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Da es sich hier um das wichtige und folgenreiche Ergebniß handelt, daß Nees und Angela wirklich ehelich verbunden wurden, wollen wir die kleinen und wenig interessanten Details, bis es dahin kam, als beseitigt überspringen. Wie wenig es auch zu den befriedigenden Eindrücken gehören kann, dürfen wir doch nicht verschweigen, daß den gegenseitigen Ansprüchen gemäß kaum eine glücklichere Ehe zu denken war, und namentlich Nees einige Male nahe daran war, den Verstand zu verlieren. In dieser Aufregung that er sich dadurch genug, daß er auf seinen häßlichen, ungeschickten Körper eine Last von geschmacklosen und kostbaren Kleidungsstücken häufte, und Angela, die dies sehr bewunderte, ihn sogar zu ihrem Erstaunen hübsch fand und sicher war, sie habe nie eine bessere Heirath thun können.

Wir müssen auch hinzufügen, daß der tiefbegründete Wahnsinn dieser lang genährten Liebe Nees eine Zeitlang von den Verhältnissen abzog, die sonst seine stete Aufmerksamkeit fesselten, und er sich zuweilen besinnen mußte, wenn er, wie aus einem Traume erwachend, die Pracht seines Hauses anstarrte, bis ihm einfiel, daß dies Alles um eines ganz andern Zweckes willen, als um die Behaglichkeit des Wohlstandes über Angela und ihre Mutter zu verbreiten, entstanden sei. Nachdem er aber drei viertel Jahr bereits verheirathet war, sollte er auf's Neue daran erinnert werden. Denn die Gräfin Urica von Casambort ließ in allen Landen und in allen Städten ihres Vaterlandes ihren Aufruf wiederholen, jetzt schon mit manchem noch dringenderen Zusatz versehen, welcher unter anderem für Amsterdam die Wahrscheinlichkeit erwähnte, daß dort die erste Zuflucht der Verfolgten gewesen sein müsse – und die besagte Gräfin Urica von Casambort daher gesonnen sei, sich nach Ablauf eines Monats nach der Stadt Amsterdam in eigener Person zu begeben, um ihre Nachforschungen daselbst durch ihre Gegenwart zu unterstützen.

Nees war nach dieser Bekanntmachung, die er erwartet hatte, keinen Augenblick ungewiß, was er zu thun habe. Mit dem Rückhalt völlig gesicherter Verhältnisse mußte er nun selbst die Entdeckung bewirken, die sonst ein Anderer machen konnte, wodurch dann der Verdacht – verheimlichen zu wollen – ihn unabweislich traf. Dennoch überlegte er auf's Neue alle Umstände, alle ihm zustehenden Schritte – und sein listiger Verstand hatte ihm bald die Stelle angegeben, wo er anfangen mußte.

Susa, welche diesmal nicht an das Krankenbett ihrer Herrin gefesselt war, hatte den Aufruf mit angehört, und wie aus einem Traum erwachend, hörte sie die Namen ihrer unglücklichen Herrschaft, die Amnestie-Erklärung, und die liebevollen Anerbietungen der Gräfin von Casambort. Zwar wußte sie dies letztere nicht recht zu fassen, da sie vielleicht nie gehört oder beachtet hatte, welchen Geburtsnamen ihre Gebieterin führte; aber daß Brigitta eine Schwester, die bei ihrer Flucht noch bei der Wärterin war, besessen hatte, das wußte sie und das war in diesem Falle genug.

Sie rang wie wahnsinnig die Hände, als sie Alles gehört und der Zug vorüber war, und stieß so heftige, verworrene Reden aus, daß sie ein Gegenstand des Grauens ward, für die mit ihr horchende Magd. Susa war aber nach der gemachten Entdeckung in einen solchen Strudel von Gedanken gestürzt, daß sie zu der Ausführung eines Entschlusses, den sie vorhatte, nicht kommen konnte – und so erfaßte sie der heimkehrende Nees, dem sie zornfunkelnd entgegenstürzte; denn ihre Gedankenfolge zeigte ihr trotz der Schwäche ihres Verstandes deutlich genug, wie viel jetzt dadurch verloren gegangen war, daß Nees die Erbin geheirathet.

Nees hatte eine ironische Ruhe, wenn er den Machtlosen drohend vor sich sah, und ohne ihre Rede, deren Absicht er kannte, durch Fragen erläutern zu wollen, zog er sie mit sich, damit sie von den Frauen unbeachtet allein bleiben konnten und redete sie dann heiter wie bei einer erfreulichen Gelegenheit an.

»Siehst du, Alte!« rief er mit frecher Lustigkeit und schwenkte das arme Mädchen zur Befriedigung seines Hasses schmerzhaft herum – »siehst du, daß nun alles Glück auf einmal bei uns einkehrt? Hast immer gezweifelt, daß sich die hohe Familie um unsere Schützlinge bekümmern würde – nun siehst du, wie du Recht gehabt hast – Alles vergeben und vergessen und die hohe Tante hält ihren Einzug! Nun ist die letzte Last von meinem Herzen herunter – nun kann ich allen Menschen bekennen, wer mein liebes Weib ist – und das Kind, was sie mir schenken wird, tritt gleich in seine vollen Rechte ein.«

»Schweigt, schweigt, Nees!« wimmerte Susa, die zwar erfuhr, er wolle den Anspruch der hohen Verwandtin erfüllen; aber die Erniedrigung der armen Tochter durch die Verwandtschaft mit Nees so tief fühlte, daß ihr das Herz brechen wollte – »schweigt, Nees! denn jetzt wäre es vielleicht besser, die Arme bliebe in ihrem trostlosen Dunkel, als daß sie vor die hohe Verwandte treten muß, durch einen so elenden Namen verunstaltet, wie durch den eurigen. O! barmherziger Gott! wie hast du zulassen können, daß eine Tochter des hohen Hauses an einen solchen Knecht weggeworfen wurde!« – sie brach dabei in ein jämmerliches Klagegeschrei aus, wovon Nees auch nicht im mindesten erschüttert wurde, auch weder erzürnt noch beleidigt. Er hatte sich behaglich in einen Sessel geworfen, ließ sich immer tiefer herunter rutschen, während er die Hände in die Westentaschen steckte und die beschnallten Schuhe seiner Riesenbeine aneinander klappen ließ.

»Wenn du's Heulens genug hast,« sagte er dann prustend vor Lachen – »dann sag's, du Gans! denn dann hole ich mein Weibchen Angela van der Nees, geborene van der Gröneveld, und wir freuen uns dann über die neue Tante, die hochgeborne Gräfin von Casambort! Ja, ja, Susa – Nees ist ein ganzer Kerl! und er wird nun nicht länger seinen guten Namen müssen verdächtigen lassen, dadurch, daß er ein namenloses Weib zur Frau van der Nees erhoben hat. Siehst du, alte Katze! das sahst du nicht ein, daß Nees sich herabließ, als er die Verbannte ehelichte, und daß dieser Nees jetzt ein Kerlchen ist, der's aushalten kann mit der hohen Tante Gräfin.«

»O, schreckliche Beschimpfung!« rief Susa – »Du elender Knecht des großen Hauses, zu dem sie gehört – mit was – mit welchem Gute bist du denn dieser reiche Kerl geworden? Vergißt du, daß du das Gut und Erbe des armen Gröneveld dazu genommen hast?«

Nees hörte mit besonderer Lust alle die Vorwürfe jetzt aufzählen, die er früher zu fürchten gehabt hatte und die nun alle durch seine kluge und glückliche Ehe in Nichts zerfielen. Er zog einen Augenblick vor übergroßer Lust seine Knie fast bis zum Kinn, ließ die beiden Füße dann festgeschlossen knallend vor Susa niederpatschen und rief höhnend:

»Nein, du alte giftige Spinne – das hat Nees nicht vergessen! Wie ein treuer Vormund hat er das Vermögen des armen theuren Freundes Gröneveld verwaltet, und ich denke, die hohe Familie wird sehr verlegen sein, wie sie den redlichen, fleißigen Arbeiter, der so das ihm Anvertraute zu schützen und zu mehren wußte, belohnen soll, da es ihr nicht mehr freisteht, ihm die einzige, seiner würdige Belohnung zu geben: nämlich die Erbin selbst, die er sich bereits genommen hat – und mithin« rief er, indem er aufsprang und auf Susa einrannte – »den vollen freien Besitz des ihr gehörenden Gutes! Hörst du, alte Eule? Ich bin redlicher, unangreifbarer, durch den Willen der Erbin bestätigter Besitzer alles Gröneveldschen Vermögens und habe weder den Teufel, noch dich, seine Großmutter, noch die Närrin, die Frau Gräfin von Casambort, zu fürchten! Und nun,« fuhr er fort, als er bemerkte, daß Susa mit erbleichenden Wangen plötzlich die Größe seiner Gewalt einsah und ihr in diesem Entsetzen die Thränen still standen – »und nun, alte Hexe, da du aufhörst zu heulen, will ich lieber zu meinem Weibe hingehn, die eben im Hofe ihre Blumen pflegt und von dem Prasch der Aufforderung noch nichts gehört haben wird – da sollst du sehn, wie sie sich über die neue Tante freuen wird, und ob sie geneigt sein wird, ihren Nees zu verachten und zu verlassen, wenn die hohen Verwandten anrücken!« Mit diesen Worten ergriff er das arme, abermals in ihrer Kurzsichtigkeit überwältigte Mädchen und schüttelte sie noch ein wenig, an ihr vorüber nach dem Hofe stürzend, wo Angela einen kleinen Blumengarten angelegt hatte. Wie immer, wenn sie Nees sah, lief Angela auf ihn zu und ohne recht auf seine Worte zu hören, zeigte sie ihm ihre schönen, zierlich an kleine grüne Stäbe gebundenen Nelken und Jakob mußte in der Stille denken, wie überflüssig ihr die hohen Verwandten wären bei diesem gänzlich befriedigten Herzen – »aber,« setzte er schmunzelnd hinzu, »sie bürgt mir auch, daß sie keine Gewalt über sie bekommen, und ich und dies Haus ihr immer das Liebste bleiben.«

Die arme Wahnsinnige saß in der warmen Augustsonne unter dem breiten Schattendache der alten Linde und folgte jeder Bewegung ihrer Tochter mit den Augen, und bemühte sich, ein undankbares, milchweißes Kätzchen auf dem Schooße festzuhalten, welches immer herunter wollte, um mit dem tänzelnden Rocke der sich bückenden Angela zu spielen; denn Kätzchen glauben immer, daß Alles für sie und zu ihrer Unterhaltung geschähe.

