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II.
Vita platonica

Es war sechseinhalb Uhr, als die Sonne durch den Morgendunst drang und ihn weckte: er sprang auf seine Füße. Schon hatte er Gewohnheiten und wie schöne! In St. Agricola nahm das weiße junge Mädchen ihren gestrigen Platz ein; er gelangte an seinen, hinter dem Pfeiler.

Fräulein von Romanil hatte Hals und Kopf wie eine Orientalin mit weißem Schleier verhüllt, die blonden Haare glänzten kaum: doch fiel er wieder in das gleiche Entzücken. Die Linie der Schultern mit ihren schönen Hängen, der Arm mit seinem kräftigen Schwellen, diese Rundung der schlanken Glieder bezauberten ihn noch.

Das kleinste Spiel der Glieder, wenn sie sich erhob oder setzte, zeigte Modellierungen einer feinen Wollust. Die ruhige Kraft dieses jungen Körpers, jene Verbergung der Nervenkraft, die den starken Panthern ihre charakteristische Geschmeidigkeit giebt, berauschte ihn. Welches Fest, diese Pantherin ihre Messe lesen zu sehen.

Einen Augenblick erhob sie den Arm und befühlte ihre Frisur: er hing an dieser Gebärde, wie beklommen, solange sie dauerte. Vom Gebet erklang keine Silbe in seinem Geiste, der sich spannte, um das strahlende Geheimnis der wilden Jungfrau zu ergreifen.

Er verließ als erster die Kirche, um sie die Stufen der Treppe hinabsteigen zu sehen. Jede Biegung des Knies, jedes Auftreten des Fußes verursachte ihm eine unsagbare Freude. Er empfing einen ohrfeigenden Blick aus ihren Augen, ohne ihn zu spüren. Über die Gefühle dieses Fräuleins von Romanil machte er sich keine Gedanken; ohne klar zu sehen, hielt er sie für stolz, für grausam: er wollte nur das Schauspiel ihrer Schönheit.

Taktvoller dieses Mal, folgte er ihr nicht bis zu ihrer Schwelle. Sein naiver Egoismus jubelte. Jeden Morgen würde er sich an Schönheit berauschen: ein köstlicher Anfang des Tages. Jeden Abend würde er neben Fräulein von Pierrefeu in Gefühlen schwelgen. Die Füllung seiner Arbeit wurde von zwei unvergleichlichen Fassungen eingerahmt: die eine künstlerisch und heidnisch, der Form selbst gewidmet; die andere zärtlich und christlich, von sanften Gefühlen beseelt.

Als er heimkehrte, aß er ein Brötchen; dann begann er sofort, leise trällernd, seine Räume einzurichten.

Ins Vorzimmer stellte er zwei Truhen: die eine aus Leder mit Arabesken von Nägeln, aus Spanien stammend; die andere aus Holz, kräftige Renaissance; dazu Schemel.

Der Speisesaal wurde von diesen absurden Möbeln gebildet, dem Brotkasten, der das Brot trocknet und seine Säulen dem Staub öffnet, und dem Backtrog, der wie ein auf Füße gestiegener Sarg aussah. Eine Anrichte nahm die alten Fayencen auf, die er aus einer Kiste packte.

Das Studio blieb nackt: nur Schreibtisch und Stuhl. Das Bett zog er ins folgende Zimmer, wo er drei schöne Kommoden, von denen, die einen Bauch wie Turcaret Lesage, Turcaret (Komödie eines Schiebers). Vgl. Harden, Zukunft, 28. September 1907. haben, und Sessel der Regentschaft, die den Körper so gut aufnehmen, vereinigte. Was aus seinem Koffer kam, fand Platz in einem hübschen Schrank mit eingelegter Arbeit.

In einem der Zimmer, die auf den Hof blickten, fand er zu seinem Entzücken ein ganzes Magazin von religiösen Gegenständen.

Es ist schwierig, den Priester zu beurteilen, den die unmittelbare Barmherzigkeit und das apostolische Interesse verführt, den Gefühlswert der schönen Dinge zu leugnen. Der Pfarrer, der sein altes Kirchenfenster, durch das Regen und Wind dringen, gegen eine gewöhnliche Scheibe tauscht, die aber luftdicht schließt; der andere, der sich eines Gemäldes entäußert, das niemand betrachtet, um seinen Ofen ausbessern zu lassen; oder beschmutzte und verstümmelte Heilige fortgiebt, um eins dieser Heiligenbilder aus Papiermasse zu kaufen, dessen schreiende Farben dem groben Bauern zusagen: verraten sie eine Sache, die ihren Vorgesetzten unbekannt ist und fremd dem Seminar, das sie gebildet hat? Bevor er verdammt, wiederholt sich ein kluger Geist, daß jeder Mensch die Wahrheit unter einem engen Winkel sieht; selbst der Heilige und der Genius. Die Kunst ist notwendiger Weise die letzte Sorge derer, welche die Vollkommenheit und Heiligkeit des Körpers leugnen.

Ramman würde eine Betkapelle haben! Er richtete sie neben seinem Zimmer ein. Ein großes vergoldetes Tabernakel, auf einem Holzgestell ruhend, bildete den Mittelpunkt: auf Seitentischchen, auf Sockel und, da er nichts Besseres hatte, auf Kisten, die er später bekleiden würde, stellte er Statuen, die meisten aus dem 17. Jahrhundert, mehr elegant und pathetisch als fromm. Er hätte sie nicht gekauft, aber sie ergötzten ihn.

Die Gemälde verteilte er über die Zimmer: die Schäferscenen und Götterbilder kamen in Schlafzimmer und Ankleideraum, die größeren Gemälde ins Studio. Er fand einige interessante Copien und Schülerbilder, die keinen Verkaufswert hatten, aber dekorativ wirkten.

Als Virginia das Essen hinaufbrachte, rief sie mehrere Male »Guter Gott!« Er führte sie durch die Zimmer, die er eingerichtet hatte: die Magd war erstaunt über die Wirkung, die eine kluge Aufstellung erreichte.

– Fräulein muß das sehen, sagte sie.

Gegen ein Uhr kam die Dame zu ihrem seltsamen Mieter hinauf, der sich entschuldigte, daß er in Hemdsärmeln war, mit dem Hammer in der Hand.

Sie fand das Ergebnis überraschend: der Speicher sah wie eine Sammlung aus.

