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Am andern Tage traf der erwartete Bote von Montrose ein, der seine Verzweiflung ausdrückte, abermals auf längere Zeit von Urica getrennt zu sein, da er genöthigt sei, das Armeekorps, welches er befehligte, an den Ufern des Tweed zusammen zu ziehen. Er bat sie mit einer fast ängstlichen Dringlichkeit, einem beifolgenden Pakete, worin ein türkischer Shawl enthalten sei, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Nachdem Urica einige Zeit gebraucht hatte, um den Schmerz der Täuschung zu überwinden, entfaltete sie das künstlich verschlungene Paket, und dem feinen Gespinnst des Shawls wenig Aufmerksamkeit schenkend, durchsuchte sie mit ahnender Unruhe die künstlich geschlungenen Falten, und das Geräusch eines knisternden Papieres führte Urica auf die rechte Spur, und sie nahm zwei Briefe heraus, welche darin versteckt waren. Der Eine, an Urica gerichtete, bat sie, daß in der zweiten Nacht nach dem Empfange desselben Urica sich an das Ende des Parks begeben sollte, wo das sogenannte Jagdhaus stände, und dort unter der dritten Linde von der linken Seite an der Eingangsthür einen Boten erwarten, dem sie den zweiten einliegenden Brief an den König übergeben möge, wenn derselbe sie frage: wie nahe Mars der Sonne stände – sie habe dann nur zu sagen: so nah wie die Sonne am Mars, und dürfe dann dem Boten vertrauen.

Der Brief an den König war noch unverschlossen – Urica sollte dies erst thun, wenn sie ihn gelesen – und Urica fühlte tief dies ehrende Vertrauen ihres Gatten.

Der Brief benahm dem König jede Hoffnung, die augenblickliche Hilfe Schottlands zu erlangen. Es hatte offenbar beschlossen, abzuwarten, ob der König gegen England mit den Waffen glücklich sein werde, und Montrose war fest überzeugt, daß es die Partei des Stärkeren ergreifen werde. Er schilderte dem Könige seine besondere Lage – Argyle hatte zwar vorläufig nicht Recht bekommen, aber dies wäre doch kaum ein Zeichen des Vertrauens gegen ihn zu nennen, denn er werde mit dem größten Argwohn beobachtet und wenn man einen Soldaten hätte, der ihn ersetzen könnte, würden ganz andere Maaßregeln gegen ihn hervortreten. Argyle hatte sich zurückgezogen; er hatte auch hier, wie früher in York, die lächerliche und doch von Vielen glaubhaft gefundene Behauptung aufgestellt, sein Leben sei von den Anhängern Montrose's bedroht, und dieser leugnete nicht, daß er ihn jeder Bosheit fähig halte, und gewiß sei, von ihm in aller Weise beobachtet und verfolgt zu werden. Schließlich beschwor er den König mit der feurigsten Inbrunst, mit den scharfsichtigsten Gründen, zu einer kräftigen Thätigkeit überzugehen, das Joch abzuschütteln, was Hamilton über ihm festhalte – und hier kamen Aeußerungen, die für diesen kaum noch eine andere Bezeichnung, als Hochverräther übrig ließen, wenn er in seinem System der Unthätigkeit verharrte.

Als Urica den Brief durchlesen, war es ihr erstes, ihn so sorgsam als möglich zu versiegeln und ihn mit dem an sie gerichteten in ein Kästchen zu verschließen, wovon sie den Schlüssel an einer Kette um den Hals trug. In tiefe Gedanken versunken, blieb sie dann zurück gelehnt in ihrem Sessel liegen; ein Grauen durchschüttelte ein paar Mal ihren Körper und ein unbeschreiblich banges Zusammenziehen der Brust machte ihren Athem kurz und ungleich. Sie war zu wohl bewandert in allen von Montrose berührten Verhältnissen, um nicht seine richtige Politik würdigen zu können, aber was sie sonst, wenn Argyle mit ihr sprach, allein von der einen Seite aufgefaßt hatte – bekam jetzt für die liebende Frau eine zweite Beziehung, von der sie bald allein eingenommen war, und welche ihr die großen Gefahren zeigte, denen sich Montrose durch diese Mittheilungen aussetzte.

»Gottlob! daß er dir Alles anvertraut« sagte sie endlich, etwas leichter athmend – »und der Bote, den der König sendet, ist natürlich sicher!«

Ein Geräusch auf der Terrasse vor der Thür ihres Zimmers, welches geöffnet stand, unterbrach ihr Selbstgespräch – es war ihr, als gleite der Schatten einer männlichen Gestalt über den sonnigen Kiesboden. Erstaunt erhob sich Urica – dieser Platz war von außen fast unerreichbar, da er ein Klippenplateau bildete, worunter der Wasserfall wegstürzte; der Thurm reichte mit glatten Wänden bis in den Strudel der Wellen, und die Föhrenwand an der entgegengesetzten Seite stieg an dem steilsten Abhang hinan. Als Urica hinaus trat, schien es ihr, als verschwände die Gestalt nach jener Seite; aber der Eindruck war so schnell, so unsicher und spurlos, daß Urica der Gedanke kam, sie habe sich getäuscht. Dennoch eilte sie der Föhrenwand zu und fast hätte sie aufgeschrien, als sie in dem Augenblick, wo ihre Schritte sich vernehmbar näherten, plötzlich den schlanken Stamm einer derselben sich beugen sah, ein leises Knistern wie von dem Brechen von Zweigen hörbar ward, und dann Alles in unbeweglicher Ruhe wieder vor ihr lag.

Wie eingewurzelt blieb die Gräfin stehen und der Athem in ihrer Brust stockte; sie hatte nicht den Muth, sich der durchbrochenen Marmorbrüstung zu nahen und hinüber zu schauen, denn was sie sonst so gern sah, den wilden Wasserstrudel, die schroffen Klippenschichten, erschien ihr heute, als müßte es das Grab des verwegenen Menschen zeigen, der es gewagt, diesen Rückzug anzutreten. Aber wer konnte das sein? – Oder war das Ganze eine Täuschung – war es ihre aufgeregte Empfindung – war es der Schatten eines Thieres – eines Raubvogels? – »O Gott nein! es war ein Mensch,« so rief ihre ganze Ueberzeugung und schlug die kleinen Einwendungen, die sie gegen sich versucht hatte, für immer zurück. Da hörte sie Stimmen und ein ziemlich verständliches Gekicher! – Erst jetzt fiel ihr ein, daß sie das Schloß nicht mehr allein bewohnte, daß über ihren Zimmern die Kinder eingezogen waren. Sie blickte hinauf; die Frauen und das kleine häßliche Mädchen lagen im Fenster, und schienen sie zu beobachten.

Ihr erster Gedanke war, diese zu fragen, ob sie von ihrem höheren Standpunkt eine eben solche Wahrnehmung gemacht hatten; aber als sie ihnen einen zweiten Blick zuwarf, war eine so unehrerbierige Dreistigkeit, eine so spöttische Lustigkeit in diesen Weibern ausgedrückt, das kleine Mädchen stieß sogar einige Worte aus, die nur durch schnelles Zuhalten des Mundes unterdrückt wurden, daß die Gräfin mit Stolz und Verachtung sich von ihnen wendete und nach ihren Zimmern zurückkehrte.

Es war aber eine Beklemmung und ein Gefühl von Unsicherheit in ihr erwacht, welches ihr die Einsamkeit unerträglich machte; sie eilte durch mehrere Zimmer, die sie ungewöhnlicher Weise leer fand, da hier sonst eine diensthabende Frau und in dem folgenden Zimmer der Kammerdiener zu warten pflegte. Dies erklärte sich jedoch sogleich. Sie hörte ein gellendes Pfeifen vom Flur aus, und als sie hinaustrat, sah sie durch eine geöffnete Thür, daß auf dem Hofe ein paar Affen nach Pfeife und Quersack eines Gauklers tanzten, und alle Dienstleute zusammengelaufen waren, dem lächerlichen Schauspiel zuzusehen. Da sie auch den dienstthuenden Kammerdiener und ihre Kammerfrau unter ihnen erkannte, wollte sie umkehren, um sie nicht durch ihren Anblick zu beschämen, als sie im selben Augenblick den ehrwürdigen Sir Crafton durch das Schloßgitter der Hofseite herein reiten sah, gefolgt von ihrem Stallmeister, der ihr Reitpferd am Zügel führte.

Wie glücklich schien der alte Herr ihren beklommenen Zustand errathen zu haben, wie wohl mußte ihr ein Ritt durch die schöne Gegend thun! So trat sie nicht zurück, sondern ihm fast entgegen, da er, sie erkennend, sich schnell vom Pferde geworfen hatte, um sie zurückzuführen.

Er fragte sie, wohin sie zu reiten befehle, und Urica bat ihn, jedenfalls den Weg am Jagdhause im Park vorüber zu nehmen, welches sie noch nicht kannte.

Crafton blieb sogleich stehn, obwohl sie Urica's Zimmer noch nicht erreicht hatten, und sagte: »Kennt ihr das Haus noch nicht?«

»Nein,« sagte Urica – »und ich will es jetzt kennen lernen.«

»Habe ich euer Vertrauen?« fragte Sir Crafton. –

»Das habt ihr,« sagte Urica – »und Montrose's Brief hatte kaum nöthig, mich besonders darum zu bitten. Doch sagt mir, wie es kam, daß ich dies Haus noch nicht kennen lernte – in welchem Theil des Parks ist es verborgen?«

Crafton sagte, es liege entfernt, sei lange unbewohnt geblieben, und der Marquis habe es nicht geliebt.

Es war Urica sichtbar, daß der alte Herr mit einiger Beklommenheit von diesem Aufenthalt sprach und entweder gesonnen war, den Gegenstand ganz fallen zu lassen, oder den gegenwärtigen Augenblick doch nicht zu näheren Mittheilungen passend fand.

Urica schritt still bis zu ihrem Zimmer voran, und hier erzählte sie dem alten Herrn den sonderbaren Eindruck, den sie so eben gehabt, ohne doch auf der Wahrheit desselben zu bestehen.

»Glaubt mir, Milady,« sagte der alte Herr mit sanfter Heiterkeit und väterlicher Güte – »ihr habt zu viel seit gestern gelitten, ihr müßt einen kleinen Ritt machen, das wird euer dickes Blut erleichtern und euch von der Belästigung eures Hausstandes etwas abziehn. Wie wär' es, wenn ihr der liebenswürdigen Lady Howard einen Morgenbesuch machtet – sie hat die sanfte Laune, euch ein wenig aufzuheitern – und Lady Southhesk läßt sich durch mich bei euch entschuldigen, indem sie den heutigen Tag für sich und ihr Gefolge zu der nöthigen Ruhe nach der Reise zu verwenden denkt. Glaubt mir,« setzte er mit schlauem Lächeln hinzu – »sie sind mit dem neuen Plane noch nicht fertig, oder sie haben die alte Gräfin noch nicht zu völliger Fügsamkeit breit schlagen können.«

»Lassen wir sie,« sagte Urica. – »Ich glaube, ihr habt Recht – ich fühle einen Druck auf meinem Kopf, daß es mir scheint, die Balken sind zu schwer geworden, seit diese zürnenden Gäste über mir hausen – und vorläufig muß ich doch wohl selbst bei den Kindern mich meiner Rechte begeben.«

»Unterwegs, Euer Gnaden, wollen wir mehr da von sprechen,« sagte Sir Crafton – »jetzt zu Pferde – zu Pferde!«

Der heitere erfrischende Morgen, der herrliche Park, durch den Sir Crafton seinen Weg nahm, die schönen Pferde, worunter sich Urica's Lieblingspferd in anmuthiger Bewegung und feuriger Jugend auszeichnete, verfehlte nicht, die beklommene Stimmung, in der sie ausgeritten war, nachgrade aufzuheben, und mit ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit begann sie die Dinge um sich her zu bemerken, und Sir Crafton, der an ihrer Seite dem Gefolge vorausritt, ward nicht müde, ihre Fragen zu beantworten. Durch ein paar schattige Alleen, die vom Schlosse aus den Park durchschnitten, gelangten sie jetzt zu einem malerischen Wiesengrunde, auf dem nur einzelne Gruppen alter herrlicher Eichen standen, welcher, wieder durch Gitter getrennt, einen Obst- und Blumengarten und dann unter dem Schatten hoher Linden ein einfaches einstöckiges Haus zeigte, dessen Dach fast von den Zweigen der Bäume verdeckt war und nur seine hohen Schornsteine darüber wegstreckte.

Urica hielt ihr Pferd an und blickte fragend nach Sir Crafton. – Dieser hing zwar auch, wie sie bemerkte, fest mit den Augen an diesem Hause, aber es war so viel traurige Erinnerung in diesem Blick ausgeprägt, daß sie fühlte, dies Haus habe für ihn eine besondere Bedeutung, welches ihr ein achtungsvolles Schweigen aufnöthigte.

Sie umritt daher schweigend das Gitter, welches den Cultur- und Blumengarten trennte, und sah, daß dies Haus von der andern Seite von einem jungen Buchenhaine begrenzt war, dessen architektonische Lichtung dazwischen Rasenplätze, Bassins und höhere, aber verfallene Gartenanlagen zeigte, mit Marmorverzierungen und Statuen, die, verwachsen und mit Moos bekleidet, lange Vernachlässigung verriethen. Dahinter lagen einige Wirthschaftsgebäude, und diese lagen an den festen mit Gräben umzogenen Hecken, welche die gleich dahinter liegende Landstraße davon trennten.

Sir Crafton ließ Urica aber nicht sogleich bis dahin vordringen, sondern, indem er dem Gefolge befahl, auf der Landstraße ihrer zu warten, forderte er Urica auf, einen Augenblick abzusteigen und das Haus selbst zu besehen, da ihr Weg sie einmal hierher geführt habe.

Urica willigte sogleich ein, und da ein alter Kastellan, auf seine junge Tochter gestützt, ihnen jetzt seitwärts das Haus öffnete, sagte Urica rasch: »Das ist also das Jagdhaus?«

»Ja,« sagte der Kastellan – »hier starb Lady Juliane, die einzige Schwester unseres gnädigen Herrn Marquis.«

Erstaunt blickte Urica nach Sir Crafton um, welcher mit einem leisen Neigen des Hauptes die stumme Frage beantwortete.

»Es ist gut,« sagte Sir Crafton mit besonderer Ungeduld zum Kastellan – »wir werden der Lady jede nöthige Erklärung selbst geben.«

»Es steht uns dennoch zu, die Frage der Dame der Wahrheit nach zu beantworten,« sagte ziemlich trotzig der Kastellan, wendete sich aber dann und zog sich in seine Wohnung zurück.

Das Haus war lange unbewohnt gewesen, aber seine Einrichtung war noch wohl erhalten, und in der dauerhaften Art, welche den Jahrhunderten zu trotzen scheint, und, wenn Eine aus dem Hause Montrose hier gelebt, den Reichthum derselben erklärte. In einem runden Bibliothekzimmer fühlte Urica das Bedürfniß einiger Ruhe, und indem sie die schweren Vorhänge von einem Eckfenster zurückschlug, lag ein Gartentableau von so ausgesuchter Schönheit vor ihr, wie nur englische Gärten mit ihren herrlichen Baumgruppen und ihren würzigen Wiesengründen darzubieten vermögen.

