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5. Réflexions.

»Ein interessanter Anblick war es, wenn ich ihn die Feder in der einen, den Kopf auf die andere Hand gestützt, in Nachdenken versunken vor dem Schreibtische fand.«

L. Schlösser.

   

I.

Goethe schreibt im Jahre 1805 über Winckelmann, den Begründer der modernen Kunstgeschichte: »Er sieht mit den Augen, er faßt mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen. Das vollendete Herrliche, die Idee, woraus diese Gestalt entsprang, das Gefühl, das in ihm beim Schönen erregt ward, soll dem Hörer, dem Leser mitgetheilt werden, und indem er nun die ganze Rüstkammer seiner Fähigkeiten mustert, sieht er sich genöthigt, nach dem Kräftigsten und Würdigsten zu greifen, was ihm zu Gebote steht. Er muß Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht.«

So ward Winckelmann der Begründer einer Art anschaulicher Darstellung in unserer Sprache, wie sie vorher nicht bestanden hatte, und was Goethe selbst daraus gelernt hat, das ersieht sich am deutlichsten an den dichterischen Abbildern griechischer Mythen wie Leda mit dem Schwan im zweiten Theile des Faust:

»Ich wache ja! O laßt sie walten,
Die unvergleichlichen Gestalten!«

Besitzen wir nun eine ähnliche Sprache für diejenige Kunst, die uns dann ebenso gleichsam die innere, die Seelen-Gestalt des Menschen darstellt wie die Plastik seine äußere, für die Musik? Hat unsere Sprache hier von einem ganz neuen und der Literatur als solcher gleich fern stehenden Gebiete wie die Plastik die sichere Erweiterung und festbegründete Bereicherung erfahren wie dort durch Winckelmann? Diese Frage ist mir so mehr der Beachtung werth, da ja die Musik als im Wesen der Dinge stehend und nicht die Erscheinungen, sondern die Idee der Welt selbst auf eigenste Hand und mit eigensten Kräften wiederspiegelnd, auch an sich ungleich mehr eigentlich »poetisch« ist als die Plastik. Wir haben in den musikalischen Schriften Liszts einen bedeutsamen Anlaß, dieser Frage hier näher zu treten.

Freilich ist es ein Grundsatz beschränkt einseitiger »musikalischer Charakterköpfe« wie W. H. Riehl zu behaupten, daß, wer als Musiker über Musik schreibe, gewiß kein »rechter Musiker« sei. Allein die Sache liegt anders: gerade die eigentlichsten Ton- Dichter unter den Musikern haben auch am besten über Musik, ja zum Theil über ihre eigene gesprochen und zugleich mit ihrer sicheren Erfassung der »poetischen Idee« in den Tondichtungen auch die poetische Kraft der Sprache erhöht.

Da ist als der Erste, der mit bestimmter Absicht als Künstler über die besondere Art und die poetisch-dramatische Wirkung seiner Kunst schrieb, – denn von den alten gelahrten musikalischen Formerklärern reden wir hier nicht, – Gluck, und zwar mit Schriften über seine eigenen Werke. Theils Vorreden zu den Partituren, theils Schreiben an Zeitschriften, waren diese Schriften so recht von der Noth der Kunst selbst eingegeben. Das heißt, man bestritt dem Componisten die freie Bewegung als Dichter, die entsprechende Schilderung der entscheidenden Lebenslagen und Handlungen, und wollte ihn an hergebrachte Formen, an schöne »Melodien« von stehendem Schnitt wie an eine Mode binden. Da ergriff der Deutsche – denn der Streit war ja hauptsächlich auf Paris und Italien beschränkt,– sein Schwert, und haarscharf drang es in den wüsten Knäuel theoretischer Auseinandersetzungen, die meist von Leuten ausgingen, welche von der Musik wenig oder nichts verstanden. Drastische Vergleiche, treffende Charakterisirung, schneidender Spott gegen alle Herrschansehen, sitze es auf dem literarischen oder dem wirklichen Throne, und dabei trotz des Theoretischen der Frage alles konkret, individuell, anschaulich, – es ist, wenn man den eigentlichen italienischen oder französischen Text ansieht, etwas von Bismarcks Art darin. Wie denn dieser Künstler ebenso ganz Mann der That, Praktiker, nicht entfernt aber Theoretiker oder gar grübelnder Phantast war! Und obgleich hier, abgesehen von einigen mehr zufälligen höchst treffenden und poetischen Bildern, wie sie nur der schaffende Geist selbst findet, von Aeußerungen über Musik d. h. von musikalischen Schilderungen noch wenig zu finden ist, so thaten diese Schriften doch eine ganz merkwürdige Wirkung und waren die eigentliche Anregung, daß die musikalische Frage fortan auch in den höheren literarischen Kreisen besprechbar wurde. Für die Sprache selbst dagegen war mit diesen Streitschriften nichts geschehen, nicht einmal in den beiden wälschen Idiomen, mit denen übrigens Gluck sehr selbstherrlich hautirte.

