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7. Der »Parsifal«.

(1877–1882)

 

»Nun dämm're auf, du Göttertag!«

Wagner.

 

»Wenn Sie jetzt wollen, so haben wir eine deutsche Kunst!« – Wir hatten wohl eine deutsche Musik, eine deutsche Literatur, eine deutsche Malerei, alles glänzende Erscheinungen, aber alles nicht jene einige deutsche Kunst, die Wagner in seinem »Gesammtkunstwerke« vorschwebte und die der Nibelungenring zuerst auch in der entsprechenden Darstellung vertrat! Diese galt es nun auch für die Dauer zu begründen und dazu die Mittel zu beschaffen.

Am 1. Januar 1877 erging daher die Aufforderung zur Bildung eines »Patronatvereins zur Pflege und Erhaltung der Bühnenfestspiele von Bayreuth«. Zugleich wurden zur stets eindringlicheren Verständigung über Zweck und Ziel der Sache die »Bayreuther Blätter« begründet, die später auch dem großen Publikum zugänglich gemacht wurden. Eine Forderung vom deutschen Reichstage, trotzdem König Ludwig dieselbe beim Bundesrathe hatte unterstützen wollen, war von Wagner abgelehnt worden. »Es giebt keine Deutschen; wenigstens sind sie keine Nation mehr; wer dies dennoch meint und sich auf ihren Nationalstolz verläßt, wird zum Narren,« sagte er bitter genug zu einem Freunde: in Betreff des Idealen hatte er dem Reichstage wie dem Volke gegenüber nur Recht. »Wer solche Bahnen zu brechen vermag, ist ein Genie, ein Prophet und in Deutschland ein Märtyrer dazu!« rief sogar einer derjenigen aus, die ehemals dieses Bayreuth als eine »Gründung« geschmäht hatten. Wagner selbst mußte sich zur Annahme einer Concerteinladung nach London bequemen, um nur erst die Kosten jenes »Bayreuth« gedeckt zu sehen. An der echt vornehmen Aufnahme, die der Künstler wie seine Knust jetzt dort fanden, an der Verbreitung seiner früheren Werke über ganz Europa konnte er erkennen, daß die Fremde den Deutschen verstanden hatte. Die Deutschen als Nation ihm gegenüber so gut wie noch nicht vorhanden zu sehen, mußte ihm daher recht bitter sein. In der Menge der Gebildeten fehlte noch durchaus der Glaube, sie buhlten mit fremden Göttern. Oder hätte es sonst sieben, voller sieben Jahre bedurft, ehe die geringe Summe beieinander war, um nur an die Wiederaufnahme der Sache zu denken, und dann noch des Zuschusses Seiner Majestät des Königs von 300,000 Mark, um sie wirklich auszuführen? Wie langsam ging es nicht mit dem Patronatverein vorwärts! Leute, die in den »Gründerjahren« rasch reich geworden waren, dachten bei den jetzt jäh abfallenden Zeiten an etwas Anderes als solchem Unternehmen beizutreten, sie mußten »sparen«. Und doch waren es nur 15 Mark jährlich! Gar sonderbar aber lautete die Antwort der an Stand oder Bildung Privilegirten: man wisse ja noch gar nicht, ob die Sache realen Boden habe und könne sich am Ende gar blamiren! Ja als die bösen »Wagnerianer« es sogar wagten, die wacklige Mendelssohn-Schumannsche instrumentale Handwerksmache anzutasten, bestimmte dies flugs Deutsche wie Nichtdeutsche, den mühsam über sich gewonnenen Beitritt wiederaufzugeben. Geheimräthe und Schulmänner antworteten gar nicht einmal auf die Einladung der Vertretungen des Vereines, wie sie nun doch in einer großen Reihe von Städten von wirklich deutsch denkenden Einzelnen allmählich erstanden.

Und doch wußte man, daß Wagner wieder ein neues Werk im Busen wälze, und konnte bald allüberall vom Rhein bis an die Donau, vom Fels zum Meer die Nibelungen hören! Denn Wagner hatte sich in Rücksicht darauf, daß mit solchem persönlichen Schauen der »ungeheuren That« selber für die noch größere einer dauernden Begründung einer eigenen deutschen Kunst Herz und Hand aufgehen werde, gegen seine innerste Ueberzeugung herbeigelassen, das Werk den officiellen Bühnen ebenfalls zu überlassen. Zuerst kam Wien. Aber so vorzüglich das Einzelne war, Scaria als Wotan, das Orchester unter H. Richter, die Bayreuther Materna als Brünnhilde, es fehlte das Ganze, das Ganze! Der Eindruck des Ungemeinen, das Große und Feierliche, das in Bayreuth das Gemüth zu dem Ewigen der Menschheit erhoben, es fehlte. Es war oft, als wenn der Tag in einen Theaterraum fällt: die erhabene Illusion einer solchen tragischen Darstellung, sie mangelte, und Wagner wußte, daß sie bei dieser Kunst das Brod des Lebens ist. Auch das Kunstwerk sei wie alles Vergängliche nur ein Gleichnis, aber ein Gleichnis des bleibenden Ewigen, hatte sein Wort beim Abschied von seinen Freunden und Patronen in Bayreuth gelautet, und ihm galt es jetzt, dieses »bleibende Ewige« tief in das Bewußtsein seiner Zeitgenossen eindringen und so dauernd wirksam werden zu lassen: der heilige Gral hatte sein letztes Wunder erst zu spenden!

So sieht er denn aufs neue von der »auswärtigen Politik«, wie er den Verkehr mit den Theatern nannte, ab und sammelt sich zu neuer That: es war der » Parsifal«. Mit ihm, der am 26. Juli 1882 zum ersten Male und dann noch dreizehnmal zur Aufführung gelangte, glaubte er sein lebenslanges Schaffen beschließen zu sollen und hat dasselbe in der That sicher gekrönt. Ja es scheint, als wenn dadurch nun auch endlich für immer der starre Bann gebrochen wäre, der ihn und seine Kunst so lange, lange von seinem Volke schied: der Erfolg des Nibelungenringes war bestritten, der des »Parsifal« ist unbestritten, dies sagt sein wochenlanger Besuch aus der ganzen gebildeten Welt! »Sie kamen von aller Herren Länder; wie einst in Babel so hört man jetzt hier in allen Sprachen sprechen,« sagte ein Theilnehmer der Feier. Und mit solchem endlichen Erlegen des Drachen fiel auch der Hort in des Helden Hände: der Besuch dieses Bühnenweihfestspieles brachte einen Ueberschuß von vielen tausend Mark, die ferneren Festspiele sind dadurch gesichert.

