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Buchschmuck

Zwölftes Kapitel

Über grünende Wiesen, über Wald und Hecken kam der Maienwind gezogen mit seinem Lebenshauch aus dem Süden, der das Kranke wieder gesund macht. Die Wälder bedeckten sich mit jungem Grün, und in den Dörfern der alten Kohlenbrenner faßte man neuen Lebensmut, der die Pulse höher schlagen machte, gerade wie der erste Waldmeisterduft die Herzen der jungen Menschenkinder mit freudigen Ahnungen erfüllt.

Ein kleiner Mann mit kurzem Hals und schiefem Kopf zeigte sich auf der Schwelle von Troels Kammer und sah sich verwundert um.

So wahr ich dastehe, er ist daheim! Guten Tag, Troels! Man sagte mir draußen, du seiest ausgegangen!

So?

Ja, das sagte man mir, so wahr ich dastehe! Guten Tag, Troels! Wie ist es dir ergangen, seit ich dich nicht mehr gesehen habe?

Troels, der sich gleich nach seiner Enttäuschung mit Anine von deren Heim ganz zurückgezogen hatte und jetzt wieder so tapfer trank wie nur einer, hatte immer noch seine gute Leibesfülle, aber er plagte sich mit tiefsinnigen Betrachtungen, und dadurch waren seine Wangen wie in willenloser Selbstaufgabe eingesunken.

Nachdem sie eine Zeit lang über das Gras auf der Weide, über Kohlen- und Torfpreise und noch vieles andre gesprochen hatten, begann der kleine, schlaue Mann seine Absicht, mit der er gekommen war, in lange Umschweife, die sich auf der halben Welt herumbewegten, einzukleiden; dann zog er die Kreise enger, und schließlich blieb er bei einem kleinen neuerbauten Hof draußen auf der Markung stehen.

Es ist, so wahr ich dastehe, ein guter Hof, Troels! Ich meine, du solltest ihn dir nicht entgehen lassen.

Hat dich Marianne selbst zu mir geschickt?

He he! ... Man will ja nicht gern ... he he ... sie gab mir ein Zweimarkstück; aber ich hoffe doch, bei dir habe ich etwas mehr als das verdient, wenn nun wirklich etwas daraus wird.

Als der kleine Mann weggegangen war, setzte sich Troels auf sein Bett und versank in tiefe und ernste Betrachtungen.

Laß mich sehen: ich bin neunundzwanzig, und sie einundfünfzig. Neun von eins, das geht nicht, borg ich mir eins, das gilt zehn ...

Er verlor sich in einen Wirrwarr von Zahlen, mit dem er, das sah er deutlich, nie zu stande kommen würde; das war ein hoffnungsloses Bemühen.

Das ist einerlei, sagte er schließlich und kratzte sich in seinem struppigen Bart, ich komme auf andre Weise nie zu meinem Gelde.

Er erhob sich, goß den Rest eines Bierkruges in eine Untertasse, tauchte seinen Kamm in das Bier und strich sich das Haar an den Ohren glatt; zog dann die Enden seines Halstuchs zurecht, verdrehte den Kopf, um das Tuch so fest zu binden, wie es sich für einen wohlgeputzten Burschen im guten, feierlichen Sonntagsstaat gehörte, zündete seine Pfeife an und machte sich auf den Weg nach dem guten, neuerbauten Hof.

Guten Tag, sagte Troels und schnaubte sich die Nase.

Guten Tag – Troels! erwiderte Marianne freudig überrascht und streckte ihm steif einen langen Arm entgegen. Ich konnte doch gar nicht herausbringen, was für ein netter junger Mann auf den Hof zukomme!

He he!

Bitte, setz dich ein wenig.

Ich bin so frei.

So komm doch weiter in die Stube herein, du mußt dich hier an den Tisch setzen.

Danke, ich bleibe lieber, wo ich bin.

Er räusperte sich und sah sie unverwandt an. Noch nie hatte er Marianne so lebhaft und mit so jugendlicher Behendigkeit gesehen, wie heute, noch nie war es ihm eingefallen, daß sie die Fähigkeit haben könnte, zwanzig Jahre ihres Alters so mit einem Schlage von sich zu werfen, wie sie es heute that, indem sie, das Gesicht von hochroten Haubenbändern umrahmt und die Haare in zierlichen Wellen auf der Stirn geordnet, vor ihm erschien. Er war wie erstarrt vor Bewundrung, seine Augen wurden immer größer und sahen zuletzt wie runde Kugeln aus.

Man muß heute schrecklich durch den Schmutz waten, die Wege sind ganz grundlos, begann er nach einer Weile.

Ja, es ist wirklich kein Spaß!

Damit hatten beide ihre Beredsamkeit erschöpft und seufzten nun in stiller, ängstlich froher Hoffnung, daß es ... nun kommen sollte.

Sie schenkte ihm einen Schnaps ein und zapfte ihm ein Glas Bier ab. Hier, Troels, trink einmal! Wohl bekomms! Du trinkst doch wieder Schnaps, nicht wahr?

Ja, manchmal.

Es ist auch sonderbar, wenn ein Mann keinen Branntwein trinkt.

Auf dein Wohl!

Marianne nickte und dankte ihm mit einem wehmütig herzlichen Ton.

Willst du dir nicht auch eine Pfeife stopfen? fuhr sie fort und nahm eine kleine hölzerne Büchse von dem Wandbrett herunter. Wir haben noch einen Rest Tabak von Vaters Zeiten her.

Danke, ich bin so frei!

