Max Nordau
Paradoxe
Max Nordau

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Erfolg

Was ist der letzte Zweck der Schule, allen Unterrichts wie aller Erziehung? Offenbar, das Leben durch Vertiefung, Bereicherung und Verschönerung desselben angenehmer zu machen, anders gesagt, das Wohlbefinden des Einzelnen und der Gesamtheit zu erhöhen. Darüber kann es nur eine Meinung geben. Die Pädagogen, welche die Aufgabe der Schule scheinbar anders umschreiben, gehen einfach nicht bis zu deren äußerstem Ziele, sondern bleiben unterwegs stehen. So wenn man sagt, die Schule habe den Charakter zu formen. Was heißt das, wenn man dieser Phrase auf den Grund geht? Man formt doch den Charakter nicht um seiner eigenen Schönheit willen oder um das Auge einiger Kenner zu erfreuen, wie man etwa eine Bronzebüste gießt und ziseliert, sondern im Hinblick auf eine Nutzwirkung! Ein tüchtiger Charakter, das ist Festigkeit in den Vorsätzen, Ausdauer in den Unternehmungen, Unerschütterlichkeit in den Überzeugungen, Treue in den Neigungen und Furchtlosigkeit in den nötigen Feindschaften, wird als eine gute Wehr und Waffe im Kampfe ums Dasein betrachtet; man setzt voraus, daß er den Sieg über Mitstrebende und Gegner erleichtert oder, wenn es einmal den Göttern gefällt, eine schlechte Sache triumphieren zu lassen, und die gute sich die Niederlage mit dem Gedanken an den Beifall Catos versüßen muß, dem Besiegten doch die Genugthuung gewährt, daß er mit sich zufrieden und gerade auf die Eigenschaften, die seine Niederlage herbeigeführt haben, stolz ist. Oder wenn es heißt, die Schule sei berufen, den Geist zu bilden, den Willen zu stärken, den Sinn für das Gute und Schöne zu entwickeln. Wozu das alles? Man bildet den Geist, damit er die Erscheinungen der Natur und Gesellschaft begreife, damit er die Freude habe, das Wesen und den Grund vieler Dinge wenigstens bis zu einem gewissen Punkte zu verstehen, damit er Gefahren vermeiden und Vorteile benützen lerne; man stärkt den Willen, damit er Schädlichkeiten aller Art vom Individuum fern halte; man entwickelt den Sinn für das Schöne und Gute, damit er dem Bewußtsein erfreuliche Eindrücke zuführe. Worauf läuft all das hinaus? Immer nur darauf, dem Individuum das Dasein angenehm zu machen.

Erfüllt nun die Schule mit ihren gegenwärtigen Einrichtungen und Arbeitsmethoden diese Aufgabe? Ich leugne es. Fast alle Menschen streben einem einzigen Ziele zu, dem äußern Erfolge in der Welt. Ohne Erfolg kann das Leben für sie keine Annehmlichkeit haben. Wenn man sich anheischig macht, ihnen das Dasein angenehmer zu gestalten, so verstehen sie darunter nichts anderes, als daß man ihnen den Erfolg erleichtern und sichern will. Verwirklicht sich diese Vorstellung nicht, so fühlen sie sich verkauft und betrogen. Das ist der Standpunkt von 999 Menschen unter tausend. Und vielleicht ist in Wirklichkeit die Zahl derjenigen, die vom Leben etwas anderes verlangen als äußere Erfolge, noch kleiner, als ich hier annehme. Die Schule bereitet aber für alles andere eher vor als für den Erfolg, diese einzige Quelle des Glücks und der Zufriedenheit einer überwältigend großen Mehrheit. Die Ideale der Schule sind von denen des Lebens vollkommen verschieden, ja ihnen entgegengesetzt. Der ganze Lehr- und Erziehungsplan scheint mit der Absicht ausgesonnen, Menschen zu bilden, die im Getriebe der Wirklichkeit alsbald zur Welt- und Menschenverachtung gelangen, die sich voll Ekel aus dem Ringen um die staatlichen und gesellschaftlichen Preise in eine friedliche und keusche Selbstbetrachtung und Anschauung von hehren Traumbildern flüchten, die mit einem Worte den anderen, den Gemeinen, den Platz beim Gastmahl des Lebens ohne Kampf überlassen sollen. Das ist der Kern der Sache. Es ist, als wäre die Schule von schlauen Leuten erfunden, die sich und ihresgleichen die besten Bissen sichern und guten, frischen Mägen, deren künftiger Hunger ihnen gefährlich werden könnte, im voraus gründlich den Appetit verderben wollen; es ist, als sähen die Lehrer in den Schülern heranwachsende Nebenbuhler und suchten sie von vornherein unschädlich zu machen, indem sie ihnen die Nägel beschneiden, die Zähne befeilen und vor die scharf lugenden Augen blaue Brillen binden. Die Schule bereitet für den Kampf ums Dasein genau in derselben Weise vor, wie etwa ein Exerzier-Reglement den Soldaten für den Krieg vorbereiten würde, wenn es ihn lehrte, daß seine Waffen dazu da seien, um zu Hause gelassen zu werden; daß er sich hüten müsse, auf das Herschießen des Feindes mit Hinschießen zu antworten; daß er günstige Stellungen, die er dennoch innehaben sollte, dem Gegner zu überlassen habe und daß es überhaupt weit rühmlicher sei, geschlagen zu werden, als zu siegen. Manche Leute werden ein solches Reglement unsinnig finden; der Feind freilich wird damit höchlich zufrieden sein.

