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Das Machtbereich der Ideal

Ganz Asien ist eins. Der Himalaja scheidet wohl zwei gewaltige Kulturen, die chinesische mit dem Kommunismus des Konfuzius und die indische mit dem Individualismus der Veden, aber er trennt sie nur, um ihr Gemeinsames deutlicher hervortreten zu lassen. Selbst an seinen Schneewänden brach sich zu keiner Stunde der breite Strom der Sehnsucht nach dem Urgrund und dem Urziel allen Seins, die als gemeinsames Gedankenerbe alle Rassen Asiens befähigte, sämtliche großen Religionen der Erde zu gebären und sie von den seefahrenden Völkern des Mittelmeers und der Ostsee unterschied, deren Liebe zum einzelnen mehr den Äußerungen des Lebens als seinen Endzwecken nachhing.

Bis hinauf in die Tage der mohammedanischen Eroberungen kamen die kühnen Seefahrer von der bengalischen Küste auf den alten Heerstraßen des Meeres, gründeten ihre Kolonien auf Ceylon, Java und Sumatra, mischten ihr arisches Blut mit dem der Küstenvölker von Birma und Siam und banden so durch wechselseitigen Verkehr Cathay und Indien fest aneinander.

Lange Jahrhunderte einer Systole folgten der Epoche Mahmuds von Ghazni im elften Jahrhundert. Die Kraft Indiens zu geben war gelähmt. Es zog sich in sich selbst zurück, und China hatte allzuviel mit seiner Erholung von den Schlägen der mongolischen Tyrannei zu tun, um seine Stellung als intellektuelle Gastgeberin nicht einzubüßen. Aber der alte, starke Drang zum Verkehr lebte wieder auf in der Hochflut der Tatarenhorden, deren Wogen, zurückgeworfen von den Bergwänden des Nordens, über das Pandschab hereinbrachen. Die Hûna, die Çaka und die Geten (Yüch-chi), die rauhen Ahnen der heutigen Râjputen, waren die Vorläufer jenes großen mongolischen Einbruches, der unter Dschingis-Khan und Tamerlan das Reich des Himmels überschwemmte, es mit dem Tantrikismus Bengals Bengalischer Tantrikismus. – Die Tantras sind größtenteils in Nordbengalen nach dem 13. Jahrhundert entstandene Schriften. Sie befassen sich vielfach mit psychischen Phänomenen und verwandten Dingen und bergen einige der höchsten Gedankenflüge reiner Hindu-Philosophie. Ihr Hauptziel scheint die Formulierung einer Religion gewesen zu sein, die bis zu den niedrigsten Volksschichten hinabreichen und sie erlösen wollte. übergoß und, die indische Halbinsel durchflutend, den moslemitischen Imperialismus mit mongolischen Staatsgedanken und Kunstideen verfärbte.

So unleugbar Asien eine Einheit ist, sind seine Rassen Maschen eines einzigen Gewebes. Wir vergessen in unserer an Klassifikationen so reichen Zeit, daß Typen doch schließlich nichts sind als leuchtende Unterscheidungsmale in dem Ozean der Ähnlichkeiten, nichts als aus Nützlichkeitsgründen ureigens zur Anbetung aufgerichtete falsche Götter, die letzten Endes und für sich betrachtet keinen größeren Wert haben als zwei trotz ihrer Verwandtschaft isolierte wissenschaftliche Disziplinen. Wenn die Geschichte Delhis eine Darstellung davon ist, wie der Tatare sich einer mohammedanischen Welt aufdrängte, so muß man sich vor Augen halten, daß die Geschichte Bagdads und seiner sarazenischen Kultur gleichermaßen ein Ausdruck ist für die Macht, mit der die semitischen Völker chinesische so gut wie persische Sitten und Kunst angesichts der Mittelmeerstaaten verbreiteten. Arabische Ritterlichkeit, persische Poesie, chinesische Ethik und indische Philosophie, alles spricht von einem einheitlichen, friedvollen Asien, wo eine gemeinsame Lebensweise erstand, die wohl in verschiedenen Gegenden verschiedene charakteristische Blüten zeitigte, aber doch nirgends eine klare, scharfe Trennungslinie aufkommen ließ. Selbst den Islam könnte man als einen attackereitenden, schwerttragenden Konfuzianismus bezeichnen. Denn man kann unschwer in dem uralten Kommunismus des »Gelben Tales« die Spuren des reinen Hirtenelementes finden, wie es sich uns unverfälscht in den moslemitischen Rassen verkörpert.

