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4. Die Verbannung.

(1850–1861)

 

»Das Land der Griechen mit der Seele suchend!«

Goethe.

 

Der erste Eindruck nach der jähen Wendung seines Geschickes sollte gerade in Wagners eigener Welt als von guter Vorbedeutung erscheinen. »Was ich fühlte, als ich diese Musik erfand, fühlte er, als er sic aufführte; was ich sagen wollte, als ich sie niederschrieb, sagte er, als er sie ertönen ließ,« erzählt ja er selbst von der Tannhäuser-Probe unter der Leitung Liszts in Weimar, wohin er auf wenige Tage, um dieses »seltensten aller Freunde« willen, gegangen war, der bereits aus freien Stücken »Rienzi« und »Tannhäuser« in der kleinen thüringischen Residenz, der die Wartburg zugehört, ebenfalls gegeben hatte.

Wagner mußte zwar jählings, als Fuhrmann eines großen Frachtwagens verkleidet durch den Park kutschirend fliehen, und obendrein stand ihm als Rettungsort einzig Paris da, das er denn auch sogleich nach dem ersten Wiedererkennen seiner ekelhaften Gestalt wie ein nächtliches Gespenst floh. Ja er sollte, um durch einen möglichen Erfolg als Operncomponist dort seiner völlig mittellosen Subsistenz aufzuhelfen, nochmals dorthin zurückkehren, um dann für immer zu ersehen, daß diese »moderne Babel«, von der aus Andere mit ihren Kunstsurrogaten die Welt erobert hatten, das gerade Gegentheil von dem war, was er für sein Schaffen suchte und brauchte. Allein er selbst ruft über jenes Weimar aus: »Wunderbar! Durch dieses seltensten aller Freunde Liebe gewann ich in dem Augenblicke, da ich heimatlos wurde, die langersehnte, überall am falschen Orte gesuchte, nie gefundene wirkliche Heimat für meine Kunst. Als ich zum Schweifen in der Ferne verwiesen wurde, zog sich der Weitgeschweifte an einen kleinen Ort dauernd zurück, um diesen mir zur Heimat zu schaffen.« Liszt hatte die Virtuosenlaufbahn völlig aufgegeben und wirkte zunächst als großherzoglicher Hofcapellmeister in Weimar. Schon in der »gräßlichen Pariser Vergangenheit« hatte Wagner ihn kennen gelernt, aber noch wenig verstanden. Liszt aber ging wie ein älterer Bruder seinen Spuren liebend nach und zog den verkannten Genius an sein großes Herz. »Ueberall und immer sorgend für mich, stets schnell und entscheidend helfend wo Hilfe nöthig war, mit weitgeöffnetem Herzen für jeden meiner Wünsche, mit hingebendster Liebe für mein ganzes Wesen ward Liszt mir das, was ich nie zuvor gefunden hatte, und zwar in einem Maße, dessen Fülle wir nur dann begreifen, wenn es in seiner vollen Ausdehnung uns wirklich umschließt!«

Zunächst hatte er sich nun in den frischen Schweizerbergen zu einem schriftstellerischen Proteste gegen die augenblicklichen Besieger der Revolution gesammelt, insofern sie sich als Beschützer der Kunst ausgaben. Seine Schrift »Die Kunst und die Revolution« deckte den Zusammenhang derselben mit dem ganzen wirren politisch-socialen Zustande der Zeit aus und wies für das, was beute unter diesem Titel zur Speculation auf das »Publikum« sich anlasse, den Namen Kunst energisch zurück. »Das Kunstwerk der Zukunft« war eine längere Schrift, die den tödtlichen Einfluß jener modernen Art auf die Kunst selbst und die egoistische Zerstückelung derselben in die herrschenden Einzelkünste darthat, das zukünftige Kunstwerk aber in die erneute Zusammenfassung aller menschlichen Kunstfähigkeiten setzte. Ans dieser mißverstandenen Behauptung ging das Wort »Zukunftsmusik« hervor, das von einem verdorbenen Professor L. Bischoff in Cöln erfunden, bald von der gedankenlosen Menge überall nachgeplappert wurde. Hatte die erste Schrift die Regierungen, die bis dahin nur ihren Sondervortheil kannten, angegriffen, so erbitterte die mißverstandene zweite auch die gesammten Künstler gegen ihn. Am meisten aber regte er die geborenen Erbfeinde unserer Kunst und Cultur gegen sich auf, als er in demselben Jahre l850 unter dein Namen »Freigedank« über das »Judenthum in der Musik« schrieb. »Was die Heroen der Künste dem kunstfeindlichen Dämon zweier unseliger Jahrtausende mit unerhörter und verzehrender Anstrengung abrangen, setzt heute der Jude in Kunstwaarenwechsel um. Wer sieht es den manierlichen Kunststückchen an, daß sie mit dem heiligen Nothschweiße des Genies zweier Jahrtausende geleimt sind?« ruft er im schmerzlichsten Aufbäumen seines Innern von diesen hohlen Nachbetern der Zeit aus, die Concertsaal und Bühne beherrschten, und die Legion ihrer Nachbeter wurden wahrlich seine Freunde nicht. Die Presse aber beherrschten sie. Darum kennen selbst heute noch seine so unerhört bedeutsamen Schriften nur seine »Freunde«.

