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Kaiser Karl der Fünfte hatte um das Jahr 1521 den Einwohnern der Stadt Amsterdam zuerst das Verbot auferlegt, ferner ihre Häuser von Holz aufzuführen. Die Erfahrung hatte gelehrt, wie leicht diese Gebäude ein Raub der Flammen wurden, da in der großen gewerbtreibenden Stadt fast alle Häuser zugleich Speicher und Niederlagen für bedeutende Waarenvorräthe waren, die schnell entzündlich die Flammen verbreiteten und oft unermeßliche Verluste herbeigezogen hatten.

Dies Verbot, und die Nothwendigkeit, bei dem Wachsen der Stadt an innerem Reichthum und Macht, dafür passende Bauten zu errichten, besiegte endlich das bis dahin festgehaltene Vorurtheil, daß dies dem Meere abgerungene Gebiet keine steinerne Massen tragen könne. Es rief Erfindungen ins Leben, welche endlich ganze Wälder dahin sinken ließen, deren Riesenstämme, ihrer Laubkronen beraubt, eng an einander geschlossen, den Fluten einen festen Boden abtrotzten, worauf dann die Steinmassen ohne Wanken zu ruhen versprachen, welche fortan Gewähr leisteten, die Schätze des Handels und der Industrie zu sichern.

Dieser neuere Theil erhob sich vorzüglich an der Abendseite der Stadt, und ihr ward demgemäß auch die Benennung der Neuseite zugetheilt, woraus dem anderen, nach Morgen gelegenen Theil der Stadt von selbst die Benennung der Altseite zufiel. Keineswegs aber wollten die Einwohner, deren Stadttheil so genannt ward, sich dadurch als geringer bezeichnet wissen, sondern sie hielten im Gegentheil mit Protectionsmiene jener neueren Ansiedlung ihr höheres Alter als einen Vorzug entgegen, und es fehlte auf diesem Felde des müßigen Streites nicht an einem kampflustigen Völkchen, welches unter die angeführten Beweggründe oft Privatstreitigkeiten mischte, die sich so leichter der öffentlichen Rüge zu entziehn vermochten.

Allerdings besaß die Altstadt in ihrem Bereich den Staat der Stadt – wie sie es nannten – das Rathhaus, die Gilde und vorerst noch alle Geld- und Mercantilmärkte, die ältesten Kirchen und eine Anzahl Klöster; und selbst unter diesen, von da an verpönten hölzernen Wohnhäusern befanden sich nicht wenige von bedeutendem Umfange, kunstreicher Ausstattung und von Anspruch auf Reichthum und Pracht, so weit sich die Begriffe hierüber bei ihrer Entstehung überhaupt in dem handelnden und rechnenden Volke verbreitet fanden. Unläugbar aber hatten es die Holländer zu der Zeit, als ihre Bauten sich ganz auf Holzwerk beschränkten, in dieser Kunst zu einer ungewöhnlichen Fertigkeit gebracht, und eine Holzsculptur der Art war mit Allem, was in einer späteren Zeit noch darin geleistet wurde, keineswegs zu vergleichen, da, so wie nur die Möglichkeit des Steinbaues erwiesen war, alle Geschicklichkeit der Handwerker und Baumeister sich diesem neuen Wirkungszweige zuwandte und darüber die Kunst der Holzbauten langsam verloren ging.

Auf der Altseite von Amsterdam nun, wo diese Holzhäuser noch mit stolzer Pietät erhalten wurden, befand sich zwischen dem Damrack- und Eistrome in der Warmus-Gasse ein sehr merkwürdiges Exemplar dieser alten hölzernen Häuser, und man sagt, es sei außer seiner barocken Construction auch ein so festes und dauerhaftes Gebäude gewesen, daß es noch unerschüttert seine Position behauptete, als die Zeit seine Nachbarn nachgrade umlegte und statt ihrer gesunkenen Balken sich die lichteren Räume des Mauerwerks erhoben.

