Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Nara-Periode

(700-800 n. Chr.)

Ein neues Zeitalter war im Werden. Der volle Strom asiatischer Philosophie hatte sich in Bewegung gesetzt, vorbei an dem entlegenen Traumbild eines abstrakten Weltgefühles, wie es Indien erzeugt und der Buddhismus lebensfähig gemacht hatte, um im Kosmos selbst zu münden. Die grobe Versinnbildlichung dieses Triebes sollte einer späteren Epoche vorbehalten bleiben, da der Hang zu einem kleinlichen und verknöcherten Symbolismus an die Stelle der unmittelbaren Erkenntnis des Schönen trat. Im Augenblick jedoch strebte der Geist danach, sich mit der Materie zu vereinigen, und der Jubel über diese erste Umarmung klang in den Liedern der Kâlidâsa, Ritaihaku, Li T'ai-peh, und Hitomaro von Ujjain bis nach Ch'ang-ngan und Nara weiter.

Drei bedeutende Persönlichkeiten standen an der Spitze dieses Zeitalters des Liberalismus und der Größe. Das sechste Jahrhundert sah Vikramâditya in Indien die Hûna niederringen und im Norden jenes Nationalitätsbewußtsein wachrufen, das seit den Tagen Açokas geschlummert hatte. Ein Jahrhundert später gelang es dem ersten T'ang-Kaiser Li Shimin (T'ai-tsung), China nach dreihundertjähriger Zersplitterung unter den Sechs Dynastien zu vereinigen und ein Reich zu gründen, das an Umfang dem Dschingis Khans nahekam. Und sein Zeitgenosse, der Kaiser Tenchi-tennô, zertrümmerte die erbliche Macht des Adels und stellte ganz Japan unter den Schatten des Kaiserthrones.

Auch in Indien flaute der Streit um das Abstrakt-Unveränderliche ab, der mit den Upanishaden eingesetzt und im zweiten Jahrhundert in Nâgârjuna seinen Gipfelpunkt erreicht hatte. Es gelingt uns, einen flüchtigen Blick auf den breiten Strom der Wissenschaft zu werfen, der in jenem Lande niemals ganz ins Stocken gerät. Indien gebührt der Ruhm, die Ergebnisse des intellektuellen Fortschrittes der Welt zusammengetragen und verbreitet zu haben, von der präbuddhistischen Zeit an gerechnet, in der es die Sânkhya-Philosophie und eine eigene Atomtheorie erzeugte, bis auf den heutigen Tag. Im fünften Jahrhundert erreichen Mathematik und Astronomie in Aryabhatta eine hohe Blüte; im siebenten Jahrhundert bedient sich Brahmagupta seiner hochentwickelten Algebra bei astronomischen Beobachtungen; das zwölfte Jahrhundert strahlt vom Glanze Bhâskarâchâryas und seiner berühmten Tochter, und das neunzehnte und zwanzigste endlich weisen Namen auf wie den Mathematiker Ram Chandra und Jagadis Chunder Bose, den Physiker Siehe sein Buch »Response in the Living and Non-Living«, Longmans 1902..

In der Zeit, die wir betrachten, und die mit Asanga und Vasubandhu anhebt, wirft sich der Buddhismus mit aller Kraft, deren er fähig ist, auf die Erforschung der Sinne und der Welt der Erscheinungen. Eine der ersten Früchte hiervon ist eine ausführliche psychologische Abhandlung über die Entwickelung des endlichen Ichs in den zweiundfünfzig Stadien seines Wachstums und seine schließliche Auflösung in die Unendlichkeit. Die Welt in ihrer Gesamtheit offenbart sich in jedem einzelnen Atom; alle Arten haben daher gleiche Bedeutung; keine Wahrheit steht außerhalb der Einheit des Ganzen: so lautet der Glaube, der dem Geiste Indiens die Freiheit der Wissenschaft bringt, und der auch heute noch mächtig genug ist, es von der harten Schale des Spezialismus zu befreien, wodurch es einem seiner Söhne gelungen ist, mit Hilfe streng wissenschaftlicher Beweise die vermeintliche Kluft zwischen der organischen und der anorganischen Welt zu überbrücken. Ein solcher Glaube mußte in seiner ursprünglichen Frische und Begeisterung den natürlichen Keim zu jenem großen Zeitalter der Wissenschaft legen, das Astronomen wie Aryabhatta, der die Drehung der Erde um ihre Achse entdeckte, und seinen nicht minder berühmten Nachfolger Varâmihira hervorbrachte, – das die indische Heilkunst wohl unter Suçruta zur höchsten Blüte führte, und das zu guter Letzt noch der arabischen Wissenschaft die Kenntnisse übermittelte, die in späteren Zeiten Europa befruchten sollten.