Zugleich aber dichtete er den Stoff »Wiland der Schmied« aus. Er sollte eben von Paris aus seinem deutschen Volke zeigen, wie die höchste Noth sich selbst die Flügel schmiedet, nur der Knechtschaft zu entrinnen und die holde Freiheit und ewige Jugendart wiederzugewinnen. In dem eigenen Zwange des Fremden, in dem er jetzt arbeiten mußte und der ihn an Leib und Seele krank machte, fiel dann eines Tages sein Blick auf die Partitur des »Lohengrin«. Zwei Worte an Liszt und die Antwort war die umfassendste Vorbereitung zur Aufführung. Diese selbst fand am 28. August 1850 statt. Es war ein neuer Protest der That gegen eine falsche Kunstwelt, und im Jahre 1870 rief, als das Volk in Waffen gegen unseren äußeren Erbfeind hell gewappnet dastand, alles erstaunt einander zu: »Lohengrin!« Man dürfe kühn behaupten, daß diese Wahl zur Feier von Goethe's Geburtstag seiner würdig gewesen sei: Wagner, so gut Dichter wie Musiker, habe seinem Werke die ganze Anziehungskraft und Schönheit der Tragödie verliehen, sowohl durch Sprache und Versbau wie durch den genialen Aufriß der dramatischen Verwicklung. Das Werk stehe als ein höchst wichtiges Ereignis in der Geschichte der deutschen Musik da, so ergriff der Freund mit der gleichen hinreißenden Beredtsamkeit, die seine Kunst hat, für den Freund auch die Feder.

Dieser selbst aber stellte nun zunächst 1851 in dem Buche »Oper und Drama« den Gegenstand seiner künstlerischen Revolution umfassend dar. Die bisherige Oper sei nicht einmal der Keim, wie viel weniger die Vollendung des von ihm erstrebten Kunstwerkes. Im Gegentheil müsse das bisherige Verfahren völlig umgekehrt und die Musik zum letzten und höchsten Ausdrucksmittel eines wirklich dichterischen Vorganges gemacht werden, nicht aber die Hauptsache sein, der sich sogar Wort und Situation unterthan mache. Hier legte er alle seine künstlerischen Erfahrungen zu Grunde und glaubte sich sagen zu dürfen, wer ihn jetzt nicht verstehe, verstehe ihn nur nicht, weil er nicht – wolle. Man lese darüber die »Allgemeine Musikgeschichte« nach. Den wahren Freunden seiner Bestrebung aber schenkte er dann im Herbst jenes Jahres noch jene »Mittheilung«, die zugleich den ganzen Menschen in ihm enthüllt und eine Seelenbiographie sondern Gleichen ist.

Auf welches weithin sichtbar hohe Ziel aber dieses sein Streben ging, sagt uns das endlich wiederaufgenommene Schaffen des Künstlers. Edelste und treuste Liebe hatte ihm in der Dependance der reichen Handelsherrnfamilie Wesendonck in Zürich eine freundliche Stätte der Ruhe bereitet. Die Aufführung des »Lohengrin« war ihm ein Aufruf zu neuen Thaten: er nahm die Nibelungendichtung wieder auf und wir haben jetzt zunächst zu sehen, was diese für unseren Nationalgeist und damit die höheren Zwecke der Kunst und der Nation bedeutet.

»Den ersten Eindruck empfängt der Mensch von der ihn umgebenden Natur und keine Wirkung darin ist ihm so mächtig wie die des Lichtes,« so beginnt er darüber in den »Wibelungen« von 1850. »Der Tag, die Sonne erscheint ihm als die Bedingung alles Seins. Dank und Anbetung wird ihm gezollt im Gegensatz zu der grauenerregenden dunklen Nacht. So aber wird das Licht Grund alles Daseins, Vater, Gott. Das Hervorbrechen des Tages erscheint als Sieg des Lichtes und naturgemäß bricht daraus zuletzt ein sittliches Unterscheiden hervor. Dieser Natureindruck ist die Grundlage aller Gottesempfindung, deren Scheidung in die einzelnen Religionen aus dem Charakter der verschiedenen Volksstämme geschah. Die Stammessage der Franken als des vornehmsten Typus der Germanen hat nun den Vorzug, sich fort und fort aus solchem Uranfange zum geschichtlichen Leben entwickelt zu haben. Sie zeigt uns in fernster Weite ebenfalls den individuellen Lichtgott, wie er das Ungethüm der chaotischen Urnacht erlegt: Siegfrieds Kampf mit dem Drachen!

»Wie nun aber weiter doch der Tag wieder der Nacht, der Sommer dem Winter erliegt, so ist auch Siegfried endlich wieder erlegt worden: der Gott wird sterblicher Mensch. Und wie er gefällt ist, erfüllt er das menschliche Gemüth mit höherer Theilnahme, ja er erregt als das Opfer einer uns beglückenden That das sittliche Gefühl der Rache an dem Mörder, das Verlangen nach Erneuerung seiner That. Der uralte Kampf der Natur wird also von uns selbst fortgesetzt und sein Erfolg ist der Wechsel der Weltperioden im Menschengeschlechte, welches von Leben zu Tode, von Freude zu Leid sich fortbewegt und so in steter Verjüngung das Wesen des Menschen wie der Natur sich thatvoll zum Bewußtsein bringt. Der Inbegriff dieser ewigen Bewegung, des thatvollen Lebens selbst aber fand endlich im Wotan (Zeus), als dem Lichtvater, seine persönliche Gestaltung. Und war derselbe so waltender Vater selbst der übrigen Götter, so ist er doch nur einem erhöhten Bewußtsein des Menschen von sich selbst entsprungen, der Lichtgott Siegfried selbst aber dem Menschen natürlich und sozusagen persönlich angeboren.