– Glauben Sie nicht, daß ich gute Geschäfte gemacht oder auf Geldverlegenheit spekuliert habe: Sie sehen, wie wenig ich mit dieser Menge anzufangen wußte. Wenn ich Ihnen die Summe sagte, die mich das alles kostet, würden Sie das Geschäft für schlecht halten! Unser Landadel lebt vom Weinbau. Kommt Krankheit, fällt Hagel, sinken die Preise, so ist nicht einmal so viel im Hause, daß die Steuern bezahlt werden können. Ich bin nicht reich, aber ich verbrauche wenig, und ich habe immer flüssiges Geld gehabt: ich habe geliehen, Freunden, Verwandten, die mir wertlose Papiere gaben, da ich entschlossen war, keine Bezahlung zu verlangen. Um ihrer Würde nichts zu vergeben, haben sie mich mit diesen Dingen überschüttet, als Sicherheit. Seit vielen Jahren hat niemand etwas wieder abgeholt. Mein Wohltun ist begrenzt: im Verhältnis zu meinem Einkommen bestimme ich dazu eine gewisse Summe: ohne zwingenden Grund gehe ich nicht darüber hinaus. Das ist nicht zu bewundern. Die verschämten Armen, das wirkliche Elend übersteigt die Vorstellung wie die Bettler der Straße. Man weiß, daß Fräulein von Pierrefeu leiht und nicht mahnt. So hat sich diese zweite Etage gefüllt. Unter den Bedrängten giebt es Gewissenhafte. Es ist möglich, daß mancher Gegenstand jetzt mehr wert ist als vor zwanzig Jahren. Wenn ich Ihnen sage, daß Ihre Kapelle mehr als zwanzigtausend Franken vorstellt, auf fast ebenso viele Jahre verteilt, so zweifle ich, daß man diesen Preis daraus erzielen kann. In Kisten werden Sie alte Bücher finden. Mögen Sie sich daran erfreuen. Es wird Ihre Erholung sein, zu suchen und zu entdecken.

– Einige dieser Möbel würden vorteilhaft mehrere in Ihrer Wohnung ersetzen.

– Sie spielen auf meine Louis-Philippe an, die nicht zu den andern passen. Ich wiederhole Ihnen, für mich haben die Möbel nur ihren Gefühlswert. Ein Sessel meiner Eltern, oder nur einer, an den ich mich gewöhnt habe, ist mir teurer als ein Stück aus dem Museum.

Ramman stimmte ihr bei.

– Die Seele ist alles, selbst in den Dingen, die Seele, die man hineinlegt oder darin findet. Die Reliquien der Vergangenheit enthüllen mir Gehirne und Herzen, die mir mehr befreundet sind als die meiner Zeit. Ich lese mehr Geschichte und Psychologie in einem Wandspiegel als in manchen Büchern. Die Kunst bedeutet das Testament der Epochen; der Schreibtisch Ludwigs XV. hat mehr Wert als die Encyclopédie. Voltaire langweilt mich, dieser Einfall, der immer den Gedanken ersetzt, während ein Stuhl, ein Tischchen seiner Zeit mich entzücken. Jenes Jahrhundert hatte vor allem Kunsttischler: sein Hauptwerk ist das Möbel, wie sein Geist die Geselligkeit war.

– Junger Romanschreiber, in Antiquitäten verliebt, erinnern Sie sich an die Inventare Balzacs!

– Ich habe heute Morgen der Neugier nachgegeben: ich werde jetzt an meine Arbeit gehen. Zeichnen Sie auf meine erste Seite ein Kreuz, das den Segen einer geistigen Patin bedeutet.

Diese Empfindsamkeiten bewegten das unschuldige Herz.

– Setzen Sie Ihren Vornamen unter das Kreuz.

Sie schrieb: »Adelaïde«.

– Fee, denn dieser Name paßt besser für Sie als Fräulein, noch eine Bitte! Daß Ihr Zauberstab mir eine Wohnung von vierzehn Zimmern mit alten Möbeln beschert, würde mir nicht genügen, wenn Sie mir verbieten, mich Ihnen zu nähern. Lassen Sie mich, wenn Sie allein sind, nach dem Abendessen von acht bis zehn zu Ihnen kommen.

– Ich bin abends fast immer allein, antwortete sie.

– Virginia wird mir sagen, wenn Sie Besuch haben: ich will nur Sie sehen, Fee.

Solche Worte, gut gesprochen von einem jungen und hübschen Manne, der viel deklamiert hatte, um sich zu beschäftigen, liebkosten keusch, aber mit Kraft die Seele der Adelaïde von Pierrefeu.

Als Ramman sich hinsetzte, um seine Arbeit zu beginnen, betrachtete er sein Leben mit tiefer Freude! Zu sehr mit sich selbst beschäftigt, maß er in diesem Augenblick nicht die Zärtlichkeit, die er einflößte, sondern genoß sie. Da sein Gedanke von Büchern und Träumen gespeist war, erstaunte er nicht, ein Wesen aus dem Märchen zu finden. Das entkräftete nicht die Auffassung, daß die Männer böse und die Frauen eitel sind. Die Menschheit erzeugt geniale Geister und bezaubernde Seelen. Ein glücklicher Stern hatte ihn zu einem Ausnahmewesen geführt. Eines Tages würde sich sein Schicksal ändern und es seinem Wunsche ähnlich machen.

Vier historische Landschaften der Schule von Gaspard Gaspard Dughet, Schwager und Schüler von Poussin, deshalb auch Gaspard Poussin genannt, wirkte in Rom, starb 1675. und einige Götterbilder erfreuten seinen Blick; sein Tisch, sein Stuhl waren von der Art, wie er sie erst am fernen Tage des Erfolges haben würde. Er konnte in dem einzigen Luxus leben, den er schätzte, im Luxus der Kunst, ohne sich materielle Sorgen machen zu müssen; er brauchte nur zur bestimmten Stunde ins Eßzimmer zu gehen, statt das Haus verlassen und eine Wirtschaft aufsuchen zu müssen. Nichts von der äußeren Welt würde ihn in seiner Klause, die so geschmückt war, stören. Sein inneres Leben, das seine Arbeit hätte bestreiten können, wurde durch zwei überragende Gestalten illustriert: Fräulein von Romanil und Fräulein von Pierrefeu. Die Schöne und die Gute, die Wölfin und das Lamm, die Chimära und die Fee, das Idol und die Heilige: so nannte er sie in seinen Gedanken. Welchen Preis empfing seine Sittsamkeit! Er schwor sich, sie zu bewahren.

Eine Erinnerung tauchte auf und spottete: »Pantagruel kam nach Avignon, wo er noch nicht drei Tage weilte, als er sich verliebte, denn die Frauen dort spielen gern mit den Zügeln, weil es päpstliches Land ist.« Er war noch nicht einen Tag da gewesen, als er sich verliebte, am Morgen in eine und am Abend in eine andere, beide große Damen und sittsame Jungfrauen. Das sarkastische Gesicht des Abtes von Meudon Rabelais, Verfasser des »Pantagruel«. verwirrte den schönen Eindruck des Platonikers nicht. War er verliebt? Nein, nicht im Sinne von Pantagruels Erzieher Epistemon. Er liebte die Schönheit in der Person des Fräuleins von Romanil: das war eine philosophische Handlung seines Geistes. Er liebte die Güte in Fräulein von Pierrefeu: das war eine reine Regung seiner dankbaren Seele. Er beging keine andere Sünde als die Kühnheit, den Nacken und die Schultern einer Jungfrau während der Messe zu betrachten. Wie ein listiger Sophist verzieh er sich, da die Schönheit wirklich außerordentlich war. Vor dem Jüngsten Gericht hätte er die Augen nicht niedergeschlagen, denn dieser Anblick erlaubte ihm, sich die Engel vorzustellen. Er log nicht: dieser strahlende Körper bedeutete die Unempfindlichkeit der Theologie und schien an menschlichen Bedingungen nicht teilzunehmen. Wenn Fräulein von Romanil ihm unter gewissen Umständen erschienen wäre, hätte er an eine übernatürliche Vision geglaubt.

