zurück. Wenn ein junger Mann sie ausspräche, würden Ihr Alter und Ihr Amt ihn nicht entschuldigen: man würfe ihn hinaus auf die Straße.

Ramman. – Die geschlechtliche Theologie beruht auf der physiologischen Tatsache und keiner von ihren Autoren hat die Physiologie gekannt. Meine Herren, Ihre These »de consummatione«, vom moralischen Gesichtspunkt, schlägt ins Kindische über.

Morillet. – Oh, ich habe sofort gesehen, daß Sie die »delectatio morosa« verkörpern.

Adelaïde. – Was ist das?

Reugny. – Das ist das Wohlgefallen, mit dem man an die Wollust denkt, ohne die Absicht zu haben, sie zu begehen.

Adelaïde. – Morosa, warum morosa?

Ephrem. – Im Sinne von Gewohnheit, von Dauer.

Morillet. – Der heilige Thomas sagt: »Quod ratio deliberans circa eam immoratur »Weil die überlegende Vernunft um sie verweilt.«

Boussagol. – Die Delectatio morosa darf nicht mit der Begierde verwechselt werden.

Ephrem. – Sentir, fühlen, ist nicht consentir, einwilligen: wenn der sich delektierende einwilligt …

Emezinde. – Meine Herren, ich fühle mich dumm werden. Die »Reime« Petrarcas sind also nur eine Folge von »delectationes morosae«?

Boussagol. – Petrarca begehrt, er bricht die Ehe und entweiht, als Priester, die Kirche.

Emezinde. – Verzeihen Sie mir, wenn ich nicht nachgebe: ich möchte begreifen … Wer mich in der Straße sieht und mich mit »delectatio« betrachtet und mir folgt …

Boussagol. – … der begeht eine Todsünde, weil er sich delektiert, aber eine noch größere, wenn er begehrt.

Adelaïde. – Meine Väter, wie können Sie dem Dekolleté und der Toilette Absolution erteilen? Jedes Mädchen, jede Frau nimmt sich vor, auf ihre Spuren die Delectatio morosa zu säen, sobald sie ausgeht.

Ramman. – Die Dichtung, die Kunst und selbst die Civilisation haben ihre Quelle in der Delectatio morosa.

Adelaïde. – Mögen Sie Recht oder Unrecht haben, Sie geben dem Druck nach, aber niemals der Erfahrung und der Vernunft.

Ephrem. – Die Muselmanen machen einen besseren Gebrauch davon als die Christen!

Ramman. – Auch haben sie mehr Civilisation. Wenn ich einen Augenblick den Mantel des Herolds wieder aufzunehmen wagte, würde ich Ihnen sagen, daß auf dem Grunde dieser Discussion eine Frage der Seelenkunde liegt. Kann der Mensch zur göttlichen Liebe gelangen, ohne daß die menschliche Liebe vermittelt? Sie werden mir erlauben, daß ich die Priesterweihe nicht als einen Zustand der Liebe betrachte, sondern nur als den entscheidendsten Schritt auf dem Wege dahin. Denn die Tugend ist nicht die Liebe: die Tugend bildet sich, bessert sich, schreitet fort, ist eine Gewohnheit; die Liebe ist ein Aufschwung.

Cantalupo. – Sie sprechen wirklich zu sehr für die Damen.

Ramman. – Monsignore, zwischen dem Blick einer Frau und Ihrem Beifall zögere ich nicht.

Reugny. – Delectatio morosa!

Ramman. – Das ist die Erklärung des künstlerischen Lebens. Im Museum, im Salon, auf der Straße, überall das gleiche und stete Suchen. Die Formen und die Farben haben keinen anderen Zweck, als uns zu ergötzen.

Boussagol. – Gebt diesen Empörern, diesen Verstockten zu verstehen, daß die Läßlichkeit die Mutter Gigogne Kindertheater: Mutter mit vielen Kindern, die überall unter ihren Röcken hervorkriechen. der Todsünden ist.

Emezinde. – Wer einer Frau auf der Straße folgt, sich delektierend, verliert den Stand der Gnade?

Morillet. – Gewiß.

Emezinde. – Und die Frau, die sich verfolgen läßt, das heißt, die nicht ausweicht, die Gefallen daran findet?

Reugny. – Ebenfalls.

