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VII.
Vita nuova

Fräulein von Romanil trat wie ein Windstoß in das Studio, bannte mit der Gebärde Ramman auf seinen Stuhl und sagte ihm gerade ins Gesicht, den Blick kühn, die Betonung nervös:

– Hund! Du bist ein Hund! ein wirkliches Tier mit deinen hohlen Augen, deinem offenen Munde, deinen zitternden Nüstern; wie bei einem Tiere ist dein Wesen auf mich gerichtet. Du scheinst toll zu sein, krank oder verzaubert! Ich erröte darüber, dich gegen meinen Willen in ein Tier verwandelt zu haben. Wenn ich dich nicht beim Essen der Theologen und im Liebeshof gehört hätte, hielte ich dich für einfältig. Falls die Schönheit erniedrigt, muß man sie verwünschen. Aber du hörst mich kaum! Wie einer deinesgleichen, ohne die Schläge zu fühlen, nur den Knochen sieht, den er begehrt, so heftest du deine Augen auf die Stelle, wo das Mieder durchsichtig ist, da sich das Hemd verschoben hat! Du hörst nur die Töne, du betrachtest hartnäckig eine Färbung der Haut; und diese Färbung berauscht dich so sehr, daß du nicht mehr weißt, ob ich eine Seele habe, den einzigen Schlüssel dieses Körpers, der dich bezaubert. Ich spreche so nahe zu dir, mit solchem Feuer, ich duze dich. Ich nehme deine abscheuliche Betrachtung hin. Warum? Du bist ein Hund: aber du bist mein Hund, das Tier, das ein Mann war und seine Seele verlor, als es mich sah. Geh, in dem Verlöschen deines Blickes lese ich den Schmerz deiner Wollust. Deine Augen allein sind frei. Eine Gebärde, die kleinste, und du würdest mich verlieren. Du kreuzest deine Arme nervös. Du möchtest lieber sterben, als mich nicht mehr sehen! Besessener, du erklärst mir die schrecklichen Verbrechen der Chroniken. Suche, was du mir weigertest, wenn ich wollte! Du hast keine andere Tugend als meine. Ein Kuß würde dein Gewissen ersticken. Du träumst immer von den Versen über jene Quelle, wo Petrarca die ganze Schönheit meiner großen Ahnfrau sah: in una fonte ignuda! Ah, ich brauchte nicht Wasser mit meinen Händen zu spritzen: du sähest mich nicht, oder flöhest, oder du fielest in Ohnmacht. Bevor ich dich sah, war ich rein, mein jungfräulicher Stolz berauschte mich. Ich beichtete aus Gewohnheit, ich sündigte nicht. Dieser Körper, der Gegenstand deines Wahnsinns, kannte die Sinnlichkeit nicht. Schön und keusch sein, ist das nicht der schönste Zustand? Du hast mich betrachtet, Unglücklicher, wie eine Seele auf der Schwelle des Fegefeuers die Tür betrachtet, die sich auf den Himmel öffnet; du hast mich betrachtet, wie die Heiligen, wenn die Jungfrau erscheint; du hast mich betrachtet, wie man Gott anschaut. Dein Blick war eine Lästerung. Und du hast nur blonde Haare gesehen, eine weiße Haut, Formen, die an die Skulpturen des Museums erinnerten, einige ausgesuchte Farben, einige seltene Linien, und deine Vernunft ist vernichtet und meine Reinheit ist tot! Als ich dich bat, abzureisen oder wenigstens mich nicht mehr durch deine Verfolgung zu beleidigen, hast du geglaubt, mein Stolz wolle einen Unbekannten ohne Adel, ohne Ansehen entfernen, und ich verachtete dich. Ich glaubte es auch; ich habe dann klarer gesehen. Diese Blicke, die nicht meine Augen suchten oder nur ihren Glanz auffaßten, diese Blicke, die mein Wesen trafen wie Pfeile der Begierde; diese unschuldigen und sinnlichen Blicke, die sich damit begnügten, meine Silhouette zu sehen, und so begierig waren, meinen Körper zu ahnen; diese Blicke waren weder die eines Verliebten noch die eines Verführers. Du hast nicht aufgehört, demütig zu sein, mein Hund; abgesehen von deiner Hartnäckigkeit, mich zu betrachten, hatte ich mich nicht zu verteidigen. Du hattest mich gereizt: als du sprachst, warst du aufs Höchste erregt. Du gestandest deinen Plan, dich an einer Jungfrau zu ergötzen, um dein Herz zu beschäftigen und deine Sinne zu täuschen. Ich diente zugleich einer Erregung des Gefühls wie einer Ableitung der Sinnlichkeit: ich spielte, gegen meinen Willen, in der selbstsüchtigsten Auffassung das Heilmittel der Begierde! Als ich von hier fortging, warst du mir verhaßt. Es sind nicht die Listen Adelaïdes, die mich zurückführen. Sie liebt dich, wie man in ihrem Alter liebt, mit einer Großmut ohne Grenzen. Sie ist tugendhaft und würde, wenn sie dich zu sehr leiden sähe, mich in deine Arme stoßen. Du hast mir geboten, was du ihr schuldest. Dieses entscheidende Argument hättest du gewagt, das traute ich dir zu, gegenüber einer Rasenden. Was mich zurückführt, würdest du nie erfahren, wenn ich schwiege. Überzeugt, daß mein Zorn nicht nachlassen würde, und entschlossen, dein Wort zu halten, hast du die überraschendste Form gefunden, dich zufrieden zu stellen, als ich von deinem Verzicht überzeugt war.