Allerdings hat der Nibelungenring zu diesem Erfolge wesentlich beigetragen. Zuerst in Leipzig, dann mit der gleichen auswärtigen Künstlerschaar in Berlin aufgeführt, fand er eine wahrhaft unerhörte Aufnahme. Seit dem Sturm von 1813, seit den Jahren 1848–1849 ist das Gefühl des Deutschseins, des Eigenseins nicht so mächtig emporgeflammt, und diesmal stand es nicht mehr auf dem bloßen Boden des Patriotismus und der Politik, sondern da, wo wir unser Höchstes suchen, das »Bleibend-Ewige«. Ebenso erwachte 1882 in England am »Ring des Nibelungen« und noch mehr am »Tristan« das Bewußtsein eines ewig Menschlichen in dieser Kunst, sowie es seit Beethovens Neunter Symphonie dort nicht mehr erfahren worden war, und dieser Enthusiasmus unserer mannhaft ernsten Stammesbrüder drang wie Feuerschein hellleuchtend in das Stammesland hinüber, aus dem sie selbst einst jenen Sinn für das Tragische mitgenommen hatten, der ihren Shakespeare erzeugte. Ueberall Frühlingsbrausen, plötzliches Erwachen wie aus einem starren Schlummer oder gar wüstem Traume: »Nun dämm're auf, du Göttertag!«

Wir geben zunächst einige Aufführungsberichte.

»Sieg! Sieg! das ist das Wort, welches von Bayreuth in diesen Tagen die Runde um die Welt macht. Wagners neueste Schöpfung, welches die eine schöne Klimax bildende Reihe seiner Werke würdevoll abschließt, hat einen Sieg errungen, wie er voller und größer selbst von den intimsten Anhängern des Meisters nicht gewünscht werden konnte. Den Namen, welchen man der Hauptstadt Oberfrankens scherzhaft beilegte, sie verdient ihn nun wirklich: den Namen eines › Deutschen Olympia‹,« so ward nach London berichtet. Schon nach dem Schluß der Generalprobe war unter allen mitwirkenden Künstlern nur eine Stimme darüber gewesen, daß sie von der Bühne herab noch niemals einen Eindruck von gleicher weihevollen Erhabenheit empfangen hätten.« »Parsifal ist von so ungeheurer Wirkung, daß ich mir nicht denken kann, daß jemand unbefriedigt oder mit gegnerischen Gedanken das Theater verlassen wird,« schrieb E. Heckel, und Liszt bestätigte, daß sich über dieses Wunderwerk nichts sagen lasse: »ja wohl macht es die davon tief Ergriffenen verstummen, sein weihevoller Pendel schlägt von dem Erhabenen zum Erhabensten.« Schon von dem ersten Akte ward gesagt: »Hier tritt uns eine Harmonie des musikalisch-dramatischen und religiös-kirchlichen Styles entgegen, welche es einzig ermöglicht, daß wir hart nebeneinander den furchtbarsten, das Herz zerreißenden Schmerz und wiederum jene weihevollste Andacht erleben, wie sie einzig durch das Gefühl der Gewißheit der Erlösung in uns wach wird.« Der deutsche Kronprinz besuchte die Vorstellung vom 29. August, die letzte. »Ich finde keine Worte für den Eindruck, den ich empfangen habe,« sagte er zu dem ihn geleitenden Verwaltungsrathe des Patronatvereins. »Es übersteigt alles, was ich erwartet, es ist großartig. Ich bin tief ergriffen, und ich begreife, daß das Werk im modernen Theater nicht gegeben werden kann.« Und zuletzt: »Es ist mir, als wäre ich nicht in einem Theater, so erhaben ist es!« – »Das Werk, das geradezu einen tosenden Beifallssturm hervorrief, ist das Ruhigste, was man sich denken kann; immer gewaltig hinterläßt es einen alles beherrschenden Eindruck der Hoheit und Lauterkeit,« schreibt ein Franzose. »Wie sich hier Dekoration, Dichtung, Musik und dramatische Darstellung zu einem wunderbar schönen Bilde vereinigen, das mit ergreifender Beredsamkeit auf das neue Testament hinweist, zu einem Bilde voll Friedens und mildversöhnender Harmonie, ist etwas auf dem Gebiete des Dramas völlig Neues,« heißt es vom Eingang des dritten Aktes. Und einfach aber unbefangen wahr spricht die entscheidende Bedeutung der Sache folgendes Wort aus: »Durch den Parsifal ist der vollgiltige Beweis erbracht, daß die Schaubühne nicht nur nicht unwürdig ist, die höchsten und heiligsten Güter des Menschen und seinen Gottes-Dienst zur Darstellung zu bringen, sondern daß gerade sie im höchsten Grade fähig ist, diese Gefühle der Andacht zu erwecken und die weihevolle Feier eines Gottesdienstes darzustellen. Wenn der Hörer nicht hierdurch zur Andacht gestimmt wird, so ist gewiß keine kirchliche Ceremonie im Stande, ein solches Gefühl in ihm zu erwecken. Die Bühne, welche vom großen Haufen immer nur als eine Anstalt zur Vergnügung angesehen wird, auf welcher allenfalls noch die ernsten Seiten des Menschenlebens, Schuld und Sühne dargestellt werden können, die aber unwürdig sein soll, das innerste Leben des Menschen und seinen Verkehr mit seinem Gotte zur Erscheinung zu bringen, diese Bühne ist durch den Parsifal zu ihrer höchsten Aufgabe geweiht.«

Auch der Raum, den Sempers zum Höchsten gewandter Kunstgenius demselben hier geschaffen, entspricht dieser Aufgabe. Er hat keinen Schmuck im Sinne unserer modernen Theater, nirgends gewahrt man Gold oder blendende Farben, nirgends Lichtglanz oder Prunk: »Amphitheatralisch steigen die Sitzreihen empor und werden von einer Logenreihe harmonisch abgeschlossen. Rechts und links erheben sich mächtige korinthische Säulen, welche dem Hause den Charakter eines Tempels verleihen.« Das Orchester ist gleich dem Chore der katholischen Kirche unsichtbar und alles häßlich Störende unserer Theater entfernt, alles zu weihevoll feierlichem Eindrücke hergestellt. »Das ist nicht mehr Theater, das ist Gottesdienst,« lautete denn auch das letzte Urtheil. »Bayreuth« ist der Tempel des heiligen Grals.