»Nun laß das,« sagte Jakob mit wohlbehaglicher Ehemanns-Miene, die Sicherheit und Ansehn vereinigte – »wir haben was Wichtiges zu besprechen, und wärest du nicht ein arger Leichtsinn, so würdest du mir schon davon erzählen können und ich müßte mir nicht den Athem ausrennen, um dich schnell von der Freude zu unterrichten, die uns bevorsteht.«

Angela hing noch mit den Augen an ihren Blumen, aber folgte ihrem Manne schon lächelnd nach der Bank, worauf die Mutter saß – etwas Neues war ihr gleichgültig; sie hatte noch immer mit dem zu thun, was ihr bis dahin geschehen war, doch sagte sie, stets durch Jakobs gute Laune erfreut: »Nun Nees, erzähle – ich höre.«

»Hast du nicht die Trompeten gehört?« fragte dieser – »Ja,« sagte Angela – »was wollte der Ausrufer – ist was verloren gegangen? Es war ein langes Gewäsch, aber ich hab's nicht bis hierher verstanden.«

»Ja« sagte Nees behaglich – »vor zwanzig Jahren ist was verloren gegangen – das suchen die Leute und wollen es entdecken. Was meinst du, Angelchen, wenn wir ihnen behülflich wären?«

»Ach Nees! das ist lange her – sollte es da noch vorhanden sein, – und wie sollten wir es just finden?«

»Nun denk' dir, was der Nees für ein glücklicher Kerl ist – er hat's gefunden!«

»Du?« sagte Angela erstaunt – »Ei, das ist ein Spaß! Wo hast du's denn – was ist es denn – oder hast du's schon wiedergegeben?«

Nees lachte wieder behaglich; dann sagte er: »Wiedergeben – wiedergeben! Sieh, Angelchen, der Hauptspaß ist, daß ich's zwar habe, was die Leute heut als ihr verlorenes Eigenthum austrompeten lassen, daß ich's ihnen aber nicht wiedergeben will.«

Angela sah ihn etwas dumm an und sagte ganz verwirrt: »Nun das geht ja nicht! Wenn's dir nicht gehört, kannst's ja nicht behalten!«

»Wir wollen mal sehn,« erwiderte Jakob und prustete lachend auf – »endlich wenn's erfährst, sagst du auch, ich soll's behalten.«

Angela hatte noch nicht viele Versuche im eignen Nachdenken gemacht. Sie war wirklich an Jakobs schnellen durchdringenden Verstand mit allen Entscheidungen gewiesen, die über den beschränkten Raum ihres Hauses reichten, und hatte das größte Vertrauen zu ihnen, obwohl diese Unterordnung mehr die Trägheit war, die der Mangel an Bildung und die Furcht vor Anstrengung erzeugte, als daß es ihr an Einsicht oder Charakterstärke gefehlt hätte. Beides war nur nicht zum Bewußtsein gekommen, und die von Nees geleiteten Umstände gaben keine Veranlassung zu einer solchen Entwicklung.

»Soll ich's denn wissen?« fragte sie nach einer kleinen Pause, in der Hoffnung, vielleicht ganz davon loszukommen.

Nees wollte sich ausschütten vor Lachen – und das milchweiße Kätzchen war überzeugt, er lache bloß deshalb so heftig, damit das Troddelchen an seiner Sammtkappe hüpfen solle und sie es ergreifen könne – entsprang im Nu den Händen der armen Brigitta und setzte über Jakobs Schulter weg auf seinen Kopf hinauf und rollte im selben Augenblick mit sammt der ergriffenen Sammtkappe über sein entsetztes Antlitz auf die Erde, von wo sie ein paar weite Sprünge den zornigen Verfolgungen entzogen, die Nees nachjagend versuchte.

»Lache nur,« sagte Nees etwas empfindlich zu Angela – »das Beest hat mir gewiß das Gesicht zerkratzt! Da werde ich mich gut ausnehmen, wenn ich der gnädigen Tante Gräfin die Hand küssen soll!«

»Ach!« rief Angela unter lautem Lachen – »das war lustig!« Aber Nees ward es jetzt fast zu viel, daß sie nicht neugierig werden wollte, ihn nicht das abzufragen suchte, was er los werden mußte.

»Nun hör', Angela! du bist eine sonderbare Sorte Frauenzimmer! die Mutter Eva hat vergessen, dir das Hauptstück in den Kopf zu setzen, ich meine die Neugier. Willst du denn gar nicht wissen, was ich gefunden und nicht wieder herausgeben will?«

»Doch, doch Nees!« sagte Angela und rückte ihm näher – »denn ich denke, das muß ein besonderer Gegenstand sein.«

»Das ist er,« rief Nees über seine ihm sehr witzig erscheinenden Doppelreden in schmeichelhafte Lustigkeit versetzt – »und zwar ein Gegenstand, den ich so lieb habe, wie dich selbst und wie die Mutter und wie die allerliebste Susa dazu!«

»Nun! nun! wird's nicht zu viel?« rief Angela.

»Nein,« sagte Nees, schmunzelnd sich dehnend – »denn du bist es selbst, mein Schatz! du – du und die Mutter, ihr werdet gesucht und austrompetet von der gnädigen Tante Casambort. Die hat sich's in Kopf gesetzt, sie will euch finden – und das ist der ganze Spectakel!«

»Heil'ger Gott!« schrie Angela, die Hände zusammenschlagend, laut auf – »Heil'ger Gott! und da läßt sie solchen Lärm drum machen? Wir – wir sollen am Markte ausgerufen werden zum Spaß der ganzen Stadt? Heil'ger Gott! Nees, du wirst uns doch schützen. Du wirst doch nicht zugeben, daß wir auf's Rathhaus oder auf den Markt müssen? Was will denn die alte Tante, die ich nicht kenne und nie leiden werde, was will sie denn uns und die arme Mutter in's Unglück stürzen? Nees! lieber Nees! du wirst doch das nicht zugeben. Du wirst uns doch nicht verlassen?«

Nees wußte seine Frau wie ein Rechenexempel auswendig und ließ sie Alles hersagen, was er schon im voraus wußte, daß sie sagen würde, und patschte dazu behaglich mit seinen eng und straff an einander gedrückten Beinen und deren beschnallten Schuhen auf die Fliesen des Hofes.

»Da haben wir's,« rief er lachend – »da haben wir's! Jetzt giebst mir selber den Rath, das gefundene Gut, was jene verloren hat und austrompeten läßt, nicht wieder herauszugeben! He! hat Nees nun Recht? He! soll Nees es hintragen, weil er es vor zwanzig Jahren, wo's Keiner haben mochte, von der Straße aufgenommen hat – soll er es nun hintragen, da keine Gefahr mehr für die hohe Familie dabei ist und sie sich nun melden thut, zur gnädigen Annahme bereit? He? soll Nees jetzt hingehn und soll sagen: Hier, Euer Gnaden! Nees hat kein Recht an die, die er mit Lebensgefahr in schrecklich unsicherer Zeit geschützt und behütet hat, die er gerettet und verborgen hat, als die hohe Familie Gefahr lief bei der Anerkennung der armen Flüchtlinge! Soll Nees sagen: Er hat nun weder Weib noch Schwiegermutter und das gedoppelte und gedreifachte Vermögen des armen Gröneveld, was Nees mit dem Seinigen gemischt hat, um es zu erhalten. Das Alles gehört ihm nicht, weil nach zwanzig Jahren der Herr Trompeter sagt – der Tante Casambort, einer vornehmen hochmächtigen Gräfin fällt es ein, daß sie eine Schwester und Nichte haben könne.«

»Ach Nees! lieber Nees!« rief Angela heftig geängstigt durch diese Rede – »du wirst doch so nicht handeln? o denke doch das Unglück! Denke doch, daß ich dein Weib bin, daß du zuerst und allein Rechte an mich hast, daß mich kein Mensch von dir trennen darf! O Nees! versprich mir, daß du mich nicht ausliefern willst – versprich es mir aus Erbarmen für mich und die arme Mutter.«

»Du bist ein liebes, treues Weib,« sagte Nees herablassend – »und ich weiß wohl, daß du ohne mich nicht mehr leben kannst. Aber die Sache will darum doch überlegt sein, mein Schatz! und wir kommen mit Stillschweigen dabei nicht fort.«

»Wenn du mir nur versprichst, daß ich bleiben soll, wo ich bin,« sagte Angela um Vieles beruhigter – »dann wirst du das Andere schon nach deiner Art machen, und da ist mir Alles gleich, wie du es thust.«

»Das ist nicht leicht,« sagte Nees wichtig. »Jedenfalls muß ich der Frau Gräfin von Casambort, der rechten Schwester deiner Mutter, sagen, wo du zu finden bist; denn sie will in Zeit eines Monats gen Amsterdam kommen, und da muß sie wissen, wo ihre Nichte lebt; denn Nees ist ein ehrlicher Mann, hat sich nicht zu verkriechen, und ihre Nichte ist die Frau eines angesehenen Handelsherrn in Amsterdam, das denke ich, hört sich nach was an.«

»Gewiß! gewiß Nees!« sagte Angela – »ich will nie mehr sein, und die Frau Tante kann mich wegen ihrer Vornehmheit gar nicht gebrauchen, da ich nicht die Wissenschaften inne habe, von denen diese Leute leben, wie du sagst.«

»Das hat Alles seine Richtigkeit,« erwiderte Nees – »aber wie gesagt, mein Angelchen, wir dürfen uns auch nicht verkriechen; denn das ließe, als hätten wir kein gut Gewissen. Nun höre: Es ist angezeigt, daß der Herr Oberschulze von Marseveen beauftragt ist von der hohen Dame, deiner Frau Tante, die Anmeldungen von denen anzunehmen, welche Auskunft ertheilen wollen über die besagten Flüchtlinge. Zu diesem also müssen wir morgen, Sonntags nach der Kirche, wo Seine Gnaden einen Rasttag haben, uns hinbegeben und ihm Alles anvertrauen.«

»Ich? was sagst du, Nees? ich – ich soll zu der großen Kreatur, zu dem Herrn Oberschulzen hingehn?« – rief Angela, ganz außer sich die Hände zusammenschlagend – »Nein, Nees, das wirst du nicht wollen – so wirst du mich nicht quälen – da weiß ich auch nichts mit anzufangen, und du hast nur zu erleben, daß ich dir Schande mache; denn von dem großen Leben da weiß ich kein Wort und will bei Leibe nichts mit zu thun haben.«

»Kleine Närrin!« sagte Nees, sich spreizend und hochmüthig grinsend – »hast du mich nicht? Werde ich dir nicht sagen, was du zu thun hast? Wann du vor und zurücktrittst? Wann du deine Reverenz schneidest – das Niedersitzen annimmst nach der gehörigen Zeit der Einladung dazu – und wie das Zeugs Alles heißt, was bei solchen großen Herrschaften hinzugehört? Ueberdies,« setzte er mit Ehemanns-Gravität hinzu – »hier hast du dich zu fügen, mein Schatz – die Sache ist abgemacht, und du weißt, Nees spaßt nicht. Du kleidest dich, wie ich es bestimmen werde, und dann ziehen wir Beide aus; ich werde dich im Auge behalten, und weißt du nicht weiter, so sieh mich nur an, da werde ich dir schon Zeichen machen, wie du dich zu gebärden hast.«

Angela schwieg zwar, aber sie sah so niedergeschlagen aus, daß es selbst die arme Blödsinnige merkte und ihr das Kätzchen brachte, welches sich wieder bequem auf ihrem Schooße eingerichtet hatte, weil sie es wol für ein großes Vergnügen hielt und Angela damit zu erheitern hoffte.