Zur Zeit, als wir es betrachten werden, etwa in dem ersten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts, hatte es längst die Bewohner verloren, die es einst mit patricischem Stolz zu ihrem Wohnsitz erbauen ließen. Doch prangten noch die geschnittenen Wappen der Wilhelm Eggart, Herrn von Purmurand, an verschiedenen Giebeln und Fenstern des alten Hauses, und man schrieb den Bau dem später zum Grafen erhobenen Eggart von Purmurand zu, welcher Schatzmeister des Prinzen Wilhelm gewesen. Die Familie war jedoch nur in der weiblichen Linie noch nachzuweisen; sie hatte sich mit der berühmten Familie Barneveldt verzweigt, und das Haus, welches wir erwähnten, ward noch als ein Besitz der unglücklichen Nachkommen dieses Märtyrers angesehen.

Diesem Umstande hatte es wohl grade seine lang unangerührte Existenz zu danken. In ganz Holland herrschte Theilnahme für diese unglückliche Familie, und ein Schrei des Schmerzes hatte den großen Helden der Freiheit zum Schaffot begleitet – und, wenn auch bezwungen von der despotischen Macht, die Moritz von Nassau herauf beschworen, blieb doch ein Gefühl des Schmerzes und der Schonung in der größeren Masse zurück, die der Parteikampf nicht fortriß. Am auffallendsten zeigte sich diese Stimmung, als die Söhne Barneveldts das entsetzliche Amt der Rache übernahmen. Es blieb eine Stille in dem Urtheil der Menge, die fast eine Entschuldigung schien, und man weiß, daß, wenn die Regierung auch ihre Verfolgung bis zum erreichten Ziele fortsetzte, ihr doch wenig Hülfe von den Unterthanen zu Theil ward, und die Schergen der Regierung oft sich mehr gehindert als gefördert sahen.

Das vorerwähnte Purmurandsche Haus nun, ward angenommen, sei unbewohnt, und schwere, eiserne Balken vor der einzigen sichtbaren Hausthür schienen es zu bestätigen. Wenn aber die Nachbarn dies wirklich glaubten, mußte es auffallend erscheinen, wenn man nicht die Zeit mit erlebt hatte, in der diese Uebereinkunft stillschweigend entstanden war, welche eben mit der traurigen Begebenheit zusammenhing, in der die Söhne Barneveldts sich zu einem Attentat auf Moritz von Oranien verschworen. Seit dieser Zeit nun war es eine forterbende Idee, das Haus sei leer, unbewohnt, doch eben so wenig käuflich oder zu andern Zwecken zu verwenden.

Kamen Fremde nach Amsterdam, so war die Altseite noch immer der Platz, an welchen sie ihr Interesse fesselte, denn selten waren damals Vergnügungsreisen irgend einer Art, namentlich bei dem Besuch von Amsterdam. Die Vereinigung politischer und mercantilischer Zwecke führte die Fremden nach dem Mittelpunkt alles Verkehrs, der noch immer auf dieser Seite an das Rathhaus und die übrigen öffentlichen Gebäude gefesselt blieb. Da war dann wohl Niemand, der die mitten im Verkehr liegende Warmusgasse passirte, der nicht schon von fern neugierig die Augen auf den dunklen Giebelbau richtete, der, fast ganz von der Zeit geschwärzt, sein Alter bezeugen half. Wer hätte aber vorüberkommen können, ohne erst durch genaue Anschauung sich den erfahrenen Eindruck zu bestätigen.

Freilich war dies alte Gebäude kein Palast mit geselliger Räumlichkeit, wie sie spätere Bedürfnisse nöthig machten; auch ließ die vorherrschende Bauart, die Giebelfenster der Straße zuzukehren, nie in einer Reihe nebeneinander viel Räume zu; aber dies war bei einem solchen Gebäude kein Vorwurf, und die Unregelmäßigkeit ward wenig beachtet, da das Auge darin nicht verwöhnt war.

