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2. Sturm und Drang.

(1832–1841)

 

»Der Gott, der mir im Busen wohnt.
Er kann nach außen nichts bewegen!«

Goethe.

 

Man weiß aus Beethovens Leben, was damals Wien für die Musik bedeutete. Im Sommer 1832 machte sich Wagner zum Besuche dorthin auf, fand sich aber stark enttäuscht: »Zampa« und Strauß'sche Potpourris daraus umtönten ihn aller Orten. Er sollte die Kaiserstadt erst spät und als ruhmgekrönter Meister wiedersehen. Die Vorortschaft in Musik und Oper war an Paris übergegangen. In Prag dagegen führte das Conservatorium seine Symphonie auf. Doch konnte er auch hier erfahren, wie wenig das Reich seines Beethoven bereits begonnen hatte.

In Leipzig brachte man dann im Winter ebenfalls die Symphonie. »Es ist eine kecke dreiste Energie der Gedanken, ein stürmischer kühner Schritt und doch eine so jungfräuliche Naivetät in der Empfängnis der Grundmotive, daß ich große Hoffnungen auf den Verfasser setze,« schrieb H. Laube, den Wagner kurz zuvor kennen gelernt, und wir ersehen auch hier die Sturmbewegung der Zeit, die von da an für uns nicht mehr ins Stehen kam und uns heute die Einheit der Nation und der Kunst geschaffen hat. Burschenschafter, St. Simonist, Weltverbesserer, dies war nach des jungen Künstlers Sinn. Das »Junge Europa«, in dem Laube die freien Gedanken des neuen Jahrhunderts, Liebesrausch und jede Art Lebensgenuß predigte, spukte ihm in allen Gliedern, und Heine's Schriften wie vor allem der wollüstig weiche Ardinghello von Heinse erhöhten dieses erregte Sinnendasein.

Einstweilen war jedoch die bessere Natur noch siegreich in ihm, Beethoven und Weber blieben seine guten Genien. Er componirte 1833 nach ihrem Vorbilde eine Oper » Die Feen«, und der Text zeigt die durch Ernst geweihte Grundrichtung seines Wesens. Eine Fee liebt einen Sterblichen, kann aber selbst die Menschlichkeit nur unter der Bedingung gewinnen, daß der Geliebte sie, möge sie sich auch noch so böse und grausam zeigen, nicht ungläubig verstoße. Sie verwandelt sich nun in einen Stein und wird durch des Geliebten sehnenden Gesang entzaubert. Dieser selbst aber wird, gleich jenem unbedingten Glauben an den geliebten Gegenstand ein bedeutsamer Zug der idealen Auffassung Wagners vom Wesen der Liebe, dann ebenfalls in die unsterbliche Wonne der Feenwelt ausgenommen. Zur Aufführung ist das Werk nie gekommen. Bellini, Adam und Genossen beherrschten die Bühne auch in Deutschland. Nun kam zu dieser Enttäuschung der ungemeine Erfolg, den die für Wagner so hochbedeutsam gewordene große Schröder-Devrient sogar und gerade in diesen leichten Opern, vor allein als Romeo hatte. Dann das prickelnde Element dieser Franzosen und Italiener, gegen welche die damals beginnende deutsche Kapellmeistermusik quälend langweilig erschien, er selbst, der Einundzwanzigjährige zu jeder Art That und Genuß bereit, – warum sollte nicht er, der sich so sehr nach Erfolg sehnte, ebenfalls diese Bahn beschreiten? Beethoven erschien ihm als der Schlußstein einer großen Epoche, jetzt mußte etwas Neues, Anderes kommen. Die Frucht dieses Siedens und Ueberkochens war » Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo«, die erste Oper von ihm, die zur Aufführung gelangte.