– Felicitas hat gesprochen! sagte Ramman naiv.

– Felicitas kam von selbst, um dich zu sehen, und wurde zum Mitleid gerührt. Sie hat mir dein Verlangen enthüllt. Dieses Mädchen, das für mich durchs Feuer ginge, vertrat deine Sache. »Wenn du in den Abfällen die Nahrung eines Christen findest, so steht es dir frei, aber ich weiß davon nichts,« habe ich gesagt. Nach dieser doppelsinnigen Erlaubnis hat sie gehandelt. Als ich wußte, da ich nicht daran zweifeln konnte, daß du das Wasser meines Bades mit Berauschung trankest; daß du die Spur meines Körpers auf allem suchtest; daß dein Fanatismus über deinen natürlichen Ekel siegte, über das Lächerliche, die Selbstachtung, da ist in mir ein plötzlicher Umschwung eingetreten. Diese beispiellose Anbetung hat mich gerührt. Du hast seitdem buchstäblich von meinem Teller gegessen; ich bediente mich für uns beide. Ich ertrug den Gedanken nicht, dir unheilvoll zu sein. Du liebtest mich nicht, du sehntest dich nur nach meinem Anblick, aber meine Schönheit besiegte dich. Der Mann, der mein Gatte sein wird, wird meine Seele gesehen haben, wird sich also nicht einer so heftigen Vision von meiner Form überlassen können. Welches Unrecht habe ich diesem Wesen getan, das vielleicht immer ausbleiben wird? Wenn ich heute stürbe, nähme ich nur deine Blicke mit. Ich habe einen Bruder, der Marineofficier ist: für den bin ich die Vertraute gewesen. Das ist ein edles Herz, aber für ihn kommt die erste beste in Frage. Er hat mir seine Sünden erzählt. Glaube nicht an eine ungesunde Neugier, die sich nicht kennt. Ich schmeichelte mir, ich könnte ihn zur Tugend zurückführen: ich habe für ihn gebetet und geweint. Deine Keuschheit, deine Einsamkeit haben mir gefallen. Wenn du zu denen gehörtest, die für Donna Elvira seufzen und Zerline küssen, wäre alles gesagt; aber du bist ein treues Wesen.

Ramman war entzückt und antwortete mit einer Stimme, die betete.