Was aber bei den Steinbauten nachgerade zu verschwinden begann, das Ueberhängen der oberen Stockwerke, war an dem Purmurandschen Hause eine Hauptzierde zu nennen.

Der obere Theil des Hauses nämlich ladete so bedeutend über der unteren Etage aus, daß diese dadurch wie unter einem niederen Dache steckte, und zwar ruhten die austragenden Gebälke auf einem fabelhaften Schnitzwerk, worin man die neckende Absicht des Bauherrn erkennen konnte, die Stützpunkte der schweren Last, die in der Luft schweben mußte, so geschickt zu verbergen, daß es scheinen konnte, leichte Gitter mit Laubwerk, Vögeln, Hausthieren und wilden Kreaturen des Waldes, oder fabelhaften Geburten der Phantasie, aus allen vorhandenen zusammengesetzt, hingen sich, die Last noch zu vermehren, an diesen schweren Ueberbau.

Die Hausthür war, hieran sich anschließend und durch ihre mächtigen vorstehenden Pfeiler, wahrscheinlich ein hülfreicher Träger des Ueberbau's; sie war außerdem ein wahrer Hexensabbat, und die grollenden, lachenden, höhnenden Scheusale, die hier halb Thier, halb Mensch, wie noch halb mit der Erde verwachsen, in unvollendeter Entwicklung den Nahenden angrinzten, hatten gewiß zu den sehr beliebten und bewunderten Scherzen jener Zeit gehört, und konnten den Vorübergehenden, den diese brutalen Gestalten anzufallen schienen, zur Vertheidigung reizen. Auf der einen Seite dieser Thür waren drei große breite Fenster mit zahllosen kleinen achteckigen Scheiben in Blei gefaßt; die starken Bäume, welche, als Palmbäume ausgeschnitzt, diese Fenster trennten, waren doch nur schmale Pfeiler, so daß sie mehr einer Glaswand glichen, die, auf einem festen eichenen Unterbaue ruhend, ziemlich niedrig über der Erde sich befand. Drunter waren früher Bänke befindlich gewesen, von denen aber spätere Besitzer gut befunden hatten, die Sitze abbrechen zu lassen, so daß nur noch die schön verzierten Lehnen, als eine Art Paneel, unter den Fenstern hinliefen. Auf der andern Seite der Thür, welche mit ihren Verzierungen fast so breit war, als die eben bezeichnete Glaswand, war nur ein schmales und niedriges Fenster und hiermit die ganze Räumlichkeit des unteren Stockwerks beschlossen. Die obere Etage war eben wie die untere von an einander hängenden Fenstern, aber sie waren niedriger, und noch schmälere Pfeiler trennten sie. Darüber erhob sich der Giebel; aber er wich mit seinen festeren Wänden wieder zurück, und vor seinen Thüren war eine Gallerie, deren dichtes Gegitter mit künstlichem Laube behangen war, welches an die geschnittenen Hecken der Gärten erinnerte, den Stolz holländischer Gartenkunst. Auch wie dort waren hier zuweilen Einschnitte gleich Fensterwölbungen zu sehen, welche die Aussicht nach der Straße zuließen, und hierüber ruhte wieder ein eigenes Regendach, dessen abenteuerliche Traufen Vögel darstellten. Der letzte Giebel enthielt die gewöhnlichen Dachluken, aber bis in den äußersten Gipfel hinauf lugten grauenhafte oder lächerliche Kreaturen aus den überladen reichen Holzsculpturen hervor, womit jeder Balken versehen war.

Das Haus hatte auf beiden Seiten die übliche Hausgasse, wodurch ein Besitzthum vom andern getrennt wurde; ein Gebrauch, der schon früher in Folge der großen Brandschäden eingeführt worden war. Diese Gasse war oft nur so breit, daß eine Person, von den Wänden gestreift, sich vorsichtig hindurch zu winden vermochte; aber es hinderte nicht, auf diesem Wege Thüren anzulegen und der Aufmerksamkeit entzogene Eingänge in die Häuser zu bilden.

