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5. München.

(1862–1868)

 

»So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter
Des großen Vaters, endlich zu mit nieder!«

Goethe.

 

Zunächst hielt einerseits die Noth des Daseins, andrerseits das natürliche Bestreben, sich und seinen neuen Schöpfungen einen Boden zu bereiten, Wagner in dem Zwange mit Stücken derselben Concerte zu geben. Es geschah dies mit unzweifelhaftem Erfolge bei den unbefangenen Zuhörern in Wien, Prag, Petersburg und Moskau. Der russische Aufenthalt hatte ihm dabei eine bedeutende Summe eingebracht und er kehrte zu dauerndem Aufenthalte nach Wien zurück, um die Aufführung des »Tristan« abzuwarten. Allein derselbe mußte wegen physischer Unfähigkeit Ander's endlich ganz zurückgelegt werden. Auch fühlte Wagner wohl, daß sowohl Verständnis wie guter Wille für die Sache fehlte: sogar die Isolde-Dustmann glaubte im Grunde nicht daran. »Aufrichtig gesagt, ich hatte es satt und dachte nicht mehr daran,« erzählt er selbst.

Derweilen hatte er aber die Nibelungendichtung zum öffentlichen Druck gegeben und schrieb im April 1863 das berühmte Vorwort, das zur Erfüllung seiner Wünsche der letzte Anstoß werden sollte. Er hatte mit Semper den Bau eines Theaters festgestellt, welches nach der griechischen Anlage das Ganze der Zuhörerschaft auf den einen Punkt der Ausführung richten sollte, also amphitheatralisch war und das gegenseitige Begaffen der Leute unmöglich oder doch zur Nebensache machte, und in dem nach einer oft erstandenen Vorstellung von der tieferen Wirkung der Musik, wenn sie unsichtbar erschalle, das Orchester so tief gelegt war, daß kein Zuschauer die lächerlichen Bewegungen der Ausführenden sah und zugleich ein vollständigerer Zusammenklang der so verschiedenartigen Instrumente stattfand. In einem solchen nur dem Kunstwerke, nicht dem Augengenuß geweihten Raume sollte die Vorführung als »Bühnenfestspiel« vor sich gehen. Vermöchten wohl kunstliebende Männer und Frauen die Mittel dazu zusammenzubringen? Oder gäbe es wohl einen Fürsten, der dazu nur aufwendete, was ihm die Unterhaltung seines mangelhaften Operntheaters für einen kurzen Zeitraum koste? »Im Anfang war die That!« schließt er mit Faust und fügt dann schmerzlich genug in einem Nachworte hinzu: »Ich hoffe nicht mehr, die Aufführung meines Bühnenfestspieles zu erleben: darf ich ja kaum noch hoffen, noch Muße und Lust zur Vollendung der musikalischen Composition zu finden!«

Er gedachte nun zunächst das neuerstehende Wiener Hofoperntheater durch Beschränkung der Zahl der Vorstellungen und sorgfältige Ausprägung des Styls der vorgeführten Werke zu einer solchen würdigen Aufgabe vorzubereiten. Hatte doch schon Josef II. die Theater als »zur Veredlung der Sitten und des Geschmacks beitragend« sich gedacht! Ja er erbot sich vorerst ein begrenzteres Werk eigens für Wien zu schreiben, die »Meistersinger!« Allein die Antwort war, man meine für jetzt den Namen Wagner genügend berücksichtigt zu haben und einmal auch einen anderen Tonsetzer zu Wort kommen lassen zu sollen. »Dieser Andere war Jacques Offenbach!« fügt Wagner selbst alles sagend hinzu.

Wiederum Concerte! Erst in Prag, wo man den »Tristan« zu haben wünschte, dann in Karlsruhe, wo dieser längst zurückgelegt worden, aber des Fürsten eigene Kunstliebe nicht erloschen war. Die Karlsruher und Mannheimer Capellen gestanden, jetzt erst völlig gefühlt zu haben, daß sie Künstler seien. Eine Unterhandlung wegen gänzlicher Uebersiedlung an den großherzoglichen Hof scheiterte an den – Hofleuten. Wagner hatte eine Hofequipage verlangt! Friedrich der Große meinte zwar, die Genies rangirten mit den Souveräns, allein so etwas war doch zu viel, zu viel! Und dann hatte er ja, o Schreck, die schönen Ducaten, die der Großherzog ihm geschenkt, abends zu einer Bewirthung der Musiker verwendet, die das Ganze ausgeführt hatten. Wohin sollten solche Ansprüche, solche Verschwendung führen! Die gleichen Hofleute erachteten es aber nicht für Raub, ihren edlen Fürsten jahrzehntelang schmählich zu verkürzen, sodaß sie später selbst in Schmach dastanden und nur der unerschöpflichen Güte ihres Monarchen die Nichtbestrafung verdankten.

