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Die primitive Kunst Japans

Die Herkunft der Yamato-Rasse, die die ureingesessenen Ainos nach Yezo und den Kurilen vertrieb, um das Reich der Aufgehenden Sonne zu begründen, ist tief verhüllt in den Nebeln des Ozeans, dem dies Volk eines Tages enttauchte, und die Quelle ihres Kunsttriebes läßt sich unmöglich mehr ergründen. Ob die Yamato ein Überrest der Akkadier sind, die auf ihren Fahrten längs den Küsten und Inseln Ostasiens ihr Blut mit dem indo-tatarischer Völker vermischten; ob sie ein abgesprengter Teil der türkischen Horden sind, die ihren Weg durch die Mandschurei und Korea suchten, um sich früh schon am indisch-pazifischen Ozean niederzulassen; oder ob sie die Nachkommen arischer Wanderstämme sind, die über die Pässe von Kaschmir stießen, in den turanischen Völkern aufgingen, aus denen Tibeter, Nepalesen, Siamesen und Birmanen wurden, und die Kinder des Yang-tse-kiang mit den Kräften des indischen Symbolismus bereicherten, all das sind Fragen, die noch in dem Wolkennebel archäologischer Mutmaßung schweben.

Die Anfänge der Geschichte zeigen sie uns als eine in sich geschlossene Rasse, kriegerisch wild, aber in den Künsten des Friedens bewandert, voll von ihren Überlieferungen, nach denen sie von der Sonne abstammen, und von indischer Mythologie, voll von tiefer Liebe zur Poesie und großer Achtung vor den Frauen. Ihre als Shintô oder »Weg der Götter« bekannte Religion bestand aus den schlichten Riten des Ahnenkultus. Sie verehrten die Manen ihrer Väter, die sich zu den Scharen der Kami oder Götter auf dem mystischen Berge Takama-ga-hara in dem Hochlande von Ama versammelten, einer Art Olymp mit der Gestalt der Sonnengöttin als Mittelpunkt. Jede japanische Familie rühmt sich noch heute ihrer Abstammung von den Göttern, die dem Enkel der Sonnengöttin folgten, als er auf dem achtstrahligen Wolkenweg vom Himmel auf die Insel niederstieg. Diese Tatsache hat eine Stärkung des Volksbewußtseins im Gefolge, das sich um die Einheit des Kaiserthrones schließt. Wir sagen stets, daß wir von Ama stammen; ob wir damit aber den Himmel, die See oder das Land des Râma meinen, läßt sich nur aus den schlichten, uralten Riten von Baum, Spiegel und Schwert erraten Die schlichten Riten von Baum, Spiegel und Schwert. – Der erwähnte Baum ist der Sakaki oder Götterbaum, an dem Stücke von Brokat, Seide, Leinen, Baumwolle und Papier aufgehängt werden, die auf bestimmte Art zugeschnitten sind. Spiegel und Schwert gehören zu den kaiserlichen Insignien, die die Sonnengöttin ihrem Enkel übergab, als er auf das Inselreich niederstieg. Die Shintô-Heiligtümer enthalten nichts als einen Spiegel. Das Schwert, das der Überlieferung nach aus dem Schweife eines von Susano-o, dem Sturmgotte getöteten Drachen genommen wurde, wird in einem besonderen Tempel zu Atsuta verehrt..

Aus den Wassern der wogenden Reisfelder, aus den viel verschlungenen, stark zum Individualismus drängenden Linien des Archipels, aus dem gleichmäßigen Wechsel der mildgetönten Jahreszeiten, aus dem Silberglanze der Inselluft, aus dem satten Grün der quellenreichen Berge und der Stimme des Ozeans, die von den tannenumgrenzten Ufern widerhallt, ist die zarte Schlichtheit, die romantische Reinheit geboren, die die Seele der japanischen Kunst im Gleichgewicht erhält und sie sowohl von dem Hang zu eintöniger Breite der chinesischen wie von der überladenen Pracht der indischen Kunst befreit. Die angeborene Liebe zur Sauberkeit, die unserem Kunstgewerbe und unserer ornamentalen Kunst, wenn auch mitunter auf Kosten der Größe, ihre wundervolle Vollendung verleiht, ist auf dem Festlande wohl nirgends wiederzufinden.

Die Tempel von Ise und Izumo Die Tempel von Ise und Izumo. – Der Ise-Tempel ist das Heiligtum der Sonnengöttin. Er liegt im Bezirk von Yamada, in der Provinz Ise, in Mitteljapan. Der Izumo-Tempel ist den Nachkommen des Sturmgottes geweiht, die sämtlich Herrscher von Japan waren, ehe der Enkel der Sonnengöttin zu dem Reiche niederstieg. Er liegt in der Provinz Izumo an der Nordküste Japans. Die Tempel von Ise und Izumo sind ganz aus Holz gebaut. Jeder von ihnen hat zwei verschiedene Standorte, und an einem von ihnen werden sie alle zwanzig Jahre ihrer ursprünglichen Form getreu neu erbaut. Ihr Stil weist auf die Entwickelung in der Bauart der Bambus- oder Holzhütten hin, wie sie heute noch zahlreich an der Südostküste Asiens zu finden sind. An die Zeltform erinnert er dagegen nicht. sind Heiligtümer reinsten Ahnenkults, deren Torii und Geländer starke Anklänge an die indischen Torâna bergen. Sie werden dadurch in ihrer ursprünglichen Reinheit und Frische lebendig erhalten, daß man sie alle zwei Jahrzehnte formgetreu erneuert, und sind wunderbar in ihren schlichten Maßen.