»Der wichtigste Theil dieser fränkischen Stammessage ist nun der Hort, den Siegfried gewinnt, er hat ihr sein Eigengesicht gegenüber dem Urmythus gegeben. Die Skandinaven nämlich haben ein Nifelheim als Aufenthalt der Schwarzalben im Gegensatz zu den Lichtalben (Asen) aufbewahrt Diese Niflungar, Kinder der Nacht und des Todes, durchwühlen die innere Erde, finden ihre todten Schätze und beleben sie zu neuem Dasein, indem sie Waffen und Schmuck daraus schmieden. Diese Nibelungen, die sich übrigens auch bei dem Siegfried-Achill als Myrmidonen wiederfinden, sind nun mit ihrem Horte bei den Franken zu sittlicher Bedeutung ausgebildet. Als Siegfried den Nibelungendrachen erschlug, gewann er dessen Schatz. Der Besitz dieses Hortes, der seine Macht ins Unendliche steigert, da er nun den Nibelungen gebietet, ist aber auch der Grund seines Todes. Denn ihn wiederzugewinnen, strebt der Erbe des Drachen, er erlegt ihn tückisch wie die Nacht den Tag und zieht ihn in das finstre Reich des Todes: Siegfried wird somit Nibelung! Durch den Gewinn des Hortes dem Tode geweiht, strebt dennoch jedes neue Geschlecht unabwendbar nach ihm. Denn in dem Hort beruht der Inbegriff der irdischen Macht: er ist die Erde mit all ihrer Herrlichkeit selbst, wie wir sie beim Anbruch des Tages als unser sonniges Eigenthum erkennen, nachdem die Nacht verjagt worden, die ihre Drachenflügel gespenstisch grauenhaft über die reichen Schätze der Welt ausgebreitet hatte.

»Der Hort selbst endlich, das besondere Werk der Nibelungen, sind die metallenen Eingeweide der Erde, die uns die Erde selbst zu nutzen verhelfen, dann aber Waffen, Herrscherreif und goldene Schätze, die Mittel der Herrschaft und deren Wahrzeichen. Der Gottheld Siegfried, der ihn zuerst gewann und so Nibelung ward, hinterließ seinem Geschlechte den Anspruch auf den Hort: den Gefallenen zu rächen und den Hort wiederzugewinnen macht die Seele des ganzen Geschlechtes aus, an ihm ist es in Geschichte wie in Sage stets wiederzuerkennen, dieses Geschlecht der Nibelungen-Franken.«

Dem entsprechend sitzt der edelste Held der »Wibelungen«, wie dann später alliterirend mit »Welfen« gesagt wurde, der Hohenstaufe Friedrich Barbarossa als Herrscher in dem Berge, den Wotans Raben umkreisen. Ja vielleicht waren schon in der indogermanischen Heimat die Franken der herrschende Stamm, und jedenfalls haben sie, sobald sie in die Geschichte eintraten, die Herrschaft der Welt beansprucht. Dieses Dranges mußte sich Karl der Große bewußt sein, als er die alten Stammeslieder sammelte, die den Stammesglauben enthielten. Aus ihn gründete Napoleon seinen Anspruch auf das Reich des Charlesmagne. Ja sollten die Hohenzollern ohne Ahnung solcher urgermanischen Erinnerung gewesen sein, als sie trachteten, ihren alten Stammessitz im Hohenstaufen-Lande wiederzugewinnen?

Soweit die innere Verbindung der Nibelungensage mit unserer Geschichte. Allein nicht die äußere Herrschaft ist das letzte Ziel eines wahren Culturvolkes. Wie sich dies schon als Bewußtsein unserer Vorfahren darin andeutet, daß sie dem »Hort« zum Grale, die sinnliche Herrschaft zur geistigen machten! Wagner selbst aber hatte mit dieser Deutung des Nibelungenmythos sich die höhere und ewige Weltwahrheit eingestanden, daß dieses Leben durch und durch tragisch ist und der Wille, der eine Welt nach seinem Wunsche bilden wollte, endlich zu nichts Befriedigenderem gelangen kann, als durch einen würdigen Untergang sich selbst zu brechen. Und diese letzte Wahrheit, die sich schon dem ältesten Orient klargemacht hatte, als er Jakob im Traume durch den Herrn selbst den Eigenwillen brechen ließ, zieht sich als tiefe Ahnung durch den germanischen Mythus und ließ die Deutschen zuletzt nicht blos den aus solcher Grundlage erblühten höheren Glauben annehmen, der sie in ihrer ungestümen Thatkraft einzig der Geschichte erhielt, sondern diese christliche Wahrheit selbst erst auf tiefere Weise ausbilden. Sie hatten schon in ihren Mythen angedeutet, daß denn doch der Besitz dieser Welt nicht das allein Erstrebenswerthe sei. Sie haben den Weltenbrand Muspilli, die Götterdämmerung. Und dieses Siegen über die Welt durch Ueberwindung seiner selbst ist es denn auch, was Wagner als letzte Ausdeutung unseres nationalen Mythus giebt. Seine Brünnhilde sagt, als sie das Letzte, was sie noch an die Erde fesselt, ihr eigenes Leben dem geliebten Todten, Siegfried, spendend dem Scheiterhaufen zuschreitet:

»Verging wie ein Hauch der Götter Geschlecht,
Lass' ohne Walter die Welt ich zurück.
Meines heiligsten Wissens Hort weis' ich der Welt nun zu:
Nicht Gut, nicht Gold, noch göttliche Pracht,
Nicht Haus, nicht Hof, noch herrischer Prunk,
Nicht trüber Verträge trügender Bund,
Noch heuchelnder Sitte hartes Gesetz, –
Selig in Lust und Leid laßt die – Liebe nur sein.«

