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Die Fujiwara-Periode

(900-1200 n. Chr.)

Die nach einem alten Adelsgeschlechte benannte Fujiwara-Periode setzt mit der Thronbesteigung des Kaisers Daigo im Jahre 898 ein, als diese Familie in ihrem allmählichen Aufstieg ihre höchste Blüte erreicht hatte. Mit ihr beginnt eine neue Entwickelung der japanischen Kunst und Kultur, die man im Gegensatz zu den bisher herrschenden kontinentalen Einflüssen als die nationale bezeichnet. Was chinesische Philosophie und indische Weisheit boten, hatte längst seinen Weg nach Japan gefunden, bis die aufgespeicherten Kräfte dieser assimilierten Kultur das japanische Volk endlich zur Entwickelung eigenster Formen im Leben wie in der Welt der Ideale drängten.

Von dem Volkswillen der Heian-Periode kann behauptet werden, daß er das indische Ideal bis zur Vollkommenheit vorausgefühlt hatte. Jetzt, den Gewohnheiten des Geistes folgend, isoliert er es gleichsam und setzt sich seine Verwirklichung zum alleinigen Ziele. Hierin genießen die Japaner, dank ihrer stärkeren Wahlverwandtschaft mit den Indern, vor den Chinesen einen Vorteil, die durch ihre im Konfuzianismus sich offenbarende, ausgesprochen praktische Veranlagung an der einseitigen Steigerung eines Motives bis zu seinem höchsten Intensitätsgrad verhindert werden.

Die gegen den Ausgang der T'ang-Dynastie in China ausbrechenden Unruhen machten den diplomatischen Beziehungen beider Länder ein Ende, und das starke Selbstvertrauen und Machtbewußtsein Japans bewog die Staatsmänner jener Zeit – darunter auch den unter dem Namen Tenjin als Schutzpatron der Literatur und Wissenschaft bekannten Michizane – dazu, keine Gesandtschaften mehr nach Chôan (Ch'ang-ngan) Choan (Chang-ngan) ist die heutige Stadt Si-ngan in der Provinz Shensi, in die die Kaiserin-Witwe sich während der unglücklichen Besetzung Pekings durch die Verbündeten zurückzog. Choan und Rakuyô oder Loh-yang waren die beiden Hauptstädte der Han- und T'ang-Dynastie. In diesen wie in anderen Fällen bedienen wir uns der japanischen Aussprache chinesischer Namen. zu schicken und mit der Gewohnheit, chinesische Gewohnheiten und Sitten zu entlehnen, zu brechen. Eine neue Zeit war gekommen. Japan bemühte sich, in der Zivilverwaltung wie im Kultus eine eigene, auf die Wiedererweckung des reinen Yamato-Ideales gegründete Organisation zu schaffen.

Diese neue Entwickelung ist in der Literatur durch das Erscheinen bedeutender, von Frauen verfaßter Bücher gekennzeichnet. Bisher hatte die Sprache des Volkes, an dem klassischen Stil der chinesischen Gelehrten gemessen, für weibisch gegolten und war den Frauen zu ausschließlichem, passendem Gebrauche überlassen. Nun beginnt die große Zeit des weiblichen Literatentums, und wir sehen Namen wie Murasaki Shikibu, Verfasserin des großen Genji-Romans, auftauchen; wie Sei Shônagon, deren sarkastische Feder Madame de Sévigné geistvolle Bosheiten über den Hofklatsch des Grand Monarque um sieben Jahrhunderte vorausnimmt; wie die durch ihre reine und friedliche Lebensanschauung berühmte Akazome und die große, schwermütige Dichterin Komachi, deren Leben den Liebesschmerz und -kummer ihrer hochkultivierten, üppigen Zeit widerspiegelt. Die Männer ahmten den Stil dieser Damen nach: denn das Zeitalter war par excellence das der Frauen.

Auf seiner schützenden Insel, abgeschnitten von der Welt und verschont von störenden Staatssorgen, verbrachte der Hofadel seine Zeit in süßen Träumereien und suchte seine einzige ernsthafte Beschäftigung in der Kunst und in der Poesie. Die minder wichtigen Pflichten der Regierung blieben untergeordneten Geistern überlassen, denn alles Nutzbringende erschien den überkultivierten Seelen jener Zeit als unrein und erniedrigend. Geldgeschäfte und das Waffenhandwerk schickten sich nur für die dienenden Klassen.

Selbst die Rechtsprechung blieb den geringeren Beamten überlassen. Die Gouverneure der Provinzen verbrachten fast ihre ganze Zeit in Kyôto und ließen ihre Vertreter und die Untergebenen ihr Amt verwalten; ja, einige rühmten sich voll Stolz, niemals aus der Reichshauptstadt herausgekommen zu sein.