– Welche Anstrengung, zu Ihnen zu sprechen, statt mich an Ihrem Anblick zu berauschen! Sie haben Ihre Seele durchscheinen lassen. Die Wirkung, die Sie auf mich ausüben, seit dem Augenblick, da ein Sonnenstrahl das Gold Ihrer Haare in Brand steckte, mir in St. Agricola die Augen von meinem Buche riß, ist übernatürlich. Ihr Anblick berauscht mich in der Tat. Ihre Schönheit wirkt wie eine magische Arznei. Das ist keine Verwandlung in ein Tier. Welches fluidische Opium, welches Nervenhaschisch dringt von Ihren Poren in die meinen? Mag ich Ihren Rücken oder Ihr Gesicht sehen, Ihren Fuß oder Ihr Lächeln, die Arbeit des Gehirns hält inne: ich bin am Ziel, und jede Ablenkung wird mir schmerzhaft. Kein Gedanke reizt mich mehr: ich bin im Nirvana! Von Ihrem Körper geht eine Seligkeit aus, die mich durchdringt, mich umhüllt. Ich sollte Sie begehren: nein, ich besitze Sie. Ihre Stimme ist mir teurer als die Worte, die Sie aussprechen, Ihre Lippen lieber als Ihre Stimme, Ihr Hauch lieber als Ihre Lippen … Tier? Hund? Was tut es, wenn ich nur Ihre Ausstrahlung fühle. Verzückt, der Ausdruck wäre bestimmter. Wir sind Gläubige: mich schaudert, wenn ich daran denke, daß in mir die Frömmigkeit profan wird. Anbetung ist kein Wort, das für ein anderes steht. Fragen Sie Ihren Beichtvater. Anbetung, das ist ein Kult, jedem Gefühlsobjekt dargebracht, in dem man einen Gott vermutet. Ich widme Ihnen keinen Kult, ich unterliege Ihrer Wirkung. Mein Erstaunen hört nicht auf, daß nicht jeder außer sich gerät, wenn er Sie erblickt. Einige drehen sich wohl um, wenn Sie vorübergehen, aber sie setzen ihren Weg fort: ich, ich würde es nicht können. Zwischen Ihnen und mir giebt es ein Geheimnis: Ihre Anwesenheit in dieser Stunde bestätigt es. Wenn das Tier aufhört, Sie zu sehen, wird es wieder Mensch. Statt einer sinnlichen Besessenheit hinterlassen Sie mir ein unsagbares Wohlgefühl. In einundzwanzig Tagen habe ich fast ein Buch geschrieben. Dann hat die Nacht meinen Geist bedeckt: Ihre Schönheit befruchtete nicht mehr. Ich würde eine köstliche Erquickung empfinden, wenn ich einen Ihrer Finger berühren dürfte, aber ich würde fürchten, den Zauber zu brechen, denn es ist ein Zauber. Ein Kuß von Ihnen, die plötzliche Freude ertrüge ich nicht … »Ich war rein,« sagen Sie. Die Reinheit des jungen Mädchens ist nicht die der Frau. Ich habe weder Ihre Hand berührt noch Ihr Kleid gestreift. Jeder Mann aus Ihrem Verkehr hat mehr Kontakt mit Ihnen gehabt. Ich habe Sie betrachtet, von fern, in der Kirche, auf der Straße. Hätten Sie verschmäht, mich zu bemerken, würde ich Avignon verlassen haben, sobald ich mein Buch vollendet, ohne daß etwas Anderes daraus entstanden wäre. Ich konnte um nichts bitten, da ich nichts zu bieten hatte. Ich bin arm; nicht daß ich betteln oder Hunger leiden müßte: ich habe eine Mutter und ein Dach. Hätte ich Ihnen verliebt schreiben sollen: »Sie sind das schönste Geschöpf dieser Welt; ich biete Ihnen die Einschiffung auf vier Brettern mit einem Segel, das allein der Ruhm blähen kann.« Ein Mädchen von Ihrem Schlage weicht nicht zurück vor der Prüfung. Aber diese Prüfung würde ich nicht ertragen. Ich stürbe vor männlichem Zorn oder würde mein Gewissen ersticken. Das Gewissen eines Dichters ist mehr als die Ehre einer Frau. Sie verliert nur ihre Person; wer aber Zeugnis für die Finsternis ablegt, zieht eine Menge Seelen zur Hölle. Sie verführen, oder es wenigstens versuchen, das Weitere der Ungnade Gottes überlassend, daran habe ich nicht einmal gedacht. Sie sind ein Wesen vom Himmel. Ihr Wappen ergötzt mich wie ein Bild, aber Ihr Körper beugt mir die Knie: Sie haben den Körper eines Geistes. An der Pforte der Kirche, als ich so dicht hinter Ihnen war, daß ich die Luft stark einatmete, in der Sie gingen, habe ich mich gefragt, ob Sie nicht ein Engel seien: ich suchte Ihre Flügel. Die Gnade, die Sie mir erweisen, die einzige, die von heute: diese Gazeärmel machen mir es schwer, meine Gedanken auszudrücken. Ich muß daran denken mich zu erklären, und meine Ideen schlingen sich so glücklich um diese frischen Thyrsosstäbe, die Ihre Arme sind. Aber eines Tages werden diese das Halsband eines Andern sein, eines Andern, den ich hasse und den mein Haß erreichen wird, denn er wird Heiliges entweihen. Sie sind ein edles Weib: Sie haben nicht gewollt, daß Ihr Herz mir verborgen bleibt. Ihre Idealität, stärker als die Stimme der Weisheit hat Sie geleitet. Zwischen uns wird jetzt Gefühl herrschen, das heißt Farbe. Wir werden leiden, der eine durch den andern, statt der Dichtung, die ich so klug ersonnen hatte, als ich mich Ihrer erfreute, vor Ihrem Geständnis. Sie sind nicht mehr das Idol, Sie sind die großherzige Frau, die mit einem Schlage die Chimären zerstreut, um ihrer herrlichen Wirklichkeit Platz zu machen. Diese Blumen, diese Früchte, diese Haare, diese Fingernägel, diesen Bimstein hat man für mich entwendet, aber Sie erlaubten es. Ach, Dame, möge mein Schrecken nicht Undankbarkeit gleichen. Unter Ihrem Hauche bin ich wie ein Schilfrohr … Ich denke an ihn, an den Mann, der eines Tages Ihr Mann sein wird, dessen Rechte Ihre Pflichten bilden werden. Ach, Idol, Idol, warum hast du deine Starrheit aufgegeben?

Plötzlich erhob er sich und faltete die Hände.

– Ich fühle mich schuldig. Ich habe gegen Sie gesündigt. Hören Sie meine Beichte! Ich spiele um das einzige Glück meines Lebens: wenn ichs verliere, werde ich verzweifeln. Was treibt mich? Dame! Ich höre auf Sie zu betrachten. Hören Sie mich.

Er warf sich auf die Knie und barg, an den Rand des Tisches gelehnt, seine Augen unter den gefalteten Händen.

Emezinde hörte leidenschaftlich die verworrene Beichte: sie fühlte, daß sie lebte, mit einer Kraft, die sie bisher nicht gekannt hatte.

