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VIII.
Unter Balzacs Kutte

Er glaubte, es sei eine Hallucination. Sein Doppelgänger, sein Gespenst saß am Tische und schrieb. Aber goldene Flocken überfluteten die Kapuze und offenbarten Emezinde.

In welcher Absicht hatte sie die Kutte Balzacs angezogen? In eine shakespearsche Figur war sie verwandelt, in eine Schwester der Portia, welche die Sache der Seele vor den kirchlichen Richtern verteidigen würde.

Ihr langer Hals erhob sich, wie Elfenbein leuchtend, aus dem weiten braunen Ausschnitt; sie befreite ihr Haar von der Kapuze und rückte es zurecht; bei dieser Gebärde fielen die weiten Ärmel auf die nackten Arme; ihre Katzenaugen schimmerten in warmem Blick.

– Ehrwürdige Äbtissin! murmelte er entzückt. Wenn Sie diese Kutte anziehen, mischen Sie Ihr himmlisches Fluidum mit meiner dunklen Emanation.

– Das kommt erst in zweiter Reihe: ein anderer Plan führt mich her. Ich habe dieses Kissen gebracht; es ist dicht. Sie werden vielleicht lange darauf knien, denn Sie werden beichten.

– Sind Sie nicht sowohl meine Sünde wie meine Tugend? Habe ich ein eigenes Gewissen? Ich gehorche wie ein Hund, ein glücklicher Hund.

– Eben! Unser Pakt macht mich verantwortlich für Ihr Schicksal, und ich lenke es. Es sind Dunkelheiten in Ihrer Seele: ich bin begierig nach Ihren Geheimnissen … Ihre Seele ist für mich vom selben Interesse wie mein Körper für Sie. Meine Schönheit, die dich berauscht, hast du geschaffen: nur der Anfang war davon vorhanden. Enthält deine Seele nur meinen Reflex? Ich will sie ganz und gar sehen. Ich entlehne unserer Mutter, der Kirche, die Form, die ins Innere dringt. Falte die Hände auf dem Rand des Tisches, blick in dich hinein! Ich werde nur mein Ohr zu dir neigen. Mein Profil, hoffe ich, wird dich nicht ablenken von einer aufrichtigen Prüfung, ohne die wir törichte Kinder wären … Du hast es geahnt: nun, ja, unter deiner Kutte bin ich wie Laura in der Quelle. Am Tische wollte ich Fragen aufschreiben, die ich lieber mit meiner Stimme an dich richte. Du bist ein Dichter und der Stil verschleiert, wie ein Kleid die Formen ändert. Ich will die Nacktheit deiner Seele. Mache dir keine Sorge um mein Urteil: wärest du der Teufel in Person, ich würde darunter leiden, aber mich nicht entfernen. Von Tag zu Tage, von Stunde zu Stunde, neige ich mich zu dir. Es giebt drei Punkte, über die du mich zufrieden stellen wirst. Wie vereinigst du unsere Sünden mit unserm Glauben? Wie denkst du über die Harmonie unserer Schicksale? Schließlich, wie war deine Vergangenheit? Adelaïde hat mich erschreckt. Sie liebt uns, als ob sie dich nicht liebte; sie beunruhigt sich, seit sie den Taumel gefühlt hat, von dem wir leben und an dem sie sterben würde, wie sie sagt.

– Das ist also der Faden, der mich führen wird, antwortete Ramman. Diese teure Fee begreift nur, wie jedes Wesen, was sie fühlt. Ein zärtliches Herz, treu, nachsichtig, tugendhaft und fromm, entsetzt sie sich vor dem gebietenden Wahnsinn, vor der Vermischung des Heiligen mit dem Weltlichen, das für uns die Harmonie ist! Sie hat die Ansicht ihrer Begrenzung. Unsere Sünde trägt furchtbare Namen: du kennst sie. Die Absichten haben den gleichen Wert wie die Handlungen: du bist meine Geliebte und ich bin dein Liebhaber; wir sind der Schändung schuldig, da du Jungfrau bist. Das wiegt schwerer als die Hurerei, der Ehebruch und die Blutschande.