Adelaïde. – Wer also meine schöne Cousine sieht, verliert sofort den Stand der Gnade! Nehmen wir den Kaffee, denn ich fühle, wie ich morosa werde, ohne delectatio.

Im Salon näherte Ramman sich Emezinde und grüßte sie tief:

– Sie haben mich höchst geehrt, als Sie mich Ihre geistigen Farben verteidigen ließen; ich bin dieser Farben nicht würdig gewesen; aber ich mußte mich so nach dem Charakter dieser Priester richten, daß ich Ihr Banner nicht höher halten konnte.

– Sie haben genug gesagt, auf daß jene nachdenken.

Der junge Mann verneigte sich und ging auf die Seite.

Ephrem. – Meine Herren, haben Sie gehört? Mein Plan ist, Sie fühlen zu lassen, woran wir sind. Da ist ein junges Mädchen von höchster Geburt, von tiefster Frömmigkeit, das sich rühmt, uns eine Lektion gegeben zu haben – fühlen Sie sich nicht beleidigt, Herr Ramman: wir haben gesehen, wie Fräulein von Romanil sich verteidigt und ihren Pagen oder Herold verteidigen würde – durch einen jungen Mann, der ohne jeden Zweifel sehr intelligent ist, aber doch den Forderungen nicht entspricht. Wir haben uns an einem strafbaren Spiel ergötzt; wir, Theologen, Beichtväter, wir haben den Skalptanz tanzen lassen, vor dem Pfahl, an den die moralische Theologie durch die Laune der beiden frommen Damen gebunden ist. So liegt der Fall: denken Sie darüber nach.

Adelaïde. – Denken Sie selbst darüber nach! Wir sind die Herde, wir zerstreuen uns; Sie sind die Hirten, holen Sie uns zurück.

Reugny. – Junger Mann, Sie sind bescheiden in Ihrem Triumph.

Ramman. – Mein Vater, die Wahrheit allein soll triumphieren, und jeder sieht sie unter anderem Gesichtspunkt. Ich begreife Ihre Wehmut … Die Herde ging vielleicht in ihr Verderben, aber Sie folgten ihr, da Sie nicht wußten sie zu leiten … und wirklich das betrübt mich ebenso wie Sie. Was Sie meine Bescheidenheit nennen, war eine Antwort, die ich mir selber gab, und …

Boussagol. – Wir warten auf den Widerruf.

Ramman. – Sie haben nicht mehr die Tortur …

Emezinde fühlte, daß der junge Mann die Absicht habe, sie zu erreichen, und daß die Priester nicht die Wahrheit witterten, sondern ein geheimes Einverständnis zwischen ihnen annahmen.

Ramman. – Eine Richtschnur ist gerade, im eigentlichen wie bildlichen Sinne; und eine Gerade fügt sich an nichts Lebendes. Es giebt Menschen, geboren, ihr zu folgen, und andere, geboren, sich von ihr zu entfernen. Der Wille versagt da. Es war einmal ein Faulpelz, der den westfälischen Frieden nicht kannte, nicht die Grenzen von Chile, nicht die lateinische Dichtung, nicht Descartes, der Null im Englischen und in Mathematik erhielt. Was hätten Sie mit solch einem schlechten Schüler gemacht, der dagegen fleißig in den Bildern der Engel, in den kleinsten Orten von Attica, in Vincentius, in Adam de Saint-Victor, im Hebräischen und in der Kabbala war? Da ich gläubig bin, gehe ich jeden Tag in die Messe, falls man mich nicht daran verhindert ( er blickte Emezinde an), aber ich glaube nicht, daß die Vulgata lateinisch geschrieben war; noch daß man getauft sein muß, um in den Himmel zu kommen; noch daß eine Predigt die Beredsamkeit eines Spitzbogens hat; noch daß es ein widrigeres Studium giebt als das der Konklaven. Was würden Sie zu diesem Schüler und diesem Gläubigen sagen?

Boussagol. – Ich jagte den ersten aus der Schule und weigerte dem zweiten die Absolution.

Ramman. – Ihre Schlüssel schließen mehr, als sie öffnen! Wie man nur wünschte, die Schule zu verlassen, so schätzt man Ihre Ansicht über die Vulgata nicht … Das Gewissen entgeht Ihnen.

Boussagol. – Sie sind ein abscheulicher Ketzer.