In Löwenberg, in Breslau und wieder in Wien, überall mit Concerten Erfolg genug, aber das eigentliche Ziel? »Das Publikum jauchzte ihm entgegen, wo er sich blicken ließ, dagegen war die stimmführende Kritik gegen ihn spröde, wenn nicht feindlich gesinnt und die Directoren der Theater verschlossen vor ihm die Thüren,« sagt sein Biograph Glasenapp thatsächlich genug. Auch von der Nibelungendichtung hatte kein Mensch außer den engsten Kreisen Notiz genommen. Wohl fand man hie und da ein Exemplar des kleinen Bandes in Roth und Gold gebunden, aber der Besitzer mußte eben der Sphäre Liszts oder Wagners angehören. »Wie sollte auch die dichterische Arbeit eines Operncomponisten neben den Elaboraten literarischer Poeten von Fach in ernstliche Betrachtung gezogen werden,« sagt Wagner mit Recht. Er fühlte sich allüberall gerade da zurückgewiesen, wo er einzig Einlaß begehrte.

»Mir schien kein Stern, den ich nicht sah erblassen.
Kein letztes Hoffen, dessen ich nicht bar:
Auf gutes Glück der Weltgunst überlassen,
Dem wüsten Spiel auf Vortheil und Gefahr.
Was in mir rang nach freien Künstlerthaten,
Sah der Gemeinheit Loose sich verrathen.

Der einst mit frischem Grün sich hieß belauben –
Den dürren Stab in feines Priesters Hand,
Ließ er mir jedes Heiles Hoffnung rauben.
Da auch des letzten Trostes Täuschung schwand.
Im Innern stärkt' er mir den einen Glauben,
Den an mich selbst ich in mir selber fand:
Und wahrt' ich diesem Glauben meine Treue,
Nun schmückt' er mir den dürren Stab aufs neue.

Was einsam schweigend ich im Innern hegte,
Das lebte noch in eines Andern Brust;
Was schmerzlich tief des Mannes Geist erregte.
Erfüllt' ein Jünglingsherz mit heil'ger Lust:
Was dies mit Lenzes-Sehnsucht hin bewegte
Zum gleichen Ziel, bewußtvoll unbewußt.
Wie Frühlingswonne mußt' es sich ergießen,
Dem Doppelglauben frisches Grün entsprießen.«

Im 17. Lebensjahre, zu seinem Geburtstage am 25. August 1861, hatte der Enkel jenes Königs Ludwig von Bayern, der zuerst unter den Fürsten Deutschlands wieder lebhaft den Sinn für bildende Kunst bethätigte, als erstes Theaterstück den »Lohengrin« gesehen und dann voll Begeisterung auch nach den übrigen Werken dieses Meisters gefragt. Seine Schriften sagten Dem, der jetzt auf seinem Schreibtische nur die zwei Büsten, Beethoven und Wagner, stehen hatte, daß es dem Einen zu ergehen drohe, wie es dem Anderen in der That ergangen war, daß er vor Erreichung seines Zieles und seines Ruhmes ins Grab sank: sein stilles Gelübde war, diesem »Einen« seine Hand zu reichen, sobald er König sei. Zwei Jahre darauf erschien der »Ring des Nibelungen« im Druck. »Wird dieser Fürst sich finden?« hieß es dort. Im Frühjahr darauf schwebte in Wien der Dichter des Werkes in gar großer Bedrängnis. Die Silberrubel waren rasch dahingeschmolzen. Wie sollte solcher Alltagsschätze achten, dem der heilige Gral zu Diensten steht! Aber unerbittlich nahte die Gefahr des Verlustes der persönlichen Freiheit. Er mußte fliehen, ein Freund hatte ihm eine Zuflucht auf seinem Besitzthume in der Schweiz gesichert. Unterwegs weilte er einige Tage in Stuttgart. Da geht die Schelle an des Freundes Thüre, doch Wagner wird verleugnet. Der Schellende wird dringender und erklärt auf sein Befragen dem Hausherrn; – es war der spätere Berliner Hofcapellmeister Carl Eckert, – er komme im Namen des Königs von Bayern! Ludwig II. war im März 1864 durch den raschen Tod Maximilians II. mit kaum 18 Jahren auf den Thron gelangt: eine seiner ersten Regierungshandlungen war die Berufung des begeistert verehrten Künstlers. »Jetzt ist alles gewonnen, meine kühnste Hoffnung übertroffen: Er stellt mir alle seine Mittel zu Gebote!« mit diesen Worten sank derselbe an des Freundes Brust. Kurz darauf war er in München. »Er hat mich wie mit einem Füllhorn überschüttet!« lautete sein Ausspruch unmittelbar nach der ersten Audienz. »Was soll ich Ihnen nun sagen? Das Undenklichste und doch einzig mir Nöthige ist völlige Wahrheit geworden. Im Jahre der ersten Aufführung meines Tannhäusers gebar mir eine Königin den Genius meines Lebens, der mich einst in tiefster Noth in das höchste Glück bringen sollte. Er ist mir vom Himmel gesendet, durch ihn bin und verstehe ich mich,« so schrieb er wenig Monate später, nachdem er sich in München niedergelassen hatte, an eine Freundin.

