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Nees war aus seinem todtenahnlichen Schlafe zu einer Wirklichkeit erwacht, die ihn in neue Verzweiflung stürzte. Die Entfernung Angela's, die natürlich hervorgerufen war durch die ihm vollständig bekannt gewordenen Umstände, zerriß sein Herz mit der Befürchtung, sie werde nicht wieder kommen, er werde sie nun verloren haben – und so sehr liebte er sie, daß der Gedanke an den Verlust ihres Vermögens nur nachkam. Immer raffte er sich auf, um ihr nachzulaufen und sie durch flehende Bitten zurückzurufen – aber Angela hatte ihm Tags vorher das Versprechen abgenommen, nie wieder an dem Orte zu erscheinen, wo er sich bei der Dienerschaft so lächerlich gemacht hatte, und dies Versprechen ebenso wie die eigne Beschämung, woran die Erinnerung ihn zu einer Art Wuth gegen sich selbst trieb, hielt ihn von dieser Verfolgung ab.

Als aber Angela in den kalten, düstern Hausflur trat, vernahm sie schon sein krampfhaftes Stöhnen, das er nicht abnehmen ließ, als er hindurch hörte, daß Angela von der Magd in das Haus gelassen war, denn er hoffte sie zugleich zu erschrecken und zu rühren, wenn er seinen Zustand ihr so heftig als möglich kund gab.

Angela trat still in das alte Gemach, den einstigen Banketsaal der Purmurand, und setzte sich sogleich an der Thür auf eine der Wandbänke. Erschöpft und nachdenkend blickte sie zur Erde, und es paßte gar nicht zu den Wünschen Jakobs, daß sie von seinem Zustande wenig ergriffen schien. Durch ihren Anblick schon zerstreut, konnte er nur mühsam seine lauten Ausbrüche fortsetzen, und als ihr Schweigen noch einige Augenblicke fortdauerte, schnappte plötzlich seine Stimme ab, die Neugierde, Angela zu beobachten, machte es ihm unmöglich, seinen Zustand fest zu halten. Er schlich ihr nun näher und setzte sich endlich neben ihr nieder, hinter seinem Schnupftuch noch immer ein gewisses schluchzendes Seufzen festhaltend.

»Nees,« sagte Angela ruhig – »laß das! Wir haben ernste Dinge zu besprechen – du mußt zuhören können, antworten und überlegen – du darfst deinen Verstand nicht dran geben mit dem Geschrei.«

»Sprich, Angelchen, mein Liebstes, sprich!« rief Nees – »ich will dich hören – ich will Alles, was du willst! – Wenn du nur nicht mein Herzblut willst – mich nicht zum Lohn meiner Treue verlassen und verstoßen willst, dann soll Alles geschehen, wie du willst, Nees will dein Knecht sein – der Geringste, der Unterste im Hause und Alles, was du willst.«

Nees konnte selbst kriechen, wenn ihm vor etwas bange wurde.

Angela hob nach einer kleinen Pause mit gesenktem Kopfe an: »Die Tante will mich und die Mutter mit sich nehmen – sie will nicht, daß ich dein Weib bleibe und deinen Namen trage.«

Kaum waren diese Worte aus ihrem Munde, so stürzte Nees von der Bank vor ihr nieder und umklammerte ihre Knie.

»Ruhig!« rief Angela streng – »behalte deine Vernunft – hier gilt's!« Nees schwieg. »Sie bietet dir dafür die Hälfte meines Vermögens, und was du damit verdient hast seither, das soll noch überdies dein bleiben.«

»Vom Ganzen oder von der Hälfte!« rief Nees aufspringend und mit gehaltenem Athem Angela anstarrend. Diese schauderte zusammen. Es schien ihr, er habe sie mit diesen Worten um des Geldes willen dran gegeben. »Vom Ganzen!« sagte sie kaum hörbar.