Erst nachdem sich Urica lange dem Anschaun dieser entzückenden Aussicht überlassen, wendete sie ihr Auge, um das Innere zu betrachten. Die Bibliothek schloß die Zimmerreihe und war ein rundes, unbeschreiblich behagliches Kabinet mit rund gewölbter Decke in Holzsculptur. Auf den schön geschnittenen offnen Büchergestellen, welche die Tapete der Wände bildeten, waren kostbar gebundene Werke aufgestellt; drei Fenster waren mit schweren grünen Vorhängen bedeckt, einige bequeme Lehnstühle und ein kunstreich verzierter Tisch in der Mitte des Zimmers, um Bücher und Schreibereien auszubreiten, machten die ganze Ausstattung des Kabinets aus, bis auf den Kamin von dunkelrothem Marmor, über dem das Bild einer jungen Dame in Lebensgröße hing.

»Sir Crafton,« sagte Urica bewegter, als sie es begreifen konnte – »sagt mir, wenn es euch nicht zu weh thut, was für ein Bewandtniß hat es mit der Dame, die ihr eine Schwester des Marquis nennt, an deren Schicksal ihr so viel Antheil nehmt und die vielleicht dies Gemälde vorstellt?«

»Es ist Lady Juliane Graham, die Tochter des Grafen von Montrose – und lange die einzige Erbin, das einzige Kind des verstorbenen Herrn Marquis – das ist der Anfang ihrer traurigen Geschichte, ihrer Verirrungen, ihres Unglücks!«

»Wie unbegreiflich, daß mein Gemahl mir nie von dieser Schwester sprach,« sagte Urica, ohne zu überlegen, wie wenig Zeit ihr überhaupt geblieben war, mit ihm zu sprechen.

Vielleicht lag ein ähnlicher Gedanke in Craftons Blick, als er etwas länger schwieg, und Urica wendete sich, leicht erröthend, dem Bilde zu.

Es war eine große, üppige Gestalt, mit großen lebhaften, blauen Augen, rabenschwarzem Haar, vollen Lippen, einer stolzen, gebogenen Nase und der gebieterischen Haltung einer Kaiserin. Sie stand und war prachtvoll gekleidet; das Schloß lag hinter ihr, ein Vorhang deckte die Gegend halb; ihr schöner, weiß und rosenroth gefärbter Teint hob sich, vom Künstler gut gewählt, von der warmen violetten Färbung der Draperie.

»Ihr werdet wohl nicht glauben, daß die Lady schon so in ihrem fünfzehnten Jahre aussah! Nie entwickelte sich ein Kind schneller, nie sah ich die Blüte der Jungfrau so bis zur vollsten Entwicklung eilen.«

»Man könnte sie mindestens für zwanzig Jahr halten,« sagte Urica sinnend. –

»Damals war sie noch Gräfin von Montrose – die einzige Erbin – und die guten Eltern versäumten nicht, ihre hohen Ansprüche ihr damit einzuprägen. Ach – sie war ein gar sehr verwöhntes Fräulein – auch im Guten, Milady! denn ich hätte den Unglücklichen sehen wollen, den Armen, der sich vergeblich an sie gewendet hätte! Sie hielt es für eine Beleidigung, wenn jemand in ihrer Nähe unglücklich sein wollte – darin bestärkten die guten Eltern das mächtige Kind – wenige Fürsten auf ihrem Thron werden so sicher sein über ihre Macht und Gewalt, als diese junge Dame. Und nun diese Schönheit – diese frühe Geistesreife – was für Familien warben schon in diesen Jahren für ihre Söhne um sie – und sie lachte sie Alle aus! Oft sagte sie: »sie hoffe, König Jakob werde sich noch um ihre Hand bemühen für seinen Thronerben!« Die Mutter der guten Lady war, wie ihr wissen werdet, eine katholische Dame, die Schwester der Gräfin von Southhesk; sie konnte es in ihrem Eifer nicht lassen, um das Seelenheil ihrer Tochter besorgt, sie zu ihrem Glauben überführen zu wollen; aber die junge Dame wußte sich wohl von ihren Geburtsrechten zu unterrichten, und als sie hörte, dieser Wechsel der Religion könne sie das Marquisat kosten, welches ihr zustand, hatte sie eine lachende Weise, ihre Mutter abzuweisen, und ich war oft dabei, wenn sie die Bedenklichkeiten der Frau Marquise aus Gründen ihrer äußern Stellung, die sie sich verpflichtet hielt, festzuhalten, mit harten Worten zurückwies.«

»Da, Milady! mit einem Male – überraschte uns Alle die Frau Marquise durch die Nachricht von ihren nahen Entbindungshoffnungen. Niemand hatte das nach so langer Zeit noch erwartet, obwohl die arme Dame noch jung genug war, und wir hatten sie, seit Monaten kränkelnd, sich überall zurückziehen sehen, ohne Ahnung der wahren Veranlassung. Ich zweifle nicht, daß die Sorge, wie ihre Tochter, welche eine gefürchtete Macht im Hause geworden war, dies Ereigniß aufnehmen werde, großen Antheil an ihrer langen Verschwiegenheit hatte, denn auch der Herr Marquis soll nicht viel früher, als wir Andern, davon Kenntniß erlangt haben.«

»Auch hatten die Eltern wirklich nicht den Muth, der jungen sicheren Gräfin diese Nachricht zu geben, und so zögerten sie, bis der allerschrecklichste Moment ohne alle Vorbereitung für sie eintrat – und mit der plötzlich ihr hinterbrachten Nachricht von dem Zustande ihrer Mutter zugleich die Ankündigung eintraf, daß ihr ein Bruder, dem Hause ein Erbe geboren war.«

Urica hatte dem Bilde gegenüber Platz genommen. – Sir Crafton saß neben ihr – Beider Blicke ruhten auf der lebhaften Gestalt, und Urica fühlte dieser gebietenden Persönlichkeit gegenüber sogleich die ganze Größe der damit über sie gekommenen Versuchung.

»Man kann nicht sagen,« fuhr Sir Crafton fort – »daß die junge Lady nicht Alles um sich her mit verschwenderischer Großmuth beschenkt und sie nicht Anspruch auf Dankbarkeit gehabt hätte – aber sie ward ihr doch nicht zu Theil, und von keiner Seite Liebe!«

»Der grausame Stolz, womit sie Alle behandelte, die zügellose Heftigkeit, womit sie das kleinste Vergehen gegen sich rügte, machte, daß ihre Wohlthaten wie eine Sühne für die erfahrenen Beleidigungen keinem das Herz gegen sie erweichten; ja, es ließ darum fast eine Erbitterung zurück, daß die Beleidigten, um ihr Recht zu zürnen, betrogen wurden, indem sie ihre Wohlthaten annehmen mußten. So muß ich sagen, wie grausam es klingt, sie fand keine Theilnahme, sondern man verbarg ihr die laute Freude nicht, die im ganzen Hause ausbrach, als an ihrer Stelle ein Erbe verkündigt war, sie mit dem Leben dieses jungen Kindes von ihrem mit so großer Sicherheit behaupteten Platz verdrängt wurde.«

»Laßt mich den Zustand dieser unglücklichen jungen Dame verschweigen! Es läßt sich nicht schildern, was sie that und litt – ihre Anfälle ließen für ihren Verstand zittern, hartnäckig verweigerte sie, ihre Eltern oder ihren Bruder zu sehen, und diese waren unfähig, ihr Glück zu genießen, da sie es als eine Beleidigung für ihre Tochter ansahen.«

»Vielleicht hätten sich die Verhältnisse dennoch milder gestaltet, wäre die Frau Marquise am Leben geblieben; aber sie starb den vierten Tag nach der Geburt des jungen Erben, und ihre Verfügungen, mit denen sie sich allein beschäftigte, sollten das Unglück ihrer Tochter vollenden!«

»Nur der Beichtvater der Mutter gewann endlich bei Lady Juliane Zutritt und er legte den Weg zwischen Beiden oft zurück. Die Frau Marquise besaß ein bedeutendes Vermögen, worüber ihr Gemahl ihr freie Verfügung ließ – so wenig es gegen die früheren Ansprüche einer Erbtochter gelten konnte, war es doch eine gesicherte, ihrem Rang angemessene Einnahme. Wollte Gott, die arme sterbende Mutter hätte sich überwinden können, oder ihr wäre die Freiheit gelassen worden, ohne Bedingungen ihrer Tochter diese Schadloshaltung zu überlassen! Es steht aber zu vermuthen, daß dies nicht der Fall war, denn das Testament ging sogleich in die Hände des Beichtvaters über und derselbe blieb, gegen die Rechte des Vaters, allein mit der Vollziehung beauftragt. Es hat Niemand mit Bestimmtheit den Inhalt desselben erfahren und der Herr Marquis, der es hätte verlangen können, war durch das Geschenk eines Sohnes, den höchsten Ehrgeiz eines mächtigen Barons, doch in all' seinem übrigen Glück so vollständig erschüttert, in eine trostlose Gleichgültigkeit gegen die ganze Welt verfallen – denn Lady Juliane sah nicht allein ihr« sterbende Mutter nicht wieder, sie entfloh auch heimlich ihrem Vater, gegen den sie fast Haß zu fühlen schien, und schrieb ihm erst, als sie bei ihrer Tante, der eben damals sich vermählenden Lady Southhesk angekommen war, daß sie künftig bei dieser leben werde.«

»O das ist trostlos!« sagte Urica tief bewegt –

»Unterbrecht meine Erzählung mit dem Befehl weiter zu reiten, sagte Sir Crafton – »in Wahrheit! mit einem Male greifen euch diese Mittheilungen zu sehr an.« –

Urica gab dem redlichen Wunsche des ehrwürdigen alten Herrn nach, dessen väterliches Wohlwollen sie nicht verkennen konnte und bald hatten sie die Landstraße erreicht und nach einem muntern Ritt von einigen Meilen, sahen sie das anmuthige Landhaus des Lord Howard aus einer reizenden grünen Hügelkette herauf tauchen und bei dem gebahnten Kieswege, der zu dem Parkthore führte, trafen sie eine lustige Cavalcade von Herrn und Damen, aus der Lord und Lady Howard sogleich hervorritten, um Urica mit sichtlicher Freude und Achtung zu bewillkommnen.

Da die Gesellschaft eben von einem Waldhäuschen zurückkehrte, wo man das erste Frühstück genommen, weigerte sich Urica nicht, jetzt mit ihnen nach dem Schlosse zurück zu reiten und unter heitere und liebenswürdige Menschen versetzt, die ihr Alle mit Achtung und Offenheit begegneten, fühlte sie den trüben Druck, der auf ihr lastete, allgemach verschwinden, und die sanfte Heiterkeit, die ihr eingeflößt wurde, machte sie Allen nur noch schöner und lieber.

Als Urica nach einer kleinen Erfrischung in einem ihr schnell angewiesenen Toilettzimmer wieder zu der Gesellschaft zurückkehrte, trat ihr Lady Howard mir komischem Pathos entgegen, während die Gesellschaft sich dicht hinter ihr aufstellte und kündigte ihr an, daß sie eine Verschwörung gegen sich vorfände, indem Alle mit der Absicht umgingen, sie fest zu halten und ihren Besuch für einige Tage zu verlängern, bitten wollten.

»Milady!« sagte Urica – »wie rührt mich diese Güte und wie gern nähme ich sie an – aber ich kann nicht, und fast« setzte sie lächelnd und leicht erröthend hinzu – »fast möchte ich um Erlaubniß bitten, meine Gründe verschweigen zu dürfen, denn wenn ich sie nenne, werden sie Alle mich sehr unliebenswürdig finden und ich werde ihre gute Meinung verlieren.«

»Wollen Euer Herrlichkeit uns nicht in diese Versuchung führen?« sagte Lady Howard verbindlich. – »Ich zweifle nicht, wir werden selbst diesen Widerspruch Euer Gnaden zu unserm Vortheil kehren!«

»Nun denn,« sagte Urica – »ich habe selbst das Haus voll Gäste und muß daher annehmen, daß dieser Morgenbesuch mir schon ihren Tadel zuzieht.«

»Gefangen!« rief die heitere liebenswürdige Hausfrau – »das wußten wir bereits! und grade darum verschworen wir uns Alle, euch, theure Lady, ihrem Hause zu entziehen; denn wo Lady Southhesk einkehrt, ist wahrlich für unsere junge, schöne Nachbarin kein passender Platz!«

»Ich kann nicht widersprechen,« – sagte Urica, ein wenig befangen von dieser offnen Erklärung – »da ich die Gräfin noch nicht kenne, und ich beklage, daß sie so wenig in Gunst bei meinen lieben Nachbarn steht; aber ich weiß doch meine augenblickliche Stellung zu der Schwiegermutter meines Gemahls nicht zu ändern und gewiß kann mich ihre Persönlichkeit nicht von der Pflicht ablösen, ihr in meinem Hause alle Ehrfurcht zu bezeigen.«

»Ach,« sagte Lady Howard – »bei euch zieht man immer das kürzere – was sollen wir nun einwenden,« sagte sich mit komischer Traurigkeit umblickend – »womit uns schadlos halten für diese versagte Freude?«

»Hütet euch, daß ich euch nicht beim Wort halte,« – rief Urica, mit dem besten Willen, diese treuherzige Güte nicht zurück zu scheuchen – »ich werde Allen gleich ein Mittel angeben, sich meiner Person zu versichern: ich lade Alle zu mir nach Castletown und will eure Güte für mich prüfen, indem ihr mir meine Verwandtin etwas erheitern helfet.«

Dagegen erhoben sich zwar auch Schwierigkeiten; doch endlich entschieden sich Alle, wenigstens den morgenden Tag dort zuzubringen, wogegen Urica einwilligte, erst nach dem Mittagbrod zurückzukehren.

 

»Vergebt mir, liebe Marquise,« sagte Lady Howard, als sie Urica zur Tafel abholte – »daß ich meine Meinung über Lady Southhesk so unumwunden aussprach – aber wir kennen sie Alle länger und wissen, daß wenig Gutes von ihr ausgeht! Sie hat in dem Hause Montrose viel Unheil gestiftet und vieles, was hervor getreten ist, ist doch nicht das Einzige und hindert nicht den Argwohn über Vieles, was nicht zu beweisen bleibt.«

»So allgemein ist die ungünstige Meinung über sie?« rief Urica mit einer Bewegung, die ihre Wirthin fast erschreckte. –

»Mich tröstet die Nähe des edlen, vortrefflichen Crafton,« sagte Lady Howard – »er kennt diese Dame genau, und wird euch, so lange der Marquis abwesend ist, gegen ihre Absichten zu schützen wissen – aber gut sind diese nicht, darauf verlaßt euch – wo sie mit ihren Helfershelfern in Person einzieht, hat sie entschiedene Schritte zu thun.«

Es ward Urica nicht leicht, sich nach diesen Anregungen in die heitere Stimmung der Gesellschaft zu finden, wozu noch die Wichtigkeit des Auftrags kam, der ihr noch in derselben Nacht durch Montrose's Bestimmung bevorstand und gegen dessen Wirkung sie sich vergeblich durch ihren Muth zu stählen suchte, da das Gefühl der Heimlichkeit ihr die Sicherheit nahm, die sie sonst besaß.

Nach der Tafel hinderte sie indessen auch Niemand, ihren Rücktritt anzutreten, die Herrn ließen es sich aber nicht nehmen, ihr bis zur Grenze das Geleit zu geben.

Als man sich endlich trennte, fühlte sich Urica unbeschreiblich abgespannt, und dennoch durch die nun einkehrende Ruhe um sich her erleichtert, ritt sie langsam an Crafton's Seite weiter und der alte Herr schien eben so wenig als Urica geneigt, das Schweigen zu unterbrechen.