So kommen wir denn als zur Hauptsache und damit zur Gipfelung dieser historischen Skizzirung eines so mächtigen und allbedeutenden künstlerischen Schaffenslebens zuletzt zum »Parsifal« selbst, mit dessen bloßer Inhaltsangabe sich zugleich seine Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft bewähren mag.

Wagners »Parsifal« ist im hervorragenden Sinne unser Nationaldrama zu nennen. Ein solches soll wie einst Aeschylos' »Perser« und Sophokles' Oedipustrilogie es gethan, einem weltgeschichtlichen Volke den Zeitpunkt ins Bewußtsein rufen, in welchem es in der Weltgeschichte steht und damit die Aufgabe klar machen, welche es in derselben zu lösen hat.

Daß wir Deutsche politisch genommen seit dem letzten Menschenalter aufs neue Weltgeschichte zu machen begonnen haben, dies sagt die große Action der Zeit, die zunächst für Europa die Politik abgeschlossen zu haben scheint und dieselbe endlich ganz auf die Welt, die große, ausdehnt. Allein hinter der Politik stehen als die eigentlichen Walter der Welt die Ideen, welche die Menschheit bewegen und von denen jene nur ein mäßig einwirkendes Lebenszeichen ist, und in dieser Geistesbewegung sind wir Deutsche allerdings, dies sagten uns auch allüberall Wagners Dichtungsstoffe, ungleich älter als ein bloßes Menschenalter. Kaulbach malte, der einzige genialische Wurf, der ihm gelang, die Hunnenschlacht, und mehr noch die plastisch erscheinende Idee dieses ewigen Kampfes der Geister als ihre künstlerische Ausführung gewann ihm Weltruhm. Wir stehen heute vor oder vielmehr in einem gleich gewaltigen Kampfe: zwei moralisch-religiöse Anschauungen bekämpfen einander auf Leben und Tod in unsichtbarem wie sichtbarem Kampfe. Welche wird Sieger bleiben?

Wir wissen vom Jahre 1850, daß Wagner eine bedeutungsschwere Schrift schrieb. Darin steht als weitaus gewichtigstes Wort dasjenige, das gleichwohl gerade von denen, die es am meisten auf Leben und Tod angeht, am wenigsten beachtet oder vielmehr wegen ihres blos dem Tagesschein nachjagenden Wesens völlig unverstanden blieb. Dessen eindringlicher Bewahrheitung, wie sie zumal heute weitaus am meisten die Kunst, vor allem die der leibhaftigen Anschauung auf den »Bretern, die die Welt bedeuten«, zu geben vermag, ist zum Theil auch der »Parsifal« gewidmet und zwar in so weitem weltgeschichtlichen und sogar metaphysischem Sinne, daß eben dadurch die Bühne zu einer Stätte der Verkündigung höchster Wahrheit und Moral geweiht worden ist. Wir sahen die groteske Erscheinung des »Antisemitismus«, die beklagenswerthe der Judenverfolgungen, – was schädigt unseren höheren Bestand, unsere wahre Cultur wohl mehr? Und doch liegt hier ein tiefer Instinkt rein moralischer Natur verborgen. Nur betrifft er nicht das zufällige Stückchen Volk da, das die Geschichte unter uns andere Nationen hineingewürfelt hat, noch viel weniger den einzelnen Menschen, der völlig ohne Absicht und Zuthun gerade in ihm geboren ist und daher zu ihm gehört. Sondern hier waltet eben das Geheimnis der welthistorischen Probleme, die so lange mit einander kämpfen, bis das richtige siegt. Ihnen ist nach seiner unvergleichlichen Geistestiefe das gesammte Leben und Thun unseres Künstlers gewidmet, so lange er athmet und lebt, und zwar aus dem heiligsten Gefühle für seine Nation, für die Zeit, ja für die Menschheit, in deren Dienste er als echter »Dichter und Prophet« mit allen Fasern seines Wesens steht und mit jeder Wallung seiner Pulse schafft.

Jener unbemerkte, unverstandene Ausspruch aus dem Jahre 1850 am Schlusse des Aufsatzes von »K. Freigedank« lautet: »Noch einen Juden haben wir zu nennen, der unter uns als Schriftsteller auftrat, Börne. Aus seiner Sonderstellung als Jude trat er Erlösung suchend unter uns: er fand sie nicht und mußte sich bewußt werden, daß er sie nur mit auch unserer Erlösung zu wahrhaften Menschen finden werde. Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt aber für den Juden zuallernächst soviel als aufhören Jude zu sein. Börne hatte dies erfüllt. Aber gerade Börne lehrt auch, wie diese Erlösung nicht im Behagen und gleichgiltig kalter Bequemlichkeit erreicht werden kann, sondern daß sie wie uns Schweiß, Noth, Aengste und Fülle des Leidens und Schmerzes kostet. Nehmt rücksichtslos an diesem durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerke Theil, so sind wir einig und ununterschieden! Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung sein kann, die Erlösung Ahasvers, der Untergang!«

Kein Volk der Welt hat die von aller Welt Verstoßenen mit solchem heilig reinen Menschengefühle aufgenommen wie die Deutschen, – sollten sie hier endlich ihre Erlösung von dem Fluche der Heimatlosigkeit, ihre Neuexistenz durch Untergang in ein größeres reicheres tieferes Ganze finden? Diese Frage ist es, die Wagner beseelt und bewegt. Aber nicht entfernt in dem Sinne eines zufälligen und wechselnden Haders unterschiedener Rassen oder gar religiöser Parteien! Sondern er ahnt, daß gerade diese Frage eine Lebensfrage der Zeit ist und ihrer endlichen Lösung entgegengeht. Nicht aber die Juden sind es, sondern der jüdische Geist, was hier den Gegner im Kampfe darstellt, jener Geist, den erst nach der Entstehung des Christenthums dieses Volk an dem Schmutz der römischen Civilisation aus angeborenen üblen Keimen zu einer welthistorischen Macht des Bösen geschaffen und der selbst in seiner glänzendsten Erscheinung, in Spinoza, wie am deutlichsten aus dessen eigenen Schriften Schopenhauer nachgewiesen hat, nur den eigenen Vortheil, dem er das Ganze opfert, nicht aber ein Ganzes kennt, dem er sich liebend zu opfern hat!