Auch der Buddhismus, um vom westlichen wieder auf das östliche Asien zurückzukommen, dies weite Meer des Idealismus, in das alle Stromsysteme ostasiatischer Philosophie münden, hat seine Farbe nicht allein von den reinen Wassern des Ganges. Die tatarischen Nationen, die sich ihm verbündeten, brachten ihm auch die Tribute ihres Geistes und mehrten durch einen neuen Symbolismus, eine neue Organisation und neue Kräfte der Hingabe, die Schätze »des Glaubens«.

Mit ausgesprochener Deutlichkeit verkörpert Japan diese Einheit in der Vielfältigkeit. Darin liegt seine Sonderstellung. Das indo-tatarische Blut der japanischen Rasse war an und für sich schon ein Erbteil, das sie befähigte, aus zwei Quellen zu schöpfen und zum Spiegel der gesamten Gedankenwelt Asiens zu werden. Das seltene Glück ununterbrochenen Herrentums, das stolze Selbstvertrauen einer unbesiegten Rasse und die insulare Abgeschlossenheit, die althergebrachter Denk- und Gefühlsweise, wenn auch auf Kosten ihrer Weiterverbreitung, Schutz bot, machten Japan zum Schatzhaus asiatischen Geistes und Geisteslebens. China dagegen haben die dynastischen Umwälzungen, die Einfälle tatarischer Reiterscharen, die Metzeleien und Verwüstungen rasender Pöbelmassen, die es immer und immer von neuem durchfegten, die alten Marksteine genommen. Nur seine Literatur und seine Ruinen mahnen noch an den Glanz der T'ang-Kaiser oder an die Verfeinerung der Gesellschaft zur Zeit der Sung-Periode.

Die Größe Açokas, des asiatischen Weltherrschers in der Vollendung, dessen Dekrete den Diadochenfürsten Antiochiens und Alexandriens religiöse Vorschriften diktierten, ruht fast vergessen unter den zerfallenen Bauten von Bharhut und Buddhagayâ. Der diamantenreiche Hof Vikramâditgas ist nur ein entschwundener Traum, den selbst die Dichtungen Kâlidâsas kaum heraufzubeschwören vermögen. Die höchsten Leistungen indischer Kunst sind fast restlos getilgt durch die Roheit der Hûna, die fanatischen Bilderstürmereien der Mohammedaner und den unbewußten Vandalismus des gewinnsüchtigen Europa. Uns ist nichts geblieben als die verblaßte Pracht der Wände von Ajantâ, die verstümmelten Skulpturen Elloras, die stummen Anklagen des felsgehauenen Orissa und schließlich die Schönheit des Hausgerätes unserer Tage, die sich mit einer gewissen Wehmut inmitten eines feinfühligen Familienlebens noch an das Religiöse klammert.