König Ludwig war eine echt königliche Jünglingsgestalt. Sein schönes Auge hatte zugleich etwas Schwärmerisches: dem scharfen Verstände gingen lebhafte Phantasie und wahrhaftes Gemüth zur Seite, sodaß in seiner Naturanlage die drei geistigen Hauptpotenzen in schönem Gleichgewicht standen. Seine Gesinnung bekundet das Wort: »Sie sind Protestant? Das ist recht. Immer liberal!« Und die noch jugendlich umfangene Meinung: »Sie lieben die Frauen auch nicht? – sie sind so langweilig!« ließ alle Räume seines Innern der frohen Ausnahme idealer Regungen offen stehen. Das war ein jugendlicher König, wie ihn nur ein solcher Künstler träumen, ein solcher Künstler dauernd fesseln konnte. »Dem königlichen Freunde,« lautet die Widmung der »Walküre«, die in diesem Sommer 1864 erschien.

»O König! holder Schirmherr meines Lebens!
Du höchster Güte wonnereicher Hort!
Wie ring ich nun, am Ziele meines Strebens,
Nach jenem Deiner Huld gerechten Wort,
In Sprach' und Schrift, wie such' ich es vergebens!
Und doch zu forschen treibt mich's fort und fort,
Das Wort zu finden, das den Sinn Dir sage
Des Dankes, den ich Dir im Herzen trage.«

Darauf folgen die oben gebrachten drei Verse und zum Schluß heißt es:

»So bin ich arm und wahre nur das Eine,
Den Glauben, dem der Deine sich vermählt.
Es ist die Macht, durch die ich stolz erscheine.
Er ist's, der heilig meine Liebe stählt.
Doch nun getheilt nur halb noch ist er meine.
Und ganz verloren mir, wenn Dir er fehlt:
So giebst nur Du die Kraft mir, Dir zu danken.
Durch königlichen Glauben ohne Wanken.«

An dem letztern sollte es zum Glück trotz herbster Prüfung desselben nicht fehlen, und so gelangte denn der Künstler, was er hier schon erreicht wähnte, in der That zuletzt an das Ziel seines Strebens, an dem er heute als ein geistiger Erretter seiner Nation und seiner Zeit steht.

Als Hauptsache ward sogleich die Vollendung des Nibelungenringes ins Auge gefaßt. Derweilen sollte aber mit dem »Tristan« zunächst eine mustergiltige Probe des neuen Kunststyles gegeben werden. Dazu ward Schnorr eingeladen, der jetzt in Dresden weilte. »Bot mir der Anblick des im kleinen Nachen landenden Schwanenritters den immerhin etwas befremdenden Eindruck der Erscheinung eines jungen Herakles (Schnorr litt an der Fettsucht), so wirkte aber auch mit seinem Auftreten der ganz bestimmte Zauber des gottgesandten sagenhaften Helden auf mich, in dessen Betreff man sich nicht fragt, wie er ist, sondern sich sagt: So ist er!« erzählt Wagner von der ersten Begegnung mit ihm 1862 in Karlsruhe. »Diese augenblickliche bis ins Innerste gehende Wirkung kann aber nur dem Zauber verglichen werden. Ich entsinne mich, sie in meinem frühesten Jünglingsalter für mein ganzes Leben bestimmend von der großen Schröder-Devrient empfangen zu haben und seitdem nie wieder so stark wie von Schnorr im Lohengrin.« Er hatte in ihm einen »singenden wirklichen Musiker und Dramatiker« gefunden, und zwar vor allem von einer ungemessenen Begabung für das Tragische.