Daß Nees vollkommen Herr in seinem Hause geworden war, konnte Niemand bezweifeln, der auch nur das eine Beispiel mit ansah, wie Angela mit tiefen Seufzern und in blödem Schweigen am andern Tage, welcher ein Sonntag war, in ihrer Kleiderkammer an sich arbeitete, um durch glänzendes Waschen und Kämmen sich der kostbaren Kleider würdig zu machen, die Nees ausgewählt und zu welchen er noch einige werthvolle Geschmeide gefügt hatte aus dem wieder eingelösten Schmuckkästchen der armen Brigitta von Casambort. Nees besaß in seinem Hause, den kurzsichtigen Frauen desselben gegenüber, eine unerschütterliche Anmaßung, die vielleicht selbst von größeren zerstreuenderen Verhältnissen nicht erschüttert worden wäre, die aber in dem engen Kreise, den er um sich festhielt, in nichts gestört werden konnte. Je älter er wurde, je mehr entwickelte sich in ihm ein spähender, weit voraus schließender Verstand; und die Gabe, aufhorchend seine Umgebungen auszubeuten zu dem Verbrauch seiner Zwecke, hatte ihn erfahrener in den Zuständen des Lebens gemacht – als seine gemeine Erscheinung vermuthen ließ.

Er hatte dabei die brutale Sicherheit, in die der rohe Mensch so leicht verfällt, den höheren Anforderungen der Bildung gegenüber, indem er ihre äußeren Formen für überflüssiges angenommenes Zeug hält, was man gelegentlich, wo es Einem grade recht ist, mitmacht und es dann wieder wie überflüssigen Plunder in den Winkel wirft. Er glaubte, alle die, welche sich in diesen Formen bewegten, müßten sich dadurch belästigt fühlen und nahm das gewöhnliche Verhöhnen der Ungebildeten an, und hielt sich für sehr klug, indem er sie auslachte und sich seiner bequemen Manieren erfreute.

Obwohl nun Nees sich unverholen erlaubte, Jene auszulachen, war es ihm doch ein wüthend machender Gedanke, er könne eben dasselbe über seine Manieren zu erfahren haben. Denn die Eitelkeit und Ehrsucht dringt in jede Stellung des Lebens ein und erfaßt um so eher den, der sich nicht in Gefahr damit glaubt, weil er sie ausschließlich jenen vornehmeren Verhältnissen angehörend hält, und was er davon sich zugesteht, auf das nöthige Selbstbewußtsein abrechnet, was ihm zu behaupten zukömmt gegen diese von ihm bespöttelte Klasse.

Dennoch straft eine heimliche Unruhe und eine stille, aber ängstliche Berechnung aller möglichen Fälle den rohen Uebermuth des Spötters, und die Kenntniß davon müßte jenen scheinbar Verachteten zeigen, daß ihre vernachläßigten Formen dennoch einen Werth haben, dessen Vorzug Jeder den Anschein haben will zu kennen, welches Bestreben sich dann rächt, da das Geheimniß, diese Formen zu beherrschen, nur dem zufällt, der sie täglich übt und zu ehren weiß.

Alles Gesagte fand auf Nees volle Anwendung, und der letzte Theil unserer Bemerkungen ward noch dadurch erhöht, daß Angela nicht als vernachläßigte Magd, wozu er sie so lange verbraucht hatte, erscheinen sollte; denn dieser Vorwurf war nicht so schnell abzuwenden oder zu verbergen wie die Armseligkeit des Hauses, die er energisch genug zu verdecken gewußt hatte.

Doch stand ihm jetzt hierzu kein anderes Mittel mehr offen, als das äußerliche, was er auch dort angewendet, und er behing sich und Angela mit Kleidern, bei deren Wahl er die vornehmen Frauen der Patrizier nachgeahmt zu haben glaubte, die in dem reichen Amsterdam von fast fürstlichem Vermögen einen Kleideraufwand trieben, der im Verhältniß stand zu der Pracht ihrer Häuser.

Aber der armen Angela fehlten alle inneren Stützen für die Belästigung der ihr aufgedrungenen Pracht, und obwohl sie mit gehorsamer Ehrfurcht vor der hohen Einsicht ihres Mannes Alles mitsammen anlegte, was er ihr vorgeschrieben, kam sie sich doch so kläglich darin vor, daß Jakobs Freude bei ihrem ersten Anblick bald verschwand vor dem Eindruck, den ihr gebückter, schüchterner Gang und der gedrückte Ausdruck ihres überrothen Angesichts ihm machte. Er sträubte sich vergeblich gegen den Einfluß, der davon zu ihm überging, denn er hatte sich bis dahin in seiner bunten, kostbaren und geschmacklosen Kleidung vor Susa und der Blödsinnigen sehr lustig und übermüthig gebärdet und es fehlte bloß der Beobachter, der ihm gerade hieraus hätte beweisen können, daß ihm eben Sicherheit fehlte. So bedurfte es auch nur einer äußeren Veranlassung, um sein aufgespreiztes Wesen sogleich zusammen klappen zu machen, aber die uneingestandene Demüthigung, die er durch den Anblick Angela's nicht von sich abwehren konnte, weckte seine bösen Neigungen.

Nachdem er mit steigender Heftigkeit Angela betrachtet, zurecht gerückt, gezogen und gescholten hatte, und sich dadurch von seinem Zweck, Geschick in sie hinein zu bringen, immer weiter entfernt sah, da jetzt die arme Geängstigte sogar in Thränen ausbrach, ergriff ihn seine alte Wildheit, die Angela mehr gegen Andere wie gegen sich erfahren hatte, und er machte ein paar Sätze durch das Zimmer, stieß ein rauhes Gebrüll aus und duckte die zitternde Angela auf die Bänke an den Wänden hin, und schrie ihr verworrene heftige Drohungen zu, denn jetzt mußte er sich gegen sie rächen, da sie die Einzige blieb, die seine Pläne nicht unterstützte, sie in Gefahr brachte, und ihm die Strafe aufnöthigte, daß hier mit Befehlen und Gebieten, mit der Vergeudung seines kostbaren Geldes doch nicht hatte erreicht werden können, was er wollte, und der Widerstand ihm von der Seite kam, auf der er ihn gänzlich unterdrückt glaubte. Wer mit so geringer Achtung vor dem menschlichen Willen, wie Nees, diesen zu den Dingen gerechnet hatte, die stets zu handhaben sind nach den Absichten des Klügeren und Mächtigeren, der konnte gewiß unabweislichen Groll empfinden, wie er sich nun überzeugen mußte, daß weder Tugenden noch Fehler, wo sie einmal Besitz genommen, dem schnellen Gebot eines fremden Willens weichen, womit ihm eine Ahnung menschlicher Freiheit kam, die zu beherrschen andere Mittel nöthig sind, als die despotischen Anforderungen des Augenblicks.

Angela's unschuldiges, nur immer ihm zugewendetes Herz, hatte ihm bisher Alles gelingen lassen, was er gewollt. Dieser erste Widerstand, an welchem sie so unschuldig war wie an ihrer Willfährigkeit gegen ihn, erbitterte ihn bis zu einem Grade des Hasses, und da ihn seine eben so wilde Liebe zu ihr dennoch abhielt, sie zu mißhandeln, kehrte sich seine ganze Wuth gegen die arme Susa – ihr gab er Schuld, Angela verwahrloset zu haben, sie in Dummheit und Ungeschick erhalten zu haben und ein so verbuttetes unerzogenes Frauenzimmer aus ihr gemacht zu haben, daß er, van der Nees, sich schämen müsse, mit einer solchen Gans vor vornehme Leute zu treten. –

»Wer wird es denn glauben, daß sie so vornehm ist, als ich sage, wenn sie sich hat und thut, wie eine Gürtelmagd bei der Frau Schöffin! mit dem glutrothen Gesicht, den groben Händen und dem krummen Rücken!«

Susa stand wie Loots Frau, als sie Sodom und Gomorra brennen sah – über sie kam das Unglück, was dort verschuldet war, und obwohl sie die Last der Schuld des Andern kannte, war ihre Zunge doch steif, und ihre Gedanken erlahmten, denn die Anwendung auf sie war ein neues Verbrechen ihres Peinigers gegen sie, und sie hätte es nicht anzufangen gewußt, um bei so viel Gefühl der Unschuld sich zu vertheidigen.

Auch ging diese ganze traurige Scene schneller vorüber als gewöhnlich, denn die Glocken aus der Stadtkirche, die ihnen nahe war, schlugen plötzlich mit ihrer lauten Stimme dazwischen. Nees sammelte sein verloren gegangenes Bewußtsein, denn sie riefen ihm zu, was er gewollt hatte, und die widrige Erfahrung, daß rohe Wuth, nachdem sie sich durch den Ausbruch erleichtert hat, sich kriechend zur Erde legt, wenn die Besinnung zurückkehrt, und sie den angerichteten Schaden bemerkt – wurde auch hier wahr – denn Nees lief sogleich kläglich und erschrocken zu der armen halbtodten Angela und überredete sie mit brutalem Ungeschick, er habe recht gehabt, bös zu werden, da sie ihm von Anfang an widerstrebt habe, immer geneigt gewesen sei, diesem nöthigen Besuch sich zu entziehn, und wie dies wohl aufbringen müsse, wenn man so gute Absichten habe wie er, und immer nur bedacht sei, als redlicher Mann für ihr Glück zu sorgen.

Die arme Angela war ganz betäubt von dem Vorgefallenen und seiner Rede, und unfähig, klar einzusehen, wie hier Recht und Unrecht vertheilt war, ließ sie sich, ohne den Gründen nachzufragen, gern von Nees beruhigen, und hörte mehr auf den Ton seiner Stimme, die wieder in die alte Weise einlenkte, als auf seine Worte.

Nees kam so wohlfeil genug davon, und ließ ihr nur noch wenig Zeit, sich zu erholen; dann trug er ihr das prächtige, in rothen Sammt gebundene und mit dem Wappen der Casambort verzierte Gesangbuch der armen Brigitta zu, welches unter den Schmucksachen Grönevelds bis dahin sorgsam von ihm verborgen worden war, und womit sie heute zur Kirche gehen sollte, um Aufsehen zu erregen und ihre größeren Ansprüche einzuleiten.

 

Der Kirchgang war damals für alle Stände, neben der gewissenhaft beobachteten Andacht, eine höchst prunkende Ausstellung des vorhandenen Reichthums und des weit und breit bekannten Kleideraufwandes. Die Frauen aus den alten Familien der Regenten der Stadt fanden es nicht unter ihrer Würde, sich auf diesem Wege zur Schaustellung herzugeben für ihre geringeren Rivalinnen, die, obwohl nur aus dem vornehmen Bürgerstande, doch nicht ermangelten, sich ihnen so viel als möglich gleich zu stellen. Sammt und Seide waren die gewöhnlichen Stoffe; Gold- und Silberstickereien, kunstreiche Gold- und Edelstein-Arbeiten machten den Schmuck, und abenteuerliche Formen und Zuschnitte der Kleider ergänzten das Bestreben, aufzufallen und Beifall oder Neid zu erregen.

Die Schöffen, die Senatoren und Rathmänner dieser stolzen und herrschsüchtigen Stadt konnten sich mit Fürsten in ihrem Aufwande messen, und sie thaten es gelegentlich und bewirtheten sie dann als ihre Gäste – als wären sie einander gleich.