Der Buddhismus bildet nach wie vor das herrschende Element im Volksbewußtsein, und der Heiligenschein des Ewigweiblichen rückt ihm in Gestalt des Jôdo-Ideals der Fudschiwara-Zeit jetzt näher als in irgendeinem anderen Augenblick der Geschichte. Die von den Mönchen gepredigte, strenge männliche Disziplin der früheren Jahrhunderte hatte als den einzigen Weg zum Heil die Selbstüberwindung und Selbstzucht vorgeschrieben und führte jetzt ihre eigene Reaktion herbei. Diese aufrührerische Bewegung fiel mit der Wiedergeburt der zur Asuka- und Pränara-Periode bei der Tendai-Sekte vorherrschenden Auffassung der buddhistischen Idee zusammen, derzufolge die Vollkommenheit allein durch Versenkung in das Abstrakt-Absolute zu erreichen ist. Das religiöse Bewußtsein war durch das furchtbare vergebliche Ringen um Samadhi verzweifelt und durch Selbstkasteiungen erschöpft und fällt daher in den Gedanken höchster Liebesraserei zurück. Gebete, die das Ich in den Ozean unendlichen Erbarmens auflösen, treten an die Stelle des stolzen, männlichen Kampfes um Selbsterkenntnis. In Indien wird Çankarâchârya Çankarâchârya: der größte neuere Hindu-Heilige und Kommentator. Er lebte um die Wende des achten Jahrhunderts und ist der Vater des modernen Hinduismus. Er starb 820 n. Chr. im Alter von zweiunddreißig Jahren. von Râmânuja Râmânuja: ein Heiliger und Philosoph der Bhakti-Art. Er lebte in Südindien im zwölften Jahrhundert und ist der Gründer der zweiten großen Schule vedischer Philosophie. und Chaitanya Chaitanya: bekannt als der »Prophet von Nadiya« in Bengalen, ein ekstatischer Heiliger des sechzehnten Jahrhunderts., das Zeitalter der Bhakti Bhakti: die Liebe zu Gott und Hingebung in der Liebe, die bis zur völligen Selbstauflösung führt. In Europa bieten Santa Teresa und einige moderne protestantische Sekten ähnliche Beispiele. von dem des Jnâna Jnâna: die höchste Erleuchtung des Geistes, bei der die transzendentale Einheit alles Erschaffenen offenbar wird. abgelöst.

Eine Welle religiöser Ekstase brach zur Fudschiwara-Zeit über Japan herein. Von Liebeswahnsinn berauscht verließen Männer und Frauen scharenweise Städte und Dörfer, um singend und tanzend und den Namen Amida anrufend Kûya und Ippen nachzufolgen. Maskeraden kamen in Mode, bei denen die Engel auf dem Lotosthron vom Himmel niederstiegen, die scheidenden Seelen willkommen hießen und wieder zum Himmel hinauftrugen. Damen pflegten ihr Leben damit zu verbringen, das Bildnis des göttlichen Erbarmers aus Fäden des Lotosstengels auf Geweben oder Stickereien zu fertigen. So war die neue Bewegung, die, mag sie auch in China zu Beginn der T'ang-Dynastie eine noch so enge Parallele finden, ihrem Charakter nach doch ausschließlich und ausgesprochen japanisch ist. Sie lebt bis auf den heutigen Tag fort, denn zwei Drittel des Volkes gehören auch heute noch der dem indischen Vaishnavismus entsprechenden Jôdo-Sekte an. Sowohl der Schöpfer der Dogmen, Genshin, als auch Genkû, der den neuen Glauben zu seinem Gipfelpunkte führte, betonten die Schwäche der menschlichen Natur und lehrten, daß der Mensch aus eigener Kraft außerstande sei, sich selbst vollständig zu besiegen und schon in diesem Leben das Göttliche zu erreichen; vielmehr daß er nur durch die Gnade des Amida-Buddha und seiner Emanation Kwannon erlöst werden könne. Sie stellten sich nicht in Gegensatz zu den älteren Sekten, sondern ließen jede ihre eigenen Wege ziehen, und erklärten, starken und auserwählten Naturen gezieme es wohl, den Shôdô oder Pfad der Heiligen zu wandeln; allein für die große Menge genüge ein einziges Gebet zum unermeßlichen Licht, dem fast mütterlichen, höchsten Gott Amida, die Seele in sein reines Reich, Jôdo, zu ziehen, wo sie, von Schmerz und Leid und Elend des Erdenlebens erlöst, sich zur Buddhaschaft entwickeln könne. Dieses Gebet bezeichnen sie als den »leichteren Pfad«, und ihre von einer weiblichen Psyche beeinflußten, sanfteren Götterbilder stellen einen neuen Typ dar, der von den stattlichen Buddhas und den wilden, unter dem Namen Fudô bekannten çivaähnlichen Verkörperungen des göttlichen Zornes, des Vernichters menschlicher Gefühle und Leidenschaften, stark abweicht. Shinran, ein Jünger Genkûs, gründete dann die Hongwanji-Sekte, die heute die meisten Anhänger der Jôdo-Idee in Japan zählt.

