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Da die Königin das große Banquet im Stadthause angenommen hatte, behielt sie den Morgen zur Ruhe wenigstens scheinbar, denn im Gegentheil benutzte sie diese weniger beobachtete Zeit, um den bei weitem schwersten Theil ihres Besuchs zu erreichen – um Geld, Kriegsvorräthe und Versprechungen zu fortdauernden Subsidien von der reichen Stadt Amsterdam zu erlangen, da ihr der Prinz Statthalter darin durch sein Privatvermögen, welches ihm zu eignen Zwecken so nöthig war, nur ungenügende Aushilfe hatte bieten können.

Dadurch kam es, daß sie ihrem vornehmen Hofstaat volle Freiheit gegeben hatte – und diese freie Zeit sollte nun für Urica bestimmt werden, die Personen zu sehen, die sich ihre Verwandten nannten.

Frau von Marseeven hatte gewünscht, von dieser ersten Begegnung Nees abhalten zu können, weil sie den nachtheiligen Eindruck dieses Menschen voraussah – aber sie fand in dem Widerspruch, den sie erfuhr, Nees und die Gräfin Urica ganz einig; denn Nees wollte mit grober Sicherheit sogleich sein Recht feststellen und Angela überwachen, ihre Antworten vielleicht lenken – und Urica wollte in ihm den Betrüger entdecken, den sie noch immer zu entlarven hoffte und dazu traute sie nur ihren eignen Augen.

Sie hatte der Gräfin Comenes am Morgen die ganze Lage der Dinge mitgetheilt und sie zu der Mitwirkung vermocht, die sie sich ausgedacht hatte.

Die alte Dame war auf's tiefste beleidigt durch den Gedanken, daß so gemeine Menschen in ein Verhältniß zu ihrer jungen Gräfin treten könnten, und hielt erst die Sache unmöglich – dann aber jeden Schritt erlaubt, um solche Ansprüche herabzudrängen bis auf die allgemeinsten Pflichten etwa der Wohlthätigkeit – sie unterließ nicht mit den stolzen harten Worten aristokratischer Beschränktheit die Pflichten vor der Befleckung durch solche Verbindungen hervorzuheben, und Urica – die so unendlich höher stand – hörte diesen Worten, die sie verachtet haben würde, wenn sie ihrem Willen entgegen gewesen wären, nicht ohne einige Genugthuung zu, denn, wenn sie auch nicht die Absicht hatte, grade so zu handeln, wurde sie doch zur Zeit gern an die starr behaupteten Rechte ihres Standes erinnert, von denen so leicht selbst der Beste glaubt, er könne sich ohne Nachtheil nicht ganz entfernen.

Die Gräfin Comenes wollte erst die ganze Sache, wie sie sich ausdrückte, für sich abmachen; dies wies aber Urica bestimmt zurück, wogegen sie ihren Beistand gern sah, da sie ihr ein Gegengewicht gegen die zu sanfte Frau von Marseeven zu sein versprach.

So war denn die Aufforderung an Nees und seine Gattin ergangen, sich in einer frühen Morgenstunde nach dem Prinzenhof zu der Gräfin von Casambort zu begeben, und ob Angela auch einen guten Theil ihrer Kräfte wieder erlangt hatte, fühlte sie sich doch sehr bestürzt, als die Entscheidung ihr so nah gerückt war. Nees hoffte – seine keineswegs viel sicherere Stimmung zu verbergen, äußerte seit der Einladung eine rohe Lustigkeit und einen großsprecherischen Hochmuth, mit dem er sich vertraut machen wollte, um ihn vor den vornehmen Leuten festhalten zu können. Er verspottete die beklommene Miene der armen Angela und erzählte viel Lügen, die darthun sollten, wie er schon oft bei solchen Gelegenheiten gewesen und wie er sich dabei benommen habe, was natürlich ihm immer zum Vortheil, den Vornehmen zum Nachtheil gereicht hatte. Ach! – Angela war keine lachende gläubige Zuhörerin mehr, und dies fühlte Nees mit einem Aerger, der so unedel wie alles Uebrige in ihm, doch Mitleid verdient hätte! Als sie endlich gerüstet waren, eilte Angela noch einmal in den Lusthof, wo die arme Wahnsinnige mit ihrem Kätzchen tändelte, kniete vor ihr nieder, legte ihre abgezehrten Hände auf ihr Haupt und küßte sie ehrerbietig – dann trat sie den sauern Weg an Jakobs Seite an.

In dem Vorzimmer, das zu den Gemächern der Gräfin von Casambort führte, standen die Bedienten derselben, deren Scharlachröcke von oben bis unten mit Silber gestickt waren – ein alter Herr in schwarzem Sammt, mit einem weißen Stab in der Hand, stand unter ihnen – an der gegenüber liegenden Thür standen zwei Pagen, und in einer Fensternische saßen die beiden diensthabenden Frauen.

Hier wollte das Unglück, daß Nees sich au sein de sa famille wähnte – die Versammelten, die Alle ein sehr würdiges Ansehn hatten, für Herrn des Hofes – den schwarzen Herrn für einen Verwandten und die Damen am Fenster, welche halb verdeckt waren, unfehlbar für die Gräfin von Casambort und – etwa noch eine Muhme der Art ansah.