Ramman. – Der Ketzer bekennt sich zur Ketzerei, er schreibt, er predigt, er spricht: ich beuge mich mit der Menge, ich grüße Sie ebenso tief wie jene, denn ich brauche das, was Sie allein verteilen, die Sakramente.

Morillet. – Sie stehlen sie uns …

Ramman. – Nein, ich empfange sie in der Stimmung, die man verlangt.

Boussagol. – Es wird Ihnen immer der Geist des Gehorsams fehlen.

Ramman. – Wem soll ich gehorchen? Ihnen oder Gott?

Boussagol. – Gott und uns.

Ramman. – Dann zeigen Sie mir Ihr Licht; sonst fahre ich fort, mich mit meiner eigenen Laterne zu führen, die Studium, Erfahrung, Liebe und Frömmigkeit als Scheiben hat.

Ephrem. – Sie behaupten fromm zu sein, und erschüttern die Autorität!

Ramman. – Die Frömmigkeit, das ist die Liebe. Was macht es der Jungfrau Maria aus, daß ich das »Lied der Lieder« zu den erotischen Dichtungen zähle, wenn ich nur zu ihren Füßen liege wie ein Hund, der sie liebt? Was macht es den Engeln aus, daß ich nicht glaube, der heilige Geist habe Teil am Alten Testament, wenn ich sie schätze, sie rufe, sie verehre?

Morillet. – Man verehrt nicht die Engel! Es gab eine Sekte, die verdammt wurde …

Ramman. – Heiligenverehrung! Das kümmert mich wenig: wenn ich durch Zärtlichkeit sündige, werden sie mich retten. Mich fragen, welchen Kult ich der Jungfrau Maria widme? Das ist eine Idee von Genf! Ich liebe, ich verehre, mit allen meinen Kräften, selbst die rosige Ferse der Engel und den bestickten Mantel der Jungfrau Maria …

Reugny. – Wie wirr ist dieser Geist!

Ramman. – Welcher Schmerz, Ihnen nicht sagen zu können: »Mein Vater, Sie wissen, wohin ich gehen will, führen Sie mich.« Es muß gut sein, den furchtbaren Willen abzulegen und sein Gewissen einem Andern zu überlassen. Ein Leiter, ein wirklicher, der meine Seele liebt, das wäre süß, süßer als eine Geliebte.

Morillet. – Immer die Liebe!

Ramman. – Herr Abbé, selbst wenn ich lange lebe, werde ich etwas Anderes finden? Wenn ich vor Gott trete, weiß ich zu lieben; und die ewige Schönheit wird sich entfalten, ohne daß ich erstaune, denn ich werde sie in allen ihren irdischen Reflexen gesucht und geliebt haben.

Cantalupo und Morillet rauchten.

Reugny. – Um fruchtbringend zu debattieren, muß man der gleichen Ansicht sein: dann arbeitet man zusammen, zeigt einander, was man bemerkt. Die Opposition härtet den Eigensinn.

Adelaïde. – Ich werde heute nicht mehr erfahren, was die Liebe ist!

Ephrem. – Mein Fräulein, das ist nicht unser Fach; Herr Ramman scheint ein Spezialist zu sein.

Morillet. – Für einen Priester existiert die Liebe nur unter der Form der Ehe.

Emezinde. – Jedoch, wenn ich mich verheirate, muß die Liebe der Ehe vorangehen. Sie wird also unter einer andern Form existieren.

Ephrem. – Wir kennen Jungfrauen und Gattinnen, aber nichts zwischen ihnen.

Ramman. – Schon zu den Zeiten der apostolischen Väter glaubte Hermas zugeben zu müssen, daß es keine Sünde sei, sich zum zweiten Male zu verheiraten.

Reugny. – Die kleine Schlange hört nicht auf zu zischen.

Der Jesuit näherte sich Ramman.

Reugny. – Sie erinnern mich sehr an einen früheren Schüler von mir, Samas Peladan, Der Androgyn (deutsch erschienen). genannt, begabt wie Sie, unvernünftig wie Sie, der auch das Reine aus dem Unreinen ziehen wollte …

Ramman. – Mein Vater, diese Begierde, diese Wollust, die Sie für den Ursprung des Bösen halten, ist nur ein Urstoff, weder gut noch böse, wie jeder Urstoff; eine Triebkraft des Menschen, der keine eigene Leitung in sich selbst hat …

Boussagol. – Kaplan der Damen, eine Frage! Was denken Sie über die Scheidung?

