Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Gräfin von Casambort kehrte ebenfalls mit völlig zerstörter Ruhe nach dem Fürstenhofe zurück. Es war ihrem Charakter in aller Art Widerstand geschehen, und sie war halb erstaunt, halb erzürnt über die Nachgiebigkeit, die sie gezeigt, und fühlte sich eben so aufgeregt, wenn sie sich eingestehen mußte, daß sie noch mehr verloren, noch weniger zu ihren Wünschen gekommen wäre, wenn sich Alles nach ihrem Kopf gefügt hätte.

Die Gräfin Comenes verschaffte ihrem jungen verzogenen Schützling aber bei solchen Gelegenheiten einen Zwischenakt, denn indem sich Urica schmollend in die Kissen ihres Fenstersitzes drückte und nicht antwortete und alle Zeichen von Kränkung und gerechtem Unwillen darlegte, bemühte sich diese, ihr mit langweiliger Breite und völlig aus der Bahn gleitenden Gründen zu beweisen, es hätte nicht anders sein können – und es wäre so besser.

Dadurch entstand immer, daß Urica alle Geduld verlor, den Unsinn der gnädigen Frau Gräfin wie mit der Schärfe des Schwertes kurz und bündig widerlegte und damit gegen ihren Willen den Umständen, die eigentlich ihren Unmuth erregt hatten, zu ihrem Rechte in sich verhalf.

Es war dies auch wieder der Fall, als Urica all' die Trostgründe hatte hören müssen, die immer das Ziel verfehlten. »Ich schwöre es euch, Gräfin,« schloß sie endlich ihre Rede, worin sie ihre innere Heftigkeit los geworden war – »ich schwöre es euch, ich werde hierher zurückkehren – ich werde das Schicksal meiner Verwandten überwachen helfen, und ich will mir meine Unabhängigkeit, die ihr Alle bereit seid, mir rauben zu wollen – ich werde sie mir erhalten – um Keinem ein Recht über meine Handlungen zugestehn zu dürfen.«

Die Gräfin Comenes pflegte auf eine halbe Stunde empfindlich zu werden, wenn sie so zum Schweigen gebracht war, und sich ceremoniös zu empfehlen. »Ich habe nur noch anzuzeigen,« sagte sie, sich verneigend – »daß Ihro Majestät Euer Gnaden vor der Tafel zu sprechen wünscht – und daß das ganze Gefolge orange Bandschleifen tragen soll.«

Urica hatte kaum noch Zeit, an dem weißen, mit Silber durchwirktem Stoff ihrer Robe, den ein Mieder von dunkelrothem Sammt um den schlanken Körper mit Spangen von Juwelen festhielt, die verlangte Schleife zu befestigen. Von derselben Farbe des Mieders war das Unterkleid und die Schleifen des Silberstoffs – und über dem, mit einem purpur und Gold durchwebten Netze, welches das schöne goldne Haar trug, schwebte eine kleine flache Mütze mit einer Blume von Brillanten, aus deren Kelch zwei zart gekrümmte weiße Federn Nacken und Ohr umtanzten.

Als sie das Vorzimmer der Königin betrat, hörte sie aus dem Nebenzimmer, was unmittelbar vor dem Kabinet der Königin lag, lautes Gelächter. Sie blieb stehn und erkannte augenblicklich die Stimme der Lady Sophia Lindsay, der fünfzehnjährigen Tochter des katholischen Earls of Balcarras, welche als Hoffräulein zu dem englischen Gefolge der Königin gehörte. Dies Kind, welches alle Unarten einer verzogenen einzigen Tochter an sich hatte, dabei aber den ganzen Zauber verführerischer kindlicher Reize, war der jungen Witwe von Casambort oft ein Stein des Anstoßes gewesen, besonders da sie ihre Liebe zu Argyle mit dem sorglosen Uebermuth eines Kindes zur Schau trug, welches gewohnt war, sich allen seinen Neigungen ungestraft hinzugeben.

