Ernst Elias Niebergall
Des Burschen Heimkehr oder: Der tolle Hund
Ernst Elias Niebergall

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Erster Akt

Erste Scene

Knippelius Wohnstube.
(Der Metzger Knippelius, hernach eine Magd.)

Knippelius. Da, do schlehkts schun drei, un ich bin als noch net ohgezoge! Do is kah Schmihsge, un kah West un nix sauwer! Ich wohlt, daß e Gewidder in des Weibsvolk fohrn deht: de ganze Morjend knottele-se erum, un hinnedrin is kah Berscht gedoh!

(Eine Magd kommt mit Fleisch.)

Magd. E schee Kumblement vum Herr Regestrater, un so Flahsch deht mer ahm net schicke, wo so beesortig riche deht, un des wehr net die Ohrt, wie mer sei alte Kunne behalde deht. Sie sellde mer e anner Stick gewwe.

Knippelius (bei Seite.) Wos des Mensch vor e bees Mundwerk hot! (Laut:) Is Se net von Griesem, Schätzche?

Magd. Woher wisse Sie dann des?

Knippelius. No, ich hob mer'sch gedocht, dann die Griesemer Zwiwwel un die Griesemer Meiler beiße ganz schwerneths.

Magd (giftig.) Schweie-Se mit ihre growwe Späß, wisse-Se's? un gewwe-Se mer mei Sach, ich hob mehr zu duh, als Ihne uf Ihr ahfellige Geschwätzer Antwort ze gewwe.

Knippelius. No, Schätzche, wahß-Se wos, Sie soll e recht zohrt Stickelche hawwe, wann-Se mer sehkt, was es for e Bewandtniß mi'm Griesemer Guguk hot?

Magd (noch mehr im Eifer.) Ich will Ihne emol ebbes soge, wann Sie e orndlicher Mann wehrn un e rebedihrlicher Metzjer, do dehte-Se die Leit net mit ihrm stinkige Flahsch balwirn, wo noch dazu ze knapps gewoge is: Sie sinn mer e Scheener, fui Deiwel!

Knippelius (bei Seite.) Mit dehre wer ich net ferdig. (Laut.) Loß-Se's nor gut sey, trog-Se's enaus zu meiner Frah, un loß-Se sich e anner Stick gewwe, un dem Herr Regestrater sog-Se e schee Kumblement, hehrt Se, un er meegt's net for ungitig nemme, des Wedder wehr zu haaß un derntwege kennt's manchmol bassirn, daß des Flahsch net ganz so wehr, wie's sey sollt.

(Die Magd geht, ohne die Zeit zu bieten.)

Adje Schätzche, kumm-Se bald widder! (Für sich.) Des wor mer aach ah vun de Hefliche! Die kann ahm des Maul stoppe!

 
Zweite Scene

Knippelius. Karlchen.

Knippelius. No, Kallche, is die Schul schun aus? Es is gut daß de do bist; – wos wollt ich der doch soge? Des Dunnerwetter, ich hatt doch wos im Sinn!

Karlchen (vorwitzig.) Es werd e Lick gewese sey.

Knippelius. Wos, du Lausbub, du willst dich iwwer dein Vadda mukirn? Wort, ich will der'sch vertreiwe! (Holt einen Farrnschwanz hinter der Thüre hervor, erwischt Karlchen beim Ärmel, und prügelt es in der Stube herum.) Du gaschdiger Jung, wer haaßt dich so unnitzig sey? ich will dich Reschbekt lerne!

Karlchen (schreit aus vollem Halse.) Autsch! ach Vaddage, ich will's jo mei Lebdoog net mehr duh!

 
Dritte Scene

Die Vorigen. Katharina, Knippelius Frau.

Fr. Knippelius. Wos schmeißt-de dann widder den ohrme Jung, daß die ganz Nochberschaft zamme laaft? Geh her, Kallche, kumm, mei Herzje, warum hot er dich dann geschmisse? (Sie bedeckt das immer noch schreiende Kind mit ihren Armen.) No, Vadda, warum host-de'n dann widder geschmisse?

Knippelius (erbittert.) Nemm en nor in Schutz, du host Recht!