Der Erfolg, von dem ich hier spreche, kann ebenfalls mit wenigen Worten umschrieben werden. Er bedeutet, daß man bei der Mehrheit Ansehen erlangt. Dieses Ziel kann freilich auf vielen Wegen erreicht werden. Man gewinnt Ansehen bei der Mehrheit, wenn man viel Geld hat oder doch so thut; wenn man seinen Namen gleich einem Edelstein in einer kostbaren Fassung von Titeln präsentieren kann; wenn man seine Brust mit Bändern und Kreuzen koloristisch beleben darf; wenn man Macht und Einfluß besitzt; wenn man der Stadt oder dem Lande die Überzeugung beizubringen vermag, man sei ein großer, oder weiser, oder gelehrter, oder tugendhafter Mann. Die Rückwirkung des Ansehens auf den Angesehenen ist ebenfalls eine mannigfaltige. Sie ist stofflich oder geistig oder beides zugleich, meist mit Vorwiegen des einen oder andern Elements. Die Menge hat die gute Gewohnheit, ihre Schätzung in Form von Barleistungen auszudrücken. Der angesehene Arzt hat viele Patienten und empfängt majestätische Honorare. Der angesehene Schriftsteller setzt seine Bücher in zahlreichen Auflagen ab. Wenn man Erfolg hat, wird man also meist viel Geld verdienen und sich all die Annehmlichkeiten verschaffen können, die in diesem Jammerthale um Mammon zu haben sind. Der eine denkt dabei an Fasanen und Trüffeln, der andere an Sekt und Johannisberger, der dritte an Balletttänzerinnen, irgend ein Sonderling vielleicht sogar an die Unterstützung verschämter Armer. Doch den verschlungenen Pfaden individueller Neigungen nachzugehen haben wir nicht nötig. Die unstofflichen Vorteile des Erfolges sind anderer Art, aber wiewohl man sich nach dem volkstümlichen Ausdrucke für sie nichts kaufen kann, so haben sie für die meisten Menschen dennoch einen hohen Wert. Seltsamer Widerspruch der Menschennatur! Der Gewürzkrämer schätzt diese Vorteile bei anderen so wenig, daß er für sie kein Dütchen gemahlenen Pfeffers, selbst nicht wenn er mit Olivenkernen verfälscht ist, auf Borg giebt; aber er bringt für sie die größten Opfer an Zeit, Geduld, heißem Streben, ja sogar an Geld, an gesegnetem, teurem Gelde. Sie bestehen darin, daß man auf der Straße gegrüßt wird; daß die Zeitungen einen ab und zu nennen, in den höheren Graden sogar in Begleitung schmeichelhafter Beiwörter. Sie nehmen in den verschiedenen Gesellschaftsklassen und Berufen verschiedene Formen an. Eine Ansprache beim Hofball; Ausstellung der Photographie in den Schaufenstern; Pflichtmäßiger Besuch von ausländischen Vergnügungsreisenden; Anpumpung von Seiten vertrauensvoller Unbekannter; ein Ehrenbürger-Diplom; die Hochachtung der Kellner im Stammlokal; Aufforderungen, zu Denkmälern berühmter Seifensieder beizusteuern; schmeichelhafte Einladungen zu Mittag- und Abendessen in seinen Häusern; das sind einige Beispiele der nicht materiellen, aber innig ersehnten Genugthuungen, welche das Kapital Erfolg als Zinsen abwirft. Daß ich die Einladungen zu den unstofflichen Vorteilen des Ansehens zähle, geschieht nicht irrtümlich, sondern mit gutem Bedacht. Denn das Wesentliche an ihnen sind nicht die angebotenen Speisen, sondern die erwiesene Ehre. Die Speisen sind bloß sinnbildlich gemeint und wollen überdies mit Weihnachtsbescherungen zu ihrem weitherzig abgeschätzten vollen Werte bezahlt sein; die Ehre dagegen ist Reingewinn und wird nur von niedriggesinnten Naturen weniger gewürdigt als das Menü.

Sehen wir nun, ob die Schule die Jugend für das Ringen um den Erfolg ausrüstet und ihr auch nur die Anfangsgründe der Kunst beibringt, sich die aufgezählten materiellen und ideellen Befriedigungen zu verschaffen. Gegen die Volksschule ist nicht viel einzuwenden, das sei gleich zugegeben. In dem Alter, in welchem die Kinder sie besuchen, kann man mit diesen noch nichts Ernstes anfangen, denn die Fertigkeiten, mit denen man in der Welt seinen Weg macht, setzen eine gewisse Verstandesentwickelung und einige Reife voraus. Die Volksschule bringt den Kindern das Lesen und Schreiben und Rechnen bei und das kann nur nützen, namentlich das letztere. Rechnen zu können ist ein großer Vorteil beim Geben, wenn auch ein kleinerer beim Nehmen, und auch Schreiben und Lesen sind meist förderlich, wenn man sich weise einzuschränken weiß und diese Künste nicht mißbraucht. Die Universität kann man sich ebenfalls teilweise gefallen lassen, denn die Verbindungen und Vereine bieten Gelegenheit, einige wichtige Talente zu entwickeln oder zu erwerben, zum Beispiel das, die Aufmerksamkeit Gleich- und Höhergestellter durch lautes Reden und Vielgeschäftigkeit auf sich zu ziehen, oder herrschende Strömungen zu erraten und sich mit ihnen treiben zu lassen, oder einflußreichen Leuten den Hof zu machen; aufmerksame Beobachtung der Assistenten-, Dozenten- und Professoren-Verhältnisse wird den Begabten ebenfalls zu gewissen Erkenntnissen führen, die von großem Werte fürs Leben werden können. Leider legen jedoch die Hochschulen nicht auf die Burschenschaften das Hauptgewicht und beschränken sich nicht darauf, durch das Beispiel der akademischen Laufbahnen erziehlich zu wirken; sie belästigen die Jugend auch mit Vorlesungen und Übungen, mit Hörsälen und Laboratorien und das scheint mir von sehr fraglichem Nutzen für das Fortkommen der Studenten. Das Gymnasium endlich ist keinen Schuß Pulver wert. Es fördert den ihm anvertrauten künftigen Bürger in keiner Weise. Im Gegenteile, es macht ihn eher noch ungeschickter für das Ringen um den Erfolg. Es bedeutet eine betrübende Verschwendung wertvoller Lebensjahre. Ich frage, was es dem Jungen nützen soll, mit Horaz und Homer genährt zu werden. Wird ihm das später das Verständnis der Butzenscheiben- oder Mistkarren-Poesie erleichtern? Oder welchen Vorteil wird es ihm gewähren, daß er sich für die Iphigenie begeistert hat? Wird es ihn in den Stand setzen, geistreich über Cavalleria rusticana zu plaudern? Man sucht ihm als letzten Auszug der Geschichte den Satz beizubringen: Pro patria mori. Ist dieser klangvolle Satz eine Anleitung zu Ergebenheitsadressen an den Reichskanzler? Kurz der Bursche lernt in seiner bildsamsten Verfassung nichts von dem, was er später brauchen kann, und er wird nichts brauchen können von dem, was er lernt.