Er fing zu dem Ende sogleich an der Thür schon zu schwänzeln und zu dienern an und gab Angela das Zeichen zu ihren leider sehr ungeschickt ausfallenden Knixen.

Das Aeußere von Nees war nun so auffallend gemein, daß ihn die versammelten Diener für einen Marktschreier, Gaukler oder noch Geringeres gehalten und weder ihm noch seiner leider sich eben so unscheinbar anlassenden Gefährtin Einlaß gestattet haben würden – wäre nicht der alte Mann in schwarzem Sammt, welches der Haushofmeister war, am Morgen durch die Gräfin Comenes in mystischen Worten auf einen möglicher Weise eintreffenden Besuch zweier geringen Personen aufmerksam gemacht worden, welche die Gräfin von Casambort sich vielleicht herablassen werde mit ihrem Gesuch anzuhören.

Er behielt daher eine ruhig ernste Haltung und trat Nees, welcher noch immer Diener machte, muthig entgegen, indem er ihn fragte, was zu seinen Diensten stände.

»Ach,« sagte Nees, nun ebenfalls vordringend – »Euer Gnaden sind sehr gütig und ich werde später mir ein Vergnügen aus Ihrer Bekanntschaft machen; aber vorerst hat Jakob van der Nees und sein liebes Weibchen, die Edle von Gröneveld, nichts weiter zu thun, als der lieben Frau Tante pflichtschuldigst die Hand zu küssen.« –

Nees hatte diese Rede, welche ihm sehr wohlgelungen schien, mit einem so widrigen Grinsen und mit so gemeinen Manieren an Händen und Beinen begleitet, daß die behauptete Ruhe des Haushofmeisters nöthig war, um die in ihrem Lachen fast erstickenden Diener zu mäßigen. Nees dagegen ergriff Angela mit seiner gigantischen Hand, und indem er mit ein paar Riesenschritten das Zimmer durchmaß, stand er jetzt mit großem Wohlgefallen vor dem Fenster, worin die beiden reichgekleideten Frauen saßen und hob hier auf's neue ein so übermäßiges Dienern an, daß die Mädchen vor Lachen zu ersticken glaubten, endlich sich aber erhoben und eben so lächerlich tiefe Knixe vor Nees und Angela machten, die zwar, so gut sie vermochte, dieselben erwiderte, aber in ihrem Herzen fühlte, wie verschieden diese ihre Tante, welche es auch sein mochte, von der edlen Frau von Marseeven war.

»Ich sehe,« sagte Nees ermuthigt – »unsere liebe Frau Tante befindet sich nicht allein recht wohl und munter, sondern ist an sich noch ein junges stattliches Frauenzimmer in besonders munterer Laune – nun das ist brav« – fuhr er fort, als Alle ihm unter lautem Lachen zuhörten – »ich habe es dir gleich gesagt, mein liebes Weibchen, wenn wir nur erst selbst mit der lieben Frau Tante unterhandeln können, da müßte doch der Teufel drein schlagen, wenn sie uns nicht anerkennen sollte. Doch nun bitte ich, doch mir zu sagen, wer denn von den kleinen runden Dingerchen unsere liebe Frau Tante ist?«

»Oh! ohne Zweifel ich! – o nein, ich!« riefen Beide zu gleicher Zeit, denn sie zweifelten nun nicht länger, daß sie einen Possenreißer vor sich hatten und selbst der alte Haushofmeister konnte ein anständiges Lachen nicht zurückhalten, indem er nicht mehr daran dachte, daß dies die von der Gräfin Comenes bezeichneten Leute sein könnten.

»Was das ein Scherz und ein Leben ist, Angelchen,« lachte Nees, indem er seine große Faust vor den lachenden Mund hielt – »das sind mir noch Leute, mit denen sich was reden läßt – ja! hier fühle ich mich unter Verwandten; das ist nicht so die Marseevensche Ziererei!« Er machte darauf ein paar possenhafte Nachäffungen, wie er hoffte, der Frau von Marseeven nach, welches wieder großes Lachen und Beifallrufen nach sich zog.

»Aber nun genug des Lachens,« fuhr er fort – »jetzt heraus mit der Sprache – wer ist unsere liebe Frau Tante, daß wir ihr die Hand küssen können – nachher wollen wir weiter lachen.«

»Mir – mir, Herr Neffe,« sagte die Aeltere – und die Jüngere trat zurück, um zu sehen, was weiter werden würde. Nees stürzte nun auf die Hand und küßte sie, dann zog er Angela vor und diese beugte sich ebenfalls schüchtern auf die Hand und küßte sie, wonach Nees vertraulich rief: »Nun, Frau Tante, zur Versöhnung auch ein Küßchen – umarmt meine Angela, dann seid ihr auch eine brave Tante, die Vernunft annimmt.«

Gravitätisch umarmte jetzt die Angeredete unter großem Lachen der Andern die arme Angela; dadurch ward diese aber mehr ins Licht gedrängt, und beide Kammerfrauen sahen als gute Kennerinnen, daß Angela große und schöne Juwelen und Perlen trug und ein Andachtsbuch in der Hand hielt, wie das ihrer Herrin.