»So,« sagte Nees, jetzt ganz gesammelt, mit seiner alten Impertinenz – »so – die Frau Tante ist klug! Ja, wenn wir so dumm wären und nicht mit zu reden wüßten. Wenn es auf ihre Kratzfüße ankommt, ihr Scharwenzeln und Schwenzeln und Hofiren, da kann sie es versuchen und kann mich von ihren Domestiken auslachen lassen – aber hier? dabei? Nichts, Frau Tante – da lachen wir sie aus! So – also die ganze Familie will aufpacken und abziehn, und Nees soll wie der Thürhüter zumachen und soll sagen: ich danke ergebenst für den langen Besuch – ich bin nun wieder wie vorher der arme verlassene Mann! – Hör', Schatz! weißt du und die Frau Tante wohl, was Gesetze sind? He! denkst du, sie reden darum anders, weil Nees ein Handelsmann ist und die Tante eine Gräfin? Ich will dir was vertrauen,« fuhr er fort und sprang kerzengrade in die Höhe – »Nees will nicht, Nees braucht nicht, Nees kann kein Mensch zwingen.«

Angela hatte ihn nicht angesehn; sie behielt ihre düstere gebückte Stellung; kein Mensch hätte errathen können, was in ihr vorging. Das machte Nees so toll, er mußte sein Verhalten nach dem Ihrigen einrichten, und sie machte es ihm so schwer.

»Nees,« sagte Angela – »wenn du den Wunsch der Tante erfüllst, dann kannst du alles Geld und Gut behalten, dann soll ich und die Mutter leer aus diesem Hause zehn, du sollst Alles behalten.«

»Das sind nur Finten!« schrie Nees, »dafür giebt es auch Gesetze – das kann ich wieder nicht durchsetzen, oder wenn ihr vor der Thür seid, dürft ihr es nur dem Herrn Schöffen sagen, wir wollen ihm nicht Alles lassen – dann stehe ich da – ich kann's nicht halten. He! Nees kennt die Gesetze – er läßt sich nicht durch eitle Versprechungen blenden!«

»Es kann dir verbrieft werden,« stieß Angela endlich mühsam heraus – »wo es dann außer unsere Gewalt kommt!«

»Woher weißt du das Alles?« rief Nees mit funkelnden Augen –

»Als ich von der Tante ging, bekam ich eine Schwäche – ich setzte mich im Hofe, wo noch die vielen Stühle stehn; da kam der Herr Oberschulze und befragte mich – ich erzählte ihm Alles, und er sagte mir, was ich dir bieten sollte. Von ihm kommt das – also ist es zuverläßig, da er das Gesetz inne hat.«

»So,« sagte Nees – »und er rieth dir auch wohl, erst die Hälfte zu bieten und zu sehn, ob Nees dumm sein würde?«

Angela schwieg. Nach einer Weile sagte sie, da sie sah, daß Nees, in Grübeleien versenkt, auf und nieder rannte: »Wenn du einwilligst, daß ich und die Mutter von dir gehn, so mußt du es bald sagen, es ist dann noch viel zu beschicken und du mußt selbst zum Herrn Oberschulzen gehen und erklären, daß du dich von mir willst scheiden lassen.«

Nees blieb, wie in den Boden gewurzelt, plötzlich stehen. Jetzt, wo Angela mit einem Male die Frage wieder auf sich zurück lenkte, fiel ihm erst auf, daß sich ja Alles um ihren Verlust handelte – jetzt trat seine alte, heftige Liebe wieder in ihre Rechte, und er stieß fast einen an Wahnsinn grenzenden Schrei aus und stürzte zu ihren Füßen.

»Willst du mich umbringen – willst du denn meinen Tod!« schrie er händeringend – »bin ich denn nicht elend, verachtet, gekränkt und verlassen genug – bin ich nicht eben vom Tode genesen vor Gram, weil du mich verlassen wolltest – und jetzt sagst du es ruhig heraus, als wäre es eine abgemachte Sache, daß du dich von mir scheiden willst, daß all' meine Bitten, meine Klagen vergeblich waren?«

»Nees,« sagte Angela verwundert – »du nahmst ja das Geld dafür – und hast noch eben darum gehandelt, weil es dir nicht genug war zu Anfang – du wußtest, daß es der Preis für mich war.«