Es besteht da in unserem Bildungsleben eine bedauerliche Lücke, die wirklich nicht länger unausgefüllt bleiben sollte. Ich träume eine Schule, die ausgesprochen bloß auf den Erfolg vorbereiten und nicht heucheln sollte, ich weiß nicht welchen abgezogenen Idealen zu dienen. Gewiß giebt es auch gegenwärtig Menschen, die ohne derartige Anstalten zum Erfolge gelangen. Aber das beweist nichts gegen die Richtigkeit meines Gedankens. In finsteren Zeiten der Barbarei hat es ja auch in Ländern, die keinerlei Schulen besaßen, vereinzelt und ausnahmsweise Gelehrte gegeben, die ihr Wissen ohne Anleitung und fremde Hilfe, ganz durch eigenen Fleiß erwarben. Aber wie mühsam ist dieses einsame Lernen! Wie viel Zeit verliert man dabei ohne Not und Nutzen! Welchen Irrtümern ist man ausgesetzt! Wie unvollkommen und einseitig ist selbst im günstigsten Falle das Ergebnis! Die Leute, die autodidaktisch sich zum Erfolge durchgearbeitet haben, werden, wenn sie sich am Ziele umwenden und die durchlaufene Bahn übersehen, mit Bedauern erkennen, wie viel Umwege, wie viel steile Kletterpartieen, wie viel aufreibende Sand- und Sumpf-Stellen ihnen ein kundiger Führer oder ein bischen Ortskenntnis erspart hätte.

Eins sei gleich von vornherein festgestellt: Mädchenklassen würde meine Schule des Erfolges nicht haben. Das Weib ist in der glücklichen Lage, in dieser Wissenschaft keines Unterrichts zu bedürfen. Es ist von der Natur mit allen Kenntnissen ausgerüstet, deren es bedarf, um zum Erfolge im Leben zu gelangen, und die kleinen Künste, die ihm nicht schon angeboren sein sollten, erlernt es später ganz von selbst. In der heutigen Weltordnung streben weitaus die meisten Frauen bloß eine Form des Erfolges an: sie wollen dem Manne gefallen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen sie nur hübsch zu sein oder sich auffällig zu machen. Verkehrte Geister sind auf die unglückselige Schrulle verfallen, für die Mädchen höhere Töchterschulen zu errichten. Da lehrt man die armen Geschöpfe Zeichnen, Klavierpauken, mit lächerlichem Accent fremde Sprachen radebrechen und geschichtliche Daten verwechseln, also gerade das, was sie später für Männer zu einem Gegenstande des Grauens machen wird. Der Plan dieser Schulen kann nur im Gehirn vergrämter alter Jungfern oder rachsüchtiger Ehekrüppel, die von ihrer Frau geprügelt werden, entstanden sein. Er beweist ein vollständiges Verkennen weiblicher Lebensziele. Die Orientalen fassen in ihrer uralten Erbweisheit die Sache ungleich vernünftiger an. Bei ihnen lernt das Mädchen nichts anderes als singen, tanzen, auf der Laute spielen, Märchen erzählen, sich die Nägel mit Henna und die Lidränder mit Khol färben, also die Fertigkeiten, die dasselbe dem Manne wünschenswert machen, die ihm Gelegenheit bieten, seine Reize in günstiger Beleuchtung zu zeigen, die seinen männlichen Lebensgefährten entzücken und dauernd an es fesseln werden. Unsere armen Mädchen des Westens werden von der herrschenden Erziehungsmethode künstlich verhindert, sich ihrem Triebe zu überlassen, der sie sicherer fördert als alle bebrillten und unbebrillten Lehrer in ihren Anstalten. Erst wenn sie die thörichte Mühsal der Schule völlig hinter sich haben, können sie frei ihrem innern Drange folgen und sich zweckentsprechend entwickeln. Dann erwerben sie aus sich selbst heraus die Kunst, sich zu schminken oder doch mit Reispulver herzurichten, herausfordernde Kleider zu tragen, so zu gehen, zu stehen und zu sitzen, daß das Anstößige in der Form ihrer Kleidung ganz besonders hervortritt; dann kommen sie von selbst darauf, ausdrucksvoll mit dem Fächer zu spielen, das Auge werbend wandern zu lassen, kleine Mienen, liebliche Gesten, süße Zuckermäulchen zu machen und der Stimme die reizenden Biegungen kindlicher Unschuld, jugendlicher Schelmerei und pikanter Unwissenheit zu geben. Mit diesen Mitteln sind sie sicher, überall, wo sie erscheinen, eine Herde von Bewunderern um sich zu sammeln, Tänzer, Anschwärmer, einen Mann und das übrige zu finden, kurz alles zu erlangen, was das Leben schön und angenehm macht. Die Frauen werden allerdings die Nase über sie rümpfen, auf die besseren und edleren Männer werden sie gleichfalls eher abstoßend als anziehend wirken; diese werden finden, daß Fett, Farbenflecke, Mehlstaub und Geschmier jeder Art auf einem weiblichen Gesichte nicht mehr an ihrem Platze sind als etwa auf einem Samtkleide, daß Schulterwülste und Sattel-Tournüren das Weib buckelig und schwindsüchtig oder hottentottisch erscheinen lassen und daß Gefallsucht und Ziererei selbst das hübscheste Geschöpf bis zur Unleidlichkeit entstellen; aber was braucht dem Weibe an diesen Urteilen zu liegen? Bei dem eigenen Geschlecht erwartet sie kein Wohlwollen, sie könnte auch mit diesem nichts Vernünftiges anfangen; und was die männlichen Kritiker betrifft, so ist es ihr in hohem Grade gleichgiltig, wenn ein Schulfuchs ihr mißbilligend den Rücken wendet, sofern nur die jungen Herren vom Jockeyklub das Monocle wohlgefällig nach ihr kehren. Sie kann ihr Wesen und Gehaben unmöglich für den Mann von Geschmack einrichten. Dieser ist ein Phönix. Viele Frauen leben und sterben, ohne ihm je begegnet zu sein. Dem Dornröschen geht es nur im Märchen so gut, daß der Ritter kommt und es erlöst. In der Wirklichkeit darf man auf diesen Helden nicht rechnen und wer sich hinter dem Stachelzaun verbirgt, der hat alle Aussicht, dort vergessen zu werden. Das Weib beweist also große Klugheit, wenn es der Menge und nicht dem unfindbaren Phönix zu gefallen sucht.