Der Stoff war aus Shakespeares »Maß für Maß«, dessen Ernst jedoch so recht im Sinne des »Jungen Europa« umgemodelt wurde, sodaß die freie Sinnlichkeit den Sieg behielt. Isabella, eine Novize, fleht bei dem puritanischen Statthalter für das Leben ihres Bruders, der ein Liebesverbrechen begangen. Dieser macht die Begnadigung von ihrer Liebesgewähr abhängig. Ein junger Mann, der sie liebt, erregt wie Masaniello in der »Stummen« im Carneval eine Revolution und weiß den Statthalter zu entlarven, worauf er Isabellas Hand erhält. Den Geist dieser wilden Carnevalsfreude bezeichnet der Vers des einzigen Chorliedes, das von dieser Oper gedruckt ist:

»Wer sich nicht freut bei unsrer Lust,
Dem stoßt das Messer in die Brust!«

So waren hier zwei grundverschiedene Möglichkeiten der Entwicklung gegeben, dem »heiligen Ernste seines ursprünglichen Empfindungswesens«, wie er es an der deutschen Instrumentalmusik genährt hatte, die Neigung zu keckem sinnlichen Ungestüm entgegengetreten: wie oft und wie kräftig hat nicht Wagner in seinen Werken diese beiden Seiten unserer menschlichen Natur gezeichnet, doch stets mit dem tief begründeten Siege des Ernstes in der Lebensauffassung! Mancherlei Leiden und Kämpfe sollten diese bei ihm selbst auch bald wieder ans Licht hervordrängen und dann für immer daran erhalten.

Im Herbst dieses Jahres 1834, in dem jener Text entworfen wurde, trat Wagner in die praktische Musikthätigkeit ein, er ward Capellmeister des Magdeburger Theaters. Diese Stellung behagte ihm und er bekundete bald den gewandten Dirigenten, namentlich für die Bühne selbst. Hierdurch und durch leichte Gelegenheitsmusik gewann er nun bald den gewünschten Erfolg und führte um so mehr in diesem Sinne die Musik zum »Liebesverbote« aus. »Das Einstudiren jener leichtgelenkigen Modeopern machte mir oft kindische Freude, wenn ich vom Dirigentenpulte rechts und links das Zeug los lassen durfte,« erzählt er. Er gab sich daher nicht die geringste Mühe französische Anklänge zu vermeiden, hoffte vielmehr bestimmt, daß eine Schröder-Devrient seiner Isabella auch in solcher halb frivolen Musik noch Wahrheit und Ernst geben werde. In solchen Kunst- und Lebenshoffnungen zugleich that er damals in Magdeburg auch unbedenklich den bedenklichen Schritt, so jung er war sich zu verloben: es war Mina Planer, die schöne erste Liebhaberin des Theaters, die aber leider für sein höheres und eigentliches Bestreben niemals Verständnis gewinnen sollte.

Im Frühjahr 1836 kam vor Auflösung der Magdeburger Truppe eine übereilte Aufführung seiner Oper zu Stande, die einzige, die sie erleben sollte. »Es ist viel darin,« heißt es darüber, »und was mir gefällt, es klingt alles, es ist Musik und Melodie, was wir bei unserer deutschen Oper jetzt so ziemlich suchen müssen.« Die »Feen« hatte er selbst seitdem ganz vernachlässigt. Die Partitur beider Werke besitzt König Ludwig von Bayern. Sie sollten bald von einem überholt werden, das noch heute lebt, »Rienzi«.