Endlich ritt der Stallmeister aus dem Gefolge an Sir Crafton heran und machte ihn auf die Anzeichen in der Luft aufmerksam, die ein schnell heraufziehendes Gewitter anzudeuten schienen. Sir Crafton überzeugte sich leicht von der Wahrheit dieser Bemerkung und fühlte es, wie einen Vorwurf, nicht früher darauf geachtet zu haben, da bei ihrem langsamen Ritt die Furcht begründet schien, daß sie einer der heftigen Orkane, die in diesen Gebirgsgegenden immer mit den Gewittern verbunden waren, grade erreichen werde, wenn sie die kleine Hügelreihe, welche sie jetzt schützte, verlassen haben würden.

Sir Crafton bat Urica langsam ihren Weg fortzusetzen, während er zurück ritt, um mit den andern Dienern, von ihr ungehört, den zweckmäßigsten Weg zu verabreden, da es ihm allerdings wünschenswerth erscheinen mußte, so lange als möglich im Schutz der Hügelkette zu bleiben.

Der Stallmeister und die beiden Jäger des Gefolges, die am besten den Weg kannten, schlugen vor, von der Landstraße, die sie sogleich erreichen mußten, abzuweichen und einen kleinen Hohlweg, der sich schon vor ihnen zeigte, einzuschlagen, da er, wie alle drei behaupteten, nicht weit von den ersten Wildhüter-Hütten des Waldes von Castletown endigte. War das Gewitter bis dahin herangezogen, so konnte man dort Schutz finden, wogegen die grade Landstraße bei dem zu erwartenden Sturm und den Hagelgewölken größere Gefahren fürchten ließ. Alle waren aber der Meinung, daß das Unwetter zu nah sei, um auch selbst bei dem raschesten Ritt und auf dem gradesten Wege vor dessen Ausbruch das Schloß erreichen zu können.

Als sich Sir Crafton umwendete, um der Marquise diesen Vorschlag zu machen, sah er sie halten und an Ihrer Seite einen Mann, mit dem sie sprach, und der ein paar Mal nach dem Hohlweg zeigte – als Sir Crafton näher kam, fand er sie bereits von der ihr drohenden Gefahr unterrichtet und durch den alten Schäfer an ihrer Seite war ihr derselbe Rath gegeben worden, möglichst schnell auf den Hohlweg zuzureiten, da er vermöge der Erfahrung solcher Leute ihr ein heftiges Ungewitter prophezeite.

»Kennst du den Weg dort genau?« fragte ihn Sir Crafton. –

»Nun wie unser Einer thut,« antwortete der Andere in einer etwas fremden, kaum verständlichen Mundart, wie sie tiefer hinein gegen die Hochgebirge gesprochen wurde.

»Ich fürchte, du kennst gar nicht den Weg,« fuhr Sir Crafton fort – »denn du bist ein Fremder – «

»Aber alle Jahre zur Sommerweide hier,« entgegnete der Andere – und das war ein Gebrauch, der allerdings aus den unfruchtbaren Gegenden ganze Heerden mit ihrem Schäfer in die milderen und besseren Futtergegenden ziehen ließ, wozu einzelne Wiesen von den Pächtern gegen einen kleinen Zins überlassen wurden.

Sir Crafton bat Urica zu eilen, da er sie ebenfalls entschlossen fand, die Landstraße zu vermeiden. Alle trieben nun ihre Pferde an und durchschnitten im leichten Fluge den Wiesenplan, der sie noch von dem beschlossenen Wege trennte.

Sie hatten sich aber nicht hundert Schritt entfernt, als eintrat, was Urica noch nicht kannte und ihre Begleiter so viel Ursache hatten zu fürchten; es fiel Blitz und Schlag zugleich, und, wie die Introduction zu einem mächtigen Trauerspiel, so war damit die Natur in einer Sekunde völlig verändert und bot den wildesten Kampf der Elemente dar, wogegen die Kräfte der Menschen fast eben so schnell gebrochen und bis zur Unfähigkeit des Widerstandes erlahmt waren, als die gebogenen und gebrochenen Stämme und Zweige der Bäume.

Sir Crafton behielt nur noch Zeit, in die Zügel von Uricas zurückweichendem Pferde zu greifen, der Stallmeister ritt schon seit einigen Minuten neben ihr, und so versuchten die muthigen Männer die Pferde nah an einander zu drücken, um Uricas Pferd in der Richtung zu erhalten und so rasch als möglich dem Wege zuzueilen, der ihnen einigen Schutz versprach.

Aber es war unmöglich die Richtung noch zu erkennen, denn Schlossen und Regen wurden ihnen von dem wüthenden Sturme so entgegen gepeitscht, daß die Besinnung des Stärksten darunter leiden mußte – dabei blieb es unmöglich, sich verständlich zu machen – es war ein so furchtbares Geprassel und Geheul in der Luft, daß es unmöglich blieb, eine menschliche Stimme vernehmbar zu machen.

Uricas erstes Entsetzen hatte sie allerdings einen Augenblick ihre Besinnung gekostet, während es ihr schien, als würden die Pferde aus einander getrieben und als flöge das ihrige ohne Zügel dahin. Aber sie war nicht schnell zu überwältigen und bald hatte sie gefühlt, daß eine mögliche Rettung von ihrer Geistesgegenwart abhängen werde. Sie streckte daher nach einigen entsetzlichen Augenblicken die Hand nach dem verlorenen Zügel aus, fühlte ihn aber in starker und sicherer Hand, und sie selbst ward in diesem Augenblicke von dem Orkan auf ihrem Pferde niedergebeugt, der Athem in ihrer Brust zurückgedrängt, und sie glaubte zu ersticken. Ein Angstschrei befreite mit entsetzlicher Gewalt den zurückgedrängten Athem und es schien ihr plötzlich, als sei sie etwas mehr gegen die Wuth der Elemente geschützt. Ihre Besinnung kehrte wieder, sie fühlte, daß man einen Mantel um sie geschlagen hatte, der selbst ihren Kopf bedeckte, ein starker Arm hielt sie umschlungen und auf ihrem Pferde fest, welches gegen ein zweites gedrückt war, wodurch ihr eine unerträgliche Belästigung wurde. – Es schien, die Schlossen und der Sturm erreichten sie nicht mehr, sie hatte den Schrei ihrer befreiten Brust gehört –

»Sir Crafton!« rief sie jetzt, so laut sie vermochte – »haltet an! ich beschwöre euch! wenn ihr nicht wollt, daß ich aus Schmerz sterben soll!«

Aber er schien sie nicht zu hören; zwar fühlte sie augenblicklich das Pferd etwas erleichternd von dem ihrigen zurückgedrängt; aber desto fester ward sie umschlungen, desto rascher ihr Pferd davon getrieben. Diese Lage war unerträglich – mit Gewalt befreite sie ihren Kopf von der Umhüllung des Mantels – die Luft, die mächtig auf sie einströmte, erleichterte sie und sie blickte auf, um zu sehen, wo sie sich befand. Im ersten Augenblicke schien es ihr, als wäre sie in gänzlicher Dunkelheit, aber zugleich in der Tiefe des Hohlweges, über welchen der schwarze Himmel und die laubenartig zusammen gewachsenen Bäume fast Nacht verbreiteten. Nach und nach gewann ihr Auge wieder Kraft zu erkennen, und noch einmal redete sie Sir Crafton an und bat ihn einen Augenblick anzuhalten, als ihr plötzlich eine fremde Stimme fast unverständlich zurief, sich bei ihrer Liebe zum Leben ruhig zu verhalten.

Mit einem kräftigen, unerwarteten Stoß hatte sich Urica aus den Armen des Fremden befreit, in welchem sie den Hirten erkannte, der sie früher angeredet.

Sein großer, grauer, breitkrämpiger Hut, der nur nach vorn etwas aufgebogen war, hing wie ein Dach um ihn her, und er ritt eins von den kleinen starken Gebirgspferden, welche an solche Kämpfe mit der Natur gewöhnt sind.

»Wer seid ihr?« rief Urica heftig – »und wer hat euch erlaubt, den Zügel meines Pferdes zu lenken?«

»Dankt Gott, daß ich ihn sicher gelenkt,« rief eine gellende Stimme – »sonst läget ihr wie ein gebrochener Halm unter demselben!«

Urica fühlte sich von dieser Stimme wie von einem Pfeil durchbohrt, obwohl sie sie nie vorher zu hören geglaubt hatte. Eine Unsicherheit und Furcht, die nicht mehr dem Ungestüm des Gewitters galt, erschütterte ihr muthiges Herz, und ohne sich zu besinnen, wie unwirksam ihr Widerstand gegen den starken Führer ihres Pferdes sein würde, versuchte sie in die Zügel zu greifen und ihr Pferd zum Stehen zu bringen.

Doch ein Ruck entriß ihr ihn wieder und ein kurzes Lachen folgte dieser Bewegung.

»Haltet, haltet!« rief Urica voll Verzweiflung – denn dies Lachen war ihr verständlicher, als die verstellte Sprache – »haltet! oder ich werfe mich unter die Hufe der Pferde!«

Die Antwort war, daß sie auf's Neue von einem starken Arm umschlungen auf dem Pferde festgehalten wurde. Urica erstarrte einen Augenblick von der Furcht überwältigt, welche ihre Lage, die sie nun zu verstehen begann, ihr einflößte, aber fast zur selben Zeit bemerkte sie, daß die Natur aus dem rasendsten Aufruhr zu der lautlosesten Stille übergegangen war, und hierdurch fühlte sie ihren Muth neu belebt.

Mit großer Besonnenheit suchte sie an ihrem Kleide nach der kleinen silbernen Pfeife, welche damals alle Damen zur Herbeirufung ihrer Frauen und Pagen an einem Kettchen in den Falten ihres Kleides trugen; als sie es gefunden, bog sie sich schnell auf ihrem Pferde zurück und stieß ein paar Mal einen gellenden Ton aus.

Ein wilder Fluch ihres Begleiters und eine rasche Bewegung, womit er ihre Hand von ihrem Munde zurück und fest auf den Sattelknopf gedrückt hielt, bestätigte ihre Furcht, daß sie mit Gewalt von ihren Begleitern entfernt werde, und das heftige Antreiben der Pferde ließ ihr fast keinen Zweifel, in wessen Gewalt sie war.

Aber die plötzliche Ruhe in der Natur war auch ihren Begleitern zu statten gekommen; sie hatten, obwohl sie durch das jähe Abspringen ihrer Pferde und durch einen heftigen Schlag, den Sir Crafton auf seiner Hand gefühlt, den Zügel von Urica's Pferd verloren hatten, dennoch den Hohlweg erreicht und sich bei der eintretenden Ruhe überzeugt, daß die Marquise denselben Weg geritten war.

Aber sie hörten jetzt auch den Ton ihrer Pfeife, und Beide waren zu gute Reiter, um nicht die Kräfte ihrer starken Pferde zu einem wahrhaften Fluge zu beleben.

Als Urica's Führer die sich nähernden Hufschläge hörte, schien ihn rasende Wuth zu erfassen. »Ha!« rief er – »was hält mich ab, euch nicht lieber in den Abgrund zu schleudern?«

Dabei drängte er ihr Pferd gegen die Seite des Weges, wo die Felswand aufhörte – aber eben so plötzlich ließ er sie und den Zügel ihres Pferdes los und jagte vor ihr voraus den Weg hinab und verschwand fast augenblicklich Urica's Blicken.

Was Urica während der letzten Minuten empfunden, hielt auch, nachdem ihr furchtbarer Begleiter sie verlassen, ihre Besinnung wie gelähmt, und als Crafton und der Stallmeister sie erreichten, stieß sie einen Schrei aus, weil sie Beide einen Augenblick verkannt hatte.

»Milady,« rief Sir Crafton außer sich – »seid ihr unbeschädigt – unverletzt? Um Gotteswillen beruhigt uns durch ein Wort – ging das Pferd mit euch durch oder habt ihr es selbst in dem schrecklichen Augenblick der Verwirrung so angetrieben?«

Bei diesen letzten Worten fand Urica mit ihrer alten Fassung auch ihre Sprache wieder.

»Gottlob!« sagte sie – »daß ich euch auch unverletzt sehe! Fordert aber keine Rechenschaft von mir, wie ich hierher gekommen bin – ihr seht, auch ich bin unverletzt – doch war ich gewiß in großer Gefahr! Ich bitte euch nunmehr, laßt uns den kürzesten Rückweg antreten, denn ich fühle mich äußerst angegriffen!«

Ohne Unfall und Alle der Ruhe bedürftig, erreichten sie mit dem Untergang der Sonne das Schloß, und Urica zog sich, für Niemand mehr zugänglich, in ihre Zimmer zurück.

Sie fühlte das Bedürfniß eines ungestörten Nachdenkens über ihre Lage, welche mit jedem Tage, wie es schien, an Verwickelung zunehmen sollte. Das drückende Gefühl, schutzlos fremden feindlichen Absichten bloß zu stehen, war selbst für einen so festen und entschlossenen weiblichen Charakter niederbeugend; aber die eben überstandene Scene, über deren Urheber sie außer Zweifel war, empörte ihren Stolz auf das lebhafteste, und seltsam genug, flößte ihr am wenigsten Furcht ein – sie war gewiß, daß, wenn ihre Sinne nicht durch den heftigen Naturzustand betäubt gewesen wären, sie keine Gewalt zu fürchten gehabt hätte, die sie nicht durch die Kraft ihres Geistes und ihrer Worte würde haben von sich abweisen können. Mit Zufriedenheit war sie sich ihrer Geistesgegenwart bewußt, dem Sir Crafton die wahre Veranlassung ihrer Trennung verschwiegen zu haben. Auch jetzt, nachdem sie in Ruhe über den Vorfall nachdachte, mußte sie es billigen, die Aufmerksamkeit des Sir Crafton nicht geweckt zu haben, weil alsdann zu erwarten war, daß die Bewachung ihrer Person dem alten Herrn als die dringendste Pflicht würde erschienen sein, und dadurch alle Möglichkeit, Montrose's ihr allein übertragenen Auftrag auszurichten, abgeschnitten worden wäre. Dennoch blieb die Nähe dieses Mannes, der jedes Maaß überschreiten zu wollen schien, eine Bürde und eine Gefahr – und so sehr liebte Urica, daß sie sich erleichtert fühlte bei dem Gedanken, daß Montrose durch seine Pflichten von einem Ort entfernt gehalten wurde, wo er vielleicht in gefährliche Berührung mit seinem erbittertsten Feind kommen konnte.

Diese letzten Betrachtungen hatten ihre Gäste fast aus Urica's Gedanken verdrängt, und es schlug eilf Uhr, als sich ihre Kammerfrauen meldeten, um sie an die Nachtruhe zu erinnern.

Das war ein sehr empfindlicher Augenblick für Urica, denn sie stand mit einer Heimlichkeit vor ihren Dienerinnen belastet, und mußte an eine Unterbrechung des gewöhnlichen Dienstes denken und eine Täuschung erfinden, um ihre wahren Absichten zu verbergen. Diese fremde und neue Stellung fiel Urica unerträglich schwer, und sie war darüber fast erstaunt und blickte beide Mädchen schweigend und sinnend an, als könne sie nicht die sonderbare Forderung begreifen.