Zunächst ward derselbe nun am »Tannhäuser« erprobt, der in dieser Neuerscheinung auch einen ganz neuen Eindruck machte, an den die Münchener, die unter Leitung Franz Lachners in dem ausgefahrenen Geleise der Nachclassiker zu fahren gewohnt waren, sich erst zu gewöhnen hatten. Daun kamen die Proben zum »Tristan«, den Schnorr bis auf eine einzige Stelle bereits völlig beherrscht hatte. Dieses »Aus Lachen und Weinen, Wonnen und Wunden« aber, den fürchterlichen Liebesfluch im dritten Akte, hatte ihm Wagner selbst schon damals nach seiner Macht des »ungeheuersten Ausdrucks« klarzumachen gewußt. Bei der Probe dieses Aktes selbst erhob sich Wagner wie taumelnd, um in erschütterter Umarmung dem wunderbaren Freunde leise zu sagen, daß er kein Wort über dieses sein nun erfülltes Ideal äußern könne, und Schnorrs dunkles Auge blitzte dabei unter kaum hörbarem Schluchzen wie der Stern der Liebe auf. Ebenso wußte Bülow, der jetzt als Vorspieler des Königs auch in München weilte, das durch Wagner selbst völlig neugeschulte Orchester wundervoll sicher zu führen, und so erging denn die Einladung zu diesem »Kunstfeste« in alle Ferne hin, soweit Wagners Kunst sich Herzen gewonnen. Dasselbe sollte darthun, ob und wie das Problem einer originalen und echten musikalisch-dramatischen Kunst zu lösen sei, durch welche dann auch dem allgemeinen Dasein Antheil an dem Tiefsten und Höchsten der Kunst gegönnt und bereitet werden könne.

Schon die Generalprobe hatte etwas sehr Festliches, die ganze musikalische Presse Deutschlands und zum Theil des Auslandes war herbeigeströmt. Wagner ward nach jedem Akte gerufen. Leider verzögerte sich dann durch Krankheit der Isolde (Frau Garrigues-Schnorr) die Aufführung um volle vier Wochen, sodaß der Hauptstock der Zuschauer jetzt doch Münchener waren. Gleichwohl war der Jubel enthusiastisch und der Erfolg des unvergeßlichen »Kunstfestes« vom 10. Juni 1865, zu dem nicht durch »Entrée« zu gelangen war, sondern von Wagner und seinem Königlichen Freund eingeladen wurde, war erreicht. Verstanden aber war das Werk selbst darum noch nicht, dazu gehörte hier wie anderwärts Zeit. Leider aber starb der edle Kunstdarsteller ganz kurz darauf in Dresden an einer Erkältung, die er sich bei der Scene, wo er ruhig auf dem Wundenlager liegen mußte, durch die schnöde Rücksichtslosigkeit der Theaterleute in München zugezogen hatte. Wagner war aufs tiefste erschüttert: er wähnte den großen Granitblock zu seinem Baue verloren zu haben und nun auf bloße Backsteine angewiesen zu sein. Allerdings hat er einen Siegfried wie dieser Tristan war nicht gefunden.

Aber noch ein Anderes trat jetzt für eine gute Weile störend in das Unternehmen der beiden königlichen Freunde ein, der Widerstand der Münchener, der sie dauernd trennte.

War diesen schon eine Erscheinung fremd, die solche ungewöhnliche Anforderungen in künstlerischer Hinsicht stellt, so standen die menschlichen Eigenschaften Wagners damals wohl gerade keinem Lande ferner als Bayern, wie es zum guten Theil aus der Hand pfäffisch-jesuitischer Erziehung hervorgegangen war. Zwar die guten Eigenschaften, wie Einfachheit der Sitten und Lebenseinrichtungen, waren geblieben, aber der geistige Horizont war durch jene Erziehung ein verhältnismäßig beengter geworden, und was schlimmer war, die geistlich und aristokratisch bajuvarische Partei fürchtete um ihre Herrschaft, wenn ein Mann wie Wagner dauernd um den König blieb. Georg Herwegh hat den Hexensabbath, den in diesem Jahre 1865 jene Partei mit Hilfe anderer üblen Elemente in Scene setzte und der Wagner abermals in die Fremde trieb, drollig genug beschrieben.