Einzig und allein in Japan kann der historische Reichtum der asiatischen Kultur Han-Kunst, – T'ang-Kultur, – Sung- und Mongolen-Dynastien. – Ein kurzer Abriß der Perioden chinesischer Geschichte lautet ungefähr wie folgt:
Chou-Dynastie (1122-221 v. Chr.)
Sie bedeutet den Höhepunkt des ältesten chinesischen Konsolidationsprozesses, dem die Hia- und Yin-Dynastien vorangingen.
Ts'in-Dynastie (221-202 v. Chr.)
Das Bestreben dieser Macht, den Kommunismus zu unterdrücken, führte zu ihrem Sturz. Die Kürze ihrer Herrschaft findet, verbunden mit ihrer Bedeutung, ihre einzige neuzeitliche Parallele in dem Kaiserreich des ersten Napoleon.
Han-Dynastie (202 v. Chr. bis 220 n. Chr.)
Dieses Reich wurde durch eine Volkserhebung gegründet. Ein Dorfältester wurde Kaiser von China. Allein die ganze Neigung und Entwicklung der Han wuchs sich zum Imperialismus aus.
Die Drei Reiche (220-268 n. Chr.)
Eine territoriale Teilung.
Die Sechs Dynastien (268-618 n. Chr.)
Die Drei Reiche werden unter einer einzigen einheimischen Dynastie vereinigt, die sich ungefähr zwei Jahrhunderte hält, bis ein Einfall tungusischer Stämme von der Nordgrenze her sie zwingt, sich nach dem Tal des Yang-tse-kiang zu flüchten. Der Schauplatz chinesischer Erbfolge und Kultur wird daher um diese Zeit nach dem Süden verlegt, während der Norden dem Buddhismus die Tore öffnet und die Wiege des Taoismus wird.
T'ang-Dynastie (618-907 n. Chr.)
Der Genius ihres Begründers, T'ai-tsung, schloß China von neuem zusammen. Die Hauptstädte der T'ang lagen am Hoangho, wo das nördliche Reich mit dem südlichen verschmolz. Diese Verbindung wurde schließlich durch die feudalistischen Königreiche wieder gelöst, die unter dem Namen der Fünf Dynastien bekannt sind, sich aber nur ein halbes Jahrhundert lang hielten.
Sung-Dynastie (960-1280 n. Chr.)
Das Regierungszentrum wird jetzt wieder nach dem Yang-tse-kiang verlegt. In dieser Ära entwickelt sich die in Japan als Sôju- oder Sung-Scholastik bekannte Bewegung, die wir im Texte als Neo-Konfuzianismus bezeichnet haben.
Yüan- oder Mongolen-Dynastie (1280-1368 n. Chr.)
Ein mongolischer Stamm ringt unter Kublai-Khan die chinesische Dynastie nieder und setzt sich in der Nähe von Peking fest. Die Yüan führten den Lamaismus oder tibetanischen Tantrikismus ein.
Ming-Dynastie (1368-1662 n. Chr.)
Sie verdankt ihre Gründung einer Volkserhebung gegen die mongolische Tyrannei. Das Zentrum ihrer Macht lag in Nanking am Yang-tse-kiang; sie hatte aber von ihrem dritten Kaiser ab eine zweite Hauptstadt in Peking.
Die Mandschu-Dynastie (1662 bis in die neueste Zeit)
entsprang einem tungusischen Volksstamm, der sich die Spaltung der Macht zwischen Kaiser und Heer zunutze machte, um sich in Peking festzusetzen. Nach der Niederwerfung des Aufstandes der Generale gelang es ihr, sich zu behaupten. Die Versäumnis, sich in allen Dingen mit dem Volke zu identifizieren, stellt die große Schwäche dieses Hauses dar. Die Aufstände gegen seine Macht haben stets am Yang-tse-kiang ihren Ursprung genommen.
lückenlos erfaßt werden, denn es beherbergt eine Fülle von Beweisstücken. Die Kaiserliche Sammlung, die Shintô-Tempel und die erschlossenen Dolmen entschleiern uns die künstlerische Feinheit der Arbeiten aus der Han-Zeit. Die Tempel von Nara sind reich an Denkmälern der T'ang-Kultur und der indischen Kunst, die damals in ihrer höchsten Blüte die Schöpfungen jener klassischen Periode stark beeinflußte. All das sind natürliche Erbstücke einer bedeutsamen Zeit, die nur ein Volk unversehrt zu erhalten vermochte, das sich wie die Japaner auch die Musik, die Sprache, die Gebräuche und die Kleidung – von den religiösen Riten und der Philosophie ganz zu schweigen – zu bewahren gewußt hat.

Die Schatzkammern der Daimyôs sind voll von Kunstwerken und Handschriften aus der Sung- und Mongolen-Dynastie. Da in China selbst die erstgenannten während der mongolischen Eroberung und die letztgenannten unter der reaktionären Ming-Herrschaft verloren gegangen sind, sehen sich heutzutage viele chinesische Gelehrte genötigt, in Japan die Hauptquellen ihrer eigenen, uralten Wissenschaft zu suchen.