– Die Sünde, deren ich mich anklage, ist von solcher Art, daß ich, um Sie darüber richten zu lassen, Ihnen eine unbekannte Welt öffnen muß. Möge meine Aufrichtigkeit mich vor Ihrem Zorn bewahren! Ich bekenne Ihnen, daß ich gegen Sie selbst gesündigt habe. Es giebt ein seltenes Metall, kostbar, erst jüngst erforscht, ein Herd von Wärme, das sogar aus der Ferne wirkt, durch Strahlung. Diese Eigenschaft findet sich auch bei Menschen: bei einigen ist diese durchdringende Kraft sehr lebhaft. Mein Herz ist gesprungen in meiner Brust, als Sie erschienen: es giebt keine Logik zwischen dem Wunder Ihres Haares und der Verwirrung, die ich empfand. Welche Berührung bestand zwischen uns? Blicke, die durch eine Kirche und über eine Straße drangen. Und dann, ich bin nicht krank gewesen, sondern sterbend; ich habe geglaubt, ich könne nicht mehr leben, wenn diese Blicke mir verboten blieben. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der sich über einen Balkon beugt: die Schranke giebt nach, er sieht sie weichen, er kann nicht zurück, die Leere zieht ihn an, er beugt sich tiefer … Diesen Alp habe ich erlebt, diese Angst hat mich gepackt. Mit Unrecht oder Recht, die Gefahr ist mir tödlich vorgekommen. Der Verlust Ihres Anblicks wurde unerträglich. Ich habe Furcht vorm Sterben gehabt: ich wollte leben … Im ruhigen Dasein der Provinz studiert man alles Mögliche: ich lernte die Magie kennen, von der Sie wenigstens in den Märchen gelesen haben. Ein schwarzer Versuch heißt Veneficium: der verbrecherische oder verzweifelnde Liebhaber unternimmt ihn. Zu diesem Zweck verschafft man sich Dinge, die von der betreffenden Person imprägniert sind; besser noch, Erzeugnisse ihres Körpers, ausgefallene Haare, abgeschnittene Nägel, alles was sich von ihrem Körper löst. Durch diese Dinge wird eine geheimnisvolle Wirkung auf die geliebte Person übertragen, nach den magnetischen Gesetzen. Nun, meine erste so seltsame Bitte, die Felicitas Ihnen überbrachte, welche Sie erhörten, war eine Tochter dieses Planes: entweder Ihren Willen zu ändern oder mich wiedergewinnen. Diese Dinge, durch Ihre Ausströmung magnetisch geworden, haben mich so erquickt, mich so genährt, daß ich mein Leiden ertragen konnte: so habe ich auf das Veneficium verzichtet. Dabei könnte ich stehen bleiben: auf diesem Gebiete werden Sie nur das sehen, was ich Ihnen zeige. Aber ich bin aufrichtig. Ihre Anwesenheit, die Sie einer Handlung des freien Willens zuschreiben, ist eine Wirkung des Bandes, das jene magnetischen Dinge, jene okkulten Versuche geschaffen haben.

Fräulein von Romanil richtete sich auf. Der Zorn schwellte dieses leidenschaftliche Herz. Ramman wagte nicht den Kopf zu erheben: die Goldaugen schleuderten Blitze, die ihn erschreckten: er würde sie nicht mehr vergessen, wenn er sie sähe.

Das junge Mädchen empfand den Schrecken einer religiösen Seele. Dieser Wahnsinnige hatte den Teufel zu seiner Hilfe gerufen.

– Infamer! schrie sie und stieß ihn zurück.

Dieser Ausbruch löste ihre Spannung. Eine andere Idee tauchte auf, ebenso lebhaft: der ungeheure Stolz, ein solches Verbrechen einzuflößen. Mit harter Stimme, die Silben nervös hervorstoßend:

– Nähere dich, mein Hund … Erhebe nicht die Augen … lege deinen Tollkopf auf meine Knie.

Als er den himmlischen Körper unter dem leichten Kleide berührte, zitterte der junge Mann in schmerzlicher Erschütterung.

Er wollte den zu starken Eindruck zurückstoßen.

Sie stützte sein Haupt mit beiden Händen. Ein Schluchzen zog seine Kehle zusammen und Ramman weinte.

Wie eine Schwester streichelte sie ernst die Stirn des Sünders.

– Du bist infam, du hast dir die Hölle zur Hilfe gerufen … Du littest also sehr, beklagenswertes Tier! … Ich empfinde Scham, daß ich diese entarteten Gedanken eingeflößt habe; meine Seele zittert vor Unwillen. Durch dein Vergehen, für das ich keinen Namen finde, verliere ich jedes Gefallen an mir selbst. Ich liebe mich nicht mehr in dem abscheulichen Reflex, den du mir bietest … und ich liebte mich so sehr, bevor ich dich sah! Oh, welche Qualen du verdient hast! Welche harte Buße ich dir auferlegen müßte! Und deine Tränen benetzen mein Kleid und meine Hände bemühen sich, das Feuer deines Kopfes zu beruhigen! Die grausame Schöne ist ehrlich: sie verleugnet nicht den, der ihr Heil für sie aufs Spiel gesetzt hat. Du warst krank und ich habe dich geheilt; und wie ich deinen Körper genährt habe, werde ich deine Seele nähren … Nein, du wirst dich nicht verderben, unglücklicher Geist, der mich bis zur Gotteslästerung geliebt hat … Entweiher der Kirche, Entweiher der Liebe … deine unreine Flamme hat schamlos, angesichts des Altars, geschimmert; dein entarteter Wille hat dich der Hölle zu getrieben. Du bist ein großer Verbrecher. Weine, aber denke daran, daß du auf meinen Knien weinst, daß meine Hände deine Augen trocknen. Ich bin rein genug, um dich zu retten … Arme Seele! Du hast dich gegeben, wie man sich verdammt … Nun, ich nehme dich an … Du wirst mein Halsband tragen. Von diesem Augenblick bist du mein Hund. Du wirst mich sehen, du wirst mir folgen, tolles und edles Tier!

*

Welche Messe voll Halleluja und Laetare am nächsten Morgen! Sein Herz klang wie eine Orgel. Als Emezinde in die Kirche trat, stimmte ihr Gang zu der Süße seiner neuen Gefühle. Sie nahm näher von ihm Platz. Sie hörte ihn mit Lust beten und seufzen. Seine Nervenfreude machte sich Luft in Stoßgebeten, in einer unlösbaren Mischung von Liebe und Andacht, von Vaterunser und Ergötzung. Der Gedanke, die Erlaubnis der Jungfrau zu haben, erhob ihn. Er stahl nicht mehr, er bettelte nicht mehr: sie gab ihm. Er hörte nicht auf weder zu beten noch sich zu freuen, aber die Stärke des Eindrucks packte ihn. Er betrachtete nicht mehr neugierig eine Stelle der geliebten Person, er umfaßte sie ganz. Sein Herz, so lange stumm geblieben, bedeckte die andern Stimmen seines Innern.