So sehr die stolze und kluge Urica sich beherrschte, hielt dies doch nicht immer vor gegen den Uebermuth der jungen Sophia, welche die Feindin ihrer Liebe in Urica ahnte, und dem klugen Argyle entging zu seiner großen innern Befriedigung nicht, daß er der Grund der sichtlichen Antipathie unter den beiden Schönheiten war, und er verdarb es mit keiner, um in dieser angenehmen Schwebe den Vortheil zu ziehen, der nicht ausblieb.

Es hemmte einen Augenblick ihren Schritt, aber da sie über jede Schwäche in sich zürnte, überwand sie sich sogleich und ging bis zur offnen Thür vor. Hier war sie jedoch nicht im Stande, sogleich weiter zu gehn, denn ihr Erstaunen war gerechtfertigt, als sie die schöne Sophia Lindsay auf dem Fensterbrette stehen sah, Argyle auf dem Sitz hinter ihr und sie mit beiden Händen, die er um ihre Taille gelegt hatte, festhaltend oder hebend.

»Höher! höher!« rief Sophia dabei unter immerwährendem Gelächter, welches Argyle mit den anmuthigsten Späßen zu unterstützen wußte – dabei angelte sie mit ihren kleinen weißen Händchen und ihrem Pfauenfächer, welcher schon halb geknickt niederhing, nach einem Gegenstand außen am Fenster, den Urica, als sie den Blick von der Fenstergruppe abziehen konnte, für ein Vogelnest erkannte, was in der marmornen Rosette der Fenstereinfassung steckte.

Urica blieb gegen ihren Willen stehen. Eine Ahnung sagte ihr, das Ende dieser Scene müsse erst ihre Bedeutung entscheiden, und eben hatte Sophia das Nest herausgerissen, barg es an ihrem Busen und schickte sich an, wie ein ausgelassener Knabe vom Fenstersims herunter zu springen, als Argyle mit unverkennbarer Zärtlichkeit dies verhindernd, sie in seinen Armen auffing und auf die Erde setzte; aber im selben Augenblick zog er sie noch einmal an sich und drückte auf ihren kleinen Mund einen lebhaften Kuß.

Sophia schrie und schlug nach ihm, und er ließ sie sogleich los, indem er nur ihre eine Hand festhielt und, sein Knie vor ihr beugend, hoch und theuer schwur, er wolle sie nicht eher los lassen, bis sie ihm vergeben habe.

»Abscheulicher, unbändiger Argyle!« rief das junge Mädchen, und sträubte sich, ihm ihre Hand zu lassen, indem sie in der andern das Nest voll quickender Vögel an ihrer Brust festhalten mußte – »ich werde dir das nie vergeben!« Aber indem lachte sie hell auf, und Argyle war nun seiner Versöhnung so gewiß, daß er ihre Hand los ließ, aufsprang und in einer sehr lustigen Pirouette, welche dem Geschmacke dieses halben Kindes eine Huldigung war, die Urica wohl verstand, sich ein paar Mal vor ihr umdrehte.

Aber die Strafe für diese männliche Koketterie folgte auf dem Fuße, denn mitten in dem Wirbel sah er Urica und bedurfte seiner ganzen Gewandtheit, um still stehen zu können und sie zu begrüßen, wie sie es erwarten durfte.

Urica ließ ihn die volle Beschämung dieses Augenblicks durchfühlen, indem sie ihn kalt und ohne zu sprechen von oben herunter überblickte – da aber auch Sophia ihre Feindin erkannt hatte, hemmte auch diese ihr Lachen, und indem sie geärgert vorschritt, sagte sie mit ironischem Ton und vielen Knixen: »Verzeiht, erhabene Witwe von Casambort, daß zwei junge lustige Kinder vor euren gestrengen Augen sich einiger Lustigkeit überließen; seid gewiß, daß sie augenblicklich entschwunden ware, wenn wir die Gegenwart der ehrwürdigen Witwe geahnt hätten.«

