Georg Freiherr von Ompteda
Aus großen Höhen
Georg Freiherr von Ompteda

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24.

»Meine Frau wird uns verlassen. Ihre Mutter ist krank. Und in dem Alter, in dem ihre Mutter sich befindet, muß man zum mindesten vorsichtig sein!«

Der Professor sagte es Joachim, als Klara nicht dabei war. Der war erstaunt, blickte kurz auf, ohne ein Wort zu verlieren.

Es war kein bloßer Vorwand. Am Morgen hatte in der Tat die Post einen Brief gebracht, der ein wenig ernst klang. Unter anderen Umständen würde Frau Hallbauer wohl doch geblieben sein. So griffen sie es beide auf, ohne sich darüber zu unterhalten. Sie verstanden sich.

Der Professor wollte mit Klara reisen, doch das litt sie nicht. Er sollte seine Ferien in den Bergen nicht deswegen einbüßen. Außerdem wäre Joachim nicht allein in Schluderbach geblieben, sondern wie er gekommen, mit ihnen, hätte er sie auch begleiten wollen. Bei dem Gedanken schon wurde Klara so erregt, daß ihr Mann vorschlug, sie bis nach Franzensfeste zu bringen, wo sie dann den Nord-Süd-Expreß fand, der sie heimbrächte.

In Toblach wollten sich dann die beiden Freunde wiedertreffen, um wegen der Erinnerung an das Unglück das Ampezzo verlassend, ein anderes Standquartier im Puster- oder Sextental zu suchen.

Joachim wäre am liebsten Klara gefolgt, aber ein andeutendes Wort war von dieser so scharf zurückgewiesen worden, daß er davon abstand. Außerdem sagte er sich, daß es den Verdacht erweckt haben würde, an seines Freundes Gesellschaft allein läge ihm nichts.

Er mußte also fürs erste bleiben. Einen Grund, nach einiger Zeit abzureisen, würde er schon finden.

Er begriff nicht, was er Klara nur eigentlich getan. Sehr ernst nahm er es nicht, in der Meinung, es könnte nichts anderes sein als eine seltsame, weibliche Laune, vielleicht sogar nur Koketterie. Das waren Stimmungen, die vergingen. Nervosität, eine weibliche Reue, von der Gewohnheit bald wieder zum Schweigen gebracht.

Ja, sie erschien ihm doppelt reizend in ihrem abweisenden Zorn.

Vielleicht, dachte er, war hauptsächlich schuld: die Erregung über das Unglück, dessen Zeuge sie geworden. Das drückte er dem Professor vorsichtig aus. Der stimmte ihm sofort bei, als wollte er dem Freunde jede Möglichkeit benehmen, etwas anderes zu denken.

Bis zur Abreise hatte er tausend Rücksichten gegen seine Frau. Er sprach mit ihr, soviel er konnte, er bemühte sich um sie und suchte ihr alles aus den Augen abzusehen.

Endlich war die Stunde der Trennung gekommen, von Klara ungeduldig erwartet. Sie nahmen einen Wagen bis Toblach, und dorthin begleitete sie Joachim, der die Absicht hatte, dort im Südbahnhotel seines Freundes Rückkehr abzuwarten.

Auf der Fahrt durch das Ampezzotal saß Dörstling neben Klara. Der Professor hatte artigkeitshalber auf dem Vordersitz Platz genommen. Sie schmiegte sich ganz in ihre Ecke, als fürchte sie die leiseste Berührung, und sprach fast kein Wort; nur ihrem Manne antwortete sie bisweilen.

Der hielt eine lange, wissenschaftliche Vorlesung über das Leiden seiner Schwiegermutter, nur um nicht ein Thema zu berühren, das ihr peinlich gewesen wäre.

Sie näherten sich Landro, und vorher grüßten einen Augenblick durch einen Taleinschnitt in wunderbar ernster Pracht, gleich einer gotischen Kathedrale, die Zinnen herein. Dann kam das Fort, das vorn unter den grünbewachsenen und bepflanzten Wällen verschwand und nur hinten das Mauerwerk zeigte, gleich einer gewaltigen Riesenschnecke, die halb in ihrem Hause steckt. Das Cristallomassiv rückte allmählich hinter die Bergwände, und zuletzt verschwand der Piz Popena den Blicken.

Aber keiner erwähnte es. Sie wollten Klara schonen. Sie waren sogar im Einverständnis; denn als sie sich herumdrehte, gab der Professor unbemerkt Joachim ein Zeichen, indem er den Finger auf den Mund legte.

Endlich rollten sie am Toblacher See vorüber, allmählich wurden die Talränder niedriger, und die scharfe Eisgestalt des Hochgalls drüben in der Rieserfernergruppe, jenseits des Pustertales, sank herab, verschwand. Der grüne Pusterer Talboden tat sich auf, breit, an der Nordseite von runden, bewaldeten Kuppen umrahmt: die Zauberwelt der Dolomiten lag hinter ihnen. Sie fuhren an den Hotels vorüber, wo Tennis gespielt, Rad gefahren ward und am Bahnhof vor.