Sie ging hinaus und kam gleich darauf mit einem reinen weißen leinenen Tischtuch zurück. Sie deckte es auf den Tisch, und Troels fühlte sich durch diese ungewöhnliche Ehre außerordentlich geschmeichelt.

Dies ist eins der Tischtücher, die ich für Anine bestimmt hatte.

So!

Ach ja! seufzte sie.

Troels zog sein Taschentuch heraus und rieb sich eifrig das Gesicht ab.

Ja ja, es ist gut, wenn man etwas im Vorrat hat, man weiß nicht, wann man es braucht, begann sie wieder.

Freilich, es ist recht gut, wenn man auch solche Sachen hat.

Gleich darauf brachte sie ein gebratnes Huhn und eine Platte voll geräucherten Speck und Mettwurst.

Dem Herrn sei Dank, der uns das beschert hat! seufzte sie mit einem gottergebnen Blick auf das fette Huhn; man hat doch immer etwas, um es einem Gast vorzusetzen.

Mit zwei in der Mitte durchgeschnittnen hartgekochten Eiern, einem Teller mit Butter und einer geräucherten, schon stark angeschnittnen Hammelkeule vervollständigte sie die üppige Mahlzeit, nahm dann ein Messer aus der Brotschublade, schnitt sechs große Scheiben von einem Laib Brot ab und legte das Messer auf den Tisch.

Bitte, iß jetzt auch ein wenig!

Troels legte die Pfeife auf die Bank, rückte ein wenig näher und fuhr mit den Fingern ein paarmal zwischen dem Halstuch und dem Gurgelknopf hin und her.

So setz dich doch hier oben an den Tisch, Troels!

Ich danke, ich bleibe lieber hier unten.

Es half kein Zureden, sie mußte schließlich das Messer selbst in die Hand nehmen und es vor ihn hinlegen. So, nun greif zu.

Während der ganzen Mahlzeit stand sie selbst neben dem Tisch, die Hände in die Hüften gestemmt und plauderte eifrig.

Bitte, nimm dir doch, laß dirs schmecken! ermunterte sie ihn fortwährend, obgleich der Gast einer solchen Aufmuntrung eigentlich kaum bedurfte.

Mit dickem und rotem Gesicht saß er am Tisch und kaute au einem Hühnerflügel, tauchte den Knochen in das Salzfaß und arbeitete mit beiden Kinnbacken daran, bis auch das letzte Fäserchen abgenagt war.

Fünf große Brotschnitten glitten in derselben Zeit still und lautlos hinunter, dann folgten noch drei Schnäpse, ein gutes Stück von dem Huhn, ein ordentliches Ende Mettwurst, einige Scheiben Schafkäse und drei halbe Eier. Diese drei letzten etwas trocknen Gegenstände verschwanden auch ohne Anstrengung, worauf Troels seine Mahlzeit mit einem halben Krug Doppelbier beschloß.

Jetzt sage ich schönen Dank und prosit Mahlzeit!

Wohl bekomms, Troels! erwiderte Marianne mit freundlichem Kopfnicken.

Nun zündete er seine Pfeife wieder an und setzte sich auf seinen vorigen Platz. Marianne aber ließ sich im Lehnstuhl zwischen dem Ofen und der Thür nieder.

Wie gehts denn Anine jetzt? fragte er nach einer Weile.

Ja, wie mag es ihr gehen? Sie ist ja nicht ganz richtig im Kopf; das weißt du doch?

Ja. – Mit uns beiden ist es nun eben nichts geworden.

Es war ganz gut so – für dich; denn wenn ich ehrlich sein und meine Meinung gerade heraus sagen soll, so wäre es dir nicht leicht geworden, mit ihr auszukommen, und das wäre ein großes Unrecht gegen dich gewesen, denn du bist von Natur so einfältig und schüchtern.

Er schüttelte den Kopf. Ich habe mich nie gegen das Böse wehren können, denn es ist, wie du sagst, ich bin so einfältig und ... gut von Natur!

Ganz gewiß, das bist du; deshalb Verdienst du auch eine Frau, die immer gut gegen dich ist. Willst du nicht deine Pfeife wieder stopfen, hier ist Tabak?

Danke. Die Pfeife muß ein wenig geleert werden. Er drehte den Kopf ab und goß den Wassersack auf den Fußboden aus.

Es wohnt ein Herr im Himmel droben, der alles für uns Menschenkinder leitet und regiert, Troels, begann Marianne wieder.

Ja, ganz gewiß.

Und er macht alles für uns, wie es sein soll – auch für dich und – mich.

Das Schlimmste ist das mit dem Geld, warf Troels ein, als ob er sagen wollte, daß er, der alles regiert, doch ein wenig unvorsichtig mit seinen elfhundert Thalern gewesen sei. Es ist ja natürlich, jeder möchte das Seinige ordentlich zusammenhalten.

Ganz selbstverständlich, Troels, da sage ich gar nichts dagegen.

Es entstand eine kleine Pause, die augenscheinlich Marianne sehr peinlich war. Sie wartete und wartete, blickte nach ihm hin, strich ihre Schürze glatt, warf wieder einen Blick auf ihn und übergab sich zum voraus willenlos dem Antrage, der jetzt, jetzt endlich kommen mußte.

Es ist ja nur darum, erklang es nun vom Tische her; du bist ja selbst noch nicht sehr bei Jahren.

Hihi! lachte sie und legte den Kopf auf die Seite. Man ist doch in einem Alter, wo man ... sie hielt inne, erhob sich und stellte den Bierkrug unten auf den Tisch.

