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Seit dem Tode Olden Barneveldts hatte sich die gefühllose Gleichgültigkeit Jakobs van der Nees gegen die politischen Zustände seines Vaterlandes in ein scharfes Aufhorchen auf die darüber herrschenden Gespräche umgewandelt.

Mit Entsetzen hörte er von der gescheiterten Verschwörung, in welche abermals die Familie verwickelt war, der er allein mit menschlicher Theilnahme anhing. Zwar war ihr Schicksal noch nicht entschieden; man sprach zugleich von dem glücklichen Entkommen beider Brüder; aber man schilderte die Gefahren, die sie verfolgten, und die Wuth des Statthalters gegen sie so entsetzlich, daß fast Niemand die Hoffnung festhielt, daß sie unentdeckt bleiben würden, besonders wenn engherzige Gemüther die Gefahren schilderten, worin sich alle diejenigen stürzen würden, welche die Flüchtlinge aufzunehmen wagten, da eine Bekanntmachung erlassen war, welche Alle – die dies wagen möchten – mit gleicher Strafe, als den Verbrechern zugedacht war, bedrohte.

Als Jakob van der Nees an jenem Tage in seine elende, dunkle Kammer zurückkehrte, saß er stumm und steif auf seinem dürftigen Bett, und vergaß wiederum sein gewöhnliches trauriges Geschäft des Geizes und der Habsucht. Sein Gesicht zuckte, als ob ein innerer Kampf ihn zerrisse; seine Hände lagen geballt in einander, und er stöhnte oft auf, als wollte ihm das Herz brechen. Aber er hatte eine Erfahrung mit dem Schmerze gemacht, wovor ihm graute wie vor dem gefährlichsten Feinde, und er setzte sich bei Zeiten zur Wehr – auch war die Veranlassung nicht so erschütternd. Beide Söhne Barneveldts waren viel älter als er und hatten ihn ihr Uebergewicht in jeder Hinsicht oft fühlen lassen; er hatte mit dem Scharfblick des Unterdrückten ihre Fehler erkannt und sie deshalb weniger geachtet. – Aus allem diesem ging ein schwächeres Gefühl hervor, als ihm der Vater eingeflößt, welchen er für ohne Fehl gehalten, und der ihm bei vielen Fällen Schutz ward und immer gerecht blieb. Aber dies hinderte nicht, daß beide Brüder mit Allem in seinem Herzen verflochten waren, was er von Glück der Kindheit und ersten Jugend genossen; daß er sie wie sein Eigenthum ansah und bis jetzt auf so unerreichbarer Höhe menschlichen Glückes, daß er diesen Zustand mit Ehrfurcht betrachtet hatte.

Das sollte nun Alles vorüber sein – dieser Hintergrund seines Lebens sollte fehlen – und die einzigen Menschen, die er je geliebt, in Elend und Verfolgung schweben!

Es war dabei so trostlos um ihn, wie in ihm. Ein fürchterlicher Sturm trieb Regen und Schlossen zu gleicher Zeit gegen das zitternde Fenster. Nebel und Kälte drangen durch die schlecht verwahrte Thür, die auf den Hof führte, dessen Fliesen von dem niederstürzenden Regen zu schreien schienen. Seit dem vorigen Tage hatte er nichts genossen und schien es auch jetzt zu vergessen; aber ein Unbehagen schlich durch seine Glieder; die Kälte schüttelte ihn, und er dachte an den Heerd – und ein heimliches Gelüst nach etwas Feuer schlich sich in sein zagendes Herz. – Er raffte sich auf und untersuchte seine Tasche, worin er Stroh, kleine Späne und Kohlen zu sammeln pflegte, die auf dem Lagerplatze oder am Strande abfielen, und es schien ihm genug, um sich die Lust eines kleinen Feuers zu gönnen. Er zündete eine düstere Lampe an, schlich durch den dunklen Gang, der nach dem Banquetsaal führte – der einzige Weg, um zu dem Flur zu gelangen, auf welchem der Heerd lag, ohne den überschwemmten Hof zu betreten.

Als er durch den Saal ging, sah er erschrocken, daß der Sturm in den Kamin eingedrungen und den Stammbaum erschüttert hatte, der über seinem Gesims stand.

Mehrere Wappenschilder waren heruntergestürzt und er bückte sich, indem er die Lampe in die Fensternische stellte, um sie aufzuheben.

Es war das wohlbekannte vereinte Wappenschild der Purmurand und Barneveldt, als der weibliche Zweig der ersteren Familie in die letztere überging.