Nun aber drängt sich zunächst eine andere Bemerkung hervor, daß nämlich, abgesehen von Luthers Bibelübersetzung, die doch zweifellos zugleich zur poetischen Literatur unseres Vaterlandes gehört, die Musik, poetisch genommen, im Grunde früher deutsch konnte als die Sprache.

Auf dem Grunde von Luthers Deutsch war bei Sebastian Bach eine Recitation entstanden, die mit ihrer Erhabenheit an das Höchste aller Kunst reicht und die so völlig deutsch ist, wie das übliche Seccorecitativ italienisch. An diese Sprache schloss sich nun die Instrumentalmusik an, und wenn Gluck auf dem lebendigen Grunde der wirklichen Sprache eine poetische Redeweise erzeugte, die später Goethe und Schiller wie einst Klopstock aufs allerhöchste entzückte und gewiß nicht ohne Einfluß auf ihre eigene Dichtungssprache geblieben ist, so hatte der Letztere durch persönlichen Umgang mit Philipp Emanuel Bach in Hamburg die Gelegenheit, in lebendiger Anschauung zu erfahren, daß die deutsche Instrumentalmusik begann, dieselbe Bahn eigentlich deutscher Redeweise zu wandeln, und bald zeigten Mozarts Melodien von der »Entführung« bis zur »Zauberflöte«, daß die Musik in ihrem »geliebten Deutsch« selbst gegen die schönsten Schönheiten der dichterischen Klassiker nicht zurückstehe.

An diese Hauptsache war also anzuknüpfen. Wie Winckelmann von der Antike die Fähigkeit zur Darstellung des Plastischen durch die Begriffssprache gewann, so mußten die Letzteren eben selbst unmittelbar an die Quellen der Musik gehen, um die nöthige »Begeisterung«, wie schon Gluck eine solche schaffende Fähigkeit unseres Geistes nennt, zur Darstellung ihrer Gebilde zu finden. Und da sah es eben schlimm aus: die Musiker verstanden nicht zu schreiben und die Schriftsteller nichts oder nicht genug von Musik!

Gehen wir die entscheidendsten der beiden Schriftstellerarten nach der Geschichte der Sache durch.

Von Seiten der Literatur kommt da zuerst Heinse, der im Grunde die Musik erst in dieselbe eingeführt hat. »Musikalisch« war dieser Thüringer im vollsten Sinne, und wenn Dichter wie Schriftsteller zunächst nicht viel von dieser Seite seiner Begabung wissen mochten, das Musiklexikon hat völlig recht, wenn es Heinse's Thätigkeit bei sich verzeichnet und Hildegard von Hohenthal »für den Musiker ewig denkwürdig« nennt. Wie der Schmelz italienischer Landschaft wirkt der Zauber dieser Welt der Töne auf ihn ein und giebt seinem Stil eine Wärme, eine Färbung, wie sie eben in jener Welt selbst walten. Allerdings ist hier noch mehr diese sinnliche oder vielmehr stoffliche Seite der Sache vorwiegend. Wie er selbst denn bei der »süßen« Stimme eines Sopranisten das schlimme benedetto il coltello! oft »im entzückten Ohre gehabt« hat und seine Seele »wie im Strome mit fortgerissen fühlte«! Jedoch ist die Wirkung unserer Kunst auf das Grundwesen der Sprache hier zuerst sicher festzustellen, und die landläufige Literaturgeschichte nimmt nur deshalb von diesem Umstande wenig Notiz, weil einst unsere Klassiker selbst es so gemacht haben. Die Einwirkung dieser Schriften trat denn auch erst ein, als man sich durch die großen Meister der Poesie in der Musik, Mozart und Beethoven, eben dieses »Poetischen« mehr bewußt ward, in der Zeit der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts, als Heinrich Laube dieselben neu herausgab und sie nun mit dem hehren Erfassen der Tonkunst durch Jean Paul zusammentrafen.