Solche concret lebendige Erscheinung der Geschichte also nimmt sich Wagner nicht etwa zum Gegenstände, sondern zum äußerlichen Anhalte seines Kunstwerkes. Denn irgend eines Zeit- und Raumanhaltes bedarf die Dichtung, um ihre Anschauung von der fortschreitenden Geistesentwicklung der Menschheit zu versinnlichen. Kleists »Hermannsschlacht« meinte ja auch nicht entfernt die alten Römer, sondern ihre Abart, die Mischung von Tiger und Affe, wie Voltaire sie genannt hat, und half in diesem Sinnbilde der Kunst den Sinn seiner Nation zu Völkerschlachten stählen, bis sie siegte. Wagner verlegt den Schauplatz des Kampfes sogar in jene fernen Jahrhunderte, in denen der Kampf zwischen Christen und Heiden gar gewaltig, aber der von Juden und Occidentalen noch gar nicht vorhanden war. Er nimmt wie der echte Künstler auch nur einzelne Porträtzüge aus der Gegenwart, die sich allerdings dem Wesen jener arabischen Welt, die einst einen Weltkampf mit dem Christenthume führte, nur zu verwandt zeigen, und bewährt überall, daß ihm am allerwenigsten diese Frage eine vergängliche »Zeit- und Streitfrage«, sondern daß sie eine ewige Menschheitsfrage ist, die nur diesmal wieder in einer besonders lebhaften und drängenden Form in das Leben getreten ist. Sein freies Gefühl für das rein Menschliche, wie wir es überall in seinem Schaffen mit so ergreifender Wärme sich bethätigen sahen, das uns die wahren Menschheitsgestalten eines Holländer, Tannhäuser, Lohengrin, Siegfried geschaffen hat, es verleugnet sich auch diesmal nicht, nein diesmal am allerwenigsten: er ahnt die Sehnsucht, die hier waltet, er sieht die Gestalt schon an die Fläche des Daseins emportauchen und will nur echt menschlich antheilnehmend die wahre und volle Lösung zeigen, die keiner der beiden streitenden Seiten das gottgegebene Recht des Daseins versagt.

Klingsor, der Zauberer, Repräsentant alles dessen, was dem heiligen Grale und seinen Rittern feindlich ist, ruft dessen Dienerin Kundry, die seinem Zauber, das heißt eben jenem bösen Moralgesetze, dem der Einzelne nicht zu widerstehen vermag, unterthan ist, vorwurfsvoll zu:

»Pfui! Dort bei dem Rittergesipp,
Wo wie ein Vieh du dich halten läßt!«

Ist damit der germanische Standeshochmuth, der sich »einen Leibjuden hielt«, kernig genug gezeichnet und drückt sich unser eigenes altes Unrecht noch schärfer in seinem Worte aus:

»Möge denn so das ganze Rittergeschlecht
Unter sich selber sich würgen!«

so deckt doch Wagner hier noch tiefer, als schon im »Holländer« mit seinem »fabelhaften Heimweh« geschehen war, einen ganzen Zug und inneren Bestand dessen auf, was sich hier nach Erlösung, nach Menschsein mit Menschen sehnt: Kundry bricht vor dem Anblick des Höheren und wahrhaft Menschenwürdigen, das sie zuerst in ihrem Leben in der Gestalt des aus der Erkenntnis des Wahren wiedergeborenen Parsifal erschaute, in sich zusammen und wirft mit dem einzigen Worte, das sie jetzt noch kennt, mit dem Worte: »Dienen! Dienen!« alle böse Selbstsucht von sich. Hier enthüllt sich erst völlig, wie tief mit all ihrem Fühlen und Sein denn doch bereits jene uns Religions- und Stammesfremden den Ideen, nicht sowohl unseres ebenfalls nur begrenzten Stammeslebens wie denjenigen Ideen dienen, durch die wir aus einer bloßen Nation zu einem weltgeschichtlichen Stück Menschheit geworden sind, das den ewigen Schatz derselben in diesem heiligen Grale als letzten und höchsten Besitz hütet.

Wie wahr ist hier Goethe's Wort von jener Kraft geworden, die »stets das Böse will und doch das Gute schafft!« Kundry ist Botin des gleichen heiligen Grales, gegen den ihr Herr und Meister den tödtlichen Krieg führt: in alle Fernen bringt gerade sie das höhere Stück Cultur, die reinere Menschheitsart, die sie dem Grale und seinem Leben entnimmt. Der Dichter hat denn auch hier, sosehr die besondere Physiognomie Kundry's der eigenen Gegenwartserfahrung entnommen ist, weitaus am meisten die allezeit und aller Orten wiederkehrende Natur des Bösen gezeichnet, die nie durch reines Mit-Leiden mit dem Leid des Anderen über das ewige Leid der Welt wissend werden kann. Klingsor citirt aus dem chaotischen Urgründe der Welt, wo Gutes und Böses noch ungetrennt liegen, den blinden Naturtrieb als jene wunderbare Gestalt der Weltgeschichte, die überall Teufelsdiener und Heilsbotin zugleich sein muß, mit den weitumfassenden Worten:

»Dein Meister ruft dich Namenlose:
Ur-Teufelin! Höllenrose!
Herodias warst du und was noch?
Gundryggia dort, Kundry hier!«

Es ist der weibliche Ahasver, in allen Zeiten und Welten gegenwärtig, für unsere Gegenwart zur greifbaren Gestalt in jenem waltenden Geist des Judenthums gefestet. Aber wie ihre Sündnatur zuletzt an Parsifals Reinheit scheitert und sie ihm demüthig naht, um die Taufe zu empfangen, die jedem im Geiste der reinen Menschheit Gläubigen und Thätigen zu Gebote steht, so verkündigt derselbe, als er Kundry's Verführung widerstanden und dadurch von Klingsor den heiligen Speer des Grales wiedergewonnen hat, die nahende Katastrophe, indem er mit demselben das Zeichen des Kreuzes schwingt, in den Worten:

»Mit diesem Zeichen bann' ich deinen Zauber:
Wie die Wunde er schließe,
Die mit ihm du schlugest, –
In Trauer und Trümmer stürze die trügende Pracht!«