Sie hatten ihre eigene Politik, und verfolgten sie mit unerbittlicher Strenge, wenn es die Bewahrung ihrer Handelsinteressen galt, und obwohl sie dem Hause Oranien treu und ergeben waren, fand ihre Nachgiebigkeit gegen dasselbe doch immer die Grenze in der Behauptung ihrer Interessen. Wachsam, tapfer und von vortrefflich gebildeten Köpfen geleitet, welche mit der äußern Politik wohl vertraut waren, mißlangen alle Versuche, sie ihrer Souverainität zu entkleiden, und wie egoistisch und eigenwillig die Charakterrichtung der guten Amsterdamer auch sein mochte, der Aufruf zur Bewahrung ihrer Rechte vereinigte schnell alle Kräfte zu einem Interesse und öffnete die Geldquellen, welche damals wie jetzt die wirksamsten Alliirten der Angegriffenen wurden. Im Guten, aber auch drohend und mit Gewalt, hatte Friedrich Heinrich gegen sie Versuche gemacht, und es steigerte ihr Selbstvertrauen, daß sie überall nur so viel nachgegeben hatten, als ihnen selbst gelegen gewesen war, und daß dieser kluge, mächtige und kriegerische Fürst gegen ihre vorsichtige Klugheit nichts auszurichten vermocht, und sie oft aus solchen Conflicten neue Vortheile zu entwickeln gewußt hatten, da ihre mercantilischen Kenntnisse durch den hochgestiegenen Umfang ihrer Handelsverbindungen ihnen eine höhere Einsicht in die vortheilhaft zu verfolgenden Unternehmungen sicherten, als eins der Nachbarvölker sich zu rühmen hatte.

Lange war Friedrich Heinrich bemüht, nach dem Tode der Erzherzogin Isabella von dem schlecht verwalteten und beschützten Belgien das seiner Lage nach so wichtige Antwerpen loszureißen, nicht ohne die rachsüchtige Hoffnung, sich in dieser ihm dann ganz untergeordneten Stadt eine mächtige – Amsterdam bewältigende – Rivalin zu begründen. Aber es war ihm nicht gelungen, denn mit dem Geschick, was diese erfahrenen Lootsen der Handelspolitik auszeichnete, hatten sie seinen Plan und ihre Gefahr erkannt, und die gefürchtete Rivalin wurde mit allen Mitteln unterstützt, sich siegreich gegen die Angriffe ihres Feindes zu vertheidigen, und damit Friedrich Heinrichs Pläne zu vernichten.

Zwei Jahre früher hatte der Prinz durch die Generalstaaten um die Tochter Karls des Ersten von England für seinen Sohn Wilhelm werben lassen, und jetzt erwartete man die Uebergabe der jungen Prinzessin, und zwar hieß es: die Mutter derselben, eine Tochter Heinrich des Vierten von Frankreich, werde ihr das Geleit geben.

Obwohl nun Holland und namentlich Amsterdam mit eifersüchtigen Augen Alles beobachtete, was die Größe und das Ansehen des Statthalters vermehren konnte, und ihre religiöse Richtung sie eigentlich zu Anhängern des puritanischen Parlaments und geneigt machte, die Schritte desselben gegen Karl den Ersten zu billigen, so wußten sie ihrer Consequenz doch immer Einhalt zu thun, wenn der Vortheil für ihre Handelsspeculationen eine kleine Abweichung nöthig machte.

Sie erlangten bald Kenntniß, daß die Königin die Uebergabe ihrer Tochter nur als Vorwand benutzte, um für ihre mitgeführten Juwelen Kriegsbedürfnisse zu erwerben und die nöthigen Geldanleihen bei den reichen Kapitalisten Hollands zu bewirken. Solche Angelegenheiten ganz von ihren übrigens behaupteten politischen Grundsätzen zu trennen, waren sie nun stets geneigt, außerdem aber diese Gelegenheit zu benutzen, um – gegen das durch die Vermählung sich mehrende Gewicht des Prinzen – mit ihrem Ansehen und ihrem Wohlstande in die Schranken zu treten.

Admiral van Tromp, der große gefürchtete Seeheld der Republik, ging mit zwanzig Schiffen zur Escorte der zwölfjährigen Braut nach England, um sie in das Land ihres künftigen Gemahls zu führen. Der Prinz Statthalter empfing die Mutter seiner künftigen Schwiegertochter mit der größten Auszeichnung, und die Hauptstädte der Republik gaben den fremden Gästen Feste und schienen von den übrigen Absichten der unglücklichen Monarchin nichts zu wissen, sondern zeigten unverholen ihre Sympathien für das fanatische englische Parlament, was in allen seinen Bestrebungen raschen Schrittes der entsetzlichen Katastrophe der Revolution entgegen drängte, deren blutiges Ende ein unauslöschlicher Flecken für England werden sollte.

In diese Periode, um das Jahr 1642, fällt die vorerwähnte Katastrophe in dem van der Neesschen Hause. Die Stadt Amsterdam hatte so eben eine feierliche Einladung an die junge fürstliche Braut, welche sie selbst geworben hatte, nach dem Haag ergehen lassen, und in der sicheren Voraussetzung der Annahme, beriethen die Hochmögenden Herren des Senats mit diplomatischer Schärfe, wie der höchste Glanz des Empfanges, der ihren großartigen Reichthum und ihre socialen Kräfte darthun mußte, sich mit der öffentlichen Behauptung ihrer republikanischen Grundsätze vereinigen ließe.

Der glückliche Erwerb, der Reichthum einer Nation wird der gesicherte Hafen, von dem sie dann erst nach den höheren Gütern ausschaut, deren Bedürfniß erst eintritt, wenn der Ueberfluß um seine Anwendung fragt. Politisch und welterfahren, hatten diese handeltreibenden Völker dies Bedürfniß empfunden, und die Geister, welche diesem höhern Leben sich widmeten, gehörten derselben Nation an, die ihren mercantilischen Vortheil so wohl zu betreiben verstand, und es blieb kein Zweig des höheren Wissens von ihnen unbesetzt, und viele derselben haben einen ewigen Ruhm erworben und gehören mit ihren Erfolgen in Werken und Entdeckungen der Weltgeschichte an. Wie unläugbar der Hauptcharakterzug eines ganz durch Handel existirenden Volkes auch der des Geizes und der Engherzigkeit werden muß, haben die großen Republiken des Mittelalters, diese Königinnen der Meere, dennoch sich immer als Beschützer der Künste und Wissenschaften erwiesen; und die Ueppigkeit ihres Lebens, der ungeheuere Luxus, den sie sich gestatteten, und wozu die wachsenden Güter sie fast gegen ihren Willen hinrissen, trieb sie den Männern der Künste und Wissenschaften entgegen, die ihre Lehrer wurden in der begierig gesuchten Kunst zu genießen, und von denen sie neue Mittel empfingen, deren Besitz die Nation verfeinerte, und diesen höheren Geistern zu ihrem Range verhalf.

Es sind auf diesem sonnigen Boden des Reichthums unermeßliche Güter für Kunst und Wissenschaft gesammelt und erhalten worden, zu den trostlosen Zeiten, wo die furchtbaren Kriege der Festlande mit wahnsinniger Rohheit die Tempel ihrer blühenden Cultur einäscherten und von dem angebauten Boden nichts als eine rauchende Trümmerstätte übrig ließen.

Amsterdam verdiente diesen Dank wie Venedig und Genua. Es pflegte und ermunterte in allen Zweigen des Wissens das sich regende Leben seiner Mitbürger, und fing an, seinen Stolz in die Herbeirufung von schon berühmt gewordenen Namen zu setzen, und sie mit verschwenderischer Großmuth zu belohnen.

Wir enthalten uns, ein Verzeichniß der Männer aufzuführen, welche in dem Andenken der Nachwelt zu bekannt geworden sind, um einer flüchtigen Bezeichnung zu bedürfen, wie sie hier nur zuläßig wäre, und haben uns diese Erwähnung nur erlaubt, um die Zugeständnisse zu rechtfertigen, die uns dadurch zufallen.

Es traf sich, daß die Hauptkirche Amsterdams, die alte Kirche, in der Nähe des Purmurandschen Hauses lag, und dieses derselben eingepfarrt war.

Auch unter andern Umständen, welche diesmal die Anwendung natürlich und gewohnt gemacht hatten, würde Nees seinen Kirchgang dorthin gelenkt haben, denn er wußte, daß es die Kirche der Patricier, der Schöffen und ihrer Familien war, und Angela sollte wo möglich gesehen werden, die Aufmerksamkeit erregen. Seine Rohheit ließ ihn bald den Zustand vergessen, in welchen er sie so eben versetzt, und erst von dem Schwarm der Kirchgänger mit ergriffen, vergaß er bald, sie einer genaueren Aufsicht zu unterwerfen.

Es war die wenig andächtige Sitte, daß grade die reicheren und vornehmeren Bürger mit ihren Familien früher als die Schöffen und Patrizier vor der Kirche anzulangen suchten, und dort eine Art Zusammenkunft bildeten, wo neben sorgfältiger Prüfung des großen sonntäglichen Putzes viel kurzweilige und oft gar unheilige Dinge geschwatzt wurden. Bei schlechtem Wetter bedienten diese Kirchgänger sich dazu einer geräumigen Vorhalle, welche in katholischen Zeiten eine Bußkapelle gewesen, und worin jetzt Teppiche lagen und Bänke gestellt waren, welches sie wenig mehr von einem Gesellschaftszimmer unterschied.

Diese vornehmere Corporation besetzte dadurch den Haupteingang zur Kirche so vollständig, daß die ärmere und geringere Klasse der Einwohner genöthigt war, durch die anderen Eingänge zu ihren Plätzen zu gelangen, da der Reiche so leicht ein Recht gegen den Aermeren sich anmaßt. Kamen nun die Hochmögenden Oberhäupter der Stadt in ihren schwerfälligen Karossen daher gefahren, so bildeten die Versammelten eine Art Hofstaat für dieselben, und sie zogen in ihrer fürstlichen Pracht mit gnädigem Kopfnicken durch die Gasse, die sich zu ihrem Empfange in der bunten Versammlung bildete. So hielten sie ihren Einzug in das Gotteshaus, gefolgt von der sich ihnen anschließenden Menge und hier wurden sie noch mehr wie vor der Kirche, eine mißliche Störung der religiösen Andacht; denn die bereits versammelte, viel größere Gemeinde harrte neugierig auf den Eintritt der Vornehmen, und verfolgte sie, bis Alle nach viel unnützen Wendungen bis zu ihren Plätzen gelangt waren, mit der dummen Verwunderung, die den Uebermüthigen so schmeichelhaft ist, und ihnen die Achtung ersetzte, um die sie sich ungestraft und ungeahndet durch ihr eitles Gebärden gebracht hatten.