Diese Schönheit, die ihn entzückte, bestürmte ihn auch wie ein Problem. Auf einer Postkarte besaß er die »Quelle« von Ingres: mit dem Bleistift beschränkte er die Schultern, die Hüften, die Knie und die Knöchel. So erhielt er einen vornehmen Charakter, denn die Gewöhnlichkeit steckt in der Breite der Körper. Aber er hatte nur eine Gestalt der Schule von Fontainebleau, eine schablonenhafte Arbeit. Die Schönheit des Fräuleins von Romanil blieb ein Geheimnis für ihn: es klingt verrückt, aber sie war die Verbindung eines Engels und einer Pantherin.

*

Im Gleichmaß der Tagesstunden liegt eine beruhigende Kraft, welche die Mönche genießen. Der eintönige Rhythmus beruhigt die Leidenschaften und bereitet zur Innerlichkeit: die Abwechslung, so kostbar für unsere Schwäche, kann nur noch von uns selbst kommen; die Stunden nehmen dann die Farbe unserer Gedanken an.

Der Mensch, der sich zur Regelmäßigkeit zwingt und einer Disciplin folgt, die er geschaffen hat, entdeckt eine seelische Welt; verschlossen bleibt diese für den, der von zufälligen Umständen abhängt, fremdem Drängen folgt und immer von der Tagesordnung abweicht.

Um sechs Uhr aufstehend, machte Ramman seine Toilette, sprach sein Gebet und ging in die Kirche St. Agricola, um nicht der Messe sondern dem Geheimnis der Schönheit beizuwohnen. Obgleich er nicht an Verführung dachte, obwohl er nicht die Begierde empfand, wie die Theologie sie auffaßt, beging er doch eine heidnische Feier im Hause Christi, das die Stätte der Seele ist.

Im Geiste verehrte er Venus am Fuße des dem Lamme bestimmten Altars. Entweihung, Frevel, Verdammnis? Am 6. April 1327 verliebte sich in dieser selben Stadt, in der Kirche St. Klara, Petrarca in Laura, die Tochter von Audibert de Noves, zur Stunde des ersten Gebets, während der Morgenmesse: und die »Reime« bezeugen, daß keine Rücksicht den Dichter zurückgehalten hätte, wenn er sie hätte verführen können.

Als schuldiger Christ und aufrichtiger Platoniker, wollte er nur sehen, bescheiden, aus der Ferne, das schönste der Geschöpfe, die weiße Wölfin von Avignon, das Mädchen mit den gelben Augen und der leuchtenden Haut. Von diesem Anblick würde er keine Beichte ablegen, weil er von hoher Art war und weil seine Freude der mystischen Freude glich. Wenn ihre Schönheit einen solchen Glanz ausstrahlte, war eine Jungfrau keine Frau mehr, sondern eine Botin der Vollendung, eine heilige Person, eine Monstranz der Form, ein Engel vielleicht? Er sollte die Augen vor dem Licht schließen, während er sich von kalten Meisterwerken der Vergangenheit nährte, Sou um Sou gespart hatte, um durch Italien pilgern zu können! Aus einfältiger Furcht vor der Versuchung sollte er die heilige Begegnung mit dem lebendigen Meisterwerke vermeiden! Ohne Zweifel ruft die Messe, das blutende und furchtbare Mysterium, die schmerzliche Passion wieder ins Gedächtnis: unsagbare Geheimnisse offenbaren sich darin unter durchsichtigen Symbolen. Deshalb ist es für einen Gläubigen Wahnsinn, in der Kirche nach der Modellierung eines Körpers zu spähen, sich an einer Rundung der Glieder zu entzücken. Und doch, der leidende Gott des Opfers ist der gleiche wie der glänzende Schöpfer dieser Jungfrau. Wenn er deren außerordentliche Schönheit gewollt hat, verzieh er im Voraus den Zauber, den sie ausüben sollte. Die Vollkommenheit konnte keine Falle sein, selbst die körperliche Vollkommenheit nicht; der Körper ist vom Daumen Gottes modelliert worden; und Ramman erteilte sich Absolution, weil der Glanz dieses Geschöpfes übernatürlich war, weil eine keusche Wärme von ihr ausströmte und seinen Geist befruchtete. Es war sicher eine Regung der Klugheit, die ihn jeden Tag nach St. Agricola führte. Sobald sich die Wappentür hinter der lebendigen Wölfin schloß, beeilte er sich heimzukehren, den Kopf voller Ideen, Ausdrücke, Einfälle, um von acht Uhr bis Mittag munter zu arbeiten.

Seine Erholung bestand darin, den Inhalt der Kisten aufzunehmen, die Ausschmückung fortzusetzen.

Um zwei Uhr kehrte er an seinen Schreibtisch zurück und arbeitete, bis Virginia sein Abendessen brachte.

Dann ging er zu Fräulein von Pierrefeu hinunter, küßte ihr die Hand, stellte sich vor den Kamin, weil seine Beine vom Sitzen müde waren, und sprach von sich, von ihr, von seinem Roman; suchte ihr zu gefallen, ohne Hintergedanken, aus reiner Begeisterung, in allen Arten schöner Ausdrücke. Die Dame hörte ihn mit einer Zärtlichkeit, die Mühe hatte, das Aussehen des Wohlwollens nicht zu überschreiten.

Um zehn Uhr wünschte er ihr gute Nacht, küßte die schöne Hand und ging mit Bedauern schlafen: das Leben war so gut, daß er keinen Augenblick davon verlieren wollte. In sein Gebet mischten sich seine beiden Engel, die Schöne und die Sanfte, die Wilde und die Milde; er schlief ein, die beiden Frauen mit einander vermengend, indem er Fräulein von Romanil die sanfte Seele der Adelaïde gab oder dieser die blitzende Schönheit jener; und er sprach ein Dankgebet, denn er war vollkommen glücklich, über diese Wirklichkeit ging ihm nichts, seine Wünsche waren erhört, seine Träume waren erfüllt; ja, er beunruhigte sich einen Augenblick, in dem wunderbaren Gemälde keinen Schatten entdecken zu können.

Von einem Morgen zum andern wuchs seine Begeisterung für die »Primavera« der Kirche. Vergebens unterwarf er diesen köstlichen Körper der schärfsten Kritik, erdrückenden Vergleichen: eine einzige Bewegung des jungen Mädchens führte ihn zu seiner andächtigen Bewunderung zurück. Eine Schlankheit der Linien, eine Weichheit der Farben, ein Duft von Frische, eine Spannkraft der Gelenke, eine Gewandtheit der Gebärde. Während sie wie eine Burgfrau des Meßbuches die Treppe langsam hinunter schritt, ahnte er, daß sie die Stufen hinab gesprungen wäre, wenn sie ihren Rock gerafft hätte. Ihre bestimmten Glieder hatten noch die Geschmeidigkeit der Jugend: sie wäre gelaufen wie Atalante Ovid, Verwandlungen X, 560-705. Atalante, griech. die Schwebende, identisch mit Artemis: Nork, Etymologisch-symbolisch-mythologisches Realwörterbuch, Stuttgart 1843..

Er fragte sich oft: war er toll, daß er sich ein Fabelwesen vorstellte, das nur in seiner Einbildung lebte? Aber, übertrugen seine Augen seinem Gehirn eine Wirklichkeit, dann waren die Avignoner blind, weil sie ein solches Wunder nicht bemerkten. Kein Mann fand sich zu dieser Messe ein; die Passanten drehten sich kaum um, wenn sie diesem Gestirn aus Fleisch und Bein begegneten. Die Schönheit lebt also, wie die Wissenschaft, wie die Kunst, nur für eine kleine Anzahl, für die, welche sie finden; und doch ist ihr Begriff angeboren, die Sprache bezeugt es.