»Für dich!« schrie Nees und rannte wieder händeringend umher – »für dich! wer will das sagen? wer kann mir das beweisen? – diese Heuchler! diese Seelenverkäufer! diese deine Verwandten – die, die wollen dich verkaufen, die wollen deinen rechtschaffenen Mann um Ehre und Leben bringen, die wollen dich zur gottlosen Frau machen, die ihren Gatten, ihre Kinder, ihr Haus und Hof verläßt.«

»Nees,« sagte Angela traurig – »du redest verwirrt – ich kann ja nicht Alles verlassen, was du hier nennst, denn unser liebes kleines Kind liegt ja im Grabe – seit dem Tage, wo du zuerst so hart zu mir warst, und wir Beide so beschimpft wurden.«

»Ach ja! ach ja!« schrie Nees – »von dem Tage schreibt sich alles Unglück her – seit dem bist du die Alte nicht mehr – gut und lustig sonst – und hattest den armen Nees lieb und hörtest bloß, was die guten Pastor's dir sagten – da wußtest du immer, was Recht war, und hattest ein gutes Gewissen.«

»Nees,« sagte Angela, plötzlich aufstehend – »glaubst du, daß mir der Pastor das Rechte sagen wird?«

Nees zauderte mit der Antwort. Er wußte sich zu erinnern, daß dessen strenge Tugend ihm auch manchen Streich gespielt hatte; aber Angela bedurfte auch seine Entscheidung nicht mehr, sie rüstete sich zum Weitergehn, und blieb bloß so lange, um etwas Wasser zu trinken, und ging dann auf's Neue von Nees, der nicht den Muth hatte, sie zurückzuhalten, da er am Ende nicht viel mehr verlieren konnte, als schon eingeleitet war, also eher Hoffnung war, etwas wieder zu gewinnen.

Angela aber trat ihren Weg ebenfalls mit einer neuen Hoffnung belebt an. Glück hatte sie nicht mehr zu erlangen, weder indem sie bei Nees blieb, noch indem sie die fremde Bahn betrat, zu der die Tante sie eingeladen. Es drängte sich ihr daher ein höheres Verlangen entgegen, welches den unverschuldet Unglücklichen eine lichtere Bahn eröffnet, die nicht berührt wird von den darunter weglaufenden Wegen, welche ihre Spuren der Erde einprägen. Sie verlangte Recht zu thun und Gott getreu zu werden.

Sie betrat still und demüthig den Laden der Bäckerin, mit der sie nie wieder hatte gut werden können, denn sie hatte nie vergessen, daß sie Angela Brod zur Stillung des Hungers gegeben hatte, und sie spottete nun, in kleinlichen Neid verfallend, über den Wohlstand, den Angela jetzt an sich trug, und hing der Schweigsamen gern einige Spitzworte an, welche immer unerwidert blieben.

Auch heute ging es nicht anders ab, denn die Kirchenscene war Gemeingut für Alle geworden, die Nees oder Angela kannten, und seit der Krankheit war diese noch nicht im Hause der Bäckerin gewesen.

»Hoho! Frau Nees!« rief sie sogleich hinter ihrem Ladentisch hervor – »also auch hier findet ihr den Weg mal wieder her? Jes! kennt ihr denn die Schwelle noch, wo ihr in eurem knappen Röckchen 'rüber sprangt und euren Hunger gern an einem Brödchen der Frau Lievers stilltet?«

Angela stand still, lächelte freundlich und nickte dankbar ihrer Feindin zu.

»Ja, ja,« sagte diese unversöhnt – »das Gedächtniß hat seine Schliche; wenn der Hochmuth kommt mit dem Wohlstande, da wollen wir nichts mehr wissen von der alten Noth und den Leuten, die uns beistanden, weil sie genug hatten und nie zu den Bettlern gehörten. Da kommt's denn, daß wir so einen Anlauf nehmen und hinein rennen, wo wir nicht hingehören und mit Schimpf und Schande vertrieben werden. – Hört, Frau Nees! ihr wäret auch eures Mutterglückes nicht beraubt, hättet ihr auf dem Kirchgang Demuth gesucht, statt Eitelkeit und Hoffart. Eine Frau, deren Leib Gott gesegnet, hat ganz andern Wandel, als eine von den Gnaden, die zu den hohen Ständen gehört – das bringt schlechte Ehre vor Gott und Menschen.«

Angela wäre gern den bissigen Worten entlaufen, aber sie hatte gerade von der harten Rede wieder die alte Schwäche in den Füßen bekommen und hatte sich nun vor ihrer Feindin hinsetzen müssen.