»Auch ist es etwas kalt nach dem Gewitter geworden,« sagte Ulla, die langjährige Dienerin – »Euer Gnaden sollten mir erlauben, die Thüren nach der Terrasse zu schließen.«

»Thue das, Ulla,« sagte die Marquise – »ich habe aber noch Geschäfte – Briefe zu – « sie hielt inne – erschrocken über ihre Ungeschicklichkeit – »genug, ihr mögt diesen Putz von mir nehmen – mein Haar in Binden legen – dann will ich über mein Nachtkleid ein warmes Morgenkleid ziehen und später allein zu Bett gehn – ihr mögt euch immer indessen niederlegen.«

»Euer Gnaden!« sagte Ulla, die älteste der Frauen, und zu einiger Vertraulichkeit durch eine Jahre lange Stellung bei der Gräfin berechtigt, und in dem Ton, mit welchem sie bloß diese Worte sagte, lag doch ein so demüthiger, aber bestimmter Widerspruch, als fühlte sie sich an ihrer Dienstehre gekränkt.

»Doch! doch, Ulla!« sagte Urica verlegen – »doch wirst du dich diesmal meinem Befehle fügen – du wirst damit am besten deine Pflicht erfüllen.«

Urica konnte in dem schweigenden Gehorsam, der nun erfolgte, die Beimischung von Erstaunen nicht verkennen, und diese kleine Zwischenscene verletzte sie mehr und reizte sie tiefer, als die eben bestandene viel größere Gefahr, gegen die sie ihre ganze Kraft gesetzt hatte.

Als sie still sinnend ihr schönes Haar in die Hände ihrer Frauen lieferte und während dieser Zeit durch Nachdenken zu einer festeren Haltung kam, erstaunte sie über sich selbst, daß sie einen Schatten von Vorwurf gegen Montrose fühlte, daß sie sich sagte: er hätte sie nicht in eine unschickliche zweideutige Lage zu ihren Domestiken bringen dürfen – sie dachte daran, daß ein Mann, der, in Mitte eines Bürgerkrieges stehend, von den großen Zwecken für das Schicksal seines Vaterlandes erfüllt, die zarte Stellung einer Frau vergessen habe, welche die kleinste Verdächtigung ihrer Handlungen scheuen müsse – sie wollte ihn vertheidigen damit, und sie hatte ihm doch grade damit einen Vorwurf gemacht. Dahin konnte die stolze Urica kommen, bei der Gefahr, ihren Frauen eine Unwahrheit sagen zu müssen, sie über eine ihrer Handlungen tauschen zu wollen.

Indessen war ihre Nachttoilette, wie sie sie anbefohlen hatte, und wie sie sich für ihr Vorhaben eignete, vollendet, die Frauen küßten schweigend ihre Hand und zogen sich zurück.

Urica hatte nur noch so viel Zeit, zu warten, bis sie annehmen konnte, daß die Mädchen ihre Zimmer jenseit des Corridors, ihrem Schlafzimmer gegenüber, erreicht haben konnten und ihren Befehlen gemäß zur Ruhe gegangen waren.

Wahrend dem ordnete Urica noch einen langen dunklen Schleier über ihren Kopf, in welchen sie ihre ganze Gestalt verhüllen konnte, ohne dadurch belästigt zu werden; dann prüfte sie das Wetter, welches milde und ruhig, aber ohne Sternen- und Mondenlicht war, und nahm den Schlüssel zu dem Kästchen, worin der verhängnißvolle Brief an den König lag.

Doch faßte er das Schloß nicht, er wollte sich nicht umdrehen, und indem Urica sich niederbog, um das Hinderniß zu erforschen, zog sie den geöffneten Deckel in die Höhe – dies gab ihr eine unangenehme Üeberraschung – sie wußte gewiß, daß sie das Kästchen, welches von Silber und mit Emaille ausgelegt und auf ihrem Schreibtische fest geschraubt war, fest verschlossen hatte – sie wußte gewiß, daß sie es jetzt nicht aufgeschlossen, daß der kleine Schlüssel eben Widerstand geleistet, weil das Schloß schon geöffnet war. Hastig hob sie das seidene Kissen auf, welches sie selbst über beide Briefe gelegt, und zu ihrer großen Erleichterung lagen beide auf derselben Stelle, wo sie sie hingelegt, und ihr sorgfältig auf dem Briefe des Königs angebrachtes Siegel war völlig unverletzt.

Jetzt beruhigte sie sich über die Hauptsache, aber nicht ohne einigen Vorwurf für sich, da sie es sich zur größten Unbesonnenheit anrechnete, Montrose's wichtigstes Geheimniß, wie sie annahm, durch das Nichtverschließen des Kästchens in Gefahr gebracht zu haben.

Es ist fast süß, sich bald nachher eines Unrechts gegen den, den man liebt, anklagen zu können, wenn wir kurz vorher einen Vorwurf gegen ihn nicht unterdrücken konnten – und was uns dann von ihm auferlegt ist, wird zu erfüllen ein heiliger Dienst, an dem wir uns nur genug thun durch die bereitwilligste Erfüllung.

Urica verbarg den Brief in einer Tasche ihres Kleides, und jetzt ging sie ohne Aufenthalt muthig durch die lange Zimmerreihe, welche endlich in einem großen Bedientenzimmer endete, welches sich außer den verschlossenen Gittern des Hofes nach dem Park zu öffnete.

So wie sie sich von der dunklen stillen Nacht umgeben fühlte, von keinem unangenehmen Begegniß gestört, kehrte ihre Ruhe zurück, und sie fing an, die erquickende Luft zu genießen, ohne daß ihre Gedanken recht bei dem Vorhaben weilen konnten, und es schien ihr selbst, sie wäre nach den unangenehmen Störungen des Tages ganz dazu berechtigt, in der schönen Nacht einen beruhigenden Spaziergang zu machen.

Als sie den Weg hinabging, der vom Schlosse abwärts in die Alleen führte, blickte sie, ehe sie in ihre dunklen Schatten trat, noch einmal nach demselben zurück und sah, daß in den Zimmern des Sir Crafton noch ein Lichtschein zwischen halb geschlossenen Vorhängen durchschimmerte; alle übrigen Fenster waren völlig dunkel, und dies erleichterte ihr Herz noch mehr, denn von ihm hatte sie am wenigsten zu fürchten, selbst wenn er sie sähe oder träfe; ja, es war ihr heute während ihrer allgemeinen Mittheilungen aus Montrose's Brief an ihn, als habe sie etwas nachdenklich Prüfendes an ihm bemerkt, welches vielleicht auf einer Schlußfolge beruhen konnte, die bei ihm, der Montrose so genau kannte, wahrscheinlich war. Dessenungeachtet hatte ihr Gemahl ihr allein in dieser Angelegenheit vertraut, und sie konnte dies Vertrauen nicht ohne seinen Willen, selbst gegen eine so bewährte Person, als Crafton war, erweitern.

Der Weg, der ihr schon zu Pferde weit abführend erschienen war, verlängerte sich jetzt so sehr, daß sie ein paar Mal ausruhend sich gegen einen Baum lehnen mußte, und als sie endlich aus der Dunkelheit dieser Alleen heraustrat und das Jagdhaus über den Wiesengrund vor sich sah, schien es ihr, als könne sie es nicht mehr erreichen, so fühlte sie sich plötzlich halb entmuthigt, halb übermüdet. Der Himmel hatte sich aufgeklärt, es lag ein sanftes Licht über der Gegend und sie konnte die Fenster und die Lindenbäume zählen, welche vor dem Hause standen.

Jetzt aber kam ihr Alles entsetzlich schwer und gewagt vor, und der Gedanke, dort mit einem fremden Manne zusammen treffen zu sollen, schien ihr eine unerträgliche Qual.

Sie ruhte auf einem Sitze am Ausgange der Alleen und suchte ihren Muth durch Montrose's Andenken zu beleben, und eben wollte sie sich erheben, um vorzuschreiten, da fiel in geringer Entfernung ein Schuß, und die muthige Urica sank, wie davon getroffen, auf ihren Sitz zurück. Als sie sich einen Augenblick erholt, schien es ihr, daß sie den Schuß auf der andern Seite des Jagdhauses nach der Landstraße zu gehört habe und die Gewißheit, daß die Gegend nicht ruhig und sicher sei, daß vielleicht Landstreicher, Wilddiebe oder andere umherstreifende Personen sie und selbst den Boten des Königs in Gefahr bringen konnten, bestürmten sie mit gleich großer Besorgniß.

Dessenungeachtet war sie auch zugleich durch die Zeit gedrängt; die Stunde mußte da sein oder schon verflossen, wo sie den Boten finden sollte; war er genöthigt länger zu warten als verabredet war, konnte er grade jetzt entdeckt werden, da die Gegend unsicher wurde, und der ganze Auftrag unmöglich werden.

Plötzlich hatte sie ihren Muth wieder; kräftig schritt sie über den Plan der Wiese vor, mit dem Auge auf dem Hause, um den Weg nicht zu verlieren, und ohne Störung hatte sie das Gartengitter erreicht, als sie im selben Augenblick, wie aus der Erde auftauchend, dicht neben sich die Gestalt eines Mannes erblickte, der sogleich seinen Arm ausstreckte, um sie am Weitergehen zu verhindern.

Die Gestalt war in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, dessen Kaputze den ganzen Kopf verhüllte; er hatte nichts Rohes in seinen Bewegungen, aber etwas Entschiedenes, und Urica war zu lebhaft erschrocken, um nicht dem stummen Verbot weiter zu gehen gehorchen zu müssen.

»Ihr seid lange geblieben,« flüsterte er leise – »und habt mich dadurch in große Gefahr gebracht; es blieb mir nichts übrig, als meinen Standort zu verlassen, denn es geht außer unserm Geschäft auf der Landstraße noch etwas vor und das Jagdhaus war auf kurze Zeit von bewaffneten Männern umschwärmt – ich hielt es daher für's Beste, euch nicht bis dahin vordringen zu lassen, und bin euch entgegen gekommen.«

Der Fremde schien durch eine Maske zu sprechen – Urica konnte ihn kaum verstehen, aber sie hatte sich eben wieder gefaßt und sagte, so muthig sie konnte: »Was wollt ihr von mir, und was treibt euch hierher?«

»Dasselbe, was einer so hochgebornen Dame Veranlassung wird, bei Nacht und Nebel einen Fremden im Walde aufzusuchen! Darum, schöne Lady, spielt nicht länger die Unbefangene – ich will den Brief des Milord von Montrose an den König – ist das deutlich genug, oder habt ihr noch eine andere Prüfung für mich? – heraus damit! – oder ist die Nacht hell genug, um astronomische Beobachtungen machen zu können, und wollt ihr mir sagen, wie weit Mars von der Sonne entfernt ist?«

Er war ihr zuversichtlich bei diesen Worten näher getreten, und Urica durfte nun nicht zweifeln, daß sie den beglaubigten Boten vor sich habe – aber dennoch trat sie ein paar Schritte zurück und sagte mit ernster, drohender Stimme: »Wer seid ihr? – wovon sprecht ihr?«

»Oho!« sagte der Fremde – »so lautet die Antwort nicht! – Besinnt euch, was ihr thut, damit ich nicht zu der Befürchtung komme, mich geirrt zu haben – es würde unangenehme Folgen haben, da ich das Stichwort schon verrathen habe. Doch will ich mich trösten,« fuhr er, wieder näher tretend, fort – »wenn ihr mir versichert, daß ihr die Lady nicht seid, von der ich einen Brief zu empfangen habe; denn jedenfalls seid ihr dann ein reizendes, auf Abenteuer ausziehendes Weib, und dann beginnt das Abenteuer mit mir, denn – legitimirt ihr euch nicht, nehme ich euch wie eine Feder vom Boden auf und trage euch mit mir davon, denn dann habe ich euch schon zu viel verrathen.«

Urica wich ganz entsetzt zurück; aber dennoch kämpfte eine unnennbare Angst in ihrem Herzen gegen die letzten Worte, die den Boten anerkennen und das wichtige Geheimniß ihres Gemahls in seine Hände liefern sollten.

»Entscheidet,« sagte der Fremde, ihr wieder näher tretend – »ich habe nicht viel Zeit und fürchte, daß euer unüberlegtes Zögern meine Gefahr vermehren wird – wenn ihr die Rechte seid, wenn ihr euch als die Rechte ausweisen könnt, so sprecht – sonst – ich schwöre es euch – ich nehme euch mit, im Guten oder mit Gewalt, gleich viel, denn dann wißt ihr zu viel.«

»Ich bin es,« sagte Urica, von den Umständen gedrängt und überzeugt, daß sie ihre Bedenklichkeiten nicht länger dürfe geltend machen – »und ihr habt es allein eurem unbescheidenen Betragen zuzurechnen, daß ich zweifelte, man könne zu einem ernsten Geschäft einen so anmaßenden Boten wählen.«

Sie trat wieder zurück und mußte jetzt den Schleier zurück schlagen, um den Brief hervor zu suchen. Der Bote schwieg während dem und seine Augen schienen jede ihrer Bewegungen zu beobachten. Endlich zog sie mit dem widerstrebendsten Herzen den Brief hervor und noch hielt sie ihn voll banger Ahnung mit beiden Händen fest, als sie sah, wie der Bote sich vor ihr auf ein Knie niederließ und demüthig um Verzeihung seines Betragens bat.

Ohne sich darauf weiter einzulassen, faßte Urica doch wieder einigen Muth, trat ihm näher und reichte ihm endlich den Brief. Er nahm ihn, aber er hielt einen Augenblick ihre Hand fest und schien ihn aufmerksam zu prüfen.

»Fort! fort!« rief Urica, von unbestimmter Furcht ergriffen – »verliert jetzt keine Zeit!« Sie war ganz außer sich und, Alles vergessend, sprach sie dies so laut, daß die Stille der Nacht weithin davon unterbrochen ward. Da endigte der Bote seine Prüfung, ließ ihre Hand los und stürzte davon. – Im selben Augenblicke hörte Urica eine anrufende Stimme in der Ferne – ein namenloses Gefühl von Furcht ergriff sie, und wie ein gejagtes Reh stürzte sie über den Wiesengrund den Alleen zu und hatte sie eben halb ohnmächtig erreicht, als ihr aus dem Schatten derselben ein Mann entgegen stürzte, in dem sie sogleich Sir Crafton erkannte.

»Nehmt mich in Schutz,« stammelte Urica und hielt sich krampfhaft an seinen Arm – «führt mich zurück!«

»Heil'ger Gott!« schrie der alte Mann – »ihr seid es, Frau Marquise – ihr – in der Nacht so weit vom Schlosse! und ihr wurdet angefallen – ich beschwöre euch, laßt mich los – setzt euch hier – ich sehe den entfliehenden Bösewicht noch – laßt mich ihm nacheilen, so etwas darf nicht möglich werden im Bereich des Schlosses! Ein Anfall! Der Schuß – mein Gott! war er auf euch gerichtet – wurdet ihr vielleicht aus dem Schlosse mit Gewalt bis hierher geschleppt? Laßt mich fort – ich muß den Bösewicht einholen und züchtigen!«

Urica mußte noch einmal ihre wachsende Erschöpfung bekämpfen, um sich diesem Vorsatze des unsäglich aufgeregten und beleidigten Intendanten zu widersetzen, und da sie ihm die wahren Gründe ihrer auffallenden Handlung nicht nennen durfte, litt sie unsäglich unter der Schwierigkeit, Gründe zu erfinden, wogegen sich ihr stolzer und wahrer Sinn bis zur Unfähigkeit eine Erfindung zu machen, sträubte.

Sie ließ daher seinen Arm nicht los und sagte immer fort: »Nein, nein! Ihr dürft nicht! Nein, nein! Ihr könnt mich nicht verlassen – ich darf euch das nicht erlauben!