Lille Bendt trat in diesem Augenblick herein und erhob seinen schiefen Kopf. Guten Tag, Troels! sagte er. So kommst du auch einmal ein wenig zu uns heraus?

Ja.

Der kleine Mann nahm das Bierglas, das ein Stück vom Krug entfernt stand, setzte es an den Mund und schielte auf den Tisch, wo ein einladender Hühnerflügel ihm entgegenleuchtete.

Der Bierkrug steht hier unten neben dir, sagte Marianne.

Richtig! Ich hatte ihn gar nicht gesehen ... ah! Das ist ein gutes Bier – gerade wie Met! Er nahm einen langen Schluck und schielte, während er trank, immerfort nach den Schüsseln auf dem Tisch. Ah! – Ja, Marianne versteht das Brauen aus dem Fundament!

Marianne machte sich am Tische zu schaffen; sie räumte das Geschirr ab und sah nichts weniger als geschmeichelt aus.

Hörst du denn nicht das Vieh draußen im Stall so schrecklich brüllen? sagte sie.

Ich gehe auch jetzt gleich zum Füttern hinaus ... hähä, das ist gewiß, so wahr ich dastehe, ein famoses Huhn gewesen; es war das gelbe mit dem schönen Schopf, nicht wahr?

Marianne antwortete nicht.

Da setzte sich Lille Bendt auf die Bank und ließ sich mit Troels in eine ausführliche Unterhaltung ein, ohne dabei auch nur einen Augenblick die Augen von den Resten des gebratnen Huhns abzuwenden.

Hast du die Schweine schon gefüttert? fragte Marianne wieder.

Nein, ich habe sie noch nicht gefüttert, eben komme ich herein, und nun soll ich gleich wieder hinaus und die Schweine füttern! Ja, was das anbelangt, Troels, das Fohlen, meine ich, so ist da von einem Fehler gar keine Rede.

Marianne schüttelte ärgerlich den Kopf; mit diesem Menschen war wirklich nichts anzufangen. Verdrießlich und widerwillig strich sie ihm ein Stück Brot, legte den Hühnerbürzel darauf und schob es ihm hin, ohne ein Wort zu sagen.

Danke, danke, Marianne! Ja, das ist gar nicht übel, so ein Stück Brot und ein ... ein ... Stück Huhn ... es ist herrlich, dieses Huhn!

Marianne schenkte ihm auch noch einen Schnaps ein: Mach nun, daß du fertig wirst und fort kommst, sagte sie.

Danke, danke! Ja, das wird flugs geschehen sein!

Als er endlich fertig war, seine Finger abgeleckt und noch einmal aus dem Bierkrug getrunken hatte, ging er mit schweren Tritten hinaus, nicht ohne Troels zu versichern, daß Marianne auf dieser Seite von Frederiksborg die beste Frau und die beste Haushälterin sei, die man überhaupt finden könne.

Marianne setzte sich wieder in den Lehnstuhl und seufzte.

Man ist ja in dem Alter, da man weder ein noch aus weiß, was man eigentlich thun soll. Sie zupfte an ihrer Bandschleife und fühlte, ob ihr Haar auch noch in den richtigen Wellen auf der Stirn liege.

Wegen des Alters brauchtest du dir wohl keine Sorgen zu machen, meinte Troels.

Hihi! lachte sie verschämt und krümmte sich, wie wenn sie ein unsichtbarer Finger am Halse kitzelte. Das Gute dabei ist, daß man keine Ausgabe mehr für eine Wiege und dergleichen zu machen hat.

Nun, das weiß man nicht so genau.

Doch, doch! Ich war an Ostern vierundfünfzig Jahre alt.

Was! Bist du so alt?

Freilich, das bin ich; aber sonst bin ich ja gesund und immer frisch an der Arbeit, versicherte sie und wurde in ihren eignen Augen auf einmal nur vierundzwanzig. Man meint, daß es – sehr – noch nicht ganz mit der Jugend vorbei ist.

Nein. Er spreizte die Kniee, beugte sich vor und putzte sich die Nase. Wie sind die Schweine in letzter Zeit gediehen?

Oh, das sind die niedlichsten Schweine, die man sehen kann. Wollen wir nicht hinausgehen und sie betrachten?

Sie gingen hinaus.

Troels gefiel das eine von beiden gar nicht, aber er sagte zu sich, daß darum, von ihm aus, ganz gewiß nichts im Wege stehen solle.

Nachdem sie noch ein Fohlen und ein paar neugeborne Lämmer in Augenschein genommen hatten, führte ihn Marianne auch noch in die Oberstube, wo sie ihm einen großen Haufen deutschen Wickensamens, der in der Mitte der Stube auf dem Boden lag, sowie ein Stück selbstgewebter Leinwand zeigte, die sich, wie sie sagte, ganz besonders gut zu Herrenhemden eignen würde.

Ja, sagte Troels, indem er die Leinwand befühlte, aber du hast sie doch für dich selbst gesponnen!

Hihi! Das thut nichts, das ist einerlei!

Nun, dann könnten wir uns ja darin – teilen.

Gott im Himmel! seufzte Marianne und strich mit der Hand über die Leinwand hin, zugleich einen verschämten Kampf mit sich selbst kämpfend.

Nun, sagte sie schließlich, wenn es wirklich deine Absicht ist, Troels, dann glaube ich, daß es ... daß es von jeder Sorte ein halbes Dutzend geben wird.