»Ja, ja,« fuhr diese fort – »die Hochmüthigen denken immer, sie können ihre Sache so klug machen, daß es kein Anderer merkt; aber weit gefehlt – wer immer was zu decken und zu vertuschen hat, der wirthschaftet mit einem knappen Mantel – wenn er ihn hier hinzieht, guckt es dort heraus – deckt er da zu, fehlt's wieder wo anders, und endlich hat er nichts verborgen – Alle haben es gesehn und sein schlecht Gewissen überdies!«

Wer nur begierig auf Wahrheit ist und sie lieber will, als sich entschuldigen, der fühlt keine Beleidigung, wo sie erklingt, sondern Belehrung. – Angela hörte still zu und war gerade von den letzten Worten gekräftigt. Sie stand daher auf – »ihr habt ganz Recht, Frau Lievers,« sagte sie sanft – »ihr seid eine erfahrene Frau – es ist viel zu lernen aus dem, was ihr sagt.«

Als sie nach diesem Gruße die Treppe zum Pastor hinaufging – war der Frau Lievers in dummem Erstaunen die Rede vergangen; kopfschüttelnd sagte sie: »Was ist denn das! der Nees ist wohl herunter – es ist wohl mit dem Wohlstande schon wieder aus – der Hochmuth ist ja zusammen geklappt, und wir sind ja sehr demüthig geworden. Da geht's wohl noch wieder auf meinen Brodtisch los, und die Geschmeide, die kein Mensch weiß, wo hin und her, und die stolzen Kleider, das wird wohl wieder seinen Weg gehn.«

Angela dagegen stieg nur noch befestigter in ihrem reinen Willen die Treppe hinauf und klopfte an die kleine, blanke, eichene Thür und trat auf den bekannten Ruf: »Herein!« in dies Asyl des Friedens und der geistlichen Ruhe, wo der Mensch in seinen reinsten, natürlichsten Beziehungen ungetrübt seine Vollendung erhalten zu haben schien.

Der gute Pastor und seine Gattin hatten, außer dem Glück, zwei kleine Mädchen auferziehn zu können, weder viel Wechsel, noch viel Vortheil von Außen gewonnen. Es war dasselbe Zimmer, dieselbe Einrichtung, nur in dem größeren Schlafgemache daneben war ein Verschlag gemacht, der nun zwei Schlafzimmer bildete, und davon war der Raum zunächst der Wohnstube außer dem großen Gardinenbett der Eltern zu einem zweiten Wohnzimmer für die Kinder hergerichtet, und sein größerer Kamin war jetzt der Heerd für den Mittag, so daß des Vaters Zimmer ruhiger und geschonter blieb, da man durch den Verschlag, wo die Kinder schliefen, einen Ausgang nach Treppe und Flur hatte.

Daran mußte es auch wohl liegen, daß Angela das Zimmer ihrer Freunde so auffallend behaglich, so glänzend reinlich fand. Beide Fenster waren nach dem großen Nußbaum geöffnet, der das eine völlig mit seinen grünen Zweigen verhing und seine beflügelten Bewohner halb zu Insassen des Fensters und des Zimmers selbst machte, wo die kleinen Mädchen nicht unterließen, ihren gefiederten Lieblingen mit den holden gesangreichen Kehlen, von Allem mitzutheilen, was sie selbst zu ihrer Nahrung bekamen.

Dagegen wölbten sich die Zweige über dem andern Fenster so hoch, daß Licht und Luft, von der weiten See herüber dringend, das Zimmer und den Arbeitstisch des guten Pastors erhellte.