Niemals war Angela anders als durch eine Nebenthür in die Kirche gekommen, und es gehörte ihr leidender beschwerter Zustand, ihre Betäubung dazu, um zu übersehen, daß Nees sie heute an diesem Eingang vorüber zu der Hauptthür unter die schon zahlreich versammelten Honoratioren der Stadt führte. Erst, als ihren gesenkten Augen die goldnen Falbeln eines sammtnen Kleides am Boden begegneten, schrak sie auf, und sah sich nun, um sich blickend, unter den gefürchteten Vornehmen, vor denen sie bisher gelaufen war, oder die sie doch nur neugierig aus der Ferne beobachtet hatte.

»Nees! Nees!« rief sie erschrocken – »wir sind irr' gegangen – hier sind die Gnaden versammelt« – damit wollte sie schnell umwenden, denn ein Blick schon hatte hingereicht, ihr auf mehreren Gesichtern spöttisches Erstaunen zu zeigen, und wie man sie von Kopf bis zu Fuß anfing zu mustern.

Dies war ein kritischer Moment für Nees, denn er, der versucht hatte, sich mit brutaler Gleichgültigkeit gegen die Gefahren zu stählen, die er hier erwartete, hatte sich nur auf die Nachgiebigkeit der Ueberraschung bei Angela verlassen, weil er wohl wußte, daß sie lieber durch die Amstel geschwommen, als in diesen Kreis eingedrungen wäre.

Doch, wer die Gefühle Anderer verachtet, ist schneller entschlossen, wenn die Kränkung derselben den Erfolg verspricht. Sein Zorn wirbelte sich bei Angela's Ausruf empor, und er griff heimlich, aber sehr nachdrücklich, in ihren Arm, und als sie ihn erschrocken ansah, langten seine kleinen blitzenden Augen wie Geier nach ihrem Herzen, und der Widerspruch erstarb darin; seit heute wußte sie, daß er auch gegen sie in Wuth gerathen konnte.

»Wer ist das abenteuerliche Paar, das sich hier in unsere Reihen drängt?« riefen Mehrere. – »Diese Kleider sind auf dem Markt gekauft, von sechs Eigenthümern – kein Stück paßt zum andern – es sind Schauspieler – der alte, häßliche Kerl ist der Possenreißer – aber die Frau – wie verbuttet und häßlich sie ist und in ihrer Lage kann sie doch kein Mädchen vorstellen!«

»Herr Gott, das ist Nees!« schrien einige Männer, die ihn vom Kaufhause her kannten – »bildet sich der Narr ein, er gehöre zu uns, weil er Geld zusammen gewuchert hat? Das muß ihm gelegt werden – aber sollte denn das buntbehangene Schaustück sein Weib sein? – Ein Weib, das Niemand kennt – die Tochter seiner Magd, sagt man – ohne Namen – wie kann der grobe Filz sich unterstehen, das Weib unter unsere edlen Frauen zu führen, als gehörte sie zu ihnen – ich werde ihn anreden – die Lust muß ihm gelegt werden!«

Man kann nicht sagen, daß diese feinen Bemerkungen so leise gemacht wurden, daß sie Nees nicht vernommen hätte; ja, was er nicht hörte, konnte er gut ergänzen, wenn er sah, wie Alle vor Angela zurückwichen und Männer und Frauen halb zürnend, halb lachend, sie Beide beobachteten.

Endlich nahte sich ihnen einer von den Rädelsführern, an denen es in keiner Corporation fehlt, der jetzt für Alle die Sache abmachen wollte.

»He, Nees!« rief er in wegwerfender Vertraulichkeit – »du alter Gelddrache, wie bist du denn heute auf den frommen Einfall gekommen, wie ein Christenmensch zur Kirche zu gehn?«

Der Ausfall war für Nees noch nicht zu stark, denn er war an brutale Späße auf den Märkten, wo diese Herren ebenfalls in ihrem Interesse verkehrten, gewöhnt; auch war es ihm fast um jeden Preis lieb, angeredet zu werden, denn er war wüthend und grob, aber völlig ungeschickt sich zu behaupten, wo er beides nicht sein konnte.

»Oho!« rief er daher in seiner Unruhe lachend – »fehlgeschossen, Herr Lörs – ich bin ein guter Kirchgänger und führe mein Weibchen jeden Sonntag hierher.«

» Hierher?« entgegnete Herr Lörs mit großem Erstaunen – hierher? Du meinst zur Kirche, alter Narr, aber nicht hierher, denn da hätten dich die Edlen längst gelehrt, wo du hingehörst. Kehr' um – zieh ab – und gestehe es zur gnädigen Verzeihung, daß du den Eingang für die Mäkler verfehlt hast. Hier erwarten die Patrizier ihre Schultheißen und Schöffen, und hier sind lauter edelgeborene Frauen, die leiden keine Eindringlinge.«

Das fühlte Nees schon etwas stärker. – »Nun,« sagte er, sich steifend – »dann kann die Frau des van der Nees hier ganz ihren Platz finden, denn sie ist eine Edle wie Eine.«

»Hör',« sagte Lörs – »so lange du im Dunkeln bleibst und Niemand in den Weg trittst, kannst du thun, was du willst, denn wir haben mit dir nichts zu theilen und in Geschäften kann man dich brauchen. Dabei aber mußt du bleiben – und willst du so gemein sein und die Tochter deiner Magd heirathen – in Gottes Namen thue das – nur uns und unsern edlen Frauen bleib' damit vom Halse, sonst werden wir dich's lehren, wo du hingehörst.«

Wozu eine Antwort von Nees geführt haben würde, dessen Hochmuth erwacht war, ist bei seiner kannibalischen Wildheit und der drohenden Stellung seiner Gegner, da sich zu Herrn Lörs noch einige Andere gesammelt hatten, nicht voraus zu sagen, wäre nicht eben an der Spitze einer Reihe prachtvoller Karossen der Wagen des Oberschulzen mit vier bunt aufgeputzten Schimmeln heran gekommen, und wären nicht die sogenannten Edlen nun Alle vorgedrungen, um das Spalier für die erlauchten Ankömmlinge zu machen.

Hierbei wurden Nees und Angela so wirksam gestoßen, gedrängt und getreten, daß dies nur zu fehlen schien, um die Unglückliche gänzlich zu vernichten, und nur die herkulischen Kräfte Jakobs behüteten sie vor dem Umsinken. Er ergriff sie und hob sie wie ein Kind auf seinen Arm, und nach einer freien Stelle umher spähend, lief er halb bewußtlos mit seiner Bürde nach den Stufen vor der Kirchthür, in seiner Aufregung übersehend, wie ihm eben erst dieser Eingang so roh versagt worden war. Das Interesse, welches die Ankunft der höchsten Personen der Stadt erregte, nahm auch gänzlich die Aufmerksamkeit seiner Verfolger in Anspruch und selbst durch die aufgestellten Küster und Kirchendiener drängte er sich unbeachtet durch, und vielleicht lag in der Neuheit dieser Scene etwas, was ihn schützte, denn keiner hatte für den Fall eine Erfahrung, keiner wußte, wie er einschreiten sollte.

So hatte Nees mit seiner Bürde die vorerwähnte Halle erreicht und legte Angela auf eine der Bänke am Eingang, denn sie hatte jetzt völlig die Besinnung verloren.

Von Jakobs Zustande können wir uns kaum ohne Schaudern eine Vorstellung machen, denn seine Wuth war von wilden Gefühlen der Rachsucht durchzuckt. Er suchte einen Gegenstand, an dem er sie befriedigen konnte und blickte zuerst mit Grimm auf die arme wehrlose Angela, zeigte ihr die Zähne mit grinsender Wuth und ballte vor ihr seine nervigen Fäuste, obwohl ihre geschlossenen Augen ihn um jede Befriedigung brachten. – Solche Menschen werden bei ihrem thierischen Rachedurst gewöhnlich durch die niedrigste Feigheit gequält, die sie verhindert, an der rechten Stelle, da, wo sie die Beleidigung erfuhren, ihre Befriedigung zu suchen. Diese knechtischen Gesinnungen haben Gewalt über den Dämon ihrer Leidenschaften – aber er gräbt ihr moralisches Verderben nur um so tiefer; denn das Laster bleibt in ihnen in voller Stärke und sie suchen bloß den schwachen Gegner, der sie nicht in Gefahr bringt. Es sind fürchterliche Convulsionen, in die diese ringenden Triebe den Feigling stürzen, wenn er einen Entschluß fassen soll, wenn er gezwungen wird, eine Wahl zu treffen, wenn er handeln muß und der Augenblick ihn drängt.

Nees schrie ein paar Mal wie ein wildes Thier auf und sprang in die Höhe, daß seine Hacken seine Fäuste streiften, und als Angela von diesem Geräusch oder von der kühlen Luft der Halle erwachte, schauderte sie unwillkürlich vor Jakobs Anblick zurück. In diesem Augenblick füllte sich die Halle mit den erwähnten vornehmen Kirchgängern und in ihrer Mitte erschien zuerst Frau von Marseeven, die Gattin des regierenden Bürgermeisters oder Oberschulzen. Sie war über die Mitte des Lebens hinaus – kränklich – die Mutter von zwölf Kindern – eine milde, blasse Frau, welche, wenn auch die Würde ihres Ranges und ihrer Geburt sorgsam beobachtend, doch von dem kleinlichen Hochmuth, der um sie herrschte, wenig abbekommen hatte, und von ihrer Güte, Mildthätigkeit und wahren Religiosität stets über die Grenzen hinweg gehoben wurde, hinter denen Andere sich nur gesichert hielten.

Sanft und freundlich mit diesem und jenem redend, schritt die gefeierte Frau vor und der Glanz ihrer Kleidung, der ihr nicht fehlen durfte, schien ihre große, schwache Gestalt fast zu beugen.

Abgewendet von Nees und seiner Gattin hatte sie weitergehend zu Jemand gesprochen; als sie sich aber jetzt wendete, war es noch eben Zeit, vor den respektvoll Nachschreitenden die todtenblasse Angela und Nees zu bemerken, welche Beide eine auffallende Gruppe bildeten, sowohl ihrer kostbaren und unpassenden Kleidung, als des besondern Ausdrucks wegen; denn man konnte von Nees sagen, daß ihm die thierischen Gelüste, die ihn eben durchrast hatten, auf dem Gesichte stehen geblieben waren, wie er sich plötzlich erschrocken vor der hohen Frau des mächtigen Bürgermeisters sah. Vielleicht hätte diese durch den abschreckenden Anblick des widrigen Mannes sich alsobald von ihm gewendet, wären ihre Augen nicht auf Angela gefallen, die so tiefes Leiden in ihren Zügen ausgeprägt trug, daß eine so gute Frau als diese sie nicht ohne Antheil sehen konnte.

Frau von Marseeven richtete daher ihre Schritte auf Beide zu und jetzt erkennend, in welchem Zustande Angela war, weckte dies in ihr, als Mutter von zwölf Kindern, noch mehr ihre Theilnahme und sie sagte milde zu Nees: »Die arme Frau ist wohl krank geworden in der Kirche?«

»Nein, Euer Gnaden,« sagte Nees, den Augenblick zu seiner Rache findend – »meine Frau ist durch die rohe Art, wie man sie vor der Kirche behandelt hat, ohnmächtig geworden.«

Die Frau von Marseeven ward hier von Jemand angeredet, der ihr in wenigen Worten den sehr gemißbilligten Anspruch des Maklers van der Nees erzählte, und wie er eben da die ihm gebührende Zurechtweisung erfahren.