Es war auch ein Zeitalter der Poesie, durch Namen wie Kâlidâsa, Bânabhatta und des Jainas Ravikîrti ausgezeichnet, die eine Fülle von Bildern und Anspielungen schufen, welche später den Hinduismus mit purânischer Volksdichtung bevölkerten.

Die buddhistische Kunst nimmt jetzt jene äußere Ruhe an, die immer Ergebnis der Verquickung von Geist und Materie ist, eine Ruhe, in der keine dieser beiden Kräfte die andere zu verdrängen sucht, und die somit dem klassischen Ideal der Griechen verwandt ist, deren Pantheismus zu einer ähnlichen Ausdrucksform führte. Vornehmlich ist die Plastik diejenige Kunstgattung, die sich für diese Auffassung am besten eignet, und die Stein-Buddhas vom Tin-Thal in Ellora sind, trotz des Verlustes ihres ursprünglichen Gipsüberzuges, wunderschön: von einer eigenen gemessenen Erhabenheit und Harmonie der Proportionen. In ihnen müssen wir auch die Vorbilder und Anregung zu den Plastiken der T'ang- und Nara-Perioden suchen.

Das China der T'ang-Dynastie (618-907) hatte durch das frische tatarische Blut der vorangehenden Sechs Dynastien eine große Bereicherung erfahren und erwachte jetzt zu neuem Leben und neuer Blüte. Der Hoangho fließt mit dem Yang-tse zusammen. Die Verbindung mit Indien ward dadurch erleichtert, daß sich das chinesische Reich jetzt bis zum Pamir ausdehnt, und die Zahl der Pilger nach dem Heimatlande Buddhas wuchs, ebenso wie der Zustrom der Inder nach China, von Tag zu Tag. Hüan-tsang und I-tsing sind, wenn auch durch ihre Reiseberichte bekannt, nur zwei vereinzelte Beispiele des wechselnden Verkehrs der beiden Länder. Die neu erschlossene Straße über Tibet, das von T'ai-tsung erobert worden war, stellt neben den altbekannten Straßen über den T'ien-shan und das Meer den vierten Verbindungsweg dar. Zu einer Zeit gab es allein in Loh-yang über dreitausend indische Mönche und zehntausend indische Familien, die die Religion und die Kunst ihres Volkes auf chinesischen Boden verpflanzten. Welchen starken Einfluß sie ausübten, geht daraus hervor, daß sie den chinesischen Ideogrammen phonetische Werte verliehen, eine Tatsache, die im achten Jahrhundert die Erschaffung des heutigen japanischen Alphabetes zur Folge hatte.

Die Erinnerung an die wunderbare, von dieser vorübergehenden Verschmelzung ausgelöste Begeisterung hat sich in Japan bis auf den heutigen Tag in der originellen Sage von den drei Reisenden erhalten, die in Loh-yang zusammentrafen. Der erste war aus Indien, der zweite aus Japan, der dritte aus dem Reiche des Himmels selbst. »Wir kommen hier zusammen, als wollten wir einen Fächer bilden,« sagte der letztgenannte, »bei dem China das Papier darstellt, du aus Indien die strahlenförmigen Stäbchen und unser japanischer Gast hier die kleine, aber so notwendige Achse, um die alles sich dreht.«

