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6. »Bayreuth«.

(1869–1876)

 

»Im Anfang war die That!«

 

»Der ich nun als Künstler und Mensch einer neuen Welt entgegenschreite!« so hatte Wagner schon im Jahre 1851 geschrieben.

Der Wiener Thersites mit den grob verwirrten Sinnen aber, den eine wahrhafte Verhöhnung ihrer selbst den »berühmtesten Musikkritiker seiner Zeit« genannt hat, wagte noch im Frühling 1872 in dem Hauptblatte Oesterreichs Folgendes zu schreiben. »Wagner hat Glück in allen Dingen! Zuerst wüthet er gegen alle Monarchen: ein großmüthiger König kommt ihm mit schwärmerischer Liebe entgegen. Dann schreibt er ein Pasquill gegen die Juden: das Judenthum in der Musik huldigt ihm um so eifriger durch Ankauf von Bayreuther Promessen. Er beweist, daß alle unsere Hofcapellmeister reine Handwerker sind, und siehe da, unsere Dirigenten gründen Wagner-Vereine und werben Truppen für die Schlachten von Bayreuth. Opernsänger und Theaterdirectoren, deren Leistungen Wagner auf das grausamste hinrichtet, sie folgen, wo er nur hinkommt, seinen Spuren und sind von seinem Gruß beglückt. Er brandmarkt unsere Conservatorien als die verwahrlosesten Institute: die Schüler des Wiener Conservatoriums bilden Spalier vor Richard Wagner und sammeln in der Schule für eine Ehrengabe an den Meister.«

Ja wenn nur solches »Glück« nicht das Gelingen aus dem »Geluge«, dem scharfen Ausschauen nach dem Rechten und Tüchtigen wäre!

Diese sittliche Würde, die nach nichts fragt als der Wahrheit, führte Wagner von jetzt an mehr und mehr auch würdige Freunde zu, unter ihnen eben durch die »Meistersinger« in München jenen schlichten Bürger, der in Mannheim den ersten der »Wagner-Vereine« gründen sollte, die uns die Hochburg der Kunst und des Ideales, »Bayreuth« verwirklicht haben.

Mit jenem Werke hatte Wagner den letzten hoffnungsreichen Versuch gemacht, sich der bestehenden Bühne als solcher heilkräftig zu nähern. Die Erfahrungen, die er mit demselben zu bestehen hatte, deckten ihm die gänzlich unkünstlerischen und undeutschen Eigenschaften dieses Theaters, die nach außen und innen, sittlich wie geistig gleich verderblich wirkten, zur sichersten Klarheit auf. Aber während er sich völlig von ihr abwendend jetzt nur daran dachte, seinen »viertheiligen Riesenbau in gemessener Eile zu Ende zu thürmen«, und damit einer Bühne zustrebte, die von allen äußeren Interessen unabhängig nur dem Ideale der Nation und des menschlichen Geistes dienen soll, drängte es ihn zunächst, noch einmal mit fester Hand den Schleier von den wirklichen Sitten- und Kunstzuständen der Nation zu ziehen: er schrieb »Das Judenthum in der Musik«.

Selten hat eine einfache Schrift so tief und so weit alle Lebenskreise in aufflammende Erregung gesetzt wie diese: es war wie das erwachende Gewissen der Nation, nur daß zunächst die Dumpfheit der Geister den neuen, tief versöhnenden Geist nicht begriff, der hier zugleich heilend und rettend sich aufthat! Es war eine nationale That, diesen unsittlichen Händlersinn deutlich aufzudecken, der auch die höchsten Angelegenheiten unseres Daseins ins Geschäftliche herabzuziehen weiß. Zugleich dämmerte Manchem die Ahnung davon auf, wie tief und groß, wie überwältigend doch dieser deutsche Geist sein müsse, daß er solche Fremden nicht blos in sein Joch zwinge, sondern ihnen wie bei Heine und Mendelssohn manchmal wahrhaft ergreifende Laute des Sehnens nach Antheilnahme an seinem hehren Wesen erzeugte. Wagners Gefühl bei diesem wüstesten Geschrei, das die Gegenwart je gehört, konnte nur dasjenige Goethe's sein: daß diese thörichten Kläffer allesammt nicht ahnen, in welcher unzugänglichen Burg Derjenige wohnt, dem es nur immer Ernst um sich und die Sache ist. Dazu das Bewußtsein, seinen »Ring des Nibelungen« in der That fern von allen diesen Fratzen und Fetzen der herrschenden Tageskunst aufführen zu dürfen! Denn dessen hatte ihn sein hoher Freund jetzt bestimmt versichert, und ihm selbst ward dies zur unabweislichen Forderung, nachdem in den Jahren 1869 und 1870 München ohne und gegen seinen Willen »Rheingold« und »Walküre« aufgeführt und dabei aufs neue sich dargethan hatte, wie wenig die hergebrachte Opernroutine sein Ziel verstand.