Als sie auf die kleine Terrasse hinaustraten, die sich vor der Halle ausbreitet, zeigte er, zum Erstaunen Emezindes, ein von Tränen durchfurchtes Gesicht. Er hatte süße Tränen geweint, ohne es zu wissen. O wie liebkosten ihn die Goldaugen, welch warmer Strahl traf ihn! Sein Idol strömte Zärtlichkeit mit derselben Kraft aus, mit der es Verachtung schleuderte.

Als er ihr bis zu ihrer Tür folgte, dachte er nicht mehr an diesen schönen Körper, der sich künftig seine Bewunderung gefallen ließ. Emezinde hatte ihm ihre Seele zugewandt, und das war ein zweiter Rausch, noch stärker, noch zauberhafter.

Er schrieb bereits an seinem Tische, als Fräulein von Romanil eintrat, strahlend, lächelnd.

– Rühren wir uns nicht, Hund, ich verbiete es dir.

Sie hob ihre Hand an seine Lippen.

– Du arbeitest … ich bin zufrieden … Du verdienst, daß man dich zufrieden stellt … Du hast heute Morgen gebetet … ich hörte dich und du betetest verkehrt … Ich war zwei Male zufrieden … Aber du hast geweint … Warum?

– Deine Schönheit war überwältigend … wie jetzt deine Güte! …

– Heute Abend um acht Uhr wird in der Kathedrale gepredigt. Adelaïde wird mich abholen; du wirst in der Vorhalle warten, du wirst dich zwischen uns setzen.

– Welche Freude! Aber, damit ich nicht meine Schulden vergesse: welches Kleinod, welcher Gegenstand würde Felicitas gefallen? … Ich verdanke ihr das Glück und vielleicht das Leben …

– Das Leben? Du beißest, böser Hund … Heute Morgen hatte ich dir doch einen Knochen gegeben …

– Ja, Hochherzige, deinen feinen Arm von vollkommener Rundung, und diese Adern! Oh, du hast den Körper eines Geistes!

– Arbeite … arbeite gut … Ich bin zufrieden, dich gesehen zu haben …

Die Gemeinde zerstreute sich in schwarze Gruppen, die nach der Stadt hinabstiegen, quer über den dunklen Platz, der nur von einer Ecklaterne beleuchtet wurde.

– Setzen wir uns auf die Stufen des Calvarium, der Hund zwischen uns.

Als sie gruppiert waren, fuhr Emezinde fort:

– Adelaïde, ich begreife dich besser: geben ist eine Wollust.

– Fee, sagte der junge Mann, ich habe nie so sehr gewünscht, tugendhaft zu sein, um mir zu bewahren, was ich besitze. Das Leben kann mir nicht mehr geben als Ihre Zärtlichkeit und die Barmherzigkeit von Emezinde. Zwischen Ihrem Herzen und deren Schönheit: ich zweifle, ob diese Stunde dem Traume oder der Wirklichkeit angehört.

Gedanken, diese Gäste, die das nächtliche Schweigen begünstigt, drängten sich in seinem Gehirn. Das wahre Leben, das innere Leben, das sich nicht erzählen läßt, das Schätze für die Erinnerung häuft, regte sich bei diesen drei Menschen.

– Oh, rief Emezinde, ich habe lange gezögert, einen Hund zu besitzen: jetzt würde er mir fehlen …

Sie steckte ihm ein Stück Konfekt in den Mund und er hielt ihre Finger gegen seine Zähne gepreßt.

– Meine Kinder, wenn ich an das casuistische Essen denke: was für einen Weg habt ihr gemacht, ich sage nicht, einen schlechten Weg, aber einen gefährlichen!

– Cousine, ich bin unfähig, zu bereuen: darin liegt vielleicht das Ernste. Leben jetzt, das ist das Ideal, man muß zuerst leben. Wenn Ramman an mich denkt, so heißt das delectatio morosa. Da die delectatio von der selben Art ist wie die Sünde, welche sie verwirklicht, macht das eine delectatio stuprosa ebenso sehr wie morosa. In Wirklichkeit gebe ich Glück, empfange Glück; ich verhindere vielleicht Sünden, ich vermeide sie selbst. Befinden wir uns im Zustande der Gnade, obgleich wir zum Vorwand des Zusammenseins das Wort Gottes nahmen, obgleich wir es nicht hörten, weil es in unserm Herzen beredter sprach? Indem wir diese heilige Atmosphäre für unsere weltlichen Gefühle suchen, entweihen wir die Kirche zu Gunsten unserer Erregungen?

Ramman sprach, etwas für sich.