»Vielverschlagner Richard Wagner, aus dem Schiffbruch von Paris
Nach der Isarstadt getragner sangeskundiger Ulyß!
Ungestümer Wegebahner, deutscher Tonkunst Pionier,
Unter welche Insulaner, theurer Freund, gerietest du hier!
Und was hilft dir alle Gnade ihres Herrn Alkinous!
Auf der Lebenspromenade dieser erste Sonnenkuß!
Die Philister, scheelen Blickes, spucken in den reinsten Quell,
Keine Schönheit rührt ihr dickes, undurchdringlich dickes Fell.
Ihres Hofbräuhorizontes Grenzen überfliegst du keck,
Und du bist wie Lola Montez dieser Biedermänner Schreck.
Solche Summen zu verplempern nimmt der Fremdling sich heraus!
Er bestellte sich bei Sempern gar ein neu' Komödienhaus!
Ist die Bühne, draus der Robert, der Prophet, der Troubadour,
Münchens Publikum erobert, eine Breterbude nur?
Schreitet nicht der große Vasco weltumsegelnd über sie?
Doch Geduld – du machst Fiasco, hergelaufenes Genie!
Ja trotz allen deinen Kniffen, wir versalzen dir die Supp';
Morgen wirst du ausgepfiffen, – vorwärts Franciscanerclub!«

Die Münchener Einfachheit stieß sich an der reichen Art, wie Wagner die ihm vom Könige geschenkte Villa einrichtete, die Verwaltung der Civilliste an dem Theaterbau, der sieben Millionen Mark kosten sollte, aber auch München zu einer Feststätte für ganz Deutschland, ja für die gebildete Welt gemacht hätte. Die Presse brachte alle Tage etwas anderes aufregend Verleumderisches, sogar den Privatcharakter des Künstlers griff sie in einer Weise an, die zu einer sehr wirksamen öffentlichen Abwehr seinerseits führte. Selbst ganz anständige Leute wurden von dem allgemeinen Wahne, als zerstöre Wagner Bayerns Glück, auf unbegreifliche Weise angesteckt. Wenn ein bekannter Orient-Dichter unverstehend genug meinte, es sei gut, daß der Landstreicher endlich einmal von der Straße wegkomme, so verstieg sich zu der roh wüthenden Frechheit: »Der Kerl verdiente gehängt zu werden!« ein Universitätsprofessor, der freilich einen Sohn hatte, der in Beethovens Sinne ein »Selbstcomponist« war und dieses alles da ja auch selbst hätte leisten können. Man wußte zuletzt in den König, dem dieses Affenspiel zunächst nur ein solches geblieben war, zu dringen, er solle doch einmal unabhängige Männer über die öffentliche Meinung in Bayern hören. Zu den Ministern und dem Polizeidirector traten ein angesehener ultramontaner Reichsrath, der Herr Erzbischof und was noch alles unparteiisch und unabhängig sein sollte, und das Wort: »Ich will meinem theuren Volke zeigen, daß sein Vertrauen, seine Liebe Mir über alles geht!« bezeugt, daß es endlich gelungen war, auch die edelste Unbefangenheit zu täuschen. Der König selbst bat den Künstler München für einige Zeit zu verlassen und setzte ihm einen Jahresgehalt von 15000 Mark aus. Als dies geschehen war, bekundete eine öffentliche Erklärung der politischen Hauptpartei Bayerns, daß alles, was man »Unwillen des Volkes« über politische Umtriebe und dergleichen genannt hatte, eitel Nebelwind gewesen war: politische, sociale, künstlerische Parteiintrigue und schmählicher Neid allein hatten dieses Gespenst bei Tage erzeugt.

Dies geschah zu Ende des Jahres 1865. Wagner wandte sich aufs neue in die Schweiz. Die Liebe des Königs zu ihm war durch dieses Vorgehen nur erstarkt, derselbe besuchte den Freund sogar in dem neuen freiwilligen Exil, und dieser hatte keinen näheren Gedanken als solcher Liebe durch die That zu begegnen: er setzte sich aufs neue ruhig zum Schaffen zurecht. München aber war seinem Sinne für immer entschwunden. Zwar trachteten edlere Elemente von dort zu seinem Geburtstage von 1866 den Schimpf, den man dort sich selbst angethan hatte, zu verwischen, indem sie Wagner einen silbernen Lorbeerkranz schickten. Allein die Ablehnung des herrlichen Semperschen Entwurfes durch die Civilliste lenkte seine Gedanken von neuem auf das weite deutsche Vaterland und er begab sich jetzt sogleich an die Meistersinger-Arbeit, ob nicht durch solch ein weniger schwer verständliches Werk endlich auch der allgemeine Sinn ihm zugewendet werden könne und dann das Volk, das große deutsche Volk auch mithelfen werde, seine Hochthat der Errichtung eines Festspielhauses für ein nationales Kunstwerk wirklich auszuführen. Wir wissen heute, daß es gelang, zu dieser That wirkliche Freunde unseres Volkes fruchtbringend zu versammeln.