Wir müssen nun gestehen, daß Frau von Marseeven dagegen nichts einzuwenden hatte, denn sie war, wie alle ihres Standes, daran gewöhnt, diese exclusiven Rechte für vollgültig zu halten. Sie neigte daher wie zustimmend den Kopf und wollte sich schon zum Weitergehen wegwenden, da ihr die kleinen, grimmigen Augen, mit denen Jakob die eben erfolgte Erklärung belauschte, recht widrig schienen; als aber ihre Augen noch einmal auf Angela fielen, hielt sie wieder an, denn diese blickte mit dem gebrochenen Ausdruck der Ohnmacht wie flehend auf die milde Frau. Als sie noch näher trat, sagte Nees: »Nehmen Euer Gnaden diese arme Frau schon jetzt unter ihren Schutz – nach der Kirche hatte ich so vor, sie Euer Gnaden aufzuführen; denn sie ist von hoher Geburt und bald wird genug Redens von ihr sein!«

Die Frau von Marseeven sah Nees prüfend an und sagte dann wenig schmeichelhaft: »Wäre das möglich, da sie doch eure Frau sein soll? Sagt ihr auch noch die Unwahrheit, um eure Anmaßung zu entschuldigen?«

»Nein! Nein! Euer Gnaden – die reine Wahrheit – sie ist meine Frau und von so hoher Geburt wie Eine!«

»Sagt ihr selbst, arme Frau« – rief Frau von Marseeven – »seid ihr wirklich die Gattin dieses Mannes – dann seid so bescheiden,« fuhr sie fort, da Angela's Zunge wie gefesselt war – »wie ihr ausseht und betragt euch eurem Stande gemäß – duldet nicht die Thorheiten eures Mannes – wo man nicht hingehört, erfährt man leicht Geringschätzung.«

»Ich bin die Frau von diesem Manne,« stammelte Angela. –

»Das glaube ich wohl, aber dann betragt euch auch dem gemäß und redet nicht von falschen Ansprüchen. Seid ihr aber krank, wie mir scheint, so wagt euch bei eurem Zustande nicht in die Kirche – das kann üble Folgen haben – und eine Mutter werden ist eine heilige Sache – der Herr vergiebt darum den versäumten Kirchgang.«

»Und in die Kirche muß sie,« sprach Nees rauh – »denn die Schande soll Keiner über mich verhängen können, daß es hieße: sie haben Nees aus der Kirche gejagt. Ihr und alle diese« rief er, drohend nach vorn blickend – »die werden gute Gesichter machen, wenn herauskommt, wer meine Frau ist, und ich will's gleich sagen, wenn Euer Gnaden sich die Zeit nehmen wollen.«

Der Oberschulze, Herr von Marseeven, nahm nun näher tretend von dem Vorfall Kenntniß. Er wußte die große Milde und Hingebung seiner Gattin gelegentlich zu mäßigen, und indem er ihre Hand faßte, sagte er mit der liebevollen Achtung, die er ihr immer bewies: »Wir zögern vielleicht zu lange, Flavia, da auch unsere geehrten Freunde sich dadurch aufhalten lassen!«

Sogleich wandte sich die sanfte Flavia, aber sie sagte: »Mein lieber Herr! hört ihr wohl, welche Ansprüche dieser Mann hier vorbringt, auch scheint er uns in Rath nehmen zu wollen?«

Der Oberschulze war ein kluger, erfahrener Mann mit scharfem, prüfendem Blick, der schnell das Wesentliche auffaßte. Er kannte Nees und theilte die Geringschätzung der Andern über ihn, obwohl er auch wie diese von seiner brauchbaren und zuverläßigen Geschäftsführung unterrichtet war. Er blickte daher Nees nur flüchtig wie eine abgemachte Sache an, und Angela kaum minder beachtend, haftete sein scharfes Auge auf dem prächtigen, mit dem Wappen der Casamborts versehenen Gebetbuch in den zitternden Händen der beängstigten Frau.

Er konnte freilich das Wappen nicht erkennen; aber Gebetbücher waren damals Familienschätze, die wie Stammbäume und Dokumente durch alle Generationen durchgingen – schnell compensirte diese Wahrnehmung den eben vernommenen Anspruch und er sagte daher, sich gegen Jakob wendend: »Nees, wenn ihr mir etwas zu sagen habt, könnt ihr mich nach der Kirche aufsuchen.«

Flavia verfiel in den unschuldigen Irrthum der Liebe, sie drückte ihrem Gatten zärtlich die Hand, denn sie hoffte, er gäbe ihrer Verwendung nach, und Angela sanft grüßend, ging sie willig mit ihm durch die sich öffnenden Kirchthüren.

Nees steifte sich nun sogleich in seiner alten Dreistigkeit und obwohl er die Vornehmsten vorüberziehen ließ, reihte er sich doch dem Zuge kühnlich an und zog die arme Angela ziemlich mit heimlicher Gewalt nach; jetzt fand er auch keinen Widerstand, denn theils war durch diesen Aufenthalt der Anfang der Kirche herangerückt, theils waren viele unsicher geworden, da das Gespräch mit den hohen Personen der Stadt nicht übersehen werden konnte.

Jakob hatte für seine groben Gefühle einen Triumph erlebt, und er zeigte die Miene der Schadenfreude auf seinem hochrothen Gesicht und drehte und wendete sich, ungeschickt sich spreizend, nach allen Seiten, Allen bemerkbar machend, daß er da sei. Angela dagegen war ganz in ihren Kirchstuhl versunken, und der Pfarrer bedurfte nur einer kleinen Erschütterung, um aus ihrem gepreßten Busen eine Last von Thränen zu erlösen, welche ihren körperlichen Leiden jedoch Erleichterung gewährten. In ihr geschah heute etwas Neues – Ungekanntes – sie stand plötzlich vor einer neuen Erkenntniß; aber sie hatte nicht denken gelernt, und so verstand sie nichts von dem, was sie erschüttert hatte, sie war nur davon überwältigt, und Alles sauste und brauste in ihrem Kopfe, denn sie wußte selbst nicht, daß es ihr erster Kummer war, den sie empfand.

Es kam ihr sehr zu Hülfe, daß sie hinter einem hohen Gitter saß, welches Nees dadurch doppelt gemacht hatte, daß er es vor seinem Sitze, um gesehen zu werden, weggeschoben hatte – hier forderte bei der gleichmäßigen Stimme des Predigers und seinem lang ausgesponnenen Vortrage die Natur ihr Recht, und ein kurzer Schlummer erquickte das arme Wesen.

Nees sah zuweilen nach seiner Beute hin, und ihr Schlaf war ihm schon recht, denn er berechnete, daß sie Kräfte bedürfe, um den Weg nach der Kirche zurückzulegen, der bis zur Kaisersgruft, wo das Haus des Oberschulzen stand, ziemlich entfernt war. Auch zog er es vor, jetzt, da man seinen Eingang nicht hatte verhindern können, seinen Auszug bescheidener einzurichten, und er führte Angela durch eine Seitenthüre, die dem Wege bequemer lag, den sie einzuschlagen hatten.

So gelang es ihm, daß Beide kurze Zeit nach der Ankunft des Oberschulzen vor dessen Thür ankamen und von der Dienerschaft nach dem Lusthofe gewiesen wurden, da die Herrschaften erst einige Rast bedurften.

Angela war noch nie in einem so vornehmen Hause gewesen und hatte von der hier waltenden Pracht keine Vorstellung. Obwohl sie nur den Weg über den Hausflur gemacht hatte, glaubte sie doch schon in einem Prunksaale gewesen zu sein, und dies Anschauen und die große Ueberraschung und Bewunderung, die sie empfand, ward eine wohlthätige Zerstreuung und machte ihre Stimmung wieder natürlicher. Auch ist es ziemlich bekannt, daß auf diesen ersten Hausraum schon ein so großer Aufwand verwendet wurde, daß er billig den mit dieser verschwenderischen Sitte Unbekannten als ein für die Geselligkeit bestimmter Raum erscheinen mußte.

Gewöhnlich erhob er sich in der ganzen Höhe des Hauses und zeigte an seinem Plafond irgend ein prachtvolles Deckenstück in Gold und Stukaturen; der Fußboden dagegen war mit einer Mosaik von Marmor in kunstreichen Mustern bedeckt. Die Wände, an denen, von großen Fenstern erhellt, die Treppen hinan liefen, waren mit eingelegten Hölzern verziert, und die marmornen Stufen mit den kunstreichsten Geländern versehen, welche, halb vergoldet, dazwischen die seltenen Farben der ebenfalls fremden Hölzer zeigten. Nach dem Lusthofe zu öffneten sich große hohe Thüren, und hier sah man zwischen geschnittenen Hecken und fremden Gesträuchen aller Art den Marmorbrunnen, der mit schönen Verzierungen umgeben war, die hier eine Gruppe bildeten, aus deren Fußgestell vier stehende Löwen den plätschernden Strahl in das kunstreiche Becken gossen. Der ganze Hof war mit den schönen Hintergebäuden im Viereck umgeben, und da diese nur Familienzimmer enthielten, wurde dieser Lusthof von allen Mitgliedern, vorzüglich von den Kindern, zum Ausruhen benutzt, und aus dem Mittelpuncte des Gebäudes führte eine Marmortreppe, mit Statuen und Blumenvasen beladen, in diesen kleinen Raum. Hier nun lagen auf dem sauberen Getäfel des Bodens vor bequemen Armstühlen Teppiche ausgebreitet, und Alles deutete an, daß der Tag hier die Mitglieder des Hauses schon versammelt gehabt hatte.

Doch Angela betrat endlich, von kostbar gekleideten Dienern geführt, die Zimmer und traute kaum ihren Sinnen, als die Pracht der Teppiche, der Gemälde und Tapeten sich vor ihr ausbreitete. Die kunstreichen Schränke mit den fabelhaften Porzellangebilden aus Japan und China; die wunderbaren Kästchen und Gestelle aus Gold, Elfenbein und Edelsteinen, worin die schönsten Arbeiten in Amsterdam selbst geliefert wurden; die Lehnstühle mit Sammt und goldenem Leder bezogen, die Vorhänge mit kostbarer Seidenwirkerei oder in Gold gestickt – dieser Aufwand, der in dem ausgesuchtesten Wechsel sich durch solch' ein Patrizier-Haus damaliger Zeit ergoß, betäubte die arme Angela schon, indem sie nur durch einige Zimmer zu gehen hatte, und sie stand vor den beiden Ehegatten von Marseeven, ohne sie gewahr zu werden, so sehr irrten ihre Augen noch immer an den Wänden auch dieses letzten, ganz in dunkelrothen Sammt gehüllten Zimmers umher.

»Nees,« sagte grade jetzt die sonore vornehme Stimme des mächtigen Oberschulzen – »habt ihr und eure Frau ein Anliegen an uns, so steht es euch frei, solches jetzt auszusprechen.«

Erschrocken erwachte Angela bei diesen Worten aus ihrem Erstaunen und die tiefen Diener bemerkend, die Nees zu machen versuchte, fühlte sie beschämt, daß sie sich noch niemals verneigt habe und diese Sitte gar nicht in den Bereich ihres jetzigen Lebens eingedrungen war – sie ging daher, von ihrem natürlichen Gefühl getrieben, auf die milde Frau Flavia zu, die neben ihrem Gemahle saß und küßte ihr ehrfurchtsvoll die Hand.