Das Zeitalter war tolerant, wie überall, wo indischer Geist herrscht: Konfuzianer, Taoisten und Buddhisten genossen gleiches Ansehen in China, wo auch die Nestorianischen Väter ihre Lehre verbreiten durften und es selbst den Anhängern Zoroasters gestattet war, in den größeren Städten ihren Feuerkultus zu errichten. Die Folge davon war, daß Spuren byzantinischen und persischen Einflusses in der dekorativen Kunst Chinas haften geblieben sind. Der nämliche Geist trieb Yaçovardhana und die Çilâditya von Kanauj dazu, Brahmanen, Jainas und Buddhisten gleichermaßen zu verehren. So flossen die drei Gedankenströme chinesischer Philosophie friedlich nebeneinanderher, und Tu Tse-mei, Li T'ai-peh und Wang Mo-kih, die als die einzelnen Vertreter des poetischen Ideales der drei miteinander wetteifernden Richtungen gelten können, bringen nichtsdestoweniger die großartige Harmonie des T'ang-Zeitalters zum Ausdruck, dessen Anpassungsideal bereits in Wen-chung-tse, dem Lehrer Wei Cheng's, des ersten Ratgebers T'ai-tsungs, einen so frühen Verkünder gefunden hatte. Diese Harmonie spiegelt den Neokonfuzianismus der folgenden Sung-Dynastie in China (960-1280) voraus, wo Konfuzianer, Taoisten und Buddhisten zusammen eine große nationale Einheit bildeten.

Der damals alles beherrschende Zeitimpuls war der Buddhismus der zweiten indischen (monastischen) Entwicklungsstufe. Hüan-tsang, ein Schüler Mitrasenas, gründete nach seiner Rückkehr aus Indien mit Hilfe seiner großangelegten Übersetzungen und Kommentare eine neue, als Hossô (Fah-siang)-Sekte bekannte Schule. Ihre grundlegende Idee scheint bereits vor seiner Zeit lebendig gewesen zu sein, und Hien Shou half zu Beginn des achten Jahrhunderts, von Gissananda aus Mittelindien und Bodhiruchi aus Südindien unterstützt, dieser Bewegung weiter, indem er die Kegon (Hua-yen)-Sekte schuf, die zu völliger Vereinigung von Geist und Materie strebt. Die geistigen Ziele dieses Zeitalters sind mit denen der modernen Wissenschaft eng verwandt: die Kunst hat die Unendlichkeit des Alls, mit Buddha als Ruhe- und Mittelpunkt, erschaut und strebt nach seiner Versinnbildlichung. Ihre Werke nehmen daher plötzlich ungeheure Dimensionen an: die Buddha-Statuen entwickeln sich zu den Riesen-Buddhas von Roshana (Vairochana). Der Roshana ist der Buddha des Gesetzes, im Gegensatz zum Buddha der Gnade, der durch Amitâbha dargestellt ist, und dem Buddha der Anpassung, Çâkyamuni selbst.

Als das beste Beispiel dafür möchten wir den bereits erwähnten riesigen Roshana von Lung-men-shan nennen. Diese Statue, die im Typus den Buddhas von Ellora gleicht, ist über sechzig Fuß hoch. In stolzer Erhabenheit thront sie über dem Felsenabgrund der wunderbaren Hügellehne von Lung-men-shan, die schäumenden Stromschnellen zu ihren Füßen.

Ein zweiter steinerner Roshana-Buddha ist am Yang-tse-kiang, unterhalb Tobaros, bei Kakoken zu sehen. Er ist aus einem einzigen Felsstück gehauen. Seine Maße lassen sich aus der Tatsache erkennen, daß an Stelle einer der Zacken, die seinen Kopfputz bilden, eine hohe Tanne gewachsen ist, ohne daß dies irgendwie auffällt. Er sitzt, wie üblich, auf einem Lotosthron; und da er aus rotem Sandstein gehauen ist, sind die Gesichtszüge zum größten Teile verwittert. Allein auch in seiner ursprünglichen Gestalt war er in seinen Einzelheiten schwer zu erkennen, da der reißende Yang-tse-kiang zu seinen Füßen rauscht.