Dies war der »Ring des Nibelungen«, den Wagner aus tausend Keimen und Ansätzen unserer gemeinsamen germanischen Stammessage, nicht aus dem blos uns Deutschen eigenen und ungleich enger begrenzen Nibelungenliede sich und uns gewann. Ans »Siegfrieds Tod«, jetzt »Die Götterdämmerung«, erschloß sich ihm Siegfrieds Schwertschmiedung, Drachenkampf und Brautgewinnung, und das tiefere Eindringen in den Stoff nöthigte ihn auch noch in der »Walküre« Brünnhilde's Schuld und Strafe uns vorzuführen und dem Ganzen im »Rheingold« das psychologische Fundament zu geben. So stand es ihm schon 1851 fest, und im Jahre 1853 wurde die Dichtung, für die er die einzig entsprechende Form an der wellenden Quelle selbst, den Stabreim der Edda gewonnen hatte, zunächst den »Freunden«, dann 1863 der Welt übergeben. Fortan galt ihm kein anderes Trachten, als dieses erste allumfassende deutsche Nationaldrama auch zur That in der wirklichen Aufführung als eines eigenen Festspieles fern von dem gewöhnlichen Theater zu machen. Zwanzig Jahre fast liegen zwischen dieser und dem dämmernden Beginn der Sache. Aber was wiegt die Zeit, wenn Großes und Größtes geschehen soll?

Das nächstfolgende Jahrzehnt in Wagners Leben ist wohl äußerlich ziemlich wechselnd, innerlich aber unwandelbar auf das eine stets deutlicher erkannte Ziel gerichtet, und jeder Anlaß wird benutzt, es zu erzeigen, zu erreichen. Spontinis' Tod giebt Gelegenheit zu einem Nachrufe: »Verneigen wir uns tief vor dem Grabe des Schöpfers der Vestalin, des Cortez und der Olympia!« schließt derselbe. Die bescheidenen Musikverhältnisse Zürichs, woselbst er sich dauernd niedergelassen hatte, weil er hier stets persönlich freundlicheres Entgegenkommen fand, sucht er durch Oper und Concert zu heben, wozu ihm eine besondere Anregung bot, daß sich aus Deutschland Schüler bei ihm meldeten: als bedeutendster Hans von Bülow, der in Weimar bei Liszt gewesen war und sich zugleich am »Lohengrin« begeistert hatte. Wagner überwindet sich dabei, jene selben Opern Meyerbeers und Anderer zu dirigiren, die sein »Lohengrin« für immer unmöglich machen sollte, – zur Aufführung seiner eigenen Werke reichten die Kräfte nicht aus. »Wir sind Aeltere und Jüngere. Denke der Aeltere nicht an sich, sondern liebe er den Jüngeren um des Vermächtnisses willen, das er zu neuer Nahrung in sein Herz senkt, – es kommt der Tag, au dem dasselbe zum Heile der menschlichen Brüder aller Welt eröffnet werden wird!« schließt sein »Oper und Drama«. Trost und Ersatz ward ihm dafür durch Aufführung der Symphonien Beethovens, von denen er zwei mit einem eigenen Programm versah. Aber wenigstens das wahre Ziel der Sache wollte er selbst seiner gastlichen kleinen Stadt zeigen und verfaßte eine Schrift »Ein Theater in Zürich«: wie bei den Griechen sollte aus der Bürgerschaft selbst die Herstellung und Aufführung des Ganzen geschehen, – aufs neue ein Beweis seiner lebendigen Ueberzeugung von der hohen Culturaufgabe der Bühne in unserer Zeit! Ja sogar Vorlesungen hielt er über die dramatische Musik und trug dann unter tiefstem Eindrücke die Dichtung von »Siegfrieds Tod« vor.

Bald darauf erschien der höchst bemerkenswerthe »Brief an F. Liszt über die Goethestiftung«, der in dem kräftig selbstbewußten Worte gipfelt, daß vor dem mit dem Musiker vereinten Dichter sowohl Maler wie Bildhauer jede Concurrenz ablehnen und in ehrerbietiger Scheu vor einem Kunstwerke sich verneigen würden, gegen das ihnen ihre Werke nur als leblose Bruchstücke der Kunst erscheinen würden. Man solle daher diesem Kunstwerke selbst eine würdige Stätte bereiten, nicht die Einzelkünste unterstützen, die sich an diesem selbst aufs neue beleben und erheben würden. Wir erfahren es heute, daß auch die bildenden Künste neue Schwingen entfalten, – Liszt und Wagner haben die ganze Epoche künstlerisch neu beflügelt: ihre eigenen Büsten hat Meister Zumbusch in Wien uns geschaffen. Das Gleiche rief er der musikalischen Kritik zu, und jetzt beginnen mit der allmählichen Verbreitung zuerst des »Tannhäuser« und bald auch des »Lohengrin« jene endlos scheinenden Fehden, in denen sich aber zugleich manch jüngere Kraft stählt: wir nennen Uhlig, R. Pohl, P. Cornelius, Raff, Ambros. Ebenso vermochten diese praktischen Aufführungen, sowenig sie künstlerisch ein Ganzes darstellten, jene Talente zu wecken und zu bilden, deren Wagner selbst sich zum Theil später noch zu seinen höheren Zwecken bedienen konnte: Milde und Frau, Ander, Schnorr, Formes, Niemann, Beck. Wagners Nichte Johanna besaß seine Darstellungsart schon aus der Dresdener Ueberlieferung. Er selbst versucht durch eine besondere Schrift über die Aufführungsart des Tannhäuser dieselbe aus der Verbannung heraus bei den Künstlern einzubürgern, man bleibt ihm aber noch taub oder feind. Um so mehr vertieft er sich selbst in seine Nibelungendichtung, die Errettung aus äußerer Vereinsamung seinem guten Genius überlassend. Doch wurde ihm auch diese zur Wonne, wenn er nach W. von Eschenbachs »Parzival«, der ursprünglich auch die Leiden und Thaten des mythischen Sonnenhelden darstellt und ihm schon seit 1845 bekannt, damals näher trat, die unschuldsvolle Waldeinsamkeit zu schildern unternahm, in der sein junger Siegfried aufwuchs, und daran alle Wunderfähigkeit der Natur, vor allem die innere Zuversicht gewann, in der der Mensch »das Fürchten verlernt.«