Allein wenn das Weib im allgemeinen der theoretischen Anleitung zum Erfolge entbehren kann, so ist es dem Manne in der Regel nicht so gut geworden. Er muß, um seinen Weg in der Welt zu machen, Personen seines eigenen Geschlechts gefallen und das ist nicht so einfach, wie auf solche des entgegengesetzten Geschlechts einen guten Eindruck zu machen. Freilich, in einzelnen Laufbahnen erfreut sich der Mann derselben Vorteile wie das Weib; er kann mit seiner Persönlichkeit wirken und braucht nur den Frauen zu gefallen; zum Beispiel als jugendlicher Liebhaber, als Tenorist oder Verkäufer in einem Modewarengeschäfts. Männer dieser Klasse bedürfen keiner Schule des Erfolges. Wenn die Natur sie mütterlich behandelt hat, so kommen sie ohne jede Theorie vorwärts wie mit Dampf. Der beste Unterricht kann leider kein anmutig gekräuseltes Schnurrbärten geben und wenn man auch durch kunstvolle Scheitelung der Haartracht einen besonderen Zauber mitzuteilen vermag, so muß doch der Haarkräusler eine ausreichende Lockenfülle vorfinden, um seines Priesteramtes mit Erfolg walten Zu können. Ein Apollo von Belvedere in Fleisch und Blut, oder selbst nur ein unverwundeter Krieger von der Schloßbrücke zu Berlin braucht sich um sein Gedeihen in der Welt keine Sorge zu machen. Als Füsilier wird er bald aus der Küche in die Stube der Herrschaft aufrücken; als Lakai oder Kutscher lebhaft begehrt sein; als Kellner das Glück seines Hotels und sein eigenes machen; als Statist oder Chorist unter den Töchtern und vielleicht selbst ein wenig unter den Müttern des Landes wählen können; er thut zwar, um sich immerhin unangenehme Enttäuschungen zu ersparen, besser, von vornherein nicht nach Marschallstäben und Herzogtümern zu streben, weil zur Zeit auf den respektableren Thronen Europas keine Katharinen sitzen; aber einem mäßigen und soliden Ehrgeiz ist bei unseren Voraussetzungen Befriedigung sicher. Ein solcher Liebling der Frauen würde sich nur beeinträchtigen, wenn er seinen leiblichen Vorzügen auch noch geistige hinzufügen wollte. Es wäre schade, wenn er sich durch vieles Lesen den Glanz seiner Augen verdürbe. Durch Bildung, durch Witz könnte er seine Bewundererinnen einschüchtern und ihnen einen Zwang auferlegen, der es ihnen erschweren würde, sich rückhaltlos an seiner Erscheinung zu erfreuen. Schön sein wie ein griechischer Gott und dumm wie ein Teichkarpfen; damit hat man Mohameds Paradies auf Erden, mit den Huris und allem, was sonst noch zu seiner orthodoxen Vollständigkeit gehört. So ausgestaltete Individuen bedürfen ebensowenig einer Schule wie ein Genie.

Das Genie ist jedoch die seltene Ausnahme und die menschlichen Einrichtungen sind auf die Durchschnitts-Erscheinung berechnet. Beethoven wird auch ohne Konservatorium, was er werden soll, aber Kantorssöhne des alltäglichen Schlags müssen zum Ochsen des Kontrapunkts angehalten werden, damit sie später einmal zu einer Kapellmeisterstelle mit Pensionsberechtigung gelangen. Lassen wir also alle Kategorieen von Ausnahmeerscheinungen aus dem Spiele: die Apollos, die hohen Aristokraten mit ernstem Jahreseinkommen, die Söhne der Millionäre; diese haben nicht dem Erfolge nachzulaufen, der Erfolg lauft ihnen nach. Meine Schule des Erfolgs ist bloß für die elende Masse bestimmt, die ohne Titel und Renten geboren wird und trotzdem hohe Steuerklassen und rote Adlerorden träumt. Die Mittelmäßigen nun würden mit viel besseren Aussichten den Kampf ums Dasein beginnen, wenn sie systematisch abgerichtet würden, sich im Gedränge der Wirklichkeit zurechtzufinden.

Bestände die Schule des Erfolges, so müßte deren Leiter jedem Vater, der ihm einen Jungen anvertrauen wollte, in aller Offenheit mit dieser kleinen Standrede das Gewissen schärfen: »Lieber Mann, werden Sie sich zunächst darüber klar, was Sie eigentlich wollen. Wenn Ihr Sohn bestimmt ist, sein Leben in einer idealen Welt zu verbringen, in der das Verdienst allein Kränze empfängt, die bescheidene Tugend in ihrem Verstecke aufgesucht und belohnt wird, Dummheit, Eitelkeit, Bosheit unbekannt sind und das Gute und Schöne allgewaltig herrschen, oder wenn Sie glauben, daß Ihr Sohn immer die Selbstachtung über den Beifall der Menge stellen, nur auf sein Gewissen und gar nicht auf die Meinung des Marktpöbels horchen und sich damit begnügen wird, seine Pflicht zu thun und von dem innern Zeugen gelobt zu werden, dann hat er nichts bei mir zu suchen. Dann thun Sie besser daran, ihn in eine beliebige andere Schule zu schicken und nach dem Schlendrian erziehen zu lassen. Dann soll er alte und neue Dichter lesen, sich mit den Wissenschaften amüsieren und bei dem Worte des Lehrers schwören. Wenn Sie aber wollen, daß Ihr Sohn ein Mann werde, den man auf der Straße grüßt, der in Salonwagen reist und in Hotels ersten Ranges absteigt, wenn Sie wollen, daß er Geld und Einfluß habe und dunkle Hungerleider verachten könne, dann lassen sie ihn hier. Daß er einmal im Plutarch stehen wird, verbürge ich nicht; wohl aber, daß Sie ihn einst an einer guten Stelle im Staatshandbuch finden werden.«