Wenn er die wachsende Zärtlichkeit von Fräulein von Pierrefeu hinnahm, ohne sich über deren Tiefe zu beunruhigen, so warnte sein Takt ihn, nicht von einer andern Frau zu sprechen, besonders nicht, wie er von Fräulein von Romanil gesprochen hätte, in einem flammenden Dithyrambus.

Da er sein Idol nicht persönlich kennen zu lernen suchte, legte er ihr keinen seelischen Wert bei: sie war schön, schön wie ein Wunder, schön wie Helena, die den Krieg zwischen zwei Welten rechtfertigte, schön wie Isotta degli Aglitti, der man einen Tempel weihte. Er widmete ihr einen Kult. Nicht ein Mal dachte er an ihr Herz, nicht im Traum daran, sie zu besitzen.

Eines Tages fragte er sich, aus Neugier, nicht aus Lüsternheit, was er empfinden würde, wenn er die Jungfrau streifte, am Sonntag, wo die Menge es möglich machte. Die Demut hielt ihn zurück: er glaubte nicht würdig zu sein, diesen herrlichen Körper zu berühren. Welcher Mann würde es wagen, diesen Leib aus Licht anzutasten? Er freute sich bei dem Gedanken, daß dieses schöne Wesen böse sei und den entweihenden Gatten martern werde.

Als er eines Morgens von der Höhe der Treppe die Jungfrau hinaufsteigen sah, schalten die Topasaugen nicht, sondern fragten offen: er schmiegte sich demütig an die Brüstung, das Herz bedrückt, so unruhig, daß er sie in die Kirche eintreten ließ, ohne ihr zu folgen. Eine Frage hatte sie gestellt, die ihn erschreckte. Wenn dieser Engel sich als Dämon oder nur als Kokette enthüllte? Wenn sie aus ihrem stolzen Gleichmut heraustrat und mit ihrer furchtbaren Macht spielte? Er mußte sich die Wahrheit eingestehen, die bisher tief verschleiert war. Wenn diese Jungfrau wollte, würde sie ihn in ihrem Kielwasser quer durch die Straßen von Avignon ziehen und ihn unter ihren Fenstern ewige Wache stehen lassen. Aus der Entfernung würde ihn eine günstige Ausströmung stärken; in der Nähe würde sie seinen Willen vergiften. Soviel Feigheiten im Leben berühmter Männer, bisher unbegreiflich, fanden darin ihre Erklärung.

An diesem Morgen betete er mit dem Fieber der Furcht. Bevor die Hostie in die Höhe gehalten wurde, wieder gepackt von dem dionysischen Ton des blonden Haares auf dem Lilienhals, vertiefte er sich in den Gedanken, der Schöpfer könne nicht der höchste Versucher sein, das Verhängnis gewisser unüberwindlicher Anziehungen sei verzeihlich. Von Abend zu Abend wurde er von Adelaïde gerührt; er wußte nicht, daß sie sich dem fünfzigsten Jahre näherte, das hätte ihn nicht beeinflußt. Er fand sie schön; ihre Schönheit überzeugte und beruhigte, war vertraut und heiter; sie erhob seine Seele, ohne sie zu verwirren. Dieses sanfte Herz strahlte, wie der Körper der Andern.

Selbst wenn er den Hacken einer Maritorna Cervantes, Don Quichotte I, 16. erträgt, beurteilt der Dutzendmann die Frauen, als führe er das Gewerbe eines Heiratsvermittlers. Für ihn ist eine Jungfrau mit vierzig Jahren alt; hat sie die Fünfzig erreicht, spricht man nicht mehr von ihr. Brantôme bezeugt, daß mit fünfundsechzig Jahren Diana von Poitiers wunderbar schön war. Wieviel reife Damen wurden heftig geliebt: Ninon, Maintenon. Das Urteil erhebt sich gegen die Gräfin Almaviva, die sich in Cherubin verliebt: es täuscht sich. Daphnis und Chloë bieten ein strahlendes Bild, der Frühling durch sich selbst verdoppelt: das ist das natürliche Ideal. In unserer Civilisation giebt es kein Idyll: welchen Wert für Ramman hätte die Grisette, selbst die aufrichtige, der Lieder von gestern? Sein ganzes Leben lang würde er den tiefen Duft einer Adelaïde bewahren. Wie richtig, daß die erste Liebe einen mütterlichen Charakter hat, wenn man den Sinn reiner selbstloser Güte in dieses Wort legt! Ist das Aufblühen des Herzens nicht die entscheidende Tatsache einer Erziehung? Hat die unerträgliche Grobheit unserer Sitten eine andere Ursache als den Weg des Schmutzes, den die meisten Jünglinge gehen?

Drei Leidenschaften erfüllten Rammans Seele und lösten einander ab: Fräulein von Romanil, sein Roman, Fräulein von Pierrefeu. Wenn er sie zusammen durchführen wollte, mußte er sich immer den beiden andern entreißen, um einer zu genügen. Dahinter lag Dunkelheit, in die seine Eindrücke tauchten, seinem eigenen Urteil entgehend. Wenn er Fräulein von Romanil, die über sein Leben entschied, nicht begegnet wäre, hätte er Adelaïde geliebt. Die weiße Wölfin mußte ihren Zauber üben, damit er nicht fühlte, wie diese Frau, die er Fee nannte, sich nicht mehr wehrte, sondern ihr Herz gab, arglos, überzeugt, daß die Keuschheit ihres Gastes sogar den Schatten einer Sünde vermeiden würde.

Eines Abends fand er sie zum Ausgehen bereit.

– Es sind jetzt zwölf Tage, daß Sie das Haus nur für die Messe verlassen: ich will Sie frische Luft schöpfen lassen.

Er wehrte sich. Man sei so gut bei ihr aufgehoben. Warum sich ohne Grund bewegen? Man denkt weniger, wenn man geht.

– Nehmen wir an, ich gehe zu meinem Vergnügen aus: werden Sie sich weigern, mich zu begleiten?

Auf der Schwelle bot er ihr den Arm: sie nahm ihn. Zwischen diesen beiden keuschen Menschen wurde die leichte Berührung, die unbekannte Imponderabilien materialisierte, bald sehr süß: gegen ihren Willen lehnte sich Adelaïde an ihn, gegen seinen Willen drückte Ramman ein wenig diesen Arm, den er genommen hatte. Durch die laue Nacht eines frühzeitigen Frühlings schritten sie langsam über die steinigen Straßen der Rhône zu.

– Nachdem ich bei Ihnen den Brief des Fräuleins von Claustral abgegeben hatte, bin ich an die Rhône gegangen; die Hände drei Male ins Wasser tauchend, habe ich den Gott des Flusses um seine Gunst gebeten: er hat sie mir bewilligt.

– Sie sind zur Hälfte Heide! Sie mußten an den heiligen Benezet denken, den Patron des Flusses, den erleuchteten Hirten.

Ramman verfolgte einen Gedanken.