Sie protestierte:

– Frei von Banden alle beide, sollten wir schuldiger sein, als wenn jeder von uns einen Gatten verriete?

– Du lehnst diesen Grundsatz ab und du hast recht. Erkennen wir den Baum an seinen Früchten. Unsere Rechtfertigung beginnt. Ich hatte die Absicht, keusch zu bleiben, als ich nach Avignon kam, und durch die Betrachtung des Morgens schien mir die Vorsehung mein Gelübde zu bestätigen: deine Schönheit gab mir eine Wollust, so lebhaft, daß sie geistig wurde; deine Schönheit bewahrte mich vor jedem Beschmutzen. Selbst für die Zukunft macht sie mich gleichgiltig gegen die Versuchungen.

Ernst betonte Emezinde:

– Junger Mann, du könntest zur ersten besten gehen, oder von der einen zur andern: bin ich ein Element der Tugend? Du schwörst es!

– Und für mich als Dichter, dessen Einbildung lebhaft ist, dessen Gehirn von den Meisterwerken besucht wird, übersteigt dein Einfluß die Sitten und bestärkt mich in der Idealität: du läuterst meine Sinne, indem du ihnen eine Wollust bietest, in der die Idee wirkt; du heilst zugleich meinen Verstand.

– Daß ich das gehört habe, dafür segne ich mein Schicksal.

– Auf der Suche nach der Wahrheit, ehrlicher Geist, werde ich dir eine letzte Formel vorschlagen, die wichtigste. In welchem Maße ist die Kühnheit eine Sünde? Denn diesen beiden hohen Damen des Himmels, Klugheit und Mäßigung, können wir nicht gefallen. Als ich dir zum ersten Male folgte, als ich mir das Wort gab, dir jeden Morgen zu folgen, habe ich nicht bedacht, daß eine Provenzalin, die Balzac liest, die Wagner spielt, die sich in ihrer alltäglichen Umgebung langweilt, sich über eine so diskrete Verfolgung ärgern könnte, selbst wenn sie länger dauerte. Noch weniger habe ich bedacht, daß du die Natur meiner Blicke fühlen würdest, deren Bestimmtheit, deren Zugreifen. In meinem Gedanken bliebst du lange höhnisch oder belustigt, da du sahst, daß die Verfolgung sich auf ein harmloses Folgen beschränkte, auf ein kleines Abenteuer ohne Briefe und Worte, das dir gerade genug gefiel, um dich ihm nicht zu entziehen.

Plötzlich fragte sie:

– Wenn du sterben müßtest, würdest du dich für verdammt halten?

– Wer jeden Tag zu Maria und den Engeln betet, kann nicht verdammt sein.

– Bist du im Zustande der Gnade?

– Ja, wenn keine schädliche Folge für dich aus dem Jetzt hervorgeht. Die Wirkungen heiligen die Ursache. Man sieht sie nicht vorher.

– Wie gleichst du unsere Schicksale aus?

– Ich weigere mich daran zu denken: das ist zu düster!

– Ich, ich denke daran; weil es düster ist und ich Furcht habe. In einigen Monaten, wenn dein Buch vollendet ist, wirst du nach Paris gehen, deinen Weg verfolgend, und ich …

– Laß uns diese gesegneten Stunden leben.

– Du willst unsere Trennung hinnehmen?

– Du quälst mich, ich will nicht daran denken …

– Die Monate vergehen schnell, und du könntest mich ein letztes Mal anschauen, indem du dir sagst, daß es das letzte ist? …

– Frage nicht nach der Zukunft.

– Es sei! Jetzt: deine Vergangenheit?

– Meine geistige Bildung kann dich interessieren, aber das ist eine Reihe von Einzelheiten.

– Entziehe dich nicht: deine Vergangenheit ist, was ich hasse …

– Man widmet seinen Haß nicht dem Nichts.