Ein Ausblick ins Lichte gegenüber dem Zweifel der Freunde an seinem »ungeheuerlichen Unternehmen«, von dem die Kunde doch nicht ganz im Walde verhallen konnte, war es denn, daß die deutschen Künstler, die er im Frühjahr 1853 zu einer »Wagnerwoche« nach Zürich einlud, bereitwillig dem Ruf entgegneten und Stücke jener vollendeten Werke mit einer Wirkung aufführten, daß »der liebenswürdige Meister bis zur Hälfte seines Körpers in Blumen begraben stand«. Für die Ouvertüre zum »Holländer« und die Lohengrin-Einleitung verfaßte er ebenfalls eine erläuternde Einführung. Im Herbst desselben Jahres war er in Italien und fand, schlaflos in einem Gasthofe von La Speccia ausgestreckt, zuerst jene »plastischen Naturmotive«, die sich im Verlaufe der Nibelungentrilogie in immer individuellerer Entwickelung zu den Trägern der Leidenschaften und der in ihr sich aussprechenden Charaktere gestalten. Sofort kehrte er in die trübselige Heimatsfremde zurück, um an die Ausführung seines übergroßen Werkes zu gehen, das ihn fortan für Jahre nicht mehr los ließ. Ein Besuch Liszts im Oktober führte ihn auch in Beethovens letzte Sonaten so tief ein, daß ihm jetzt erst diese Sprache völlig zu der seinen wurde. »Rheingold« und »Walküre«' waren dann bald beendet.

Sein Ruhm wuchs derweilen stetig. Er empfing eine Einladung für die Concerte der Philharmonischen Gesellschaft in London, für welche einst Beethoven die Neunte Symphonie geschrieben und die Zehnte entworfen hatte, die nach seinen Skizzen die innerlich von jedem großen Dichtergeiste ersehnte Einigung des tragischen Geistes der Griechen mit dem religiösen der modernen Welt hergestellt zeigen sollte: Wagners eigenes höchstes Ziel, im »Nibelungenring« berührt, im »Parsifal« erreicht! Die Engländer waren damals noch entfernter als die Deutschen, von seinen Bestrebungen Verständnis gewinnen zu können, und der jüdische Geist ihrer Kirche machte ihnen den »Judenverfolger« geradezu verdächtig. Ebenso bereitete die »rnenschliche« Vortragsweise, die der dort vergötterte Mendelssohn als Tradition hinterlassen hatte, ihm anfänglich Schwierigkeiten. Allein seine zähe Energie siegte überall, wo es der Kunst galt, und das letzte der acht Concerte, in dem die Cdur-Symphonie Mozarts und die Achte Beethovens nebst der Tannhäuser-Ouvertüre wiederholt werden mußten, brachte ihm durch einen wahren Beifallssturm Entschädigung für die unwürdigen Verleumdungen der Blätter, besonders der Times. Gleichwohl war er erst mehr als zwanzig Jahre später zu bewegen, wieder nach London zu geben. Die Einladungen nach Amerika aber lehnte er sogleich ab.

Seine künstlerische Erregung war damals eine hochgehende. Es seien ihm zwei neue Stoffe aufgetaucht, deren er sich während dieser Nibelungenarbeit kaum erwehren könne, bemerkte er im Herbst 1856 einem deutschen Verehrer: einer war der »Tristan«, der ihm schon innerhalb der Walkürencomposition aus Gottfrieds glänzendem Epos erstanden war, der andere vermuthlich der » Parsifal«, dessen Charfreitagszauber sogar schon ins Jahr 1852 fallen soll. Im Oktober besuchte ihn abermals Liszt und hörte am Clavier die »Walküre«. Eine Musikzeitung in Leipzig wagte jetzt schon von einer That zu sprechen, die bald die ganze musikalische Welt bewegen werde. Mit welcher sprühenden Heiterkeit er aber auch damals den »Siegfried« mit seinein Schmiedeliede aufführte, bezeugt uns der »Brief über Liszts Symphonische Dichtungen«, der im nächsten Frühjahre 1857 erschien.

Zufall und innerer Drang führten dann aber zunächst zur Vollendung von » Tristan und Isolde«.

Die Hoffnungslosigkeit des Erfolgs seines Schaffens fiel manchmal lähmend über ihn. »Wenn ich so eine Partitur nach der anderen vor mir niederlegte, um sie selbst nie wieder aufzuschlagen, kam ich mir selbst vor wie ein Nachtwandler, der von seinem Thun kein Bewußtsein hat,« erzählt er. Und doch mußte er diesen »hellen Tag« der deutschen Oper, den er mit den Nibelungen fliehen wollte, suchen, um nur selbst nicht ganz aus dem warmen Lebensgefühle in seiner Kunst zu kommen. Er gedachte also den ungleich einfacheren Tristanstoff den Grenzen der üblichen Vorstellungen anzupassen. Sonderbarer Weise traf ihn damals der Antrag zur Composition einer Oper für die vortreffliche italienische Truppe in Rio Janeiro. Er dachte dagegen an Straßburg, und nur der Besuch Eduard Devrients im Sommer 1857 brachte ihn auf die Absicht, das Werk für Karlsruhe zu bestimmen, wo Großherzog Friedrich und seine Gemahlin Prinzessin Luise von Preußen ein stets lebhafteres Interesse für die Kunst bethätigten und ein vorzüglicher Sänger weilte, von dem ihm schon Tichatschek persönlich berichtet hatte: jener Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der denn auch der erste Tristansänger werden sollte.