Jakob fühlte ein sonderbares Grauen bei diesem Anblick und lehnte das Wappen eben gegen einen Pfeiler des Kamins, als es ihm schien, er höre ein Geräusch, welches wie ein Klopfen an der Scheibe des Fensters klang, wo die Lampe stand; er schritt gegen das Fenster zu, und im selben Augenblick fiel die kleine Scheibe zerbrochen aus dem Blei der Bekleidung zu Jakobs Füßen.

Er blieb prüfend stehn und lauschte mit angehaltenem Athem – als er aber nach kurzem Besinnen bis zu seiner Lampe vortrat, hörte er eine unterdrückte Stimme seinen Vornamen rufen. Er blickte empor und durch die zerbrochene Scheibe blitzten ein Paar Augen. Entsetzt fuhr Jakob in die Höhe. – »Oeffne! öffne schnell die Thür!« rief eine Stimme, die, so erstickt sie war, ihm das Blut zum Herzen trieb. Er stürzte auf den Flur hinaus und begann hier das schwierige Werk, eine Thür zu öffnen, die wie mit ihrer Fassung verwachsen war, da sie seit Jahren ungeöffnet blieb. Nur Jakobs riesiger Kraft konnte es gelingen, und zwar mit der Vorsicht, die nöthig war, um durch kein Geräusch die Nachbarn zu wecken, denn er übersah sogleich alle Umstände.

Als endlich die schwere Thür zurückwich und die eisernen Balken sanken, schien Alles vor derselben leer zu sein, und nur nach einiger Zeit erkannte er im Schatten des Ueberbaus einige Gestalten. Muthig durch seine erprobte Körperkraft, schritt Jakob der Gruppe zu und sah einen Mann auf seinen Knieen liegen, ein Weib im Arm, über das er gebeugt lag und ihrem leisen Wimmern mit eben so leisen Worten begegnete – neben ihm kniete eine zweite Frau, für Beide bemüht, wie es schien.

»Geschwind« – rief Jakob leise, denn er hatte keinen Zweifel, wen er vor sich sah – »das Haus ist geöffnet – tretet ein, ehe uns Jemand sieht – sonst sind wir Alle verloren!«

Vorsichtig erhob sich der Mann von seinen Knieen, seine Bürde mit sich nehmend, und sie sorgfältig in seinen Mantel hüllend, trug er sie in das geöffnete Haus. Die andere Frau folgte.

Renier de Gröneveld, denn dieser war es, kannte die Localität des Hauses, da er noch vor Jakobs Besitznahme oft in Amsterdam gewesen war – und er schritt daher dem Banquetsaale zu, welchen er als einzigen Raum des Erdgeschosses kannte.

Hier legte er seine Last sorgfältig auf eine der hölzernen Bänke, welche das Zimmer an den Wanden umschlossen und kniete dann davor nieder, alles Andere um sich her vergessend.

Die junge bleiche Frau, welche, so hart gebettet, ihrer Leiden nicht ledig zu werden schien, versuchte dennoch mit zärtlichem Blicke den Mann anzulächeln, der alle eigne Gefahr, alle erduldeten Schmerzen vergessen zu haben schien, allein ihren Zustand empfindend.

Aber der schwache Versuch dieses Lächelns ward von wiederkehrenden Qualen erstickt, welche ihr einen Laut des Schmerzes entrissen.

»Herr!« rief die Dienerin, welche mit Jakob das kleine Gepäck nachgebracht hatte – »hier thut andere Hülfe Noth, als ihr geben könnt – und ein Lager vor Allem!«

Gröneveld sprang sogleich vom Boden auf und forderte nun mit der Hast der Verzweiflung dies Alles von dem zitternden Jakob.

»Renier!« sagte Jakob – »das ist Alles da! – Du weißt da oben, wo ich nie hinkomme, da ist noch dergleichen, und du bist der Herr. Laß uns die Dame hinauf tragen.«

»Nein,« sagte die Dienerin, welche sich indessen mit ihrer Herrschaft beschäftigt hatte – »sie darf nicht mehr bewegt werden; wir würden unnütz ihre Leiden vermehren. Schafft die Dinge, die nöthig sind, hierher, und dann macht Feuer, daß der Krampf, den die Kalte giebt, vergeht.«

Gröneveld stürzte zum Zimmer hinaus und Jakob ihm nach. Da sie die einzige Lampe zurückgelassen, mußten sie im Finstern ihr Geschäft besorgen; aber Beide kannten das alte Haus gut genug, um dennoch bewirken zu können, was nöthig war. Und so wurde das seit langen Jahren unberührt gebliebene Schlafzimmer der letzten Gräfin von Purmurand geplündert; bald stand der Inhalt desselben in dem düstern Banquetsaal, und die leidende junge Frau ward mit Hülfe ihrer Dienerin, so gut es die traurige Vernachläßigung all dieser Gegenstände zuließ, gebettet.