Von diesem Fenster, welches zunächst der Eingangsthür war, beschienen – stand jetzt die arme Angela vor dem guten Herrn Harsens – und so groß war die Veränderung, die auch mit ihrem Aeußern vorgegangen war, daß er sie nicht gleich erkannte; denn selbst als sie ihn anredete, war ihre sonst rauhe, laute Stimme eine andere.

»Ach,« sagte sie – »Herr Pastor, wißt ihr nichts mehr von Angela?«

Er begriff nun selbst nicht, wie er sie habe verkennen können, und rief seine Gattin aus dem Nebenzimmer und sie und die Kinder Alle begrüßten sie herzlich. Aber Angela war eine Andere geworden; sie ließ sich nicht mehr in gedankenlosem Taumel aus einer in die andere Stimmung hinüber ziehen; das Schicksal, das sie erreicht, lastete schwer auf ihr – und sie hatte Gedanken bekommen – diese neue Erscheinung in ihr war ihr am wichtigsten.

»Ich brauche eine Beichte an euch, Herr Pastor,« sagte sie daher nach kurzem Gespräch über ihr unglückliches Kindbett – »und habe wenig Zeit, denn heute soll sich danach noch viel entscheiden.«

Die Pastorin nahm ihre Kinder an die Hand und entfernte sich nach freundlichem Abschied und der gute Harsens ließ Angela an dem grünen Fenster niedersitzen, nahm vor ihr Platz und erwartete ohne Neugier, aber mit ermuthigendem Antheil die Mittheilung der jungen Frau.

»Herr Pastor,« sagte sie auch sogleich mit Eifer – »ich weiß nicht zu entscheiden, wo Recht und Unrecht ist, und darum will ich euch bitten, ihr nehmt es für mich zu Herzen, und macht dann, daß ich es erkenne.«

Sie erzählte ihm jetzt mit der traurigen Deutlichkeit, welche bewies, wie tief ihr die Erlebnisse gegangen waren, alles das, was wir seit dem Tage des Aufrufs mit ihr durchgemacht haben, und verschwieg ihm nicht, was sie für Einsicht über das Eine und Andere gewonnen hatte, und wie ihr Nees und die Tante begegnet waren.

Die Mittheilung war für den guten Harsens überraschend genug und er bat Angela, sich ein wenig zu erholen und überlegte indessen sinnend dies neue Verhältniß.

»Meine Tochter,« sagte er dann, nachdem die Pause ihnen Beiden Nachdenken gegönnt – »Gott hat deinem bisherigen so einfachen Leben eine merkwürdige Wendung gegeben, und ich finde dich sehr zu entschuldigen, wenn du dich durch so widersprechende Anforderungen rathlos fühlst. Denke dir aber das Unterscheiden von Recht und Unrecht nicht so schwer, du hast nur nicht die ewige Wahrheit recht fest gehalten, denn diese würde in ihrer Einfachheit dir schon die Verwirrung gelöst haben.«

»Sagt diese, daß ich mich nicht von Nees scheiden darf« – fragte Angela – »darf keine Ehe geschieden werden?«

»Da wir nicht immer sagen können, daß jede Ehe von Gott zusammengefügt sei, so ist auch nicht jede Ehe unauflöslich, denn sie unterfällt dem Irrthum, wie jede andere menschliche Handlung – und wenn statt der Würdigkeit und göttlichen Liebe, welche den Ehestand ausmachen soll, die Sünde Unrecht, Feindschaft und Verwirrung aller Art entstehen läßt – dann ist die Ehe nicht die von Gott zusammengefügte, sondern ein menschlicher Irrthum, der weit ab liegt von der göttlichen Absicht der Ehe.«

»Ist es wahr, wie die Tante sagt, daß wir der protestantischen Kirche Angehörenden ein Gesetz haben, das solche Ehe trennt?« – fuhr Angela ihren Zweck verfolgend fort – »und daß wir das erst haben – unsere Vorältern, die Katholiken, nicht?«