»Ihr habt mich schon hinreichend an eure Sitten gewöhnt, mein Fräulein,« sagte Urica mit kaltem gleichgültigen Ton – »und ich habe bis jetzt nicht gewähnt, daß ich euch Zwang auflegte. Nach dem jedoch, was ich eben gegen meinen Willen sah, muß ich mir Glück wünschen, daß ich diese Art von Lustigkeit verscheuche, denn sie paßt allerdings nicht zu meinen Sitten.«

»Das ist erhaben und schön ausgedrückt,« fuhr das unartige Kind fort – »und es gehört der mir angeborene Muth der Grafen von Balcarras, meiner großen Ahnherren, dazu, um vor den zündenden Strafpfeilen eurer blauen Taubenaugen nicht zu einem Häufchen Asche zu verglimmen.«

»Mein Fräulein,« sagte Urica rasch – »treibt diese Späße mit eurer Kinderfrau oder Erzieherin und seid so gut, mir zu sagen, ob ihr den Dienst bei Ihrer Majestät habt und thut dann eure Schuldigkeit und meldet mich.«

»Ich – ich? Sophia Lindsay Dienst? Dienst? was ist das? Ach so, jetzt besinne ich mich – ja – Sophia Lindsay hat Dienst – habt ihr's denn nicht gesehn? – Vogeldienst hatte ich – dort auf der Stange saß ich mit Argyle – und jetzt habe ich wieder Dienst, denn ich muß meinen süßen kleinen Vögeln Futter geben. Seht, das ist Sophia Lindsay's Dienst, wenn sie es nicht vorzieht, in Gesellschaft Ihrer Majestät sich zu amüsiren.«

»Es scheint also,« sagte Urica – »daß die Königin heute ohne Bedienung ist und ich mich ihr selbst melden muß.« Mit diesen Worten schritt sie zu dem Kabinet derselben vor und Sophia flog zum Fenster, wo sie wirklich mit Mühe nur aus ihrem Busenlatz das Nest und die schreienden Vögel heraussuchte und sie unter nicht weniger lebhaftem Schreien und Toben zur Ruhe zu bringen suchte und ihnen die Schnäbel zum Ersticken voll stopfte.

Argyle näherte sich nun Urica und fragte, ob er sie melden dürfe.

»Sind das heute eure Functionen, Herr Herzog?« rief Urica scharf – »dann muß ich mich fügen; als Höflichkeit muß ich es jedoch ablehnen, erstlich, um euch euren kindlichen Vergnügungen nicht zu entziehen, und zweitens, weil ich dessen nicht bedarf, denn die Königin erwartet mich.«

»Urica!« riefArgyle mit unverkennbarem Ausdruck des Schmerzes – »geht in dieser Stimmung nicht zur Königin – oder laßt mich nicht unter den Thorheiten eines unartigen Kindes leiden.«

»Ich verstehe euch nicht, Milord,« sagte Urica stolz – »hütet euch, daß eure Worte nicht wirkliche Beleidigungen werden, daß ich glauben muß, ihr hieltet die Dinge, die hier vorgefallen sind, viel wichtiger, da ich noch geneigt bin, sie kindisch zu nennen.«

Sie stand jetzt vor der Thür des Kabiners und schlug drei Mal mit dem Stiel ihres Pfauenwedels an das Schloß; dann trat sie ein, ohne auf Argyle zurück zu blicken, welcher keinen Versuch machte, sie aufzuhalten.

Die Königin war noch in ihrem Ankleidekabinet und so hatte Urica Zeit, sich von der Gemüthsbewegung zu erholen, welche sie erfahren, und ein flüchtiger Blick in einen nahen Spiegel erinnerte sie an den bittern Scherz Sophia's über ihre Taubenaugen, denn sie erschrak selbst über den Zorn, der noch darin blitzte.