In Japan befestigte der Kaiser Tenchi, der das Haus der Soga niederwarf, die persönliche Machtvollkommenheit des Herrschers. Er führte 645 das neue Regime ein, das sich so lange hielt, bis die Fujivaras, die Nachkommen seines Premierministers Kamatari, abermals den Thron auf die Macht des Adels stellten. Die Provinzialverwaltung wurde durch von ihm ernannte Gouverneure, anstatt wie in früheren Zeiten durch erbberechtigte Fürsten, ausgeübt. Er stellte einen Gesetzeskodex nach dem Vorbilde des am T'ang-Hofe herrschenden zusammen. Die Rechtsprechung ward in die Hände eines eigens dazu ernannten Richterstandes gelegt und das Land mit frischer Energie erschlossen. Er ließ Wege bauen und legte zur Gesundung der Verkehrsverhältnisse an den Heerstraßen Poststationen zum Pferdewechsel an. Es gelang ihm überdies, wenn auch vielleicht auf Kosten seines Ansehens nach außen hin, eine allgemeine Reform der inneren Verwaltung durchzusetzen. Japans Wohlstand wuchs. Im Jahre 710 war es nötig geworden, auf der weiten Ebene von Yamato eine neue Hauptstadt zu errichten, die heute unter dem Namen Nara bekannt ist. Diese Stadt wurde der Mittelpunkt des Buddhismus, und die Macht seiner Hierarchie sollte so groß werden, daß sie später sogar Thron und Adel bedrohte.

Ein japanischer Mönch, Dôshô, war in Ch'ang-ngyan ein persönlicher Schüler Hüan-tsang's geworden und kehrte 677 nach Japan zurück. Ihm und auch Gyôgi ist es zu verdanken, daß um die Mitte des achten Jahrhunderts die Hossô- und die Kegon-Sekte in Japan Einlaß fanden, womit dem japanischen Volke die Möglichkeit gegeben wurde, die Ideen der nordbuddhistischen Schule in sich aufzunehmen und sich an der allgemeinen Entwickelung dieser neuen Form des Buddhismus zu beteiligen. Aus alledem geht klar hervor, daß die Kunst der Nara-Periode die Kunst der frühen T'ang-Dynastie widerspiegeln muß, und daß sogar Verbindungsfäden unmittelbar von ihr zu ihrem indischen Vorbilde führen. So wird zum Beispiel berichtet, daß um diese Zeit viele indische Künstler nach Japan übersiedelten. Gumporik, ein Anhänger des großen chinesischen Mönches Kien-chen, der in dieser Epoche die Vinaya-Sekte gründete, war ein vermutlich aus Ceylon stammender Bildhauer. Die Ähnlichkeit seiner Werke mit denen Anarâjapuras ist ein Beweis für die damalige Vorherrschaft des unverfälschten Gupta-Types über ganz Indien. Wir hoffen, daß uns nicht allein das Nationalgefühl dazu treibt, in der japanischen Wiedergabe gleicher Gegenstände sowohl die abstrakte Schönheit des indischen Vorbildes, gepaart mit der Kraft der T'ang, wiederzufinden, daneben aber auch eine Zartheit und Vollendung zu erblicken, die uns die Nara-Kunst als den höchsten formalen Ausdruck asiatischen Geistes erkennen läßt.

Die unter solchen Auspizien einsetzende Nara-Periode zeichnet sich durch den Reichtum ihrer Plastik aus, die mit der bronzenen Dreifaltigkeit Amidas im Yakushi-ji beginnt und mit der dreißig Jahre später entstandenen und zweifellos den Höhepunkt bildenden Yakushi-Trinität aus dem gleichen Tempel ihre Fortsetzung findet. In diesem Zusammenhange seien auch die Kwannon von Toni-dô und der Çâkya im Kaniman-ji genannt.