– Du folgtest den jungen Mädchen. Du hast mit keiner gesprochen? … Bist du, mit einem Wort, was ich bin? …

– Die Reinheit eines Jünglings ist nicht dasselbe wie die des jungen Mädchens. Ich habe dort unten weder Erinnerung noch Hoffnung gelassen; mein Herz ist eine Seite, auf der nur dein Name steht. Das wird durch zwei Gründe bewiesen: Armut und Arbeit, Menschenscheu und Frömmigkeit.

– Bist du, was ich bin? wiederholte sie eigensinnig.

– Ich könnte dir bejahend antworten, aber wenn du mich bätest, es genau zu bestimmen, würdest du deine Grazie verlieren: es giebt eine Casuistik, in die ein Wesen wie du nicht eintritt …

– Ich will eintreten.

– Zum ersten Male widersetzt sich mein Wille dem deinigen. Unser Pakt vermag nichts gegen gewisse Grundsätze. Ich habe alles vergessen, als ich dich sah, alles verabscheut. Ich weigere mich, mich daran zu erinnern.

– Ich kann dich leiden lassen. Nein, ich kann mich leiden lassen: du würdest dann auch leiden.

– Ein teuflisches Wort!

– Du hast den Teufel gerufen?

– Ich glaube nicht an den Teufel: die geheimnisvollen, aber natürlichen Kräfte, die ich anwenden wollte, werde ich dir erklären.

– Du findest es seltsam, daß dein Taumel mich gewinnt?

Sie erhob sich.

– Nimm meinen Platz: setze dich.

– Du willst niederknien, du, Geliebte?

– Ich finde keine andere Art, um dir mit Würde zu sagen, was du hören mußt.

Sich dem guten Willen dieser gebieterischen Geliebten zu widersetzen, daran dachte er nicht: er mußte sich darein ergeben, daß sie die Stellung der Büßerin einnahm. Ihr wunderbarer Kopf bildete zu dieser Kutte einen Gegensatz von romantischer Seltsamkeit: das fiel aus der Zeit, aus dem Orte, aus dem Wahrscheinlichen.

– Ich gleiche den Katzen. Sie schlafen unermüdlich, diese nervigen Geschöpfe. Sie erwachen wieder, um sich zu lecken, und, zufrieden mit sich selbst, rollen sie sich zur Kugel und nehmen ihren Traum wieder auf. Bis du kamst, bis zu dem Augenblick, da du dich vor meiner Tür aufpflanztest, hatte mein Herz geschlafen, härter als meine Haut, und noch ruhiger. Die vertraulichen Mitteilungen meines Bruders schienen mir die Kehrseite aller Männer zu sein. Ich verachtete sie bis zu dem Grade, daß ich mir den nicht vorstellen konnte, den ich lieben würde. Wahrhaft fromm, glücklich, ich selbst zu sein, genoß ich das Leben ohne Interesse und ohne Verdruß, ohne Plan und ohne Sorge. Meine Mutter ist die Frau, sich einer Ehe zu widersetzen, aber nicht, sie zu erzwingen. Ich langweilte mich, ohne es zu wissen. Deine aufreizenden, unerträglichen Blicke verrieten mir, daß es Ablenkungen giebt. Wenn dein Beharren mich beleidigte, so war der Ausdruck deiner Augen so andächtig, so entzückt, daß er mir an gewissen Tagen einfältig, zu verklärt und hypnotisch erschien. Ich befaßte mich damit, mir deinen Blick zu erklären. Ich wiederholte mir die früheren Blicke, die ich bemerkt hatte, und verglich sie mit deinen. Die Andern verlangten, du freutest dich. Du gingst hinter mir und ich fühlte deinen Blick auf meinem Körper. Wäre mein Leben geistiger und reicher gewesen, hätte ich die Kirche gewechselt. So sehr er mich reizte, so war dein seltsamer Blick doch ein großes Ereignis. Du würdest, dachte ich, irgendeine Erklärung schreiben, denn wer dürfte daran denken, mich anzureden? Eines Morgens mußte ich Felicitas auf den Markt begleiten: ein Verwandter speiste unvermutet bei uns. An diesem Tage biß ich in die Orange und warf sie, dich anblickend, auf einen Kehrichthaufen. Die Gebärde sollte dir meine Gefühle ausdrücken. Du hast die Frucht aufgehoben, du hast sie abgewischt, du hast an ihr gesogen. Das war verrückt! Ich bat Felicitas, die dich nur dieses einzige Mal gesehen hatte, auszuforschen, woher du kamst. Aus dem Hause Pierrefeu! Dieser Verfolger war der Mieter meiner Cousine, die ich seit etwa zwanzig Tagen nicht gesehen hatte, obgleich wir zusammen die Abendmesse zu besuchen pflegten, von der sie mich nach Hause brachte. Das war seltsam! Der Rest … ist schwierig auszusprechen, und du müßtest ihn ahnen können. Erweise ich dir eine Gnade oder habe ich mit mir selbst Mitleid? Zuweilen wird das Bedürfnis nach einer Berührung zu einer Qual … Immer dieser unwiderstehlichen Anziehung widerstehen … Höre mich nicht: es bedeutet nichts, was ich sage … Ich spreche, um nicht zu seufzen oder zu schreien … Wenn du mit mir verlobt wärest, hätte ich das Recht, die Arme nach dir auszustrecken. Wenn du nicht mit mir verlobt bist, ist es meine Schuld? … Was sagt die Theologie? …