– Frau Fee, ich bin kein taktloser Mensch, aber bei der Güte, die Sie mir bezeigen, und bei Ihrer Schönheit frage ich mich, wie es gekommen ist, daß Sie, geboren, den Menschen den Wunsch der Engel, den Frieden, zu verwirklichen, allein gelebt haben?

– Warum ich eine alte Jungfrau bin und nicht eine alte Frau?

Er protestierte.

– Sie sind von großer Schönheit und, wenn Sie nicht soviel Tugend besäßen, so süß zu lieben wie wenige, die ich gekannt habe.

– Die Troubadours haben nichts Schlimmeres gesagt als Sie: die Tugend, ein Hindernis für die Liebe.

– Sie mißverstehen mich! Zwei Tugenden flößen dem Verlangen Respekt ein: die der Unschuld und die der Ausdauer. Sie haben einen Weg verfolgt, der reiner und sicherer als die Leidenschaft ist; ich wüßte Ihnen kaum etwas zu bieten, was dieser Heiterkeit der Seele gleichkommt, die Sie wie einen heiligen Duft verbreiten.

– Warum dieses seltsame Gespräch, Herr Ramman? Sie glauben verpflichtet zu sein, einer Frommen Schmeicheleien zu sagen?

– Frau Fee, wenn ich Ihnen meinen ganzen Gedanken ausspräche?

– Sprechen Sie ihn nicht aus! Ein unglückliches Wort fälscht eine Situation.

– Fee, Fee, zweifeln Sie an sich selbst oder an mir? Ich habe zwölf Tage neben Ihnen gelebt, und der Tag, an dem ich Sie verlassen muß, bedrückt mich schon … Ich träume davon, daß ich Sie nicht verliere … Ich bin gekommen für die Rhône und Petrarca, für den Palast der Päpste und die Troubadours; jetzt umschließt Avignon das einzige Wesen, das ich neben meiner Mutter liebe … Ich genieße das Leben, das Sie mir bereiten, so sehr, daß ich den ängstlichen Wunsch empfinde, Sie wiederzufinden, Sie zu behalten …

Sie lächelte.

– Ich verspreche Ihnen, keinen andern Mieter zu nehmen.

– Ihr Herz will ich, Ihr mitleidiges, nachsichtiges, liebkosendes, mildes, köstliches Herz.

– Fünf Adjektive, so stark und auf ein Mal, das ist viel!

– Wie soll ich den Zauber ausdrücken, der Ihnen entströmt?

– Warum sprechen Sie heute Abend so?

– Meine Seele ist voll von Ihnen!

– Erzählen Sie mir Ihr nächstes Kapitel.

– Mein Leben interessiert mich mehr als ein Werk. Sie haben mein Leben verändert. Ich bin nicht mehr allein. Ob ich Sie Fee, Wohltäterin, Schwester nenne: Sie haben mir den Schutz gewährt, der für immer verpflichtet. In einem Jahre werde ich Sie als dieselbe wiederfinden.

– Warum sollte ich mich ändern, Herr Ramman, wenn Sie sich nicht ändern?

– Ach, Sie geben mir zuviel und ich gebe Ihnen nichts zurück … Ich scheine undankbar zu sein.

– Ihr Fehler ist, die Dankbarkeit zu übertreiben. Vornehm in allem, verlieren Sie darin Maß und Einfachheit.

Er wurde plötzlich melancholisch.

– Ja, Worte, Worte … Aber welche Handlung, welche Handlung der Dankbarkeit, der Zuneigung …

Ein Schweigen entstand; der Fluß leuchtete und rauschte in der Nacht; sie machte Halt.

– Die Handlung, die mir gefallen würde … Es giebt eine … Nehmen Sie das Abendmahl mit mir!

Man muß das Glück einer katholischen Erziehung genossen haben, um zu begreifen, wie schön diese Zärtlichkeit ist, die sich an den Fuß des Altars flüchtet, um dort eine reinigende Heiligung zu finden.

– Edle und heilige Seele, rief er aus, mit welcher Freude werde ich neben Ihnen niederknien, um Gott zu sagen, was Sie nicht hören wollen. Nachdem Sie mir die Geschenke der Martha Lucas 10, 38-42. gewährt haben, machen Sie mir die der Maria! Meine hohe Dame, diese beiden Füße Erde, wo Sie ein so würdiges Wort gesprochen haben, sind auch geheiligt worden. Mein Geist bewunderte die Tugend, meine Seele wünschte sie: Sie geben mir deren Duft. Ach, wie glücklich macht mich ein solcher Augenblick! Welche unschätzbaren Dinge in wenigen Silben; welche erhabene Antwort für meine Angst! Sie anerkennen mich vor Gott, Sie führen mich zu ihm. So erlischt meine Angst. Ein solcher Wunsch drückt aus, daß Sie mir niemals diese schnelle und sichere Freundschaft, für die kein Preis zu hoch ist, entziehen … Oh, ich werde mich an Sie anklammern wie an das Wesen des Heils … Ob ich sündig, schuldig werde, Sie verzeihen mir alles, Sie werden mich niemals richten; Sie haben mich adoptiert, ich werde Ihr Kreuz oder Ihr Trost sein, ich weiß es nicht, aber niemals werden Sie von mir befreit werden. Ihres Herzens unwürdig, nehme ich es mit der ganzen Kraft meines Verlangens, und ich werde es eifersüchtig hüten.

Er drückte ihr mit Begeisterung die Hände.

Süße Tränen rollten ihr über die Wangen, die so rein gezeichnet waren, und die Hände, gewohnt, den Rosenkranz durch die Finger laufen zu lassen, erwiderten den Druck von Rammans Händen.

– Sie wünschen meine Zuneigung? Unter einer Bedingung: vergessen Sie, daß ich eine Frau bin, sprechen Sie nur zu meiner Seele, dann werde ich immer hören. Ich werde Ihnen nicht sagen, daß ich Ihre Schwester bin, nehmen Sie mich für Ihre Patin oder eine wiedergefundene Verwandte, die Sie zärtlich lieben, um die verlorene Zeit zurückzugewinnen. So werden Sie von mir haben, was Wert besitzt; und ich werde haben, was ich will, Ihre Achtung, Ihr Vertrauen.

– Sie sind das edelste Geschöpf auf Erden.

– Kind, großes Kind, ich bin eine glückliche Begegnung: Sie haben ein Heim gefunden. Indem Sie sich dort niederlassen, bringen Sie Ihre Jugend und Ihre Hoffnung, beleben Sie ein monotones Dasein. Selbst Virginia freut sich, daß Sie gekommen sind. In Ihrem Alter vermischen sich die lebhaften Gefühle und eine verzeihliche, aber gefährliche Unbesonnenheit verwirrt die Liebesregungen. Diese gleichen sich in der Tat durch ihre Begeisterung, aber wie weit laufen ihre Folgen auseinander! In diesem Augenblick würden Sie mir zur Füßen fallen: aber Sie haben erst die zwanzig überschritten und ich nähere mich den fünfzig. Das stört Sie nicht, glaube ich; und ich danke Ihnen, daß Sie mich das glauben lassen; aber künftig werden die Jahre doppelt zählen und ich werde ganz grau sein, wenn Sie noch ein junger Mann sind … Ich antworte auf Ihre Gedanken und nicht auf Ihre Worte … Damit ich Sie zärtlich lieben kann, muß ich mich noch mehr verehrt als geliebt fühlen. Möge sich mein Alter in Ihr Gedächtnis schreiben: ich könnte Ihre Mutter sein, selbst wenn Sie dreißig wären, und Sie sind erst einundzwanzig! Sie haben selbst gesagt, man müsse die Ausdauer ebenso ehren wie die Unschuld: Ihr Feuer heute Abend stößt einen Rauch aus, den ich nicht mehr fühlen will. Als Patin Ihres Schicksals, als Fee werde ich stets vermitteln zu Gunsten eines Patenkindes, dessen Augen rein sind, dessen Gedanke keusch ist und für den ich nur eine Seele bedeute. Diese Erklärung hätte ich lieber vermieden. Es ist viel schöner, sich ohne Worte zu verstehen, in diesen so tiefen Interessen des vertrauten Gefühls, wo das geringste Wort erkältet oder verwundet, denn man rührt an das Innerste des Wesens!