Derweilen brach nun der Sturm von 1870 los. Schon das Jahr 1866 hatte den morschen deutschen Bund gesprengt. Jetzt belebten sich auch die kühnsten Hoffnungen in der Brust der Deutschen: der Lohengrin, das Volk in Waffen stand ja da und warf überall siegreich das Unrecht und die Gewalt über den Haufen.

»Vergraben dürft' ich manchen Schmerz,
Der lange mir zernagt das Herz!«

ruft Wagner zum Geburtstage 1870 seinem Könige zu, und in hellsichtiger Kühne ertönt es in ihm selbst: »Es strahlt der Menschheit Morgen!« Das Werk aber, welches diese erste volle Siegfriedsthat der Deutschen seit den Zeiten der Reformation verherrlichen und so sehr kräftig wirksam machen sollte, daß der Nation die sittliche Energie dauernd wiederkehre, es war mit dem Abschluß der »Götterdämmerung« im Juni desselben Jahres 1870 fertig geworden.

Jetzt hieß es sich aufs neue stählen, dauernd stählen. Zum ersten Mal im Leben gewann er denn auch völlig die reinmenschliche Existenz, die uns dem Leben erhält: er heirathete die geschiedene Frau Cosima von Bülow, die Tochter Liszts. »Dem so ganz von seinem Dämon Beherrschten hätte von jeher ein hochgesinntes, ein verständnisvolles Weib zur Seite stehen müssen, ein Weib, das es verstanden hätte, daß diese beiden sich ewig feindlich zu einander verhalten,« so urtheilte eine langjährige Freundin über Wagners erste Frau. Jetzt hatte er dieses »Weib« gefunden und in einer Weise, die nach allen Seiten hin zum Segen gereichte und die auch der so unvergleichlich selbstlos hingebungsvolle erste Gatte selbst später als die einzige richtige Lösung der Sache bezeichnet hat. Siegfried aber heißt der einzige Sproß dieses Bundes. Seinem glücklich heiteren Kindesdasein in der herrlichen Natur Luzerns ist das »Siegfried-Idyll« vom Jahre 1871 gewidmet.

Zum andern sagte er in diesem Siegfriedsjahre, das die Säcularzeit ihres mannhaftesten Sohnes war, seiner Nation, was dieselbe an diesem Beethoven besitze. Er stellt, so heißt es in jener Jubiläumsschrift, den Geist dar, den man über den Bergen wie jenseits des Rheines so gewaltig fürchtet, er hat uns die Unschuld der Seele wiedergewonnen, und was fehlt, daß aus diesem reinen Geisteswesen, wie es aus seiner Kunst ertönt, im Gegensätze zu der fremden Civilisation, die der Zeit der römischen Imperatoren gleicht, eine wahre Cultur wiedererstehe? Eine welterlösende Verkündigung dringt aufs neue aus diesen Tönen, sollen wir sie uns nicht ganz und für immer zueignen? Der »Gedanke von Bayreuth« gewann jetzt stets festere Form. Eine Anzahl von Freunden der Sache sollte ihn verwirklichen und die deutsche Kunst dem Venusberg der üblichen Theater entwinden.

Jetzt beginnt die Bewegung dieser Wagner-Vereine, die mit Hilfe des Bayreuther Verwaltungsrathes unter Leitung des so verdienstvoll unermüdlichen Bankiers Feustel zum Ziele geführt hat. Liszt's Schüler Tausig und seine Freundin Frau von Schleinitz in Berlin regen sich zuerst für einen Verein von » Patronen«, die durch Zahlung von je hundert Thalern deren 300,000 zusammenbringen sollen. Wagner selbst leitet die Sache zunächst durch Herausgabe seiner Schriften ein, die zeige, wie er auch in seiner Kunst das Leben suchte, von dem die Nation in ihrem idealen Wesen existirt. Sein großsinniger König hatte im November 1870 zu den übrigen deutschen Fürsten das erlösende Wort gesprochen, das uns endlich wieder ein würdiges und geachtetes Eigendasein nach außen schenkte, das deutsche Reich. Durfte da die deutsche Kunst zurückbleiben? Alles in unserem Künstler war jetzt Action, wonnevoll erregte und erregende Action. Dem »deutschen Heere vor Paris« sang er, der nie etwas anderes gedichtet und getrachtet, im Januar 1871 das Lied vom »Siege-Fried, von deutschen Heeres That gedichtet«:

