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1. Die erste Jugendzeit.

(1813–1831)

Es wird den Freunden dieser Musiker-Biographien zur Genugthuung gereichen, daß dieselben jetzt auch ins Englische, Französische, Italienische, Holländische, Dänische und Russische übersetzt werden.

 

»Ich beschloß Musiker zu werden.«

Wagner.

 

Richard Wilhelm Wagner ist am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren. Sein Vater leitete damals die Polizeiverwaltung, die durch die endlosen Truppenbewegungen der französischen Kriege von besonderer Bedeutung war. Derselbe erlag denn auch bald darauf der Epidemie, welche unter den durchziehenden Armeen ausgebrochen war. Die Mutter, eine Frau von feinerem geistigen Wesen, heirathete darauf den hochbegabten Schauspieler Ludwig Geyer, welcher ein vertrauter Freund des Hauses gewesen war, und zog mit ihm nach Dresden, wo er am Hoftheater angestellt und sehr angesehen war. Hier hat denn Wagner seine Kindheit und erste Jugend verlebt. Neben der großen patriotischen Erhebung waren künstlerische Eindrücke das erste, was ihn tiefer anregte. Schon der Vater hatte an den theatralischen Liebhabereien des damaligen Leipzig regen Antheil genommen und jetzt gehörte die Familie ja ganz der praktischen Kunst an. Ein Bruder Albert und die Schwester Rosalie gingen später zum Theater über, und zwei andere Schwestern pflegten eifrig des Klavierspieles. Richard selbst befriedigte die kinderhafte Neigung zum Komödiespielen nur auf dem Zimmer und sein Klavierspiel beschränkte sich auf das Nachklimpern von Melodien, die ihm ins Ohr gefallen waren. So hörte ihn der Vater in der Krankheit, die auch ihn bald darauf befiel, das Liedchen »Ueb' immer Treu und Redlichkeit« und den damals ganz neuen »Jungfernkranz« aus dem Freischütz spielen und der Knabe wieder hörte ihn ganz leise die Mutter fragen: »Sollte er vielleicht Talent zur Musik haben?« Er hatte ihn früher zum Maler bestimmt, da er selbst ein ebenso guter Porträtmaler wie Schauspieler war. Jetzt starb er, ehe der Knabe sieben Jahre alt war, und hinterließ demselben nur die Mittheilung der Mutter, er habe etwas aus ihm machen wollen. Wagner erinnerte sich bei der ersten Skizzirung seines Lebens, die er im Jahre 1842 schrieb, daß er auf diesen Ausspruch des Vaters sich lange etwas eingebildet habe, und jedenfalls war es ihm ein Antrieb zum Höheren.

Seine Neigung ging aber zunächst nicht auf die Kunst, er wollte vielmehr studiren und kam so auf die berühmte Kreuzschule. Musik ward nur so nebenbei betrieben. Zwar ein Hauslehrer mußte ihm auch Klavierstunden geben, allein wie beim Zeichnen widerte ihn hier das Erlernen des Technischen bald an und er zog vor, nach dem Gehöre zu spielen, wobei er sich die Ouvertüre zum Freischütz einstudirte. Der Lehrer hörte dies und meinte, es werde nichts aus ihm werden. Fingersatz und Läufe erlernte er dabei freilich nicht, aber eine aus der eigensten Empfindung stammende Betonung, wie sie kaum je ein Künstler besessen hat. Die Ouvertüre zur Zauberflöte lernte er schon damals lieben, der Don Juan dagegen blieb ihm noch unzugänglich.

Allein alles dies war nur große Nebensache. Griechisch, Lateinisch, Mythologie und alte Geschichte fesselten den regen Geist des Knaben und zwar so sehr, daß sein Lehrer ihm mit Ernst das Studium der Philologie zuwies. Wie er die Musik nachspielte, versuchte er jetzt die Dichtung nachzuahmen. Ein Gedicht auf einen gestorbenen Mitschüler erhielt sogar den Preis, jedoch mußte viel Schwulst daraus entfernt werden. Der Ueberschwang der Phantasie und Empfindung kündigte sich auch hier in früher Jugend an. Nun wollte er, elf Jahre alt, Dichter werden! Ein sächsischer Poet Apel bildete die griechischen Trauerspiele nach, warum sollte nicht er dasselbe können? Die ersten zwölf Bücher der Odyssee hatte er schon übersetzt und Romeo's Monolog sogar metrisch nachgebildet, nachdem er, blos um Shakespeare genau kennen zu lernen, für sich auch Englisch erlernt hatte. So beherrschte er früh die Sprache, die »für uns dichtet und denkt«, und Shakespeare blieb sein nächstes Vorbild. Ein großes Trauerspiel, ungefähr aus Hamlet und Lear zusammengesetzt, ward jetzt entworfen, und wenn darin allein zweiundvierzig Menschen starben und er sich wegen Mangels an Personen am Schlusse genöthigt sah, deren Geister wiederkommen zu lassen, so erkennen wir auch hier nur das Uebermaß der angeborenen Kraft.