Auch blieben auf ihrem Gesichte noch Spuren genug; doch war die Königin geneigt, der Sache eine andere Auslegung zu geben. »Ich weiß Alles, meine arme Urica!« rief sie ihr bei ihrem Eintritt entgegen – »Marseeven hat mir Alles gesagt. Fasse dich, mein armes Kind; aber verstelle dich nicht gegen mich, ich bin deine Freundin. Tröste dich damit, daß du edel an deinen Verwandten gehandelt hast, daß du recht gethan hast, indem du nachgegeben, da du dein Schicksal unter diesen Umständen nicht mit dem ihrigen vereinigen konntest.«

»So ist es,« entgegnete Urica – »mein Eifer, sie an mich anzuschließen, hätte hier nur Unheil gestiftet – aber ich fühle die Enttäuschung, als einen bittern Schmerz.«

»Du mußt deinen Blick nun abwenden von dieser ganzen Sache,« sagte die Königin eifrig. »An dein Leben ergehen um so dringender andere Anforderungen, und du kannst dich ihnen um so besser hingeben, da nichts mehr deine Freiheit bindet. Diese ist aber auch bei deiner Jugend und Schönheit eine Gefahr, mein Kind. Wir Frauen sind nicht bestimmt allein zu stehen, am wenigsten in deinem Alter.«

»Ich will nicht hoffen,« sagte Urica nicht ohne Verstellung – »daß Euer Majestät an meinem Betragen oder an der öffentlichen Stellung, welche ich meinen Verhältnissen zu geben wußte, eine Ausstellung zu machen haben, die meine Unfähigkeit darthäte, meine Freiheit würdig zu behaupten – ich würde untröstlich sein und eifrig bemüht, Alles zu entfernen, was den Tadel Eurer Majestät wecken konnte.«

»Kleine Närrin,« sagte die Königin mit einem leisen Schlag auf Urica's Wange – »du bist ja ein Wunder von Keuschheit und Sitte, und Alles, was dich umgiebt, ist ohne Tadel.«

»Ich danke Euer Majestät für dieses Zeugniß,« sagte Urica mit Würde – »die Sicherheit zu verlieren, die ich dem Gefühle eines rein bewahrten Lebens verdanke – fürchten zu müssen, daß der Tadel auf Verhältnisse fallen könnte, die ich durch die bewährte Erfahrung einer vornehmen und achtbaren Dame ordnen ließ, würde mich um den wesentlichsten Theil meines Glückes gebracht haben.«

»Das hast du nicht zu fürchten – aber mein schönes Kind,« fuhr die Königin lächelnd fort – »ich wollte lieber, du machtest ein paar Fehler, man könnte dir ein paar Schwächen nachweisen, du könntest dann nicht so keck widerstreben, wenn deine Freunde darauf ausgehen, dir einen Theil deiner Freiheit zu nehmen, um dein Glück zu begründen.«

»Ueber das, was wir Glück nennen, liegt die Entscheidung in jedes Einzelnen Brust,« entgegnete Urica gefaßt; »wer könnte zum Andern sagen: das ist dein Glück! Je ausgeprägter der Charakter ist, je eigenthümlicher werden die Bedingungen darüber. Was den meisten Frauen die Erfüllung des Lebens scheint – eine Vermählung – widersteht mir; die Beeinträchtigung meiner Freiheit, welche ich nicht anstehe nach den Gesetzen, die ich mir auferlege, einzuschränken, würde ich mit Empörung in der Hand eines Andern wissen – und würde meine Willkür dadurch erweitert – was mir nicht mehr als mein Eigenthum zustände, würde keinen Reiz mehr für mich haben. Diese Freiheit aber ist das Element, worin ich athme – hätte ich die Schwäche, darüber irgend wem Rechte zu gestatten, er würde in Gefahr sein meinen Haß einzuerndten, jedenfalls aber mich unglücklich machen!«

»Geh, geh,« sagte die Königin liebkosend – »du machst dich schlechter als du bist. Du willst mich abschrecken mit deinen Behauptungen, denn du weißt recht gut, daß ich für Argyle bitten will.«