Das »Liebesverbot« hatte er vergeblich zuerst in Leipzig, dann in Berlin angeboten. In letzterer Residenz war ihm in der Aufführung einer Spontinischen Oper erst die ganze hilflose Art der heimischen Bühne auch in Bezug aus die Inscenirung aufgegangen. Wie mußte da Paris vor ihm aufwachsen, wo Spontini diesen größeren Ton oder doch kräftigeren Zug gelernt hatte! Jedoch die äußere Bedrängnis, in die ihn die Auflösung des Magdeburger Theaters und der Mangel an Erfolg seiner Compositionen versetzt hatte, warf ihn zunächst noch tiefer in das Misere der damaligen Bühnenverhältnisse Deutschlands. Erst war er einige Zeit in Königsberg. Doch genügte die Stellung nicht, um den jetzt Verheiratheten vor Noth zu schützen. Die eine Hoffnung stand immer vor ihm, sich durch eine besondere Kunstthat dieser Enge und Bedrängnis zu entreißen und jeder fesselnde Roman sollte ihm den Text zu einer großen Oper gewähren. So König's »Hohe Braut«, aus der er rasch ein Scenarium entwarf und an den damals alleinseligmachenden Scribe in Paris schickte, dessen »Hugenotten« kurz zuvor Meyerbeer zu einem Stern des Tages machen geholfen hatten. Natürlich ohne Erfolg. Was galt damals auf diesem Gebiete Deutschland! Die Königsberger Bühne löste sich gleichfalls bald auf. »Manche Menschen sind sogleich klar in ihrem Charakter und ihren Werken, andere müssen sich erst durch ein Chaos von Leidenschaften hindurch arbeiten. Freilich gelangen die letzteren zu höheren Resultaten,« sagt ein Bericht über jenen kurzen Aufenthalt. Ein solches Resultat stand jetzt vor der Thüre und einen treuen Lebensfreund hatte er sich ebenfalls in der alten preußischen Residenz erworben, jedenfalls aber an dem actuellen Gesammttone preußischen Daseins jene straffere Haltung gekräftigt, die er zuerst aus Spontinis herrischer Pracht kennen gelernt hatte und die später so weltgeschichtlich bedeutend werden sollte wie seine eigene Kunst. Der erste Schritt in dieser bezeugt, daß er solchen Hast der Zukunft verstanden hatte.

Während eines Besuches im Jahre 1837 in Dresden war ihm nämlich Bulwers »Rienzi, der letzte der Tribunen«, in die Hände gefallen und hatte ihn um so tiefer gefesselt, als er den Helden schon längst für sich ins Auge gefaßt hatte. Jetzt führte ihn die Lebensnoth über die Grenze nach Riga, sein Leipziger Bekannter Dorn war dort und K. Holtei hatte soeben eine neue Bühne begründet. Er ward Musikdirector und seine Frau erste Liebhaberin. Vortreffliche Mittel waren vorhanden und Wagner ging mit Lust ans Werk. Er kam jedoch auch hier wieder in das Einstudiren der Werke eines Adam, Auber, Bellini und gewann jetzt, mit seinem verzehrendem Sehnen nach Größerem und Edlerem im Herzen, einen tieferen Einblick in das Elend der modernen Bühne und der Komödiantenwirthschaft, der ihn mit wahrem Ekel erfüllte. Schon damals lernte er die Sage vom »Fliegenden Holländer« kennen, wie sie Heine in seinem »Salon« von 1834 mit der neuen Wendung erzählt, daß treue Liebe den unseligen Ahasverus des Meeres zu erlösen im Stande ist. Das »fabelhafte Heimweh«, von dem Heine dabei spricht, mußte es nicht einen Widerhall in der eigenen Seele finden und sie noch stärker entflammen? Zudem studirte er damals Méhuls »Joseph in Aegypten« ein und fühlte sich unter dem Eindruck der ernsten und edlen Musik dieses Nachbildners des großen Gluck »ganz gehoben und veredelt«. Selbst Bellinis »Norma« mußte ihm unter solchen Eindrücken edleren Ton und kräftigere Haltung gewinnen, als sonst dessen Kunst zueigen ist. Sie war damals seine Benefizoper. Er ergriff also jetzt mit fester Hand den Rienzistoff und entwarf daraus einen Plan des Werkes, den nur die größte Bühne zur Wirklichkeit machen konnte. Das lyrische Element des Romanes, die Friedensboten, die Schlachthymnen, die Liebesleidenschaft, hatten ihn schon rein musikalisch angeregt. Ein tüchtiges Theaterstück aber, bei dem nicht »schöne Verse und zierliche Reime« sondern die Kraft der Handlung und die ergreifenden Situationen die Hauptsache waren, sollte mit allen herrschenden Wirkungsmitteln der Scene und des Ballets ihm auch den Erfolg der Pariser »Großen Oper« sichern. Im Herbst 1838 konnte er in seiner »anspruchslosen Stille« bereits die Composition des Werkes beginnen.