Ramman fügte sich, mit feiner Haltung, für die sie ihm Dank wußte; zu Unrecht, denn nun war er frei, Fräulein von Romanil zu verehren. So groß ist die Verstellung, die man sich selbst gegenüber übt, daß er sich nicht gestand, wie sein Gewissen sich erleichtert fühlte. Er liebte von Fräulein von Pierrefeu nur das Herz, dieses Herz, das sie ihm so einfach gab; was er darüber hinaus gezeigt hatte, stammte als wirrer Dunst aus seiner unbewußten Geschlechtlichkeit.

*

Am Morgen nach dieser entscheidenden Aussprache, erhob sich Ramman um fünf Uhr und ging in die Kirche Saint Pierre, um Absolution zu suchen. Durch schnelles Aussprechen hüllt man die Sünde listig in Alltäglichkeit: wenn man die näheren Umstände entwickelte, würde sie ihre ernste Seite verraten. Wie in wenigen Minuten einem Geistlichen die platonische Askese und ihre praktische Rechtfertigung erklären? Ein junger Mann, der vor kaum einem Monat erst gebeichtet hat, der seine Gebete nicht versäumt und jeden Tag zur Messe geht, wenn er sich dort auch durch den Anblick eines jungen Mädchens ablenken läßt, nennt sich nicht Sünder. Man ermahnt ihn, in sein Buch zu sehen, an die Majestät Gottes zu denken, an die Heiligkeit der Kirche zu glauben. Mehr könnte man nicht tun, besonders wenn er bejahend auf die Frage antwortet: »Würden Sie jeden Morgen in die Messe gehen, selbst wenn Sie dort niemand träfen, nur um zu beten?« Wenn er nicht gestand, daß er einen kühnen Roman schrieb, wessen sollte er sich anklagen? Nicht einmal eines schlechten Gedankens! Er betrachtete Fräulein von Romanil in der Kirche und während der Messe: das war alles. Nach einer physischen Analogie hat die Buße, dieses wunderbare Sakrament, innerlich die Wirkungen des Bades: sie wäscht, sie beruhigt, sie macht das Herz frisch und gesund.

Heiter suchte der junge Mann Fräulein von Pierrefeu in Saint Didier auf, wo ihr Beichtvater den Kirchendienst versah. Während der Messe von sechseinhalb Uhr nahmen die Dame und der Jüngling, Seite an Seite, das heilige Abendmahl. Schöne Wirkung einer wahren Frömmigkeit: die Erinnerung an Fräulein von Romanil verwirrte die Andacht nicht: er dachte nur an Gott und die, welche ihn so heilig liebte.

Als sie die Kirche verließen, sagte ihm eine Uhr, die sieben ein viertel zeigte, daß er seine Betrachtung versäumt habe. Was sollte er anders tun als mit Fräulein von Pierrefeu heimkehren? Er mußte eben jene heidnische Freude der Gnade opfern, die Jesus ihm eben bezeigt hatte. Er fügte sich, seinen Willen darauf richtend, das Entzücken von Adelaïde zu genießen, die ein heiliges Glück empfand, denn sie überließ sich ohne Furcht der großen Zärtlichkeit, die ihr dieses liebe Kind einflößte.

Am nächsten Morgen fand sich Ramman vor sieben Uhr in St. Agricola ein, ungeduldig, die wunderbare Jungfrau eine Minute früher wiederzusehen. Ein Tag war vergangen, ohne daß er dieses geheimnisvolle Strahlen aufgefangen hatte! Wenn sie heute Morgen bei der Messe fehlte, wie er gestern gefehlt hatte, wie schmerzlich, wie traurig: zum ersten Male würde er schlechte Arbeit leisten!

Als sie einen Pakt reiner Neigung feierlich beging, hatte Adelaïde den jungen Mann zu der weißen Wölfin getrieben, ohne daß er selbst etwas davon ahnte. Jetzt stand eine einzige Frau vor ihm: ohne sich zu wehren, lieferte er sich dem mächtigen Magnetismus des strahlenden Körpers und des sonnigen Haares aus.

Fräulein von Romanil war nicht beim Evangelium erschienen. Er empfand eine geheime Unruhe. Als die Messe begann, war ihr Stuhl noch leer, und der Betrachter wurde verwirrt. Mußte er heimkehren, ohne daß die Schönheit ihn angeregt hatte? Er fürchtete für die Arbeit des Tages und steigerte sich in die Angst hinein. Wenn sie Kirche oder Stunde gewechselt hatte, verlor er sie: er zitterte.

Endlich erschien die weiße Silhouette! Wenn das stolze Mädchen den Blick gesehen hätte, der sie empfing, den Blick eines Gehängten, den man vom Strick schneidet, sie wäre gerührt worden, mochte ihr Stolz auch noch so groß sein. Heute Morgen gaben eine kurze Jacke und ein Marinekragen ihr ein knabenhaftes und keckes Aussehen.

Um ihre Verspätung gut zu machen, blieb sie, nachdem die Messe beendet war. Die wenigen Anwesenden gingen, der eine nach dem andern. Es gab in der Kirche nur noch ein Verlangen und eine Verachtung. Welches Verlangen? In Summa ein reines, trotz seiner Kraft, ein wahrhaft geistiges und doch so gebieterisches, jenseits der Begierde und furchtbarer als diese. Welche Verachtung? Mit Neugier gemischt, durch eine schweigende und rätselhafte Verfolgung gereizt.

Sie betete nicht, sie überlegte: ohne Zweifel bemühte sie sich, den Unbekannten zu begreifen, dessen Blicke sie mit einer demütigen und hartnäckigen Gier umhüllten. Zu unsicher in seinem Beobachten, um daran zu glauben, schien es Ramman, als ob auf diesem Rücken nervöse Wellen einer Erregung liefen. Warum blieb sie? Um festzustellen, daß er ihretwegen und nicht aus Frömmigkeit kam? Zu welchem Zweck?