Ein Gutes hatte dieser ungeheuerliche Dichtungsversuch: er führte ihn zur Musik, und an ihrem dämonischen Ernste lernte er selbst erst den Ernst der Kunst begreifen, die ihm im Gegensatz zu seiner Wissenschaft bis dahin noch so wenig als ernst galt, daß ihm unter andern: der Don Juan wegen seines italienischen Textes läppisch und das »geschminkte Komödiantenthum« widerlich erschienen war. Er hatte in der gleichen Zeit den Freischütz kennen gelernt und wenn er Weber an ihrem Hause vorbeigehen sah, betrachtete er ihn stets mit heiliger Scheu. Die Weisen, die seinem Jugendempfinden schon durch die patriotische Erregung jener ersten Tage unseres wiedererstehenden Vaterlandes nahe standen, bezauberten ihn und erfüllten ihn mit schwärmerischem Ernste. »Nicht Kaiser und nicht König, aber so dastehen und dirigiren!« rief es in ihm, als er Weber mit seinem Freischütz die Gemüther an jene Melodien bannen sah. Jetzt kam er mit der Familie nach Leipzig zurück. Hatte er über seinem großen Trauerspiel, das ihn volle zwei Jahre beschäftigte, die Studien versäumt? Man versetzte ihn auf der Nicolaischule nach Tertia zurück und er verlor darüber alle Freude am Lernen. Dazu trat jetzt zum ersten Male auch der volle Geist der Musik in seinen Anschauungskreis: er hörte in den Gewandhausconcerten Beethovens Symphonien. »Ihr Eindruck auf mich war allgewaltig«, sagt er von dieser tiefen Seelenerfahrung seines 15. Lebensjahres, die um so eindringlicher war, als er vernahm, daß der große Meister das Jahr zuvor in der traurigsten Weltabgeschiedenheit gestorben sei. »Ich weiß nicht, wozu man mich eigentlich bestimmt hatte,« läßt er noch nach Jahren in seiner Novelle »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven« einen jungen Musiker sagen, »nur entsinne ich mich, daß ich eines Abends eine Beethovensche Symphonie hörte, daß ich darauf Fieber bekam, krank wurde, und als ich wieder genesen, Musiker geworden war.«

In der Schule war er faul und lüderlich geworden, nur sein Trauerspiel lag ihm noch am Herzen, aber dieser Beethoven bestimmte ihn jetzt auch leidenschaftlich zur Musik. Ja das Anhören der Egmont-Musik begeisterte ihn so, daß er um alles in der Welt sein Trauerspiel nicht anders als mit einer solchen Musik »vom Stapel laufen lassen« wollte. Sie zu schreiben traute er sich ohne Bedenken zu, hielt es aber doch für gut, sich zuvor über einige Regeln dieser Kunst aufzuklären. Um dies im Fluge zu thun, lieh er sich auf acht Tage eine leichtfaßliche Generalbaßlehre. Das Studium trug wohl nicht so schnelle Früchte wie er gehofft, aber die Schwierigkeiten reizten seinen lebhaften und energischen Geist. »Ich beschloß Musiker zu werden«, erzählt er.

So hatten sich seines Innern in früher Jugend zwei mächtige Gewalten unseres modernen Daseins bemächtigt, die allgemeine Geistesbildung und die Musik. Es siegte zunächst die letztere, aber in der Form, die jene ebenfalls einschließt, in der Darstellung einer poetischen Idee, wie sie zuerst völlig Beethovens Symphonie zum Ausdruck gebracht hatte. Hören wir also, wie diese etwas eigenmächtig wollende Art den stürmischen jungen Geist auf die eigentliche Bahn seiner Entwicklung gebracht hat.