*

In den steifen Gängen des Frederiksborger Schloßgartens oder unter den Buchen des Jägerhügels konnte man öfters ein junges dunkles Bauermädchen sehen, das mit dem Ernst einer Nonne dort herumging. Zuweilen war sie von einer leichten, zarten Mädchengestalt begleitet, die mit der Fröhlichkeit eines Kindes neben ihr ging, ihr ins Gesicht lachte und sich alle erdenkliche Mühe gab, den ernsten, festgeschlossenen Mund ihrer Begleiterin zu einem Lächeln zu bringen.

Wenn sie von dem hohen Jägerhügel aus die grauen Abendnebel sich über den See ausbreiten sah, während die sinkende Sonne das schöne Schloß beleuchtete und zugleich mit roten Flammen durch die Bäume des Schloßhofs glänzte, oder wenn sie an den Festtagen auf einer einsamen Bank saß und das Glockengeläute des Schlosses über den See zu ihr herübertönte, dann konnte sich ihr Auge eines feuchten Glanzes nicht erwehren, und ihre Lippen einen tiefen Seufzer nicht unterdrücken, die alle beide Zeugnis ablegten von dem quälenden Schmerz, der beständig in ihrem Herzen brannte.

Sie war jetzt in Bredals Haus vollständig heimisch geworden, und sie erstattete auch reichlich die Kosten für ihren Unterhalt durch ihren Fleiß an Rocken und Webstuhl. Das notwendige Geld für Kleider und andre Bedürfnisse hatte sie selbst, da ihr Troels jährlich dreißig Thaler als Zins aus ihrer väterlichen Erbschaft bezahlen mußte.

Noch immer hatte ihr Gesicht die bräunliche Farbe des Kohlenbrennergeschlechts, aber es hatte im Lauf der Jahre einen feinern und reinern Ton angenommen, der es machte, daß die edeln Züge noch mehr hervortraten und die dunkeln Augen in wärmerm Glanze erschienen.

Herr Bredal, der viel Verständnis für edle Körperformen hatte, bewunderte oft im stillen die schlanke, hohe Mädchengestalt mit dem schönen, dunkeln Haupt.

Durch das tägliche Zusammenleben mit der gebildeten Mutter und Tochter war nach und nach der Wunsch in ihr aufgestiegen, sich auch noch mehr auszubilden, und durch ihre guten, natürlichen Anlagen und ihre rasche Auffassungskraft, durch die sie alles begriff, wuchs sie in geistiger Beziehung mit jedem Tage, während zugleich ihr Benehmen ungezwungner und gewandter wurde, sich aber jederzeit durch eine ihr eigentümliche angeborne Würde auszeichnete.

Es war an einem warmen Sommerabend im Juli 1834, an Herrn Bredals Geburtstag. Der ziemlich geräumige Hausgarten, auf drei Seiten von einem hohen Plankenzaun umgeben, trug heute ein ganz festliches Aussehen: kleine, farbige Papierlampen hingen in den Bäumen und ergossen ihren gedämpften roten, gelben und blauen Lichtschein in die Nacht, während eine große schöne Stehlampe mit milchweißem Lampenschirm in der Laube auf dem Tische stand und mit ihrem Licht eine dampfende Punschbowle, die von einem Kreis breiter Gläser umgeben war, beleuchtete. Um den Tisch saß eine Gruppe fröhlicher Männer, darunter Herr Bredal, barhäuptig und in fröhlichster Laune, sowie ein großer, schöner Greis in einer etwas auffallenden Künstlertracht.

Überall im Garten wimmelte es von Gästen, die zu zwei und zwei herumwandelten und hier und da stillstanden, um auf einzelne in der Laube ertönende Reden und Ausrufe zu lauschen.

Jens Ludwig, jetzt Justizreferendar und Herr Kandidat angeredet, hatte sich wie gewöhnlich zu Anine gesellt und war ganz entzückt von dem wunderbar schönen Abend. Auf einmal hielt er an, faßte sie am Arm, deutete auf die Laube und flüsterte: Das ist der Großhändler.

... Und wir wollen hoffen, daß dieses Jahr ein herrliches werden soll; ein für unser Volk durch reichen Segen ausgezeichnetes Jahr! Gebe Gott, daß die Wahlen so ausfallen mögen, daß die Stände, daß die beratschlagende Ständeversammlung das werden möge, was unser alter, geliebter König und Landesvater ersehnt hat, nämlich ein aufgeklärter und tüchtiger Volksrat, der das Wohl seines lieben treuen Volkes fördert und damit das Band, das unser Königshaus mit dem Volke verbindet, um so fester knüpft und dadurch zur Wiederbelebung des Gemeingeistes beiträgt!

Darauf will ich gern anstoßen, rief Bredal, der in der letzten Zeit wieder ein Freiheitsverehrer geworden war.

Drei kräftige Hochrufe erklangen aus der Laube, worauf einige Verse von Paul Möllers »Freude über Dänemark,« einem damals viel gesungnen Freiheitsliede, von allen zusammen gesungen wurden, während Bredal auf der Guitarre die Begleitung dazu spielte.

Es ist jetzt wirklich gefährlich mit den Ständen, sagte Anine, indem sie weitergingen, wo man hinkommt, spricht man nur von Ständen und wieder Ständen.

Ach, das ist doch sehr erfreulich! Es ist wie bei den ersten Frühlingswinden. Selbst unser ehrenwerter, aber bis jetzt noch unterdrückter Bauernstand fängt an, aufzuwachen, und fragt: Was ist denn das?