Immer die Gasse rechts gehörte dem Eigenthümer, und bei unserm Hause war dies Gäßchen mit einer hohen, festen, eisernen Gitterthür verschlossen, von der die Nachbarn auch sagten, sie öffne sich nie mehr.

Vor der Thür sproßte das Gras hoch auf, und Moose liefen mit ihren weichen Farbentönen an ihren alten Bekannten, den zierlich verschnittenen Eichbäumen, hinauf und breiteten sich auf dem Regendache der zweiten Etage wuchernd aus. Eine Birke hing wie nickende Federn aus dem alten Helmsturz der Purmurand, welcher das Wappen im Giebelfelde zierte, und keine Hand schien dem Leben der Natur zu wehren, welche überall Besitz nimmt, wo der Mensch sie nicht verdrängt.

Einlaß in diesem Hause zu finden, gelang Niemandem. Der Klopfer an der Thür war aus dem Rachen des kupfernen Löwenkopfes gebrochen, und wenn die Fensterläden von außen auch fehlten, war doch bei den untern Fenstern krauses, eisernes Gegitter darüber gezogen, und die Scheiben gestatteten der Neugier nicht den Blick in das Innere; doch blieb es schwer zu ergründen, ob Vorhänge vor den Fenstern waren, oder die Scheiben selbst mit ihrer Erblindung die Durchsicht verhinderten.

Da wir aber bestimmt sind, das Innere dieses Hauses kennen zu lernen, wollen wir gleich durch die Hausthür eintreten, welche uns auf einen großen Flur, mit Thüren und einer breiten eichenen Treppe, führt, der, mit dunklem Getäfel belegt, sein geringes Licht von dem erwähnten schmalen Fenster und einer Thür bekommt, welche seitwärts von der Treppe in den kleinen Hof des Hauses führte.

Ein hoher, bis zum Treppengebälk reichender Gitterkasten mit Schiebfenstern trennte hier einen kleinen Raum, wo der Heerd des Hauses zu finden war; groß genug, um den früheren gastlichen Anspruch desselben zu verrathen, zu groß, um noch Raum für andere Geschäfte der Küche zu lassen, zu deren Bestreitung man den kleinen Hofraum hinzugezogen hatte mit seiner ewig sprudelnden Zisterne und dem weiten ummauerten Wasserbehälter, um welchen sich noch jetzt Tische und Bänke befanden, die mit ihren festen Füßen der Zeit und der Vernachläßigung getrotzt hatten. Im Flur, links vom Eingange, führte eine kleine massive Thür in den Raum, zu dem die drei erwähnten Fenster gehörten. Dies war früher der Banquetsaal des Hauses gewesen; er war hoch und tief, und den Fenstern gegenüber befand sich der Kamin mit seinem überladenen Aufsatz von runder Holzsculptur. Er zeigte den Stammbaum der Purmurand mit allen dazu gehörigen Wappenschildern und reichte bis zur Decke. Die Wände waren leer, und ihre rohere Bearbeitung bewies hinreichend, daß sonst Tapeten darauf gehangen, welche sie verdeckt, denn es war das einzige in der Ausführung Vernachläßigte.

Dies Zimmer hatte nur noch einen Ausgang an der andern Seite des Kamins, der nach einem hölenartigen Gange führte, an den Kammern stießen, welche sich gleichfalls nach dem Hofe öffneten.