– Man gebietet uns den Schöpfer zu bewundern, nur nicht in seinem Hauptwerk. Meine Dame hatte heute Abend ihre Handschuhe ausgezogen, und ihre Hände, bald auf einander gelegt wie das Zeichen eines Eingeweihten, bald sich gegenseitig liebkosend, zeigten ihre tiefe geschmeidige Fläche oder ihre langen Finger, deren Nägel Gemmen gleichen. Diese träumerischen Hände lassen einen unsichtbaren Rosenkranz von Gedanken, die mich angehen, durch die Finger laufen; diese Hände sind ihrer Schönheit und ihrer Macht bewußt und so schön und mächtig, daß ich sie nicht zu berühren wage. Denn ich würde ein Vergnügen daran finden, das ich kaum verdient habe! Diese Hände, deren geringste Gebärde mich beglückt, die mir nicht weh tun könnten, denn deren Tugend ist unabhängig von ihrem Willen, die mich nur quälen könnten, wenn sie sich verbergen, diese Hände haben das Recht, sich gleichgiltig auszustrecken und oberflächliche Küsse zu empfangen; sie werden schuldig, wenn sie, selbst empfindlich, das einzige Wesen berühren, das sie bewundert, sie liebt und sie begehrt. Der Andrang verband heute Abend die Stühle, ein Verdruß für alle und eine Sünde für zwei Menschen, von denen der eine diese Freude genossen und der andere sie erlaubt hat. Wenn ich Emezinde streife, sündige ich, denn ich habe davon Vergnügen gehabt und ich mache ihr nicht Verdruß. Wenn ich sie belästige, ohne mir Freude zu geben, würde es erlaubt sein. Sehen Sie dieses Gebot: »Du sollst nach deinem Gefallen alle Menschen betrachten, falls sie häßlich sind und ihr Anblick dir mißfällt; wenn du ein schönes Wesen triffst, dessen Anblick dich erfreut, sollst du den Kopf fortwenden: denn der wahre Name der Sünde ist das Vergnügen. Dein Nächster, der, welchen du lieben sollst, das ist der, welcher dich nicht liebt, welcher dir mißfällt. Die du schätzest und die du verehrst, die sind nur lebendige Versuchungen. Junges Mädchen, du wirst nur mit den Langweiligen tanzen; junger Mann, du wirst deinen Arm den Damen bieten, nur einer einzigen nicht, die dich anzieht und deren Berührung schuldig ist, weil sie süß sein würde.«

Fräulein von Pierrefeu schaute vor sich, in die Nacht hinein.

– Sie sind ungerecht! Betrachten Sie eine Schafherde: der Hund verbellt diese sanften Tiere und treibt sie zusammen, bereit, sie zu beißen, wenn sie sich zu weit entfernen. Ist das nicht seine Pflicht? Emezinde ist tugendhaft und Sie sind es auch. Wenn der eine dem Taumel nachgäbe, würde der andere sofort weise die Pflicht verkörpern und sie gebieten. Sie gehorchen dieser Disciplin, die Sie verleumden. Emezinde scheint Ihnen zu verschlossen zu sein: Sie vergessen, mit welchem Fatalismus sie sich aufschließt. Wieviel Tage sind vergangen seit der Stunde, da meine schöne Cousine Sie aus Avignon verjagen wollte? Zählen Sie! Jetzt schafft sie Umstände, die sie Ihnen nähern.

– Adelaïde, überzeuge ihn nicht zu sehr von meiner Güte: ich würde gezwungen sein, wieder »la fera«, das wilde Tier, zu werden. Wenn man dich hört, liebe ich ihn. Wenn ich mich dagegen wehre, lüge ich. Die Wahrheit ist nicht so einfach. In keines Menschen Augen habe ich meinen Reflex so schön gesehen. Für alle bin ich ein sehr hübsches Mädchen; für ihn bin ich die Schönheit selbst. Wenn du nicht lebtest, Cousine, wäre ich für ihn das Weltall, den Himmel einbegriffen, den ich öffnen kann, wenn ich will, und die Sterne, die vereint nicht so glänzen wie die Glimmer meiner Augen. Er hat mich mir selbst offenbart: ich war eine Sterbliche, jetzt bin ich eine Göttin. Die Huldigungen, die Komplimente, die Bewerbungen erscheinen mir als Arten der Beleidigung. Er hat mich gesehen, und er hat nur noch mich gesehen; als ich mich ihm nahte, ist er auf die Knie gefallen, und im Geiste ist er auf den Knien geblieben. Sein Gedanke umgiebt mich wie ein Bienenschwarm, der mich einatmet, ohne sich zu setzen. Mich sehen, ist sein einziger Wunsch gewesen! Das genügt, um ihn mit einer solchen Freude zu erfüllen, daß er nach keiner andern verlangt: mein Anblick sättigt ihn. Wenn ich eine Liebkosung hinzufügte, würde er sie ertragen? In diesem Augenblick würde ich ihn mit einer Bewegung, die nicht das Dunkel zum Mitschuldigen braucht, wie eine Harfe vibrieren lassen. Unter dieser leichten und zufälligen Berührung würde er die Sprache verlieren. Wie könnte ich ein solches Mysterium verachten? Ich sage es vor ihm, ich liebe ihn nicht, aber er ist der einzige Mensch, der mir etwas bedeutet. Ich glaube auch nicht, daß er mich liebt – das ist etwas anderes – er vergöttert mich … Die Wissenschaft entdeckt überraschende Anziehungen zwischen zwei Körpern und unbesiegbare Abneigungen. Man stellt das fest, man erklärt nicht. Jedem Andern, dem ich guten Abend sage, würde ich die Hand reichen: für ihn wäre das zu viel. Ihm wird es genügen, wenn ich ihn auf dem Wege zufällig streife, selbst unmerkbar. Blonde Haare, die Haut einer Lilie ziehen die Blicke an. Wer hat ihm offenbart, daß jede andere Kundgebung als seine abgewiesen wäre, daß ich nur seine Art ertragen konnte und daß diese unwiderstehlich war? Diese Macht, die er mir gegeben hat, macht mich zur Sklavin: man stößt einen Liebhaber zurück, die Apotheose weist man nicht ab. Denke an die Geschichte von Merlin: er enthüllt die magischen Geheimnisse der, die er liebt. Was bedeutet das anders, als daß Merlin dem gleichen Zauber unterlag, der Ramman in einen Fetischanbeter verwandelt?