So ist Japan recht eigentlich ein Museum der asiatischen Kultur. Aber es ist mehr als nur Museum. Der eigenartige Geist der Rasse hält alle Phasen der philosophischen Ideale der Vergangenheit gegenwärtig. Ein lebendiger Advaitismus heißt das Neue willkommen, ohne das Alte aufzugeben. Das Shintô übt noch die präbuddhistischen Riten des Ahnenkultus, und die Buddhisten wieder lassen von keiner der verschiedenen Schulen religiöser Entwicklung, die in natürlicher Folge den Boden befruchtet haben.

Die Yamato-Poesie Yamato-Poesie. – Das Wort »Yamato« wird hier als Synonym für Ama, die ursprünglichen Einwohner Japans, gebraucht. Es ist gleichzeitig der Name einer japanischen Provinz. und die Bugaku-Musik Bugaku-Musik. – Bedeutet Tanzmusik, von bu = tanzen und gaku = Musik oder Spiel. Die Bugaku-Musik entwickelte sich in Japan während der Nara-Heian-Periode unter dem Einfluß der chinesischen Kultur der Sechs Dynastien. Sie ist aus einer Verbindung der elementaren indischen Musik mit der alten Han-Musik entstanden und wird von einer erblichen Musikerkaste, den sogenannten Reiju, ausgeübt, die an dem kaiserlichen Hof und an die großen Klöster und Shintô-Tempel, wie Kusaga, Kamo und Tennogi, gebunden sind. Man bekommt sie bei feierlichen Anlässen, bei Festlichkeiten und zeremoniellen Gelegenheiten zu hören., die das T'ang-Ideal unter dem Regiment der Fujiwara-Aristokratie widerspiegeln, sind dem Japaner von heute nicht minder Quelle der Begeisterung und Freude als der düstere Zennismus und die dramatischen Nô-Tänze, die der Sung-Eingebung entstammen. Mit der gleichen Zähigkeit, mit der sich Japan zur Stellung einer modernen Großmacht erhebt, hält es seiner asiatischen Seele die Treue.

So wird die Geschichte der japanischen Kunst zur Geschichte der religiösen und philosophischen Ideale Asiens. Sie ist der Strand, auf dem jede Welle östlichen Denkens ihre Spur hinterlassen hat, sobald sie überhaupt die Rasse bewußt traf. Und dennoch halte ich furchtsam schon an der Schwelle des Versuches inne, eine klare Zusammenstellung dieser Kunstideale zu geben. Denn wie das Diamantennetz Indras spiegelt die Kunst in jedem Glied die ganze Kette. Zu keiner Zeit gibt es eine endgültige, feste Form. Kunst ist ein beständiges Werden, das dem Seziermesser des Chronisten trotzt. Man kann kein Einzelstadium behandeln, ohne unendlichen Ursachen und Wirkungen durch die gesamte Vergangenheit und Gegenwart nachgehen zu müssen. Unsere Kunst ist wie jede andere auch Ausdruck des Höchsten und Edelsten in der nationalen Kultur. Um sie verstehen zu können, muß man all die verschiedenen Phasen konfuzianischer Philosophie an sich vorüberziehen lassen. Man muß die verschiedenen Ideale, die der Buddhismus mit der Zeit entwickelt hat, die gewaltigen, politischen Zyklen, die nacheinander das Banner der Nationalität entfaltet haben, überschauen. Man sehe, wie Licht der Poesie und Schatten heroischer Gestalten im Volksempfinden reflektieren, und höre das Echo, wie es das Wehgeschrei einer Masse, wie es die ausgelassene Freude eines Volkes wachruft.

Eine Geschichte japanischer Kunstideale ist also nahezu eine Unmöglichkeit, solange die westliche Welt nicht mehr von der vielseitigen Umgebung und den mannigfachen sozialen Beziehungen weiß, in die unsere Kunst gleich einem Edelsteine gefaßt ist. Definieren hieße begrenzen. Die Schönheit einer Wolke oder einer Blume liegt in dem ungezwungenen Entbreiten ihres Selbst. Besser als ein Abriß unumgänglicher Halbwahrheiten vermag die stumme Beredsamkeit meisterlicher Werke die Geschichte ihrer Epoche zu schildern. Meine schwachen Versuche wollen nicht Geschichte, sondern nur Wegweiser sein.


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