Die Schule des Erfolges müßte natürlich ganz so wie die Schule des abgezogenen Wissens verschiedene Abteilungen haben, niedere und höhere. So wie nicht jeder Schulpflichtige die Universitätsbildung und eine Professur erstrebt, so will nicht jeder Ehrgeizige Minister oder Milliardär werden. Viele begnügen sich mit bescheideneren Zielen und bedürfen deshalb bloß einer elementaren Unterweisung. Eine Gliederung in Volks-, Mittel- und Hochschule wäre also berechtigt und notwendig. Die Volksschule wäre für diejenigen bestimmt, die sich den gewöhnlicheren Berufen, dem Handwerk, dem Handel u. s. w. widmen. Man müßte ihnen nur einen einzigen Grundsatz beibringen, den die Volksweisheit längst gefunden hat, nämlich den, daß »Ehrlichkeit die schlaueste Politik ist«. Das klingt wenig macchiavellisch, aber daran ist nichts zu ändern: es ist einmal so, daß man sich in den niederen Verrichtungen durch Sorgfalt und Verläßlichkeit am besten empfiehlt. Der Schuster, der Stiefel gut und preiswürdig macht, der Krämer, der unter dem Namen Zucker solchen und nicht Sand verkauft, wird seinen kleinen bescheidenen Weg in der Welt machen und glücklich sein, wenn er nicht höher hinaus will, sondern sich mit dem Wohlwollen seiner Kunden und täglichem Fleisch mit Gemüse begnügt. Dieselbe Volksweisheit meint zwar auch, Klappern gehöre zum Handwerk, allein wenn man alles recht überlegt, so wird man vor dieser Anschauung warnen müssen. Die Verhältnisse liegen im Handmerk zu einfach, als daß Charlatanene sich empfehlen würde. Selbst der Dümmere kommt da zu rasch hinter Lügen, Flausen und Aufschneidereien und wird kopfscheu. In diesen Laufbahnen ist der Erfolg wirklich der Preis der Tüchtigkeit, weil jeder diese zu beurteilen vermag. Ob ein Rock zu eng oder zu weit ist, sieht jeder; wenn die Bettlade nicht hält, so merkt das auch ein stumpferer Geist und eine Beimischung von Cichorie zum Kaffee wird nur in einzelnen Gesellschaftskreisen Sachsens keinen Anstoß erregen.