»Der Kaiser naht: in Frieden sei gerichtet!«

Damals entstand auch auf Anregung Dr. Abrahams, Besitzers der »Edition Peters« in Leipzig, der Kaisermarsch, dessen Schluß folgenden »Volksgesang« hat:

»Heil, Heil dem Kaiser! König Wilhelm!
Aller Deutschen Hort und Freiheitswehr!
Höchste der Kronen, wie ziert Dein Haupt sie hehr!
Ruhmreich gewonnen, soll Frieden dir lohnen!
Der neuergrünten Eiche gleich
Erstand durch Dich das deutsche Reich:
Heil seinen Ahnen, seinen Fahnen,
Die Dich führten, die wir trugen,
Als mit Dir wir Frankreich schlugen!
Feind zum Trutz, Freund zum Schutz,
Allem Volk das deutsche Reich zu Heil und Nutz!«

Kurz darauf spricht er denn auch deutlicher den Sinn der Bühnenfestspiele aus, welche die Darstellung in einem höheren deutschen Originalstile sein sollen, und begleitet, er, der einsame Wanderer, der bisher nur von den Fröschen unserer Theaterrecensions-Sümpfe angequakt worden sei, diese Schrift mit einer Abhandlung über die »Bestimmung der Oper«, mit der er sich zugleich als auswärtiges Mitglied der Berliner Akademie einführte. Sodann aber begiebt er sich jetzt, im Frühling 1871, selbst nach Bayreuth.

Die alte Markgrafenresidenz besaß nämlich eines der größten Theater. Dieses nach altem Hofspielbedürfnis eingerichtete Haus entsprach nun zwar seinen Absichten nicht. Allein die einfachen und treuherzig deutsch gesinnten Bewohner hatten ihm zugesagt. Zudem lag das freundlich stille Städtchen im »Königreich der Gnade« und was ebenfalls wichtig erschien geographisch im Mittelpunkte Deutschlands. Ein kurzer Aufenthalt in der neuen Reichshauptstadt half dann sein Ziel ihm selbst und seinen »Freunden« kräftig zum Bewußtsein und Wollen zugleich zu bringen. Der deutsche Geist verhalte sich zur Musik wie zur Religion, er verlange Wahrheit, nicht blos schöne Form, sagte er dort in einer Festversammlung ihm zu Ehren. Wie die Reformation die Religion der Deutschen tiefer und fester begründet habe, indem sie das Christenthum von römischen Banden befreite, müsse auch der Musik das ihr eigene Deutsche erhalten bleiben, das Tiefe und Erhabene. In denselben Tagen ward mit dem Bauinspector Neumann der Bau des Theaters nach Sempers Entwürfen berathen.

Ein schwerer Verlust dünkte Allen der jähe Tod Tausigs, dem Wagner selbst ein begeisterndes erhebendes Denkmal in Versen setzte. Aber um so emsiger traten jetzt die übrigen Freunde hervor, vorab Mannheim mit seinem Musikalienhändler Emil Heckel, der bei ihm selbst angefragt hatte, was auch die Unbemittelten für die große Sache thun könnten, und dann flugs ans Organisiren ging: der » Richard Wagner-Verein« war der Erfolg davon und die Reihe der deutschen Städte, Wien voran, ahmte ihn bald nach. Jetzt konnte man in Bayreuth auch näher anfragen und dasselbe zeigte sich wegen des Bauplatzes bereitwillig genug. Andere Städte, die sich daraus um der äußeren Vortheile willen meldeten, durften da ohne Berücksichtigung bleiben. Wagner erließ dann zur völligen Sicherstellung der Anschauung über das zu erstrebende Ziel den »Bericht an den deutschen Wagner-Verein«, der uns so tief in die Seelenprozesse einweiht, welche mit der Vollendung seines Bühnenfestspieles verbunden waren. »Ich habe jetzt zu meinem unsäglichen Wohlgefühle die gedeihlichen Elemente nur unter dieselbe Fahne zu versammeln, welche über das so hoffnungsvolle wiedererstandene deutsche Reich dahinweht, um aus den edelsten Bestandtheilen einer wahrhaft deutschen Cultur sofort aufzubauen, ja den lange unerkannt vorbereiteten Bau nur zu enthüllen, indem ich von ihm die falsche Gewandung abziehe, die bald wie ein zerlöcherter Schleier in den Lüften zerstieben wird,« so schließt er hoffnungsfreudig. Und jetzt ward in Bayreuth das Nöthige abgeschlossen: die Stadt schenkte den Bauplatz. Die Feier der Grundsteinlegung zu dem zunächst nur provisorischen Baue sollte am 22. Mai 1872 mit Beethovens Neunter Symphonie erfolgen. Er selbst siedelte dann dauernd nach Bayreuth über. Der König hatte, als er durch Augsburg reiste, eigens seinen Secretär hingesandt und ihn versichern lassen, wie es auch ausgehe, Er werde für jeden Kostenausfall einstehen.