Ein Wink verständigte sie, und es kam ihnen eine unheimliche Ahnung, daß hier am Ende ein anderer Zusammenhang obwalten könnte, obwohl Angela's rothes unschönes Gesicht und ihre ganze ungeschickte Gestalt wenig die Ansprüche ihrer Kleidung zu rechtfertigen schien.

Die Lustigkeit, welche indessen etwas zu geräuschvoll geworden war, dämpfte sich augenblicklich, als die Thür nach den innern Zimmern sich öffnete und ein kurzes Gespräch mit den Pagen vorfiel, welche sogleich den Haushofmeister herbeiriefen, welcher in der Thür verschwand.

Die strenge Gräfin Comenes hatte von der Unruhe im Vorzimmer etwas vernommen; die Pagen sagten ihr, es sei ein Gaukler da, der Späße mache, und die Gräfin ließ sogleich den Haushofmeister rufen, da ihr die Zulassung solcher Personen sehr unschicklich schien.

Der Haushofmeister entschuldigte seine Nachgiebigkeit gegen die Heiterkeit der Dienerschaft, indem er hervorhob, daß es zwar ein gemeiner häßlicher Bursche sei, der sich eingedrängt, aber daß er die lächerlichsten Späße getrieben, den beiden Kammerfrauen die Hände geküßt habe, verlangt, eine davon solle seine und seines Weibes Tante sein und alle Bedienten und ihn selbst für Verwandte gehalten habe und Ulla endlich gezwungen, das arme dumme Ding, sein Weib, zu umarmen. Urica, die sinnend in ihrem Fenstersitz saß, ohne an den Ermahnungen der Gräfin Theil zu nehmen, die sie ihr stets überließ, fuhr ahnungsvoll plötzlich in die Höhe und rief der Gräfin Comenes lebhaft zu: »Was kann das sein?« – Als die Thüren sich schnell öffneten und Frau von Marseeven blaß und aufgeregt hereintrat und ohne weiteres vorwurfsvoll ausrief: »Urica! Urica! in welche entsetzliche Lage bringt ihr die arme Angela – unter euren Domestiken steht sie im Vorzimmer, von ihrer Vertraulichkeit belästigt, während ihr Mann sie wie seines Gleichen behandelt und bereits glaubt, mit euch zu verkehren, während eure Kammerfrauen eure Rolle spielen und ihn verhöhnen.«

»Also doch,« sagte Urica mit einem tiefen Seufzer – »also doch – so gemein und roh, daß sie eine Belustigung meiner Domestiken werden konnten. Oh! das ist hart, Muhme – härter, als was Sie dort erfuhren – dies beweist nur, wie unmöglich Sie zu mir passen können. O – ich bitte euch – könnt ihr dies nicht noch von mir abwenden – denkt, welche Lage, jetzt diese Menschen in meine Nähe zu rufen, die eben meinen Dienern als gemeine Gaukler dienten, sie zu belustigen – denkt, daß sie dadurch noch eine Staffel tiefer gesunken sind.«

»Gräfin Urica,« sagte Frau von Marseeven ungewöhnlich gereizt und beleidigt – »thut, was ihr wollt. Ich habe euch, ebenso wie mein Gemahl, redlich in dieser Sache gedient – vergeßt nicht, daß sie uns persönlich nicht angeht, daß wir kein Interesse an den unglücklichen Leuten haben, die sich zu dem schweren Posten eurer Verwandten gemeldet haben, und handelt nun selbst nach Pflicht und Gewissen – nur verlangt meine Thätigkeit nicht weiter gegen sie, das ist gegen mein Gewissen.«

»Ihr seid aufrichtig böse,« rief Urica – »aber nehmt mir nicht übel, wenn ich die Sache doch persönlich zu euch mache. – Gewiß, Muhme, Sie sollten meine Schwelle nicht überschreiten, fürchtete ich nicht, euch zu erzürnen und« – setzte sie hinzu – »hoffte ich nicht, euch von eurem Irrthum zu heilen.«

Der Haushofmeister, der sich bis an den Rand der Thür der flüsternden Unterredung entzogen hatte, bekam nun Befehl, das fremde Paar einzulassen und ihnen vorher zu sagen, daß sie jetzt erst der Gräfin von Casambort vorgestellt werden würden, und der Dienerschaft anzudeuten, daß sie sich über ihre scherzhafte Vertraulichkeit zu entschuldigen habe.

Unbeschreiblich niederschmetternd war der Schlag, den Nees von der Nachricht bekam, wie gemein er sich mit den Domestiken der vornehmen Verwandtin gemacht, welche er beschlossen hatte, grob und anmaaßend zu behandeln, weil er gehört hatte, das sei vornehm.