»O, nicht dies Wort, gnädigste Frau!« rief Urica – »ihr könnt, ihr werdet mich nicht um etwas bitten, was mein Unglück – und – das seinige wäre!«

»Das wirst du mich nicht überreden!« rief die Königin lebhaft – »du steckst nur in deinem Eigensinne, in deinen thörichten Grundsätzen wie in einem Panzer fest, so daß du zu den weicheren, feineren Gefühlen deines Herzens nicht durchdringen kannst. Dein Glück ist ein eingebildetes, unnatürliches, das Frauen aus dem Gleise bringt – ich glaube nicht, daß du glücklich warst bei diesen Ansichten, daß du es bist, noch weniger, daß du es bleibst; denn Unnatur rächt sich am Herzen – und sage was du willst, das bleibt der Heerd, von dessen Wärme oder Kälte das Gedeihen aller andern Zustande abhängt.«

»Es sei so,« sagte Urica mit einer Art bitterer Verhärtung – »Gestehe Eurer Majestät, diesen Harnisch abzuwerfen, müßte mich ein Mann lehren; – ich habe ihn noch nicht gefunden,« setzte sie stolz hinzu, als die Königin keine Antwort gab – »und ich fürchte, ich finde ihn nimmer.«

»Urica!« brach die Königin jetzt wahrhaft überrascht los – »Urica! – Und Argyle – hast du ihn getäuscht – hat er sich selbst getäuscht?«

»Erhabene Frau,« sagte Urica und kniete mit einer ehrerbietigen aber entschlossenen Miene auf einem Kissen vor der Königin nieder – »mir ist von Kindheit an nicht gut geschehen; man hat mein kindlich leichtes Blut mit der schweren Zuthat von Haß und Rache erfüllt und dabei den äußern Zwang über mich verhängt, der grausam niederhielt, was man entwickelt. Freiheit! – Freiheit! war der Angstruf meines jungen gereizten Herzens – Freiheit war das Bedürfniß, ehe ich es zu nennen wußte!«

»Sechs Monate vermählt war ich doch nicht frei – und der Preis meiner Hand war die Bedingung, ungehindert die suchen zu können, die man mich gelehrt von Kindheit an zu beweinen. Ich wollte sie suchen, nicht allein, um sie zu beglücken, zu entschädigen – ich wollte sie suchen, daß sie mich und unsern Namen rächen sollten an ihren Verfolgern. Bin ich wie ein Weib erzogen worden?« fuhr Urica fort, als die Königin mit einem Seufzer ihre Hand auf den Kopf der schönen Rednerin legte – »nein, nein! sagt es, denn ihr denkt es – und ihr wißt jetzt die Quelle von meinen Fehlern, die vielleicht nicht ganz ohne die Beimischung einiger Tugenden blieben. Ich bin kein so kaltes, entmenschtes Wesen, daß ich nicht von dem Glück der Liebe geträumt hätte, daß ich nicht die Männer, die sich um meine Hand bewarben, mit Hoffnung, mit Erwartung angeschaut, ob sie mir nicht ein höheres Gut zu bieten haben würden, als diese kindisch festgehaltene Freiheit, die mein höchstes Glück ausmachte. Kann ich dafür, daß Keiner es vermochte? Selbst die Liebe zu mir stand ihnen armselig – sie ward kein höherer Impuls zu Thaten, kein geistiges Leben, das in Rede und Bezeigen das höhere geistige Streben aufgedeckt und die Seele mir mit Bewunderung bezwungen, das Herz mit Demuth angehaucht hätte. – Herabgedrängt sah ich sie durch die unmännliche Knechtschaft ihrer Leidenschaft – verarmen sah ich sie vor dem Weibe, dessen Liebe sie begehrten. Mit einem Dienst von elenden, flachen Huldigungen hofften sie ein Herz zu erringen, das wahr und rein sich sehnte einen mächtigeren anzuerkennen, und stolz sich schloß vor der beleidigenden Zumuthung, der Preis von so geringer Werbung sein zu sollen. Seht mich an,« fuhr sie mit stolzem Lächeln fort – »ihr nennt mich schön, denkt überdies an den Reichthum der Casamborts, der auf diesem jungen zweiundzwanzigjährigen Haupte ruht, und beantwortet dann selbst, ob Viele um mich warben – Viele, Frau Königin, Viele!« sagte Urica, indem sie wie eine zürnende Heilige ihres Geschlechts von ihren Knieen aufstand – »aber Keiner, den ich nicht mit meines Herzens Kraft, mit meines Geistes Reichthum hätte ausstatten müssen, um mich selbst dann zu belügen, er sei der Gatte, dem ich ohne Erröthen demüthig werden könnte. – Weh! weh! wer die Lüge wagt, um den Genuß des Herzens von dieser Täuschung zu gewinnen auf kurze Zeit! Fürchterlich wird sie sich rächen, und Selbstvorwürfe werden die Last des Unglücks verdoppeln, denn wir haben uns selbst verrathen aus ungeduldigem Triebe zu empfinden, wie eine geheime Stimme uns verkündigt, daß es die höchste Seligkeit einer Menschenbrust ist.«