Ein Paragraph der Mannheimer Statuten hatte Concerte unter eigener Leitung des Meisters in Aussicht genommen. Dies führte nun zunächst zu einer Reihe von Reisen, auf denen er sowohl seine »Freunde«, wie vor allem auch die künstlerischen »Kräfte« Deutschlands kennen lernen konnte. Zuerst kam mit Fug Mannheim an die Reihe, »wo Männer heimisch sind«. Sie hätten in ihm den Glauben an die Verwirklichung seiner Pläne befestigt und ihm bewiesen, wo für den Künstler der wahre Boden sei, im Herzen der Nation! so faßte er selbst den Sinn der Feier dort zusammen. Auch Wien bekam classische wie seine eigene Musik unter seinem Zauberstabe zu hören. Bei Wotans Abschied und Bannung des Feuergottes Loge aus der »Walküre« entlud sich draußen ein mächtiges Gewitter. »Wenn die Griechen ein großes Werk vorhatten, so riefen sie Zeus an, daß er ihnen zum Zeichen einen Blitz sende. Mögen wir Alle, die wir im Verein der deutschen Kunst einen Herd gründen wollen, uns auch diese Blitze günstig deuten für unser Werk, als ein segnendes Zeichen von oben!« sagte er unter unbeschreiblichem Eindrucks und berührte dann die Bayreuther Feier mit der Neunten Symphonie, in der der deutsche Geist so tief, so ahnungsreich erscheine. Welche Welt an Gedanken, welche Keime zukünftiger Gebilde berge sie in sich! Er selbst stehe auf diesem großen Werke und strebe von hier aus weiter. Damals eben ließ der Unglücksrabe Professor Hanslick sein thöriges Wort von Wagners »Glück« ergehen. Aber der Sieg war diesmal auf der Seite der Energie des Rechten.

Derweilen ward in Bayreuth zur Feier alles vorgerichtet. Der Riedelsche und der Reblingsche Gesangverein bildeten den Stock des Chores, das Orchester bestand aus Musikern von allen Enden Deutschlands, Wilhelmy an der Spitze. Da war der Meister zum ersten Mal ganz unter »seinen Künstlern«. »Wir geben kein Concert, wir machen Musik für uns und wollen der Welt nur zeigen, wie man Beethoven aufführt, – wer uns kritisirt, den soll der Teufel holen,« redete er sie mit humorvollem Ernste an. Die Grundsteinlegung auf dem schönen Hügel vor der Stadt, wo der Bau heute prangt, geschah am 22. Mai 1872 unter den Klängen des »Huldigungsmarsches«, den er 1864 seinem Könige gedichtet. »Sei gesegnet, mein Stein, stehe lang und halte fest!« damit that Wagner selbst die ersten drei Hammerschläge. Der König hatte ein Telegramm gesendet: »Aus tiefstem Grunde der Seele spreche ich Ihnen, mein theuerster Freund, zu dem für ganz Deutschland so bedeutungsvollen Tage meinen wärmsten und aufrichtigsten Glückwunsch aus. Heil und Segen zu dem großen Unternehmen! Ich bin heute mehr denn je im Geiste mit Ihnen vereint.« Wagner selbst hatte den Vers geschrieben:

»Hier schließ' ich ein Geheimnis ein.
Da ruh' es viele hundert Jahr':
So lange es verwahrt der Stein,
Macht es der Welt sich offenbar.«

Beide Schriftstücke ruhen nebst Mannheimer und Bayreuther Documenten unter dem Steine. Wagner fuhr tief ernst bewegt mit den Freunden zur Stadt zurück: er schaute an diesem seinem 60. Geburtstage zuerst das Ziel seines Lebens mit Augen!

