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Julia im Hotel

Eines Tages war Julia mitten unter uns. Mitten in einer Gesellschaft recht bedenkenfreier Männer. Sie war sehr jung, unglaublich unschuldig, dazu klein und handlich. Ich wußte sicher: einer von uns wird sie verführen. Und, sagte ich mir, es ist besser, ich verführe sie als einer von den anderen. Denn kettenfolgerte ich weiter, verführe ich sie, so wird ihr dank meiner angeborenen Delikatesse der premier pas erleichtert, und ich werde ihr Seelenleben in geeignete Pflege nehmen, wofür den andern Wüstlingen doch jedes Organ fehlt. Und bald war ich so weit, ihre Seele zu pflegen.

Was nachher kam, war schlimm. Sie weinte herzzerbrechend. Sie jammerte, sie müßte sich zu Tode schämen, sie könnte ihrer alten Großmutter nicht mehr in die Augen blicken usw. So ging es jedesmal. Ich wurde immer nervöser und kam mir im Grunde sehr schlecht vor. Eines Tages war Julia fort und ich erhielt nur noch eine Ansichtskarte mit dem Reichstag und der Siegessäule, ein Schutzmann davor, darunter ein Veilchenstrauß mit Bändchen und die Inschrift: »Dem deutschen Volke!« und darunter ein Abschiedsgruß, gemischt mit den schrecklichsten Selbstanklagen. Ich war sehr konsterniert. Die Wüstlinge aber, die sich schon auf die Nachfolge gespitzt hatten, hielten mir die Faust unter die Nase und sagten: »Du hast das Mädel ruiniert!«

Nach drei Jahren renne ich plötzlich auf der Straße mit Julia zusammen. Sie ist weder ins Wasser gegangen, noch ruiniert, sondern sieht ganz vorzüglich aus. Das bekannte Gespräch: »Wo kommst Du denn her?« – »Warum hast Du denn gar nichts von Dir hören lassen« usw. Wir verabreden uns zum Abendessen.

Irgendwo in der Stadt liegt das kleine Hotel, wo früher die Brüder Freimaurer ihren geheimen Riten oblagen. Die Wandbemalung, Winkelmaß und Kelle, astronomische Figuren, allegorische Frauengestalten, erinnert noch heute daran, wo das Hotel einem ganz anderen Zeremoniell dient. Hier unter den Porträts von Sokrates und Moses Mendelssohn wurde Wiedersehen gefeiert. Julia hatte sich inzwischen die Schreikrämpfe abgewöhnt.

Am andern Morgen wache ich etwas spät, etwas betäubt auf. Ich sehe mich um. Keine Spur von Julia. Sie ist fort. Also noch immer der alte Tick, denke ich, aber sie hat doch sympathischer Weise eine diskretere Form der Zerknirschung gefunden, und ziehe mich seelenruhig an. Etwas später entdeckte ich, daß auch meine Brieftasche fort war. So stand ich unten im Vestibül, von den Wänden schauten mit rüder Neutralität die allegorischen Damen der Brüder Freimaurer auf mich herab, der selbst fast zur Allegorie erstarrt.

Ich mußte an einen Freund um Geld telephonieren, um mich auszulösen. Es dauerte bis Nachmittag.

Ich ging, verhärtet für alle Zukunft. Nie wieder Reue!


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