»Ja,« sagte Harsens – »aber wir verlegten nur aus der geistlichen in die weltliche Hand, was immer bestand. Das, mein theures Kind, wurde immer eingesehn, daß leider die göttliche Stiftung der Ehe, wie jeder andere Wille Gottes, nicht überall in seiner reinen Bedeutung von uns sündlichen Menschen aufrecht erhalten werden konnte, daß es eine Rettung geben mußte für die durch diesen Irrthum schwer Bezichtigten, wenn die heiligenden Gefühle zerstört und den bösen Leidenschaften dagegen Einlaß gegeben war. Da wurden seit Anbeginn die Ehen auch bei den Katholischen getrennt, aber sie durften nicht zur vollen Lebensfreiheit gelangen, und wenn, was übrig blieb, auch nicht mehr einer Ehe glich, war doch der Schein erhalten und die Register der Ehescheidungen wiesen sie nicht nach.«

»O, das hätte ich doch lieber, ich brauchte Nees nicht ganz zu verlassen,« sagte Angela traurig – »und ist das nicht mehr – und ist es unter uns nicht Sitte – o, wie muß ich da bedauern keine Katholikin zu sein!«

»Versündige dich nicht an unserer geheiligten Religion, in der die Wahrheit, die in Gott ruht, wieder zu Ehren gekommen ist, und von der Willkür sämmtlicher Menschensatzungen gereinigt, in der alleinigen Herrschaft und zu der alleinigen göttlichen Kraft des Erlösers zurückgekehrt ist. Aus der Lüge ihrer Ueberlieferungen, mit denen sie die Geister belasteten, um sie in dienstbarer Knechtschaft zur Förderung ihrer weltlichen Kirchenherrschaft zu erhalten – ist die gereinigte Lehre des Evangeliums hervorgegangen, welche in der heiligen Schrift ohne entstellende Veränderungen und absichtliche Unwahrheiten zu uns übergegangen ist, und beglaubigt in jedes Christen Hand gegeben ist, und ihm selbst Lehre und Zeugniß werden darf. Darum auch, meine Tochter, weil der Geist der Lüge und der Kirchenherrschaft von uns genommen ist, wollen wir auch nicht den Schein dieses heiligen Verhältnisses der Ehe festhalten, wenn der traurige Irrthum sie ihrer Bedeutung beraubt hat. Nicht in die kurzsichtige Entscheidung eines Beichtvaters legen wir mehr die schwere Frage über die Rechtmäßigkeit einer solchen Trennung, sondern aus dem Dunkel heraustretend, vor vielen erfahrenen Richtern, wird Recht und Unrecht geprüft und findet seine Entscheidung – und die, welche ihre Ehe zum Irrthum und zur Sünde gemacht, werden aus der Gemeinschaft der Ehelichen alsdann offen und Allen zur Warnung gewiesen. Es wird ihnen aber auch ihre menschliche und bürgerliche Freiheit zurückgegeben und sie können ein neues Leben beginnen, – die Sünde kann von ihnen weichen in der freieren Bewegung, während der Katholik gebunden bleibt an das Verhältniß und an die Person, gegen welche er sich, oder sie an ihm sich versündigte. Meine Tochter, ich habe in katholischen Ländern gelebt – dieses halbe Losgeben – was du als einen Vorzug bedauerst – hat entsetzliche Folgen gehabt. Ueber die, welche sich aus einer Ehe trennten, ist schon Irrthum und Versuchung gekommen, sei es von einem Theile oder von beiden – und gefährliche Leidenschaften sind erregt, die den Menschen auch ferner von der rechten Bahn abzulenken drohen. Ist es ihm erlaubt, gänzlich den Pfad zu verlassen, auf welchem seine Versuchungen zum Bösen hafteten, so kann er mit befreiten Kräften ein neues Leben beginnen, und die Veranlassung zum Falle liegt ihm nicht mehr vor den Füßen. Dagegen bleibt die halb gelöste Ehe bei den schon in Sünde Gefallenen die Pflanzschule der Sünde. Sie wissen, daß sie nie wieder ganz frei werden können, daß die Ehe wie ein Joch auf ihrem Nacken bleibt und sie versuchen daher kaum durch diesen bedingten Ausspruch der Trennung sich den Theil der Freiheit zu gewinnen, der die Menschen dennoch unter dem Schein einer getrennten Ehe festhält, während sie in jeder Beziehung, welche die göttliche Stiftung heiligt, schon aufgelöst ist. Da tritt es denn nur zu oft ein, daß in Heimlichkeit und wahrer Sittenverderbniß neue Verhältnisse geschlossen werden, die jedes sittlichen Rechts entbehren, die tausendfaches Elend über die bürgerliche Gesellschaft bringen und die Verirrten nie wieder von dem Pfade der Sünde loslassen, sondern ihnen immer neue Opfer zuführen.«