Zu der Feier, die dann im Opernhause stattfand, sprach er seine Freunde und Patrone so an: »Es ist das Wesen des deutschen Geistes, daß er von innen baut: der ewige Gott lebt in ihm wahrhaftig, ehe er sich auch den Tempel seiner Ehre baut. Doch schon jetzt ist der Stein gefügt, um dereinst den stolzen Bau zu tragen, sobald das deutsche Volk es verlangt, zu seiner eigenen Ehre mit Ihnen in seinen Besitz zu treten. Und so sei er geweiht durch Ihre Liebe, Ihre Segenswünsche, durch den tiefen Dank, den ich Ihnen trage, Ihnen allen, die mir wünschten, gönnten, gaben und halfen! Er sei geweiht durch den deutschen Geist, der über die Jahrhunderte hinweg Ihnen seinen jugendlichen Morgengruß zujauchzt.« Die Aufführung der Symphonie desjenigen Künstler, dem er selbst die Weihe des Religiösen zuschreibt, drückte denn nach dem Bericht der Augenzeugen auch diesem Feste, wie es einst bei der großen Akademie Beethovens vom November 1814 gewesen war, »den Charakter der religiösen Feier« auf. Bei dem Abendfeste aber gedachte Wagner nochmals selbst der Großsinnigkeit seines Königs, des Landesherren für Bayreuth. Auf ihr beruhe, was sie heute erlebt, sie reiche aber weit über bürgerliche und staatliche Dinge hinaus: sie bürge für die Gewinnung einer hohen geistigen Cultur, für einen Ansatz zum Höchsten, was einer Nation bestimmt sei! – Ob wohl bald eine Zeit kommen wird, die auch diesen König seiner würdig benennt, wie sie ihn als »Ludwig den Deutschen« in einem ungleich tieferen Sinne bereits hoch über seinem großen Urahn stehen sieht? – »Denn uns wird doch wohl keine Scheu vor der stets bleibenden Stimmenmehrheit der Gemeinheit und Plattheit abhalten, zu bekennen, daß die größte, wichtigste und bedeutsamste Erscheinung, welche die Welt aufzeigen kann, nicht der Welteroberer ist, sondern der Weltüberwinder«, so lehrt der Philosoph, und wir werden bald erkennen, daß dies auch bei Wagner und seinem königlichen Freunde »der Wahrheit letzter Schluß« gewesen ist!

Der Ruhm dieser Feier, die jeden der Anwesenden aufs tiefste ergriffen hatte, erscholl durch alle Lande, pochte an alle rechten deutschen Herzen an. Allein wie Viele waren da noch ungläubig und stumpf. Die »Nation« als solche antwortete noch nicht dem Ruf, sie verstand ihn nicht oder wollte ihn nicht von einem Manne verstehen, der uns so viel wirkliche Wahrheiten gerade ins Gesicht ausgesprochen hatte: sie lag noch erstarrt in den Banden des Fremden und Unwürdigen, war zudem augenblicklich zu sehr von den Forderungen des »Reiches« umflort, die ja noch etwas Neues waren.