Wir haben schnell eine innere Zusage, wenn wir uns richtig benommen haben; sie blieb auch Angela nicht aus und erleichterte heut zum erstenmale ihr beklommenes Herz.

»Wie alt seid ihr, liebe Frau?« sagte Flavia freundlich –

»Ich bin zwanzig Jahr gewesen,« stammelte Angela –

»Zwanzig Jahr,« wiederholte Flavia – und ihr Blick haftete vorwurfsvoll auf Nees, der ihr so sehr viel älter noch erschien, als er wirklich war – »und wie kommt ihr zu eurem Manne?«

»Das ist es eben, hochmögende Frau,« sprudelte jetzt Nees, wie ein Krater dampfend, heraus – »das ist es eben, was wir bereit sind zur Kenntniß der hohen Verwandten zu bringen, welche endlich auf Kundschaft gehen nach den armen Flüchtlingen. Meine Frau ist eben die Nichte der vornehmen Gräfin von Casambort, ein ebenbürtiges, ehelich geborenes Fräulein Renier de Gröneveld aus dem großen Hause Barneveldt.«

»Heil'ger Gott!« rief die gute Flavia – »Wann ihr das beweist – und sie dann eure Frau ist!«

»Ich kann das beweisen,« sagte Nees ohne die unwillkürlich herausgestoßene Beleidigung der Frau von Marseeven zu verstehen – »und ebenso, daß sie mit eigner Wahl seit Jahr und Tag mein angetrautes Weib ist!«

»Unglückliche!« sagte Flavia, sich zu Angela wendend – »Ist das wahr?« und da Angela in der unverstandenen Angst ihres Herzens bloß mit dem Kopfe nickte – fuhr Frau Flavia strafend fort – »So konntet ihr Alles vergessen, was ihr eurer Familie – euren hohen Verwandten schuldig seid – so leichtsinnig und thöricht solltet ihr sein, da ihr doch so sanft und sittsam ausseht?«

Der Oberschulze hatte schon bei dem Zusammentreffen in der Kirche eine Ahnung gehabt, daß mit diesen Personen die gesuchten Flüchtlinge zusammenhängen könnten, und er ließ absichtlich seine Frau die ersten Reden wechseln, beobachtete unterdessen beide Ehegatten und war schnell mit der Ueberzeugung fertig, daß, wenn hier keine untergeschobenen Ansprüche obwalteten, dies wirklich die gesuchte Nichte sei, sie so degradirt ein unwillkommenes Geschenk für die stolze und mächtige Gräfin von Casambort sein werde. Aber Nees galt für einen verschlagenen Kopf, für einen hinterlistigen Burschen, und Herr von Marseeven war entschlossen, jede Angabe desselben streng zu prüfen.

»Setzt euch, Frau Nees,« sagte er daher ruhig – »Die Untersuchung dieser Sache wird mit allem Ernst betrieben werden, und ich rathe euch, Nees, laßt von Anfang an die Hoffnung fahren, uns oder die Gerichtspersonen, die wir damit beauftragen werden, hinter's Licht führen zu wollen; es werden euch alle Umstände auf eine Weise abgefragt werden, daß ihr euch nirgends mehr verstecken könnt – ich hoffe, Nees, ihr kennt mich und wißt, daß ich Wort zu halten weiß.«

Nees verbeugte sich und behielt volle Fassung, da ihn die größten Beleidigungen – von Mächtigen gegen ihn ausgehend – vermöge seiner vorherrschenden Feigheit erst lange nachher erzürnten und die unbezähmbare Wuth erregten, für deren Ausbruch er dann eine gefahrlose Gelegenheit suchte.

»Wenn Euer Hochmögenden mir gestatten wollen, will ich Alles klar und offen mittheilen, daß es Euer Gnaden sein soll, als hättet ihr dabei gestanden.«

»Ihr könnt sprechen, sobald der Schöffe, Herr Cornelius Hooft, anwesend sein wird,« erwiderte der Oberschutze, und Nees zog sich kriechend bis zur Thür zurück, während Angela mit niedergeschlagenen Augen und klopfenden Pulsen an dem unbestimmten Weh ihres Herzens fast zu erliegen dachte und die beiden Ehegatten, leise sprechend, nicht ohne Theilnahme vor ihr standen.

Als der Schöffe Cornelius Hooft hereintrat, unterrichtete der Oberschulze denselben mit wenigen scharfsinnigen Worten, wovon die Rede sei, und forderte Nees dann auf, seine Entdeckungen zu machen.

Was wir jedoch mit durchlebt, wollen wir nur in den listigen Abweichungen verfolgen, welche Nees nicht unterließ, mit großer Geistesgegenwart da anzubringen, wo er es sich bei Entwerfung seines Planes vorgenommen hatte.

Er hob es mehrere Male hervor, daß er seine Armuth mit den Flüchtigen getheilt, und welcher Gefahr er sich ausgesetzt habe, um die Geachteten – auf deren Auslieferung Belohnungen gesetzt waren – zu verbergen und zu schützen; welchen schweren Stand er dadurch im Kaufmannshause, auf den Märkten und bei den Nachbarn gehabt, und wie sein ganzes Leben in den zwanzig Jahren eitel Sorge und Kummer gewesen sei.

»Aber warum so lange?« unterbrach ihn der Oberschulze – »ihr mußtet wissen, daß die Gefahr lange vorüber war, daß die Verwandten nicht mehr zu fürchten brauchten, die unglücklichen Geächteten anzuerkennen – warum machtet ihr, der ihr dieselben zu finden wußtet, ihnen nicht früher eine Anzeige, von der ihr wissen mußtet, daß sie hoch erfreulich sein würde?«

»Zu welcher Zeit ich über die Sicherheit meiner mir auf Seele und Leben empfohlenen Schützlinge durch das allgemeine Gerücht unterrichtet ward,« antwortete Nees – »kann ich jetzt nicht genau bestimmen; als ich es endlich mit meinem heil'gen Eide, sie zu verbergen, verträglich hielt, gegen die Verwandten damit hervortreten zu können, hatten sich traurige Umstände ereignet, und ich mußte mich für menschlicher halten, wenn ich fortfuhr, die Unglücklichen der Welt zu verbergen, nicht neuen Jammer auf die schwer geprüfte Familie zu bringen.«

Hier zog Nees ein großes geblümtes, seidenes Schnupftuch aus der Tasche und verhüllte sein vorher weinerlich verzogenes Gesicht, indem er ein kurzes dumpfes Schluchzen ausstieß, während Angela, ohne recht zu wissen, wohin Nees zielen wollte, doch die willkommene Gelegenheit benutzte und in sehr natürliche Thränen ausbrach.

Der Oberschulze blickte von Einem zum Andern, sah den Schöffen an und schüttelte leise den Kopf. »Nees!« hob er dann mit etwas strenger Stimme an – »macht euch nicht unnütz zum weichen Mann! Eine Natur wie eure unterliegt nicht der Erinnerung an Ereignisse, die zwanzig Jahr oder länger her sind.«

»Ach wär' es so lange!« rief Nees, merklich von seiner Wehmuth abstehend – »aber den festesten Mann untergräbt es zuletzt, wenn er täglich dasselbe große Leid vor Augen sieht.«

»Heraus mit der Sprache!« rief der Schöffe Cornelius Hooft – »Ihr ermüdet die Geduld des hochmögenden Herrn.«

»Nun, so soll es denn sein,« rief Nees – »was ich wie ein Ehrenmann bis jetzt vor aller Welt verborgen habe – es muß gesagt werden. Angela – meine liebe Gattin, vergieb mir, daß ich dich kränken muß und höre mit Fassung.«

Wir müssen bekennen, daß Angela bei dieser Anrede ihres Gatten mit etwas einfältiger Neugier im Ausdruck aufsah und daß demnächst ihre Thränen versiegten, da sie begierig war zu hören, was er denn nach dieser Einleitung vorbringen werde. Diese stumme Scene ging weder dem Oberschulzen noch dem Schöffen verloren, und der Blick, den sie tauschten, verrieth ihre Gedanken.

Nees wünschte sehr, seine Gattin weine fort, es war ihm das bequemste Accompagnement zu seiner Rede, und als er grade das Gegentheil bewirkt sah, ballte er unwillkürlich die Faust, steckte sie aber, als er den beobachtenden Blick des Schulzen bemerkte, schnell in seine Tasche.

»Angela, du warst noch ein zartes Kind, was ich junger zwanzigjähriger Bursche damals wie meinen theuersten Schatz selbst hegte und pflegte, aber deine unglückliche Mutter erkrankte immer bedenklicher nach dem schrecklichen Tode deines Vaters und endlich – endlich, Herr – ach Gott Herr! daß es über meine Lippen muß – endlich verfiel sie in unheilbaren Wahnsinn!«

»Wahnsinn!« wiederholten unwillkürlich Alle erschrocken – und Frau von Marseeven stand erschüttert auf und reichte Angela die Hand, indem sie ihr sanfte, mitleidige Worte sagte. Da hatte Nees, was er wollte – Angela weinte wie vorher.

»Ja, hochmögender Herr – erst war es böser, heftiger Wahnsinn, nun ist es stiller Blödsinn geworden – und was will man am Ende klagen – sie fühlt bei guter Wartung und Pflege ihr Unglück nicht, und nur wir, die wir sie täglich umgeben, tragen das Leiden davon.«

»Aber,« rief der Schöffe Cornelius Hooft – »womit wollt ihr denn beweisen, daß diese beiden Frauenzimmer die in Rede stehenden Flüchtlinge sind?«

»Nun,« sagte Nees, schon etwas dreister gegen den Schöffen auftretend – »ihr, Herr Cornelius Hooft, seid ja, wie alle Welt weiß, ein großer Gerichtsmann – untersucht die Sache, wenn's euch beliebt! Hier steht der ehrliche Mann, der euch nicht fürchtet, der bloß wünscht, ihr mögt Alles, was wahr an der Sache ist, zu Tage fördern – an den nöthigen Papieren soll's nicht fehlen.«

Der Oberschulze und auch vielleicht der erfahrene Schöffe wußten gleich, daß dieser Punct der Aussage sich wahrscheinlich richtig befinden werde – und dennoch fuhren sie fort, Nees für einen argen Spitzbuben zu halten, und der Schulze sagte sogleich: »Gut, Nees, angenommen, ihr könnt beweisen, daß diese hier anwesende Frau und deren Mutter die eben von ihrer hohen Verwandtin gesuchten Flüchtlinge sind – wie konntet ihr, der ihr den hohen Ursprung Beider kanntet, euch erfrechen, aus diesem edlen Fräulein eure Gattin zu machen und sie damit auf immer ihrer hohen Rechte zu berauben, ehe sie nur ahnen konnte, wie viel sie damit aufopferte?«

»Herr« sagte Nees demüthig – »ihr seid sehr streng – man sollte denken, ihr hättet nie die Gefahren eines jungen Mannes kennen gelernt, der neben einem schönen Mädchen leben muß, die er von Kindheit an zärtlich geliebt hat, die mit einem Male eine Jungfrau ist und ihn selbst – der schon mit seiner Liebe zu kämpfen hat – nun eingesteht, auf das zärtlichste zu lieben.«

Der Schulze schüttelte den Kopf – Nees trat aber gegen Angela vor und sagte: »Vergieb, daß ich genöthigt bin, dein Zartgefühl zu beleidigen, indem ich hier offen gestehe, wie du mir deine Liebe bekannt und mit so großer Festigkeit darauf bestandest, daß ich die Ehe mit dir schloß! Doch wollt ihr sie nicht selbst befragen, Herr Schöffe? sie wird als eine treue, christliche Ehefrau euch die Wahrheit nicht vorenthalten!« Bei diesen Worten trat Nees mit einem Diener zurück, konnte aber eine höhnende Grimasse nicht hinlänglich bekämpfen.