Alles glaubte er hinter sich zu haben, alle Noth besiegt, und sich als ganzer Mann lustig und gewandt benommen zu haben – und nun sollte nach dieser unerhörten Demüthigung, daß er und Angela der Kammerfrau die Hand geküßt und sie um eine Umarmung für seine hochgeborene Frau gebeten hatte – da nun sollte die Begegnung mit der rechten Tante erst angehen, und wenn das nur ihre Dienerschaft war – wie mußte sie dann sein. Er wurde aschfarben und zitterte – er blickte nach der Thür und es reizte ihn zu entspringen und Angela ihrem Schicksale zu überlassen – dann vergingen ihm alle Gedanken und er stand dumm vor sich hin.

Aber was ging indessen in Angela vor? Ihr Gatte verlor den letzten Rest von Vertrauen – und es faßte sie eine Verstocktheit und ein Gefühl von Vereinsamung, als wenn sie am Rande des Grabes stände.

Der Kammerdiener durfte ihnen nicht viel Zeit lassen – er erinnerte sie, daß die Damen sie erwarteten und jetzt stürzte Nees, um alle seine Ueberlegung gebracht, planlos und außer sich auf die Thür zu, von der armen Angela in einer ähnlichen, trostlosen Stimmung gefolgt, und so traten Beide in der ungünstigsten Lage vor ihre strenge Richterin.

»Seid ihr der Mann, der sich Jakob Nees nennt?« sagte eine strenge, hohle Stimme. – Nees war so bestürzt, daß er die Anrede überhörte – er sah entsetzlich widrig aus. Seine Kleider saßen auf dem kleinen stämmigen Körper, als paßte kein einziges Stück – sie waren von kirschrothem Tuch, mit Silberborten und hellgrünem Vorstoß aufgepufft – der Mantel war von scharlachrother Seide mit gelbem Futter, der Hut mit einer gelben Feder, die Strümpfe eben so von gelber Seide, die Schuhrosen feuerfarben. Angela hatte auch eine traurige Wahl der Farben getroffen, trug geblümte Stoffe, eine ungeschickte Haube, und die Geschmeide, deren Anwendung sie gar nicht kannte, saßen oft am ganz unrechten Orte.

Nach der Musterung, die während der Pause vorging und Beiden so ungünstig sein mußte, wiederholte die Stimme noch strenger: »Seid ihr der Mann, der sich Jakob Nees nennt?«

Jetzt hatte Nees sich so weit gefaßt, daß er die Dinge wieder um sich her erkannte. Er sah nun, wie er fest wähnte, die gestrenge Tante von Casambort vor sich – und in Wahrheit streng genug sah die Dame vor ihm aus; denn es war die Gräfin Comenes, die in der Mitte der Stube auf einem mächtigen Armstuhl saß und diese Anrede hielt. Sie konnte ein unerhört stolzes Aeußere annehmen, und ihre Kleidung und ihre jetzige Stimmung verstärkten den Ausdruck so, daß er Nees fast die Kehle zuschnürte.

Von einem prächtigen Unterkleide, welches reich mit Gold gestickt und von goldgelbem Atlas war, fiel ein Ueberkleid von schwarzem Sammt mit Goldstickerei und weißem Atlas gepufft, seitwärts nieder. Eine goldene Haube mit lang niederfließendem schwarzen Schleier deckte den Kopf, und das regelmäßige Gesicht war todtenblaß, und kaum die schmalen Lippen bewegten sich bei den Worten, die sie sprach.

»Ja, ja, Gnaden!« stammelte Nees – »wir sind die, die ihr suchtet – ja, ja, wir sind es! straf' mich Gott, wenn Nees lügt! – Dies bin ich, Jakob van der Nees, wenn euch gefällig ist – und dies ist Angela, mein Weibchen, die wahre, rechte Tochter von Renier de Gröneveld, also eure Nichte, von den Casamborts abstammend – eure Nichte, Frau Tante – euer Gnaden – wir sind die, die ihr suchtet.«

»Euch suchte Niemand,« sagte die Gräfin Comenes – »und wenn diese Frau die eurige ist und ihr beweist, daß es das verlorene Fräulein von Gröneveld ist, so findet man in euch doch immer mehr, als man wünscht.«

Nun hatte Nees mit den ersten Worten, die er sprach und wie immer sehr gelungen hielt, seinen rohen Muth wieder bekommen, und der erste Schreck war wenigstens so weit überwunden, daß er zu der alten Ueberlegung kam, er müsse sich muthig halten. Seine Augen schweiften schon wieder forschend umher, und er sah die Frau von Marseeven hinter der Dame vor ihm auf der Rücklehne des Stuhls ruhend, und sein widriges gemeines Satyrlächeln beschlich ihn, als er neben ihr auf ihrem Arm ruhend, den wunderschönen Kopf Urica's bemerkte, welche sinnend und stumm beobachtend auf ihn nieder sah.