Jetzt traten zuerst besondere Musikschriftsteller hervor, deren Wirken in beiden Gebieten, in Literatur und Musik zugleich fußte: Reichardt, Rochlitz und Schubart, – letzterer weitaus der bedeutendste von allen dreien. Allein seine »Idee zu einer Aesthetik der Tonkunst« erschien erst 1806, nach seinem Tode. Der »Spitz von Giebichenstein«, wie Goethe Reichardt genannt hat, war mehr rein verstandesmäßig angelegt und entwickelt. Bach und Händel verstand er nach ihrer monumentalen Größe, Gluck nach seinen dramatischen Begeisterungen, – für Mozarts Poesie hatte er keinen rechten Sinn, und Beethovens Kraftschläge »zersprengten ihm fast Gehirn und Herz«. Von einer Befruchtung und Fortbildung der Sprache kann also hier nicht die Rede sein. Doch ist, was er über die älteren Klassiker gesagt hat, nicht ohne Einfluß auf Männer wie Rochlitz in Leipzig und A. B. Marx in Berlin geblieben, die ihrerseits wieder mehr die freiwaltende Poesie in der Musik erfaßten. »Da sprach Geist zum Geiste!« sagt der Letztere über Reichardts mündliche Erläuterungen Händelscher Gesänge.

Friedrich Rochlitz that jenes Erläutern mit Mozart, Marx mit Beethoven, und in viele Kreise der Lesewelt drang durch ihre Schriften zuerst Kenntnis und geradezu Empfindung für diese neue Welt der Tonkunst! Doch hat der Eine immer noch etwas blos Schriftstellerhaftes und wenig freien poetischen Fluß, der Andere schweift und nebelt zu viel im Ausdruck dessen, was die Musik in ihm erweckt, er tastet blos, faßt nicht fest und sicher zu im Ausdruck, und so ist bei Beiden nicht entfernt von der Bedeutung eines Thuns wie bei Winckelmann die Rede.

In hohem Maße ist dies aber schon bei Schubart der Fall, der eben selbst auch wirklich Dichter war: mit ihm beginnt denn schon das eigentliche musikalische Schriftstellerthum, wie es sich allmählich als ein Besitz unserer Literatur herausgebildet hat. Und dies führt uns zu der eng zusammenhängenden Reihe von Schriftstellern, die aus beiden Gebieten gleich heimisch waren und daher ebenso von der Musik aus die Sprache zu befruchten vermochten, wie sie von der Literatur her die Fähigkeit der Darstellung gelernt hatten. Sie schließt zunächst eben und zwar in sehr entscheidender Weise Franz Liszt mit seinen zahlreichen Schriften über Musik.

II.

Wenn Richard Wagner, wie Heinrich Laube bei der Aufnahme seines so anschaulichen eigenen Lebensabrisses in die »Zeitung für die elegante Welt« vom Jahre 1843 sagt, durch den »Pariser Drang« als Operncomponist auch zum Schriftsteller geworden war, so ist dazu bei Liszt ein ganz anderer Grund vorgelegen: der Trieb, für seine Kunst zu wirken, sie möge Namen und Meister haben, welche sie wolle. »Irrthum und Mißverständnis erschwerten den angestrebten Erfolg,« so schreibt Wagner von jener Weimarer Vorführung des Tannhäuser durch Liszt im Jahre 1849. »Was war zu thun, um das Mangelnde zu ersetzen, nach allen Seiten hin dem Verständnisse aufzuhelfen? Liszt begriff es schnell und that es: er legte dem Publikum seine eigene Anschauung und Empfindung von dem Werke in einer Weise vor, die an überzeugender Beredtheit und hinreißender Wirksamkeit ihres Gleichen noch nicht gehabt!«

Es ist der Bericht im »Journal des Débats« vom Jahre 1849, der 1851 mit einem zweiten verbunden unter dem Titel » Lohengrin et Tannhäuser de Richard Wagner« in Leipzig erschien, mit welcher 1852 in deutscher Uebersetzung in Cöln herausgegebenen Schrift also Liszt auch als Schriftsteller auftrat.