Derweilen war sein »großes Trauerspiel« von der Familie entdeckt worden. Sie gerieth in große Betrübnis, weil damit die Vernachlässigung der Schulstudien ans Licht kam. Daß er sich bereits zur Musik innerlich berufen fühlte, verschwieg er unter solchen Umstanden freilich, blieb aber heimlich den Compositionsversuchen treu. Bezeichnenderweise ließ ihn dabei niemals der dichterische Nachahmungstrieb los, ordnete sich jedoch dem musikalischen unter, ja ward nur zur Befriedigung des letzteren herbeigezogen, so sehr beherrschte ihn noch das Besondere der Musikcomposition. Beethovens Pastoralsymphonie zum Beispiel bestimmte ihn einmal zu einem Schäferspiele, das in seiner dramatischen Anlage wieder durch Goethe's Singspiel »Die Laune des Verliebten« angeregt war, und er schrieb dabei Musik und Verse zugleich, so daß die Handlung und die Situationen ganz aus dem Musik- und Versemachen hervorgingen. Ebenso aber reizten ihn die vorhandenen Formen der Musik zur Nachahmung, es entstanden damals auch eine Sonate, ein Streichquartett und eine Arie.

Diese Werke mögen wohl der Formbildung nach ohne Tadel, werden aber ebenso ohne eigenartigen Gehalt gewesen sein. Sein Geist war noch in anderen Dingen umfangen als in dem wirklichen Poesiewesen der Musik. Gleichwohl glaubte er sich unter dem Schutze solcher Leistungen auch bei der Familie als Musiker melden zu können. Doch nahm diese solche Compositionsversuche um so mehr nur als eine flüchtige Leidenschaft wie andere, als er ja nicht einmal ein Instrument in genügender Weise spielte, um sich auch als praktischen Musiker sicher und fest zu bethätigen. Dazu trat jetzt eine seltsame Gährung und Verwirrung in den jungen Sinn, der schon so mancherlei Bedeutendes und fast alles zu gleicher Zeit in sich aufgenommen hatte. Die damals herrschenden Romantiker, besonders der mystische Th. A. Hofsmann, der selbst Dichter und Musiker zugleich war und neben den schönsten poetischen Auslegungen der Werke Glucks, Mozarts, Beethovens die ausschweifendsten Phantasien über Musik geschrieben hat, wirrten ihm die poetischen Ideen und die musikalischen Ausdrucksmittel in der tollsten Weise durcheinander. Es war für den kaum sechzehnjährigen Jüngling Gefahr um den gesunden Verstand zu kommen. »Am Tage, im Halbschlafe, hatte ich Visionen, in denen mir Grundton, Terz und Quinte leibhaftig erschienen und mir ihre wichtige Bedeutung offenbarten; was ich darüber aufschrieb, starrte von Unsinn,« sagt er selbst.

Da war es denn hohe Zeit, daß Setzung der gährenden Elemente und Klärung eintrat. In der That wurde ihm jetzt diese musikalische Sprache, deren Halbverständnis ihn zu solchen Gesichten und Phantasien brachte, auf ihren wahren Bestand, auf ihre gegebenen Gesetze und Regeln zurückgeführt. Ein tüchtiger Musiker, der spätere Altenburger Organist Müller, ließ ihm die seltsamen Gestalten und Gewalten seiner überreizten Einbildung zu einfachen musikalischen Intervallen und Accorden verschweben und brachte so eine feste Grundlage der Erkenntnis auch in diese musikalischen Begeisterungen und Phantasien. Doch war der Unterricht noch im Praktischen erfolglos. Der junge Brausekopf und Schwärmer blieb in diesem Studium unordentlich und nachlässig. Seine geistige Anschauung und Erregung ging schon zu weit, um sich leicht auf das ruhige Erlernen einer trockenen Technik zurückbannen zu lassen, und war doch noch nicht eigenartig mächtig genug, um zu solcher notwendigen Aneignung der Mittel auch in der Kunst sich selbst zusammenzufassen.

Eine der großen Ouvertüren für Orchester, die er, statt erst die Musik als selbstständige Sprache zu erlernen, damals zu schreiben vorzog, nennt er selbst den »Culminationspunkt seiner Unsinnigkeiten«. Und doch war etwas in dieser Composition in Bdur, was bei ihrer Aufführung im Leipziger Gewandhause einem ausgebildeten Musiker wie dem späteren Berliner Oberhofcapellmeister Heinrich Dorn, seinem damaligen Freunde, Achtung abnöthigte: es war dies dasjenige, was Wagner von sich und seiner geistigen Bildung her auch in der Musik suchte und gab, die poetische Idee, die einer Composition den sicheren Wurf eines innerlich und organisch Gestalteten giebt. So konnte er den jungen Autor, dessen Werk allerdings von Seiten des Publikums statt günstiger Aufnahme Unwillen und Heiterkeit gefunden hatte, aufrichtig mit der Zukunft trösten.