Ramman. – O weh, mein Vater: in diesem Punkte giebt die Kirche nicht nach … Gehen wir weiter.

Boussagol. – Nein, ich lege Wert auf Ihre Ansicht.

Ramman. – Ich habe Ihnen wirklich genug Ketzereien geliefert, für die Sie mich verbrennen können.

Cantalupo. – Nur noch diese!

Ramman. – Das Konzil von Trient hat bestimmt, daß der betrogene Gatte das Gelübde der Keuschheit ablegen soll. Ein Hahnrei muß also den Ehebruch seiner Frau sühnen.

Morillet. – Wo haben Sie das gesehen?

Ramman. – Wenn die Ehe nicht aufgelöst werden kann und das Huren eine Todsünde ist, so findet sich der betrogene Gatte zur Keuschheit verdammt. Denn der Ehebruch, der das Band zerreißt, berechtigt nicht, sich wieder zu verheiraten. Man kann seine Frau verstoßen, aber man darf keine andere nehmen. Und dabei halten Sie diese Deutung in einer Zeit aufrecht, da man Ort, Rasse und Religion derer kennt, zu denen Jesus sprach!

Morillet. – Der 7. Beschluß der XXIV. Sitzung ist also ein Betrug?

Ramman. – Über die Verstoßung befragt, antwortet Jesus den Pharisäern: »Wer sein Weib verstößt, es sei denn wegen Untreue, und eine andere heiratet …« Dies ist schon in der Bergpredigt gesagt worden, im selben Geiste. Die Idee des Cölibats gab es in Israel nicht, das nicht einmal Vestalinnen hatte wie Rom.

Boussagol. – Die Väter von Trient waren also Fälscher?

Ramman bejahte mit dem Kopfe. Mit nachsichtiger Geringschätzung hatte man ihm bisher alles durchgehen lassen: er amüsierte sie. Bei diesem Kapitel fühlte der weichste Priester, wie ihm Löwenklauen wuchsen. Diese an Temperament so verschiedenen Menschen verbanden sich zu einem stummen Gelübde von Inquisitoren.

– Ah, ah, spottete Boussagol, da haben wir das Übel der Albigenser, die Wiederheirat aus Liebe … Die zweite Ehe ist allein bewußt, erwogen und glücklich … In der ersten ist man unwissend, herrscht der Eltern Einfluß, hastet man ins Unbekannte: das ist nur eine unvollkommene Skizze … Es fehlte zuerst die dreifache Liebe, eben die, welche sich nicht sogleich einfindet … Es war nur der Weg zur zweiten Ehe, der einzig richtigen … Beim ersten Hieb wandelt man die Sinnlichkeit nicht in Gefühl, erst beim zweiten … dann vergeistigt man sogar das Gefühl.

Morillet. – Die inneren Feinde sind mehr zu beklagen als die äußeren.

Boussagol. – Tausend Male ziehe ich den Atheisten diesen Empörern, diesen Verrätern vor.

Ephrem. – Hannas und Kaiphas sind mehr wert als Judas!

Reugny. – Wenn Sie mit diesen Ideen sich die Sünden vergeben lassen, so stehlen Sie die Absolution; denn kein Priester würde sie Ihnen geben, ohne sich zu verdammen.

Cantalupo. – Sie lassen es an Achtung fehlen, die man den Konzilen schuldet.

Boussagol. – Sagen Sie, an durchaus notwendigem Gehorsam.

Als sich die Priester so von ihrer Heftigkeit fortreißen ließen, empfand Fräulein von Romanil Lust, den Kampf mit ihnen aufzunehmen: ihr Auge flammte, ihre Nüstern bebten. Ihre tapfere und hochherzige Natur sprach; ein dunkles und seltsames Gefühl empörte sie, daß man Ramman beleidigte. Sie hatte ihn gequält; aber das war etwas anderes: sie konnte ihn entschädigen. Man warf Steine nach ihrem Hunde, man beschimpfte das Wappen seines Halsbandes, ihr Wappen!

Gerade wollte sie ihren Blitz schleudern, als ihre Augen die des jungen Mannes trafen: er lächelte, als kümmere er sich nicht um das Urteil der Priester! Indem er das Augenlid senkte, gab er ihr ein Zeichen, sich zu beruhigen. Dieses Zeichen offenbarte ihr seine tiefe Dankbarkeit.