Nicht, als wenn nicht schon vorher die ungemeine Lebhaftigkeit seiner Empfindung und Anschauung ihm die Feder in die Hand gedrückt hätte! Vielmehr stand bereits seit 1836 gar mancher großartig kühner Bericht von ihm z. B. über die Stellung der Künstler in der » Revue et gazette musicale de Paris«, und fast kein bedeutend zu nennender Meister, Gluck, Mozart, Beethoven, Weber, Paganini, Berlioz, Boieldieu, Meyerbeer, Thalberg, Auber, Schubert, Schumann, Field, Mendelssohn und wie sie heißen mögen, ist von ihm ungeschildert geblieben. Und diese Aufrisse und Skizzen erregten sofort so großes Aufsehen, daß der damals so berühmte Lamartine ausgerufen haben soll, er halte es für ein Verbrechen, wenn Liszt sich diesem Fache nicht ausschließlich widme! In Verbindung mit den Schriften » De la Fondation-Goethe à Weimar« (1849), »F. Chopin«, »Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn« und den zahlreichen Aufsätzen in der »Neuen Zeitschrift für Musik«, wie den größeren über den »Fliegenden Holländer« (1854) und »Robert Franz« (1855) bilden Liszts literarische Arbeiten gleich denen Wagners eine stattliche Reihe von Bänden, die an Bedeutung keiner irgend eines Kunstschriftstellers nachsteht und die geradezu eine wesentliche Ergänzung unserer Gesammtliteratur ist.

Und wie steht es denn heute um dieses musikalische Schriftstellerthum?

Der Dichter Schubart hatte in seiner »Aesthetik der Tonkunst« nur erst die Frühlingslaute derjenigen Tonsprache erklingen lassen können, die mit der Entstehung der Oper in unsere Kunst drang. Aber diese italienische Sprache, die derselben zu Grunde lag, besaß doch schon den höchsten Grad der Ausbildung, und das Französische der Gluckschen Opern hatte das »Sprechende«, das die Melodie durch diese Idiome gewann, nur steigern können. Die ganze Instrumentalmusik nahm bald ebenfalls diesen Charakter persönlicher Rede an, es war ja wie in der echten Lyrik das lebendige Welt-Ich, was hier sprach. Als aber nun gar die deutsche Sprache selbst die Höhe ihrer Schönheit gewann und in die Musik eindrang, da zeigten sich ganz neue Schönheiten auch in unserer Kunst. Liszt schreibt in einem seiner zahlreichen Reiseberichte von Wien aus im Jahre 1836, er habe dort mit vieler Freude und oft einer Rührung bis zu Thränen Lieder von Franz Schubert gehört, und fügt bezeichnend hinzu: »Schubert ist der poetischste von allen Musikern, die je existirt haben; die deutsche Sprache trifft bewunderungswürdig das Gemüth, und nur von einem Deutschen können die kindliche Reinheit, die schwermüthige Vertiefung, die über Schuberts Compositionen hingegossen sind, ganz verstanden werden.«

Dies war es: das Deutsche, die Sprache Goethes und Schillers, war über die Musik gekommen und hatte sie wie mit himmlischem Segen bethaut. Sie gab jetzt hundertfältig zurück, was sie vor allem im Choral von Alters her dorther bekommen hatte. Man kennt die fast schwärmerische Verehrung Glucks für Klopstocks Oden und vor allem für die Hermannsschlacht. Mozart hatte das »Veilchen « componirt, und der Hauch solcher Sprache wirkte selbst in der Zauberflöte noch so sehr nach, daß die holprigen Verse des Textverfertigers all ihre Schadenskraft verloren haben. Beethoven schwor ebenfalls anfangs nicht höher als Klopstock, er mochte den hohen Schwung der Phantasie dieses identischen Dichtergemüths lieben. Als er aber Goethe kennen lernte, war's damit vorbei. »Der hat den Klopstock bei mir tot gemacht,« sagte er selbst. Und was hörte Goethe's Freundin Bettina ihn ausrufen? »Goethe's Gedichte behaupten nicht allein durch ihren Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde gestimmt und aufgeregt zum Componiren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ordnung sich aufbaut und das Geheimnis der Harmonien schon in sich trägt!« so sagte Beethoven, dessen Ausspruch stets lautete: »Ein Musiker ist auch ein Dichter.«

In der That, durch die Sprache hatte die Musik sich selbst völlig zur persönlichen Rede geneigt, und was Wunder, daß sie jetzt auch wieder poetisch entzündend auf das Wort wirkte? Ja fortan sind es durchweg die Meister der Musik selbst, die uns Auskunft über dieselbe geben, und wenn schon außer der Geschichte und der Lehre der Musik die Fachgelehrten, die »Professoren« den Componisten das eigentlich Künstlerische und Poetische auch zur Darlegung in Worten überlassen mußten, – in der Ausbildung der Sprache nach dieser Seite des Ausdrucks musikalischer Dinge hin sind fast nur diese Tonmeister selbst auch schöpferisch fortbildend gewesen.