Sie erhob ihre entblößten Arme und schlang sie um seinen Kopf; das Gold der Haare hob das Weiß der Haut.

– Erhebe dich, schöner Engel der Güte.

– Wenn ich mich erhebe, werde ich nicht mehr demütig sein.

– Du leidest darunter, demütig zu sein?

Sie bejahte mit den Lidern.

Er faßte sie bei den Ellbogen und erhob sie. Sie nahm den Stuhl wieder ein.

– Du freust dich nicht über meine Freigebigkeit, wie ich es hoffte …

– Ich fühle, daß du erregt, ängstlich bist: soll ich unempfindlich gegen deine Seele sein …

– Ich möchte dich behalten … Wenn du mich jeden Tag sähest, eine Stunde oder zwei, oder wenigstens des Abends einen Augenblick, würde dir das während der Jahre genügen? Du denkst, ich bin ein Mensch, mit dem leicht zu leben ist? Durchaus nicht. Wenn du nicht ein Wilder wärest, wenn du nicht wie ein Einsiedler lebtest, wenn du Kameraden hättest, wenn du einen Klub besuchtest, wenn du in ein Cafékonzert einträtest, würdest du mir im selben Augenblick verhaßt werden. Dein Zauber ist deine Einsamkeit. Es herrscht niemand in deinem Leben als ich und Adelaïde, unsere Mitschuldige, niemand, unter keinem Namen … Ich seufze über die Zukunft und ich beunruhige dich, aber man baut nichts auf einer Lüge auf. Bin ich kokett mit dir? Ich glaube zärtlich zu sein. Der Gedanke, gefallen zu wollen, wird niemals einem Idol kommen.

– Gütige, willst du mir deine Arme wiedergeben?

– Nicht gern! Du hast sie nicht nach Verdienst gefeiert: du bist furchtsam gewesen … du hast gefürchtet, ich weiß nicht was …

– Das Geschenk wurde mit Accenten gegeben, die beinahe schmerzlich waren; ja, ich gestehe es, ich habe gefürchtet, du könntest bereuen.

– Ich bereue nur, wenn du leidest. Warum diese Furcht vor meinem Willen, Ram?

– Ich werde dir durch eine Frage antworten: wenn ich deine Arme geküßt hätte?

– Ich hätte sie dir für einige Zeit entzogen; ich hätte dich gestraft.

– Du hättest aber gelitten?

– Sehr, denn ich würde nicht mehr frei sein, dich zu lieben, wenn du nicht deine Kühnheit fürchtetest … Du hast mich nicht gefragt, warum ich dich plötzlich duzte.

– Ich habe angenommen, du wolltest, als du mit dem wirklichen und gewöhnlichen Leben brachest, eine Atmosphäre sofortiger Vertrautheit schaffen.