Sie hörte auf den stummen Rat.

Der Monsignore, der mit lebhaftem Interesse dieses Mienenspiel beobachtet hatte, sprach zu Emezinde:

– Da sind wir ja noch mit einem blauen Auge davon gekommen, mein Fräulein. Ich bedauere, nicht den Donner Ihrer Worte gehört zu haben, den die Blitze Ihrer Blicke ankündigten.

– Monsignore, man erbt den Haß seiner Familie: die Inquisitoren und meine Ahnen haben einander ins Antlitz gesehen, solange es Inquisitoren gab.

Cantalupo. – Sie haben doch zum Wappenspruch: »Rom hat gesprochen.«

Ramman. – Roma nil in lateinisch wurde im 12. Jahrhundert an Stelle von Romanin angenommen, um auszudrücken, daß man den Konzilen nicht gehorchte.

Boussagol. – Oh! Oh! Pierrefeu wird dann bedeuten: Feuer an St. Peter legen!

Ramman küßte Fräulein von Pierrefeu die Hand, verbeugte sich tief vor Emezinde und grüßte die fünf Priester. Keiner reichte ihm die Hand: die Frage der Fragen, die Scheidung, stand zwischen ihnen.

Diese Haltung empörte Fräulein von Romanil. Sie rief:

– Herr Ramman, Sie vergessen, mir die Hand zu küssen.

Mit stolzer Grazie, die Priester mit ruhigem Blick herausfordernd, und um die Ehre, die sie bewilligte, noch zu betonen, kam sie seiner Bewegung zuvor und brachte selbst ihre Hand in die Höhe seiner Lippen.

– Tapferes Herz! sagte Adelaïde, die darunter gelitten hatte, daß ihre Gäste plötzlich alle feindselig gegen den jungen Mann wurden.

Und ihre Erregung hörte nicht auf.

– Ich muß dich küssen, Kind!

Und die beiden Cousinen tauschten eine Umarmung, so ernst, daß die Priester vergebens deren Bedeutung suchten: fragend schauten sie einander an.

Adelaïde. – Es gibt entschieden Dinge, die Sie nicht fühlen. Sie wissen nicht, was eine Edelfrau ist?

Boussagol. – Nein, das muß eine Erfindung dessen sein, der eben ging.

Emezinde. – Sie tun Ihrer Bildung Unrecht. Das Wort findet sich im alten Nostradamus; und die Tatsache ward in meiner Rasse geboren, bevor die grausame Mutter des heiligen Ludwig die Provence plünderte.

Adelaïde. – Eine Edelfrau ist die, welche ihre Hand, ihre schöne Hand, dem giebt, den man zurückstößt; welche den Mut …

Morillet. – … ihrer Sympathien hat.

Adelaïde. – Ich verstehe die Anspielung, Herr Generalvikar, und frage Sie offen, durch welches rührende oder erhabene Wort Sie unsere Sympathie gesucht oder verdient haben. Sie ließen die Schlüssel rasseln, wie eine Drohung, als wahrer Kerkermeister. Was haben Sie geöffnet?

Morillet. – Sie müssen einen zu gelinden Beichtvater haben, mein Fräulein.

Adelaïde. – Die heilige Jungfrau richtet uns nach unserer Schwäche.

Boussagol. – Glauben Sie, daß Maria die Verächter der Konzile schützt?

Emezinde. – Die Jungfrau hat, selbst als sie Königin der Engel wurde, ihre weibliche Anmut bewahrt und fragt nicht nach Konzilen, sondern nach der Liebe, die man ihrem göttlichen Sohne widmet.

Boussagol. – Immer die Liebe!

Emezinde. – Ja, meine Herren, immer die Liebe, auf Erden wie im Himmel.

Und auf dieses herausfordernde Wort grüßte sie die Priester mit einer einzigen Verbeugung, die erstaunlich war, küßte ihre Cousine und ging mit der Anmut, die sie auszeichnete.

Die Herren wollten Adelaïde über Ramman ausfragen. Kurz schnitt diese ihre Fragen ab.

– Er hat Ihnen mißfallen: warum noch davon sprechen?

Der Generalvikar begann Emezinde zu kritisieren.

– Meine Cousine ist ein Engel, rebellisch in Ihren Augen, aber ein wirklicher Engel in meinen.