Die Treppe hinauf befanden sich kleinere Zimmer, welche die Wohn- und Schlafzimmer der Familie gewesen waren, und über ihnen lag der Speicher, an den – durch Thüren verbunden – die von außen sichtbare Gallerie stieß; wahrscheinlich ein früherer Lustort für die Frauen des Hauses, ihre Kinder und Freundinnen; denn während man gegen die Neugier geschützt war, genoß man doch hier mehr wie im ganzen Hause den Vorzug der Sonne und Luft, welche durch die enge Gasse und das Uebertragen der Stockwerke unterhalb nur ziemlich sparsam das Haus erreichten.

Dies Gebäude hatte wie die meisten Häuser dieser Gasse doppelte Höfe, und zwar war der unmittelbar am Hause liegende der kleinere. Er ward der Lusthof genannt, und wie bei allen Häusern war hier die Zisterne, – das ummauerte Wasserbecken, und nie fehlten ein oder zwei Bäume, und man zog auf Estraden in Töpfen Blumen seltener Art, wofür die allgemeine Neigung sich schon früh nachweisen läßt.

Der zweite Hof hieß dagegen der Packhof. Hier waren Speicher, Ställe, Rüstkammern und Niederlagen von den eben gangbaren Handelsartikeln, und dieser Hof stand mit den Kanälen oder mit der Amstel selbst in Verbindung. Jeder Eigenthümer hatte hier Kähne oder Gondeln liegen, und ein Krahn war fast vor jeder Hinterthür aufgepflanzt.

Als der letzte Graf von Purmurand starb und seine einzige Tochter sich in die berühmte Familie der Barneveldt vermählte, ließ sie dies Haus leer zurück, und später, zur Zeit des großen und unglücklichen Olden Barneveldt, versorgte dieser darin einen unbemittelten Spielkameraden seiner Söhne, Van der Nees genannt, erlaubte ihm auf dem Hinterhofe einen kleinen Handel zu treiben und räumte ihm auf eingehende Bitten endlich so viel von dem Hause ein, als er zu benutzen wünschte. Van der Nees besaß nur ein kleines Kapital, welches die Mutter Barneveldts ihm nach ihrem Tode hinterlassen hatte, und es ging daraus ziemlich bestimmt hervor, daß die edle Frau ihm damit eine versäumte Gerechtigkeit des Schicksals gewährte, da seine Mutter eine Dienerin des Hauses, und dieser Knabe von unehlicher Geburt war. Daß Van der Nees den Namen seiner Mutter führte, wußte er freilich; aber obwohl unter besseren Einflüssen aufgewachsen, kränkten ihn diese Umstände seiner Geburt doch wenig, denn es lag zu viel in seiner Naturanlage, was ihn, jedem besseren Gefühl entgegen, für den Begriff der Ehre eines reinen Ursprungs unempfänglich machte. Dagegen zeigte sich von Kindheit an eine große Begierde nach dem Erwerb von Geld und Gut, und er belächelte jedes andere in seinen Umgebungen verfolgte Interesse. Sein einziges lebhafteres Gefühl, welches jedoch immer nur selten und bei ungewöhnlichen Veranlassungen hervortrat, war die blinde Anhänglichkeit an das Haus Barneveldt, wovon Keiner ausgeschlossen war, und welche er wie durch Instinct auf Alles übertrug, was zu ihnen gehörte. Dennoch war ihm erst leicht zu Muth, als er – kaum ein Jüngling – dasselbe verließ und ein elendes, einsam brütendes Leben begann, worin er sich seiner eignen Neigung erst wieder überlassen konnte, in welcher ihn die stolzen Söhne Barneveldts mit ihren Freunden und deren Vergnügungen und Gewohnheiten immer gehemmt und gestört hatten. Die Niedrigkeit des äußeren Lebens, das er nun ergriff, verzerrte sein unschönes Gesicht zu einem behaglichen Grinsen, und in dem großen wüsten Hause, von aller menschlichen Kreatur verlassen, dachte er mit Wonne daran, wie weit ab die waren, die durch ihre ihm so fremde Natur ihm einen Zwang auferlegt hatten, gegen den er immer den Widerspruch fühlte, ohne ihn gestehen zu dürfen. Was er in jener Zeit durch seine unbezwingliche Natur mußte gelitten haben, drückte sich am stärksten durch ein Gelöbniß aus, was er sich selbst that, alle Gemeinschaft mit Menschen von seiner Schwelle abzuhalten, jeder Verbindung zu mißtrauen, die ihn zu näherem Verkehr mit Anderen führen könnte, von nun an in Jedem einen neuen Feind seiner geheimsten Neigungen zu fürchten und darum allein zu bleiben in dem ausgedehntesten Sinne.