Fast schaudernd sah dabei Jakob, daß die Dienerin indessen mit Allem, was sich ihr dazu dargeboten, in dem Kamin des Zimmers ein Feuer angezündet hatte und das Wappen der Purmurand und Barneveldt eben in lustigen Flammen aufschlug. Aber er behielt weder Zeit es zu retten, noch viel darüber zu denken, denn die junge kräftige Dienerin, die zweckmäßig und rasch bei diesen nöthigen Anordnungen verfuhr, forderte unablässig von Jakob bald dieses, bald jenes, was für ihn fast vergessene Dinge waren, die er theils gar nicht besaß, theils in der großen Rumpelkammer der Purmurand, die er mit scheuer Pietät verschlossen gehalten, unter dem wüsten Gerölle, welches lange Jahre darin aufgehäuft gelegen, schwer heraus zu finden waren.

Nach einem qualvollen Zwischenraume, in welchem Jakob der Eingang verwehrt war, wurde er endlich zu neuen Dienstleistungen herbeigerufen, und vor dem Kamine knieend fand er seinen unglücklichen Jugendgenossen, wie er bei den Flammen, welche unbeachtet das Wappen seines Hauses verzehrten, ein zartes, eben geborenes Kind mit Vaterzärtlichkeit betrachtete und es in die dürftige Leinwand zu hüllen suchte, die das Gepäck geliefert. »Sieh!« rief Gröneveld Jakob entgegen – »dies arme, kleine Wesen wird vielleicht bald Alles sein, was von dem berühmten Geschlecht der Barneveldt und Purmurand übrig ist!«

Eben stürzte der letzte Rest des alten Wappens zusammen, und ein leiser Schrei von dem Lager der jungen Mutter lenkte die Aufmerksamkeit Grönevelds dahin.

Beide Gatten führten ein durch Klagen und Schmerzensausbrüche halb verrathenes Gespräch, worin die Bitten der unglücklichen Mutter mit dem Widerstande des Gatten kämpften.

Endlich rief die erschöpfte Stimme der jungen Frau, Jakob an das Schmerzenslager.

»Hört mich!« – rief sie – »mein Gatte sagt mir, daß ihr ein treuer Freund unserer Familie seid – hört mich, und führt ihn fort von hier – rettet ihn – denn bald, bald werden seine Verfolger auch diesen Zufluchtsort entdeckt haben – .«

»Nein!« – unterbrach sie van Gröneveld – »nein, Brigitta! hier, hier laß mich sie erwarten, die mich gehetzt haben, wie die Hunde das fliehende Wild – hier sollen sie mich finden, wenn sie nach dem letzten Opfer verlangt. Barneveldts Sohn soll auf derselben Stelle fallen, wo er den Märtyrertod erlitten hat – sein Blut soll sich mit dem schon vergossenen mischen, und konnte er sein Vaterland nicht retten, so soll dies neue Verbrechen des Tyrannen die zaudernden Freunde des Vaterlandes wecken und mein Tod soll die ersterbende Freiheit rüsten!«

»O!« rief das arme Weib, indem sie erblassend zurücksank – »warum hast du mich dann bis hierher gerettet, wenn du nun mir und diesem armen Wesen zugleich den Tod geben willst?«

»Nein! nein, Brigitta! Du wirst leben!« rief ihr Gatte – »Du wirst unser Kind erhalten und erziehen, und dies Kind wird die besseren Tage sehen, die das Blut seiner Vorfahren erringen half! So wird es nicht bleiben – so wird ein Volk nicht untergehen, das seine heiligsten Rechte vertritt. Nein – nein – du! du und dies Kind, Ihr werdet bessere Tage erleben!«

»Ich nicht, Renier!« sagte Brigitta dumpf – »und unser Kind nicht – hier wird unser Schicksal in der düstern Nacht des Grabes versinken – in mir brichst du die letzte Kraft durch deinen Widerstand – sie kann unser Kind nimmer stützen und der Tod wird bald jede Verpflichtung von mir nehmen.«

»Halt ein!« schrie Gröneveld laut schluchzend und an ihrem Lager niederstürzend – »halt ein – versprich mir zu leben – zu leben für mich und unser Kind!«