»Habt ihr denn nicht die Papiere alle gelesen,« sagte er hierauf schon in anmaßenderem Tone – »was wollt ihr denn mehr – was braucht's denn weiter – bin ich der Mann, der betrügen will? Das fehlte noch! Sagt mir doch in aller Welt, was nur Jakob van der Nees, Bürger von Amsterdam, vereideter Kaufmann, in Besitz eines Vermögens, das mehr ist als die Gröneveldsche Lumperei – was mir, sage ich, daran liegen kann, ob diese da von hoher oder niederer Sippschaft ist.«

In diesem Augenblick machte Angela eine wankende Bewegung auf ihren Mann zu, und Frau von Marseeven rief hinter dem Stuhle vor: »Nees, holt eurer Frau einen Stuhl!«

Nees sprang gemein geschäftig zurück und schleppte einen der schweren Sessel herbei, den er ungeschickt hinstellte und Angela niederzusitzen zwang. – »Setz' dich, Angelchen, mein Weibchen! setz' dich, du armes, schwaches Ding – die Frau Tante erlauben es!«

»Frau Nees, redet ihr jetzt,« sagte die strenge Stimme der Gräfin Comenes – »antwortet offen und ohne Furcht – seid ihr auf keine Weise mit eurem Manne einverstanden, einen Betrug gegen die Verwandten des Herrn Renier de Gröneveld zu spielen?«

Angela richtete zuerst ihr gesenktes Antlitz auf und richtete es mit einem solchen Leidensausdruck auf die Fragende, daß darin schon die Antwort gelegen hätte; aber sie stammelte auch noch: »Nein! nein – ich habe nie betrogen!«

»Und,« fuhr die unerschütterliche Frau fort – »seid ihr sicher, die Tochter des edlen Gröneveld und des Fräulein von Casambort zu sein?«

»Ich weiß dies noch nicht lang,« entgegnete Angela, »aber Nees sagt es, und als ich ihn heirathen wollte, vertraute es mir die alte Magd meiner armen Mutter, welche nicht wollte, daß ich Nees heirathete.«

»Und was weiter – als ihr es wußtet – warum heirathetet ihr dennoch einen Mann, der so weit unter eurem Stande war?«

»Ich wußte nicht, daß es so viel Unterschied ist – und Nees wußte es auch nicht.«

»Seid ihr gewiß,« rief die Gräfin streng – »daß euch dieser Mann in nichts betrogen hat – daß ihr nicht von ihm hintergangen seid?«

Angela verstummte – das konnte sie nicht mit Ja beantworten, denn seit sie wußte, er hatte den Aufruf der Gräfin von Casambort vor der Hochzeit gehört, seitdem wußte sie, daß er sie betrogen hatte.

Nees trat bei ihrem Verstummen von einem Fuß auf den andern und preßte seinen Mund auf die geballte Faust.

»Sie ist so blöde, Gnaden, so blöde,« stotterte er – »Mein Weibchen, mein Angelchen – sag's doch, gestehe es ein, wie du mich liebst und wie redlich Nees an dir und deiner armen Mutter gehandelt, dich verborgen in der Gefahr, dich ernährt von seinem Wenigen – sag's doch,« fuhr er fort, immer mehr vergessend, daß er beobachtet wurde, und über Angela's Schweigen in steigende Wuth gerathend – »Sag's, Angela – sag's, ich befehle es dir! – Sag's, oder wir werden uns sprechen!« Die Beine hoben sich schon vor Wuth – Angela schauderte zusammen.

»Schweigt!« rief die Gräfin Comenes, daß es Nees wie einen Blitz fühlte – »und tretet zurück – fort von dieser Frau!« Er wich von Angela mit einem wilden Satz abseiten, und indem verhüllte diese ihr Gesicht mit beiden Händen und brach in einen Strom von Thränen aus.

»Da haben wir die Närrin!« schrie Nees ganz wüthend – »Hier zu heulen – hier! hier – wo es gilt, den hohen Verwandten dich zu zeigen. Ach, Madame – Euer Gnaden – ein Mann wie ich in der Stadt am Kaufhause ist recht zu beklagen bei eigener Befähigung, wo man wünschte, und Rechte behauptet, solche Gründe für den Schwachkopf, wo zum Betragen was gehört – keine hohle Nuß sein muß, wo dann Unglück entsteht – schweig! – antworte – heule nicht.« Er wußte nicht mehr, was er sprach, er wußte nicht, daß er schon vor Wuth zu hopsen begann, denn die Verzweiflung, wenn Angela die kritische Frage gar nicht oder mit »nein« beantwortete, machte ihn ganz närrisch.

Eben wollte die Gräfin Comenes wieder einschreiten, da stieß Urica hinter ihrem Stuhl beinah schreiend die Worte aus: »Heil'ger Gott, sie ist es!«

Erstaunt blickte die Gräfin nach ihr um und sah, daß Urica ihr Gesicht mit ihrem Tuch verhüllt hatte und so heftig zu zittern begann, daß Frau von Marseeven sie stützen mußte.

Die Gräfin Comenes sprang sogleich auf, und Beide führten sie nach einem Ruhebett, denn Urica's Erschütterung schien sie einer Ohnmacht nah zu bringen.

Aber Nees, der Urica's Ruf nicht verstanden hatte und diesen Aufbruch der Damen für sich nachtheilig hielt, stürzte, als er sich unbemerkt wähnte, auf Angela zu, riß ihr die Hände vom Gesicht und schrie wüthend: »Antworte – antworte, daß dir kein böser Verdacht kommt gegen mich! oder ich verstoße dich, ich bringe dich um!«

»Nein, Nees,« sagte Angela klagend – »das kann ich nicht sagen, denn ich kann nicht lügen.«

Nees prallte zurück, als hätte er einen Schlag bekommen, denn in diesen einfachen Worten lag ein fürchterlicher Ausspruch, eine Anklage, die er sich geleugnet hatte, daß sie dazu Urtheil, Verstand und Ursach finden werde. Er fühlte, er habe nun einen neuen Weg mit ihr einzuschlagen – welchen, wußte er noch nicht.