Plötzlich gab der alte Herr, wie von einem Gedankenblitz berührt, nach, und führte Urica sogleich widerstandslos mit seiner gewöhnlichen Courtoisie nach dem Ruheplatz zu Anfang der Allee.

Als sie fast niedersank, blieb er schweigend und gedankenvoll vor ihr stehen, und Urica gönnte sich nur wenige Augenblicke der Erholung, denn der ehrwürdige Mann, der gewiß in einem schmerzlichen inneren Zustande war, erregte ihre achtungsvollste Theilnahme.

»Sir Crafton,« sagte sie mit schwacher, aber gefaßter Stimme – »es wäre mir unmöglich, euch über diesen Vorfall, so weit ich ihn erklären kann, täuschen zu wollen – ich ging freiwillig, aus Pflichtgefühl diesen Weg, und es war meine Aufgabe, mit diesem Manne, den ihr entfliehen saht, hier zusammen zu treffen.«

»O, warum hattet ihr kein Vertrauen zu mir?« sagte Crafton. –

»So weit es von mir abhing, besaßet ihr es vollständig,« sagte Urica mit Wärme – »man hatte aber diese Angelegenheit allein in meine Hand gelegt – ich hatte kein Recht, meine Vollmacht zu erweitern, obwohl es vielleicht nur vergessen worden ist, wie nöthig ich Schutz haben könnte, wie ausreichend der eurige sein mußte.«

»Aber der Schuß, Milady?« fragte Crafton. –

»Er hat bestätigt, wie gewagt mein Unternehmen war, mich allein hierher zu begeben; denn offenbar hat sich auf der Landstraße ein Abenteuer zugetragen, und dies nah dabei gelegene Haus hat mit zum Schauplatz irgend einer Verfolgung gedient – es war der Grund, weshalb die Person, die ihr eben davon eilen saht, mir bis hierher entgegen kam.«

»Aber Milady,« sagte Crafton zögernd – »o, vergebt dem alten, für euch, für den theuren Marquis so besorgten Mann seine Zudringlichkeit – was veranlaßte euren Hülferuf – oder doch euer lautes, ängstliches Sprechen?«

»Dieser Mann betrug sich nicht, wie ich erwarten durfte,« sagte Urica schaudernd –

»Und ihr habt ihm doch vertraut?« fuhr Crafton angstvoll hervor –

Urica schwieg und seufzte – dann sagte sie langsam: »Er hatte das Wort.«

»Milady!« rief Sir Crafton – »Gott gebe, daß hier nicht ein entsetzlicher Betrug obwaltet!«

»Heil'ger Gott,« rief Urica – »sagt, was ihr denkt – haltet ihr es möglich, daß ich betrogen worden bin – daß es Einen giebt, der das Wort kennen kann – ?«

»Ihr fragt mich zu viel,« antwortete Crafton – »ihr wißt es ja, ich bin nicht im Vertrauen,« setzte er sanft und wehmüthig hinzu – »ach! vielleicht hätte euch meine Vorsicht schützen können. – Erlaubt jetzt, daß ich euch erinnere, daß es Zeit ist, nach dem Schlosse zurück zu gehen, wenn ihr verhüten wollt, daß euer nächtlicher Weg nicht verrathen werde.«

Ein kurzes Nachdenken überzeugte Urica, daß dies der beste Rath sei, da weder ihre eigenen, noch Craftons Bedenklichkeiten jetzt noch zu etwas helfen konnten und sie sich, trotz ihres lebhaften, fast physischen Widerwillens gegen die Person des Boten, doch sagen mußte, er habe das Losungswort und alle Umstände gekannt, und in dem Zusammentreffen mit dem Abenteuer, wozu der Schuß gehörte, lag vollständig die Abweichung von der Verabredung, ihr entgegen zu kommen, erledigt.

Beide gingen nun, so rasch es Uricas Kräfte erlaubten, die düsteren Alleen zurück, und es gereichte ihnen zu großer Erleichterung, daß sie das Schloß noch eben so dunkel und ruhig vor sich sahen, als es Urica verlassen hatte.

»Milady,« sagte Crafton, als er sich an ihrer Zimmerthür ehrfurchtsvoll verabschiedete – »ich werde euren Kammerfrauen morgen meinen Besuch machen und ihnen empfehlen, euch lange Ruhe zu gönnen, da ihr von dem Schuß, der gewiß trotz des dunklen Schlosses gehört worden ist, veranlaßt worden seid, hinaus zu eilen, wo ihr mit mir etwas weiter gegangen seid – eure Kleider würden diesen neugierigen Wesen jedenfalls eure Wanderung verrathen und ihr habt dann nur noch wenige Worte hinzuzufügen.«

»O wie seid ihr gütig, Sir!« rief Urica gerührt von dieser väterlichen Vorsorge, die ihr eine Verlegenheit ersparte, die sie noch vor kurzem so empfindlich gekränkt hatte – »seid gewiß, wenn ich je Rath oder Vertrauen während der Abwesenheit meines Gemahls gebrauche, ich es nirgends lieber suchen werde, als bei euch.«

Sie reichte ihm ihre schöne Hand, die er ehrerbietig küßte, und dann eilte Urica ihr Lager zu erreichen, wo sie erst die tödtliche Erschöpfung fühlte, die dieser erschütternde Tag nachgelassen hatte.

Dessen ungeachtet erwachte Urica doch wenig später als gewöhnlich und indem sie ihre Frauen rief, näherten sich diese bestürzt und verlegen und baten sehr beschämt um Vergebung, nicht gehört zu haben, als Urica nach ihnen gerufen, und versprachen, nie wieder sich zur Ruhe begeben zu wollen, ehe sie nicht von dem Schlaf ihrer gnädigen Herrin überzeugt sein würden.

»Ich mache euch keine Vorwürfe,« sagte Urica – »ihr habt gethan, was ich befohlen hatte; – das thut immer, so bleibt ihr ohne alle Verantwortlichkeit. Doch sagt mir, ob ihr schon etwas über die Veranlassung dieses Schusses gehört habt?«

»Ach ja, Euer Gnaden!« sagte Ulla – »Sir Crafton hat schon das Verhör – sie haben die Leiche dicht vor dem Jagdhause gefunden, unter der dritten Linde vom Eingang; und dennoch will der alte Kastellan nicht gestehen, daß er was davon gehört hat.«

Urica lehnte sich erbleichend in ihre Kissen zurück – das Herz wurde ihr wieder zusammengezogen, daß sie kaum athmen konnte – nach einer Pause sagte sie: »Also wirklich ein Mord! – Kennt man die Leiche – ist es ein Mann aus der Gegend?«

»Nein, Euer Gnaden! Niemand kennt ihn – er trägt sogar fremde Kleider, wie sie an der Grenze tragen – die Leute sagen es sei ein Engländer! Die Kugel ist ihm von hinten am Rückgrad vorbei mitten durch's Herz gegangen und da steckte sie noch – er ist gleich todt gewesen, sagt der Herr Doktor, der schon dabei ist sonst – soll es ein riesenartiger Mann sein, den sie so bald nicht überwältigt hätten – aber ein Schuß von hinten – das kränkt auch den Herrn Intendanten so – er ist nicht einen Schritt mehr gegangen, – er lag auf dem Gesicht vorn über auf den hohen Baumwurzeln.«

»Unter dem dritten Baum!« sagte Urica mechanisch. –

»Ja, Euer Gnaden! Grade ging ich vor dem Gerichtssaal vorüber, wo Alles hinein drängte; da ward grade laut zum Niederschreiben gerufen: Unter dem dritten Baum!«

Urica ließ sich ankleiden und befahl Ulla, Mistriß Crafton zum Frühstück einzuladen. Dann begab sie sich nach der Halle und ging, während sie die alte Dame erwartete, auf der großen Terrasse davor auf und nieder. Es war ein warmer, stiller Morgen, mit dem bedeckten Himmel und der feuchten Luft, welche einem heftigen Gewitter nachzuziehen pflegt. War es diese beschwerende Atmosphäre, war es ihr Seelenzustand, Urica fühlte eine Bangigkeit, eine Weichheit und Unsicherheit, die selbst in einigen Thränen sich erleichtern mußte.

»Ach!« rief sie plötzlich, als sie unter die Schatten der alten Taxusbäume trat, welche das Ende der Terrasse bildeten. – »Montrose, komm zu mir zurück! du hast mir Alles genommen, was mich ausrüstete, um allein stehen zu können – die Liebe hat alle weibliche Schwachheiten in mir geweckt – jetzt bedarf ich der Stütze, des Schutzes und vor allen Dingen, der Liebe!«

Lange blieb sie gegen einen Baum gelehnt, und wer hätte Urica wieder erkannt, in dieser träumerischen, aufgelösten Stellung, mit diesem blassen, weichen Gesicht, über das große Thränen niederflossen?

Eine Bewegung vor ihr, weckte sie aus ihrem dumpfen Brüten; die Gestalt der würdigen Mistriß Crafton näherte sich ihr, und Urica ging ihr mit Eilfertigkeit entgegen.

»Euer Gnaden sollten sich die Vorfälle nicht so zu Herzen nehmen,« sagte die alte Dame kopfschüttelnd, da Urica's Anblick ihr sogleich die Gewißheit gab, daß sie deshalb gelitten habe. »Sir Crafton bittet um Erlaubniß, nach dem Verhör sogleich seinen Bericht machen zu dürfen, und ich möchte bitten, indessen in der Halle ein wenig auszuruhen – Euer Gnaden erlauben mir, eine kleine Stärkung zu bereiten – ihr habt sicher die Pflege des Leibes über euren unruhigen Gedanken vergessen!«

Wie ein williges Kind ließ sich Urica von der alten mütterlichen Dame nach der Halle zurückführen und nahm an der Frühstückstafel in einem bequemen Lehnstuhl Platz und von der Nahrung, die ihr mit so bedächtiger Güte zubereitet ward, wenigstens so viel, um die rührende Theilnahme nicht zurückzuweisen.

Endlich bat sie Mistriß Crafton, die Diener zu entfernen und dann ihr zu sagen, was sie von den Vorfällen wisse.

Es war nicht viel mehr, als Urica bereits von Ulla erfahren; nur erstaunte sie, als sie bemerkte, mit welchem bösen Verdachte Mistriß Crafton den Kastellan des Jagdhauses belegte.

»Sir Crafton,« fuhr sie fort – »hat ganz recht, daß er ihn grade so streng in's Verhör nimmt; denn wo wäre ein Schelmstück vollführt worden, wobei dieser alte Sünder nicht geholfen oder wozu er nicht geschwiegen hätte! Denkt euch Milady! ihr selbst – Sir Crafton – und Viele, die es jetzt eingestehen, haben hier im Schlosse den Schuß gehört und er – vor dessen Hause die Unthat geschehen ist, will nichts gesehen und gehört haben, und leugnet hartnäckig, darüber Auskunft geben zu können.«

»Das ist allerdings nicht wahrscheinlich,« sagte Urica unwillkürlich erröthend – »aber was hat es mit diesem alten Manne für eine Bewandtniß – warum steht er in so bösem Ruf? Sein Wesen fiel mir als besonders mürrisch auf, als wir gestern im Vorbeireiten das Haus besahen – er hatte auch gegen Sir Crafton ein wenig ehrerbietiges Wesen.«

»Ja! ja, Milady! er möchte gern jedes Recht, was meinem Manne noch über ihn zusteht, abschütteln, und wäre die Hecke mit dem Graben vor dem Hause, wie sie nun, Gottlob! hinter ihm ist, er würde sich wie ein selbstständiger Herr betragen. Gewiß aber ist es, daß Sir Crafton nicht so viel Recht über ihn hat, wie über die andern Beamten der Herrschaft. Solltet ihr es wohl denken, Frau Marquise, daß das Jagdhaus und der ganze Bezirk umher dem Herrn Marquis nicht gehört, daß er kein Recht darüber hat und es noch nicht lange her ist, daß derselbe Kastellan dem gnädigen Herrn, als er ihm ankündigen ließ, daß er es besehen wolle, ihm antworten ließ: Dies Haus öffne sich nur auf Befehl der Gräfin Graham und ihrer Erben? Da entbrannte der junge Herr in solcher Wuth, daß er ihm drohen ließ, das Haus niederbrennen zu lassen, wenn er nicht augenblicklich es den Befehlen des Herrn Marquis öffnete und daß er ihn in den Stock spannen lassen würde.«

»Der Gewalt gab er nun nach, und der gnädige Herr legten in ihrem Zorn vier Wochen ihre Jägerschaft hinein, ohne es selbst zu betreten. Der tückische Mensch aber beklagte sich bitter über dies Verfahren; doch bekam er damals nicht Recht, denn der Lady Southhesk, welche eben diese Erbin der Lady Juliane war, schwebten damals die Heirathspläne mit ihrer Tochter und dem Herrn Marquis vor, und da gab sie überall nach, und er ward angewiesen, da die Besitzung im Bereich des Schlosses und des Parkgebietes läge, die Befehle des Herrn Marquis und seiner Gerichtsbarkeit zu respektiren und zu keiner Art von Verdrießlichkeit mehr Veranlassung zu geben. Dessenungeachtet wußte man, daß er zur selben Zeit ein groß Stück Geld und seine Tochter viel schöne Kleider von der Lady Southhesk bekommen hatte, mit denen sie, nicht so vorsichtig wie ihr Vater, beim Kirchgang öffentlich prunkte und den staunenden Weibern erzählte, woher sie bezogen waren.«

»Das ist höchst auffallend!« sagte Urica – »Wart ihr schon in dem Hause meines Gemahls, als seine Eltern und diese Lady Juliane lebten?«

Ein leichtes Roth bedeckte einen Augenblick die feinen blassen Wangen der alten Dame; dann hob sie die Augen bedeutungsvoll zu Urica empor und sagte: »Ja, Milady! ich war schon hier und verheirathet mit Sir Crafton – wer weiß, wie sonst Alles gekommen wäre! So habe ich meine größten Schmerzen doch nicht umsonst empfunden, ich kann sagen, ich habe den edelsten Mann, den es vielleicht giebt, vom ewigen Verderben gerettet, und ein langes, glückliches Leben hat mich dafür belohnt!«

Als Urica ein wenig unsicher über die Deutung dieser Worte schwieg, fuhr Mistriß Crafton fort: »Als Lady Juliane nach dem Tode ihres Vaters dies Schloß wieder bezog, war der Herr Marquis noch ein Knabe und lebte unter der Aufsicht des Herrn Kaplan und unter der Vormundschaft des Grafen Douglas, der aber wenig um den Knaben sorgte. Ach! ihr könnt schwerlich denken, wie schön Lady Juliane war, als sie, nun zwanzig Jahr alt, hierher zurückkehrte und den alten Lord Douglas, welcher sie, umgeben von einem wahren Hofstaat, hierher führte, anhielt dies Schloß zu einem Tummelplatz verschwenderischer Vergnügungen zu machen. Man hätte denken können, Lady Juliane sei noch immer die Erbtochter, denn der Herr Vormund verschwendete zu Gunsten dieser auf ihre eigenen Revenüen angewiesenen Dame die Revenüen seines Mündels, und er hatte Niemand, der einschreiten durfte, als meinen Mann, den er zu schonen hatte, da der verstorbene Lord unsern hochseeligen König Jakob, welcher Pathe des jungen Herrn war, auch zu dessen Ehren-Vormund eingesetzt hatte, und dieser – gewissenhafter als Lord Douglas – meinen, ihm einst als Pagen dienenden Mann, den er selbst an den Platz auf Lord Montrose's Güter beförderte, beauftragt hatte, ihm alle Jahr einen Bericht zu überbringen, sowohl über den jungen Erben selbst, als über den Stand seiner Güter und die Verwendung seiner Revenüen.«