Da ist zuerst schon 1809 C. M. von Weber mit seiner berühmten oder vielmehr fast berüchtigten Kritik über die Eroica. Trotz des eifernden Mißverständnisses zeugt hier die Darstellung dennoch für mehr Verstand von Beethoven und der Musik überhaupt, als die ganze literarische Kritik von damals hatte, und man weiß, daß dieser Freischützcomponist später viel und sehr gut schrieb, sogar einen Künstlerroman zu dichten begonnen hat. Ein Jahr später schrieb Bettina jene »seelenvollen Phantasien über Musik« auf, die in Goethe's »Briefwechsel mit einem Kinde« in den dreißiger Jahren kräftig in die schriftstellernden Musiker einschlugen und förmlich ihre bessere Seele erweckten. Von 1809-1812 standen in Rochlitz' Musikzeitung E. Th. W. Hoffmanns Besprechungen der Beethovenschen Symphonien, die ihm heute sicherlich den Titel »Wagnerianer« eingetragen hätten. Und er gab hier nicht blos der Sprache wundervollen Schwung und neuen Charakter, er mußte sie sogar erweitern. Denn er schilderte in den »Kreisleriana« mit der bloßen Begriffssprache die Mysterien unserer Kunst, ihr Stoffwerk, die Tonarten und ihren Charakter. Mochte dabei der Erfolg sein, welcher er wollte, er mußte die Grenzen der Sprache ausdehnen, ihren Wortschatz bereichern und ihr überhaupt neue Besonderheit geben. Und er konnte es, denn er war beides, Musiker und Schriftsteller zugleich und in anderem Maße als jener preußische Kapellmeister I. F. Reichardt. Er selbst äußerte aber auch daß, wenn einmal über Musik gesprochen werden solle, man nur als Dichter darüber reden könne.

Und doch ist hier immer noch mehr Glanz als Glut, mehr Schwärmerei und sogar Phantastik als die zutreffende Kraft der Poesie und schwungvoller Phantasie, wie sie schon die echt dichterische Natur Bettina's bekundet hatte, deren Berichte denn auch Goethe selbst so ahnungsvoll an die Macht des Genius der Tonkunst gemahnten. Aber nicht eine blos dichterische Natur, ein wirklicher »Poet« wie bei Winckelmanns Darstellung der Plastik gehörte hier zum vollen Treffen des Zieles.

Wir fassen uns kurz: Jean Pauls so tief musikalische Dichternatur entzündete mit der Macht des Gemüths und dem Himmelsbrande wahrer poetischen Anschauung und Begeisterung jenen Robert Schumann, der nun zuerst in Deutschland in seiner »Neuen Zeitschrift für Musik« die Geister, die in ihrer Kunst auch denkend und betrachtend lebten, um sich versammelte. Wo blieben jetzt diese Theoretiker, ein Th. A. Wendt, in dessen Schriften doch Beethoven schon »Gedanken voll Weisheit« gefunden? Wo auch Thibaut mit seiner »Reinheit der Tonkunst«, gewiß einem die Schönheit der Musik innig aussprechenden Büchlein, das manches Gemüth noch heute ihrem besseren Wesen zuführt. Dazu kamen jetzt die brieflichen Aeußerungen Mozarts über Musik ans Licht. Und Beethoven selbst offenbarte seine hohe Anschauung von der Musik eben durch Bettina's Briefe an Goethe. Des Dichters Heinse Schriften über Musik lebten wieder auf, und von Frankreich wehte ein ernster Geist der Kunst in der Erscheinung von Hektor Berlioz selbst in blos schriftstellerischen Erzeugnissen herüber. Man sieht, die Musik ist auch hier an keine begränzte Sprache gebunden, und man meint fast, ihr Geist und Wesen muß als deren eigentliches Leben in sämmtlichen modernen Idiomen wohnen und ihnen so die auszeichnende Besonderheit vor den alten Sprachen geben.