Kaum waren die beiden ersten Akte vollendet, so stand auch Paris selbst hell vor des Dichter-Componisten Auge. Zudem ging der Contract mit Holtei zu Ende. Aber zu solchem großen Schritte war guter Rath theuer. Er hatte viel Schulden machen müssen und ohne den Nachweis der Berichtigung derselben durfte damals niemand Rußland verlassen. So nahm denn jener Königsberger Freund, ein reicher alter Holzhändler, bei dem er manchen geselligen Abend verbracht hatte, seine Frau als die eigene in seinem Wagen mit über die Grenze und Wagner selbst entrann auf andere Art. In Pillau bestiegen sie dann ein Segelschiff, um zunächst nach London zu kommen. Von jetzt an beginnt die große Action im Leben Wagners, sie sollte erst in Bayreuth schließen, wo der Künstler, der einst mit Noth und Gram gerungen hatte, Kaiser und Könige als Gäste seiner Kunst sah.

Schon die lange Seereise selbst erhielt Bedeutung für sein künstlerisches Schaffen. Sie dauerte drei und eine halbe Woche und war reich an Unfällen. Die stürmische See wirkte dabei hauptsächlich in den norwegischen Schären, und der fliegende Holländer, wie ihn die Matrosen ihm bestätigten, gewann ihm sichtbares Leben und bestimmtes Angesicht. In London hielt er sich nur kurz auf, er besah blos die Stadt und ihre beiden Parlamentshäuser, in Boulogne sur Mer dagegen weilte er vier Wochen. Denn Meyerbeer war dort im Seebade und seine Empfehlung für Paris mußte ihm von großer Wichtigkeit sein. Der Componist der »Hugenotten« erkannte sofort das Talent des jüngeren Künstlers und lobte besonders den Text des »Rienzi«, den Scribe für ihn selbst bald zu der schwachen Leistung des »Propheten« nachbilden sollte. Im übrigen machte er ihn auf die Schwierigkeiten aufmerksam in dieser Weltstadt durchzudringen, wenn man nicht Mittel noch Verbindungen besitze. Wagner jedoch vertraute auf seinen Stern und reiste dorthin, wo er allein die erfolgreiche Weltbahn für einen dramatischen Componisten bestellt wähnte. Das Ende des Pariser Aufenthaltes war eine Fülle von Enttäuschungen, aber auch eine große Bereicherung seiner Erfahrungen und Stählung der eigenen Kraft, ja die Begründung seines ersten großen Schaffens.

Meyerbeer empfahl ihn dem Director des Renaissance-Theaters und machte ihn auch mit dortigen Kunstgrößen bekannt. An eine Einführung bei der Grand'Opéra jedoch war bei einem so völlig Unbekannten nicht zu denken. Auch H. Laube weilte damals in Paris. Durch ihn lernte er Heine kennen, der sich baß verwunderte, einen jungen Musiker mit einer Frau und einem großen Neufundländer mittellos nach diesem Paris kommen zu sehen, wo alles, auch das Verdienstvollste sich seinen Platz erst erobern muß. Wagner hat diese Erfahrungen selbst in einem Aufsatz »Pariser Fatalitäten für Deutsche« in Lewalds Europa niedergelegt. Er trachtete nun vor allem zu einem nächsten Erfolge zu gelangen und bot jenem Theaterdirector das »Liebesverbot« an, das ja dem französischen Geschmack am meisten zusagen mußte. Doch machte dieses Theater wieder einmal Bankerott und alle Bemühungen waren vergeblich gewesen. Nun hoffte er durch Gesangmusik durchzudringen und schrieb mehrere Lieder wie Heines »Grenadiere«, – eine beliebte Dilettantin, Loisa Puget, ließ ihn wie H. Berlioz in der Pariser Salonwelt durch ihre Romanzen nicht aufkommen. Eine furchtbare Bitterkeit erfüllte den stets Mittelloseren gegen die glänzende Pariser Salon- und Theaterwelt, die innerlich so hohl erschien.