Er hielt sich redlich Wort! – Der Packhof ward sein Lusthof, und er keuchte hier von Morgen bis Abend unter Anstrengungen umher, die fast die Kräfte eines so jungen Menschen überboten, und unter denen er lieber hinstürzte, als daß er ein gefürchtetes zweites Wesen an seiner Seite gesehen hätte.

Aus diesem rastlosen Eifer ging aber hervor, was er außerdem bezweckte; er bekam trotz seiner Jugend bald den Ruf eines zuverläßigen Spediteurs, und man vertraute ihm von allen Seiten einträgliche Geschäfte an. Hierbei entwickelten sich auf das vollständigste die schon angedeuteten Hauptzüge seiner Charakters: Geiz und Schlauheit!

Es blieb undurchdringlich, ob er in dieser Thätigkeit erwürbe, oder in dummer Beschränkung blos für Andere knechtete. Schon war er Besitzer des größten Theiles der Güter, welche in seinem Packhofe aufgehäuft lagen, und noch immer konnten ihm die Mäkler, mit denen er verkehrte, dies nicht nachweisen. Er täuschte sie unter einander so geschickt und listig, daß sie nichts an ihm zu schätzen wußten, als daß er ein fleißiger, tüchtiger Bursche war, der Alles selbst that und nichts versäumte, dabei aber dumm und ungeschickt zu jeder eignen Speculation.

Dem Ehrgeizigen, der die Huldigungen seiner Zeitgenossen zu seinen Füßen sieht und sich damit auf den Gipfelpunkt geistiger Größe versetzt fühlt, kann nicht wohler und befriedigter zu Muthe sein, als dem Jakob van der Nees, wenn er die tiefe Geringschätzung der Handeltreibenden sah, mit denen er verkehrte; und man hätte gewiß nicht ohne Entsetzen das kurze, rauhe Lachen hören können, womit er diesen Genuß Abends in seiner öden, wüsten Schlafkammer nachfeierte, wenn er sich all der Demüthigungen erinnerte, die man den Tag über völlig rücksichtslos gegen ihn sich erlaubt. Dies hatte er gewollt – und er hatte es erreicht – und diesen Druck zu ertragen – diese Selbstbeherrschung – kostete ihn viel weniger Ueberwindung, als jene frühere in dem Hause der edlen Barneveldts; denn er beherrschte sich jetzt, um seinen geheimen Leidenschaften zu dienen, und diese hatten nun Freiheit in ihm und er schwelgte darin. Aus dieser verachteten Stellung ging noch ein Vortheil hervor, den er wohl zu benutzen wußte; er erlauschte Geheimnisse, er hörte Verhandlungen an, die man in seiner Gegenwart verrieth, sich sicher fühlend, daß der rohe, einfältige Nees keinen Zusammenhang darin finden würde. Aber er drückte oft die Augen mit seinen groben Fingern tief in ihre Höhlen, damit ihn ihr Funkeln nicht verriethe, wenn er wieder neue Vortheile erlauscht, wieder neues Licht auf die oft dunklen Wege der Handelsspeculationen gefallen war. Die Nächte schrieb er dann mit feiner und geschickter Handschrift die Geschäftsbriefe, die sein geheimes Getriebe förderten und von hier und dort unter fremden Namen die Goldrollen in seine Hände zurückführten, zu deren Besorgung man ihn nur vorhanden hielt.