Ein neuverlobtes Paar, Mille und der junge Adjunkt Brammer, wandelten in dem Gange zwischen den Haselnußhecken hin und her; sie konnten sich vor lauter Zärtlichkeit kaum loslassen.

Bredal, die Guitarre am seidnen Band über die Schulter gehängt, erhob sich und sprach mit Mund, Augen und Händen auf den neben ihm sitzenden, schönen, freundlichen Greis ein ... der Liebling der Kamönen, ebenso unvergleichlich in Thaliens als in Melpomenens Kunst, nicht ein Musensohn im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern weit hinausragend über uns andre Sterbliche – warum? Weil er gesehen hat, was wir andern nicht sehen und niemals sehen werden: ihn, der die Menschen um einen Kopf größer macht, als sie von Natur sind, Apollo, den Sonnengott mit den schönen Locken ...

Kaum hatte er seine Rede vollendet, da sprangen alle von ihren Plätzen auf, schrieen: Hoch! und streckten ihre Gläser dem alten Manne hin.

Dank, Dank, Dank, meine Freunde! erwiderte eine tiefe, angenehme Stimme, die immer noch frisch und kräftig klang, obgleich der Mann nahe an den Siebzigen war. Leider wird der Liebling der Kamönen – bald ein Raub der Würmer sein, fügte er hinzu und schüttelte wehmütig den Kopf.

Nein nein! erklang es rund herum. Frydendhal soll leben, er soll leben! Hoch, hoch, hoch!

Hör einmal, sagte Bredal scherzend, ich glaube auf Ehre, du hast meine Worte verdreht und hast gesagt: der Liebling der Kamele – sind wir dann die, die du Kamele nennst?

Es wurde herzlich gelacht und dem Witz des liebenswürdigen Wirts der schuldige Beifall gespendet.

Ja wohl, ja wohl! ergriff der alte Schauspieler das Wort, treue Schiffe der Wüste, die meine letzten Illusionen durch den Wüstensand nach den zur Ruhe einladenden Oasen führen.

Sehr hübsch ausgedrückt! Aber heute abend wollen wir nicht an die zur Ruhe einladenden Oasen denken. Wir wollen lieber noch ein Lied singen, schlug Bredal vor und legte die Finger auf die Saiten der Guitarre.

Dann wollen wir dein Lieblingslied singen, »Der Glanz der alten Zeit,« schlug Frydendhal vor.

Gut, sehr gut! Und nun präludierte er Tods alte Weise, wobei er den Kopf zurücklegte und mit wahrem Entzücken in die Saiten griff.

Ja, ja in der alten Zeit,
In der herrlichen alten Zeit!

Wie vergnügt Bredal heute ist! sagte Anine.

Ach, er ist ein herrlicher Mann, so frisch und so natürlich, erwiderte Jens Ludwig.

Frau Bredal aber auch!

Ja, sie ist eine ganz ausgezeichnete Frau, alle beide sind ausgezeichnete Menschen. Merkwürdig ist es doch, daß wir beide, die wir als kleine Kinder so oft zusammengespielt haben, nun auch in einem und demselben Haus ganz wie die eignen Kinder geworden sind!

So kann es gehen!

Anine, ist es dir nicht recht, daß es so gekommen ist?

Das ist eine sonderbare Frage, sagte sie ein wenig verlegen.

Ach ... ich weiß nicht ... manchmal kommt es mir vor, als sei dir an meiner Gesellschaft gar nichts gelegen.

Was sind denn das für dumme Gedanken, ich weiß niemand, mit dem ich mich lieber unterhalte als mit dir, aber – sie zögerte ein wenig – man ist nicht immer gleichmäßig dazu aufgelegt.

Es entstand eine Pause. – Ich kenne ja niemand, mit dem ich mich lieber unterhalte als mit dir, klang es durch des jungen Kandidaten Gedankengang; seine Hand spielte aufgeregt mit seiner Uhrkette.

Sie kamen an der Laube vorbei, wo Bredal mit seiner klangvollen Stimme in diesem Augenblick den Vers von der guten alten Zeit anstimmte, in der Mann und Frau ein viel glücklicheres Leben als heutzutage miteinander geführt hätten. Er schloß mit den Worten:

Ach käme doch endlich die Zeit zurück,
Da es wieder ginge nach altem Schick!
Die gute, die alte Zeit, die herrliche, alte Zeit!

Und während sie in einen andern Weg einbogen, wiederholte die ganze Gesellschaft:

Ach käme doch endlich die Zeit zurück,
Da es wieder ginge nach altem Schick!
Die gute, die alte Zeit, die herrliche, alte Zeit!

Der Schein einer roten und einer blauen Laterne beleuchtete ein Beet eben erblühter Rosen und verlieh ihnen einen magischen Schimmer. Ihr zarter Duft umwob die beiden dahinwandelnden jungen Gestalten und erfüllte die stille, sternbeleuchtete Sommernacht.

Welch wunderbar schöner Abend! sagte Jens Ludwig.

Nach einiger Zeit meinte jedoch der alte Frydendhal, es werde ihm nachgerade ein wenig kühl.

Dem kann abgeholfen werden, alter Freund, tröstete Bredal, dann ziehen wir in wärmere Zonen ... Jens Ludwig, wo bist du? Hier hilf uns die Bowle in die Wohnstube hineintragen!

Der Kandidat kam eilig herbei.

Ho ho! lachte Frydendhal und drohte mit dem Finger. Wie erhitzt wir aussehen! Gieb wohl acht auf dein juristisches Herz, mein Junge!