Das Zeitalter der gewaltigen Bronzen gipfelt jedoch in der Kolossalstatue Roshana-Buddhas zu Nara, wohl des größten Bronzegusses der Welt. Leider können wir heute einen nur sehr unvollkommenen Eindruck von ihm gewinnen, da er zweimal durch Feuer gelitten hat: einmal in der Taira-Epoche, 1180, wo der Kopf und die eine Hand zerstört wurden, das andere Mal während des Bürgerkrieges im sechzehnten Jahrhundert. Zwar haben die von dem sehr gewandten Bildhauer Keikwai zur Kamakura-Zeit vorgenommenen älteren Ergänzungen, den vorhandenen Zeichnungen nach zu urteilen, die ursprünglichen Maße richtig eingehalten; Kopf und Hand von heute jedoch stammen aus der Tokugawa-Zeit, vor 200 Jahren, wo die Plastik ihren größten Tiefstand erreicht hatte und dem betreffenden Künstler jede Vorstellung von Typ und Größenverhältnissen des Originales verloren gegangen war. Wer indes bei der Betrachtung der Statue diese Tatsachen im Auge behält, kann nicht umhin, die große Schönheit und Kühnheit der Auffassung zu bewundern, trotz der engen Perspektive, die der gegenwärtige Standort dem frommen Beschauer gewährt. Der ursprüngliche Tempelbau war 45 Fuß höher und 80 Fuß länger als der heutige.

Die Idee zu dieser Statue entspringt den gemeinsamen Beratungen des Kaisers Shômu und seiner Gemahlin, der großen Kaiserin Kômyô, sowie des berühmten Mönches Gyôgi. Dieser bereiste ganz Japan mit einer Proklamation des Herrschers, die den Plan des gewaltigen Roshana-Buddhas von Nara verkündigte und folgenden Zusatz enthielt: »Es ist unser Wunsch, daß es jedem Bauern vergönnt sein möge, eine Handvoll Lehm und ein Bündel Gras zum Bau dieses gewaltigen Standbildes beizutragen.« Man hoffte von ihm, daß es der Mittelpunkt der buddhistischen Welt werden würde, und auch heute noch können wir auf den Blütenblättern des Lotosthrones die vier Welten Buddhas in feinster Ziselierarbeit abgebildet sehen.

Der sich öffentlich als »Sklave der Dreieinigkeit« (d. h. Buddhas, des Gesetzes und der Kirche) bezeichnende Kaiser war mit seinem ganzen Hofe bei der Aufstellung des Götterbildes anwesend. Selbst die vornehmsten Damen sollen auf den Ärmeln ihrer Brokatgewänder den Ton für das Modell herbeigetragen haben, und die Einweihungszeremonie dieses Zentralgötterbildes, das zu seiner Vergoldung allein mehr als 20 000 japanische Pfund des edlen Metalls benötigte, muß höchst eindrucksvoll gewesen sein. Der Buddha selbst war von einem Heiligenscheine gekrönt, an dem 300 goldene Statuen befestigt waren, ganz abgesehen von den köstlichen Teppichen und Behängen, deren Spuren heute noch von der vergangenen Herrlichkeit zeugen. Ein brahmanischer Mönch namens Bodhi erschien um diese Zeit in Japan und wurde von dem sterbenden Gyôgi mit der Leitung der Weihezeremonie betraut, da Gyôgi ihn, der aus dem Heiligen Lande kam, für würdiger hielt als sich selbst. Gyôgi verschied am Tage nach der Vollendung seines Lebenswerkes.

Überall entfaltete der Buddhismus eine fieberhafte Tätigkeit. Unter den miteinander an Pracht wetteifernden sieben Tempeln von Nara ragt das Saidai-ji durch den Reichtum seiner von Glöckchen tragenden, goldenen Phönixen geschmückten Architektur hervor. Das Volk hielt ihn für Zauberwerk und für würdig, einem Drachenkönig als Palast zu dienen. Auf höheren Befehl wurde in jeder Provinz ein Mönchs- und ein Nonnenkloster gebaut, deren Überreste von der äußersten Spitze Kyûshûs bis zum Norden Mutsus zu finden sind.