»Du bist schrecklich, Urica, mit deiner Klarheit!« rief die Königin – »und wahrlich nicht glücklicher. Aber Alles, was du sagst, paßt nicht auf Argyle und, gestehe es mir – du hast ihn selbst höher gehalten, du hast ihm Achtung gezollt und deinen Geist gern mit ihm versucht, und nicht immer bist du seine Meisterin gewesen.«

»So ist es, Eure Majestät – und gern gestehe ich ein, Argyle ist nicht ohne Antheil geblieben für mein Herz, aber ohne mir Liebe einflößen zu können. Aber« –

»Aber,« unterbrach sie die Königin – »wenn du so viel einräumst, was soll da das Aber noch? Was du forderst ganz zu gewinnen, ist Chimäre, mein Kind. Kannst du annähernde Gefühle finden, so denke, daß du mehr erlangt hast, als die größere Masse deines Geschlechts. Also fort mit deinem Aber – gestehe es, du liebst ihn ein wenig.«

»Ach,« sagte Urica – »ein wenig – ist das genug? Mir – mir darf es nicht genug sein – aber mir sagt eine Ahnung, daß dieser Mann, auch ohne daß ich ihn lieben werde, Gewalt über mein Schicksal bekommen wird, und daß es mein Unglück sein wird; denn kaum vertraue ich seinem Geiste, seinem Herzen noch weniger. Er liebt mich; aber diese Liebe macht ihn einerseits zum Schwächling, und andererseits ist sie doch nicht sein tiefes, heiliges Herzensbedürfniß – er hat noch Raum für Anderes derselben Art – er ist falsch aus Kälte des Herzens – er ist leidenschaftlich in der Liebe, und es kann Habsucht des Herzens sein, was er für Liebe ausgiebt, und ich kann denken, daß er mit leichter Mühe eines Tages das Alles los wird, was er jetzt für Liebe zu mir ausgiebt.«

»Ist das Vertrauen?« sagte die Königin mit Besorgniß auf Urica blickend, welche sichtlich erschüttert mit bleicher Wange in einen Stuhl zurückgefallen war. –

»Nein,« seufzte sie leise – »und darum drängt mich nicht, erhabene Frau, und bestimmt Argyle, sich keine Hoffnung zu machen, mich in Nichts zu drängen. Ich halte euch vorerst mein Wort und begleite euch nach England und bleibe gern an eurem Hofe, bis meine Pflichten mich zurück nach Holland rufen. Ich werde Gelegenheit haben, den Mann, dem ihr so warm das Wort geredet, für den in meinem Herzen selbst eine Stimme spricht, zu prüfen, und ich werde wahr sein gegen euch, gegen mich und gegen ihn – und mehr und besser, wenn ich mich zu nichts verpflichtet, völlig frei ansehen kann.«