Ach! lachte der junge Mann, nahm errötend die Bowle und trug sie hinein.

Ja ja! Sie kann dir schon gefährlich werden. Nimm ihr die Haube, und sie ist eine vollständige Dame!

Jens Ludwig war schon ziemlich weit entfernt, aber er konnte Frydendhals Worte doch noch gut verstehen.

Ganz gewiß, ergriff Bredal das Wort, diese Kohlenbrenner sind ein merkwürdig entwicklungsfähiger Volksschlag, sie haben Talente, diese Leute!

Und Sinne! – Ja, das weiß Gott! Sie sind schrecklich in gewisser Hinsicht. Man kann sicherlich, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, auf die meisten jungen Kohlenbrenner das Wort anwenden, das Linné über die kryptogamischen Gewächse sagt: Einsam halten sie ihre Hochzeit.

Ist denn bei ihr etwas vorgekommen? fragte Frydendhal.

Bei ihr? Gott bewahre! Du kannst dich darauf verlassen, ihr kam und kommt keiner zu nahe – pst! O, Anine, bitte, nimm dieses Glas hier mit!

Die fremden Herren betrachteten sie neugierig, und einer der jüngern, ein erhitzter, angeheiterter Maler, unterhielt sich auch eine Weile mit ihr.

Die Männer sind doch überall dieselben, dachte Anine, ob man sie aus einer feinen Gesellschaft oder von einem Kohlenmeiler wegnimmt, nur reden die feinen viel mehr mit den Augen als die andern.

Bredal und Frydendhal gingen im Garten auf und ab, Bredal mit seiner Guitarre unter dem rechten Arm führte mit dem linken seinen alten Freund; die andern Herren blieben noch eine Weile vor der Laube stehen.

Anine räumte die Gläser zusammen, stellte sie auf ein Brett und trug sie ins Haus.

Großhändler Lange, ein kleiner, vollblütiger Mann mit einem roten Gesicht und einem weißen Vollbart, nahm nun, aus einer großen, silberbeschlagnen Pfeife rauchend, die er fest an sich gedrückt hielt, das Wort.

Sie sind die reine Urkraft, diese Kohlenbrenner. O ja! Wie z. B. der junge Kohlenbrennerhofbauer neulich. Wie heißt er doch gleich? Svendsen? Nein, Börgesen, Svend Börgesen, ein junger Hofbauer von – wo war es nur? Nun, es ist ja auch einerlei! Aus irgend einem Ort nördlich von hier.

Was ist mit ihm? fragte einer der Herren.

Hat ihn keiner von euch gesehen? Dort beim Wettrennen auf der Bleichdammswiese?

Anine hielt lauschend hinter dem Gebüsch still.

Ein wahrer Prachtmensch! Kräftig, braun wie ein Malaye! Ihr hättet ihn reiten sehen sollen! Übrigens war das Pferd eine unansehnliche kleine Kreatur von zwölf bis dreizehn Jahren, aber unruhig wie Quecksilber, der helle kleine Teufel! Den Kopf tief gesenkt, die Hufe in die Seiten, und hui! hast du nicht gesehen! fort flog es wie ein Pfeil über die Wiese dahin und war weitaus das erste, das ankam.

Sprachst du mit dem Besitzer?

O, ein endloses Hurrarufen erhob sich! – Ob ich mit ihm sprach? Johannes Hage und ich, wir sprachen wohl eine ganze Stunde lang mit ihm. Zuerst war er ein wenig einsilbig und sah uns mißtrauisch an, aber als er hörte, wer mein Begleiter war, da hättet ihr nur seine Augen sehen sollen: Ist das Johannes Hage?

Das Mädchen hinter dem Jasmingebüsch lauschte mit angehaltnem Atem.

Und dann hättet ihr die beiden miteinander politisieren hören sollen: über die Preßfreiheit, über das Schreiben der Ritterschaft an das Ministerium wegen ...

Das Mädchen fuhr zusammen – Jens Ludwig stand neben ihr und sah sie verwundert an. Sie eilte mit ihren Gläsern davon, während der Kandidat in die Laube ging, um die Lampe zu holen.

... das Verfassungswerk von Schleswig-Holstein, über das Wahlrecht und vieles andre mehr. Ja, ich versichere euch, ich bin vor Erstaunen beinahe auf den Rücken gefallen. Wenn man annimmt, ein junger Bauer, ein echter und gerechter Bauer, der über Staatsangelegenheiten disputiert ... wir reden von einem jungen Hofbauern, mit dem ich mich kürzlich beim Volkswettrennen unterhielt, erklärte er Jens Ludwig. In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nie gehört! Hage sagte auch nachher: Der Mann macht sicher seinen Weg.

Wie hieß er denn, wenn ich fragen darf?

Borge, nein, wie hieß er doch? Svend Börgesen! Ja, Svend Börgesen!

Jens Ludwig ergriff die Lampe. Ich soll die Herren bitten, hineinzukommen.

Die farbigen Lampen ließ man indessen ruhig weiter brennen. Mille und Brammer gingen noch lange im Haselnußgang auf und ab; schließlich wurde nach ihnen geschickt, und sie mußten den schützenden Laubgang verlassen.

Die ältern Herren hatten es sich im Wohnzimmer bequem gemacht und saßen in eifriger Unterhaltung vergnügt bei einander; dazwischen hinein wurde ein fröhliches Lied gesungen. Der jüngere Teil der Gesellschaft vergnügte sich an einem Tänzchen und am Pfänderspielen in einem Zimmer daneben. Erst gegen Mitternacht verabschiedeten sich die Gäste, und es wurde stille in den Stuben.

