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Revanche

Im Haag hat in vergangener Woche eine öffentliche Diskussion über die Abrüstung stattgefunden zwischen einem pazifistischen Demokraten und dem früheren Oberbefehlshaber der holländischen Armee. Der General hat nicht gut abgeschnitten, hat im wesentlichen Generalsargumentationen ausgespielt, also... Aber wir wollen nicht über holländische Generale splitterrichtern. Sie sind uns räumlich fern und eben auch nur Generale. Aber ein Ruhmeskranz für sich gebührt doch diesem Herrn Snyders, der sich einem ganz gewöhnlichen pazifistischen Gelehrten zur öffentlichen Auseinandersetzung stellte, der mit ihm auf offenem Markte stritt, ganz so, als wäre das ein Mensch. Man denke sich bei uns etwa ein Rededuell zwischen Herrn von Seeckt und Quidde oder Gerlach. Herr von Seeckt zieht es einstweilen vor, den Verkehr mit genannten Herren durch Herrn Ebermeier besorgen zu lassen.

So freundlich sich also in einer Hinsicht der holländische General von seinen deutschen Kollegen abhebt, in einem hat er in dieselbe Kerbe gehauen. Er ist ungemein zufrieden mit den sich immer erweiternden Möglichkeiten des chemischen Krieges. Er sieht darin eine Humanisierung. Je härter, desto kürzer, desto besser. Wir kennen das Lied. Auch der gute, alte Hindenburg hat es häufig genug Interviewern vorgesungen. Es muß ohne Zweifel angenehmer sein, erstickt als durchlöchert zu werden.

Auch in Deutschland hat der technische Krieg seine Bewunderer. Alte Generale, die in ihrer Kadettenzeit noch mit Steinschloßpistolen hantiert haben, predigen begeistert die frohe Botschaft des Bromazeton oder Chlorpikrin. Wir sind doch modern. Wir machen spielend den Übergang von der schimmernden zur stinkenden Wehr. Und wenn die französische Revanche von 1914 noch in roten Hosen vor Mülhausen erschien, die deutsche Revanche von 19?? wird im schlichten Kittel des Kammerjägers aufs Blachfeld treten und als Standarte das Plakat einer Insektenpulver-Fabrik führen.

In einer Philippika gegen Deimling schrieb vor ein paar Monaten in der »Kreuzzeitung« ein tapferer alter Heerführer die beherzigenswerte Mahnung: Nur keine Aufregung von wegen Gas! Zugleich mit den Angriffswaffen schafft die Technik auch Abwehrmittel. Wenn die Giftgase erst so hübsch populär geworden sind, dann wird auch die Gasmaske so allgemein geworden sein wie heute der Regenschirm.

Das ist Gehirnschwund, wenn auch mit mildernden Umständen. Diese martialischen Greise treiben die Eisenfresserei, richtiger Gasschluckerei, in einer Weise, die einen Schimmer versöhnender Komik auf die traurige Profession wirft. Die französische Revanche war eine üble Petroleumhexe, eine rothaarige, hysterische Metze mit frech entblößten Brüsten. Die deutsche Revanche ist eine hochgeschlossene, spinöse Stiftsdame, der der Regenschirm besser steht als die Tricolore. Sie mag sich noch so sehr ereifern, mit dem Regenschirm erhitzt man keine Männer.

Nachts um die zwölfte Stunde verläßt der Tambour sein Grab. Aber er denkt nicht daran zu trommeln, beileibe nicht. Ein Blick auf die Rachegöttin, und er kriecht mit scheppernden Knochen in den Hades zurück.

Das Tage-Buch, 11. Oktober 1924


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