»Armer Argyle,« sagte die Königin – »das wird eine niederschlagende Antwort sein. Ich gestehe dir, er hoffte weiter mit dir zu sein – er hatte eine Zuversicht, die mich selbst ängstigte – «

»Natürlich,« sagte Urica ironisch – »die Sicherheit, uns schwach und überwunden zu sehn, kommt ihnen schnell. Auch hätt' ichs errathen können, daß er mich gewiß zu haben dachte, denn er leitete eben mit einer Andern ein ähnliches Verhältniß ein.«

»Urica,« sagte die Königin strafend – »du bist in einer auffallend bittern Stimmung – was kann dich aber zu diesem Ausfall gereizt haben? Ist dieser junge Mann, der die Ruhe und Festigkeit eines Weisen hat, einer gewöhnlichen männlichen Untreue fähig?«

»Nein,« entgegnete Urica – »aber der gewöhnlichen männlichen Koketterie, mit dem Bedürfniß, sich überall bewundern – anbeten zu lassen. Was deucht euch,« fuhr sie mit sich röthenden Wangen fort – »soll ich dem Herrn Herzog zu diesen kleinen Vergnügungen behilflich werden?«

»Du wirst mir sagen, wer deine üble Laune gereizt hat,« sagte die Königin streng –

Diese lästige Antwort wurde der Gräfin erspart. Die Prinzessin Marie trat mit ihrem jungen Verlobten ein, und Beide hingen sich in die Arme der zärtlichsten Mutter.

»Mama,« sagte die Prinzessin – »Alles erwartet dich im Vorzimmer – die Tafeln sind schon zugerichtet und unser schöner goldner Wagen wird gleich vorfahren, und wir werden noch viel Spaß haben, ehe wir aus dem Thore sind.«

»Ein andermal also,« sagte die Königin zu Urica und drohte ihr lächelnd mit dem Pfauenwedel; dann befahl sie das Gefolge eintreten zu lassen.

Urica nahm sogleich die unangreifbare Miene der königlichen Ehrendame an, und Argyle hatte das beschämende Vergnügen, Sophia Lindsay einzuführen. Es fand sich aber, daß die Toilette derselben noch alle Spuren ihres Vogelfanges trug und besonders auf ihrer Brust eine kleine Schicht schwarzer Erde lag, ihr Kinn einen Fleck hatte, und ihre dunklen Locken von den schief gerückten brillantnen Schleifen nicht mehr gehalten wurden.

»Lady Lindsay,« sagte die Königin – »wie siehst du aus? wie konnte deine Gouvernante dich so unordentlich zu mir schicken!« Dabei legte sie selbst mit mütterlicher Güte Hand an das wüste Kind, wehte mit ihrem Fächer die Erde von Kinn und Busen und strich die Locken unter die Schleifen.

Es gab keinen versöhnendern Anblick, als dies wunderschöne, kleine Geschöpf, halb Kind, halb Jungfrau – – jetzt beschämt in Purpur glühend, mit halb trotzigem, halb weinerlichen Ausdruck.

»Was hast du denn gemacht, du wildes Kind,« sagte während dem die Königin in sehr versöhnlichem Tone – »du hast dir gewiß wieder alle Thorheiten erlaubt, die dir durch den Kopf gegangen sind, und hast ganz vergessen, daß du im Vorzimmer der Königin warst?«

»Nein,« sagte die Kleine mürrisch – »das habe ich nicht, ich bin keinen Augenblick fortgegangen. Denkt ihr, daß das spaßhaft ist, so lange stillsitzen zu müssen?«

»Vom Stillsitzen siehst du nicht so aus – und Argyle,« sagte die Königin forschend – »hätte wohl bei dir bleiben und dir Gesellschaft leisten können, als ich ihn entließ.«

»Das that er auch, und da hat er mir geholfen das Nest ausnehmen, was oben im Fenster saß, was ich schon gestern haben wollte, wo mir aber Keiner helfen wollte.«