»Um Gotteswillen,« hob indessen Urica an, die sich zu erholen begann – »schafft den pöbelhaften Menschen aus dem Zimmer – ihn allein – ich werde durch seine Nähe um alle Kraft gebracht – ihn allein! – Sie – muß bleiben – denn es ist entschieden – sie ist eine Casambort.«

»Das wißt ihr jetzt? Das glaubt ihr?« rief die Gräfin Comenes – »das muß ein Irrthum sein, meine Liebe – wie sieht die Frau aus – nicht weniger gemein fast.«

»O verschont mich,« entgegnete Urica – »sie ist es – sie ist es doch – nur fort mit dem Menschen.«

Die Gräfin Comenes trat nun zu der verlassenen Gruppe zurück und sah, wie Nees, auf und ab rennend, das Bild eines abwesenden Menschen war, während Angela wie die Ergebung selbst den Kopf auf die Brust gesenkt hatte.

»Jakob Nees,« sagte sie streng – »zieht euch zurück und wartet im Vorzimmer, bis man euch rufen wird.«

Nees blieb stehn, und eine brutale Antwort schwebte auf seinen gerollten Lippen; aber die Gräfin Comenes war eine Dame, der man nicht leicht widerstrebte, wenn sie befahl – und bei dem Widerstande, der in ihres Gegners Gebärde lag, kam sie so wenig aus der Fassung, daß sie mit ihrer langen gebieterischen Hand ihre Worte wiederholte, indem sie nach der Thür zeigte. Nees trollte murrend und sich wild schüttelnd dieser Weisung nach, und endlich lag die Thür zwischen ihnen.

»Jetzt, Gräfin,« sagte die alte Dame, zu Urica zurückkehrend – »sind wir mit der armen jungen Frau allein! Doch bitte ich euch noch einmal, überlegt es wohl, übereilt nichts – jede Anerkennung eurerseits wird so schwer zu widerrufen – sie ist so bedeutungsvoll.«

»Gräfin Comenes – und ihr, Muhme Marseeven,« sagte Urica mit stockendem Athem – »ich will nichts thun – Ihr sollt entscheiden – ihr sollt sagen, ob ich mich irre, ob nicht! Ihr, Flavia, habt mich gestern an eine Eigentümlichkeit unseres Geschlechts erinnert. Allen Frauen des Hauses Casambort fehlt an dem kleinen Finger jeder Hand das dritte Glied. Eine alte Sage und ein goldner Ring, der diese unterstützt, gehören seit undenklichen Zeiten zu dieser sich fortpflanzenden Eigenthümlichkeit. – Als ihr mich gestern daran erinnertet, bestimmte dies meinen Entschluß, diese Frauen zu sehen – dies Kennzeichen zu den vorhandenen Beweisen hinzukommend – fühlte ich – würde meine Ungläubigkeit überwinden. Dennoch – muß ich gestehen – überwältigte mich der entsetzliche Anblick und das rohe Betragen dieses Mannes und die brandmarkende Scene im Vorsaal, die sie zum unaustilgbaren Gegenstand des Gelächters meiner Dienerschaft macht – so gänzlich, daß ich vergaß, was ich beschlossen hatte, zu beobachten und mein Herz mit Abscheu von Beiden abwendete. – Da thatet ihr die Frage, ob diese unglückliche Frau sich von ihrem Mann betrogen hielt. Ihr ehrenhaftes Schweigen schon erregte meine Theilnahme, denn wer konnte zweifeln, daß sie sich für betrogen hielt – aber indem meine Augen mit diesem milden Gefühl auf ihr haften blieben, hob sie beide Hände empor und verhüllte ihre weinenden Augen. Diese Hände – so roh und verdorben – sie trugen das Zeichen der Frauen von Casambort.« Urica lehnte nach diesen Worten sich einen Augenblick erschöpft in ihren Sitz zurück. – »Jetzt bitte ich euch,« unterbrach sie das verlegene Schweigen der Damen – »thut etwas für die Unglückliche – mischt etwas Wasser mit diesen belebenden Tropfen und reicht es ihr – sie hat es nöthig – und dann beobachtet ihre verarbeiteten Hände, ob sie das Zeichen der Abstammung tragen.«

Die Frauen folgten mechanisch der Anweisung, und der Ton der Gräfin Comenes hatte sich so sehr geändert, daß Angela die verweinten Augen klagend zu ihr aufhob und das Getränk willig annahm, was ihr so sanft geboten wurde.

Als Beide zu Urica zurückkehrten, welche mit hochathmendem Busen in ihrem Sitz lag – nahm Frau von Marseeven mit tiefer Rührung Urica's schöne Hand, zeigte auf den kleinen Finger und nickte mit dem Kopf.