»Erhalte dich,« seufzte sie kaum verständlich – »dann will ich es versuchen.«

»Folge ihr, Gröneveld,« sagte Jakob leise – »Du bist in großer Gefahr. Sie werden dich bald entdecken und dann sind wir Alle verloren. Du darfst keinen Tag hier mehr verleben; wenn du aber gleich aufbrichst, so können wir die Stunden der Nacht benutzen, und ich gelobe dir, dich auf der Amstel in meinem eignen Boote fortzuschaffen bis an einen sichern Ort, von wo dich ein Schiffer, den ich kenne, nach Vlieland bringen wird; denn erst wenn du Englands Boden erreicht, darfst du dich sicher halten.«

»O folge ihm!« rief Brigitta, indem sie sich noch einmal aufzurichten strebte, während ihr Gatte stumm und im ungestümsten Schmerze sich vor ihrem Bette wand – »wenn du mein und unseres Kindes Leben nicht opfern willst, so rette dich!«

Trotz dieser rührenden Beschwörungen dauerte der Kampf doch lange, ehe der unglückliche Renier sich entschloß, Gattin, Kind und Vaterland zu verlassen.

Wir übergehen billig diesen Kampf der Gefühle, der erst in der Erschöpfung beider Theile sein Ende fand. Wo die Wahl zwischen zwei gleich schweren Uebeln dem bedrängten Menschenherzen auferlegt ist, entstehen immer zernagende Martern, welche die Urtheilskraft zuletzt ermüden und in einem trostlosen Aufgeben des ganzen Erdenglückes endigen. Bis zu solchem Punkte gelangt, fallen wir gewöhnlich den Beschlüssen anheim, welche andere weniger Betheiligte statt unserer fassen, und zu deren Prüfung uns die Kraft gebricht.

Wer hätte sagen können, daß es der Entschluß des unglücklichen Grönevelds war, als er endlich von Jakobs starker Hand emporgerissen, sich von seinem ohnmächtigen Weibe trennte. Er war betäubt, halb bewußtlos, und nur als die Dienerin ihm sein Kind zum letzten Segen reichte, brach Gefühl und Bewußtsein noch einmal hervor. Er ergriff Jakob van der Nees und zeigte ihm das Kind mit flammenden Blicken; dann drückte er es ihm in die Arme und rief mit einer Stimme, welche von den Qualen seines Innern bebte: »Jakob, schwöre mir bei dem Heil deiner Seele, bei der Kraft der Erlösung und der Hoffnung deiner ewigen Seligkeit, daß du mein Weib und mein Kind beherbergen, beschützen und verbergen willst; daß du sie ehren und ihr hartes Schicksal sie nicht entgelten lassen willst. Daß du sie hier behalten willst, bis ich wiederkehren kann, und sie keinem Menschen verrathen, um welchen Preis der Erde es auch sei!«

Jakob leistete den Eid, indem er dumpf ausrief: »Ich schwöre!«

Dann stürzten beide Männer sich in die Arme – Jakob übergab das Kind der Dienerin und riß den unglücklichen Renier mit sich fort, ohne ihm einen letzten Abschied von der Gattin zu gestatten.

Er hatte Zeit gehabt den Plan zu überlegen, den er zu Reniers Rettung ersonnen, und kräftig, wie seine Natur war, betrieb er nun die Ausführung. Schnell half er Gröneveld die Kleider wechseln. Ein alter mit Theer getränkter Fischerkittel ward statt seiner Kleidung angelegt und Jakob stürzte dann hinaus, um durch den Packhof hindurch den Strandweg zu belauschen, ob ein sicheres Entkommen möglich.

Das Wetter war noch immer entsetzlich und begünstigte das Unternehmen, denn alle Menschen hatten die Sicherheit des Hauses vorgezogen, und die vorgeschrittene Nacht die meisten schon in Schlaf versenkt. Jakob machte das Boot los und richtete es schnell zur Abfahrt ein. Ihn schreckten die hochgehenden Wellen nicht, denn er war sich seiner Kraft bewußt und fest entschlossen, Alles an die Rettung Grönevelds zu setzen. Was seiner besseren Natur an Kraft zu diesem Entschluß gebrach, ersetzte der glühende Haß gegen den Statthalter, den er den Mörder Barneveldts nannte. Dies zweite Opfer ihm zu entziehen, schwellte seine Brust mit der Wonne der Rachsucht.