Anders stehen die Dinge bei den höheren Berufen. Wer diese wählt, bedarf einer längeren und sorgfältigeren Vorbereitung für den Erfolg, die ihm in der Mittel- und Hochschule zu teil werden könnte. Da gälte es, dem Schüler einige Ur-Prinzipien einzuprägen, die vollständig von denen abweichen, an welche die gewöhnliche Erziehungsmethode glauben zu machen sucht. Aussprüche des Volksmundes wären sorgfältig zu beachten, denn sie schließen oft einen großen Kern von Wahrheit in sich. Da ist zum Beispiel der kluge, wenn auch ungrammatikalische Vers: »Bescheidenheit ist eine Zier, doch kommt man weiter ohne ihr.« Das ist eine goldene Lehre, die nicht genug beherzigt werden kann. In der That, der Erfolg in der Welt hat kein größeres und gefährlicheres Hindernis als die Bescheidenheit. Habe das größte Verdienst, sei aufs höchste begabt, leiste das Schwerste und Nützlichste, wenn du bescheiden bist, so wirst du nie den Lohn deiner Arbeit sehen. Vielleicht wird man dir einst ein Denkmal aufs Grab setzen; sicher ist auch das nicht; aber bei Lebzeiten wirst du weder Geld noch Ehren haben. Bescheidenheit heißt, bei der Thür bleiben und den anderen die Vorderplätze lassen: zögernd zum Tische treten, wenn die übrigen gesättigt sind; warten, daß man den Bissen angeboten bekommt, statt um ihn zu bitten, ihn zu verlangen, sich um ihn zu balgen. Wer diese thörichte Haltung einnimmt, der kann darauf rechnen, daß man ihn bei der Thür stehen läßt, daß er die Tafel abgeräumt findet, daß ihm niemand den Bissen darbieten wird. »Man vermeide sorgfältig die Geschmacklosigkeit, von sich zu sprechen.« Welcher Unsinn! Das Gegenteil ist richtig: sprich immer, sprich ausschließlich, sprich systematisch von dir. Mache dir gar nichts daraus, wenn das den andern nicht unterhält. Zunächst interessiert es dich. Dann verhinderst du, daß während der Zeit, da du das Wort hast, von einem andern, vielleicht einem Nebenbuhler, gesprochen wird. Endlich bleibt von dem, was du sagst, immer etwas haften, selbst im widerstrebendsten Gedächtnisse. Natürlich wirst du die einfache Weisheit besitzen, von dir nur Gutes zu sagen. Lege dir in dieser Hinsicht keinen Zwang und keine Einschränkung auf. Rühme dich, lobe dich, preise dich, sei beredt, begeistert, unerschöpflich. Gieb dir die herrlichsten Beiwörter, erhebe das, was du thust oder gethan hast, in den siebenten Himmel, beleuchte es liebevoll von allen Seiten, dichte ihm Vorzüge an, erkläre es für die wichtigste Leistung des Jahrhunderts, versichere, daß alle Welt es bewundere, wiederhole nötigenfalls schmeichelhafte Urteile darüber, die du gehört hast oder die du frei erfinden kannst. Du sollst sehen, wie weit du mit diesem System kommst. Die Weisen werden dich auslachen oder über dich empört sein. Was liegt dir daran? Die Weisen sind eine verschwindende Minderheit und die Lebenspreise werden nicht von ihnen verteilt. Deine Nebenbuhler werden dich ebenfalls tadeln. Um so besser! Du wirst ihnen zuvorkommen, ihre Äußerungen für Neid erklären und diesen letztern als neuen Beweis deiner Größe anführen. Die ungeheure Mehrheit aber, gerade die Menge, welche den Erfolg macht, wird dir glauben, dein Urteil über dich wiederholen und dir den Platz einräumen, den du dir angemaßt hast. Diese Wirkung ist dir durch die Feigheit und Geistesträgheit der Menge gesichert. Ihre Feigheit macht, daß sie sich nicht getraut, dir zu widersprechen, dich, wie man zu sagen pflegt, auf deinen Platz zurückzustellen. Man wird dich hinnehmen, wie du bist, man wird deine Unbescheidenheit als eine Eigentümlichkeit gelten lassen, sie vielleicht im Vorübergehen bemerken und sich dann weiter keine Gedanken über sie machen. Wenn man dich irgendwo einladen wird, so wird die Hausfrau sagen: »Dieser Mensch erhebt außerordentliche Ansprüche. Man kann sich nicht genug mit ihm beschäftigen, ihm nicht genug Ehren erweisen. Was soll man thun? Ich muß ihn zu meiner Rechten sitzen lassen, sonst ist er imstande und geht beleidigt davon.« Ist gerade ein bescheidenes Verdienst da, dem dieser Platz wirklich gebühren würde, so sagt man ihm ganz ruhig: »Nicht wahr, Sie haben nichts dagegen, daß ich ihn bevorzuge? Sie sind ja über solche Kleinlichkeiten erhaben –« und du hast endgiltig den ersten Platz erobert, du hast die Leute daran gewöhnt, ihn dir einzuräumen, und nach einiger Zeit wird niemand auch nur auf den Gedanken kommen, daß es anders sein könnte. Die Geistesträgheit der Menge ist die zweite Gewähr der Nützlichkeit deiner Selbstüberhebung. Die wenigsten Menschen sind imstande oder doch gewohnt, aus dem Rohstoff der Thatsachen ein Urteil zu destillieren, das heißt Eindrücke aufzunehmen, die Erfahrungen genau zu beobachten, sie zu vergleichen, zu deuten, geistig zu verarbeiten und zu einer festgegründeten eigenen Anschauung über sie zu gelangen; alle dagegen können ein vor ihnen ausgesprochenes Wort nachsagen. Deshalb werden fertige Urteile anderer von der Menge mit Freude und Überzeugung angenommen. Es verschlägt nichts, wenn diese Urteile vollkommen falsch sind, wenn sie zu den Thatsachen im schreiendsten Widerspruche stehen. Um diesen zu bemerken, müßte ja die Menge die Thatsachen selbst prüfen und logisch verwerten können und dazu ist sie eben nicht fähig. Davon habe ich vor kurzem ein merkwürdiges Beispiel erlebt. Ich mußte einem kleinen Kinde Met verschreiben, wovon ihm ein Kaffeelöffelchen von Zeit zu Zeit eingegeben werden sollte. Eine halbe Stunde nach meinem Besuche bei dem kleinen Patienten fiel dessen Mutter wie eine Bombe in mein Zimmer und schrie schon bei der Thür atemlos: »Ach, Herr Doktor, das Kind stirbt! Kaum hatte es einige Tropfen der höllischen Medizin über die Lippen gebracht, als es ganz schwarz wurde, fürchterlich zu husten anfing und ersticken wollte. Ach, was haben Sie dem unglücklichen Kinde da für eine Arznei gegeben!« Mir war sofort klar, daß sich das Kind verschluckt hatte, doch erwiderte ich mit düsterer Miene: »Ja, das nimmt mich nicht Wunder. Wenn man ein so heroisches Mittel wie Met anwendet, dann kommen solche Wirkungen vor.« Die Frau rang die Hände und fing wieder an: »Wie kann man aber auch ein so heroisches Mittel ...« »Wissen Sie, woraus Met besteht?« unterbrach ich sie. »Nein.« »Es ist ein Gemisch von Honig und Wasser.« Ihr Antlitz drückte ein solches Grauen aus, als hätte ich gesagt: »Von Schwefelsäure und Rattengift.« »Sie begreifen,« fuhr ich fort, »wenn man so gewaltthätige Stoffe eingiebt wie Wasser und Honig ...« »Das ist wahr,« seufzte sie und aus ihrer Miene sprachen Schmerz und bittere Vorwürfe. So wie diese Frau, so nimmt die Menge alles, was man ihr sagt, buchstäblich und wiederholt es gläubig, ohne Wahrheit von Lüge, ohne Ernst von Hohn zu unterscheiden. Dem verdanken ganze Völker ihren Leumund und Rang in der Welt. Sie haben in Wirklichkeit alle schlechten und niedrigen Eigenschaften, aber sie versichern, daß sie die herrlichsten und edelsten besitzen. Sie sind neidisch und nennen sich großmütig, sie sind eigennützig und nennen sich selbstlos, sie hassen und verachten alle fremden Völker und rühmen sich ihrer allgemeinen, brüderlichen Menschenliebe; sie sträuben sich gegen jeden Fortschritt und behaupten, sie seien die Brutstätte aller neuen Gedanken; sie sind auf allen Gebieten zurückgeblieben und wiederholen beständig, daß sie überall an der Spitze stehen; mit den Händen knechten und unterdrücken sie schwächere Völker, berauben sie ihrer Freiheiten, brechen ihnen die Vertragstreue, mit dem Munde verkünden sie gleichzeitig die schönsten Grundsätze der Gerechtigkeit. Und die Welt nimmt sich nicht die Mühe, die Thatsachen zu sehen, sondern hört nur die Worte und wiederholt sie gläubig. Sie merkt nicht, daß die Hände den Lippen widersprechen, und ist überzeugt, daß jene Völker wirklich all das sind, wofür sie sich selbst ausgeben.

Also keine Bescheidenheit, mein Junge, wenn du in der Welt Figur machen willst. Demütige dich selbst und die anderen werden dich demütigen. Lasse einem andern den Vortritt und die Zuschauer werden überzeugt sein, daß er ihm gebührt. Nenne dich unwürdig, deine Leistung unbedeutend, deine Verdienste überschätzt, und die Hörer werden nichts Eiligeres zu thun haben, als deine Selbstbeurteilung ohne Quellenangabe zu verbreiten. Wohlverstanden: ich sage nicht, daß die Bescheidenheit unter allen Umständen zu verwerfen ist. Es kommt ein Augenblick, wo man sie ohne Schaden, ja sogar mit Vorteil aufhissen kann. Das ist, wenn man vollständig ans Ziel gelangt ist. Bist du erst in einer anerkannten, zweifellosen ersten Stellung, ist dein Rang so sicher definiert, daß niemand über den dir gebührenden Platz in Zweifel sein kann, dann magst du den Bescheidenen spielen. Bleibe dann immerhin bei der Thür, man wird dich schon im Triumph auf die Bühne schleppen; lehne nur getrost Komplimente ab, man wird sie schon mit Schwung und Heftigkeit erneuern; sprich nur unbesorgt von deiner Wenigkeit, dein Ordensstern, dein gestickter Frack werden dir schon deutlich genug widersprechen. Du wirst dich nicht beeinträchtigen und noch den Vorteil haben, daß man von deiner Tugend gerührt und entzückt sein wird.