Denn auch Liszt – und damit kommen wir auf unseren Gegenstand –, auch Liszt schrieb französisch und nur französisch, und doch können wir sagen, daß er auch sogar unsere deutsche Sprache bereichert, erweitert und verschönert hat. Denn er schrieb aus dem inneren Geist unserer modernen Sprache heraus, weil er aus dem Geiste der Musik schrieb, die vor allem uns angehört!

Er beginnt jenen Bericht der » Gazette musicale« von 1838 so: »Vor ungefähr fünfzehn Jahren verließ mein Vater sein friedliches Dach, um mit mir in die Welt zu ziehen. Er ließ sich in Frankreich nieder, denn hier, meinte er, sei die geeignetste Sphäre für Entwicklung und Ausbildung meines Genies, wie er in seinem einfältigen Stolz meine musikalischen Anlagen nannte. So habe ich frühzeitig meine Heimat vergessen und Frankreich als mein Vaterland ansehen gelernt.«

Er lohnte diesem seinem neuen Vaterlande nun vor allem durch Erlernung seiner Sprache, die sicher auch heute kein geborener Franzose mit mehr Sicherheit, Eigenart und Schöpferkraft handhabt als er, so daß der Vorwurf von »Neologismen und Germanismen«, den man ihm wohl gemacht hat, sich meist nur in einer begreiflichen Beneidung seines so außerordentlichen Stiles begründet. Dieser selbst nun ist von einer Kühnheit, Kraft, Feinheit, von einem Reichthum, die wahrhaft überraschend und geradezu berückend sind. Selbst durch die Lügen- oder doch Bettlergestalt der bisherigen Uebersetzungen sagt uns ein »einziger Blick seines blitzenden Auges«, daß wir es hier ebenfalls mit einem Siegfried zu thun haben, und einer der Uebersetzer urtheilt mit Recht: »So einzig, unerreicht und unerreichbar Liszt in seinem Spiele dasteht, ebenso einzig und ohne Vorbild ist er in seinem Stile; beides ist seiner Seele Eigenthum. In beiden fühlen wir dasselbe geniale Sichgehenlassen, das aber selbst im Fluge der höchsten Begeisterung nie dem Schönen verletzend zu nahe tritt.« Und wenn hier etwas auszusetzen wäre, so könnte es nur der Ueberreichthum der Gedanken und die schwelgerische Ueppigkeit der Phantasie sein, die sich niemals in Bildern und Farbenbrechung genug thun kann. Dies ist aber nur die natürliche Folge des überschwänglichen Reichthums des Gegenstandes, mit dem er da umgeht. Und wenn die Engländer uns Deutschen in den Darstellungen über Musik, namentlich wo es Beethoven gilt, Unklarheit und geheimnisvolle Sprache vorwerfen, so kommt dies daher, daß ihnen denn doch eben diese Musik nach ihrer vollen Art noch immer ein »Buch mit sieben Sigeln« ist.

Ueber die einzelnen Schriften selbst etwas zu sagen, würde hier zu weit führen. Es genügt festzustellen, daß unser Künstler sich an dem Wesen der sämmtlichen neueren Sprachen so erzogen hat, daß er im Stande war, den über ihnen schwebenden, ihnen allen gemeinsamen Geist zu erfassen und damit auch den ihm entsprechenden Sinn und Gehalt der Musik auszudrücken, so daß es in der That nach den geschichtlichen Darlegungen, die wir oben gegeben haben, eine Erweiterung und Fortbildung auch unserer Sprache geworden ist, daß diese Schriften einmal gut deutsch übersetzt worden sind. Eine solche Uebersetzung bestand schon lange, es ist die Schrift »Robert Franz«.

Das Geschichtliche und Lehrhafte freilich ist die schwächere Seite dieser Schriften, da beides eben der Wissenschaft und Forschung, aber nicht der Kunst und Erschaffung als Eigengebiet angehört. Und doch ist auch in dieser Hinsicht die letzterwähnte Schrift sehr hervorragend, sie enthält eine Feststellung dessen, was wir »Lied« nennen, die historisch und theoretisch noch nirgendwo so gründlich gegeben worden ist. Wie denn in dieser ganzen Schrift mehr die Ruhe der Betrachtung als der Schwung der Begeisterung herrscht!