»Von Morgen bis Abend in Müh' und Angst,
Nicht wonnig ward sie gewonnen!«

diese Worte Wotans über seine Burg Walhall sollten sich an unserem Meister nur zu sehr erfüllen. Einzig seine »Freunde« waren sein Trost, und diese sah er immer mehr aus der Mitte des deutschen Volkes sich ergänzen, dessen Leiter in künstlerischen Dingen sie denn auch mehr und mehr werden sollten. Concerte und Vorträge regten das Publikum stets aufs neue an, aufs neue auf. Denn das Alte, es ruhte nicht, der Kampf entbrannte ebenfalls stets aufs neue, und das Alte blieb einstweilen noch im Besitze des Ringes, der die Herrschaft bedeutet, der Drache war noch unbesiegt. So ging es denn, da in Deutschland das »Volk« nicht eben reich ist, mit den Beiträgen der sich vermehrenden Wagner-Vereine nur langsam voran, und doch erforderte selbst dieser provisorische Bau mit einer vollständigen Bühneneinrichtung Millionen! Es bedurfte der ganzen Liebe seiner, vor allem jenes seltensten aller Freunde, um manchmal den tiefen Ingrimm zu bannen, wenn er zusehen mußte, wie das Mittelmäßige und sogar das wahrhaft Gemeine immer und immer aufs neue den Sinn seines Volkes gefangen nahm, dem er doch so Hohes und Edles zu bieten hatte. »Am Ende muß ich das Geld der Juden annehmen, um uns Deutschen ein Theater zu bauen!« sagte er im nächsten Frühjahr 1873 zu Liszt, als ihm in der üppigen Gründerperiode einige Wiener Bankiers drei Millionen Mark zum Bau des Hauses angeboten hatten. Tiefer konnte er wohl vor seinem eigenen Volke nicht gedemüthigt, aber auch nicht höher zum Bewußtsein seiner Aufgabe erhoben werden. Auch diese Liebe wahrlich, sie stammte »aus Lachen und Weinen, Wonnen und Wunden«. Denn obendrein setzte jetzt die mächtige Schaar der Feinde alles und jedes daran, sein Werk lächerlich und damit todt zu machen: ihn selbst stellte gar die Schrift eines Arztes als »durch Größenwahn geistig erkrankt« dar. Ein Höllen-Breughel wäre nicht im Stande, das wüthende Fratzenwesen zu malen, das die gebildete Welt, nicht blos Deutschland, damals aufwühlte. Es war wirklich ein unmenschliches und übermenschliches Ringen zugleich um diesen Ring des Nibelungen!

Dennoch gelang es schon im August desselben Jahres 1873 in Bayreuth die »Hebefeier« vorzunehmen. »Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen und zum Ruhme seines erhabenen Wohlthäters vollendet«, steht auf der Partitur des Nibelungenringes, die jetzt zu erscheinen begann, – der Raum für das »Bühnenfestspiel« stand wenigstens unter Dach. Allein damit waren auch die bisher gewonnenen Mittel erschöpft und nur eine »kräftige Hilfeleistung« von Seiten des Königs verhinderte das gänzliche Stocken. Wagner selbst mußte bald wieder zum Wanderstabe greifen. Er suchte diesmal, 1874–1875, durch die zuletzt vollendete »Götterdämmerung« den wirksamen Weckruf in der Nation erschallen zu lassen und hatte dabei mancherlei sicherste Hoffnung zu erleben. »Ich danke dem herrlichen Wiener Publikum, das mich heute der Verwirklichung meiner Lebensaufgabe um einen bedeutenden Schritt näher gebracht hat, aus tiefem Herzen,« das war das Thema, das er dann zum Glück auch in Pest und Berlin nur zu variiren hatte.

Jetzt beginnen denn die Vorproben, und was 1868 München gesehen hatte, wiederholt sich in diesem Sommer 1875 in Bayreuth zehnfach. Wochenlang der gleiche eherne Fleiß, aber auch die ganz gleiche, nein wachsende Begeisterung! »Von dem Wunderwerke hörte ich kürzlich mehr als zwanzig Proben. Es überragt und beherrscht unsere ganze Kunstepoche wie der Montblanc die übrigen Gebirge,« schrieb Liszt. Und dem »bedenkenlosen Eifer der künstlerischen Genossen, sowie dem herrlichen Erfolge ihrer Leistungen« verdankte es der Meister gern, daß er nun die Patrone und Wagner-Vereine bestimmt auf den nächsten Sommer einladen konnte. »So möge denn auch durch Ihre liebevolle Mitwirkung eine künstlerische That zu Tage treten, wie sie keine der heutigen Autoritäten, wie sie nur die freie Vereinigung wahrhaft Berufener der Welt vorführen konnte!« sagt er dabei. Und:

»Solch ungeheurer That enttagte des Helden Ruhm,

singt Hagen von Siegfried.