Nach dem Tode Shômus war die Kaiserin Kômyô, unterstützt von der Thronerbin, ihrer Tochter Kôken, dem Ausbau seines Werkes sehr förderlich. Die edle Seele dieser großen Kaiserinmutter spricht selbst aus ihren schlichtesten Gedichten. Da heißt es an einer Stelle, anläßlich der Blumenopfer Buddhas: »Pflücke ich die Blumen, so wird die Berührung meiner Hand sie beflecken; darum opfere ich die Windgeküßten, stehend in den Wiesen, den Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.« An anderer Stelle bricht sie in leidenschaftliche Begeisterung aus: »Möge der Klang der Werkzeuge, die das Bildnis Buddhas richten, zum Himmel dringen! Möge er die Erde spalten! Um der Väter willen! Um der Mütter willen! Um der ganzen Menschheit willen!« Der gleiche erhabene Geist gelangt in den Oden Hitomaros und der übrigen Manyôshû-Dichter der Nara-Periode zum Ausdruck.

Auch die mit einem männlichen Verstande begabte Kaiserin Kôken war eine eifrige Förderin der buddhistischen Kunst. Als beim Gießen der Statue des Schutzkönigs Saidaiji die Arbeit durch einen unglücklichen Zufall mißlang, soll sie zuletzt den Guß persönlich geleitet haben.

Die Kolossal-Kwannon von Sangwatsu-dô, die auf ihrem Haupte einen mit Bernstein, Perlen und kostbaren Steinen geschmückten silbernen Amida trägt, verdient gleichfalls unter den Hauptwerken dieser Zeit genannt zu werden.

Die Nara-Malerei, wie sie auf den unserer Ansicht nach aus dem Anfang des achten Jahrhunderts stammenden Wandgemälden von Hôryû-ji zur Darstellung gelangt, ist von allerhöchstem Wert und beweist, was der Kunstgenius Japans über die besten Werke von Ajantâ hinaus noch zu leisten vermag. Daneben gewährt uns eine Landschaft aus den kaiserlichen Sammlungen von Nara, die auf dem Lederfutteral eines Musikinstrumentes namens Biwa (chinesisch p'i-p'a) abgebildet ist und in Auffassung wie Ausführung von dem buddhistischen Stil völlig abweicht, einen Einblick in das zarte Gefühlsleben der laoistischen Malerschule unter der T'ang-Dynastie. Die erwähnte kaiserliche Schatzkammer (Shôsô-in) ist auch darum bemerkenswert, daß dort das persönliche Eigentum des Kaisers Shômu und seiner Gemahlin Kômyô aufbewahrt wird, das von ihrer Tochter nach dem Tode der Eltern dem Roshana-Buddha geweiht wurde und sich bis auf den heutigen Tag unversehrt erhalten hat. Sie enthält ihre Gewänder, Schuhe, Musikinstrumente, Spiegel, Schwerter, Teppiche, Wandschirme, ja das Papier und die Federn, die sie benutzten, zusammen mit den rituellen Masken, Standarten und anderen Kultgeräten, die anläßlich der Jahresfeier ihres Todestages gebraucht wurden. Sie führen uns den ganzen Alltagsprunk und Luxus dieses Lebens vor fast zwölfhundert Jahren vor Augen. Gläserne Kelche, emaillierte Cloisonné-Spiegel offenbar indischen oder persischen Ursprunges, und zahllose Beispiele des besten Kunsthandwerkes der T'ang-Zeit sind hier zu sehen und lassen die Sammlung als ein Miniatur-Pompeji und -Herculaneum ohne den verheerenden Aschenregen erscheinen. Dank den strengen Vorschriften, nach denen das Schatzhaus nur Besuchern von bestimmtem Range und ihnen nur ein einziges Mal während der Regierungszeit eines jeden Herrschers geöffnet ist, hat sich dieser Schatz fast so gut erhalten, als wäre er von gestern.


 << zurück weiter >>