Der nächste bedeutende Schritt dazu war die Aufführung der »Meistersinger« in München im Jahre 1868. Denn sie gewann Wagner im Laufe der Zeit die Bühne auf eine Weise, wie es seit dem »Lohengrin« nicht mehr gesehen worden war.

Man hat mit Recht bemerkt, daß noch etwas erstaunlicher sei als der so hoch poetische »Tristan«, nämlich der Künstler, der so kurze Zeit nachher ein Bild der verschiedenartigsten Färbung wie die »Meistersinger« schuf. Aber ebenso richtig sagt der gleiche Wagner-Kenner, wer sich über diese Nachbarschaft befremdet zeige, habe das Wesen und Leben aller wahrhaft großen Deutschen in einem wichtigen Punkte wenig verstanden: »er weiß nicht, aus welchem Grunde allein jene Heiterkeit Luthers, Beethovens und Wagners erwachsen kann, die von anderen Völkern gar nicht verstanden wird und den heutigen Deutschen selber abhanden gekommen scheint, – jene goldhelle durchgegohrene Mischung von Einfalt, Tiefblick der Liebe, betrachtendem Sinn und Schalkhaftigkeit, wie sie Wagner als köstlichen Trank allen denen eingeschenkt hat, welche tief am Leben gelitten haben und sich ihm gleichsam mit dem Lächeln des Genesenden wieder zukehren.« Es wäre gerade hier noch ein Deutscher zu nennen gewesen, Sebastian Bach , und ihm gleicht Wagner obendrein am meisten in der weltbeherrschenden Art des Geistes, die sogar aus dem halb ironisch lächelnden Auge des einfachen thüringischen Cantors leuchtet und das Faust'sche »Schaffend Götterwonne zu genießen« zur Wahrheit des Augenscheins macht. Von ihm spielte er denn auch gerade damals viel Zweihändiges wie das »Wohltemperirte Clavier« mit seinem jungen Famulus Hans Richter, der ihm aus Wien zur Copirung seines Werkes empfohlen worden war. Was war ihm all der Veitstanz närrischer Einbildung und täppischer Eigenliebe, wenn er, ein echter Prometheus, selbst so nach größten Vorbildern das Unvorhandene schuf! Und ein Wort über den »Tannhäuser« sagt uns, wie selig tief er stets von dieser Wonne des wahren Schaffens umfangen war. »Ehe ich daran gehe, einen Vers zu machen, ja eine Scene zu entwerfen, bin ich bereits in dem musikalischen Dufte meiner Schöpfung berauscht,« schreibt er im Jahre 1844. »Ich habe alle charakteristischen Motive im Kopfe, sodaß, wenn darin die Verse fertig und die Scenen geordnet sind, für mich die eigentliche Oper ebenfalls schon fertig ist und die detaillirte musikalische Behandlung mehr eine besonnene und ruhige Nacharbeit wird, welcher der Moment des eigentlichen Producirens schon vorausgegangen ist?« Diese Heiterkeit, die manchmal selbst noch den alternden Beethoven über Tisch und Bänke springen ließ, ergriff auch unseren Meister oft in der eigenthümlichen Gestalt, daß er sich mitten in der Gesellschaft plötzlich auf eine ganze Weile in der Zimmerecke – auf den Kopf stellte.

Solchen glücklichsten Seelenzustand in der Gewißheit der Erreichung des Zieles und wenn er selbst darüber zu Grabe ginge, beobachteten die Freunde gerade in dieser Zeit der Meistersinger-Composition mit Freuden an ihm. Er lebte in stillster Zurückgezogenheit auf einer lieblichen kleinen Besitzung in Triebschen bei Luzern, wo ihm Frau von Bülow mit ihren Kindern zugleich ein häusliches Behagen bereitete: seine eigene Gattin war kurz zuvor unerwartet gestorben. Sie hatte die letzten Jahre von dem »feurigen Rade«, dessen rasenden Schwung sie nicht mehr zu fassen noch zu ertragen vermochte, getrennt gelebt, aber auf keine Weise in der äußeren Mittellosigkeit, die der schändlich verleumderische Sinn der Presse in München und anderswo ihm angedichtet, sondern in völlig entsprechenden Verhältnissen, wie sie ihr Gatte ihr herbeigeführt hatte und erhielt.