Als er zurückkehrte, um Gröneveld abzuholen, hielt ihn dieser noch einen Augenblick auf. »Jakob,« rief er – »wenn meine Ahnungen in Erfüllung gehen, so verlasse ich eben Weib und Kind für immer! Ich werde das Opfer dieser heiligen Angelegenheit – und darum kürze ich ungern die letzten Augenblicke, die ich mit meiner Gattin leben könnte. – Wenn ich nicht mehr bin, werden Weib und Kind gänzlich verlassen sein. Der Wütherich, der unsere Familie und unser Land zerstören will, wird den Fluch der Aechtung über Alles aussprechen, was meinen Namen trägt – und mein Weib und mein Kind werden ihr Leben nur retten, wenn Niemand ahnt, daß sie leben, und wo sie verborgen sind. Du darfst nicht daran denken, ihren Aufenthalt meiner unglücklichen Mutter oder meinen übrigen Verwandten zu verrathen; denn sie werden nur den Zwangsmaaßregeln entgehen, wenn sie wirklich unwissend darüber bleiben.«

»Auf den Fall, daß unser Unternehmen mißglückte, hatten mein Bruder und ich Alles, was uns noch von dem fürstlichen Reichthum unserer Familie übrig blieb, zu Gelde gemacht und redlich getheilt. Er ist, wie ich hörte, bereits in Kerkerhaft und er wird das erste Opfer sein!«

»Sieh hier,« fuhr er fort und löste einen schweren Gürtel von seinem Leibe – »hier ist das Vermögen meines Kindes! Du findest es in sicheren Papieren auf Frankreich und England – du findest eine bedeutende Summe in Gold – und hier in diesem Kästchen sind die Juwelen meiner Gattin! Für mich habe ich nur eine kleine Summe zurückbehalten, denn ich weiß, daß ich nicht mehr gebrauchen werde und daß ich, im Fall ich nach England entkomme, dort Hilfe und Beistand finde. Aber sage es nicht meiner Mutter, daß ich dir Alles übergab, denn es würde sie schmerzlich betrüben, mich ohne diese Mittel zu wissen, die sich dem Unglücklichen oft hilfreich erweisen. Sage es ihr wenigstens erst dann, wenn mein Schicksal entschieden ist, worauf du nicht lange zu warten haben wirst. Verwalte indessen dies Vermögen, denn du bist geschickt dazu und dem Hause Barneveldt treu. Sei der Vormund meines Kindes und der Beschützer meiner Gattin! Dann kommen vielleicht für mein armes kleines Mädchen noch dereinst bessere Tage, wo sie ihren Namen nennen darf und Vermögen ihr Nutzen bringen kann; denn für meine unglückliche Gattin hoffe ich wenig mehr – mit meinem Schicksal ist auch das ihrige entschieden, und sie wird nicht lange zu leiden haben. Aber mein Kind! meine Tochter! O Jakob! das kurze Glück des Vaterherzens ist der einzige Widerspruch, den ich gegen die Gewißheit meines baldigen Todes empfinde. Dies Kind – meine Tochter – ich lege sie dir ans Herz« – Thränen erstickten die Stimme des starken Mannes.

Jakob stand während dieser Worte unbeweglich vor Renier de Gröneveld, und seine Hände hingen zusammengekrampft an ihm nieder. Der unglückliche Flüchtling hielt ihm noch immer den schweren Ledergurt entgegen, über dessen Inhalt er sich eben erklärt, und Jakob streckte nicht die Hände danach aus, ihn in Empfang zu nehmen. Die Augen starr darauf gerichtet, traten ihm vor innerer heftiger Bewegung große Tropfen auf die Stirn. Wuth, Schmerz, Begierde und das Entsetzen vor allen diesen Anregungen fesselte seine Zunge – seine Glieder. Als ob die Hölle ihn verschlingen wollte, als ob er am Rande ihres schrecklichsten Abgrundes stände, so entsetzt, so starr und wild blickte er auf den Schatz in Reniers Hand. Gold und großes Vermögen, Diamanten von vielleicht gleichem Werth, er sollte es nehmen – und der leichtsinnige Thor, der es ihm übergeben wollte, erwartete den Tod und war der einzige Zeuge dieser Handlung. Sein Weib und Kind konnten nie von dieser Besitznahme erfahren, kein Mensch konnte je beweisen, was hier geschehen. Mit der fürchterlichen Schnelligkeit eines durch ewiges Rechnen und Bevortheilen nur in einer Richtung entwickelten Geistes, drängten sich ihm, wie eben so viele Teufel, diese Umstände entgegen und erstickten ihn fast mit der Gewalt ihrer Versuchung. Auszustrecken nur brauchte er die Hände und er besaß das, wonach er bis jetzt mit dem harten Schweiß täglicher schwerer Arbeit gerungen. In die Reihe konnte er treten mit den beneideten Speculanten um ihn her; Gold konnte er nehmen und es hundertfach verdoppeln – und sein – sein konnte dies sein – und er fühlte, wenn er die Hand danach ausstreckte – dann war es sein!