Wir müssen hierbei noch gedenken, daß er mit einem eisernen Körperbau begabt war. Nur klein von Statur, war er doch mit einer riesigen Kraft ausgerüstet, und die Ausdauer derselben wurde täglich bis auf's äußerste geprüft, und wäre gewiß das Wunder Aller, die ihn kannten, gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß er nach den anstrengenden Arbeiten des Tages, die seine volle Körperkraft zu erschöpfen schienen, noch halbe, oft ganze Nächte hindurch vor seinen Büchern saß und mit der sorgfältigsten Genauigkeit rechnete und niederschrieb, sein Geld verpackte und versteckte, oder zum neuen Zinsbetrieb für den kommenden Tag zurecht legte. Dabei kam nur selten Feuer auf den großen gastlichen Heerd, und eine von ihm selbst bereitete dürftige Mahlzeit mußte oft, für die übrigen Tage eingetheilt, als kalte Zugabe das grobe Brot würzen, was er sich allein gönnte, seinen Hunger zu stillen.

Und doch war dies Wesen, was so eifrig trachtete, sich herabzuwürdigen, unfähig, seine bessere Natur gänzlich zu ersticken – und seine Gemüthsbewegungen, wenn dies unterdrückte Leben in ihm aufgeregt ward, waren alsdann so entsetzlich und heftig, daß sie ihn halb wahnsinnig machten, und nur seine Einsamkeit, welche diese Ausbrüche verbarg, sicherte ihn – nicht in Ketten gelegt zu werden.

Einem solchen Eindruck unterlag er, als die Nachricht von dem Märtyrer-Tode Olden Barneveldts auch bis zu ihm durchdrang. Unfähig, an einer politischen Wendung der Dinge in seinem Vaterlande Theil zu nehmen, wenn sie nicht in Handelsinteressen verflochten, waren ihm theils die damals obwaltenden Verhältnisse des Landes unter Moritz von Oranien unbekannt, theils gleichgültig. Er hörte oft mit ungeduldiger Verachtung den Streitigkeiten zu, welche fast ganz Holland in zwei Parteien trennte, und welche den theologischen Zwiespalt der Professoren Gomarus aus Brügge und Arminius aus Leyden betrafen, der den Bereich der Lehrstühle so weit überschritt, daß er eine gemeinsame Frage des ganzen Landes wurde und die Kämpfer vor dem Staatsrath erschienen, von wo aus der Kampf freilich nicht entschieden ward, aber die Parteiung sich so verderblich verbreitete, daß kein neutraler Boden mehr zu finden war, und es nur noch Arminianer und Gomaristen gab, wobei das Christenthum zuletzt in seiner Wesenheit vergessen zu sein schien.

Moritz von Nassau war Gomarist – Barneveldt Arminianer. Beide hatten nothwendig ihrer Natur nach gewählt, denn Franz Gomarus war ein wüthender Vertheidiger der kalvinistischen Orthodoxie, ein Despot des Glaubens; Arminius war ein klarer Geist in lutherischer Freiheit und Milde, fest, aber nicht verfolgend.

Indem sich Moritz und Barneveldt auch hierbei gegenüber gestellt hatten, verloren diese Parteiungen bei dem schon heftig unter ihnen erregten Zwiespalt zum Theil den früheren religiösen Charakter, und die Benennung Gomaristen und Arminianer hatte jetzt auch eine politische Bedeutung.

Da wir den Augenblick nicht passend finden, die lang unter der Asche glimmende Glut des Hasses in ihrem Entstehen und Fortglimmen zu verfolgen, die aus dem Statthalter Moritz von Oranien und dem Großpensionär Olden Barneveldt sich tödtlich verfolgende Widersacher machte, haben wir uns nur erlaubt, diese religiösen Parteiungen anzudeuten, weil sie nach langen Zwischenakten endlich zum Deckmantel des fürchterlichen Trauerspiels wurden, welches sich an die ewig gebrandmarkte Synode von Dortrecht im Jahre 1619 anschloß.