– Und Sie selbst, fragte der Professor aus Besançon, welches Gefühl bekennen Sie über das, was gesprochen wurde?

– Keines, Herr Abbé; von diesen Fragen erreichen mich die einen nicht mehr und die andern gehen über mich hinaus.

– Sie glauben garnicht, was sich für Wichtiges bei Ihnen zugetragen hat! sagte Pater Ephrem.

– Aufrichtig, nein, erklärte Adelaïde.

Vor drei Monaten noch wäre sie untröstlich gewesen über den Eindruck, den die Priester davontrugen; jetzt, da ihr Leben Interesse, und zwar das zärtlichste, erhalten hatte, machte sie sich über deren Urteil lustig.

*

Ramman hatte die Gesellschaft verlassen, weil seine Blicke ihm nicht mehr gehorchten. Gegen seinen Willen richteten sie sich auf Emezinde, und mit solchem Ausdruck, daß es diesen Priestern auffallen mußte, die ihm nicht wohl gesinnt waren. Seine Rolle als Sprecher peinigte ihn, weil diese Gedanken seine Leidenschaft erregten. Der Wurf mit der weißen Rose, diese Gebärde der Carmen, so kühn, so überraschend, hatte ihn bestürzt gemacht: öffnete eine neue Phase. Das war der Friede! Aber welcher Friede? Er hatte seine Sache gut geführt und die Bedenken des jungen Mädchens zerstreut.

Als er sich in den Schatten des lieben Pfeilers von St. Agricola setzte, vollendeten die guten Patres ihren Sieg durch eine Haltung, bar von jeder Nächstenliebe.

Müde, hörte er die Uhr des Chors die Viertel schlagen, ohne zu wissen, auf was er in der warmen und schweigenden Kirche wartete. Mit der Gesundheit kehrte die Liebe zurück.

Emezinde, aus nächster Nähe gesehen, verwirklichte diesen höchsten Ausdruck, der von einem Verliebten so treffend gefunden wurde: »Schön wie der Tag.« Früher hatte er sie den Meisterwerken, den Göttinnen verglichen; jetzt erschien sie ihm einzig: ohne sie kein Geschlecht, keine Anziehung, keine Wollust, kein Glück.

Plötzlich glaubte er eine Hallucination zu sehen. Vor ihm, in ihrem gewöhnlichen Stuhl, betete Fräulein von Romanil.

Ein seltsamer Ton, den er nicht ersticken konnte, ein Seufzer, ein dumpfer Ausruf, entfuhr ihm.

Das junge Mädchen machte eine Bewegung, um zu fliehen. Ihr Blick voll Vorwurf und Verachtung traf auf flehende Augen. Sie sah nervös gefaltete Hände, und sie zögerte. Dann gaben ihre Glieder nach, als ob eine unsichtbare Kraft sie beugte: sie setzte sich und blieb. Hatte sie der Kontrast gerührt, der zwischen dem frühreifen, scharfen und hellsichtigen Geist des Gesprächs und dem demütigen Verehrer ihrer Schönheit bestand?

Auch sie hatte das Bedürfnis gefühlt, sich zu erforschen und sich zurecht zu finden in diesem Labyrinth von Eindrücken. Rammans Krankheit hatte schwer auf ihr gelastet. Welche Quelle von Bestürmung war diese verliebte Art, ihn zu nähren, mit Speisen, die ihre Lippen geküßt, ihre Zähne angebissen, ihre Hände berührt hatten! Wie sollte sie heute kämpfen gegen diese Auffassung der Liebe, die betet, die sich jeden Augenblick zu Gott wendet? Die moralische Theologie empörte sie. Ihre Schönheit ein Pflaster, eine Arznei: flößte sie denn eine Krankheit ein? Nein, sie entzog sich der priesterlichen Führung. Jener Mensch dort im Schatten war mehr wert als die fünf Priester: er würde seine Seele für einen einzigen Kuß geben.

Sie erhob sich endlich und ging. Furchtsam kam er hinter ihr her. Die Goldaugen flammten, aber, wie ein rotes Eisen im Wasser erlischt, der heftige Blick dämpfte sich in den demütigen Augen des Anbeters, und sie ging weiter.

Nicht mehr so ungezwungen, nicht mehr so kraftvoll auftretend, in weicher Bewegung schritt sie die Stufen hinab.