Als im vorigen Jahrhundert der Katholicismus durch die Jesuiten ganz sinnlich äußerlich geworden, der Protestantismus aber orthodox verknöchert oder rationalistisch verwaschen war, thaten sich außerhalb des religiösen Bekenntnisses geheime Gemeinschaften wie die Freimaurerei auf. An ihrem gutgemeinten aber flachen Humanitätsideal nahmen auch jene Volks- und Religionsfremden, die bisher verachteten Juden lebendigen Antheil, und welch »trügende Pracht« haben sie nicht in Literatur und Kunst und allgemeinem Dasein seitdem sich geschaffen! Ein einziges thatsächliches Wiedererstehen jenes Zeichens, in welchem wir Deutsche einzig Weltcultur und Weltbedeutung erlangt haben, hat dies alles »in Trauer und Trümmer gestürzt« und wir hoffen in Wahrheit einer neuen Epoche unseres geistigen wie moralischen Daseins entgegen. War schon aus dem ersten Erwachen eines rein menschlichen Gefühles, wie es uns das Christenthum gebracht hat, im Gegensätze zum Pfaffenthume ein Werk wie die »Zauberflöte«, kindlich naiv aber innig rein und seelenvoll, erstanden, so ertönt als mächtiger Weckeruf zu diesem vollen Wiedererstehen in der Nation Wagners »Parsifal«.

Wir haben also zuletzt an der Dichtung selbst zu ersehen, wie dies geworden, wie dies gemeint.

Nach der Gralssage, die der Meister schon im »Lohengrin« künstlerisch wiedergeboren hatte, war die Schale, aus der Christus beim letzten Abendmahle mit seinen Jüngern getrunken hatte und in der am Kreuze sein Blut aufgefangen worden war, in einem Augenblick der höchsten Bedrängung der wahren Lehre des Christenthumes durch eine Engelschaar ins Abendland gebracht worden, und König Titurel hatte ihr in Nordspanien die Tempelburg Montsalvat gebaut, in welcher Ritter von voller Reinheit der Gesinnung jenen Kelch hüten und selbst von seinen Wunderspenden geistige wie leibliche Labe haben. Nur von Reinen auch ist die verborgene Burg zu finden. Der König führt den heiligen Speer, mit dem die Wunde Christi geschlagen worden, und hält damit das feindliche Heidnische im Bann. Ueber dieses herrscht vom südlichen Abhange des Berges hinab Klingsor, der Zauberer. Ihn hatte nun einst ebenfalls Verzweiflung über die Sünde, »seines ungebändigten Sehnens Pein und der schrecklichsten Triebe Höllendrang« befallen: er hatte sich selbst verstümmelt und war dann Erlösung suchend zum heiligen Grale gegangen. Allein Amfortas, Titurels Sohn, jetzt König des Grales, durchschaute die mangelnde Reinheit der Gesinnung und wies den schlimmen Zauberer, der nur um des äußeren Gewinnes willen nach dem Heile trachtet, streng zurück. Darüber ergrimmt, weiß dieser nun ihn selbst durch die zur höchsten Schönheit verzauberte Kundry mit den Schlingen der Leidenschaft zu umgarnen und gewinnt dadurch Macht über ihn, ihm den Speer zu entreißen und ihn selbst damit zu verwunden. Diese Wunde brennt fort, solange der heilige Speer nicht wiedergewonnen wird. Es gilt also vor allem dieser That, und der Gral selbst hat einst in der höchsten Noth des leidenden Königs verkündigt, es werde ihn wiedergewinnen, wer an äußerer Erkenntnis arm durch reines Mitgefühl mit seinem fürchterlichen Leiden das Leiden der Menschheit erkenne und durch solchen seligen Liebesglauben ihr neue Erlösung bringe. Ein zehrendes Gift war in den Leib der durch das Christenthum erneuten Menschheit gedrungen: nur dadurch, daß in der vollen Unbewußtheit der Unschuld ihr Genius selbst wiedererwachte, war es möglich, das Gift wieder auszuscheiden.

Im Walde der Gralsburg lagert nun im Frühen schlummernd der alte Gurnemanz mit zwei Knappen, es ertönt der feierliche Morgenweckruf des Grales, sie erheben sich zum Gebete und harren dann des kranken Königs, der in dem nahen See ein linderndes Bad nehmen soll. Alle Heilkräuter der Welt haben ihm nicht geholfen. Da stürzt Kundry in dämonisch wilder Erscheinung heran und bietet einen Balsam aus Arabien. Der König wird herbeigetragen, wir erleben seine Klagen. Er dankt Kundry, die aber allen Dank rauh abweist. Den Knappen, die darüber unwillig sind, verweist dies Gurnemanz: sie diene ja dem Gral und ihr Eifer sei die Buße früherer bösen Sünden, mit der sie nun ihnen und sich zugleich helfe. Ja wenn sie zu lange fehle, stehe den Rittern gewiß ein Unheil bevor: sie erhält durch den inneren Gegensatz ihrer Naturart ihnen das Wahre und Gute im deutlichen Bewußtsein und Wollen. Dabei erzählt er ihnen dann, wie Klingsor sich auf der anderen, dem arabischen Heidenlande zugewandten Seite des Gralsberges einen Zaubergarten »mit teuflisch holden Frauen« geschaffen habe, um sie zu bedrängen, indem er die Ritter zu sich verlocke und verderbe. Bei der Befehdung dieses Sündenwesens nun habe der König die Wunde davon getragen und den Speer eingebüßt, den nach der Verkündung des Grales nur »durch Mitleid wissend der reine Thor« wiederzugewinnen vermöge.

Da entsteht plötzlich ein großes Klagen und Jammern, ein wilder Schwan fällt langsam verendend nieder. Knappen führen einen lichten Jüngling herbei, dessen harmlos unschuldsvolles Gebahren unwillkürlich Antheil erregt. An seinen Pfeilen erkennen sie den Mörder des Thieres in dem heiligen Haine, das über dem See kreiste und dem heilbadenden Könige als ein gutes Zeichen erschienen war. Gurnemanz wirft ihm solche böse Schuld vor. Der Schwan ist dem Grale doppelt heilig. Führt er doch auch Lohengrin zur Befreiung der Unschuld daher! »Ich wußte es nicht,« entgegnet Parsifal. Aber die allgemeine Klage rührt sein Herz, er zerbricht Bogen und Pfeile. Ebenso kennt er nicht Herkunft, nicht Vater noch Namen. Nur eines weiß er, er hatte eine Mutter, genannt Herzeleide: »im Wald und auf wilder Aue waren wir heim«. Gurnemanz aber erkennt an seinem Wesen und Gebahren sein edles Geschlecht, und Kundry, die ewig wandernd alles gesehen, alles gehört hat, bestätigt solche Abkunft.