Du hast nun gelernt, daß scheinen viel wichtiger ist als sein. Trinke so viel Wein, wie du willst, aber predige Wasser. Das ist selbst dann erbaulich, wenn deine Nase wie ein unheimliches Irrlicht flammt und die Beine dich nicht tragen können. Sollten auch, während du Pindars Hymne zum Preise des Wassers deklamierst, deine Lippen vor eitel Tatterich zittern, besorge dennoch nichts. Deine Gemeinde wird das für Rührung halten und doppelte Ehrfurcht vor dir empfinden.

Ein anderer grundlegender Lehrsatz ist: hüte dich, wohlwollend zu sein. Damit kommst du zu nichts. Deine Nebenbuhler werden dich verachten, deine Feinde dich verspotten, deine Gönner dich langweilig finden. Niemand wird auf dich Rücksicht nehmen, denn man wird sagen: »Ach, der N., der ist so gutmütig, wenn man ihm auf die Zehen tritt, so bittet er verbindlich lächelnd um Entschuldigung.« Kurzsichtige, thörichte Ratgeber sagen dir vielleicht, es sei eine schlaue Politik, von aller Welt gut zu sprechen, da man dadurch die möglichen Gegner entwaffne. Bilde dir das ja nicht ein. Das Gegenteil ist wahr. Da man von dir kein Zurückschießen zu fürchten hat, so wird man um so lustiger auf dich hinschießen. Du mußt boshaft sein wie eine Hexe und eine giftige Zunge haben wie eine Schlange. Dein Wort muß Schwefelsäure sein und ein garstiges Loch lassen, wo es hinfällt. Ein Name, der durch deinen Mund gegangen ist, muß aussehen, als hätte man ihn eine Woche lang in einem Vitriolkrug aufbewahrt. Mache dich gefürchtet und bekümmere dich nicht darum, daß du dich gleichzeitig verhaßt machst. Die Feigen, die, wie dir schon auseinandergesetzt wurde, die große Mehrheit bilden, werden dich behandeln wie wilde Völkerschaften einen übelthuenden Götzen: sie werden dir schmeicheln und opfern, um dich bei guter Laune zu erhalten; die anderen werden dir zwar vielleicht mit gleicher Münze bezahlen, aber bedenke, welchen Vorteil du hast, wenn du auf feindselige Äußerungen eines Angeschwärzten achselzuckend erwidern kannst: »Der arme Mann sucht sich zu rächen. Sie wissen ja, was ich immer von ihm gedacht und gesagt habe!« Jedem abfälligen Urteile über dich ist in den Augen der Menge das Gewicht genommen, wenn du so klug gewesen bist, über den Urteiler zuvor immer und überall Böses zu reden, denn du kannst jenes dann als einen Vergeltungsversuch hinstellen.

Ein weitverbreitetes Vorurteil, das offenbar von unpraktischen Idealisten herrührt, will, daß man sich besonders um die gute Meinung und Achtung von seinesgleichen zu bemühen habe. Hüte dich, an die Richtigkeit dieses Satzes zu glauben. Deine Mitstreber sind deine Nebenbuhler. Ihre große Mehrheit will gleich dir den Erfolg und nichts als den Erfolg und ihr Platz wird um die ganze Breite des deinigen geschmälert. Erwarte von ihnen weder Gerechtigkeit noch Wohlwollen. Deine Fehler werden sie übertreiben und herumtragen, deine Vorzüge klüglich verschweigen. Du hast dich bloß um zwei Gattungen von Menschen zu kümmern, um die große Menge, die unter dir steht, und um die wenigen einflußreichen Personen, in deren Hand die Ehren, die Stellen, mit einem Worte deine Beförderung ruhen. Du mußt dich den Gesetzen einer doppelten Optik anpassen und dich so zu halten lernen, daß du von unten gesehen sehr groß, von oben gesehen sehr klein erscheinst. Das ist nicht ganz leicht, aber mit Übung und einiger natürlicher Anlage erlangt man diese Fertigkeit. Die Menge muß glauben, daß du ein Genius von außerordentlicher Ausdehnung bist, die Vorgesetzten oder Hohenpriester deines Berufes dagegen müssen dich für eine fleißige, willige Mittelmäßigkeit halten, die bei den Worten der Lehrer schwört, deren Ruhm eifrig verbreitet und eher sterben als diesen durch Kritik oder eigene Leistungen zu verdunkeln streben würde. Verstehst du es, dich von den Leuten unter und über dir stets im richtigen Focus sehen zu lassen, dann mache dir aus der Meinung von deinesgleichen weniger als aus einem Pappenstiel. Du kommst vorwärts und das ist dir doch die Hauptsache. Hast du die Mitstrebenden erst hinter dir zurückgelassen, bist du erst in der Lage, ihnen zu nützen oder zu schaden, dann sollst du deine Freude an der Raschheit und Vollkommenheit erleben, mit der sich üble Nachrede in begeistertes Lob, kühle Zurückhaltung in brennende Freundschaft, Geringschätzung in ehrfurchtsvolle Bewunderung verwandelt.