Tristan gehört, wie Siegfried und Parzival, in den Kreis der Sonnenhelden der uralten Sage. Auch er steht unter dem Zwange der Täuschung und muß die eigene Braut dem Freunde zuführen, um dann in Erkennung seiner Noth freiwillig zu vergehen. So blieb hier Wagner in seiner Dichtungssphäre. Aber während beim Siegfried der große Weltzusammenhang des Nibelungenmythos festgehalten werden mußte und nur der jähe Untergang des Helden durch die Rache des Weibes erfaßt werden konnte, das mit ihm todesmuthig sich selbst opfert, liegt der Hauptstoff des Tristan in der Liebesqual, welcher die beiden Liebenden, nachdem sie durch den Liebestrank über ihr Verhältnis aufgeklärt worden, zum Tode verfallen sind: Tod durch Liebesnoth. Was im Siegfried ein Augenblick entscheidender Heftigkeit ist, wird dort zu einem unendlich mannigfaltigen psychologischen Vorgange, in den Wagner sogar das ganze tragische Wesen unseres Daseins hineingewebt hat, das ihn damals der große Philosoph Schopenhauer als eine »Wohlthat« hatte kennen lehren. In dieser Aehnlichkeit und Verschiedenheit zugleich aber lag für ihn ein besonderer Reiz, den Stoff gerade jetzt auszuführen: er ist eine Ergänzung des Nibelungenstoffes, der ja ein ganzes Weltverhältnis umfaßt.

Wunderbar sicher war es dabei, wie er das Mittel findet, die todbahnende Erkenntnis der beiden Liebenden vor unseren Augen erstehen zu lassen. Tristan hat im Auftrage seines Oheims König Marke die soldpflichtigen Iren bekriegt und im Kampfe Held Morold besiegt. Von dessen Geliebter Isolde nach der Verwundung zuerst unerkannt aufgenommen, ist er während der Verpflegung erkannt worden: ein Blick in seine Augen hat ihr Wesen völlig ihm zugewendet. Aber er, nichts davon ahnend, freit nachher das schöne Weib dem »müden König« und führt sie selbst ihm zu. Innerlich verwundet dadurch wie durch den Tod ihres einstigen Geliebten sinnt sie, die Tristan doch nicht mehr gewinnen kann, auf seinen Tod und bietet ihm noch auf dem Schiffe den Becher der Vergeltung für den erschlagenen Morold. Heimlich vertauscht aber Brangäne den Trank und beide, die sich den Tod zu trinken wähnten, in dem alle Liebe verginge, werden sich in diesem gewähnten letzten Lebensaugenblicke erst ganz ihres Lebens Leben, ihrer Liebe bewußt und gestehen einander das, wovon sie doch nicht lassen könnten. Nicht der Trank an sich also, sondern die Gewißheit sich den Tod zu trinken, löst ihren Zwang: der Trank bedeutet nur den Augenblick des Bewußtwerdens und Gestehens. Aber ebenso wenig können sie jetzt, nach Entdeckung ihrer Liebe durch König Marke, leben. Tristan rafft sich vom Lager empor, auf das eine Verwundung durch des Königs »Freund« ihn geworfen hat, und empfängt mit freiwillig aufgerissener Wunde die herbeieilende »Aerztin«, die nun auf ewig im Tode sich mit ihm vereinigt.

Bei der Composition des Werkes, die in Hoffnung baldiger Aufführung mit großer Raschheit vor sich ging und mit der er sogar wenigstens die vorübergehende Rückkehr ins Vaterland zu gewinnen gedachte, bemächtigte sich seiner das herrliche Wohlgefühl der vollkommenen Unbedenklichkeit. Mit voller Zuversicht konnte er sich hier in die Tiefen der Seelenvorgänge, die ja auch das letzte Ziel der Musik sind, versenken und gestaltete zaglos aus diesem innersten Centrum der Welt auch die äußere Form des Werkes. Hier mochte man den strengsten Maßstab anlegen! Ja er ward bei der Ausführung inne, daß er sein System noch überflügele. Der tiefsinnige zweite Akt ward in Venedig entworfen, wo er den Winter 1858/59 seiner Gesundheit wegen zubringen mußte. Dann siedelte er nach Luzern über.

Derweilen aber waren wieder neue Hoffnungsstrahlen aus der Heimat in seine Einsamkeit gedrungen. Außer Karlsruhe schienen Wien und Weimar jetzt gesteigerte Antheilnahme zu gewinnen. Ihn selbst aber sehnte es stets tiefer, auch in dem lebendigen Ertönen seiner Kunst neu zu erwärmen – »es graut mir davor, noch länger der vielleicht einzige Deutsche bleiben zu sollen, der meinen Lohengrin nicht gehört hat,« schrieb er 1859 an H. Berlioz, – und er bat den Großherzog von Baden um seine Vermittlung, widrigenfalls er nach Paris gehen müsse. Der Großherzog that alle möglichen Schritte, sie scheiterten, wie er selbst erzählt, an dem hartnäckigen Widerstande des Königs von Sachsen und wohl mehr noch an der Abneigung des unseligen Ministers von Benst, der als dilettirender »Selbstcomponist« von dem Dichtercomponisten wenig hielt. So ging Wagner denn im Herbst 1859 abermals nach dem ihm so verhaßten Paris, wo er wenigstens dann und wann gute Instrumentalmusik hören konnte.