Im October 1867 waren dann – nach 22 Jahren! – die »Meistersinger« vollendet. Jetzt galt es der möglichst mustergiltigen Aufführung derselben. Sie hatte natürlich in München stattzufinden, wo der »Tristan« wenigstens dem Orchester bereits eine sichere Styltradition geschaffen hatte. Es sollte ein Ereignis werden, das ihm selbst so recht das Herz der Nation gewann. Denn wenn unsere gesammte Bildung des letzten Menschenalters durch ihren flachen Optimismus und faden Humanismus eine Empfindung für das Tragische, wie es zuerst wieder Wagner so tief erfaßt hatte, nicht allgemein werden lassen konnte, – eines blieb uns doch stets ungeraubt, ja unberührt, jenes deutsche Gemüth, aus dessen Tiefen der Humor quillt. Eines hatte einst bei einer zufälligen Begegnung in Kuxhafen in einem Wettkampfe des Seelenausdrucks mit der bloßen Antlitzgebärde auch der große Kean dem größeren Devrient nicht darbieten können und diesem daher den Sieg über ihn verschafft: den thränenlächelnden Seelenausdruck, der aus dem wahren Mitleiden mit dem Leid des Daseins stammt, und mit diesem »deutschen Gemüthe« siegte Wagner dieses Mal über die Nationen. Es war Beethoven, der uns diesen tiefsten Segensquell des Lebens, den zuerst Shakespeare völlig aufgethan hatte, wieder lebendig fließen machte. Wagners Seele hat sich daran stets warm und flüssig erhalten. Wer, der sie miterlebte, denkt nicht mit wonniger Rührung jener Münchener Maitage von 1868?

Seine Schrift »Deutsche Kunst und deutsche Politik« hatte wenigstens die engeren Kreise der Freunde Wagners aufs neue auf die große Frage aufmerksam gemacht, wie die hohle Civilisation, die uns im letzten Menschenalter Frankreich gebracht, durch eine wahre Geistescultur zu bannen sei und daß dabei die höchste Gestaltung der Kunst als Bühnenfestspiel eine erste und durchdringende Rolle habe. Eine musterhafte Lohengrin-Aufführung zu Ehren des Kronprinzen von Preußen konnte in diesem Frühjahre 1868 namentlich die Münchener Kreise kräftig zu einem solchen Bewußtsein bringen. Dies mochte denn auch auf die Stimmung der ausführenden Kräfte wirken, denen doch die letzte Verwirklichung der Sache allein in die Hand gegeben ist. »Wagner legte noch nach Jahren das Bekenntnis ab, nie mit einem Opernpersonale zu innigerer Befriedigung verkehrt zu haben als bei Gelegenheit der ersten Aufführung der Meistersinger. Aber auch die Darsteller erzählen von der oft hinreißenden Anmuth, dem frischen belebenden Humor, mit welchem der Meister, in seiner Rastlosigkeit Allen ein Beispiel, sich unter ihnen bewegte und seine unablässigen Weisungen jedem Einzelnen zutheil werden ließ,« diese Bemerkung seines Biographen sagt alles.

Die Proben waren diesmal noch mehr als beim »Tristan« allen Antheilnehmenden eine künstlerische Labe. Denn das Kunstwerk wurde wegen seines näherliegenden Stoffes und natürlichen Lebenstones rascher erfaßt. Bülow stand am Dirigentenpult, – »ein feiner Kopf, scharf geschnitten, mit kühn gewölbter Stirn und großen Augen,« – Wagner, ebenfalls eine höchst bewegliche Gestalt von mäßiger Größe, ihm gegenüber auf der Bühne. »Alle seine Züge tragen das Gepräge dieses ungebändigten Willens, der der Urgrund seines Wesens ist,« zeichnet ihn ein Franzose, »sie bricht überall hervor, in der breiten und vorspringenden Stirn, in der übertriebenen Krümmung des kräftigen Kinns, in den dünnen und gepreßten Lippen bis zu den starken Augenknochen, in denen die langen Erregungen eines gemarterten Lebens zu lesen sind; es ist der Kämpfer, den wir aus seinem Leben kennen, der Denker, der mit dem Vergangenen nie zufrieden stets der Zukunft zugewandt bleibt.« Mit beständiger Aufmerksamkeit begleitete er jeden Ton durch eine entsprechende Gebärde für den Darsteller. Nur wenn die Mallinger, des Goldschmieds Töchterlein Eva, sang, pausirte er und horchte kopfnickend und mit dem Gesichte lächelnd zu. Er war sichtbarlich wie Prometheus unter seinen Bildgestalten: er belebte sie durch seinen Geistesodem zu wirklichen Wesen. Beckmesser, der »Merker«, erlernte auch nur an seinem drastischen Vormachen den wüthenden Zorn über des »Schusters« Verhöhnung seiner schönen Singerei. Solche Darstellungskunst war jedermann neu. Der Wiener Hofcapellmeister Esser gestand, erst jetzt zu wissen, was dramatische gegen Kapellmeister-Musik sei, und der ausgezeichnete Clarinettist Bärmann, der noch Weber persönlich gekannt, sog eine neue Welt in sich ein, von der er meinte, wer sie nicht zu würdigen wisse, sei ihrer nicht werth, und den Unverstehenden geschähe ganz recht, daß sie dieses Genusses zu entrathen hätten.