Über den philosophischen Grundsätzen, nach denen du dein Benehmen in der Welt einzurichten hast, darfst du selbstverständlich die Äußerlichkeiten nicht vernachlässigen. Nur der sehr Reiche, dessen Millionen von niemand angezweifelt werden können, hat das Recht, wirtschaftlich bescheiden zu sein, aber ein solcher hat ja ohnehin in meiner Schule des Erfolges nichts zu suchen. Je ärmer du bist, um so nötiger hast du es, stattlich aufzutreten. Kleide dich reich, wohne vornehm, lebe, wie wenn du in Golkonda ein Majorat hättest. Aber das kostet Geld? Ganz richtig, viel sogar. Wenn man aber eben keines hat? Dann macht man Schulden. Schulden?! Allerdings, mein Junge, Schulden. Es giebt wenige Leitern, die einen so raschen und sichern Aufstieg zu den höchsten Zielen gestatten wie gerade Schulden. Es ist empörend, daran zu denken, wie sehr sie von Pedanten verleumdet und in Mißachtung gebracht worden sind. Man hat ihnen das schwerste Unrecht gethan. Dem genialen Heine wird viel Übermut und Ausgelassenheit verziehen werden, aber niemals sein Vers: »Mensch, bezahle deine Schulden!« Welcher Leichtsinn, welche Unsittlichkeit! Wenn du diesem Rate folgst, so bist du verloren. Bedenke doch nur eins: Wer soll sich um dich kümmern, wenn du in kleinlicher, engherziger Redlichkeit deinen Weg bezahlst? Niemand wird den Kopf nach dir umwenden. Gehe in einem fadenscheinigen Fähnlein daher, wohne in einer Dachkammer, iß trockenes Brot und mache keine Schulden; du sollst sehen, was dabei herauskommt; die Hunde werden dich anbellen, die Schutzleute dich mißtrauisch mustern, die anständigen Leute ihre Thür vor dir doppelt verriegeln. Und der Krämer, dessen Kunde du bist, wird in dem Augenblicke aufhören, auch nur das geringste Interesse an dir zu nehmen, in dem du ihm den Preis seiner Ware beglichen hast. Falle vor seiner Ladenthür zusammen und er wird nur den einen Gedanken haben, die Störung vor seiner Schwelle fortzuschaffen. Nimm dagegen alles auf Borg, pumpe, wo du kannst, und deine Stellung ändert sich wie mit einem Zauberschlage. Zunächst sind dir alle Genüsse zugänglich, die sich der arme Schlucker versagen muß. Dann wird deine Erscheinung überall das günstigste Vorurteil über dich erwecken. Endlich wirst du eine ganze Leibwache oder Gefolgschaft von eifrigen, ja fanatischen Mitarbeitern an deinem Erfolge haben. Denn jeder Gläubiger ist ein Freund, ein Gönner, ein Förderer. Er läßt nichts auf dich kommen. Er geht durchs Feuer für dich. Kein Vater wird sich für dich Mühe geben wie ein Gläubiger. Je mehr du ihm schuldig bist, ein um so größeres Interesse hat er, dich gedeihen zu sehen. Er wacht über dich, daß dir kein Haar gekrümmt werde, denn dein Leben ist sein Geld. Er zittert, wenn dir eine Gefahr droht, denn dein Untergang ist das Grab seiner Forderung. Habe viele Gläubiger, mein Junge, und dein Los ist von vornherein gesichert. Sie werden dir eine reiche Frau, eine große Stellung, einen guten Ruf sichern. Die unvergleichlichste Kapitalanlage ist die, das Geld der anderen zu einer ornamentalen Gestaltung des eigenen Daseins zu verwenden. –

Das wären ungefähr die leitenden Gedanken, nach welchen das Wesen der Erfolg-Zöglinge gebildet, ihr Benehmen geübt werden müßte. Die reifsten Schüler könnten auch in die Grundanschauung eingeweiht werden, auf welcher sich die ganze Wissenschaft der Erziehung für den Erfolg aufbaut. Sie läßt sich kurz darlegen. Man kann seinen Weg in der Welt auf zwei Arten machen: entweder durch eigene Vorzüge oder durch die Fehler der anderen. Die erstere Art ist die weitaus schwierigere und unsicherere, denn zunächst setzt sie voraus, daß man Vorzüge habe, was aber nicht jedermanns Fall ist, dann ist sie an die Bedingung geknüpft, daß diese Vorzüge rechtzeitig und ausreichend bemerkt und gewürdigt werden, was erfahrungsgemäß fast niemals geschieht Das Spekulieren auf die Fehler der anderen gelingt dagegen immer. Der Lehrer wäre also berechtigt, seinem Schüler zu sagen: Gieb dir keine Mühe, Außerordentliches zu leisten und deine Arbeit für dich sprechen zu lassen; ihre Stimme ist schwach und wird vom Geschrei der eifersüchtigen Mittelmäßigkeit überschrieen; ihre Sprache ist fremd und wird von der unwissenden Menge nicht verstanden; nur die Vornehmsten und Selbstlosesten werden deine Leistungen beachten und anerkennen, aber auch sie werden schwerlich etwas für dich thun, wenn du deine Person nicht unter ihre Augen drängst. Statt also deine Zeit mit redlichem und strengem Schaffen zu verlieren, gebrauche sie, um die Fehler der Menge zu studieren und aus ihnen Vorteil zu ziehen. Die Menge hat kein Urteil, dränge ihr also eines auf; die Menge ist seicht und gedankenlos, hüte dich also, tief zu sein und ihr Gedankenarbeit zuzumuten; die Menge ist stumpfsinnig, tritt also mit solchem Getöse auf, daß selbst harte Ohren dich hören und blöde Augen dich sehen müssen; die Menge versteht keine Ironie, sondern nimmt alles buchstäblich, sage also gerade heraus und in den satzlichsten Ausdrücken von deinen Nebenbuhlern das Böse und von dir selbst das Gute; die Menge hat kein Gedächtnis, benutze also unbesorgt jeden Weg, der dich zum Ziele führen kann; bist du erst angelangt, so erinnert sich niemand, wie du herangekommen bist. Mit diesen Grundsätzen wirst du reich und groß werden und es wird dir Wohlergehen auf Erden.

Wenn nur kein Schüler, den ich in die Geheimnisse des Erfolges einweihen würde, auf den naseweisen Einfall geriete, mich zu fragen: »Da Sie so genau wissen, wie man es anfangen muß, so haben Sie selbst es wohl sehr weit gebracht?« Das würde mich in Verlegenheit setzen. Ich könnte bloß erwidern: ich habe andere zum Erfolge gelangen sehen und daran habe ich genug gehabt. Wenn man in der Küche steht und zusieht, wie der Brei angerührt wird, so verliert man den Appetit. Anderen kann man ihn aber noch immer wünschen.Es hat sich das Unglaubliche begeben, daß mehrere Kritiker dieses Kapitel als eine ernsthafte Darlegung meiner Erziehungsgrundsätze auffaßten und über deren Unsittlichkeit die erbaulichste Entrüstung äußerten. Wie schade, daß ich mir die Photographie dieser weisen Thebaner nicht verschaffen konnte! Ich hätte den Lesern dieses Buches so gern Gelegenheit geboten, die Züge dieser fabelhaften Zeitgenossen mindestens im Bildnis kennen zu lernen.


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