»So war er ein geborener König,
Als Jüngling herrlichst anzuschaun!«

sagt von dem jungen Herakles Chiron zu Faust. Aber weil der Vater im Kampfe erschlagen worden, habe ihn die Mutter waffenfremd in Oeden erzogen, »zum Thoren die – Thörin!« Er selbst berichtet dann, wie er »glänzenden Männern« nachgeeilt und – das Leben der kräftigen Jugendvölker – ein nur dem nächsten Triebe folgendes wildes Thatenleben geführt habe. Gurnemanz macht ihm Vorwürfe, daß er der Mutter entlaufen sei, und als Kundry dann berichtet, daß sie gestorben sei, fährt er ihr wüthend an die Kehle. Es ist das erste Gefühl eines Daseins über sich hinaus, das erste Leidgefühl. Gurnemanz verweist ihm wohl sein erneutes Gewaltwesen, aber er ahnt, der Prophezeiung gedenkend und weil ja Parsifal den dunklen Weg zur Burg gefunden, ein höheres Theil in ihm. Darum spricht er ihm vom Grale, der sie jetzt, nachdem der König das Bad verlassen, zu neuem Dasein speisen werde. Auf geheimnisvollen Pfaden gelangen sie in die Gralsburg, die nur der an Gesinnung Reine findet. Die Ritter sind im hohen Kuppelsaale feierlich versammelt. Hinter dem Ruhebett des Amfortas ertönt wie aus einer Grabesnische Titurels Stimme zur Mahnung, er möge den Gral enthüllen: so mahnen die gestorbenen Genien des Lebens den Lebenden, des Lebens zu warten! Allein Amfortas bricht in herbste Klagen aus, daß er, der Unheiligste, so den heiligsten Dienst thun, eine verunheiligte Zeit das Heilige sehen müsse. Die Ritter aber verweisen ihn auf die verkündigte Erlösung und so beginnt die feierliche Enthüllung zur Spende des letzten Liebesmahles des Erlösers, dessen Kelch dann in leuchtendstem Purpur erstrahlt. Parsifal steht staunend vor dieser Weihe des Menschlichen. Er hat zwar bei dem ergreifendsten Schmerzensrufe des Königs ebenfalls eine heftige Bewegung nach seinem Herzen gemacht. Allein die Qual der Schuld, die solche Leiden schafft, ist ihm noch nicht zum Wissen gekommen. Gurnemanz stößt daher ärgerlich den »Thoren« durch eine schmale Seitenthüre der Tempelhalle wieder »seinem Wege«, seinen wilden Knabenthaten zu: er mußte das Leid der Leidenschaft und die Erlösung aus ihm erst an sich selbst erleben.

Die zweite Handlung führt uns in Klingsors Zauberschloß. Er sieht den Thoren kindisch jauchzend nahen und ruft Kundry auf, die Sündige, die im Todtenschlafe der Geschichte liegt und nur schmerzlich wüthend seinem Anrufe folgt: sie ersehnt sich nicht mehr das Leben, das ewig fällige, sie ersehnt sich als Erlösung den ewigen Schlaf. Sie hat gelacht bei Johannes' blutigem Haupt, gelacht, als den Heiland am Kreuze bluten sie sah, und ist nun verflucht, ewig zu lachen und alles, alles in ihr Begierdennetz zu verstricken. »Wer dir trotzte, löste dich frei,« sagt aber Klingsor, der Vater des Bösen, »versuch's mit dem Knaben!« Der Knabe naht, die Ritter wollen ihm wehren, er überwindet sie, die Verlor'nen, leicht und steht dann siegend auf der Zinne der Burg, kindisch erstaunt in all die ungekannte stumme Pracht da unten hineinschauend. Doch bald belebt sie sich, es kommen die holden Sinnenbezauberinnen in Blumengewändern und jede sucht den schönen Knaben für sich zu gewinnen. Er aber bleibt ihnen, was er ist, ein – Thor. Da ertönt eine Stimme: er steht betroffen, er hörte den Namen, mit dem in längst entschwundenen Zeiten die Mutter ihr Herzblut gerufen, es ist das Einzige, was er »weiß«. Die Schönen verschwinden, die Stimme gewinnt Gestalt, es ist Kundry, aber nicht mehr in abschreckender Wildheit, nein als »leicht verhülltes Weib von höchster Schönheit«. Sie erläutert ihm seinen Namen:

»Dich nannt' ich, thör'ger Reiner, Fal parsi, –
Dich, reinen Thoren, Parsifal

Sie erzählt ihm von seiner Mutter Liebe, von seiner Mutter Tode. Da fällt ihm überwältigend ein, was er, ein taumelnder Thor, seither mit dem Leben begonnen und daß er gar seine Mutter durch Trennungsschmerz getödtet hat, er sinkt innerlichst getroffen zu Füßen des verführerischen Weibes: es ist das erste Seelenleid in seinem Leben. Sie aber benutzt diabolisch fürchterlich diesen ihr nur zu gut bekannten einzigen Weg zu seinem männlichen Herzen, die schmerzliche Sehnsuchtsempfindung nach der Mutter, und bietet ihm den Trost, den Liebe beut: »als Muttersegens letzten Gruß der Liebe ersten Kuß.«

Da fährt er im höchsten Schrecken auf und preßt die Hände gegen das Herz. »Amfortas! Die Wunde, sie brennt in meinem Herzen!« Das Wunder der Erkenntnis ist an ihm geschehen und wandelt ebenso im Augenblick sein ganzes Wesen um: es ist die Wiedergeburt aus der Gnade, wie sie schon das fernste Menschensein als Sinn alles Religiösen erkannt hatte. Jetzt fühlt er das Schauern des sündigen Verlangens, das in unserer Brust brennt, und versteht auch das Mysterium der Erlösung, die er nun selbst an dem unheilvollen Gralskönig zu üben vermag. In seinem tiefsten Innern ertönt des Grales Flehen:

»Erlöse, rette mich
Aus schuldbefleckten Händen!«

Den ganzen Zauber erprobt der böse Dämon der Wollust, aus dem Erstaunen selbst mehr und mehr in Leidenschaft für den Reinen gerathend, noch an ihm, er aber versinkt in immer tieferes Weltsinnen, bis ein zweiter brennend langer Kuß ihn jäh und ganz zu sich erweckt: da sieht er »welthellsichtig« geworden auf den tiefen Grund dieses Daseins voll Schuld und Buße und stößt die Schlange, die Versucherin, heftig von sich. Allein sie wird jetzt selbst von der Leidenschaft übermannt, die einzuflößen sie alle Verführung an dem schuldlos Unbefangenen versucht, und wähnt in ihm den Heiland wiederzusehen, den sie einst verlacht. Sie breitet vor ihm in herzergreifender Wahrheit ihren unlöschbaren Schmerz, ihr ewiges Leid, ihren Jammer voll Lachen des Hohnes, die ganze starrende Leere ihres Elends aus, ob nicht Erbarmen ihn bewege, sie an seinem reinen Busen nur eine Stunde weinen, nur eine Stunde sich ihm vereinen zu lassen. Allein es ertönt ihr furchtbar und vernichtend streng wie die Stimme eines richtenden Gottes entgegen:

»In Ewigkeit wärst du verdammt mit mir
Für eine Stunde Vergessens meiner Sendung!«

Zuletzt noch sucht sie gleich der Schlange des Paradieses mit der Verheißung zu locken, er werde in ihren Armen Gottheit erlangen. Allein er bleibt, der Er ist! Da flucht sie ihm, Amfortas nie zu finden, und weist in wildem Rasen ihm aufs neue die Irre zum Geleit. Klingsor erscheint dann zur äußersten Erprobung seiner Macht mit dem heiligen Speere. Jedoch Parsifals reiner Glaube bannt den falschen Zauber: der Speer bleibt über seinem Haupte schwebend stehen. Kundry ist schreiend zusammengesunken, der Zaubergarten zur Oede geworden. Parsifal ruft:

»Du weißt, wo einzig du mich wiederfindest!«

Die zum ersten Male in ihr aufflammende echte Weibesliebe wird auch diesem öden Herzen den Weg zur ewigen Liebe weisen. Und Parsifal hatte ihr zuletzt das Einzige bezeigt, was er ihr, der Erbarmungswerthen, bezeigen konnte, – Erbarmen! –

Die letzte Handlung führt uns wieder ins Gebiet des heiligen Grales, das Parsifal von da an sehnsuchtsvoll irrend suchte. Gurnemanz, zum hohen Greise gealtert, lebt an einer Waldquelle als Einsiedler. Er hört im Hag ein Stöhnen. »So jammervoll klagt wohl kein Wild!« sagt er, der die klagenden Laute der sündumfangenen Menschenseele kennt. Es ist Kundry, die er ganz erstarrt aus dem Gebüsche trägt, man hatte sie lange, lange nicht gesehen, nicht beachtet, die Fürchterliche, die Wilde. Ihre Wildheit liegt aber jetzt nur noch in der gewohnten Schlangengewandung, sonst hat sie nur jenen einen Laut: »Dienen! Dienen!« Wer den letzten und wirklichen Bestand unseres Daseins nicht erfaßt hat, ist, wo derselbe sich darthut, zum Schweigen verurtheilt. Nur im stummen Thun und Gebahren kann sie die wachsende innere Antheilnahme an den höheren und höchsten Menschendingen bethätigen. Sie geht zur nahen Hütte hinein und macht sich zu schaffen. Als sie mit dem Wasserkruge herauskommt, sieht sie einen Ritter in düsterem Waffenschmucke, gebeugten Hauptes, traurig zögernd herannahen. Gurnemanz begrüßt denselben milde. Doch mahnt er ihn, im geweihten Gebiete und gar am allerheiligsten Charfreitage die Waffen abzulegen. Dabei erkennt er ihn: es ist Parsifal, zum ernstbesonnenen Manne gereift. »Der Irrnis und der Leiden Pfade kam ich,« sagt er, und wird von Gurnemanz, der den heiligen Speer erkennt, sogleich auch als »Herr« begrüßt, da er dem leidenden Gralskönige, dessen Klagen er einst unthätig mitleidend vernommen, jetzt Erlösung zu bringen hoffen darf. Er vernimmt durch den alten Getreuen von dem höchsten Leid und Vergehen der heiligen Ritterschaft: Amfortas hat den lebenerhaltenden Gral ferner nicht enthüllen und lieber sterben wollen, als so schmerzhaft hinzusiechen, und so versiechte auch die Kraft der Ritterschaft. Titurel ist bereits gestorben, ein »Mensch wie andere«, und Gurnemanz hat sich in dieser Waldecke einsam geborgen.

Da bäumt er sich auf vor Schmerz: er, er allein hat alles dies verschuldet; er hat den Weg des letzten Heils so lange nicht erkannt! Jetzt wäscht ihm Kundry die Füße, »um der langen Irrfahrt Staub von ihm zu nehmen«, und Gurnemanz netzt ihm das Haupt, er soll denselben zum Grale geleiten, den Amfortas noch heute zur Heiligung des todten Titurel enthüllen will. Kundry salbt ihm darauf die Füße, Gurnemanz das Haupt, damit er noch heute als König gegrüßt werde, und er selbst übt sein erstes Heilamt, indem er aus dem geweihten Quell des Waldes Kundry tauft, die jetzt zum ersten Male wieder zu weinen vermag. Dadurch erscheint selbst Flur und Aue wie mit heiligem Thau beträuft: auch die Natur feiert nach alter Vorstellung am Charfreitage die Erlösung mit, die der Mensch durch Christi Liebesopfer gewann, das des Verlornen Reuethränen in Fried und Freude wandelt.

In der Gralsburg begehen die Ritter Titurels Begräbnis. Amfortas, der in seinen Leiden als einzige Gnade den Tod für sich ersehnt, geräth, als ihn die Ritter drängen, den Gral, der nur Leben spendet, zu enthüllen, in die wüthendste Verzweiflungsqual, sodaß alles scheu vor ihm zurückweicht. Da im äußersten Augenblicke erscheint Parsifal und berührt die Wunde mit dem Speere, der einzig sie zu schließen vermöge. Er preist Amfortas' Leiden, das ihm, dem zagen Thoren, »des Mitleids höchste Kraft und reinsten Wissens Macht« gegeben, und tritt in des Königs Amt ein. Der Gral erglüht, Titurel erhebt sich segnend im Sarge, aus der Kuppel schwingt sich eine weiße Taube auf Parsifals Haupt herab, dieser schwingt den Gral, Kundry sinkt mit dem Blicke gegen ihn entseelt zu Boden, Amfortas und Gurnemanz aber huldigen ihm als König und ein Chor aus der Höhe singt:

»Höchsten Heiles Wunder:
Erlösung dem Erlöser!«

Der heilige Gral, des Heilands Sinnbild, ist endlich aus schuldbefleckten Händen gerettet, wiedererlöst.