Die Genehmigung des Oberschulzen mit einer Bewegung fordernd, trat der Schöffe zu Angela und sagte: »Ihr liebt also euren Mann recht sehr, Frau Nees?«

Da geschah das Wunder, daß Angela, die noch am frühen Morgen desselben Tages ein herzensfrohes Ja zu sagen gehabt hätte, vor der Frage erschrocken still schwieg und doch sich nicht bewußt ward, warum sie sie nicht beantworten konnte. »Ueberwinde deine Blödigkeit, mein liebes Angelchen,« sagte Nees, der große Tropfen schwitzte, mit süßlicher Stimme – »sie ist so verschämt wie eine Jungfrau.«

»Schweigt jetzt, Nees,« sagte der Schulze herrisch, und Jener wich entsetzt zurück.

»Liebe Frau Nees,« sagte Flavia jetzt, ihren Stuhl näher an Angela heranschiebend – »fasset euch doch! Wir meinen es so gut mit euch, und ob man seinen Mann liebt, kann die sittsamste Frau eingestehen.« Es entstand abermals eine Pause. Nees hatte sich eben vor Wuth die Westentasche ausgerissen und in dem stillen Zimmer hörte man das Zerreißen des schweren Stoffes. – Alle sahen nach ihm hin, und er zog schnell seinen Mantel darüber, aber sein belauschtes Gesicht vermehrte das Mißtrauen der Männer, in dem Augenblick aber, wie sie sich umsahen, fuhr der armen Angela das kurze trockene Ja aus dem Munde.

»Sie hat Ja gesagt,« rief nun Frau von Marseeven, »quält sie damit nicht weiter.«

»Gut,« sagte der Schöffe – »aber wußtet ihr von eurer hohen Geburt, als ihr euch dem Jakob van der Nees antrauen ließet?«

Ohne zu stocken, sagte Angela: »Ja, Herr. Eine alte Magd, die mit meiner Mutter floh, entdeckte mir Alles, weil sie mich von der Ehe mit ihm abhalten wollte.«

»So,« sagte der Schöffe – »also noch ein Zeuge lebt – und warum wollte sie diese Heirath nicht zugeben?«

»Sie kann den armen Nees nicht leiden und schimpft und verleumdet ihn den ganzen Tag.«

»Aber ihr bestandet fest auf euren Absichten, und Nees bestärkte euch darin?«

»Nein,« sagte Angela – »ich hatte auch mit Nees meine Noth. Denn Gelegenheit gab, daß die arme Mutter sterben wollte, und da wollte mich Nees aus dem Hause bringen, weil er zu jung war, daß ich bei ihm bleiben konnte, und da hätte ich entweder den Bäcker oder den Bruder der Pastorin heirathen müssen, und da kamen wir von selbst darauf, uns lieber selbst heirathen zu wollen, wodurch ich im Hause bleiben konnte.«

Nees zog vor Freude über Angela's Rede die Knie bis an den Leib und grinste wie ein Satyr – Niemand beachtete ihn.

»Schrecklich!« rief Frau Flavia – »man sieht deutlich, wie unschuldig Beide dazu gekommen sind.«

Ermuthigter fuhr Angela fort: »Da ließ Nees das ganze Haus neu einrichten, schaffte uns kostbare Kleider an, und eine Magd mußte reichlich und alle Tage Fleisch kochen – seitdem haben wir es wie vornehme Bürger.«

Dieser Nachsatz war Nees wieder nicht ganz recht; aber er mußte schweigen.

»Lebtet ihr vorher nicht so reichlich?« fragte Herr Hooft.

»Ach, bei Leibe nicht,« erwiderte Angela – »wovon sollte es denn der arme Nees beschaffen? Erst als nun das Vermögen meines Vaters durch Heirath an ihn kam, konnt' er den Aufwand bestreiten.«

Beide Männer wurden durch diese Aeußerung sichtlich nachdenkend und in ihrer Meinung über Nees unsicher, denn sie konnten nicht sehen, welche schauderhaften Grimassen höhnischer Freude er hinter ihnen schnitt.

»Wißt ihr, wie groß die Summe war, die Renier de Gröneveld – angenommen euer Vater – eurem jetzigen Manne auszahlte?«

»Ach nein,« sagte Angela – »aber Nees hat damit Handel getrieben und das Vermögen vielfach verdoppelt, sagt er, und die schönen Juwelen meiner Mutter und ihr Gebetbuch,« fuhr sie fort und blickte dabei scheu auf den Schmuck, den sie trug – »das hat er Alles aufgehoben bis zu meiner Hochzeit – aber er hatte nicht gedacht, daß ich sie mit ihm feiern würde.«

»Ihr habt euch also nicht über Nees zu beklagen – und er hat weder euch noch eurer Mutter etwas zu Leide gethan.«

Das war eine verhängnißvolle Frage, und Nees traten vor Erwartung der Antwort fast die Augen aus dem Kopf, und mit zwei geballten Fäusten lehnte er den ganzen Oberkörper nach vorn herüber, wie ein Tiger, der einen Sprung thun will. Aber er hatte nichts zu fürchten – Angela hatte sich durch das Hervorrufen alter Verhältnisse das Herz wieder leicht geredet gegen Nees, und die Eindrücke des Tages waren dahinter zurückgetreten – »Nein, nein,« sagte sie daher ruhig – »nichts, nichts als Gutes – Nees ist der beste Mann, und uns fehlt gar nichts.«

»Wir müssen es vorläufig dabei bewenden lassen,« sagte der Oberschulze nach einem kleinen Nachdenken, »und ihr, Herr Schöffe, übernehmt die Sache und begebt euch nach dem Hause des van der Nees, um die Aussagen mit dem Thatbestande zu vergleichen. Die Papiere, die Nees bei sich führt, können hier deponirt bleiben, und wir werden dann nach eurem Bericht überlegen, ob die Sache sich zur Mittheilung an die Frau Gräfin von Casambort eignet.«

»Ach!« seufzte Flavia unwillkürlich – »das wird jedenfalls eine traurige Entdeckung werden! Mein Gott! mein Gott! welch' ein Kummer steht der armen Dame bevor – ihre Schwester im Wahnsinn und ihre Nichte die Frau eines solchen Mannes.«

Auf's Neue erschütterten diese Worte Angela. Das war eine Frau so edel und gütig, so vornehm, wie sie noch keine gesehen, und so gut dabei – und diese hielt so unverholen ihre Ehe mit Nees für ein Unglück, für eine Schande. Was die Bäckerin, was Susa gesagt, darüber konnte sie sich erheben – aber, während sie den geheimnißvollen Nimbus hoher Verhältnisse fühlte und ihr Herz davon ergriffen ward, wie sie vielleicht nur Aehnliches bisher in der Kirche erfahren hatte, wurde sie hier tief niedergebeugt durch die Art, wie man ihre Verhältnisse bezeichnete, die fern war von rohem Spott oder gemeinem Zorn – aber viel ergreifender durch den tiefen Ausdruck von Mitleid und Kummer, den Frau Flavia nicht verhehlte. Eine Ahnung kam in ihr unbewachtes Herz, daß sie ihre Verhältnisse nicht beurtheilen könne und ein unerhörter Makel daran haften müsse, der von Nees ausgehe. Sie stand vor einem Geheimniß. Zum erstenmal gewannen andere Menschen neben Nees Einfluß auf sie, zum erstenmal fühlte sie sich von Charakterwürde imponirt, und leicht mußten die fürstlichen Umgebungen dieser höheren Wesen den Eindruck verstärken, – zum erstenmal wendete sie sich von Nees etwas ab – er konnte ihr nicht mehr wie bisher der Erste, der Mächtigste der Zauberer bleiben, der Alles ausreichend schuf, was nöthig schien. Die Verachtung, die er vor ihren Augen von diesen Personen erlitt, war ein fürchterliches Abzeichen, was ihm aufgeheftet blieb, und ihr erwachter Instinct sagte ihr, nicht wie sonst bei Allem, was sie bedrückte, könne sie bei ihm hierüber Aufschluß erhalten – somit wendete sich ihr Vertrauen von ihm ab, denn sie dachte nur, Frau Flavia könne ihr sagen, warum sie so entsetzlich zu beklagen sei.

Nees glaubte, er habe viel, ja Alles gewonnen, als er das Haus des Oberschulzen verließ – und er ahnte nicht, daß er im Begriff war, große Verluste zu machen und in der stillen leidenden Gestalt an seiner Seite sich die Strafen für ihn vorbereiteten, denen er auf der andern Seite zu entgehen hoffte.

Berechnend, unruhig, von dem Erlebten heftig aufgeregt, lief Nees seiner unsicher dahin wankenden Frau immer ein gutes Stück voran, kehrte dann um, war aber in einigen Augenblicken von dem ungestümen Tact seiner Gedanken wieder vorwärts getrieben. So übersah er, daß Angela mit jedem Schritte hinfälliger wurde, und nur der dumpfe Druck, der alsbald ihren Geist erfaßte, sie verhinderte, ihn um seine Hilfe anzusprechen.

Es kommt aber, daß eine instinctartige Anspannung den Körper so lange erhält, bis der Punct erreicht ist, der ihm Ruhe verheißt – so war es auch bei Angela. Nees war ihr voraus in das Haus gelaufen und wollte eben großsprecherisch das Erlebte erzählen, da hörte er einen schweren Fall und Susa's Hülfegeschrei – und als er aus dem Zimmer stürzte, lag die arme Angela ohnmächtig auf den Fliesen des Hausflurs.

In diesem Augenblicke wurde es ihm erst klar, daß sie gelitten hatte, und wie gefährlich dies bei ihrem Zustande werden konnte.

Außer sich stürzte er auf Angela zu, hob sie in seinen Armen hoch auf und trug sie die Treppe hinan in ihr Schlafzimmer.

Aber Angela erwachte nur, um unter großen Qualen, die sie an den Rand des Grabes führten, ein todtes Kind zur Welt zu bringen, und von dem unnatürlichen Verlauf der Sache in ihrer frischen Kraft gebrochen, schien es Allen während mehreren Wochen, als könne sie sich nie wieder erholen – auch war und blieb seit dieser Katastrophe Angela eine Andere.

*


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