Er fand in Paris einzelne wahrhaft ergebene Freunde seiner Kunst wie seiner Person, die ihm wenigstens ein Stück Heimat in der Fremde verhießen, Villot, Champfleury, Baudelaire, den jungen Arzt Gasperini und Liszts Schwiegersohn Ollivier. Die Presse dagegen begann sofort ihr gehässiges und unreines Treiben gegen den »musikalischen Marat«. Wagner antwortete durch die That: er gab durch eingeladene deutsche Sänger drei Concerte mit Stücken seiner Werke. Es erschien die ganze feine Gesellschaft von Paris und der Beifall war besonders nach dem Brautchor des »Lohengrin« einmüthig. Die Kritik aber blieb ohne Verständnis für die Sache und gehässig. Da gab, angeregt durch Mitglieder der deutschen Gesandtschaft, besonders der jungen Fürstin Metternich, für Wagner überraschend genug Kaiser Napoleon den Befehl, den »Tannhäuser« im großen Opernhause aufzuführen. Es mußte eine seltsame Mischung von Freude und Besorgnis sein, was den Künstler dabei erfüllte: er sollte von Frankreich aus sein Vaterland erst völlig erobern, aber an einer Stelle, die der »großen Oper« gehörte und alle die unkünstlerischen Eigenschaften hegte, die sein Schaffen unmöglich machen wollte! Doch die Heimat war ihm verschlossen, er ging also mit dem gewohnten Ernste auch an diese Arbeit, und als sollte es eine Belohnung seiner Treue sein: während dieser Einstudirung kam endlich die langersehnte Amnestirung, jedoch mit Ausnahme Sachsens!

Noch in demselben Sommer 1860 benutzte er die neugewonnene Freiheit zu einem Ausfluge an den Rhein, dann ging es zurück an die Proben. Die Heldengestalt Niemanns war für die Titelrolle gewonnen. Um das Publikum aufzuklären, schrieb er unterdessen, den landläufigen Witz bestens aufnehmend, den Brief über die »Zukunftsmusik«, der als Vorwort zu einer Uebersetzung seiner vier vollendeten Dichtwerke außer dem Nibelungenring erschien und in bewundernswerther Schärfe den Nerv seines ganzen Wollens und Thuns aufdeckt. Die Presse war dagegen ihrerseits mit allen erdenklichen Mitteln thätig, Paris von vornherein gegen das Werk einzunehmen. Dazu kam, daß Wagner sich nicht entschließen mochte, der dortigen Gewohnheit huldigend im zweiten Akte das Ballet anzubringen, zu dem der Jockeyclub erschien, der aus der höchsten Gesellschaft bestand. Er hat nur die Scene im Venusberg reicher und schwungvoller ausgestaltet. So fanden sich denn die Presse und jener Club, die schlechten semitischen und die unverständigen gallischen Elemente, jene leider gar aus unserem Deutschland stammend, zusammen, um bei der Aufführung im Frühjahr 1861 das Werk zu Falle zu bringen. Nie hat die Kunstgeschichte etwas Unwürdigeres gesehen: die Herren vom Jockeyclub wußten trotz allen Protestes der Zuschauer durch Jagdpfeifen die Vorstellungen unmöglich zu machen und die Presse erklärte dieses Schicksal des Werkes für gerecht! Wagner zog dasselbe daher nach der dritten Vorstellung zurück und lud sich dadurch obendrein eine große Entschädigungssumme auf, unter deren Abzahlung er noch Jahre lang zu leiden hatte. Gleichwohl hatte ihm persönlich dieses Erlebnis ein Gefühl der freudigen Erhebung gewährt. Denn es brachte ihn die innere Bewegung der Sache, wie er selbst sagt, »in sehr bedeutende Beziehungen zu dem achtungswerthesten und liebenswürdigsten Elemente des französischen Geistes« und er konnte erkennen, daß sein Ideal als ein rein menschliches allüberall Bekenner finde. Die Aufführung selbst hatte ihm nicht behagen können. »Möge alles Ungenügende derselben unter dem Staube jener drei Schlachtabende gnädig verdeckt bleiben!« schrieb er kurz darauf nach Deutschland.

Er ersah also aufs neue, daß zunächst nur in der Heimat auch die Stätte der würdigen Ausführung seiner Kunst sei, und ein Besuch in der damaligen deutschen Kaiserstadt überzeugte ihn bei einer Lohengrin-Aufführung durch stürmischen Enthusiasmus, daß man fühle, welcher Schimpf dem deutschen Geiste soeben angethan worden war. Man wollte in diesem Wien wie in Karlsruhe denn auch den »Tristan« haben, allein es blieb beim Wollen. Auch auf einer Tonkünstlerversammlung, die unter Liszts Aegide im August 1861 in Weimar stattfand, konnte Wagner erfahren, daß der bessere Theil der deutschen Künstler sich bereits merklich zu ihm bekehrt hatte. Diese Erfahrungen nun in Verbindung mit der Hoffnung, in einem heiteren Stoffe aus dem deutschen Leben sich auch der heimischen Bühne endgiltig zu bemächtigen und mit seinem so unsäglich geliebten deutschen Volke von Herz zu Herzen zu reden und ihm ins Bewußtsein zu rufen, daß selbst sein natürliches Tagesleben von dem Geiste des Idealen durchleuchtet sein müsse, ließen ihm denn damals auch seine »Meistersinger von Nürnberg« Wiedererstehen, und eben hier im fremden Paris dichtete er im Winter auf 1862 mm das Preislied von deutschem Leben und deutscher Knust, das so entzückend auf alle wirklich deutschen Herzen wirkt. Es war das Letzte, was er in der Fremde schuf, und er machte sich damit gewissermaßen von den trüben Erinnerungen der mehr als zehn Jahre dauernden Verbannung frei, um jetzt wahrhaft »heil und heiter« wieder vor seiner Nation zu erscheinen. Denn daß dieses endlich auch völlig geschehen müsse, stand als letzter Hoffnungsstern vor ihm. »Auf die Plejaden gerichtet und auf Bootäs!« strich sich ja auch Beethoven in der Odyssee an.