Dies der karge Aufriß des ebenso gewaltigen wie tiefsinnigen dramatischen Vorganges in des Künstlers letztem Werke!

Man erkennt leicht, Gestalten wie Vorgänge sind nur ein Gleichnis, verkörperte Ideen und Entwicklungsperioden der Menschheit, ja die auseinandergelegten Seiten und Kräfte der menschlichen Natur selbst. Es ist die innere Weltgeschichte, die sich ewig wiederholt und die Menschheit sich stets neu wiedergebären läßt. Der reine Genius der Nation und der Zeit erhebt sich aus dumpfem Irren aufs neue zu seinem wahren Wesen, sein Speer heilt die Wunde, die er in der Hand des Andern, Fremden, Bösen uns schlug, er ist der König, dem alle, selbst die Erstorbenen und die Ersterbenden, zu neuer Heilsthat huldigen.

Nächst der Religion selbst war es ja vor allem die Kunst, welche der Menschheit die aus jener entstammenden Ideale stets zu erneutem Bewußtsein brachte, und hier begiebt sie sich sogar unmittelbar in den Dienst der göttlichen Wahrheit. Den herrschenden Gewalten ward der Speer entwunden, der ihre Herrschaft über die Geister bedeutet, und schweres geistiges Leid und Verkümmern hat es nach sich gezogen, daß wir fast auf allen Gebieten des Lebens unter die Gewalt des frivol mit dem Höchsten Spielenden geriethen. Die dem reinsten Genius der Menschheit entstammende Kunst erscheint jetzt vor allem berufen, den Speer wiederzugewinnen und die fressende Wunde zu heilen. Die Religion ist ja zu streitenden Confessionen, die Wissenschaft zu eifersüchtigen »Spezialfächern« zerstückt. Die Kirche versagt im Kampfe gegen die bösen Mächte hüben wie drüben, und die »Geister« besitzt sie lange nicht mehr. Der stets einseitiger werdende Studiumsbetrieb macht gegen solche höchste ethischen Fragen nur gleichgiltig. Einzig die Kunst hat sich aufs neue fest in sich zusammengeschlossen, – wir sahen es an dem Bilde dieses einen mächtigen Künstlers, mit welcher schmerzlichen Gewalt, mit welchem Stürmen, Sehnen und Hoffen, mit welchem unzerstörbar treuen Gefühle für sein Volk, – sie überwältigt denn auch alles, was noch rein menschliches Gefühl in sich lebendig birgt. Sollte sie wenigstens bei den Gebildeten zur lebendigen Erneuung des Bewußtseins von dem Höchsten berufen sein, zu dem wir befähigt, in dessen schlummerndem Besitze wir sind? Die ewige Wahrheit wählt stets ihre eigenen Mittel und Wege, dem Menschen aufs neue sich zu offenbaren: »des Herren Wege sind wunderbar«. Sie denkt nur an das Erreichen ihres Zieles. Denn ihr liegt einzig unser stets aufs neue irrend leidendes Geschlecht am Herzen. Wir hörten ja von unbefangen Fühlenden, daß dieser »Parsifal« ihnen wie ein anderer Gottesdienst vorgekommen und das Festspielhaus nicht entfernt mehr ein Theater gewesen sei, daß vielmehr alle bösen Dämonen aus diesem Raume verbannt und alle guten in ihn hineingebannt erschienen.

Wäre dem so und dürften wir auch nach dieser Seite hin für die Zukunft hoffen, die so schmerzlich harte Prüfung eines langen, langen Künstlerlebens, die auch diesem Genius »des Mitleids höchste Kraft und Wissens reinste Macht« gegeben, wäre mit reichstem Segen, mit dem Uebermaß der Erfüllung der eigenen Hoffnungen gesegnet und das sehnlichst erkämpfte Ziel zu seinem wie zu unserem Heile erreicht. Ebenso bleibt die Reihe der reinmenschlichen Gestalten, die er aus dem dunklen Nichts hervorgerufen, dieser Holländer, Tannhäuser, Lohengrin, Siegfried, Tristan auch die Reihe der Führer, die uns zu diesem letzten Ziele geleiten.

Wie dem aber auch sei und was die Zukunft in ihrem Schooße berge, dieser »Parsifal« ist ein Weckeruf an die Nation, wie ihn Keiner zuvor größer gethan hat, und konnte und durfte auch nur geschehen von einer Kunst aus, die das ungemischteste Erzeugnis jener Cultur ist, welche aus dem Christenthume stammt, ja ein Erzeugnis des religiösen Empfindens der Menschheit selbst. Wenn unser Meister von Beethovens hoher Kunst gesagt, sie habe den Menschengeist aus tiefer Schmach erlöst, so hat nach ihm kein Künstler diesen letzten und reinsten Geist unserer Nation, sowie er aus dem Christenthume gefestet und geheiligt worden ist, reiner und sicherer dargestellt, als derjenige, der schon in frühen Jahren bekannte, er könne den Geist der Musik nicht anders fassen als in der Liebe! Er bereitet uns in ihm eine neue Periode der Entwicklung, die uns tiefer zu uns selbst und dem reinen Menschenthume führen soll und in diesem als einem Höheren und Allumfassenden vielleicht auch die Kraft gewährt, jedes Falsche und Fremdgeartete, das in unser Dasein eingedrungen ist, zu überwinden und mit zum Bewußtsein des wahren Zweckes und Zieles des Lebens emporzuheben.

Richard Wagner, so fassen wir das Resultat unserer Darstellung zusammen, hat, wie kein anderer Zeitgenosse, seinem deutschen Volke im Gebiete des geistigen Lebens den ihm eigenen Sinn für das Große und das Tiefe, für das Reine und das Erhabene, mit einem Worte für das Ideale wiedererweckt. Mögen wir Nachkommenden durch dessen Bethätigung im Leben dankbar dieser großen That entgegnen! Dann braucht der Lohengrin, der das Weib suchte, das an ihn glaubte, nicht mehr in seine öde Einsamkeit zurückzukehren, sondern ist seines Sehnens nach Vereinigung mit dem Herzen seines Volkes für immer erlöst. Auch bei ihm, dem Genius, der durch ein langes Leben »der Irrnis und der Leiden Pfade kam«, gilt dann wie bei jedem, der sein Dasein in Liebe für das Ganze lebt, das Wort: » Erlösung dem Erlöser

 

Ende.

 


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