– Ja. Als ich »Hund« zu dir sagte, mit geschlossenen Zähnen, biß ich dich in Gedanken. Oh, wie oft habe ich Lust gehabt, dich zu schlagen!

– Warum?

– Weil ich dich nicht berühren darf, Dummkopf.

– Ach, wie solche Worte mich berauschen!

– Du bist glücklich gewesen, besonders als Hund?

– Was bin ich heute?

– Der Mann, der abreisen wird, sobald er sein Buch vollendet hat, als ob er mich nie getroffen hätte …

Sie seufzte, ließ die Ärmel wieder über ihre Vorderarme fallen, die entblößt waren, und seufzte noch ein Mal.

– Giebt es ein Mittel, uns zu trennen? Wenn ich mit einem Worte alles auslöschen, uns Vergessen trinken lassen könnte, würde ich es tun, sagte sie.

– Emezinde! seufzte er.

Sie begann wieder:

– Giebt es ein Mittel, uns nicht zu trennen? Ich nehme es an, was es auch sei … Ram, ich bin deine Feindin. Dein Schicksal? Ich beunruhige mich sehr über das Schicksal! Ich bin dein Schicksal. Oh, ich fühle, daß ich gierig, verzehrend bin! Du hüllst dich in Nebel, ich stürze mich auf dich; ich werde verhängnisvoll für dich sein. Ich will die Zukunft … Die Abwesenheit würde ich ertragen. Es giebt Schlimmeres als die Abwesenheit … Oh, die Menschen sind so gebrechlich … Paris stellt dir Schlingen … Paris giebt einen furchtbaren Rausch. Du glaubst an den Ruhm … Ach, wenn ich für dich nur eine Station wäre, ob auch eine strahlende! Wenn du die heiligen Begierden, die ich erweckt habe, in einer andern löschen würdest! Oh, gieb mir deine Augen, du wirst den Schrecken sehen, in dem ich lebe … Warum hast du das große Schweigen gestört, in dem ich lebte? … Drei Monate, die Zeit, mich völlig zu vergiften, drei Monate leben … und dann werde ich in die Kirche gehen wie eine Witwe … ohne Frau gewesen zu sein … Jungfrau und Witwe … welches Schicksal! Du wirst sagen, daß du nicht meinen Körper berührt hast … Nimm meine Arme, gehorche … nicht meine Hände … ich lege sie auf deine Brust, streif diese Ärmel hoch, umschließ meine Arme, drück meine Ellbogen, steig, steig noch höher … Du zitterst, du erbleichst, was tut es! Du glaubst, ich wanke in meinem Gelübde, was tut es! … Du hältst mich für lasciv … Nein, ich leide, ich habe das unwiderstehliche Bedürfnis, mich von dir gehalten, behütet zu fühlen … Ich reiche dir diese reinen Arme, und ich werde sie dir immer reichen; ich gebe sie dir ganz, von der Fingerspitze bis zur Schulter; ich gebe sie deinen Augen, deinen Händen; sie werden dein schönes Spielzeug sein … Ja, ich denke viel an das, was ich dir geben kann … Bist du zufrieden? Deine Hand, furchtsam wie die eines Kindes, das ein neues und kostbares Spielzeug betastet, zögert … Du hast sie nicht genommen! … Es ist ein Geschenk, ein frohes Geschenk … Am Abend von Golgatha hättest du dich berauscht, wenn du an meinem Arme zurückgekehrt wärest … Künftig wirst du ihn haben … So wird der kleinste Schritt süß sein … Glaubst du, daß ich die Wahrheit spreche? Ich bettle um ein Wort, das du nicht sagen wirst … Oh, wenn ich etwas verteidige, verteidigst du dein Schicksal. Ich bin hier, nackt unter deiner eigenen Kutte; ich habe dir meine Arme gegeben, die du nur zur Hälfte angenommen hast; du hast nicht meine nackten Füße verlangt: und du sagst mir nicht selbst, daß du länger bleiben wirst, als dein Programm erlaubt. Bin ich ein Erlebnis, würdig, um es zu ändern? September wird keine günstige Zeit sein für die magische Laterne meiner Schönheit. Emezinde wird (er glaubt es zwar, aber er täuscht sich) seiner sinnlichen Phantasie nicht mehr so gefallen und er wird seinen Flug nach Paris nehmen … Niemals bin ich so mittelmäßig gewesen wie heute: ich verliere mich in Geschenken und ermüde dich zugleich … Dies ähnelt einer Scene … Es ist besser, daß ich gehe! Man verliert sich, wenn man dem Gefühl eines Andern folgt, und Adelaïde hat mich schlecht beraten …