»Ja,« sagte die Gräfin Comenes – »diese Hände, welche die Spuren der Anstrengung tragen, sind doch noch schön geformt, und ihnen fehlt das dritte Glied des kleinen Fingers.«

Mit einer muthigen Anstrengung erhob sich die Gräfin Urica im selben Augenblick, und fest entschlossen ging sie auf Angela zu. Als diese sie auf sich zueilen sah, stand sie auf, fiel im selben Augenblick vor ihr nieder und rief in einem von Schmerz zerrissenen Ton: »O, meine Tante, vergebt mir, was ich unwissend an euch und meiner Familie verschuldet habe!«

»Du kennst mich?« rief Urica heftig erschüttert »und gabst dich mir nicht früher zu erkennen?«

»Ach, wie hätte ich euch in der Gegenwart von Nees so beleidigen können!« rief Angela –

»Großer Gott!« rief Urica – »Seht! seht – habt ihr es gehört – ist sie nicht werth, meine Verwandte zu sein? Doch wie konntest du mich kennen, da diese Dame doch nur zu dir redete?«

»Ich habe eine Mutter,« sagte Angela – »einen Engel – aber einen Engel, dessen Seele nicht mehr auf Erden ist – was ihr von Bewußtsein übrig geblieben ist – das ist die Liebe zu mir und zu einem kleinen Bilde, was auf ihrer Brust hängt – wenn sie mich liebkost, zieht sie oft das Bild hervor und küßt es auch und lächelt es an. – Susa, ihre Magd, sagte mir, daß das schöne weibliche Portrait ihre Mutter sei – das auf der andern Seite das Bild meines Vaters. Diesem Portrait gleicht ihr vollkommen, und als ich euch sah, wußte ich, daß ihr meine Tante waret und nur aus Verachtung gegen uns die andere Dame sprechen ließet. – Da beschloß ich zu schweigen und sollte mir das Herz brechen.«

Aber im selben Augenblicke lag sie in den Armen dieser Tante und fühlte sich fest an das so lang widerstrebende Herz gedrückt, und während Urica's Thränen flossen, rief sie immer wieder: »Ja, du bist meine Nichte! du bist eine Casambort – das ist das Zartgefühl, der edle Stolz meines Geschlechts – o, wie bin ich froh, daß ich dich auch an deinen Gesinnungen erkennen kann!«

Angela feierte den Silberblick ihres Lebens – der Moment, der diese zärtliche, achtungsvolle Anerkennung enthielt, erhob dies unterdrückte, gemißhandelte Weib in Wahrheit zu einem höheren Range – die edelste Erhebung des Menschen, die Selbstachtung, erfaßte dies bis jetzt so bewußtlose Wesen, und was sie damit einbüßte an der harmlosen Heiterkeit und Ruhe ihrer bisherigen Unwissenheit, das tauschte sie ein für eine höhere menschliche Würde. Kam ihr damit auch der Schmerz und der Widerspruch, konnte ihre Bewußtlosigkeit, die sie auf der untersten Stufe der Entwicklung gehalten, doch nicht anders aufgehoben werden.

Liebevoll aber bescheiden erwiderte Angela die Liebkosungen der schönen Tante – und die beiden Damen nahmen an der rührenden Scene nach Maaßgabe ihres Charakters aufrichtigen Antheil. Urica eilte bald in die Arme der guten Frau von Marseeven, um sie um Verzeihung zu bitten und ihr zu danken, und die Gräfin Comenes begann nach den ersten Augenblicken schon die ferneren Schritte nach außen zu überlegen.

Diese waren in Wahrheit nicht leicht, denn die Gerechtigkeit forderte einen Act, gegen den der Stolz und die Scham sich sträubte und dessen wahre Wohlthätigkeit für die Betheiligten noch sehr in Zweifel zu ziehen war.

Da hörte die Gräfin Comenes, daß Urica zu ihrer Nichte sagte: »So weisest du mich zurück, Angela – das soll unser Verhältniß für die Zukunft werden – fühlst du denn nicht, daß ich Rechte habe?«

»Aber was wollt ihr mit Nees machen?« sagte Angela natürlich – »ihr werdet ihn nie wohl leiden können – und ich weiß, daß es mein Tod sein würde, wenn ich noch einen Tag das erleben müßte, was heute hier geschehen ist.«

»Angela,« sagte Urica – »sei aufrichtig mit mir – glaubst du jetzt nicht selbst, daß Nees dich betrogen hat, indem er meinen ersten Aufruf kannte, ihn dir aber verschwieg, um dich zu einer Heirath mit ihm zu bewegen, die ihm dein Vermögen sicherte?«

»Ach,« sagte Angela aufrichtig – »nichts ist gewisser – aber vergebt mir diese Heirath, die euch so kränken muß – ich kannte ja Niemand als die Pastor's und die Bäckerin – Beide wollten mich zur Frau ihrer Anverwandten machen – von höheren Ständen – von Allem, was ich jetzt weiß, hatte ich damals nie gehört, denn wir geringen Leute sehen wohl die vornehmen Kirchgänger und mögen es gern, wenn sie geputzt sind und ganz anders als wir – aber damit fällt nichts auf unsere Lage zurück – das läßt uns ganz gleichgültig – es ist zu weit von uns.«

Wie schmerzte Urica diese demüthige Rede der armen Angela – wie fühlte sie den alten Zorn in sich entbrennen, und wie schnell gab sie ihm Worte.