»Also,« sagte Angela ohne Prüfung – »sind wir jetzt besser daran, wie früher, und können uns vor der Sünde retten, wenn wir uns scheiden müssen?«

»Ach, meine Tochter, daß das wichtigste und schwierigste Verhältniß des Christen, die Ehe eben, von der beklagenswerthesten Verirrung nicht frei bleibt, ist ein tief zu betrauernder Makel, und von irgend einer ausreichenden Maaßregel, den Verirrten zu Hülfe zu kommen, den Folgen zu steuern, den Reuigen zu retten und den nachtheiligen Einfluß auf Gesittung und bürgerliche Rechte abzuhalten, findet sich in allen vorhandenen Gesetzen nichts vor. Sie werden auch immer nur eine negative Stelle behalten dürfen, wenn sie nicht in die große Fürsorge Gottes eingreifen wollen – sie werden nur bürgerlicher Schutz gegen rohe Gewaltthat bleiben dürfen, wenn sie nicht aus Gottes Hand das Richtschwert reißen wollen, und die wunderbaren Wege, die Er führt, um sich finden zu lassen, mit dem kurzsichtigen, unzureichenden Willen des Menschen verbauen wollen.«

»Auf anderen, langsameren aber ausreichenderen Wegen muß dem Uebel entgegen gewirkt werden; nur durch ein wahrhaft kräftigendes, religiöses Leben, was in der Jugend zu erwecken steht, nur indem wir das zu schließende Verhältniß aus dem Reiche einer weltlichen Berechnung heraus reißen, es in seinem Ernst und seiner Heiligkeit zu der wichtigsten religiösen Handlung erheben, an deren Vollendung und reiner Durchführung vor Gott wir unsere höchsten Kräfte wenden müssen – nur so werden wir Gesetze gegen Ehetrennung schaffen und zwar im Menschen schaffen, die darum ausreichende Kraft haben werden gegen dies Uebel, weil – wie es auch in tausend verschiedenen Gestalten auftreten und nach Maaßgabe der Bildung, der Verhältnisse anders erscheinen mag – dennoch das göttliche Leben, wo es durchgedrungen ist, die ausreichende Wahrheit giebt, welche Jedem verständlich und daher in jeder Form Jedem zur Richtschnur werden kann.«

»Hochwürdiger Herr,« sagte Angela besonders feierlich – »da soll man wohl kaum geschieden werden können?«

»Doch,« sagte Harsens fest – » man soll geschieden werden können – doch nicht um äußere Noth und Qual von uns zu nehmen, nicht um eine bessere irdische Existenz sich zu gewinnen, nicht um freventlicher Gelüste willen – wir sollen geschieden werden können um das Heil unserer Seele willen – wir sollen geschieden werden können, wenn wir von den Wegen, die Gott bezeichnet, verdrängt werden – wenn wir unsern Widersacher in der Ehe nicht vermocht haben zu Gott zurück zu führen – oder er uns nicht ungestört zu ihm hinstreben läßt – dann sollen wir geschieden werden können nach göttlicher und menschlicher Ordnung – dann soll diese Scheidung uns ehren, nicht verunehren, dann sollen unsere Gefühle vor Gericht stärkere Geltung haben, als rohe Thatsachen.«

»Davon that Nees alles nichts!« rief Angela und stand mit gefalteten Händen von ihrem Sitze auf – »und nun muß mich die Tante aufgeben – ich kann nicht nach göttlichen Gesetzen von ihm geschieden werden.«

Harsens hatte kaum noch daran gedacht, daß der besondere Fall ihm vorgelegt worden war. Er hatte sich im frommen Eifer der Sache hingegeben, und sie hatte ohne seine Absicht das Resultat herbei geführt.