– Ich habe doch meine Lage dieser lieben Patin erklärt. Ich will Klarheit zwischen uns haben. Außer den sechzig Franken, die ich in meiner Tasche hatte, kam ich nach Avignon mit einem Schein von tausend, den ich Fräulein von Pierrefeu übergeben habe. Die Vertraulichkeiten zwischen ihr und mir, dann zwischen uns beiden haben sich entwickelt: ich habe nur an meine Gefühle gedacht. Ich kann meine Mutter nicht bitten, mir eine weitere Unterstützung zu senden, da sie bereits eine große Ausgabe gemacht hat und eine zweite machen wird für meinen Aufenthalt in Paris.

– Adelaïde wird dir deinen Schein zurückgeben: es würde undankbar sein, ihr das Vergnügen zu rauben, gut gewesen zu sein. Sie wird dir beweisen, daß du nicht zwanzig Sous täglich gekostet hast. Sie hat ihre Etage bisher nicht vermietet.

Er wurde ungeduldig:

– Sie stellen sich nicht vor, wie peinlich es ist, auf die Gefühle zu spekulieren, die man einflößt, das Blühen der Seele durch Geldfragen zu schädigen.

– Stellen Sie sich vor, wie peinlich es ist, durch positive Gunst jemandes Bleiben zu erkaufen! … Um zu erlangen, daß Sie Ihre Abreise verschieben, habe ich zuerst meine Arme Ihren Händen ausgeliefert.

– Deshalb also wagte ich nicht …

– Deine Nerven warnten dich.

– Wenn Sie klagten: »Falls Sie mein Verlobter wären,« könnte ich Ihnen antworten: »Ich bin ohne Name, ohne Vermögen, ohne Zukunft. Würde Ihre Mutter es erlauben? Dankbar für die glückliche Jugend, die Sie gehabt haben, wollen Sie ihr den einzigen Kummer machen, der für Ihre Mutter entscheidend wäre? Oder wollen Sie, daß ich mich verpflichte, Jahre lang zu leben, indem ich mich im Hause Pierrefeu verberge, indem ich Ihnen schmeichle, daß unser Geheimnis nicht verdunsten wird?« Ich dachte alles auszugleichen, indem ich den Aufenthalt in Paris auf einen Monat kürze, nur um praktische Schritte zu tun.

Er senkte die Augen; Emezindes nackter Fuß ragte zur Hälfte unter der Kutte hervor; er stieß einen dumpfen Ausruf der Bewunderung aus.

– Der Fuß der heiligen Anna! murmelte er.

Er kauerte nieder, um ihn besser zu sehen. Er erklärte sich, daß das Schuhwerk dem Pflaster der Stadt so widerstand, durch den skulpturalen Charakter. Dieser Fuß schien immer nackt gewesen zu sein, er zeugte von dauernder Pflege.

Ramman beugte sich gegen seinen Willen, magnetisch angezogen. Der seltsame Magnetismus ergriff ihn wieder.

– Ich fühle deinen Hauch, aber für so kurze Zeit, daß ich kein Mitleid mit deiner Begierde habe.

Seiner Stellung bald müde, streckte er sich auf dem Kissen aus, stützte sich mit dem Ellbogen auf und fuhr fort, das schöne Glied zu betrachten.

– Ich erlaube dir, Hund, ein Hund zu sein!

Und auf den nackten Fuß fielen die Küsse bis zum Abend, in einem Schweigen, in dem die Herzen, für das Ohr eines Jeden, wie Uhren tickten.


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