»Als dies mein Mann zuerst that, nachdem dies neue Leben auf dem Schlosse angefangen und Lord Douglas vielleicht eine kleine Erinnerung an seine Pflichten vom Könige erhielt, ward mein Mann in Lady Julianens Augen eine wichtige Person, und sie beschloß, ihn ganz in ihre Gewalt zu bekommen, und schwur, es solle seine letzte Reise nach London gewesen sein; denn man sagte, sie habe den Schwur gethan, das Erbe, was ihr nicht mehr gehören sollte, zu verschwenden, ehe es in die Hände ihres Bruders käme. Es war nicht leicht, was sie beschlossen, denn Sir Crafton war zwar jung und schön, aber ein Ehrenmann durch und durch! – Aber ich hatte ein Wochenbett gehabt, was mir wie alle früheren Male ein todtes Kind gegeben hatte, und die Gefahr, mein Leben zu verlieren – ich siechte im Bette hin und war in tiefe Traurigkeit versenkt.«

»Die Pflichten meines Gemahls fesselten ihn dagegen an das tägliche Leben im Schlosse, und Lady Juliane hatte ein freies Feld für ihre Absichten. Schön, geistreich, mit allen Künsten der Gefallsucht ausgerüstet, soll es ihr mit jedem Manne, den sie zu besitzen wünschte, gelungen sein. Wenn sie ihre Absichten auf sie richtete, geriethen sie gegen Pflicht, Willen und Vernunft in eine Art Zauber; die frühere Ansicht der Dinge versank vor ihnen, und sie hatten keinen Gedanken, kein Gefühl weiter, als die glühendste Sehnsucht nach dem Besitz dieser fürchterlichen und ewig neckenden Schönheit.«

»Die wahrhaft verzweifelte Stimmung, worin sich mein Mann mir endlich zu auffallend zeigte, um von mir übersehen werden zu können, weckte mich aus meiner eignen Trostlosigkeit. Meine Bitten, mir zu entdecken, was ihm fehle, blieben umsonst, und ich verließ mit einer muthigen Anstrengung mein Krankenzimmer, um selbst die Ursache aufzusuchen. Lady Juliane hatte von ihrer Mutter das Jagdhaus geerbt, welches die seelige Lady, welche fürchtete, ihren Gemahl zu überleben, aus ihren eignen Mitteln hatte erbauen lassen und selbst das Grundstück als freies Eigenthum von ihrem Gemahl erstanden.«

»Die einfache Einrichtung, die darin dem Geschmack der Erbauerin gemäß vorherrschte, war natürlich nicht passend für die Ansprüche der jetzigen Besitzerin, und Lord Douglas ließ es in einem so glänzenden Geschmack einrichten, daß es ihm wohl sehr zu Hülfe kam, daß er nie Rechnungen nachsah oder aufhob, denn sie möchten ihn stark angeklagt haben.«

»In diesem Hause ist viel vorgegangen – die Ruhe des Lebens manches Menschen verloren worden, ohne daß es schien, daß die grausame Besitzerin etwas Anderes könnte, als zu dem Wahnsinn, den sie erregte, lachen und spotten.«

»War sie denn katholisch geworden?« fragte Urica, die sich von der Erzählung lebhaft angezogen fühlte –

»Wer hätte das sagen können? sie spottete über das Eine, wie über das Andere – ihre Stunde hatte noch nicht geschlagen! Aber in dem Jagdhause ward eine römische Kapelle mit großen Kosten angelegt, und sie schleppte ihre Opfer hin, und wenn sie sprach und verführte, widerstand Keiner, und hatten sie den schrecklichen Schritt gethan – dann lachte sie sie aus, und ich habe sie gekannt, die dies Haus der Sünde verließen, wenn sie sie bis zum Wahnsinn getrieben hatte, und sie dehnte sich behaglich auf ihrem Lager, und wenn man ihr von geschehenem Unglück, oder der Verzweiflung ihrer Opfer erzählen wollte, sagte sie, wie zu einer ekelhaften Geschichte: Pfui! pfui! ich will nie wieder davon hören.«

»Aber, Sir Crafton?« fragte Urica ängstlich –

»Als ich plötzlich in dieser ausgearteten Gesellschaft erschien, erkannte ich die Ursache seiner Leiden. Sie achtete meine Nähe nicht, und bewarb sich mit allen Künsten ihres falschen Herzens um seine Liebe. Ein Blick sagte mir, daß er die glühendste Leidenschaft für sie fühle, daß sie ihn durch die freigebigsten Gunstbezeigungen zu fesseln gewußt habe, und der wunderbare Zauber, von dem ich zu Anfang sprach, auch diesen Ehrenmann so völlig verblendet hatte, daß die frühere Ansicht der Dinge ihm ganz verloren gegangen war.«

»Ich werde den Blick nie vergessen, mit dem sie mich maaß, wie ich zuerst als ihre Gegnerin ihr entgegen trat – ach! ich mußte ihr eine sehr verächtliche Rivalin scheinen; denn dieser blühenden Schönheit gegenüber, die ihren Geist wie eine wirksame Schminke betrachtete, die ihre Reize erhöhte, stand die blasse, kranke Frau, die nie viel Geist gehabt, die nie viel Bildung erhielt! Vielleicht war aber dies unscheinbare Aeußere mein Glück – sie hielt es nicht der Mühe werth mich zu entfernen, und in meiner Gegenwart setzte sie die Liebesscenen mit meinem Manne fort, vielleicht um mir ihre schrankenlose Herrschaft zu zeigen, um mir Gewißheit zu geben, daß ich ihn verloren hatte.«

»Wenn sie auf ganze Tage das Schloß verließ und das Jagdhaus bezog, wußten Alle, daß nun die letzte Hand an das Opfer gelegt ward, und gewöhnlich kam dazu dann Lady Southhesk herüber, die immer in ihrem Gefolge ein paar Geistliche hatte. Lady Southhesk war nicht viel älter als Lady Juliane, und beide Frauen hielten fest aneinander, obwohl sie sich Beide haßten; denn als Lady Juliane als fünfzehnjähriges Mädchen zu ihr floh, wollte sie selbst mit harten Zwangs-Maaßregeln das junge Mädchen zum Religionswechsel treiben, und dies vergab ihr Lady Juliane, als sie sich ihre Freiheit so theuer wieder erkauft hatte, nie, und züchtigte diese böse Frau dafür mit ihren schrecklichen Eigenschaften so lange, bis diese endlich froh war, sie an Lord Douglas überlassen zu können.«

»Lady Julianen's Hauptvergnügen war nun, die Lady Southhesk damit zu ängstigen, daß sie nicht katholisch sei, oder bleiben werde, daß selbst ihr Uebertritt nicht gültig wäre, wenn er durch Mittel erzwungen wäre, welche – wenn sie bekannt wurden – Lady Southhesk stark anklagten. Auch sagte man, das Vermögen, welches jetzt Lady Juliane von ihrer Mutter unter der Bedingung besaß, katholisch zu werden, fiele an ihren Bruder, wenn sie diesen Willen nicht erfüllte; nähme aber Lady Juliane den Schleier, was ihre Mutter gewünscht, so fiele Alles an Lady Southhesk, oder ihre älteste Tochter, und bliebe so immer für die ältesten Töchter in der Nachfolge.«

»Also,« sagte Urica – »wäre jetzt meine Stieftochter die Besitzerin des Jagdhauses?«

»Ja,« sagte Mistriß Crafton – »wenn es erwiesen werden könnte, daß Lady Juliane todt ist!«

»Das ist nicht erwiesen?« rief Urica überrascht –

»Nein, Milady,« sagte die alte Dame – »entweder sie lebt, oder sie dehnt ihre Bosheit noch durch Bestimmungen nach ihrem Tode aus – denn von Zeit zu Zeit, wenn Lady Southhesk aufathmet, in der Hoffnung, sie werde jetzt todt sein, und sie das Erbe antreten können – so kömmt dann, bei dem kleinsten Schritt, sich in Besitz zu setzen, eine Warnung an, Niemand weiß woher, noch wohin, und die Lady ist auf dem alten Punkt, denn erstlich, fürchtet sie sich vor Lady Juliane selbst, zweitens bekommen die Gerichte immer zur selben Zeit eine Verwahrung gegen jeden Anspruch.«

»Nun, das ist seltsam genug – und diese Schwester meines edlen Gemahls ist ein wahrer Dämon! – Sagt mir doch, wie alt sie sein könnte.«

»Nun, sie ist fünfzehn Jahr älter als der Herr Marquis – Seiner Gnaden werden dreißig Jahr sein, also ist ein Alter von 45 Jahren noch nicht um das Leben abzusprechen; aber allerdings sind eben so viele Beweise ihres Todes vorhanden, und der Kastellan, den Euer Gnaden gesehen haben, zeigte eine Leiche vor, die Lady Juliane sein sollte, die aus ihrem Kloster hierher gekommen sein sollte, um zu sterben, aber an einer fürchterlichen Krankheit, die ihr Gesicht zerstört hätte, so, daß Niemand die Leiche daran erkennen konnte, obwohl sie in der Statur, und der Hand mit dem Ringe, der das Familienwappen zeigte, sich als Lady Juliane auswies.«

»Die Leichenschau und mein Mann, der Kaplan und alle Domestiken, die herbei gerufen wurden, Alle konnten den Eid nicht schwören, daß es die Lady sei – die Einzigen, die es thaten, waren der Kastellan und die Kammerfrau; aber diesen war nie zu trauen – , doch das bleibt gewiß, daß sie im Kloster nicht mehr war, daß sie nur noch Novize – mit dem Entschlusse abgereist war, in ihrem Hause zu sterben, doch ob sie wirklich an einer Gesichtskrankheit der Art gelitten, ist nie beantwortet worden.«

»Aber,« sagte Urica – »wir sind weit abgekommen, liebe Mistriß Crafton! wie rettetet ihr euren armen verlockten Gemahl?«

»Ach,« sagte die alte Dame gerührt – »eine unschuldige Frau behält immer Gewalt über das Herz ihres Mannes! – Ich will euch nicht ermüden – ich folgte ihm nach dem Jagdhause und mein bloßer Anblick rettete ihn im entscheidenden Augenblick! Was mir dabei für die Dauer zu Hülfe kam, war, daß Lady Southhesk um jeden Preis die Niederlage ihrer Feindin beschlossen hatte und diesmal in ihrem Gefolge der schönste Mann war, den meine Augen jemals gesehen haben, – ein Mann, der einen Feuergeist hatte, schlagend, wo er es der Mühe werth hielt, zu sprechen, mit einem überlegenen Tugendstolz sich über Alle erhebend, jede Frau gering achtend, bloß, wie es schien, gekommen, um die Bibliotheken des Schlosses zu studiren oder wie der Waldgott selbst zu reiten und zu schießen, wie es kein Mensch ihm nachthat.«

»Da war Lady Julianens Stunde gekommen, er rächte alle die schmählich vor ihm Geopferten und ließ sie ohne Hoffnung und Erwiderung empfinden, was sie nur Andern bis jetzt eingeflößt hatte.«

So beschäftigend diese Nachrichten für Urica waren, konnten sie sich doch gegen die Theilnahme nicht behaupten, welche ihr die Begebenheiten des Tages einflößten, und als Sir Crafton und der Kaplan mit dem Arzt, der sich ihr vorzustellen wünschte, herein traten, vergaß sie Alles über der gefurchten Stirn des Ersteren.

Der Arzt war ein Mann in mittleren Jahren, dessen Aeußeres günstig für ihn einnahm. Er hatte Ruhe und Sicherheit in seiner Haltung und eine gewisse Sorgfalt in Kleidung und Benehmen, welche den gebildeten Mann verrieth. Lord Montrose hatte ihn als Arzt für seine Herrschaft angestellt; er bereiste die Güter und lebte dazwischen in der kleinen Stadt Castletown oder auf dem Schlosse selbst und hatte günstige Proben für seine Einsicht und Geschicklichkeit abgelegt.

»Sir Crafton,« sagte die Marquise, nachdem sie den Arzt begrüßt – »sagt mir jetzt, was ihr von dem traurigen Vorfall in der Nacht heraus gebracht habt!«

»Milady,« sagte Crafton mühsam und mit sichtlicher Ueberwindung – »ich muß bekennen, Nichts was auf irgend eine Weise Licht in die Sache brächte! Der Gemordete ist bis auf die Kleidung fremd, und in irgend zu ermittelnden Umständen liegen keine Gründe vor, weshalb die That verübt sein sollte. Wir haben die Leiche untersucht und außer einer Summe Geldes, die ihm gelassen worden, nicht das kleinste Anzeichen gefunden, welches auf eine Spur führen könnte. Wir haben alsdann das Jagdhaus selbst untersucht, die Ställe, den Erdboden rings herum. Allerdings ist der Stall gebraucht gewesen, aber der Kastellan behauptet, von unsern eignen Pferden, die allerdings untergeführt waren, obwohl gegen meinen Befehl! Hinter dem Baum, wo der Gemordete gefunden ward, sind viele Fußtapfen, aber da ich augenblicklich mit zwei Jägern nach dem Hause zurückkehrte und so ankam, wie die Leiche noch kaum eine Stunde gelegen hatte, beweisen diese frischen Fußtapfen nichts, denn sie können unsere eigenen sein, und nur daß der alte Kastellan und seine Enkelin hartnäckig leugnen, den Schuß und die Unruhe vor dem Hause gehört zu haben, beweist mir, daß der alte Bösewicht darin verflochten ist, aber wir können es ihm nicht beweisen.«

»Das sind traurige Nachrichten,« sagte Urica – »und ich bedaure, nach einem solchen Vorfall Gesellschaft empfangen zu müssen, denn meine freundlichen Nachbarn und ihre Gäste werden dies Haus wenig einladend finden. Ich wünsche jedoch diese Veranlassung fest zu halten, um Lady Southhesk und ihre Begleiter dazu einzuladen, denn so lange wie möglich will ich die Stellung, wie zu geehrten Verwandten meines Gemahls festhalten, und das Dazwischentreten fremder Personen und alter Bekannten wird unser etwas unangenehmes Wiedersehen erleichtern. Ich wünsche daher, daß der Lady diese Vermehrung der Gäste mitgetheilt werde und hoffe, sie wird sich dadurch geneigter fühlen, diesen nöthigen Schritt der Annährung nicht abermals zu verweigern.«

Sir Crafton war sogleich bereit, diese Botschaft der Lady Southhesk zu überbringen, wobei er jedoch bemerkte, die Lady habe sich wirklich noch nicht aus dem Bett erhoben seit ihrer Ankunft, da einer der Kaplane aber zugleich ihr Arzt sei, so habe man keine nähere Nachricht über die Art ihres Uebelbefindens.

»Um so weniger habe ich mich dann über ihr Betragen zu beklagen,« sagte Urica – »und um so natürlicher ist mein Entgegenkommen – solltet ihr aber auch nochmals von Lady Southhesk eine abschlägige Antwort erhalten, so fordert wenigstens, daß die Kinder sich zu mir herunter begeben, denn diese sind von der Verpflichtung mir entgegen zu kommen nicht los zu sprechen.«

Als sich Urica nach ihren Zimmern begeben hatte, äußerten Alle ihr Vergnügen über ihre feste und sichere Haltung, der Arzt konnte seine Bewunderung über ihre glänzende Schönheit nicht lebhaft genug ausdrücken, und selbst der Kaplan lobte ihre fromme und klare religiöse Gesinnung.