Wir schließen daher dieses Kapitel der Verbannung und ihrer verzweiflungsvollen Nöthe mit dem Ausblick in eine heitere Zukunft, indem wir den Textentwurf jenes Werkes mittheilen, wie er ihn schon 1845 geschaffen hatte.

»Ich faßte Hans Sachs als die letzte Erscheinung des künstlerischen Volksgeistes auf,« so sagt er, »und stellte ihn der meistersingerlichen Spießbürgerschaft entgegen, deren durchaus drolligem Pedantismus ich in der Figur des ›Merkers‹ einen ganz persönlichen Ausdruck gab. Dieser Merker war der bestellte Aufpasser, der auf die Fehler der Vortragenden, namentlich der neu Aufzunehmenden merken mußte: wem so eine gewisse Anzahl von Strichen zuertheilt war, der hatte ›versungen‹ und ›verthan‹. Der Aelteste der Zunft bot nun die Hand seiner jungen Tochter demjenigen Meister an, der bei dem öffentlichen Wettsingen den Preis gewinnen werde. Dem Merker, der bereits um das Mädchen freit, ersteht ein Nebenbuhler in der Person eines jungen Ritters, der von dem alten Heldenbuche und den Minnesängern begeistert sein verfallenes Ahnenschloß verläßt, um in Nürnberg die Meistersingerkunst zu erlernen. Er meldet sich zur Aufnahme, hierzu namentlich durch eine schnell entflammte Liebe zu dem Preismädchen bestimmt, das ja nur ein ›Meister‹« gewinnen kann. Zur Prüfung bestellt singt er ein begeistertes Lied, das aber bei dem Merker unaufhörlichen Anstoß erregt, sodaß er schon mit der Hälfte des Liedes ›versungen‹ hat. Sachs, dem der junge Ritter gefällt, vereitelt dann in guter Absicht für ihn den verzweiflungsvollen Versuch, das Mädchen zu entführen. Hierbei findet er aber zugleich Gelegenheit, den Merker entsetzlich zu ärgern. Dieser nämlich, der Sachs zuvor wegen eines immer noch nicht fertigen Paares Schuhe mit der Absicht ihn zu demüthigen grob angelassen hatte, stellt sich in der Nacht vor dem Fenster des Mädchens auf, um ihr sein Lied als Ständchen zur Probe vorzusingen, da es ihm darum zu thun ist, sich ihre bei der Preissprechung entscheidende Stimme zu sichern. Sachs, dessen Werkstatt dem besungenen Hause gegenüber liegt, fängt beim Beginne des Merkers ebenfalls laut zu singen an, weil ihm, wie er dem darüber Erbosten erklärt, dies nöthig sei, wenn er so spät sich noch zur Arbeit wach erhalten wolle: daß diese aber dränge, wisse niemand besser als er, der ihn so hart gemahnt habe. Endlich verspricht er dem Unglücklichen einzuhalten, nur solle er ihm gestatten, die Fehler, die er nach seinem Gefühle in dem Liede finden werde, auch auf seine Art anzumerken, nämlich jedesmal mit einem Hammerschlage auf den Schuh überm Leisten. Der Merker singt, Sachs klopft wiederholt stark auf den Leisten, wüthend springt der Merker auf, aber jener frägt ihn gelassen, ob er mit seinem Liede fertig sei. ›Noch lange nicht!‹ schreit dieser. Sachs hält nun lachend seine Schuhe hin und erklärt, sie seien just von den Merkerzeichen fertig geworden. Mit dem Reste des Gesanges, den er in Verzweiflung ohne Absatz herausschreit, fällt er vor der heftig kopfschüttelnden Frauengestalt am Fenster jämmerlich durch und erntet noch die Prügel der aufgeweckten Lehrbuben und Gesellen. Trostlos fordert er am anderen Tage ein Lied von Sachs selbst. Dieser reicht ihm ein Gedicht des jungen Ritters, von dem er vorgiebt, nicht zu wissen, woher es ihm gekommen. Nur ermahnt er ihn, genau auf eine ›Weise‹ zu achten, nach der es gesungen werden müsse. Der eitle Merker aber hält sich hierin für vollkommen sicher und singt nun vor dem öffentlichen Meister- und Volksgerichte das Gedicht nach einer völlig entstellenden Weise ab, sodaß er abermals und diesmal entscheidend durchfällt. Wüthend wirft er dem Sachs, der ihm ein schändliches Gedicht aufgehängt habe, Betrug vor. Dieser erklärt, das Gedicht sei durchaus gut, nur müsse es nach der entsprechenden Weise gesungen werden. Es wird festgesetzt, wer die Weise wisse, solle Sieger sein. Der junge Ritter leistet dies und gewinnt die Braut. Den Eintritt in die Zunft verschmäht er aber. Da vertheidigt Hans Sachs die Meistersingerschaft mit Humor und schließt in dem Reime:

Zerging' das heil'ge römische Reich in Dunst,
Uns bliebe doch die heil'ge deutsche Kunst!

Wenig Jahre darauf entstand das deutsche Reich zu neuem Glanz und Segen, und noch ein Lustrum, so hatten wir mit dem Erstehen von »Bayreuth« die deutsche Kunst.


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