Statt nach Hause zu gehen, schlug sie die Richtung nach dem Wall ein, langsam, in Gedanken versunken, den Sonnenschirm schleppen lassend.

Der junge Mann kannte diesen herrlichen Körper zu gut, um nicht darin den Zustand der Seele zu lesen. Das Nachlassen dieses Willens betrübte ihn. Sie litt, niedergedrückt. Wenn er in diesem Augenblick vorgetreten wäre, hätte sie ihn aus reiner Erschöpfung angehört. Was sollte er ihr sagen? Oh, die traurige Verfolgung an diesem Tage war ein Alptraum, aus dem man vergebens einen Ausweg sucht! Bis heute fügte sich alles zu einer Kette. Sie hatte seine stumme Verehrung ertragen, dann sich dagegen aufgelehnt. Warum war sie zu diesem Essen gegangen? Warum hatte sie jene Rose geworfen, ihre Zustimmung offen verkündend? Warum endlich dieser Besuch von St. Agricola? Warum wollte sie sich zurückziehen, als sie ihn bemerkte? Warum der vernichtende Blick in der Vorhalle? Warum zog sie ihn hinter sich her den Wall entlang?

Beim Imbert-Tore nahm sie die Färberstraße, die poetische Straße, wo die Sorgue fließt, die unaufhörlich die Schaufeln der großen Räder schlagen, die frisch ist unter ihren Maulbeerbäumen und harmonisch durch ihre Gewässer.

An der Schwelle der »Grauen Büßer« blieb sie stehen und zog eine Linie mit ihrem Sonnenschirm: sie verbot ihm einzutreten.

Er lehnte sich über die kleine Brücke und betrachtete das Wasser, das lebhaft dahin strömte; er hörte das Plätschern der großen Tropfen, die in den Fluß zurückfielen.

Um was bat sie die Jungfrau? Um Vergessen für sie oder für beide? Es dauerte lange. Er empfand die Pein dessen, der dort nicht eindringen darf, wo das teuerste Wesen leidet und ächzt.

Endlich erschien die weiße Silhouette wieder im Hintergrunde des langen Korridors. Er trat auf die Seite, davor zitternd, ein Wort zu hören, das ihn in die Verzweiflung zurückwarf; aber ihr Anblick traf ihn mehr als ein Wort. Sie hatte geweint, ihre Augen waren feucht und von einer unsagbaren Traurigkeit. Der arme Mensch fühlte im Herzen einen physischen Schmerz; er stützte sich mit beiden Händen auf die Brüstung und ließ sie vorbeigehen, im Glauben, das sei ihr Wille.

Stolpernden Fußes, mit gelähmtem Kreuz kehrte er nach Hause zurück.

Er trat in die erste Etage ein.

Adelaïde empfing ihn mit Freude auf ihren edlen Zügen.

– Ach, Fee! Das Schlimmste! Immer lauert das Schlimmste auf uns … Wie erklären, was ich selbst nicht begreife? Ich ging nach St. Agricola … sie kam … sie wollte fliehen … sie konnte es nicht … Sie ging vom Dominikus-Tore zum Imbert-Tore. Endlich trat sie bei den »Grauen Büßern« ein. Als sie wieder erschien, hatte sie geweint … Ich verzweifle … Sie leidet durch mich … Das ist unerträglich! … Meine gute Fee, gehen Sie, ohne einen Augenblick zu verlieren, und sagen Sie ihr, daß ich zu allem bereit bin … Möge sie befehlen, ich werde gehorchen. Ihren Zorn kann ich ertragen; ihre Tränen machen mir Lust zu sterben. Entscheiden Sie mit ihr über mich: ich füge mich in alles.

Diesen beiden geliebten Wesen dienstbar, setzte Adelaïde ihren Hut auf und eilte nach dem Hause Romanil.

Sie fand Emezinde so traurig, daß sie diese küßte, ohne etwas zu sagen, und deren schönen blonden Kopf an ihre Schulter lehnte.

– Er will nicht, daß du leidest: befiehl, er wird gehorchen.

– Leider, seufzte sie, ist es ein edles Herz, für unser beider Unglück.

– Ich wage es nicht, dir etwas zu sagen, liebe Emezinde.