Die Proben dieses Sommers 1876 steigerten dann die begeisterte Hingabe an das Werk von Seiten der Künstler in einer Weise, daß mancher fühlte, jetzt erst eigentlich ein solcher zu werden, andere aber wie Niemann als Siegmund, Hill als Alberich und Schlosser als Mime in der That schon jetzt bewiesen, um welche nie gesehene Heldenthat in der darstellenden Kunst es sich hier handle: es wurden der jungfräulichen Braut in der That zum Leben die Bande gebrochen. »Die ersten Leiden haben wir überstanden. Wir müssen eine wahre Heldenthat noch vollbringen in der kurzen Zeit,« sagte Wagner, als sich am ersten Schlusse des Cyklus das Schweigen der Ergriffenheit in einen wahren Sturm der Begeisterung aufgelöst hatte, konnte aber doch zuversichtlich hinzufügen: »Wenn wir es so herausbringen, wie ich jetzt deutlich sehe, daß es geschehen wird, so dürfen wir uns wohl sagen, wir haben etwas Großes geleistet.« Der ungeahnte Humor im »Siegfried« entband sich aber auch unter der Leitung des vom Meister selbst stets mehr entflammten Hans Richter in einer Weise, daß man in der That »das Lachen des Weltalls in einem ungeheuren Ausbruche zu vernehmen glaubte.« Das war die Frucht des »tobenden Schluchzens«, mit der einst Jung-Siegfried selbst über der Neunten Symphonie gehangen! Das war aber auch eine neue Seelengrundlage für seine Nation, seine Zeit! Wagner selbst nennt eine Begeisterung dieser Art eine Kraft, durch die sich alle menschlichen Angelegenheiten zu sicherem Gedeihen führen ließen, aus ihn könne man Staaten bauen! Die patriotische von 1870 entstammte der gleichen Quelle und sie hat uns das »Reich« gebracht wie die von 1876 die »Kunst«.

Der Generalprobe am 7. August wohnte der König bei. Er war auf einer Vorstation bei Jean Pauls Lieblingsaufenthalte, der Rollwenzelei, am Wärterhäuschen ausgestiegen: eine stumme Umarmung unter Thränen sagte den unerschütterlichen großen Freunden Alles. Dann zum 13. August 1876, dem ewig denkwürdigen Tage der Neuschöpfung der deutschen Kunst, kommen die Schaaren der Freunde, der Patrone vom großen Fürsten bis zum kleinen deutschen Musiker. »Bayreuth ist Deutschland,« ruft bei diesem Anblick ein Engländer aus, und es fehlte auch nicht des Reiches Haupt, Kaiser Wilhelm, vom Festgeber selbst empfangen, von den Tausenden da aus Nah und Fern stürmisch bejubelt. Ein Großfürst Constantin und der Kaiser von Brasilien erschienen ebenfalls.

Von dem Eindrucke sagen wir diesmal, weil uns der Raum fehlt, alles zu sagen, – nichts, geben aber, um wenigstens eine Vorstellung von dem Vorgange zu gewähren, der da die Geister festbannte und die Gemüther in einem Zwange hielt, der sich erst mit der letzten Note löste, aber dabei auch eine ganze Welt im eigenen Innern aufdämmern ließ, einen kurzen Aufriß seines die Welt ausdeutenden Wesens, sowie ihn jener geistvolle Freund und Patron, der Professor Nietzsche in Basel, kernvoll kräftig hingezeichnet hat.

»Im Ring des Nibelungen,« sagt er, »ist der tragische Held ein Gott (Wotan), dessen Sinn nach Macht dürstet und der, indem er alle Wege geht, sie zu gewinnen, sich durch Verträge bindet, seine Freiheit verliert und in den Fluch, welcher auf der Macht liegt, verflochten wird. Er erfährt seine Unfreiheit gerade darin, daß er kein Mittel mehr hat, sich des goldenen Ringes, des Inbegriffes aller Erdenmacht und zugleich der höchsten Gefahr für ihn selbst, solange derselbe im Besitz seiner Feinde ist, zu bemächtigen: die Furcht vor dem Ende und der Dämmerung aller Götter überkommt ihn und ebenso die Verzweiflung darüber, diesem Ende nur entgegensehen, nicht entgegenwirken zu können. Er bedarf des freien furchtlosen Menschen, welcher ohne seinen Rath und Beistand, ja im Kampf wider die göttliche Ordnung von sich aus die dem Gotte versagte That vollbringt: er ersieht ihn nicht, und gerade dann, wenn eine neue Hoffnung noch erwacht, muß er dem Zwange, der ihn bindet, gehorchen, durch seine Hand muß das Liebste vernichtet, das reinste Mitleiden mit seiner Noth bestraft werden.

»Da ekelt ihn endlich vor der Macht, welche das Böse und die Unfreiheit im Schooße trägt: sein Wille bricht sich, er selbst verlangt nach dem Ende, das ihm von ferne droht. Und jetzt geschieht erst das früher Ersehnteste: der freie furchtlose Mensch erscheint, er ist im Widerspruche gegen alles Herkommen entstanden; seine Erzeuger büßen es, daß ein Bund wider die Ordnung der Sitte sie verknüpfte: sie gehen zu Grund, aber Siegfried lebt.