Die zartlinige, fein abgetönte japanische Malerei beginnt jetzt, vom zehnten Jahrhundert an, sich durch das Überwiegen von Gold auszuzeichnen, das an die Goldgründe der frühmittelalterlichen Kunst Europas erinnert und in dem goldenen Lichte, das in Amidas Reich herrscht, seine Erklärung findet.

Gegenstände der Malerei sind Amidas Reich oder das vollkommene Erbarmen, die Seishi-Kwannon oder die vollkommene Macht, und die fünfundzwanzig Engel, die unter Sphärenklängen die Seelen in das Paradies geleiten. Es gibt keine bessere Darstellung dieses Vorwurfes als das gewaltige Bild Amidas und der fünfundzwanzig Engel von Genshin selbst, das heute in Kôyasan aufbewahrt wird.

Die Plastik dieser Zeit erreicht im elften Jahrhundert mit Jôchô ihren Höhepunkt, dessen Amida in seiner ganzen Herrlichkeit noch in Hô-ô-dô in Uji zu sehen ist. Er steht in einem der Tempel, die von den Fujiwara-Ministern dem neuen Jôdo oder Glauben an das Reich der Reinheit geweiht waren. Der Fudô dieses Bildhauers ist so wunderbar mild, daß er fast einem Amida gleicht, ein Beweis für die Stärke des damals herrschenden weiblichen Einflusses, der selbst die mächtige Gestalt Çivas umzuwandeln vermochte.

Allein ein solches Traumland konnte in dieser weltlichsten aller Welten nur von kurzer Dauer sein. In den Provinzen zog sich bereits das Unwetter zusammen, vor dem das Blumenfest von Kyôto in alle Winde zerstieben sollte. Die örtlichen Unruhen verstärkten die Macht der Provinzialbeamten, die in Wahrheit die Zügel der Regierung in Händen hielten, und wandelten sie zu den Daimyôs und Baronen späterer Zeiten um. Die Aufstände im Norden boten der kriegerischen Familie Minamoto Gelegenheit, während eines langen, fünfzehnjährigen Feldzuges die Herzen der unzivilisierten Völker östlich des Hakone-Passes zu gewinnen, die von dem Hofadel ebenso gefürchtet wurden, wie später die Goten von den Römern. Durch die Vertreibung der Seeräuber aus den Binnengewässern des Insellandes gelangten überdies die Taira zu hohem Ansehn, so daß sich die Militärmacht gegen Ausgang des Jahrhunderts auf diese beiden rivalisierenden Adelsgeschlechter verteilte. Der vollkommen verweichlichte Hofadel verstieg sich zu der Behauptung, der wahre Mann sei eine Verbindung von Mann und Weib, und ging darin so weit, daß viele sich schminkten und die Frauenkleidung nachahmten. In ihrer Frivolität vermochten sie nicht die drohende Gefahr zu erkennen.

Ein Bürgerkrieg zwischen zwei Anwärtern auf den Kaiserthron enthüllte um die Mitte des zwölften Jahrhunderts vollends die Machtlosigkeit des Fujiwara-Hofes. Der Oberbefehlshaber der Armee war nicht einmal imstande, sein Pferd zu besteigen, und der Hauptmann der kaiserlichen Garde fand es unmöglich, sich in der modischen Rüstung seiner Zeit zu bewegen. In größter Verlegenheit mußten die rivalisierenden Kronprätendenten wohl oder übel die kriegstüchtigen Minamoto und Taira zu Hilfe rufen, die man bisher, trotz ihrer königlichen Abstammung, bei Hofe so sehr verachtet hatte, daß man sie fast wie eine untergeordnete Menschenklasse behandelte.

Die Familie des von den Taira unterstützten Thronaspiranten gewann die Oberhand, und es gelang ihr, sie ein halbes Jahrhundert lang zu behaupten. Dann unterlag sie den Gewohnheiten und der Weltanschauung der Fujiwara, so daß sie ihre Tüchtigkeit völlig verlor. Dem Abkömmling der Minamoto war sie eine leichte Beute, und ihre Macht und ihr Ansehn gingen in den heute episch gewordenen Schlachten von Suma und Shioya Suma und Shioya: zwei Orte in der Nähe von Kôbe in Japan. für immer unter.


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