Friedrich Wilhelm Nietzsche
Der Wanderer und sein Schatten
Friedrich Wilhelm Nietzsche

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

227

"Der ewige Epikur." – Epikur hat zu allen Zeiten gelebt und lebt noch, unbekannt denen, welche sich Epikureer nannten und nennen, und ohne Ruf bei den Philosophen. Auch hat er selber den eigenen Namen vergessen: es war das schwerste Gepäck, welches er je abgeworfen hat.

228

Stil der Überlegenheit. – Studentendeutsch, die Sprechweise des deutschen Studenten, hat ihren Ursprung unter den nicht-studierenden Studenten, welche eine Art von Übergewicht über ihre ernsteren Genossen dadurch zu erlangen wissen, daß sie an Bildung, Sittsamkeit, Gelehrtheit, Ordnung, Mäßigung alles Maskeradenhafte aufdecken und die Worte aus jenen Bereichen zwar fortwährend ebenso im Munde führen, wie die Besseren, Gelehrteren, aber mit einer Bosheit im Blicke und einer begleitenden Grimasse. In dieser Sprache der Überlegenheit- der einzigen, die in Deutschland original ist – reden nun unwillkürlich auch die Staatsmänner und die Zeitungs-Kritiker: es ist ein beständiges ironisches Zitieren, ein unruhiges, unfriedfertiges Schielen des Auges nach Rechts und Links ein Gänsefüßchen- und Grimassen- Deutsch.

229

Die Vergrabenen. – Wir ziehen uns ins Verborgene zurück: aber nicht aus irgend einem persönlichen Mißmute, als ob uns die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart nicht genugtäten, sondern weil wir durch unsere Zurückziehung Kräfte sparen und sammeln wollen, welche später einmal der Kultur ganz not tun werden, je mehr diese Gegenwart diese Gegenwart ist und als solche ihre Aufgabe erfüllt. Wir bilden ein Kapital und suchen es sicherzustellen: aber, wie in ganz gefährlichen Zeiten, dadurch, daß wir es vergraben.

230

Tyrannen des Geistes. – In unserer Zeit würde man jeden, der so streng der Ausdruck eines moralischen Zuges wäre, wie die Personen Theophrasts und Molieres es sind, für krank halten, und von "fixer Idee" bei ihm reden. Das Athen des dritten Jahrhunderts würde uns, wenn wir dort einen Besuch machen dürften, wie von Narren bevölkert erscheinen. Jetzt herrscht die Demokratie der Begriffe in jedem Kopfe, – viele zusammen sind der Herr: ein einzelner Begriff, der Herr sein wollte, heißt jetzt, wie gesagt, "fixe Idee". Dies ist unsere Art, die Tyrannen zu morden, – wir winken mach dem lrrenhause hin.

231

Gefährlichste Auswanderung – In Rußland gibt es eine Auswanderung der Intelligenz: man geht über die Grenze, um gute Bücher zu lesen und zu schreiben. So wirkt man aber dahin, das vom Geiste verlassene Vaterland immer mehr zum vorgestreckten Rachen Asiens zu machen, der das kleine Europa verschlingen möchte.

232

Die Staats-Narren. – Die fast religiöse Liebe zum Könige ging bei den Griechen auf die Polis über, als es mit dem Königtum zu Ende war. Und weil ein Begriff mehr Liebe erträgt als eine Person, und namentlich dem Liebenden nicht so oft vor den Kopf stößt, wie geliebte Menschen es tun (- denn je mehr sie sich geliebt wissen, desto rücksichtsloser werden sie meistens, bis sie endlich der Liebe nicht mehr würdig sind, und wirklich ein Riß entsteht), so war die Polis- und Staats-Verehrung größer, als irgend je vorher die Fürsten-Verehrung. Die Griechen sind die Staats-Narren der alten Geschichte – in der neueren sind es andere Völker.

233

Gegen die Vernachlässigung der Augen. – Ob man nicht bei den gebildeten Klassen Englands, welche die Times lesen, alle zehn Jahre eine Abnahme der Sehkraft nachweisen könnte?

234

Große Werke und großer Glaube. – Jener hatte die großen Werke, sein Genosse aber hatte den großen Glauben an diese Werke. Sie waren unzertrennlich: aber ersichtlich hing der erstere völlig vom zweiten ab.

235

Der Gesellige. – "Ich bekomme mir nicht gut" sagte jemand, um seinen Hang zur Gesellschaft zu erklären. "Der Magen der Gesellschaft ist stärker als der meinige, er verträgt mich."
 << zurück weiter >>