Da hörte er eines Tages die so ausgezeichnet sorgfältigen Aufführungen des Conservatoires und gar die Neunte Symphonie, die einst sein Innerstes beflügelt hatte, und wieder stand da heilend und rettend sein Genius vor ihm. Eine tiefe Ahnung, daß dieses Werk, sowie wir es heute historisch sicher wissen, ebenfalls aus der Faust-Stimmung geboren sei, brachte auch in ihm den »nie zufriednen Geist, der stets auf neues sinnt«, wieder zu Recht und Dasein, und eine Faust-Ouverture, eigentlich der erste Satz einer Faustsymphonie sagt uns in Tönen des kräftigsten Entschlusses, daß sein Wollen und Können noch lebte und nicht weichen werde, ehe es sich mächtig bethätigt. Dies war zu Ende des Jahres 1840.

»Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen;
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen.
Und so ist mir das Dasein eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt!«

Mit diesem Bekenntnisse hatte er seine Kraft zum Kampfe gegen jenes Pariser Wesen wiedergefunden, das in hergebrachter und gegenseitig sich anlügender Modeweise erstarrt und selbst in dem heiligen Gebiete der Kunst zur Speculation auf den äußerlichsten Erfolg gewendet erschien. Seine Kritik der Pariser Lebens- und Kunstzustände von damals ist vernichtend, sogar der edle Berlioz entgeht künstlerisch seiner Geißel nicht und den ebenfalls dort mitlebenden Liszt weiß er noch nicht zu erkennen. Aber hell aufleuchtend stand der rettende Genius seiner Kunst, die deutsche Musik, wieder vor ihm da, und sie hat ihn sich selbst und seiner Kunst erhalten.

Sein »Liebesverbot« gab er jetzt ganz auf, er fühlte, daß er ohne dieses Thun sich als Künstler nicht mehr achten könne. Er gedachte der Heimat. Ein heroisch gestimmter Patriotismus ergriff ihn, freilich nicht entfernt von politischer Natur, denn er vergaß nicht des seligen Bundestages und seines Verfolgens jeder Freiheitsbestrebung, aber als eine sichre Ahnung der großen Zukunft seines Vaterlandes. Jetzt verstand er selbst erst völlig die Worte Rienzis von seiner hohen Braut, die er geschändet und entehrt sah, und der innere Zorn schenkte ihm völlig die mächtig aufrufenden Laute, die seine Begeisterung schon in der ersten Anrede Rienzis an Adel und Volk angestimmt hatte und die seit Schillers Sprache in Deutschland nicht mehr gehört worden war. Und wenn Rienzi nicht ruhen will, als bis er seine stolze Roma als Königin der Welt gekrönt sieht, so durchzuckte ihn selbst damals zuerst die volle Gewißheit, daß, wie er so schön von Beethovens Musik sagt, der deutsche Geist bestimmt sei, den Menschengeist von tiefer Schmach zu erlösen. Er fühlte das tief Frivole einer rein äußerlichen Cultur, die dieser semitisch-gallische Geist der Neuzeit angesetzt hatte und mit der er ganz Europa wie in einem eisernen Netze gefangen hielt. Die große Revolution hatte politisch und social manches Freiere geschaffen, gleich der Reformation den Geist zu befreien hatte sie nicht vermocht. Es herrschte ein Zustand, eine Stimmung, die er selbst mit Recht später mit denen der römischen Kaiserzeit verglichen hat. Und wenn die Literatur in H. Heine und Genossen gipfelte, so war doch eindringlicher in ihrem Eindruck die große Oper Meyerbeers. Eine freche Modecivilisation war an die Stelle wahrer Geistescultur getreten, es galt diese Cultur und ihre Kunst wiederzugewinnen: er fühlte immer deutlicher eine Mission in sich, die weit über die Grenzen bloßen künstlerischen Gestaltens hinausging. Es sollte dann gerade die kalte Fremde mit ihrem feindseligen Egoismus sein, in der er auch die Wege und Mittel ihrer Erfüllung fand und uns statt Schemen wieder Menschen schuf.