Während der Professor die Fahrkarten löste, blieben Klara und Joachim allein auf dem noch leeren Bahnsteig stehen. Er flüsterte:

»Habe ich Ihnen etwas getan?«

Sie runzelte die Stirn:

»Das fragen Sie?«

»Ja, was denn?«

»Nun, wenn Sie's nicht wissen!«

Er bat mit weicher Stimme, indem er sie ansah mit seinen schönen Augen, und das zarte, hübsche Gesicht einen todestraurigen Ausdruck annahm wie von tiefem Leiden:

»Warum sind Sie so schlecht gegen mich? Habe ich nicht alles getan, was ich nur konnte diesen ... diesen Winter? Habe ich nicht Tag für Tag bei Ihnen gesessen? Bin ich je keck gewesen oder anmaßend? War ich nicht ein guter Freund?«

Sie sah ihn an, den Mann, dem ihre Liebe gegolten, um dessentwillen sie ihre Pflicht verletzt, der ihr Leben der letzten Wochen in der Hand gehabt wie ein Herrscher, der ihre Weibesseele unterjocht, daß sie nur noch ihn gewahrte auf dieser Erde. Sie sah ihn an, der Erstorbenes in ihr entzündet, der ihr Blut geweckt, das zu schlafen schien, der sie ganz umgarnt und umsponnen, sie gefesselt und wehrlos gemacht mit seiner Liebe.

Sie sah ihn an, und ein rätselhaftes Gefühl stieg in ihr auf, als müßte sie ihren Mann rufen und sagen: »Schütze mich vor ihm, schütze mich vor mir selbst!« Und doch auch der Wunsch, es ihm zu vergelten, daß er sie schwach gefunden. Rache an dem, den sie geliebt. An dem, von dem sie nicht wußte, ob sie ... ob sie ihn ... Nein, nein ... er durfte nicht wieder unter ihre Augen treten. Sie haßte ihn.

Sie zitterte. Sie wollte etwas antworten, ihm etwas ins Gesicht schleudern – da erschien ihr Mann.

Da beherrschte sie sich, und als der Zug gebraust kam, der Professor eine Tür öffnete und nun der Abschied kurz sein mußte, überwand sie sich, ihm die Hand zu reichen mit den Worten:

«Leben Sie wohl!«

Joachim aber küßte ihre Fingerspitzen und flüsterte schnell, während der Professor das Handgepäck in das Innere des Wagens trug:

»Ich sage: Auf Wiedersehen!«

Die Lokomotive pfiff. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Der Professor rief:

»Ich bin zum Abendessen wieder da. Südbahnhotel.«

Joachim starrte dem letzten Wagen nach. Klara erschien nicht am Fenster. Er aber lächelte. Er dachte: nur die Krisis vorübergehen lassen. Ich kriege sie schon wieder. Sie wird es bei der Mutter doch nicht lange aushalten. Dann kommt sie zum Rest von ihres Mannes Ferien zurück. Und dann ist alles überwunden, die bösen Eindrücke und diese eigene Herbigkeit ihres Wesens.

Aber da fiel ihm ein, während der Zug immer kleiner ward, das Tal hinunterbrausend: dann würden auch die Berge wieder beginnen. Der Professor hatte ja schon lächelnd gesagt: der Leichtsinn von ein paar Fexen wäre doch noch kein Beweis gegen das Bergsteigen. Dann ginge auch Klara wieder mit, und dann würde sie ihn einschätzen nach ...

Sein Gedankengang ging rasend: ihre Verstimmung stammte vom Cristallo her. Er hatte seine Sache schlecht gemacht. Das mußte es sein.

Ja, jetzt hatte er den Schlüssel zu ihrem Benehmen: er hatte ihr mißfallen an dem Berge. So sah kein Mann aus, kein Sieger, kein Liebhaber. Er fühlte nur zu gut, daß er ein Ritter von der traurigen Gestalt gewesen.

Natürlich! Das war es! Hatte er denn nur eine Binde vor den Augen gehabt?

Joachim war so glücklich über seine Entdeckung, daß er lustig pfeifend zum Hotel ging.

An der Table d'hote saß er einem älteren Ehepaar gegenüber. Sie kamen auf den Absturz der Engländer zu sprechen, und als Dörstling merkte, daß man in der Nachbarschaft zuhörte, bekannte er, dabei gewesen zu sein. Er erzählte wie ein Teilnehmer; dabei nannte er gewissermaßen als Kronzeugen den Namen »Professor Hallbauer«.

Sofort beteiligte sich sein Nachbar, der viele Alpinisten kannte, an dem Gespräche. Es war auch von Klara die Rede, die, wie der Herr meinte, eine der tüchtigsten Hochtouristinnen wäre. Als man gar von ihr zu schwärmen begann, wuchs Joachims Stolz, und er sagte unter dem Staunen des Tisches:

»Ich bin oft mit Frau Hallbauer gegangen!«

Er glaubte es fast selbst. Er hatte wieder Mut. Er wollte seinen Freund bitten, ihn auf den nächsten Touren mitzunehmen. Nur zum Training. Wenn Klara zurückkehrte, würde er ihr dann ruhig lächelnd sagen:

»Schade, daß Sie schon auf der kleinen Zinne gewesen sind, sonst ginge ich einmal mit!«

Er sah schon ihre Augen dabei, diese nußbraunen, wunderbaren Augen, die ihm beim bloßen Gedanken daran brennende Sehnsucht ins Herz schießen ließen.

So gewann er sie wieder.

Als der Professor zurückkehrte, hatte Joachim all seine Kleinheit am Cristallo vergessen, seine Furcht, seine Beklemmung auf Eis wie Fels und den Schreck, der ihm durch den Absturz in die Glieder gefahren.

Beim Abendessen, als sein Freund zerstreut dasaß, in Gedanken, an die, wie er meinte, sinnverwirrte, kranke Frau, fragte Dörstling plötzlich:

»Und wann nimmst du mich das nächste Mal mit?«


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