Zu Ende der Proben erklärte Wagner allen Mitwirkenden seine große Freude. Nur die Künstler vermöchten die Kunst wieder zu heben und im Gegensatz zu der bisher gehegten fremden Kunst uns eine eigene zu schaffen. Die Aufführung selbst solle zeigen, zu welcher Höhe und Würde die Dramatik sich zu erheben vermöge, wenn man mit vollem Ernste sich ihrem Dienste weihe und in wahrhafter Treue sie auszuüben strebe. Ein rührendes Zeichen der begeisterten Dankbarkeit, daß er sie zu so hohen Dingen geführt, war es dann, daß alles sich um ihn drängte und wie es konnte, seine Hand drückte oder Arme und Schultern küßte, – das erste Mal, daß Dichter und Künstler wieder alle miteinander eins waren, und ein hoffnungsvoller Augenblick für unsere Kunst! Noch die halbe Nacht hindurch tönte die Begeisterung durch die blütenduftige Sommernacht.

Solchen Hoffnungen entsprach dann in alles beseligendem Eindrücke die Aufführung selbst. Die Harmonie von Handlung, Wort, Musik und Scenerie war in diesem Grade noch niemals zur bewußten Empfindung gekommen. Alles jubelte hell auf, der so innig anheimelnde Sonntagnachmittags-Gottesdienst, die emsigen Lehrbuben, die würdigen Meister, der »Jung-Siegfried« Walther von Stolzing, die sinnig edle Bürgergestalt Hans Sachs und dann – »lieb' Evchen«, das war nun »zum Entzücken gar«. Wagner, zur Seite des Königs in der »Kaiserloge«, ließ sie beifalltobend sich freuen, die ihm so manches Arge angethan, und freute nur sich selbst dieses sonnigsten Lichtblickes, der gewiß am schönsten in dem Auge seines erhabenen Freundes widerspielte. Endlich aber, als das Verlangen zu tumultuarisch wurde, trieb ihn Dieser selbst wohl an sich zu zeigen, und von der königlichen Loge aus geschah die Verbeugung, der die Rührung und Ergriffenheit jedes Wort nahm. Jeder sah hier zum Heile der Nation und Zeit Schillers hohe Erschauung und Mahnung:

»Drum soll der Sänger mit dem König gehen,
Sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen!«

zum ersten Male im großen Sinne erfüllt.

Der Freund der Sache findet die getreue Darstellung aller dieser stets denkwürdigen Vorgänge in dem »Musikalischen Skizzenbuche. Zur Kenntnis der Opernzustände der Gegenwart« von 1869, von dem der Meister an den Verfasser schrieb: »Sie glauben wohl selbst, wie sehr mich Vieles, ja das Meiste Ihrer Aufzeichnungen ergreifen und rühren mußte, und ich sage Ihnen daher kein Wort über Ihre Arbeit selbst, als eben nur den Ausdruck meiner großen und warmen Freude über dieses Alles!«

Die Kritik der Nationen bot ein buntes Bild, von dem eine erheiternde Skizze ebenfalls dort gegeben ist. Wie mancher Beckmesser kam nicht dabei ans Licht! Den gedrängtesten und würdigsten Ausdruck gaben aber dem siegreich durchdringenden Gefühle des endgiltigen Sieges der Sache die Verse Ernst Dohms, mit denen wir diesen erhebenden Abschnitt, den Morgengruß hoher Thaten, schließen:

»Nicht verthan und nicht versungen!
Nein in ernst' und heitrer Weise,
Mächtig packend alle Geister,
Aechter deutscher Kunst zum Preise
Und zur Ehre unserm Meister
Ist der Meistersang erklungen.

Tapfre Siegesfahnenschwinger,
Zieh'n wir von der Isar Strand
Bald, die deutschen Meistersinger,
Durch das ein'ge deutsche Land


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