– Fetischanbeter ist hart, sagte Adelaïde.

– Nein, er liebt mich wie ein Neger!

– Vorher war es wie ein Hund!

– Ich glaube, Fetischanbeter ist genauer: er liebt weniger, was ich vorstelle, als das, was ich bin.

– Und er protestiert nicht! rief Adelaïde.

Emezinde lächelte.

– Er hat das ganze Leben zum philosophieren, er hat weniger Zeit, um glücklich zu sein. Meine Worte, hört er sie? Es ist ein Trinker und, wenn er berauscht ist, erlaubt er der Welt sich zu drehen und Emezinde ihn zu beleidigen. Was von mir ausgeht, entzückt ihn. Wenn ich ihn schlüge, diesen Hund da, würde er sich vor Freude winden.

– Welche Ausdrücke! Welche Tollheit! Ihr seid so seltsam, Ihr beunruhigt mich.

– Zuweilen ergreift mich selbst ein Schrecken, sagte Emezinde, um dann ernst fortzufahren: Ach, dies ist keine Liebelei …

Fräulein von Pierrefeu legte die Hand auf die des jungen Mannes.

– Sind Sie verzaubert?

Er fuhr zusammen, als ob er erwache.

– Antworten Sie mir.

Mit dumpfer Stimme, mit schwerer Lippe sprach er:

– Gewiß, Patin, aber auf was …

– Auf das, was sie gesagt hat, diese Worte, die vor Ihnen erklingen, durch Sie hindurch dringen, die Ihre Ohren vor meinen treffen: hören Sie denn die nicht?

– Jetzt wird er sie hören, sagte Emezinde, in einem Ton von unsagbarem Stolz, und zog das Knie zurück, das Ramman berührte.

Dieser seufzte.

– Wollen Sie mir, Patin, mit einem Wort ins Gedächtnis zurückrufen …

– Geben Sie zu, ein Hund, ein Neger, ein Fetischanbeter, ein Trinker zu sein? Lassen Sie sich diese Beleidigungen gefallen?

Er stieß einen Ausruf aus, als höre er diese Beinamen zum ersten Male.

– Wenn Sie die Stimme musikalisch gehört hätten, würden Sie die zärtliche Absicht begriffen haben. Jene bäuerlichen Paare, die einander Rippenstöße versetzen, einander mit grobem Lachen herumstoßen, haben Sie für Tiere gehalten: sie waren zärtlich. Es waren Liebkosungen, diese Püffe, und die, welche sie austauschten, hatten große Freude davon. Als Emezinde mir mit ihrer tiefen Stimme sagte: »Hund, du bist nur ein Hund«, habe ich eine solche Freude empfunden, daß ich mich daran erinnern würde, selbst wenn ich nur noch eine Minute zu leben hätte. Kein Mann wird aus diesem himmlischen Munde ein Wort hören, furchtbarer, geheimnisvoller, barmherziger, christlicher, göttlicher …

– Kinder, ihr spielt mit der Sünde, das ist eure Jugend, aber spielt nicht mit der Vernunft.

– Schöne Patin, liebe Zeugin eines unsagbaren Geheimnisses, lassen Sie mich es Ihnen erklären … Meine Dame ist der verkörperte Stolz: ich würde sie Lucifera nennen, wenn sie nicht die üblichen Ideen über den Teufel hätte, der nicht existiert, wenigstens nicht so, wie man uns lehrt. Meine Dame ist auch sehr scharfsinnig: sie ahnte, daß dieser Unbekannte, der sie während der Messe betrachtete, der ihr bis zu ihrem Hause folgte, bei ihrem Anblick eine solche Freude empfand, daß sie weniger Zorn gegen den Unverschämten eines tollen Streiches empfunden hätte. Es war ein Dieb und welcher Dieb! Ihre Scham empörte sich jeden Morgen unter diesem Blick, der sie umhüllte. Ein unkörperliches Attentat, aber ein Attentat! Ich nahm von ihr, gegen ihren Willen, Wollust. Sie erklärte sich nicht, wie, aber sie fühlte sich berührt, und sie war nicht fähig, die geringste Vertraulichkeit zu ertragen. Ihr lebhaftes Erstaunen kam von der Stärke meines Eindrucks. Ich wartete nicht, ich verlangte nichts: ich besaß! Wie ich so viel Freude aus der Begegnung ziehen konnte, war ihr ein Geheimnis! Und ein Geheimnis quält. Stunde und Kirche wechseln? Sie wäre dazu gekommen, wenn Felicitas, mit der Untersuchung beauftragt, nicht entdeckt hätte, daß der Unbekannte bei der Cousine wohnte, ja zur Familie gerechnet wurde. Auf das Ungeheuer losgehen, es überraschen, es vernichten, war für eine lebhafte Natur nur noch ein Schritt: sie tat ihn. Sie stellte ihre wunderbare Macht fest: sie herrschte über mich, wie der Schöpfer über die Welt. Sie war die Sonne und ich der Mond. Sie verdunkelte sich leider. Keine Arbeit mehr noch Friede; ich hatte nur die Kraft, Ihrem lieben Herzen den Geschmack des Todes zu verbergen, den ich im Leben fand.

– Du hast sehr gelitten, Hund? fragte Emezinde mit düstrer Stimme.

– Ich war der Vergiftete, den man plötzlich seines Giftes entwöhnt.