Hören wir darüber das Nähere.

Schon in den »Pariser Fatalitäten« hatte es von den Deutschen geheißen, sie lernten in Paris ihre Muttersprache von neuem schätzen und ihren patriotischen Sinn stärken. Ein Bild also dieses Patriotismus war der »Rienzi«. Ihn bestimmte er jetzt für Dresden und gewann damit wieder Kraft zur Arbeit. Ebenso aber hieß es dort von den Deutschen: »So sehr sie gewöhnlich die Rückkehr nach der Heimat scheuen, so vergehen sie doch vor Heimweh.« Heimweh, Sehnsucht! – Hatte er nicht schon einmal eine solche im ewigen Heimweh sich verzehrende Gestalt gesehen, die dennoch ewig nicht vergehen konnte? Der »Holländer« stand wieder vor seiner Seele und gewann jetzt zu der äußeren Lebensgestalt des ewig irrenden Seefahrers die innere des nach Liebe und Treue ewig sich sehnenden Menschenherzens. Er hatte nach Verständigung mit Heine jetzt rasch den Stoff zu diesem Ewigen Juden des Meeres entworfen, und ein glücklicher Zufall, das Wiedererscheinen Meyerbeers in Paris, schien dem Werke sogar an der großen Oper eine Stätte bereiten zu sollen.

Um min ruhig arbeiten zu können, verschaffte er sich das tägliche Brot mit – Arrangements beliebter Opern für Cornet à pistons. Er ertrug solche tiefste Demüthigung, er wußte ja jetzt, um welchen Preis er »diente«. Eine Genugthuung aber ward ihm bald bei solcher Lohnarbeit für den gleichen Musik-Verleger Schlesinger: er schrieb in dessen »Gazette musicale« lebensprühende Aufsätze. Hier konnte er denn zunächst wenigstens mit dem Worte thun, was seinem Schaffen noch verwehrt war, konnte die Herrlichkeit deutscher Musik zeigen, und nie zuvor ist geist- und seelenvoller über Mozart, Weber, Beethoven geschrieben worden. Von Letzterem wollte er gar eine umfassende Biographie verfassen und wandte sich deshalb an einen deutschen Verleger. Das betreffende Schreiben ist in dem Buche » Mosaik. Für musikalisch Gebildete« (Leipzig 1881) mitgetheilt. Er reckte hier der romanischen formalen Cultur die deutsche Geistes-Natur wie ein Medusenhaupt entgegen, und das Bewußtsein von ihrer Aufgabe hielt ihn selbst in der größten materiellen Bedrängnis oben. Mit Paris als Kunststadt hatte er jetzt abgeschlossen, der »Rienzi« war, sowie Mozarts »Idomeneo« bei der Opera seria, sein letzter Tribut an die große Oper. Beide haben das Genre an sich durch Ausweisung seiner letzten Fähigkeiten für immer todt gemacht.