Eine Viertelstunde verging, die ihn entnervte. Endlich erhob sie sich. Er stieg parallel mit ihr die Treppe hinab. Am Weihbecken machte sie Halt; er gewann die Tür, um nicht an ihre Seite zu kommen. Er fürchtete ein Wort, einen Blick, eine Gebärde, welche diese Situation verderben konnte, und er ging etwas schneller hinaus, wie ein Tier, das einen Schlag fürchtet. Auf der von Sonne besprengten Schwelle stieß er einen schmerzlichen Seufzer aus: die Furcht folterte ihn. Er hatte nur die Zeit, sich gegen den Türstock zu werfen: er empfing mit den Augen einen funkelnden Blick, der den Kühnsten hätte verwirren können. Ein Wort sollte folgen, ein furchtbares Wort: er sah es wie einen vergifteten Pfeil auf dem schönen Bogen der Lippen zittern. Wie schön sie in diesem Augenblick war: ein göttlicher Bogenschütze, der sein Geschoß auf den Drachen schnellt. Plötzlich verschwanden die schrecklichen Chrysolithen unter den sich senkenden Lidern, der Mund entspannte sich, Fräulein von Romanil ging vorüber! Er war gerettet. Durch welche Vermittlung? Dieses Drama hatte die Zeit eines Blitzes gedauert. Aber der Blitz hatte nicht gezündet. Warum nicht? Ihm schlug das Herz zu sehr, als daß er sich das Wunder erklären konnte.

In diesem Augenblick von Angesicht zu Angesicht hatte sie in den Augen ihres Verfolgers die Wahrheit gelesen, das heißt, eine solche Bewunderung, eine solche Furcht, ihr zu mißfallen, daß sie ihn unmöglich niederschlagen konnte. Dieser demütige Blick hatte sie entwaffnet. Ihr Zorn fiel vor ihrem eigenen Reflex, den sie auf dieses so beunruhigte Gesicht warf.

Er folgte ihr in größerer Entfernung als sonst und blieb an der Ecke der Straße stehen, taktvoll in seinem Eigensinn, seinen Sieg nicht ahnend, sogar unfähig, die ungewohnte Nervosität der Jungfrau zu bemerken.

Angefeuert durch ein Gefühlsleben, das so intensiv war, für ihn wenigstens, der bisher nur geträumt und begehrt hatte, ohne Anlaß, ohne Gegenstand, führte er seine Arbeit rüstig vorwärts. Fünf Stunden morgens, fünf Stunden nachmittags, zwei abends: selbst wenn er überlegte und ausstrich, ließen diese zwölf Stunden starke Spuren auf dem Papier, da nichts ihn ablenkte. Von seiner heidnischen Messe heimgekehrt, wurde Ramman der Schlafwandler seines Buches. Seine abendlichen Plaudereien mit Adelaïde dienten ihm: indem er mit ihr sprach, indem er sie anhörte, fand er Nüancen, Ausdrücke.

Die Tage, die auf den furchtbaren, so geheimnisvoll beschworenen Blick folgten, waren erstaunlich fruchtbar. Fräulein von Romanil erfüllte die Wünsche ihres Bewunderers: sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Echt oder gemacht, ihre Gleichgiltigkeit war vollständig. Sie kam zur bestimmten Stunde und ging wieder, wenn sie die Messe gehört hatte, als sei in der Kirche niemand gewesen, den sie kannte. Er hätte glauben können, sie bemerke ihn nicht: und er war glücklich, tief glücklich. Da seine Betrachtung nicht mehr gestört wurde, berauschte sie ihn noch mehr. Mit welcher Aufmerksamkeit entzifferte er diese mehr als menschliche Schönheit! Die kleinste Bewegung erhaschte er im Fluge, um sich daran zu ergötzen.

Die Mimik, die man an der Frau liebt, die Grazie, entsteht aus Kurven, die auf einander folgen und sich aufringeln, ohne sich je durch den verhaßten Winkel zu brechen. Bei Fräulein von Romanil steigerte sich dieses Spiel des Kreissegmentes durch geneigte Stellung; die Kurven waren ohne Zweifel konzentrisch, aber sie schritt nicht gerade, noch setzte sie sich gerade; ihr Körper ruhte niemals gleichmäßig auf den beiden Füßen; ihre Ellbogen vermieden in unerklärlicher Weise die Parallele, wie die Knie, wie die Schultern. Für einen nicht ermüdenden Beobachter wechselte sie dadurch unaufhörlich das Aussehen, mit verblüffender Plötzlichkeit.

Kraft seiner Aufmerksamkeit gelangte Ramman dahin, diesen köstlichen Körper genau kennen zu lernen; und er freute sich, wenn er daran dachte, daß der Ruchlose, der eines Tages diese Unsterbliche zu heiraten wagte, wie eine alltägliche Person, ihre Schönheit nicht kennen würde. Er allein in der Welt würde die Geheimnisse wahren, diese Modellierungen, von einem Tage zum andern geahnt: wenn er nur an sie dachte, schlug sein Herz schneller. Welche Freude er an diesen unmerkbaren Fehlern des Körpers hatte, an dieser etwas schwellenden Fülle, an jener etwas gehöhlten Leere, an dem ätherischen Glanze, der sich wissenschaftlich konkav und konvex nennt!

Die Modellierungen, das waren die Geheimnisse dieses herrlichen Körpers, und er entdeckte sie, bestimmte sie, sie wurden sein geistiges Eigentum. Der Elende, so nannte er ihn, der diesen paradiesischen Körper zu umarmen wagte, würde ihn nicht sehen; aber er sah ihn, er ehrte ihn, er lernte ihn auswendig, wie Mozart die Motette hörte, um sie aus dem Gedächtnis zu übertragen. Er liebte das junge Mädchen nicht, aber der Haß zischte in seinem Herzen, wenn er an ihre Ehe dachte. Ein solcher Engel einem Manne ausgeliefert, einem rohen Gesellen, der aus ihr das Heilmittel für seine Begierde machen würde! Er zitterte bei diesem Gedanken. Gott gehörte eine solche Braut! Das Kloster allein würde dieses vollkommene Geschöpf, das Ebenbild des Absoluten, vor Schmutz bewahren. Würde sich die weiße Wölfin Gott ergeben? Und er war so eifersüchtig, daß er brüllte, ohne jedoch zu glauben, daß er verliebt sei; denn er, diese lebendige Hieroglyphe allein verstehend, allein erklärend, hätte selbst in Gedanken nicht gewagt, seine arme Menschlichkeit diesem göttlichen Glanze zu nähern. Ihr gegenüber demütigte er sich, ja verachtete er sich.

Ganz seltsam war es: er dachte niemals an die Seele dieser strahlenden Jungfrau, höchstens um ihren Stolz und ihre Wildheit zu fürchten, die er bei sich übertrieb, und auch um mit der ganzen unerklärlichen Schwäche zu zittern, die er empfand. Wenn er an die wirren Reden Stendhals Stendhal, Über die Liebe (deutsch bei Georg Müller). dachte, der als zweites Symptom der Liebe angiebt: »Man sagt sich, welches Vergnügen es sein würde, sie zu küssen,« zuckte er die Achsel. Wenn Fräulein von Romanil ihm ihre nackte Hand hingestreckt hätte, er würde nicht gewagt haben sie zu nehmen. Schon spürte er seltsame Erscheinungen: eine plötzliche Traurigkeit verschleierte seinen Geist; er verlor die Verbindung mit der Natur. Das gebieterische Phantom der Jungfrau von Avignon würde sich künftig hinter jeder Frau erheben. Schon hatte es sein Herz verhindert, sich zu der sanften Adelaïde zu wenden. Er hatte zuviel gelesen, um nicht zu erfassen, welcher Unterschied zwischen seinen Eindrücken und den klassischen oder normalen herrschte. So übernatürlich diese Schönheit auch sein mochte, er verhehlte sich nicht, daß er von ihr besessen war. Daß er seine Arbeit beeilte, darin lag eine Ahnung des Taumels, der ihn ergreifen und seinen Willen brechen konnte, wie einen jener Stäbe, welche die Freier in Raphaels »Vermählung Marias« zu Mailand halten.