Zunächst versetzte auch ihn die hereinbrechende französische Julirevolution von 1830 in die größte Erregung und er wollte sogar eine politische Ouvertüre schreiben. Ebenso lenkten die phantastischen Ausschweifungen der Universität, die er derweilen beschritten hatte, um sich durch das Studium allgemein geistiger Fächer allseitig für den Beruf als Musiker auszubilden, seinen Sinn noch eine Weile von dem Ernste desselben ab. Dann aber ließ ihn zu seinem und der Kunst Heile die Vorsehung einen Mann finden, der seinem nach solchem Sturme um so heftiger erwachenden Drange nach Ordnung und Regel in seinem Musikstudium ebenso ernst wie freundlich entgegenkam: Theodor Weinlig, seit 1823 Cantor der Leipziger Thomasschule, also im Geist und Können des großen Sebastian Bach aufgewachsen. Dieser besaß die Eigenschaft des guten Lehrers, gleichsam spielend in die Geheimnisse seiner Sache einzuführen. In weniger als einem Jahre wußte der junge Studiosus die schwierigsten Aufgaben des Contrapunktes mit Sicherheit und Leichtigkeit zu lösen und ward als zur wirklichen Selbstständigkeit in seiner Kunst erzogen von seinem Lehrer entlassen. »Frau Charlotte Weinlig, der Witwe seines unvergeßlichen Lehrers«, lautet denn auch die Widmung seines »Liebesmales der Apostel«, der einzigen oratorienmäßigen Arbeit, die Wagner geschaffen hat. Aus jener Zeit rühren auch eine Sonate und eine Polonaise her, die fern jedem Schwulst einfach natürlichen musikalischen Satz haben. Mehr aber gilt es uns, daß Wagner damals auch Mozart innig erkennen und lieben lernte, es war dies die Bahn, auf welcher er später über Beethoven hinaus den mächtigen Leipziger Cantor finden sollte, der durch seine Kunst die Tiefen unseres wahren Lebens ebenso für immer erschlossen wie geheiligt hat.

Zunächst war es jetzt Beethoven, dessen Kunst sich ihm auf der sicheren Grundlage eigenen Könnens auch sicher erschloß und der ihn dann völlig zum Komponisten machte. »Ich zweifle, daß es zu irgend welcher Zeit einen jungen Tonsetzer gegeben hat, der mit Beethovens Werken vertrauter gewesen wäre, als der damals achtzehnjährige Wagner«, sagt H. Dorn von jener Zeit. Und er selbst erzählt in seinem »Deutschen Musiker in Paris«: »Ich kannte keine Lust mehr, als mich so ganz in die Tiefe dieses Genius zu versenken, bis ich mir einbildete, ein Theil desselben geworden zu sein.« Er schrieb sich des Meisters Ouvertüren ab und ebenso die Neunte Symphonie, die ihn ebenso in tobendes Schluchzen wie in höchste Schwärmerei versetzte. Ebenso erkannte er jetzt völlig Mozart, zumal die Jupitersymphonie. »Er hat den vaterländischen Geist mit seiner Reinheit des Gefühls und Keuschheit der Eingebung als das heilige Erbtheil betrachtet, mit dem der Deutsche, wo er auch sei und in welcher Sprache er auch rede, gewiß ist, die angestammte Größe und Hoheit zu bewahren«, urtheilt er wenig Jahre später in Paris über Mozart. »Klarheit und Kraft war mein Bestreben,« sagt er von dieser Jugendepoche, und eine Ouvertüre und eine Symphonie bekundeten bald, daß er die Vorbilder wirklich erfaßt hatte. Zwanzig Jahre eigener Fruchtbarkeit in dieser hohen Schule der Kunst und er sollte auch deren eigenes letztes Vorbild, den großen Sebastian Bach, innig erkennen lernen und auf diesem tiefsten Grunde der Musik das erhabene Gebäude einer deutschen Kunst errichten, die unseren Geist in all seinen Fähigkeiten und Idealen umfaßt und uns endlich auch ein vollständiges Nationaldrama begründet hat.

Die Schulung war vorüber: jetzt geschah, mit nichts bewaffnet als mit seinem Wollen und Können, kühnen und sicheren Schwunges der Sprung ins Leben. Wollen und Können sollten sich an seinen Kämpfen und Leiden ebenso erproben wie stählen. Mit den ersten dauernden Eroberungen derselben finden wir ihn wieder.


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