»Im Anblick seines herrlichen Werdens und Aufblühens weicht der Ekel aus der Seele Wotans. Er geht dem Geschicke des Helden mit dem Auge der väterlichsten Liebe und Angst nach. Wie Dieser das Schwert sich schmiedet, den Drachen tödtet, den Ring gewinnt, dem listigsten Truge entgeht, Brünnhilde erweckt, – wie der Fluch, der auf dem Ring ruht, auch ihn, den Unschuldigen, nicht verschont, ihm nah und näher kommt, wie er, treu in Untreue, das Liebste aus Liebe verwundend, von den Schatten und Nebeln der Schuld umhüllt wird, aber zuletzt lauter wie die Sonne heraustaucht und untergeht, den ganzen Himmel mit seinem Feuerglanze entzündend und die Welt vom Fluche reinigend, – dies alles schaut der Gott, dem der waltende Speer im Kampfe mit dem Freiesten gebrochen ist und der seine Macht an ihn verloren hat, voller Wonne am eigenen Unterliegen, voll Mit-Freude und Mit-Leiden mit seinem Ueberwinder. Sein Auge liegt mit dem Leuchten einer schmerzlichen Seligkeit aus den letzten Vorgängen: er ist frei geworden in Liebe, frei von sich selbst

Dies der tiefsinnige Inhalt eines Werkes, das uns der Welt tragisches Wesen aufdeckt! –

Am Schlusse des Cyklus erhob sich in der begeisterten Versammlung das Verlangen, den edlen Künstler, dessen Blick so lange Jahre »mit dem Leuchten einer schmerzlichen Seligkeit« auf dem Geiste seiner großen Nation geruht hatte, in diesem allbedeutsamen Augenblicke auch selbst zu sehen, zu einem so andauernd stürmischen Rufen, daß er nicht ausweichen konnte zu erscheinen. Es lag ein Ausdruck auf seinen Zügen, der ein ganzes Leben noch einmal zu leben, eine ganze Welt neu zu umfassen schien, als er vortrat und die bedeutungsvoll einfachen Worte sagte: »Ihrer Gunst und der grenzenlosen Bemühung der Mitwirkenden, meiner Künstler verdanken Sie diese That. Was ich Ihnen noch zu sagen hätte, ließe sich in ein paar Worte, in ein Axiom zusammenfassen. Sie haben jetzt gesehen, was wir können, wollen jetzt Sie! – Und wenn Sie wollen, so haben wir eine deutsche Kunst

Ja wohl haben wir jetzt eins solche, ein » Bayreuth!«

»Vollendet das ewige Werk:
Auf Bergesgipfel die Götterburg,
Prachtvoll prahlt der prangende Bau!
Wie im Traum ich ihn trug,
Wie mein Wille ihn wies,
Stark und schön steht er zur Schau:
Hehrer, herrlicher Bau!«

Wir haben eine deutsche Kunst! Haben wir aber bereits auch einen deutschen Geist, ein wahres deutsches Gesammtdasein? Ekelt uns vor der bloßen Macht, die wir bisher gefeiert haben und die doch »das Böse und die Unfreiheit im Schooße trägt?« Ist uns der »freie furchtlose Mensch«, der aus sich das Rechte schafft, der Siegfried geboren, der sich das Schwert schmiedet, den Wurm, der am Herzen unseres Daseins nagt, mannlich erschlägt und die Braut, die schlummernde, gewinnt? Diese Frage ist mit dem »Ringe des Nibelungen« in unser Leben, unsere Geschichte geworfen. Sie wird so lange ertönen, bis sie gelöst ist. Schrieb nach Wagner's groß auffassendem Worte Beethoven die »Weltgeschichte der Musik«, – nun, er selbst schrieb Weltgeschichte in Kunstthaten! Das ist der Sinn dieses »Bayreuth« mit seinem Nibelungenringe von 1867.

Sehen wir jetzt zu, was das Leben und Schaffen dieses den Siebzigern zuschreitenden Künstlers uns ferner und zuletzt bedeutet. Auch ihn leitete Goethe's inniges Gebet:

»Gieb, das Tagwerk meiner Hände,
Hoher Geist, daß ich's vollende!«


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