Aber es regte sich trotz dem eine Gegenwirkung in ihm. Eben hatte er seine Sicherheit, sein Leben wagen wollen, um den Jugendfreund zu retten – er hatte selbst den Haß gefühlt, und er war edler, als was ihn jetzt beschlich. In den verflossenen Stunden hatten seine Gedanken eine andere Richtung gehabt; etwas, was an Uneigennützigkeit, an Muth erinnerte, hatte seine Empfindungen, seine Handlungen bestimmt; die gewohnten Gleise waren wenigstens augenblicklich überschritten gewesen und er konnte es sich sagen, diese jetzt gestörte Stimmung hätte noch fortgedauert, ohne jene grausame Versuchung. Es entstand eine fürchterliche Wuth in ihm, die ihn noch weiter von Recht und Wahrheit schleuderte, und sie kehrte sich, zunächst gegen ihn selbst entzündet, jetzt demjenigen zu, der ihm wie der schnödeste Versucher zum Bösen, wie sein hassenswerthester Feind erschien. Er ballte die Faust und warf ihm einen der Glutblicke zu, die Renier vielleicht gewarnt, wenn er nicht die von Thränen getrübten Augen zum Himmel gerichtet hätte. Das edelste Vertrauen, das ein Mensch dem andern schenken konnte, das keine Sicherheit sucht als in der Gesinnung des Andern, es erschien Jakob wie die elendeste, jämmerlichste Dummheit, die ihn mit Verachtung gegen Renier erfüllte – und diese Schlußfolge erleichterte ihn, denn sie riß die Schranke weg, hinter welcher eben seine Leidenschaften noch gekämpft hatten. Was hatte er für Pflichten gegen den, der sein ganzes Vermögen und die Zukunft der Seinigen so gewissenlos selbst Preis gab. Als er es aber ausgedacht, war es ihm, als ob er den Jubelschrei der Hölle höre – aus ihm selbst fuhr der Nachhall, ein wilder, rauher Ton, und er riß den Ledergurt und das Kästchen aus Grönevelds Händen. Als er es hielt, schien es ihm schwerer, als Alles, was er je gehalten – seine Knie wollten brechen – er glaubte niederzustürzen – er dachte vielleicht an seinen jähen Tod.

Aber der unglückliche Gröneveld hob diesen Zustand selbst auf – es war die letzte Angst des sterbenden Gewissens – »Laß uns jetzt fliehen,« sagte Renier entschlossen.

Da raffte sich Jakob empor. Eine Art Wahnsinn packte ihn – er that einen wilden Tigersprung in die Luft und schleuderte mit unverständlichem Schnauben und Brüllen den Gurt und das Kästchen auf einen Haufen Werg in einen Winkel der Kammer, wälzte sich einen Augenblick darüber hin, um es zu vergraben und war damit seinen Zustand los.

Mißtrauisch blickte er auf seinen Gefährten, als er sich aufraffte, ob dieser den unbezähmbaren Ausbruch beobachtet; aber er war indessen gegen die Thür geschritten, hatte sie geöffnet und nicht auf ihn geachtet in der Zerstreutheit seines Schmerzes.

Jakob stürzte nun in wilder Aufregung hinaus und zog ihn nach, und ungefährdet erreichten Beide das Boot. Mit gesteigerter Kraft ergriff Jakob die Ruder, und trotz dem Ungestüm der Wellen wußte er das Boot zu lenken und ihre Kraft zu bewältigen mit der seinigen, die zu einem unerhörten Grade gesteigert war durch die Wildheit seines Zustandes und die Qualen, in die sein Geist auf's Neue verfiel, so wie er die teuflische Versuchung nicht mehr in Händen hielt, und dagegen die gebeugte Gestalt, das bleiche Antlitz des Jugendgenossen so nahe vor sich sah. Er verzerrte gräßlich das Gesicht, er lachte grausig auf und stöhnte jämmerlich; dann schüttelte er wild den Kopf und endlich rief er sich zu: »Es ist nichts geschehen – ich habe nichts gethan – nichts! nichts! ich habe es nicht gewollt – es war nur ein Höllenspuk!«