»Angela,« sagte sie – »du bist das Opfer eines abscheulichen Betruges geworden, und ich werde nicht leiden, daß du es bleibst. Es giebt noch Gesetze, und ich werde sie anwenden, um dich von diesem Betrüger zu befreien.«

»Meint ihr, Nees? Tante« – rief Angela lebhaft – »Nees, der mein angetrauter Mann ist?«

Was lag nicht in diesen einfachen Worten! Welch' ein rührender Widerspruch – die Erledigung eines ganzen Rechtsstreites.

Urica fühlte es und schauderte zusammen. »Großer Gott,« sagte sie endlich – »denke doch, Angela, daß es solche Trennungen giebt, daß unsere Religion sie nicht verbietet, daß es in allen Ländern unseres Bekenntnisses bereits Gesetze giebt, die dir zu gut kommen würden, und dich frei machen, und dich uns zurückgeben, deiner Familie zurückgeben würden.«

»Davon hat der Pastor nichts gesagt, der uns traute,« sagte Angela unschuldig. – »Er sagte: was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nimmer trennen! Tante,« fuhr sie fort – »seit das Alles vorgeht, habe ich viel gelitten und mehr Gedanken gehabt, als all' die Jahre vorher. Da hat es Nees und mich gerettet, daß der Pastor das gesagt hat, denn es wollte sich was in meinem Herzen ansetzen gegen Nees – wäre das so fortgegangen, wäre ich nie wieder aus dem Bett gekommen – ich wäre daran gestorben. Aber eine Traurede muß wohl was vermögen, denn sie fiel mir immer wieder ein, wenn's am schlimmsten war – und dann konnte ich es aushalten, und es nahm nachgrade was mit weg.«

»Aber,« sagte Urica und kämpfte gegen ihre Üeberzeugung an – »aber was sollen wir denn mit deinem Mann machen – ich kann doch Nees nicht als Verwandten ansehen.«

»Nein, das könnt ihr nicht,« entgegnete Angela schnell – »denn müßte ich ihn oft mit euch zusammen sehn – dann könnte ich's nicht ertragen – dann würde das hier mein Tod,« sagte sie und zeigte auf ihr Herz. »Aber ihr müßt bleiben, was ihr vorher wart und ich desgleichen. Kein Mensch hat vorher von mir gewußt, kein Mensch fragt weiter nach, wenn ich wieder zurückkehre in mein altes Haus,« und doch erstickte jetzt Schluchzen Angela's Stimme.

Urica stand händeringend auf. – »Helft mir – rathet mir!« rief sie in Thränen ausbrechend und warf sich in die Arme der Frau von Marseeven.

»Ach, meine theure Muhme,« sagte diese traurig – »wird hier zu helfen sein? Denkt, daß Angela überdies die arme wahnsinnige Mutter pflegt – was soll aus dieser werden – welchen Platz sollen Beide in der Welt finden, wenn ihr sie jetzt aus der gewohnten Lage herausreißt?«

»Ich muß sie sehen,« rief Urica – »o meine arme, arme Schwester, nach der ich mich mit tausend Schmerzen gesehnt, so lange ich denken kann – so soll ich dich wieder finden? – Ja – dabei mag's bleiben – ich muß sie sehen – und zwar heute – sogleich.«

»Heute möchte es zu spät werden,« sagte die Gräfin Comenes – »da wir die Königin gleich zum Bankett begleiten müssen.«

»Du siehst,« sagte Urica ungeduldig, sich zu Angela wendend – »ich bin nicht mein eigner Herr! ich muß mich der mir aufgenöthigten Verpflichtung unterziehen. – Aber es wird sich dennoch machen lassen – denke nur daran, daß ich die Mutter sehe, ohne von Nees belästigt zu werden.«

Da Angela schwieg, sagte Urica nach einigem Sinnen: »Es wird sich machen lassen! Hör' mir zu, Angela: Wenn dir ein Page diese kleine bunte Feder bringt, dann bezeichne ihm genau, wo ich auf geheime Weise dein Haus betreten und zur Mutter gelangen kann – und nun grüß' dich Gott bis auf Wiedersehn.«

Die Gräfin Comenes begleitete Angela mit vielem Anstande und im Vorzimmer mit hervor gehobener Achtung bis zur Treppe, jedoch ohne von Nees weiter Kenntniß zu nehmen, der endlich einsah, er müsse, ohne auf weitere Einladung hoffen zu dürfen, seiner geehrten Gattin folgen. Knurrend und zürnend lief er hinter Beiden her, und es gelang ihm auch beim Abschied nicht, wo Angela mit großer Höflichkeit entlassen wurde, einen seiner Diener bemerkbar zu machen, denn die Gräfin Comenes hatte das Talent, ihn für Luft zu halten und gänzlich über ihn weg zu sehen.

 

Ende des ersten Theiles.


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