»So ist es, Angela,« sagte er daher nach einiger Sammlung – »und du darfst dich weder in deiner Lage wesentlich gefährdet halten, noch darfst du den Mann aufgeben, der an dir mit einer Liebe hängt, die annehmen läßt, daß du nicht ohne Einfluß auf ihn bleiben wirst. Wende daher alle deine Gedanken von den Verlockungen, welche deine Tante dir – ihrer Einsicht nach – mit gutem Herzen bot und denke, daß Gott es zugelassen hat, daß du ohne dein Verschulden in eine geringere Sphäre getreten bist, als wozu dich die Geburt bestimmte. Richte nun alle deine Aufmerksamkeit darauf, zu erkennen, was Gottes Absicht mit dir auf diesem Standpunkte sein kann, und werde freudig und getrost in dem festen Willen, etwas Rechtes zur Ehre Gottes daraus zu machen.«

»Ich will freudig und getrost werden,« sagte Angela mit einer Stimme, die viel mehr an Kraft gewonnen hatte – ihre beklommene Brust war freier – ihr Auge sah wieder grade aus – es ruhte nicht mehr düster grübelnd am Boden. »O, Herr Pastor, ich bin nun wieder bei mir zu Hause! – Es ist schlimm, wenn uns Verwandte das Herz wenden wollen – man hängt auch mit ihnen zusammen und möchte ihnen gern Recht geben – aber es sagte immer etwas in mir: Folgst du ihnen, da wirst du keinen freien Athem dein Lebtag wieder in der Brust haben. Und nun – seitdem ihr gesprochen habt und ich es eingesehn, ist Alles wieder in Ordnung – seht, ich kann hoffen, daß ich was zu tragen haben werde, denn es ist ein schöner Gedanke, daß ich was Rechtes daraus machen soll zur Ehre Gottes.«

»Jetzt aber muß ich Alles wieder einrichten und von der Tante Abschied nehmen – und dann soll mich Keiner wieder aus meinem Hause herauslocken – und dann gefällt mir vielleicht Alles wieder wie sonst – und ich habe nicht was gegen Nees, wie jetzt.«

»Gott wird dich segnen, wenn du ihn bittest, daß er dir Kraft giebt, seinen Willen zu erfüllen!« rief Harsens gerührt – »aber vertraue nicht deiner eignen Kraft, sie ist ein Rohr ohne Mark. Bete – bete, daß Gott seinen Willen in dir stetig macht, dann wirst du durch den Glauben an ihn zur Fähigkeit gelangen.«

»Gebt Acht, wie Alles in mir wird,« sagte Angela – »und merkt euch ein wenig mein Thun, damit ihr mir zu Zeiten Aufschluß darüber geben könnt. Ich hab's weg jetzt, daß es leicht geht mit der Weltklugheit, und daß sie viel Recht für sich hat, wenn man davon redet, ohne an die Gradheit Gottes zu denken – das soll schon in meinen Gedanken bleiben.«

Voll erhöhten Antheils und mit dem frommen Muth, wie er in Harsens Herzen leben mußte für jeden Entschluß, der auf Gott sich stützte, entließ er die eilende Frau, welche nur noch abgemachte Sachen zu besorgen hatte und in deren Seele kein Schwanken, keine Unruhe mehr war.

Frau Lievers hätte lieber ihr Haus zu Grunde gehen lassen, als den Rückzug Angela's versäumt und ihre Augen hafteten durchbohrend auf dieser. Doch ihr ganzer Scharfsinn scheiterte an dem stillen erheiterten Gesicht der jungen Frau, welche sich gar nicht zu erinnern schien, wie boshaft die gute Bäckerin sie vorher angegriffen hatte, sondern ihr die Hand reichte und Abschied nehmend noch hinzufügte, sie wolle bald wieder kommen und dann länger bei ihr verweilen als jetzt, da sie heute noch viel zu thun habe.

Sie wußte nicht, daß man die ganze Welt liebt, wenn man einen guten Entschluß gefaßt hat.

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