Die Glocke läutete zum zweiten Mal, die Mittagsstunde zu melden, und die Zimmer zum Empfang der Gäste hatten sich gefüllt, denn auch nicht Einer, sagte Lady Howard, hätte zurückbleiben mögen. Urica saß mit Lady Howard und einigen Damen in einem vertraulichen kleinen Kreise, und die Begebenheiten des gestrigen Tages, das Gewitter und der Mord, beschäftigten die guten Damen so lebhaft, daß Urica genug zu antworten und zu erzählen hatte. Die Herren gingen und standen in Gruppen umher in Erwartung der Tafelfreuden, welche Alle nach dem raschen Ritt zu begehren anfingen.

Da öffneten sich plötzlich die Thüren, und der ganze Raum, der sich zeigte, verfinsterte sich durch die schwarzen Gestalten, die sich langsam daraus hervorhoben.

Lady Southhesk führte wieder die Kinder und die beiden Kaplane und Lady Franziska Huntley, die bereits erwähnte Schwester der Lady Southhesk, folgten.

Die Lady war todtenblaß, mit blauen, zuckenden Lippen – ihre Augen waren kalt und stolz weit geöffnet, und Anmaßung und üble Laune war auf ihrer ganzen Gestalt ausgeprägt.

Urica ging ihr entgegen und führte Lady Howard am Arm. »Ich freue mich, Milady,« sagte Urica – daß eure Gesundheit erlaubt, meine Gäste durch eure Gegenwart zu erfreuen, denn ich glaube, Alle sind alte Bekannte von Euer Gnaden.«

Diese Anrede blieb ohne Erwiderung, aber die Lady neigte leicht gegen Urica den Kopf, und Lady Howard erkennend, sagte sie zu dieser:

»Willkommen, Lady Howard – ich wußte nicht, daß ihr in Allsborne seid, ich hätte euch meine Ankunft sonst melden lassen – ich befinde mich sehr schlecht, aber es giebt Lagen, worin uns nicht einmal erlaubt ist, ohne Belästigung krank zu sein. Nun, ich bin aufgestanden, wir werden sehen, was daraus wird. Guten Tag, Lord Howard,« so fuhr sie fort, Herrn und Damen aus der Gesellschaft anzureden und zu begrüßen, als wäre sie die Herrin des Hauses und Urica nicht vorhanden.

Dagegen hatte Lady Franziska die Kinder von der Hand ihrer Schwester losgenestelt, wofür ihr ein wüthender Blick zu Theil ward, und führte sie jetzt Beide zu Urica, welche ruhig und ohne eine Miene zu verziehen, auf den Arm der teilnehmenden Lady Howard gestützt stand und die Verfahrungsart der Lady Southhesk beobachtete.

»Milady,« sagte Lady Franziska mit leiser, heiserer Stimme – »ich stelle euch Lord Harry und Lady Graham, die Kinder des Lord Montrose, vor.«

Urica blickte jetzt auf beide Kinder; der schöne elfjährige Knabe richtete seine großen blauumränderten Augen auf sie, und trotz dem, daß der arme Knabe heute noch kränker und melancholischer aussah, erkannte Urica doch die Grundzüge seines Vaters in diesem kleinen Gesicht, und gerührt von diesem Anblick rief sie, ihre Hand liebevoll auf seine Schulter legend – »O du liebes Kind, wie siehst du deinem herrlichen Vater so ähnlich!«

Bei diesen Worten glitt ein mattes Lächeln über des Knaben Angesicht, und er betrachtete Urica mit sichtlichem Vergnügen; diese bog sich von diesem ersten Zeichen der Annäherung gerührt, zu ihm nieder und küßte seine Stirn, als sie im selben Augenblick auf ihrer Wange eine kleine feuchte Hand fühlte, und sich aufrichtend sah sie noch, wie das kleine, häßliche Mädchen ihr Gesicht von ihrem Bruder abdrängen wollte.

»Lady Graham ist eifersüchtig,« sagte Lady Franziska, etwas verlegen lächelnd – »sie wünscht von euch nicht übersehen zu werden.«

Als ihr Urica aber die Hand reichte, machte sie die ungesittetste Bewegung mit dem Munde über dieser schönen Hand, lachte boshaft auf und steckte beide Hände auf den Rücken.

Sie bekam einen kleinen Stoß von ihrer Tante, drehte sich aber plötzlich um und schlug nach deren Hand, indem sie wild aufschrie.

Urica war über diesen Auftritt empört, und mit der ganzen Würde und Strenge, die sie so wohl annehmen konnte, sagte sie:

»Du bist ein ungesittetes Kind, welches dem Namen, den es trägt, durch sein Betragen Schande macht. Verlaß mich augenblicklich – du gehörst nicht in anständige Gesellschaft.«

Zur selben Zeit reichte sie dem kleinen Harry die Hand, doch seine Schwester warf sich wie ein Dämon über ihren schwächeren Bruder, drängte ihn unter heftigem Geschrei zurück, und als Urica die Hand des Knaben näher zog, um ihn zu schützen, biß sie plötzlich mit der größten Wuth in diese Hand.

»Mein Gott, Lady Franziska, wie kommt es, daß dies Kind so entsetzlich unartig ist,« sagte Urica – »und warum entfernt ihr das böse Mädchen nicht, es mißhandelt ja förmlich seinen Bruder?«

»Es sind besondere Umstände,« sagte Lady Franziska beleidigt – »die berücksichtigt werden müssen. Lady Graham ist gereizt worden, und Euer Gnaden haben Lord Harry so auffallend den Vorzug gegeben, daß dies wohl beleidigend wirken mußte. Meine Nichte hat hohes Ehrgefühl – sie fühlt ihre falsche Stellung.«

»Was ihr hier äußert, Lady Huntley, wird allerdings nicht der Weg sein, dies arme Kind zu bessern; denn so unverständlich mir das ist, was ihr sagt, wird sie doch fühlen, daß ihre Unarten vertheidigt werden.«

Etwas beschämt gebot Lady Franziska Stille, die aber nicht erfolgte, denn das Mädchen hielt den Knaben, den Urica losgelassen, umklammert und schlug mit den Füßen hinten aus, indem sie ein wahrhaft dämonisches Geschrei ausstieß –

»Lady Graham,« fuhr die Tante fort – »ist kränklich gewesen – sie mußte geschont werden, und ihre Reizbarkeit stammt noch daher – wir werden schon zugeben müssen, daß sie ihren Bruder mit wegführt, sie wird sonst nicht fortzubringen sein, und der Kleine wird nachher darunter zu leiden haben.«

Empörend war es zu sehen, wie Lady Southhesk in einiger Entfernung zwischen zwei Herren stehend, mit den sichtlichsten Zeichen der Befriedigung auf dies widrige Schauspiel blickte, ohne den kleinsten Versuch, diesen Zustand zu beendigen, mit der Miene, als ginge sie Alles dies nichts an. Dabei nahte sich ihr der eine Kaplan einige Male und flüsterte ihr einige Worte zu, auf die sie mit keiner Miene, mit keinem Worte antwortete, sondern entschlossen und unbeweglich auf diese Scene ihre Augen heftete.

Urica war aber nicht gesonnen, sich diesen geheimen Kampf, der mit ihr durch diese Kinder geführt ward, leidend gefallen zu lassen – mit sonorer, klingender Stimme rief sie plötzlich zwei Lakaien, die kochend vor Wuth an den Thüren diesen Beleidigungen ihrer Herrin zugesehen hatten – »Nehmt diese Kinder auf den Arm und tragt sie zu ihren Wärterinnen! Erst wenn sie versprechen, sich ganz anständig zu betragen, wird es ihnen erlaubt sein, wieder zu kommen.«

Nun trat nur noch ein kurzer Widerstand ein, und fast im selben Augenblicke saß Lady Graham hoch auf dem Arme des riesigen Lakaien, während Lord Harry weinend nachzugehen versprach, und Beide waren in wenig Augenblicken zur Thür hinaus.

»Wie!« rief Lady Franziska, hochroth die Hände zusammen schlagend – »die Kinder von Lord Montrose zur Thür hinaus geworfen?«

»Milady,« sagte Urica fest – »ich werde jetzt verlangen, die Kinder meines Gemahls täglich zu sehen, um zu erfahren, ob sie wirklich so verwahrlost sind, als es das Ansehen hat – seid aber sicher, ich werde sie jedesmal zur Strafe aus meiner Nähe verweisen, wenn ihr Betragen sich nicht ändert.«

»Und mit welchem Recht?« fragte Lady Franziska höhnisch.

»Mit dem Recht der Gemahlin des Marquis von Montrose,« entgegnete Urica fest.

Diese entschlossene Handlung hatte Lady Southhesk nicht erwartet, obwohl der Kaplan sie Urica zugetraut und schon einige Male die Lady gebeten hatte, einzuschreiten. Aber die rachsüchtige Frau dachte an nichts, als Urica durch diese Kinder zu demüthigen und in ihren Rechten zu beeinträchtigen; als sie sah, daß sie gerade dazu dienten, Uricas Rechte zu heben und außer Zweifel zu stellen, als sie Lady Graham auf dem Arm der Lakaien mit dem wahnsinnigsten Geschrei und mit fest gehaltenen Händen und Beinen zur Thür hinaus tragen sah, da überwältigte der Zorn einen Augenblick ihre Besinnung, und sie machte ein paar lange Schritte, als wollte sie sich auf Urica stürzen. Aber der Kaplan hatte sie gut im Auge behalten, er trat ihr so entschieden in den Weg, daß sie nicht weiter konnte, und Urica wendete sich schnell zu den übrigen Damen, die ihre Beleidigung zu theilen schienen und sah, daß sie der Lady Southhesk den Rücken kehrten, um ihr Zeit zu geben, zu der Haltung zurück zu kehren, die für Alle nöthig war, um diese Störung zu vergessen. Lady Franziska hatte aber die Halle verlassen und Urica beschloß, dies zu übersehen.

Eine wohlthuende Veränderung brachte es hervor, daß die galonnirten Diener, an ihrer Spitze der Haushofmeister mit weißem Stabe, herein zogen und die Tafel anmeldeten.

Urica näherte sich nun mit ihrem herrlichen Anstande dem Lord Howard und bat ihn, der Lady Southhesk den Arm zu geben.

Wir wollen die Stunden überspringen, die durch die Spannung, welche in der Gesellschaft hervorgerufen war, sich unmöglich zu der harmlosen Heiterkeit erheben konnten, welche hervorzurufen in der natürlichen Richtung der größeren Zahl von Uricas Gästen lag. Die Nähe der Lady Southhesk, obwohl sie sich bis zu einer gewissen ruhigen Haltung überwunden hatte, lag doch wie ein Alp auf allen Anwesenden, und ihr Ruf war bei den Meisten so schlecht angeschrieben, daß sich die geheimnißvollen Scenen der Nacht an ihre Gegenwart anknüpften und man eine Art Grauen empfand und die gesellige Höflichkeit kaum ausreichen wollte, um den Verdacht zu bewältigen, wodurch man ihr eine ganz abweichende Behandlung zuerkannte.

Urica, die fest entschlossen war, sich durch nichts irren zu lassen und ihre ganze Stellung zu behaupten, hatte sogar den andern Platz an Lady Southhesk's Seite eingenommen und bewies ihr alle Höflichkeit der Wirthin, und suchte, da ein Privatgespräch zu unterhalten unmöglich war, die allgemeine Unterhaltung auch auf ihre Nachbaren zu lenken und sie darin zu unterstützen.

Als die Damen jedoch die Tafel verließen, erklärte Lady Southhesk, ihre Gesundheit erlaube es ihr nicht, länger in Gesellschaft zu bleiben, und mit dem höhnischen Lächeln der Verachtung entfernte sie sich zur großen Erleichterung der ganzen Versammlung.

Als Urica am Abend allein in ihre Gemächer zurück kehrte, öffnete sie mit der größten Sehnsucht nach Ruhe und Luft die Thüren nach der schönen einsamen Felsterrasse, über welche der Mond ein sanftes Licht verbreitete und worüber die pittoresken Schatten der spitzigen Kronen der alten Föhrenwand lagen. Nur das sanfte Rauschen des Wasserfalls, der kunstreich geleitet am Fuße des Felsens hinglitt, drang durch die Stille des Abends, der wie Balsam Uricas gepreßtes Herz berührte. Wie klein, wie gering wurden ihr die Quälereien, welche die Leidenschaften der Menschen über einander verhängten; wie fühlte sie, daß in ihr selbst große Veränderungen vorgegangen waren; daß ihre Seele mit der Erkenntniß ihrer eignen Fehler aus diesem beleidigenden Zusammentreffen mit bösen Menschen hervor gegangen war, und indem sie in kräftiger Auffassung dies festhielt, fühlte sie mit einer Andacht, wie sie erst jetzt in ihr Herz kam, daß sie Gott für diese Schmerzen danken müsse. Wenn diese Auffassung sie gegen eine entnervende Betrübniß über die ihr zufallenden Belästigungen sicherte, blieben ihre Gedanken mit mehr Sorge dabei haften, wie sie es Montrose mitzutheilen habe, was hier geschehen war, ohne ihn zu heftigen Ausbrüchen des Zorns und zu großer Unruhe über ihre Lage zu treiben, und immer wieder kehrten ihre Gedanken auf die Scene dieser Nacht zurück und die verschiedensten Vermuthungen stiegen darüber in ihr auf, wobei Argyle, den sie in dem alten Schäfer, der ihr Pferd durch den Hohlweg geführt, wieder erkannt hatte, seinen Platz bekam, und der Gedanke, daß er in ihrer Nähe und zu so kühnen Wagnissen entschlossen sei, ihr eine unheimliche Unsicherheit gab.

Urica verließ endlich ihr Zimmer und wandelte in der frischen, erquickenden Nachtluft gedankenvoll auf und nieder; aber die schwermüthigen Gedanken verflüchtigten sich endlich – ein unaussprechlich zärtliches Gefühl für Montrose blieb allein in ihrer Brust zurück, und mit ihm ein Gefühl von Glück, von Befriedigung, daß es ihr schien, sie allein dürfe über keine äußeren Störungen klagen, da sie ihn liebe – von ihm geliebt werde.

Sinnend blieb sie, mit dem Gesichte dem Schlosse zugewendet, gegen die Brüstung des Felsens gelehnt, als sie plötzlich die dunkle Fensterreihe, die bis zu ihrem Gemache lief, von schnell eilenden Lichtern erhellt sah, mehrere Gestalten folgten durch die Zimmer. Vor ihrem Kabinet hielten Alle an – nur eine Gestalt machte sich nach kurzer Besprechung mit den Andern aus dieser Gruppe los und betrat alsdann ihr Kabinet.

Urica's Athem schwand – sie blieb an den Boden gefesselt, obwohl sie wußte, daß ihre weißen Nachtkleider sie augenblicklich verrathen würden. Sie behielt aber wenig Zeit – im hellen Mondlicht sah sie eine hohe unverkennbare Gestalt über die Terrasse eilen, ein Schrei entglitt Urica's Lippen und Montrose schloß sie an sein hochklopfendes Herz.

Unmöglich hatte er den Weg zu den Ufern des Tweed, wo er sein Armeecorps sammeln sollte, zurücklegen können, ohne durch eine Combination, welche in der Schnelligkeit, mit der er gereist war und seine Reise fortzusetzen dachte, bestand – sich vierundzwanzig Stunden für Urica zu ermitteln, nach der seine Sehnsucht ihm fast seine Ruhe geraubt – und vierundzwanzig Stunden – wie kurz mußten sie unter Menschen werden, die sich noch so wenig gesagt hatten, und schon in die reichsten und innigsten Beziehungen des Lebens getreten waren. Aber sie waren auch Beide dazu geschaffen, das kostbare Geschenk dieser kurzen Zeit zu benutzen und neuen Grund für ihr Glück in einander zu finden und für die Zukunft neue Sicherheit in ihre Entschlüsse zu bringen.