Dieses Fräulein von hoher Geburt war Lebemännern, pariser Reisenden sichtbar: keiner hatte seine Interessen oder Vergnügungen aufgegeben, um neben ihr zu leben; keiner lauerte ihr auf, folgte ihr, verehrte sie wie er. Darin lag ein geheimer Grund! Der Einfluß, den sie auf ihn übte, kam aus dieser Schattenzone, in der die unerklärlichen Handlungen entstehen, in der die Einfältigen den Teufel unterbringen. Deckte sich beides? Die einzigen Freunde seiner Jugend hatten ihn bereitet: der eine, ein Bildhauer, um die Schönheit des Fräulein von Romanil zu ahnen; der andere, der Zauberer, der rätselhafte Desiderius, um ihn für die gefährlichste Begegnung seines Lebens zu waffnen. Denn für ein Wesen, das durch Selbstgespräch, Gebet oder Nachdenken gebildet ist, erzeugt der Eindruck, daß es seinen Willen verliert, die schlimmste Angst. Wenn das leuchtende Angesicht sich gegen ihn wendete und die Goldaugen ihre Flammen schleuderten, würde er nur noch ein Lappen sein! Seine Klugheit würde nur dazu dienen, die Schande seiner Knechtschaft besser abzumessen. Der Beginn der Liebe war für ihn die Furcht vor dieser erdrückenden Herrschaft. Er hielt das junge Mädchen für schlimmer als eine Pantherin. Sie wäre bestürzt gewesen, hätte sie in diesem starken Geist den Schrecken gelesen, den sie einflößte. Lange hatte Ramman unter dem Einfluß von Desiderius gestanden, dessen Vergangenheit unbekannt war, der inmitten vieler nicht geordneter Bücher lebte, man wußte nicht, wovon. Dessen Lehren waren trocken und düster; der junge Geist, nach Ausdehnung begierig, warf sie zurück, nur eine Reihe Erklärungen für diese Seelenzustände behaltend, welche die Psychologie zur Medizin rechnet, die faselt, um nicht stecken zu bleiben.

Ramman war weder krank, noch verrückt, noch besessen: die Anziehung, die auf ihn wirkte, überwand seinen Widerstand.

Eines Morgens kam Fräulein von Romanil zur Messe, begleitet von einer Provenzalin, ihrer Zofe ohne Zweifel. Diese sah sich Ramman offen an, als habe sie dazu Befehl erhalten. Während die Messe gelesen wurde, hörte sie nicht auf, sich umzudrehen, und überraschte jedes Mal den verliebten Blick des Betrachters.

Als sie die Kirche verließ, schlug das junge Mädchen zum ersten Male eine andere Richtung ein: von der Dienerin begleitet, stieg sie die Agricolastraße hinauf. Ein Korb bedeutete, daß man zum Markte ging.

Ramman dankte dem Himmel und folgte bis zum Piusplatze, ohne sich um die Zofe zu kümmern, die ihn mit offenem Erstaunen betrachtete.

Bald wurde der Schritt langsam, machte plötzlich Halt, zwischen den Reihen der Warentische, unter den Wirtschafterinnen mit dem Netz am Arm. Bei dem klaren Lichte strahlte das Idol: er wurde davon so berauscht, daß er gegen Leute und Körbe stieß, unfähig, etwas anderes als Fräulein von Romanil zu sehen. In der Sonne dieses Aprilendes sang ihre Haut wahrhaftig. Er kannte ihre kleinen glänzenden geschlossenen Zähne, die Durchsichtigkeit ihrer Nüstern, die Rundung ihrer Wangen, die Feinheit ihrer Haare, die zu flammen schienen.

Die ersten Blicke der Dienerin waren feindlich gewesen, dann wurden sie unruhig, schließlich erstaunt. Ramman fühlte sie immer fragend, aber sympathisch. Dieses Mädchen vergötterte ihre junge Herrin: aus diesem Gefühl heraus entschuldigte sie das des Verfolgers. Was sie sagte, mußte eher lindernd und mildernd sein; wenigstens nahm er das an.

Bei einem Marktschreier, der die Gaffer ergötzte, um ihnen seinen Schund zu verkaufen, trieb ein Wirbelwind den Verzückten gegen sein Idol; er tat alles, um sie nicht zu berühren, aber sie drehte sich instinktiv um, so plötzlich, daß sie ihm voll ins Gesicht sah, mit jenem unversöhnlichen Antlitz von der Kirchenhalle. Noch ein Mal schwand der Zorn vor der Demut der Haltung und der Andacht des Blickes. Sich lebhaft von der Menge lösend, bemerkte sie Orangen, ergriff eine und biß hinein; mit den Augen suchend, fand sie einen Kehrichthaufen und warf die Frucht ostentativ dorthin. Diese Gebärde drückte ihren Unwillen aus. Mit einem Sprung stürzte sich Ramman auf die Frucht und suchte die Spur der Lippen. Er hörte die Dienerin aufschreien, die Händlerinnen lachen, ohne daß die Scheu in ihm erwachte.

Etwas Raum breitete sich frei aus in der Richtung, die das Fräulein einschlug; er hörte auf an der Orange zu saugen und legte sie dorthin, wo sie gehen mußte. Nervös, zermalmte sie die Frucht auf dem Boden, stark auftretend. Er hob die zerquetschte und schmutzige Masse auf.

– Es simple (er ist verrückt), sagte die Dienerin.

Das junge Mädchen wußte, daß dieser sanfte Starrkopf ganz etwas Anderes war. Als sie den Piusplatz hinter sich hatte, sprach sie lebhaft zu der Zofe: diese verließ sie plötzlich.

Die zertretene Frucht trinkend, als wäre sie frisch gepflückt aus dem Garten des Paradieses, freute Ramman sich noch an ihrer Haltung, die an diesem Tage nervös und lebhaft war.

Als die Tür des Hauses Romanil sich geschlossen hatte, fiel ihm plötzlich eine Lehre des Desiderius wieder ein: »die Wahl«.

Der seltsame Mensch behauptete, es gebe wirkliche Verhängnisse der Anziehung, der kein Wille widersprechen könne. In diesem Falle sind die Menschen unschuldig, wenn sie auch zu den schlimmsten Handlungen verführt werden. Er erklärte diese Erscheinung durch ein Übereinstimmen der Fluiden, ähnlich der Sympathie und der Liebe, aber automatisch Goethe, Die Wahlverwandtschaften..

Diese Wahl betrachtete er als eine Ausscheidung der Nerven, die durch genaue Ergänzung wirkt, so sehr, daß aus der Entfernung und ohne Absicht ein Mensch einen andern magnetisiert, ohne dessen Wissen. Das Bild Platons von der Hälfte einer Birne gab keinen guten Vergleich. Man müßte sich ein magnetisches Puzzle vorstellen, von dem jeder einen Teil bedeutet, der durch ein verhängnisvolles Gesetz danach strebt, sich in den andern einzufügen. Desiderius gab psycho-chemische Beispiele, die Ramman vergessen hatte.


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