– Oh, die Furcht vor den Worten kenne ich. Ich bin in einem Gefängnis. Wie soll ich herauskommen? Ich fürchte das Licht. Was würde es mir zeigen? Du glaubst, ich liebe ihn? Nein, Adelaïde. Wenn ich ihn liebte, würde ich es ihm sagen. Das wäre klar und scharf, wie das Profil eines Degens. Nein, ich liebe ihn nicht, aber seine Augen, die flehen, durchbohren mich. Ich ging nach St. Agricola … Ich tat Unrecht. Bin ich noch Herrin meiner selbst und meiner Schritte? Zuerst war es Unrecht von mir, zu dir zu kommen … und mich wie eine Carmen zu benehmen … Ich, einem Unbekannten eine Rose zuzuwerfen! Es ist nicht zu glauben. Aber sie ihm zuzuwerfen, ist Wahnsinn … Ich wollte fliehen, als ich ihn in der Kirche bemerkte … Oh, diese gefalteten Hände, diese flehenden Augen! Ich bin geblieben. Begreifst du das? … Was kann er denken? … Ich habe ihn hinter mir hergezogen, da ich nicht den Mut hatte, ihn zu verjagen … Ich habe gebetet, ich habe geweint … Ich fahre morgen nach Romanil, und ich möchte dich bitten … Oh, arme Adelaïde, in welches Getriebe bist du geraten … welche Ängste mußt du durchmachen! Du wirst zum Erhabenen gezwungen und ich werde niemals meine Schuld bezahlen können.

– Meine schöne Cousine, wenn die Dinge das Maß übersteigen, ist es aristokratisch, sie einfach zu behandeln.

– Nun denn, lade junge Mädchen ein, jung, hübsch, von Adel. Wenn er eine von ihnen auszeichnet, bin ich gerettet! Ja, wenn er einen Augenblick aufhört, an mich zu denken, wird der Zauber gebrochen sein: das Absolute seiner Liebe vernichtet mich.

– Dein Wunsch soll erfüllt werden. Aber erlaube mir, dir zu prophezeien, daß er keine auszeichnen wird; und sollte es geschehen, würdest du äußerst eifersüchtig werden.

– Wenn ich eifersüchtig würde, liebte ich: dann folgte ich meinem Herzen, ohne Widerstand zu leisten. Du wirst ihm meinen Plan nicht mitteilen: er soll glauben, du wollest ihn zerstreuen.

– Der Generalvikar hegt einen Groll gegen dich. Übrigens, die moralische Wirkung ist unglücklich gewesen, selbst auf mich. Ich habe das blinde Vertrauen verloren: diese moralische Theologie, welche Entweihung!

– Und daß es sich im Grunde für Ramman nur darum handelte, mir zu sagen, wie er liebt: wie beim Cirkusspiel ist der schwache Reif des Gewissens gesprungen. Wenn ich daran denke, wie jene die Liebe beurteilen! Es handelt sich nicht um Begierde: es handelt sich um Leben und Tod.

– Ich werde ihn aufs Land entführen: das wird ihn vom Wege abbringen.

– Wir sind nicht weit von einander entfernt … Romanil liegt zwei Stunden Wagenfahrt von Pierrefeu.

– Du flößest mir ein unsagbares Mitleid ein, Emezinde. Hast du eine kranke Pantherin gesehen? Es ist ein tragischer Eindruck: ein so schönes und so starkes Tier, leidend, klagend! Du bist schön wie die Pantherin, und kaum so vernünftig. Felicitas hat ein richtiges Wort über seine Heilung gesprochen: »Was geschrieben steht, steht geschrieben.« Du willst, daß es nicht geschrieben steht!

– Cousine, wenn ich liebe, wird es bis zum Tode sein … und ich bin erst neunzehn Jahre alt. Wenn ich liebe, werde ich gerade auf ihn losgehen, wie ein Pfeil! … Wenn ich diesen Schritt tue, werde ich keinen Blick zurückwerfen, mir kein Gewissen daraus machen, kein Zögern kennen. Ich setze mein Leben ein, mein ganzes Leben … Wenn er sich von mir abwendet, oder wenn ich nicht darunter leide, bin ich gerettet. Wenn die Eifersucht mich packt, dann steht es wirklich geschrieben. Gieb dir ehrlich Mühe, ihn in Versuchung zu führen: der Ausgang wird glücklich enden, mag es nun mein Schicksal sein, daß ich mich wiederfinde oder mich verliere.


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