Unterdessen stellte sich die Noth der verlassenen Frauen immer trostloser heraus, und trotz des kräftigen Willens der jungen Dienerin fühlte sie sich fast rathlos auf diesem wüsten Boden. Wie viele Bedürfnisse wurden fühlbar unter den Umständen, die hier obwalteten, und wie völlig unbefriedigt kam die arme Susa von allen ihren Nachforschungen zurück. Kein Holz, um das nötige Feuer zu unterhalten, kein Kessel, um Wasser zu sieden, kein Geschirr auf dem endlich entdeckten wüsten Heerde, was die verwöhnte Dienerin für mehr als unbrauchbare Scherben halten konnte. Heftiger Natur, wie sie war, stürzte sie endlich auf den düstern Gang, den sie Jakob und ihren Herrn hatte gehen sehen und riß die Thüren auf, die hier nach den Kammern führten, um etwas Brauchbares zu finden. Doch sie waren alle leer bis auf Jakobs elende Wohnstätte, in der sie mit Schauder den einzigen benutzten Hausraum entdeckte und zugleich ein schreckliches Bild des Mangels, der Armuth und Entbehrung vor sich sah, daß sie, gewiß, auch hier nichts zu ihren Zwecken zu finden, sich eben voll Ekel davon abwenden wollte, als sie hinter der Thür den vorerwähnten Haufen Werg entdeckte und ihn entschlossen in die Höhe raffte, um ihn zusammen zu drehen und damit die Flamme des Kamins zu nähren. Als sie hastig ihre Schürze damit belud, fielen zwei harte Gegenstände zur Erde – es war das Schmuckkästchen ihrer Herrin und der Ledergurt, worin sie die Geldmittel ihrer Herrschaft verwahrt wußte. Susa blieb einige Augenblicke erschrocken stehen – ein unheimliches Grauen beschlich ihr Herz; sie blickte angstvoll umher, sie suchte bei dem matten Scheine der düstern Lampe die unheimliche Kammer zu ergründen; sie erwartete mit klopfendem Herzen etwas Entsetzliches zu sehen und gestand sich zugleich, welch' einen unheimlichen Eindruck sie von ihrem Wirth erfahren; denn sie dachte daran, ihr Herr könne von ihm erschlagen sein und seiner hier versteckten Habe beraubt. Als sich Alles still und leer zeigte, faßte sie Muth und ihre Besonnenheit kehrte zurück, wenn auch ihr Mißtrauen verstärkt worden war durch das, was sie für möglich gehalten hatte.

Ihr erstes Gefühl war, beide Gegenstände mit fort zu ihrer Gebieterin zu nehmen; aber ihr sank der Muth, wenn sie an den rohen Burschen dachte, in dessen Gewalt sie und ihre unglückliche Herrin gegeben war und wie – wenn er die Schätze geraubt habe, ihn der Verlust derselben zu Gewaltstreichen gegen sie Beide reizen könnte. Sie entsanken ihren Händen, ja sie stieß sie mit dem Fuße tiefer in die Ecke und ließ etwas Werg zurück, sie zu verdecken.

O, mit wie viel schwererem Herzen kehrte sie nach dem einsamen Schmerzenslager der armen Mutter zurück, die ihr winselndes Kind vergeblich an den Busen drückte, dessen Quellen durch den Schmerz versiegt waren.

Susa belebte nun auf's Neue die scheidende Glut des Kamins und als sie bei der hellen Flamme das Zimmer besser überschauen konnte, gewahrte sie auch neue Mittel zum Unterhalt derselben und riß mit kräftiger Hand die zartgeschnörkelten, wurmstichigen Lehnen der Bänke ab, die um die Wände herliefen, und siedete endlich in Jakobs einzigem Töpfchen das lang ersehnte Wasser, welches durch den mitgeführten Thee bald für Mutter und Kind die dringend nöthige Erquickung verschaffte. Mit gerührten Blicken sah die arme trostlose Herrin das treue Walten ihrer Dienerin, und als sie das zarte Wesen, das unter so unglücklichen Umständen ins Leben getreten war, endlich aus den geschickten Händen der Dienerin möglichst nach den Vorschriften der Kinderpflege gewartet und verpackt zurück empfing, und bei dem armen schwachen Kinde das jämmerliche Winseln in das leisere Athmen des Schlafes überging, da sagte sie mit zitternder Stimme: »Susa! wenn ich leben bleibe, um diesem armen Mädchen etwas zu lehren, so soll sie dich gleich neben ihrer Mutter ehren lernen, denn du giebst ihr zum zweiten Male das Leben.« Susa kniete an dem Bette nieder und küßte die theure Hand, die liebkosend über ihr Gesicht glitt. Sie wagte aber nicht zu sprechen, denn sie wollte sich und ihre erschöpfte Gebieterin nicht aufregen; sie fühlte wohl, daß sie die einzige Stütze der Unglücklichen war und erbat sich von Gott heimlich aber inbrünstig übermenschliche Kräfte, um fortdaurend Wache halten zu können, da alle Umstände so bedrohend und unheimlich waren.

Am Feuer sitzend lauschte sie auf jedes Geräusch und der fortdauernde Sturm und das heulende alte Haus, worin sich der Zug in grauenhaften Tönen fing, erhielten die arme Susa in beständig aufschreckender Angst.