»Aha!« sagte die Königin lachend – »jetzt wird die Sache erklärlich; aber wenn meine Hofleute Vogelnester ausnehmen, werden meine holländischen Freunde einen guten Begriff bekommen von meinem kindischen Hofstaat. O, Lady Lindsay, welch eine Caprice des Zufalls, aus dir ein Mädchen zu schaffen und den armen Earl of Balcarras um seine Hoffnungen zu betrügen. Ich glaube, er will es sich nicht eingestehn, darum erzieht er aus dir ein so wildes Mädchen. Doch, Lady Seymour,« fuhr sie fort, sich zu ihrer Oberhofmeisterin wendend – »können wir das Haar hier nicht einfangen, ohne das arme Kind fortzuschicken? Wo hast du denn das Netz, was du heute morgen im Haar hattest?«

Die arme Kleine wollte vor Unmuth und Zorn fast vergehen – plötzlich riß sie ihren Kopf aus Lady Seymour's Händen, stampfte mit dem Fuße wild auf die Erde und schrie in Thränen ausbrechend: »ich will nicht mein Haar zerraufen lassen – ich will lieber fort – ich will fort – mein Netz ist auch fort, und ich will auch fort!«

Argyle konnte nun das arme Kind nicht länger in seiner Noth verlassen.

»Euer Majestät,« sagte er lächelnd, denn Alle machten es der lachenden Königin nach – »wollen Gnade haben mit der armen Lady Lindsay – ich bin ihr Mitschuldiger, und ein Fehler folgt aus dem andern – ich konnte es nicht verhindern, daß das Netz dieses schönen Haars zu einem Vogelnetz verbraucht ward und jetzt, statt diese Locken zu halten, eine Gesellschaft junger Vögel d'rin schreien.«

Jetzt brach ein allgemeines Gelächter aus, welches die Königin anstimmte; nur die junge Prinzessin Marie umschlang mitleidig die weinende Sophia und flüsterte ihrer Mutter etwas zu.

»Gut, gut,« sagte die Königin – »geh, geh, Sophia – meine Tochter wird befehlen, dir ein ähnliches Netz anzulegen – du kannst dann uns nachfolgen.«

Sophia entfloh nach dem Ankleidezimmer der Königin, wo die Frauen auf Befehl der Prinzessin die zerstörte Toilette wieder herstellten, und es nur weniger Sekunden bedurfte, daß Beide über denselben Gegenstand lachten, und Sophia mit Eifer und Wichtigkeit von diesem Spaß erzählte, der ihr eben so bittere Thränen ausgepreßt hatte.

Die Königin begab sich nun mit ihrem Gefolge in den Empfangssaal, wo sie die Gäste fand, mit denen sie dies letzte Mahl theilen wollte; da sie aber immer zwischen einer englischen und einer holländischen Dame ging, konnte diese Ehre der Gräfin Urica nie fehlen.

»Urica,« sagte sie während dem Durchschreiten der Zimmer – »ich weiß jetzt dein Geheimniß. Denkst du nicht, ich verschweige Argyle deine ganze sententiöse Rede gegen mich und erzähle ihm bloß, daß du auf ein Kind eifersüchtig warst, mit dem er Vogelnester ausnahm?«

Urica hatte diesen Ausfall erwartet, denn die spöttischen Augen der Königin hatten sie schon vor ihren Worten gesucht.

»Wenn Euer Majestät zu einer Täuschung des Lord Argyle noch eine große Schmeichelei fügen wollen, welche seine Anmaßung steigern wird, so erlaubt mir doch die Ehrfurcht vor Eurer Majestät nichts anderes, als zu versichern, daß ich sie in nichts bestätigen werde.«

»Sei nicht so unversöhnlich,« sagte die unerbittliche Königin – und die Gesellschaft trennte in diesem Augenblick jede weitere Erklärung.

*


 << zurück weiter >>