In diesen ersten Stunden hielt Urica jede Mittheilung von Montrose ab, die ihn über die Schwierigkeiten in ihrer Lage hätten aufklären können; auch lag es in Beider höherer Natur, daß der Zustand ihrer Herzen, die Erlebnisse ihres Geistes in dieser neuen Welt ihrer Liebe, sich den Mittheilungen über äußere Begebenheiten voran drängten, und ihnen der wichtigste und zugleich entzückendste Gegenstand ihrer Mittheilungen ward.

Erst am andern Morgen, als der Tag Handlungen von ihnen forderte und Montrose den erfreuten Sir Crafton zu sich beschied, benutzte Urica dessen Anwesenheit, um ihm die Art, wie Lady Southhesk hier eingezogen war, so schonend als möglich mitzutheilen. Montrose hörte sinnend lächelnd und seine junge Gemahlin beobachtend diese Nachricht an; in seinen Mienen lag ausgedrückt, daß er sehr wohl zu ergänzen wußte, was Urica verschwieg oder milderte.

»Also diese Angelegenheit müssen wir zuerst berichtigen« – sagte er dann lächelnd – »und ich werde der Lady Southhesk zuerst meinen Besuch machen.«

Als Beide wieder allein waren, theilte ihr Montrose über die öffentlichen Verhältnisse seine Ansichten mit, und diese waren allerdings äußerst trübe und Urica hatte Gelegenheit zu bemerken, daß sein Vertrauen zum Könige wieder im Abnehmen war, da sich Hamiltons zweideutiges System wieder Geltung verschafft hatte und er hieraus den Untergang des Königs prophezeite. Seine eigne Stellung erwähnte er zwar dabei nicht, aber daß sie gefährlich und unsicher und bei seinen freien Gesinnungen durch die Vermittlung zwischen Schottland und dem Könige, die er immer festhielt, selbst zweideutig und ihm drückend war, konnte er nicht verbergen, und nöthigte sich Urica wie die einzige wahre Sorge auf. Sie theilte ihm der Wahrheit nach ihr Zusammentreffen mit dem Boten in der Nacht des Attentats mit und sie sah, wie die nahe Berührung dieser beiden Begebenheiten schnell eine drohende Falte auf seiner Stirn zusammenzog und er ihr Zusammensein abkürzte, um sich Sir Crafton's Berichte darüber vorlegen zu lassen.

Seine Abwesenheit schien ihr sehr lang und Sir Crafton kam, um ihr zu sagen, daß der Marquis sich zugleich zu Lady Southhesk begeben habe.

Als er endlich zu Urica eintrat, führte er an seiner Hand den jungen Lord Harry, dessen schönes leidendes Gesicht von einem rührenden Ausdruck der Freude belebt war, und der sich mit Vertrauen und Liebe an die Hand seines Vaters drängte, die er wiederholentlich küßte.

»Hier, Urica, bringe ich euch vorläufig, was ich von meinem Eigenthum habe retten können. O! glaubt mir, Harry ist ein lieber Knabe, der eurer mütterlichen Liebe werth ist!«

Urica zog den sanften hingebenden Knaben an ihre Brust und küßte zärtlich seine Stirn. »O Montrose! wie glücklich würde es mich machen, wenn dieser holde Knabe sich meine Liebe gefallen ließe und sie nur in etwas erwidern wollte.«

»Wie ist es Harry« – sagte Montrose – »wirst du meiner gütigen Gemahlin, die jetzt deine Mutter geworden ist, nicht gern kindliche Liebe erweisen wollen?«

Der Knabe erröthete und ward dadurch noch viel schöner; aber nachdem er Urica einen Augenblick zärtlich angeblickt hatte, trat er schüchtern zurück, blickte ängstlich im Zimmer umher und sagte seinen Vater bittend ansehend: »Wirst du mich auch schützen?«

Montrose seufzte und sagte schwermüthig: »Ja, mein Sohn!« Da wendete sich der Knabe, stürzte vor Urica nieder und barg weinend sein Gesicht in ihren Schooß.

Dies erschütterte Beide tief und Urica strich über seine weichen braunen Locken, ohne zu sprechen.

»Ich wußte es wohl, daß du gut bist,« sagte der Knabe dann sich aufrichtend – »und ich werde nie thun, was dich betrübt, wenn die Andern mich auch schlagen und du wirst nicht zu meinem Unglück helfen, du wirst mich nicht hassen!«

Der Knabe verrieth all' die Einflüsterungen, die ihn von Urica hatten trennen sollen, ohne zu ahnen, wie viel er dadurch seinem bekümmerten Vater verrieth; aber Beide waren bemüht, die Aufregung des armen Kindes zu beschwichtigen und sie führten ihn in die Luft hinaus, und als sie ihm versprochen hatten, daß er den Tag über bei ihnen bleiben sollte, gab ihm Urica ihre schönen Gebetbücher mit feinen Miniaturen angefüllt und überließ ihn in einem Nebenzimmer sich selbst.

»Urica,« sagte Montrose – »wenn ich nicht zu den härtesten Maaßregeln schreiten will, so komme ich nicht hinter die Wahrheit der Zustände dort oben. Meine Schwiegermutter versteht die Verstellung so vollständig, daß ich sie zu keiner offnen Erklärung in Bezug auf diese Kinder habe bringen können. Ich fand sie im Bette, bei meinem Anblick in Thränen zerfließend, und nur von ihrer Tochter, der unglücklichen Mutter dieser Kinder, sprechend. Lady Franziska ist wirklich abgereist, weil sie behauptet, ihre Ehre hätte es nicht länger erlaubt zu bleiben. Meine Tochter liegt allerdings im Fieber in ihrem Bette und ich habe nicht ergründen können, ob es Krankheit oder Bosheit war, daß sie mich nicht erkannte. Der Kaplan führte mir dagegen augenblicklich Harry zu, den ich im Unterricht bei ihm fand und der mich durch die treuherzigste Freundlichkeit zu beruhigen suchte.«

»Mein kaltes und nicht zu erschütterndes Betragen hat sie dennoch überzeugt, daß sie Alle wenig Eindruck gemacht haben, und nachdem ich eine Zeit lang mit meinen Kindern gewesen war und alle Bemühungen, meine arme kleine Jane zum sprechen zu bringen, mißglückt waren, ward ich zu Lady Southhesk zurück gerufen und sah, daß sie unterdessen einen Entschluß gefaßt hatte. Sie erklärte mir, daß sobald es die Gesundheit von Lady Jane erlaube, sie abreisen werde und daß sie mich an mein Versprechen erinnere, meine Tochter ihrer Erziehung zu überlassen, daß sie dieselbe daher mit zurück nehmen werde. Wenn ich aber darauf bestände, meinen Sohn ihr zu nehmen, so würde ich mich doch meiner Verpflichtung nicht entziehen und würde ihm seinen geistlichen Führer beigeben und der Kaplan O'Reil wäre erbötig, mit dem Knaben alsdann zurück zu bleiben.«

»Urica,« fuhr Montrose bewegt fort – »ich habe bei dieser kurzen wohl überlegten Mittheilung alle Strafen durch empfunden, die mein jugendlicher Leichtsinn über mich brachte. Es ist eine Warnung für Alle, die geneigt sind, die einflußreichste Verbindung des Lebens früher zu schließen als Vernunft und Einsicht zur Reife gekommen; immer werden solche Unmündige das Opfer derjenigen werden, die ihre Verhältnisse zu ihren Zwecken auszubeuten trachten, und wir werden durch Versprechungen, die wir leichtsinnig und ahnungslos in der Jugend machen, uns in späteren Jahren gefesselt finden, wo wir zugleich die bösen Folgen derselben einsehen und die Unverletzlichkeit unseres Wortes noch höher achten gelernt haben.«

»Lady Southhesk hat zu Allem Recht, was sie fordert; ich muß es als eine Nachgiebigkeit ansehen, daß sie mir Harry läßt, ich würde es ihr sogar anrechnen, wäre ich nicht überzeugt, daß sie ihren Vortheil wohl dabei geprüft hätte und in dieser Anordnung die Anknüpfung irgend eines neuen Plan's verborgen läge; denn es ist dieser ewig intriguirenden Partei um jeden Preis wichtig, nur erst auf einem Platz, den sie einnehmen wollen, Fuß zu fassen; sie fangen mit den kleinsten Vortheilen an, die ihnen nicht bestritten werden und enden mit der Besitznahme des Ganzen! Dennoch gewährt es mir Trost, dies Kind, wenn auch eurem ganzen Einfluß entzogen, dennoch unter euren Augen lebend zu wissen; dies wird wenigstens verhindern, daß die starre, finstere Bornirtheit in ihm vorwaltend bleibe, die so lange als möglich ihren ausersehenen Opfern erhalten wird, um sie ihren Zwecken bequem zu machen.«

»Faßt Muth, theurer Freund,« sagte Urica – »wir wollen uns die Hand geben, um auf jedem Schritte unseres Lebens das Rechte zu thun. Wir wollen nicht zu weit in die Zukunft blicken, sie verwirrt leicht mit ihren verworrenen Eindrücken unsere nöthige augenblickliche Stimmung, und aus dieser allein erwächst die Zukunft, wie wir sie ertragen können, selbst wenn sie nicht eine glückliche bliebe!«

Montrose küßte mit innigem Dankgefühl Urica's Hand und fuhr dann fort – »Lady Southhesk bat mich zuletzt, sie gegen euch zu entschuldigen, da sie krank und traurig, vielleicht den rechten Ton gegen euch verfehlt, sie werde, sobald sie das Bett verlassen könne, ihre begangenen Fehler gut zu machen suchen, doch für heute müsse sie sich entschuldigen.«

»Ich hoffe,« sagte Urica – »ihr habt euch mit dem Allen vollständig zufrieden erklärt; mir scheint es eine unendliche Wohlthat, daß wir von den wenigen Stunden, die uns gegönnt sind, nicht noch einige zu so lästigen Förmlichkeiten, wie ein Besuch von Lady Southhesk wäre, verschwenden müssen!«

»So dachte ich auch!« rief Montrose, seine Sorgen einen Augenblick bei Urica's strahlenden Augen vergessend. Aber wie leicht und belebt den Liebenden nun auch die Stunden hinschwanden, Urica fühlte doch, daß sich zu schnell eine kleine Wolke auf der Stirn des Geliebten zu sammeln vermochte – und auch in ihrem Herzen blieb eine Sorge zurück, über die Beide zögerten, sich auszusprechen; endlich schien das Vertrauen und die Hingebung Alles, was in ihnen lebte, erörtert zu haben und nun vor diesem letzten Rückhalt still zu halten, mit der Forderung, dies ebenfalls durch Mittheilung aus seiner schweren Belästigung hervor zu heben. Urica nannte zuerst Argyle – und sie achtete Montrose zu sehr, um ihn durch eine furchtsame Schonung länger in Zweifel zu lassen über ihre Befürchtungen hinsichtlich seiner. Sie fand ihn auch, wie sie es erwartet hatte, mäßig, ohne Heftigkeit, mit mehr Betrübniß als Zorn.

»Unsere arme Königin wird nur zu sehr Recht haben,« sagte er dann – »wir werden in ihm einen unversöhnlichen Feind haben. Versuchen wir es, uns zu wehren. Ich muß mit Sir Crafton über die Sache sprechen, und ich hoffe, ihr, theure Urica, werdet euch den Maaßregeln, welche die Vorsicht nöthig machen, nicht widersetzen, aus Liebe zu mir.«

»Aber,« rief Urica, nachdem sie eingewilligt hatte, plötzlich von ihrem Gefühl hingerissen – was denkt ihr von dem Attentat in der Nacht – und daß dies grade zusammentreffen mußte mit der Ankunft des königlichen Boten?«

Montrose bog sich ein wenig bei diesen Worten zurück und sein schönes Gesicht erglühte einen Augenblick – Urica sprang mit einer Lebhaftigkeit, wie ihr Gemahl sie zuerst an ihr sah, empor, und die Hände angstvoll zusammenschlagend, rief sie bleich und in Thränen ausbrechend: »O, meine Ahnung! Ihr haltet euch für verrathen!«

»Faßt euch, Urica,« sagte Montrose mit Ernst und Ruhe, sie in seine Arme ziehend – »es sind alle Maaßregeln getroffen, die möglich sind! Der Gemordete ist der Bote – das ist außer Zweifel!«

Ein Schrei Urica's unterbrach ihn. – »Dann – dann,« stammelte sie – »dann war der Bote, dem ich euer Geheimniß auslieferte, Argyle!«

»Ich zweifle daran nicht,« sagte Montrose mit Ruhe – »aber auch Crafton hat an Verrath gedacht, ohne von dem Zusammenhange mehr als Ahnungen zu haben, und hat seinen tüchtigen, entschlossenen Charakter bewahrt, indem er sogleich die Spur des Verräthers mit dem schnellsten und stärksten Pferde und dem zuverlässigsten Reiter verfolgen ließ.«

»Und,« rief Urica, da Montrose schwieg.

»Wir erwarten ihn noch zurück! – Aber, Urica, diese Umstände werden sich wahrscheinlich nicht mehr günstig stellen, diese List ist unserm Feinde gelungen, obwohl es zu enträthseln bleibt, wie er das Losungswort erfuhr – darüber aber müssen wir als über eine unwiderrufliche Sache abschließen und den Folgen mit der muthigen Frage begegnen, was wir dann zu fürchten haben, wenn dieser Brief bekannt wird! – Ich werde angeklagt werden,« fuhr er entschlossen fort und zog die zitternde, zusammenbebende Urica fester an seine Brust – »aber wenn sie diesen Mißgriff begehen, werden sie ihn bereuen, denn er wird sie eben so bloß stellen, wie sie es für mich hoffen.«

»Wir sind mit dem Könige nicht im Kriege – im Gegentheil hat Schottland eine heuchlerische Stellung gegen ihn angenommen, welche Dankbarkeit für seine Nachgiebigkeit ausdrücken soll – wenn meine Feinde daher wagen, mich wegen der Rathschläge anzuklagen, die ich dem Könige gebe, so werde ich sie aus ihrer falschen Heuchelei heraustreiben, und sie werden in ihrer entehrenden Hinterlist dastehen, oder ich werde sie zwingen, meine Handlung als mit der Pflicht jedes loyalen Unterthans übereinkommend anerkennen zu müssen.«

»Dagegen, Urica, wird meine Stellung in der Mitte meines Armeecorps, welches mir blind, ich darf sagen enthusiastisch anhängt, eine solche sein, die sie zu schonen haben werden, und – genug, Urica, so wenig mir mein Gewissen Vorwürfe macht über diese Handlung, so ruhig gehe ich den Folgen entgegen, und bin jetzt froh, daß auch dies letzte Vertrauen unter uns nicht ausblieb, da es mir nur noch selbst zusteht, euch eine wahrhafte Ansicht der Sache zu geben, die euch vielleicht unnöthig erschreckt hätte, wenn der Verlauf zu eurer Kenntniß gekommen wäre, ohne die Vorbereitung.«

Montrose hatte Urica richtig beurtheilt; so wie sie aus dem unbestimmten Dunkel der Sorge gerissen ward, kehrte Ruhe und Fassung in ihr Herz zurück.

*


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