Jens Ludwig suchte Anine, um ihr gute Nacht zu sagen, aber sie war nirgends zu finden.

Von dem Instinkt seines liebenden Herzens geleitet ging er in den Garten und fand sie am Ende des Haselnußganges auf einer Bank sitzen.

Ich dachte doch, du werdest hier draußen sein; darf ich mich ein wenig zu dir setzen?

Ja freilich, setz dich nur!

Es war doch ein entzückender Abend. Meinst du nicht auch, Anine?

Ja.

Aber die Lampen hier brennen ja noch!

Sie werden schon von selber ausgehen.

Freilich, einige sind schon am Erlöschen; diese gleich neben uns hält sich aber noch tapfer, und sie mußte sich doch wahrhaftig über die Kräfte anstrengen, um Mille und Brammer in rosenrotem Licht zu leuchten.

Sie sprachen eine Zeit lang von den einzelnen Vorgängen des Abends.

Sag mir einmal, Jens, fragte Anine, was ist eine Huri?

Wie kommst du darauf, das zu fragen?

Weil der Maler, mit dem ich mich eine Weile unterhielt, ein wenig aufdringlich war und mich fragte, ob ich seine Huri sein wolle?

Jens Ludwig schoß das Blut in den Kopf. Er muß betrunken gewesen sein, sonst würde er sich so etwas nicht erlaubt haben.

Ja, was ist es denn?

Huri ist der Name für die schönen, schwarzäugigen Mädchen, mit denen die rechtgläubigen Araber ihr Paradies bevölkern und in Ewigkeit zusammen zu leben hoffen.

Sie stieß ein leises, spöttisches Lachen aus: Das wäre eine schöne Seligkeit, mit solch einem Bierfaß zusammen zu leben!

Es war eine schöne Sommernacht, und die Luft war von Rosenduft und würzigem Hauch erfüllt, weich und lind umwob sie die beiden jungen Menschenkinder.

Du bist doch nicht böse, daß ich herauskam, Anine?

Nein, warum denn?

Ach, ich weiß es selbst nicht. Es kann oft ein ganz besondrer Genuß sein, allein in einer Ecke zu sitzen und seine Gedanken ungehindert an sich vorüberziehen zu lassen; das habe ich selbst in der letzten Zeit oft empfunden.

Ja, das ist mir auch sehr angenehm.

Es ist merkwürdig, wie die einzelnen Stimmungen gleichsam – wie soll ich es nennen – sich erheben und zwischen den wechselnden Eindrücken der Erinnerungen und der Sehnsucht und allem, was man sonst empfindet, wenn man allein mit sich selbst ist, besonders in so einer stillen, hellen Sommernacht, auf- und niedersteigen. Es drängt sich uns so vieles in solch einer hellen Sommernacht auf! Meinst du nicht auch?

Ja.

Es liegt etwas in dieser uns umgebenden Luft, das auf alle unsre Sinne wirkt; man kann nicht sagen, was es ist, denn es ist aus so vielen verschiednen Dingen zusammengesetzt: ein weicher Glanz der Blätter, ein einzelner Laut, ein einziger Blumenduft, ein linder Luftzug – aber man kann sie nicht fassen, wenn man nicht selbst etwas in sich trägt, das dem allen entspricht, ein eignes kleines Reich, wo es auch blinkt und blitzt und verlangend atmet.

Sie antwortete nicht, sondern sah verloren vor sich hin, als ob sie in diesem Augenblick weit, weit weg sei, weit weg in einem fernen Reiche der Erinnerungen, wo alles, von dem er sprach, zutraf. Dann seufzte sie tief auf und wandte den Kopf zur Seite.

Kommt dir das wie ein überspanntes Gerede vor, Anine?

O nein, ich verstehe gut, was du damit sagen willst.

Ja, ist es nicht merkwürdig? Man kann dabei ganz wach bleiben und von freudiger Erwartung erfüllt sein! Und doch ist diese Erwartung von einer gewissen Angst begleitet; man wagt es nicht, sich so ganz auf seine Gefühle zu verlassen, denn es ist ja alles nur ein Traum, und man weiß nicht, ob man das jemals erreichen wird, was man ahnt, und nach dem man sich so innerlich sehnt.

Es giebt gewiß nicht viele, die es erreichen?

Nein, aber manche erreichen es doch; sicherlich giebt es auf dieser Welt ein Glück, ein wirkliches, frohes, reiches Glück!

Ja, vielleicht!

Denke an Mille und Brammer. Meinst du nicht, sie seien wirklich glücklich?

Doch.

Und glaubst du nicht, daß sie auch glücklich bleiben werden?

Das weiß niemand.

Natürlich nicht, aber ich meine auch nur nach dem, was man hoffen darf. Ich für mein Teil glaube, sie passen sehr gut zusammen; sie sind beide zuverlässige Menschen, und deshalb glaube ich auch, daß ihr Glück von Dauer sein wird.

Ich hatte übrigens früher gedacht, es würde zwischen dir und Mille etwas werden.

Nein, Anine, dann wäre das Glück nicht von Dauer gewesen.

Warum?

Weil es nicht auf eine Seelenverwandtschaft gegründet gewesen wäre. Die, mit der ich mein ganzes Leben lang glücklich Zusammenleben könnte, müßte ein viel ernsthafteres und tieferes Gemüt haben.

Sie strich mit der Hand über ihre Schürze. Beide schwiegen eine Weile.

Das mußt du am besten verstehen können, Anine.