Zu Adelaïde sagte er:

– Was Sie an Gebeten für mich gesprochen haben, Patin, wissen allein die Engel, Ihre Brüder. Das Drama, das sich im Herzen Emezindes abgespielt hat, verdiente es, daß Sie vermittelten. Diese wunderbare verhängnisvolle Verwandtschaft, die zwischen uns besteht, nahm sie hin, als sie kam und, tragisch für einen Gruß, mir ins Gesicht schleuderte: »Hund, du bist nur ein Hund.« Das war, als ob sie sich hingab, da sie mich hinnahm, und zwar mit meiner ganzen Schwäche, meiner Tollheit, meinem Vergehen.

– Er vergißt, dieses Ungeheuer, daß ich ihm dann gesagt habe: »Du bist ein Hund, aber du bist mein Hund.«

– Dame jeder Gnade, ich wagte nicht, mich mit diesem Wort zu schmücken.

Lebhaft und etwas wild rief sie:

– Färbe ich mich etwa schön vor Adelaïde, heuchle ich Würde und Scham? Bleibt mir eine andere Haltung, als aufrichtig zu sein? Bin ich Circe? Wie habe ich einen Mann in einen Hund verwandelt? Habe ich es gewollt? Was tun gegen diese Augen, die mich wie eine Wiese abweiden; die mich einsaugen, wie die Bienen den Zucker der Blumen? Er trinkt mich, er ißt mich. Warum bin ich seine Nahrung? Warum kommt er von so weit und mündet so nahe bei mir, daß ich ihn nicht vermeiden kann? Warum ist er mir gefolgt, als er mich bemerkt hatte, dieser Hund des Schicksals, dieser furchtbare Hund? Ich habe eine Bewegung der Pfote erwartet, um ihn zu verjagen, aber er, entzückt, verlangt nichts: seine Augen werden durch meine Anwesenheit beseligt … Weil er ein Hund ist, beherrscht er mich. Wenn ich sage, daß ich ihn nicht einmal schlagen kann, übertreibe ich nicht: gegen ihn bin ich waffenlos. Er nimmt mir den geringsten Vorwand zur Verteidigung. Was ich auch tue, wenn ich mich nicht verberge, ich wüßte nicht ihn zu beeinflussen. Wenn ich mich mit einem Sack bedeckte, würde er noch meine Gestalt wahrnehmen; wenn ich meinen Körper anstriche, würde er noch den Ton sehen. Es giebt so feine Harmonien zwischen uns! Bei der kleinsten Kühnheit, wenn er zum Beispiel in dem Augenblick, da er sich mir nähert, den stillen Pakt zerrisse, sofort würde ich mich zur Wehr setzen. Ich passe auf ihn auf und ich empfinde die Herrschaft, die er über sich gewinnt. Als du ihn zwangst, dir zu antworten, hast du ihn aus einer Art Verzückung gerissen: wenn er ein Zentimeter abrückt, ist das nicht zu merken: er beobachtet sich jedoch. Was hätte ich zu sagen, wenn er diese Berührung wieder herstellte, die ich vorhin wollte? Er wird sich dem nicht aussetzen: er weiß, daß seine Passivität meine Verteidigung aufhebt.

– Herrin, diese Beherrschung entspringt dem Fetischdienst als dessen eigene Frucht. Sie werden mich tränken in meinem Durst; Sie werden mich nähren in meinem Hunger: wenn ich mich Ihrer Güte überlasse. Sollten Sie mir nichts geben, wäre ich schon zufrieden, als glücklicher Hund in der Straße hinter Ihnen her oder auf der andern Seite laufen zu dürfen. Jetzt bin ich, statt Sie von weitem anzuschauen, dicht neben Ihnen, Ihre Hände haben sich auf meinen Kopf gelegt; und Ihre Absichten ahne ich und genieße ich unsagbar. Was Sie mir nicht geben, müssen Sie hüten. Das ist notwendig für Ihr jetziges oder künftiges Glück, für Ihre Gedanken, für Ihre Scham, für Ihre Zukunft, für Ihre eigene Achtung. Ich habe Wollust gestohlen, als ich umherirrte; aufgenommen, erwarte ich alles vom Edelmut. Ihr Hund wird der glücklichste der Hunde sein. Sie würden mich nähren, wenn Sie nicht wollten, und künftig werde ich Ihre stete Sorge sein. Aus meiner Mäßigkeit machen Sie kein Verdienst. »Er ist ein solcher Trinker, daß er sich berauscht, wenn er die Flasche betrachtet,« sagt man. Zu denen gehöre ich. Ich bin berauscht, sobald ich Sie sehe. Petrarca erfreute sich an einem Handschuh, ich würde mich auf einen Pantoffel stürzen … Diese groben Beleidigungen genügen der seraphischesten Scham; die Lippen schleudern sie, als ob es Küsse wären.

– Das sind Artigkeiten eines Hundes! Wollen Sie meine Handschuhe?

Der schweigende und dunkle Platz wurde altertümlich; die furchtbaren Mauern des Papsttums erhoben sich im Schwarz einer geätzten Kupferplatte; die alten Formen bestätigten sich und die Seelen zeigten sich ähnlich. Im Jahre 1342 reimte Petrarca auf diesem Platze:

O schöne Hand, die mir das Herz umschlingt,
und in so wenig Raum mein ganzes Leben bringt!

Emezinde war schöner als Laura. Ungestüm entriß sie ihm die Handschuhe; nachdem sie sich an seinem Kummer geweidet, reichte sie ihm sie wieder.


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