Der Morgen brach endlich an, und so trübe er war, so leblos er durch die erblindeten Fenster einschlich, rückte er doch weit vor und gab dem armen Mädchen neue traurige Ueberlegungen; denn wenn ihr entsetzlicher Wirth nicht wiederkehrte, dann mußte sie daran denken, selbst sich hinaus zu wagen, um die nöthigen Nahrungsmittel zu schaffen, ohne die sie Alle verschmachten mußten.

Je länger sie harrte, je höher stieg die Noth. Das Kind wollte sein jammerndes Winseln nicht mehr durch warmes Wasser stillen lassen und der bleichen Mutter verging die Fähigkeit, das kleine Wesen in den kraftlosen Händen zu halten.

Da kam der Augenblick, wo sie den, vor dessen Wiedersehn sie noch vor Kurzem geschaudert, mit heißer Ungeduld herbei flehte, und als sie endlich unter dem schon jetzt ihr bekannt gewordenen Geräusch des alten sturmbewegten Hauses nahende Menschenschritte erkannte, sank eine Centnerlast von ihrem Herzen.

Nees war über den Packhof nach seiner Kammer zurückgekehrt und sie hörte ihn jetzt nach kurzem Verweilen darin die Thür heftig zuschlagen und den Gang herauf kommen, der von dort bis zu der Thür hinter dem Kamine führte.

Obwohl sie fürchten mußte, daß er den verringerten Haufen Werg sogleich bemerkt haben und daraus die gefürchteten Schlüsse über sie machen werde – eilte sie ihm doch wie einem Engel der Rettung entgegen. Aber sie ward fast vernichtet, als sie beim Tageslicht die kurze feste Gestalt Jakobs van der Nees vor sich sah in der verwilderten Kleidung, die er bei der Ueberfahrt getragen, und als der fürchterliche Blick seiner Augen sie traf, in denen Wuth, spähender Argwohn und eine Drohung lag, die alle Kraft ihres muthigen Herzens brach. Er überlief das vor ihm verstummt dastehende Mädchen vom Scheitel bis zur Sohle mit einem Blicke, der Alles aus ihr herausziehen wollte, was er von seinem schrecklichen Geheimniß zu ihrer Kenntniß gelangt glaubte – und sie stand wehrlos diesem inquisitorischen Blicke, und wußte ihm nicht auszuweichen, bis er Alles ausgeforscht hatte, was er zu seiner Qual erfahren wollte – und wie zum Ueberflusse verächtlich einen kleinen Rest Werg mit dem Fuße fortstieß, da es das Erste war, was er nach der Prüfung des Mädchens selbst mit den Augen suchte, und was ihm seinen Verdacht zur Gewißheit machte.

Als die unglückliche Gattin ihn erkannte, drang ein Schrei über ihre Lippen, und sie rief den Namen ihres Gatten mit solchem Schmerzenslaute, daß er Jakobs Herz traf und er dem Bette näher trat.

»Seid ruhig, edle Frau,« – sagte er milder, als zu erwarten stand – »ich halte ihn für gerettet. Ein sicherer Schiffer führt ihn nach der Insel Vlieland, wohin er Waaren zu bringen scheint. Ich denke, es soll ihm nichts mehr aufstoßen, und nichts ist leichter, als von dort nach England zu kommen.«

Brigitta wollte sprechen, ihm danken, aber sie konnte nur noch ihre Hände zum Himmel erheben, dann sank sie ohnmächtig zurück.

»Ach!« rief Susa – »sie stirbt! sie stirbt!« und stürzte, außer sich vor Schmerz, neben dem Lager hin. Erschrocken sah selbst Jakob die blaue Farbe des Gesichts, die Todesstarrheit, welche sich über den Körper der unglücklichen Frau verbreitete. Er starrte mit den widersprechendsten Regungen auf sie hin und diesmal war es noch die große Unbeholfenheit, die Entwöhnung von dem hülfreichen Verkehr mit Menschen, die ihn quälte, denn er fühlte sich erschüttert und hätte gern geholfen.

Daher kam es, daß, als Susa alle Scheu in der Angst vergessend, ihn um Beistand anflehte, er willig war und mit Achtsamkeit Alles merkte, was sie verlangte, daß er einholen solle, und sogar froh war, als er wußte, was er zu thun habe, und daß dadurch Hülfe erreicht werden könne. Dies drückte sich so bestimmt in seinem Wesen aus, daß Susa, als er die Thür hinter sich zuzog, den tröstlichen Gedanken faßte, sie habe ihm unrecht gethan, und mit einigem Muthe sich nicht mehr so rathlos und verlassen fühlte als früher.

*


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