Derweilen aber war »Rienzi« in Dresden angenommen worden, und er hoffte jetzt durch Meyerbeers Rückkunft auch für die »Grand' Opéra«. Allein dem Herrn Directeur hatte der »Holländer« so gut gefallen, daß er ihn für sich, d. h. für einen anderen Compositeur wünschte. Um nun nicht alles zu verlieren, verkaufte ihn Wagner um 500 Frcs. für Paris, wo er auch bald als »Vaisseau phantoms« gegeben worden ist, hatte aber natürlich jetzt für sich nichts Eiligeres zu thun, als ihn völlig auszuarbeiten. Die sehnsuchtsvolle Seelenstimmung war ihm durch die Aufführung des »Freischütz« noch erhöht worden, die übrigen Erfahrungen hatten ihm die moderne Babel geradezu zum Ekel gemacht. Die Dichtung stand bald fertig da. Es war eine solche, denn er hatte eben »eine schöne Sage sich einfach selbst erzählen lassen« und allen Tand der Oper, Finales, Duetten, Ballets ganz außer Acht gelassen. Er wollte seinen Deutschen den Himmelszug ihrer eigenen Seele wieder aufdecken. Als es jedoch ans Componiren ging, fürchtete er seine Musik vergessen zu haben, solange hatte er sie ganz liegen lassen müssen. Allein es ging alles wie im Fluge. Zuerst stand als Kern des Ganzen Senta's Ballade vor seinem Innern, mit ihr zugleich das ganze Netz dieser musikalischen Ausdichtung des Stoffes. Der Matrosenchor, das Spinnerlied waren Volksweisen, wie sie ihm nach dem »Freischütz« doppelt lebendig im Ohre sausen mußten. In sieben Wochen war das Werk fertig, nur am Ausschreiben der Ouvertüre verhinderten ihn noch einige Wochen lang seine drängenden Alltagsnöthe.

Leipzig und München wiesen das Werk, mit dem er sein Vaterland neu begrüßen wollte, kurzweg ab. Letzteres erklärte, die Oper eigne sich nicht für Deutschland! Meyerbeer bewirkte dann die Ausnahme für Berlin. So hatte ihm das verhaßte Paris zwei Werke geschenkt, in denen Saiten berührt werden, die so tief nur für den Deutschen erklingen. Er lebte jetzt ganz schon in der gewissen Rückkehr ins Vaterland. Was ist da erklärlicher, als daß sein Sinn auch mehr und mehr in den Geist, in die Entwicklung desselben dringen und ihm weitere, echtere Denkmale setzen wollte? Er studirte von neuem unsere Geschichte, freilich nur um einen ihm entsprechenden Opernstoff zu finden. Er haftete da zunächst an Manfred und der glänzenden Hohenstaufenzeit. Allein diese ganze historische Welt verwischte sich sofort, als er eine Gestalt erblickte, in der dieser Geist der Ghibellinen zu höchster Fülle und Schönheit in rein menschlichen Zügen sich zusammengefaßt zeigte, Tannhäuser! Er kannte sie schon aus der deutschen Literatur von damals. Aber er konnte sie jetzt erst begreifen und ward von dem einfachen Volksbuche so ergriffen, daß diese Gestalt seine ganze Seele erfüllte und ihm den Weg in die historischen Tiefen unseres Volksseins wies, das er in der Musik Beethovens und Webers längst geahnt hat. Das Volksbuch aber war zugleich lose mit dem »Sängerkriege auf Wartburg« verbunden und dies zeigte ihm sogleich die Möglichkeit der vollen Entfaltung der Eigenschaften seines Helden, der den ersten deutschen Protest gegen römische Aftercultur und Scheinmoral erhebt. Das alte Gedicht dieses Sängerkrieges ferner steht mit der Sage vom Lohengrin in Verbindung, und so war in eben diesem fremden Paris ihm der Blick für das heimisch Eigene, das von uralters her Dasjenige, was im deutschen Geiste vom Menschengeiste lebt, in diese Sagenbilder gelegt hat, mit einem Schlage und für immer aufgegangen.

Am 7. April 1842, nach mehr als dreijährigem Aufenthalte in der Fremde, verließ er Paris. »Zum ersten Male sah ich den Rhein: mit hellen Thränen im Auge schwur ich armer Künstler meinem deutschen Vaterlande ewige Treue,« sagt er, und wir haben gesehen, daß ein »armer Künstler« mit der Macht seines Zauberstabes Welten neuen Lebens erstehen zu lassen und was unendlich mehr ist, den Genius seines Volkes, ja den Geist der Menschheit wieder zu erwecken und seine Zeit und Nation zu neuen dauernden geistigen Thaten zu führen vermag.

So kommen wir jetzt zu den ersten Anläufen der Verwirklichung solcher »Thaten«. Sie sollten noch Schweiß, Angst, Kampf und Pein jeder Art kosten, aber sie geschahen, sie sind da!


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