Wie sicher und fein aber Liszt anzugeben weiß, wo etwas bisher nicht Dagewesenes hervortritt, und wie fruchtbringend seine Darstellungen deshalb gerade für die Geschichte unserer Kunst sind, dafür geben wir zunächst ein kleines Beispiel aus der Schrift über Lohengrin, mit der wir als einer ferneren Probe der ganzen Art dieser Schriften schließen. Es ist bei der Melodie, womit der vom Gral entsandte Ritter seinen wunderbaren Führer, den Schwan, entläßt. »Die Musik besaß noch nicht diesen Typus, welchen Maler und Dichter so oft wiederzugeben versucht haben,« sagt hier Liszt, »sie hatte noch nicht dieses reine Empfinden, den heiligen Schmerz ausgedrückt, welcher die Engel und die dem Menschen überlegenen Wesen, die besser sind als er selbst, ergreift, wenn sie aus dem Himmel verbannt und in unseren Aufenthalt der Trauer entsandt werden, um wohlthätige Sendungen zu erfüllen. Wir sind der Meinung, daß die Musik in dieser Beziehung die anderen Künste ferner nicht zu beneiden hat. Denn wir sind überzeugt, daß noch in keiner derselben dieses Gefühl mit einer so hohen, ja himmlischen Vollendung wiedergegeben wurde.«

»Er muß Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht,« heißt es also auch hier, wie bei Goethe über Winckelmanns Prosa. Und wie diese Beschreibung der Bilder der plastischen Kunst seit nun bereits hundert Jahren unsere Sprache um Bildungen bereichert hat, die heute fast in jedermanns Munde sind, so wird die Darstellung der Schöpfung solcher neuen Seelengestalten, wie sie die Musik gegeben hat, der Sprache selbst tiefere Seele und neue Flügel zugleich geben, und Liszts Schriften spielen hier auch für die deutsche Sprache um deswillen eine solch besondere Rolle, weil sie eben den allumfassenden Geist moderner Bildung darstellen und so selbst den eigentlichen und letzten Gehalt der Sprache hervorzubilden mithelfen können.

Daß aber Liszt selbst, als er im Jahre 1835 die Feder ergriff und diese schriftstellerische Thäitigkeit als eine gleich real wie ideal bedeutsame erfaßte, sage uns zum Schluß dieses Kapitels die Einleitung zu seinem schmerzlich begeisterten Essay über die Stellung der Künstler.

»Wohl wäre es eine schöne herrliche Aufgabe, die Stellung der Tonkünstler in unserem socialen Leben genau und ausführlich festzustellen, – ihre politischen, individuellen und religiösen Beziehungen auseinanderzusetzen, – ihre Schmerzen, ihr Elend, ihre Mühsale und Enttäuschungen zu beschreiben und oh! den Verband ihrer immer blutenden Wunden zu zerreißen und energischen Protest gegen die drückende Ungerechtigkeit oder die schamlose Bornirtheit zu erheben, welche die Künstler verletzt, quält und sich höchstens herabläßt, sie als Spielzeug zu benutzen, – ihre Vergangenheit zu prüfen, ihre Zukunft zu enthüllen, all ihre Ehrentitel an das Licht zu ziehen, dem Publikum und der gedankenlosen materialistischen Gesellschaft, diesen Männern und Frauen, die wir unterhalten und die uns Unterhalt geben, zu lehren: woher wir kommen, wohin wir gehen, worin unsere Aufgabe besteht, wer wir mit einem Worte sind! – sie zu lehren, wer jene Auserwählten sind, die von den höchsten Gefühlen der Menschheit Zeugnis abzulegen und sie mit edler Treue zu pflegen von Gott selbst vorbestimmt erscheinen, – diese gottgesalbten niedergeschmetterten, in Fesseln geschmiedeten Menschen, die dem Himmel die heilige Flamme geraubt haben, die dem Stoff Leben, dem Gedanken Form verleihen und uns, indem sie die Verwirklichung unserer Ideale schaffen, mit unwiderstehlichem Zwange zur Begeisterung, zur himmlischen Offenbarung emporziehen, – wer sie sind, diese Schöpfermenschen, diese Evangelisten und Priester einer unauslöschlichen, in alle Herzen unaufhörlich eindringenden und wachsenden geheimnisvollen Religion: sicherlich dies alles, was sich schon von selbst so laut bezeugt, mit lauter Stimme auch den taubsten Ohren zu predigen und zu verkünden, wäre eine schöne, eine herrliche Aufgabe!«

Wer aber hat sie durch That und Wort zeitlebens herrlicher erfüllt als Er!


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