Ich, warum?

Weil ... weil es niemand giebt, der mich so gut versteht, wie du, Anine. Das glaube ich wenigstens. Ich habe noch mit niemand so gesprochen, wie mit dir. Ich bin immer ganz offenherzig gegen dich gewesen, gegen dich allein. Glaubst du es nicht?

Doch! Deshalb habe ich mich auch immer so sehr gefreut, wenn du deine Ferien hier zubrachtest oder sonst einmal herauskamst.

Ist das wahr, Anine?

Ja, gewiß, es ist ganz wahr.

O, Anine, wie freue ich mich, das zu hören! Wie sehr freue ich mich darüber! Denn ich ... ich selbst bin so ... ich weiß nicht ... so unaussprechlich glücklich, wenn ich hierher komme.

Die Wärme, mit der er diese Worte aussprach, machte, daß sie verwundert aufblickte, und als sie bei dem gedämpften Schein der Lampen entdeckte, wie strahlend seine Augen ihr entgegenleuchteten, wurde sie unruhig und machte eine Bewegung, sich zu erheben.

Anine, bitte, laß mich weiter reden! bat er und ergriff ihre Hand, die sie ihm aber entzog. Du weißt gewiß, was ich dir sagen will ... was ich seit langer, langer Zeit ...

Jens Ludwig, laß uns nicht zu weit gehen. Ich hatte keine Ahnung, daß du meine Worte so auffassen würdest.

Hast du mich denn nicht lieb, Anine?

Dich lieb haben? Ja, ich habe dich sogar sehr lieb, aber niemals habe ich eine Ahnung gehabt, daß ... Bedenke doch, Jens Ludwig, ich bin ein einfaches Bauernmädchen. Und außerdem – nein, nein!

Ich habe seit Jahr und Tag darüber nachgedacht. Sag doch nicht, du seiest ein Bauernmädchen; du hast viel, viel bedeutendere Gaben als Mille, du bist zehnmal gebildeter als viele der feinen jungen Damen, die in den Straßen von Kopenhagen herumstolzieren. Frydendhal sagte gerade vorhin, du wärest eine vollständige Dame, wenn du die Bauernhaube ablegen würdest.

Ich lege sie aber nicht ab.

Das ist auch vollständig gleichgiltig. Was hat denn das zu sagen? Du weißt, ich liebe die Bauern, ich stamme selbst aus altem Bauerngeschlecht, mein Vater ist ein Dorfschullehrer, und meine Mutter, wie du wohl weißt, eine echte und gerechte Hofbauerntochter. Bin ich da vielleicht gar so fein in dieser Beziehung?

Du hast studiert und wirst in vornehme Kreise kommen, und dann würdest du es bereuen.

Nein, ich würde es nicht bereuen, ich bin meiner selbst vollständig sicher. Ich will mein ganzes Leben dem Wohl des Volkes opfern, ich liebe die Einfachheit, und du, Anine, du hast alles das, was ich brauche: Ernst, warmes Gefühl, Gemütstiefe. Anine!

Sie fühlte in diesem Augenblick wohl, wie lieb sie ihn habe; in einem großen Eindruck offenbarte sich ihr all der Friede und die Freude, all die Sicherheit und das Glück, das in einem Zusammenleben mit ihm sie umgeben würde, aber auf einmal schlug sie beide Hände vor das Gesicht, erhob sich und sagte mit leiser, aber fester Stimme: Nein!

Dann ergriff sie seine Hand, drückte sie innig und ließ ihn allein.

Wie weiche Waldhorntöne, die ferner und ferner in der Nacht zu uns herüberklingen und endlich in der Stille der Nacht dahinsterben, war das Glück des Abends von ihm fortgezogen. Stundenlang saß er noch auf der Bank und rief sich alle Einzelheiten ins Gedächtnis zurück, alles, was mit ihr in Verbindung stand; was sie gesagt hatte, ihre Haltung, den Ausdruck ihres Gesichts, als sie dies und jenes aussprach, jeden Blick – und mit einer gewissen Hoffnung der Verzweiflung klammerten sich seine Gedanken wieder und wieder an ihre Worte an: Ja, ich habe dich sogar sehr lieb.

Er richtete sich auf und sah um sich. Wie still war es ringsum! Der Gesang aus der Laube und das fröhliche Summen des Lachens und Plauderns in den Gängen lebte wie ein kurzer Wiederhall in seiner Einbildungskraft noch einmal auf, aber nur, um gleich nachher alles doppelt still und tot erscheinen zu lassen.

Denn alles ist ja ein Traum! sagte er leise vor sich hin und versank wieder in ein trauriges Grübeln.

War es denn wirklich möglich, daß sie Nein sagte? War der Kampf eines ganzen Jahres, die Gedankenarbeit von vielen hundert Nächten, all diese qualvolle und doch süße Unruhe, die zugleich Zweifel und Sicherheit, Enttäuschung und Glück, ein großes, im voraus geahntes, unaussprechliches Glück war – war das alles umsonst gewesen, ausgeblasen – in ein Nichts zerronnen im letzten Abendhauch?

Die Lampen waren nach und nach verlöscht, nur die eine neben ihm brannte noch mit einer kleinen, unruhigen Flamme, die bisweilen aufflackerte und das Papier wieder ein wenig auffärbte, jedoch gleich wieder ersterbend zusammensank. Er sah eine Weile wie geistesabwesend auf die schwach erleuchtete rote Hülle; endlich erlosch auch dieses letzte Licht.

Buchschmuck


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