Die Dolmen, deren Formen in bedeutsamer Beziehung zur ursprünglichen Stûpa stehen und als Urbilder des Lingam gelten können, bergen schöngeformte Stein- und Tonsärge, die mitunter künstlerisch recht wertvolle Ornamente aufweisen und Kulturgeräte wie Schmuckgegenstände enthalten, Zeugnisse hoher Fertigkeit in der Bronze- und Eisentechnik wie in der Bearbeitung verschiedenfarbiger Steine. Man nimmt an, daß die Tonfiguren, die um den Grabhügel aufgestellt sind, die menschlichen Totenopfer früherer Zeiten symbolisieren sollen. Sie beweisen nicht selten das künstlerische Können der primitiven Yamato-Rasse. Jedoch überschwemmten bereits zu dieser frühen Zeit die reiferen Kunsterzeugnisse der chinesischen Han-Dynastie Japan mit dem Reichtum einer älteren Kultur; und so wurden unsere ästhetischen Kräfte vollauf in Anspruch genommen von einem Neuen, das auf anders geartetem, höherem Niveau stand.

Was aus der japanischen Kunst geworden wäre ohne den Einfluß der Han-Zeit und des später zu uns gelangenden Buddhismus, ist schwer auszudenken. Wer möchte es wagen, über die etwaigen Mängel einer griechischen Kunst Vermutungen anzustellen, die bei all ihrem gesunden und starken Gefühl des ägyptischen, pelasgischen oder persischen Hintergrundes hätte entraten müssen? Wie arm wäre die deutsche Kunst geblieben ohne das Christentum und die Berührung mit der lateinischen Kultur der Mittelmeervölker! Wir können hier nur feststellen, daß die Eigenheiten unserer primitiven Kunst niemals untergegangen sind. Sie ist es gewesen, die die geschweiften Dächer der chinesischen Architektur durch die zarten Rundungen des Kasuga-Stiles in Nara Der Kasuga-Stil in Nara. – Der Kasuga-Stil ist eine Weiterentwicklung des Shintô-Stiles von Ise und Izumo. Er zeichnet sich durch äußerst zart gerundete Linien aus, die einerseits an die Stelle der geraden Linie der Yamato-Architektur, anderseits an die Stelle der ausschweifenden Formen des chinesischen Baustiles treten. gemildert hat, die ihre weibliche Feinheit den Schöpfungen der Fujiwara-Zeit gab und der strengen Kunst Ashikagas den keuschen Stempel der Schwertseele aufdrückte. Auch der Fluß, der unter welken Laubmassen fortströmt, bricht immer wieder leuchtend durch und nährt das Wachstum, das ihn überwuchert.

Abgesehen von seiner ursprünglichen, unabänderlichen Bestimmung, scheint die geographische Lage Japan weit eher dazu bestimmt zu haben, die intellektuelle Bedeutung einer chinesischen Provinz oder einer indischen Kolonie anzunehmen. Allein der Fels unseres Rassenstolzes und unserer organischen Einheit hat die Jahrtausende unerschüttert überdauert trotz der gewaltigen Wellenstürze, die sich, von den beiden großen Polen asiatischer Zivilisation herkommend, an ihm brachen. Der nationale Genius hat sich niemals überwältigen lassen. Niemals hat ihm der Nachahmungstrieb die freie Schöpferkraft genommen. Stets war genügend Kraft vorhanden, um die empfangenen Einflüsse, mochten sie noch so wuchtig sein, aufzunehmen und zu verarbeiten. Es gereicht dem asiatischen Festlande zum Ruhme, daß es in Japan bei jeder Berührung neues Leben und neue Begeisterung weckte. Es gereicht dem Volke Amas zur höchsten heiligen Ehre, daß es sich für unüberwindlich hält, nicht allein in einem ausgesprochenen politischen Sinne, sondern tiefer und immer tiefer auch als der schaffende Geist der Freiheit in Leben, Denken und Kunst.

Dieses Bewußtsein hat die streitbare Kaiserin Jingô dazu getrieben, über See zu eilen, um dem kontinentalen Kaiserreiche zum Trotz die tributpflichtigen koreanischen Königreiche in Schutz zu nehmen. Dieses Bewußtsein jagte dem allmächtigen Yang-ti aus der Sui-Dynastie Schrecken ein, als es ihm den Titel »Kaiser des Reiches der sinkenden Sonne« beilegte. Das gleiche Bewußtsein bot den selbstüberheblichen Drohungen Kublai-Khans Die selbstüberheblichen Drohungen Kublai-Khans. – Nach seiner Eroberung Chinas schickte Kublai-Khan Gesandte nach Japan und verlangte die Unterwerfung. Der energischen Ablehnung folgte ein Überfall auf einige der entlegensten Inseln. Da geschah es, daß des Nachts eine mächtige Wolke aus dem Tempel von Ise aufstieg, während die japanischen Streitkräfte wachend am Ufer lagen. In dem Sturme, der aus der Wolke hervorbrach, ging die Flotte des Eindringlings mit ihren zehntausend Schiffen und einer Million Bemannung mit Mann und Maus unter. Nur drei Mann kamen mit dem Leben davon. Es war der göttliche Wind von Ise, der dies vollbrachte. Bis auf den heutigen Tag nimmt jede einzelne Sekte in Japan den Ruhm für sich in Anspruch, den Sturm durch ihre Gebete hervorgerufen zu haben. Dies Ereignis stellt den einzigen Fall dar, in dem die Beherrscher Chinas eine aggressive Politik gegen Japan führten. die Stirn, der, damals auf der Höhe des Sieges, seinen Eroberungszug über den Ural bis Moskau fortsetzen wollte. Möge Japan nie vergessen, daß der gleiche heroische Geist es heute wieder neuen Problemen gegenüberstellt, zu deren Bewältigung es immer steilere Höhen der Selbstachtung erklimmen muß.


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