Zwanzig entschiedene Feinde des edlen Patrioten Barneveldt wurden zu einem Gerichtshof vereinigt, welcher den edelsten und reinsten Freund der schwer erkämpften Freiheit des Hochverraths schuldig erklärte und sein ehrwürdiges Haupt im 72sten Jahre durch Henkershand auf dem Blutgerüste fallen ließ.

Als diese Nachricht Amsterdam erreichte und zu der Kenntniß des Van der Nees kam, stürzte der sonst unerschütterte Bursche wie besessen von dem Strande weg, wo sie ihn erreichte – verrammelte den Packhof, die Thüren und Fenster und überließ sich dann in seiner elenden Kammer einem Wahnsinn des Schmerzes und der Wuth, daß sein rasendes Geheul die Nachbarn aufschreckte und sie sich erzählten, wie die ganze Nacht ein Gebrüll wie von wilden Thieren zu hören gewesen sei, wofür Jeder eine geeignete Erklärung suchte, ohne auch nur entfernt auf den dummen, verachteten Jakob zu fallen, der nie hörte, wovon gesprochen ward und keinerlei Gefühl besaß. Auch daß er den ersten Tag am Strande fehlte und Niemand im Packhofe Einlaß fand, ward übersehen, da er am folgenden Tage wieder sichtbar wurde und Niemand gewohnt war, ihm das geringste persönliche Interesse zu zollen. Und so ward der jähste Zustand eines menschlichen Geistes verdeckt gehalten von der selbst geschaffenen Verachtung, die über das Individuum verbreitet war – und die blutigen Hände, mit denen er die Wände zerkratzt, der geschwollene Kopf, den er sich zersprengen wollte, um den Wahnsinn los zu werden über den schmählichen Tod des Einzigen, den er geliebt – wurden als natürliche Beschädigungen seiner schweren Arbeit angesehen, und nur, als ihm an diesem Tage die Kraft nicht zu Gebote stand, die Alle gewohnt waren, zu ihrer Benutzung bereit zu finden, mußte er rohen Spott erdulden, und gar zornigen Eifer und Zurechtweisung.

Dies ward ein fürchterlicher Wendepunkt in seinem Leben, und Böses und Gutes grub sich tiefer. Er hatte sein Herz gefühlt – ein Interesse außer Geld und Gut. Die Entdeckung hatte ihm fast das Leben gekostet – den Verstand – er haßte sie darum, aber sie blieb doch das Saamenkorn, was Gott mit dem Erdbeben, welches den starren Boden in ihm zerriß, eingesenkt. Aber er haßte auch seitdem die Menschen mit bestimmterem Bewußtsein. Der erste Augenblick, wo er die Hinfälligkeit der menschlichen Natur empfunden, war ihm mit Hohn und Spott bezeichnet worden – die erste leise Regung nach Mitgefühl, die ihn vielleicht unbewußt unter Menschen zurückgetrieben hätte, war erstickt, da er sich wenig mehr beachtet fühlte, als der Hebebaum, der ihre Lasten hob – und er haßte sie nicht weniger bitter darum, weil er einsah, er habe ihre Gleichgültigkeit selbst verschuldet. Aber vor Allem haßte er die Menschen, weil sie schon den dritten Tag Olden Barneveldt vergessen hatten und Keiner den Usurpator – den Tyrannen – den Mörder – wie er Moritz von Oranien nannte, so glühend hassen wollte, als er. Ach! wer ahnte, daß Jakob van der Nees hassen könnte! – Auch jenes Gefühl hatte er umsonst, und er vergrub es mit dem Andern und rächte sich, indem er die Menschen bevortheilte und hinterging, an dem Theuersten was sie hatten, an Geld und Gut.

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