Fr. Knippelius. Ach, so e unverstennig Kind glei so ze brijjele! Du machst-en ganz hartschlehjig.

Knippelius. Alleweil zieh ich mein Rock oh, un geh aus dem Haus! Der Jung werd in Grundsboddem enei nix nutz!

Fr. Knippelius. Ach schwei! Geh fort, Kallche, un sog der Bärwel, sie sollt-der dei Bäckelche obbutze, des is e bisje dreckig.

Karlchen. Ich will net!

Knippelius. Nah, des is net zum Aushalde! Schmeiß dehre ahgesinnige Krott uf de Backe, daß se de Himmel for e Baßgei ohsieht! Un wos der Bub so schlambig erumlaaft, es ist e Schann! Jetz geh ich aus, un wann ich widder hahm kumm, un der Ringel is net geseiwert, do gibt's en Mordschbekdokel! Des is zum Dohtärjern! (ab.)

Fr. Knippelius. Da, Kallche, host-de en Kreizer, kaaf der en Weck, krein mer net mehr! Dei Vadda schlehkt dich aach alle Gebott. Wort, mer duhn de Fannschwanz eweck, da, Kallche, host-de'n, werf-en in die Mistkaut! (Beide ab.)

 
Vierte Scene

Bärbel (Knippelius Tochter.)

Bärbel. So, jetz is die Mudda in der Kich, un der Vadda is ausgange, jetz kann ich aach mei Buch auslese. Ich hob's gut vasteckelt. (Holt unter dem Bett einen alten Kasten hervor, und zieht ein grünes Buch heraus.) Ich meegt nor wisse, warum se's battuh net leide wolle, daß ich die Bicher les, es stehn doch lauder so scheene Sache drin. (Sie setzt sich.) Wo wor ich dann steh gebliwwe – des is e wohr Mallehr, ma kann so e Buch gor net im Zammehang lese. (Sie lies't eine Zeit lang für sich.) Nah, des worn scheene Zeite! Wann's nor alleweil noch so wehr! Do wehr ich ein Freilein, un der Fritz wehr e junger Ridda, un mei Valdin aach, un dem deht ich e lilafarwig Scherf sticke – weil ich die Lilaklahder am gernste draag –, un die deht er umhenke un uf Owendeier ausziehe, un deht jeden zum Zweikampf erausfoddern, der ebbes geje mich hett. Un der Vadda sehß im Riddasaal, un ich deht em de volle Becher kredenze, un wann ich Owends ellah uf dem Balkon wehr, un in die blaue Ferne enausblicke deht, wann grod die Schoof hahmgingte, deht ich sehnsichtige Lieder an mein ferne Valdin singe! Ach wos wehr des so schee! Un wann dann mei Valdin vum Tornier hahmkehm, un deht mer all die Breise zu Fihse lege, die er im Kampf gewunne hett, un deht soge: »Die feindliche Kuchele hawwe mich verschont, jetzt sog mer, meine Angebetete, liebst du mich?« do deht ich en verschehmt ohgucke un antworde: »Ridda, ich bitt mer Bedenkzeit aus, ich will mei Herz befroge.« Un dann deht er vor mer uf die Knie falle, un ausrufe: »o Dame meines Herzens, ohne dich kann ich nicht lewen, un kah anner nemm ich net!« un do kennt ich net mehr widdersteh un deht sanft lisbele: »ja, Valdin, ich liebe dich!« (Sie seufzt.)

(Man hört draußen die Stimme des Knippelius: Frah, geb' emol siwwe Kreizer for de Brief!)

Bärbel (zusammenfahrend.) Da, do is der Vadda schunt widder! (Sie verbirgt das Buch unter der Schürze.)

 
Fünfte Scene

Bärbel. Knippelius (mit einem Brief in der Hand.)

Knippelius. Do les emol de Brief, Bärwel, er is vum Fritz, der Musjeh werd widder Geld hawwe wolle, ich merk's schun. (Wie er ihr den Brief gibt, fällt das Buch zur Erde. Knippelius hebt es schnell auf.) Wos hot dann die Mammesell do? Ich glaab gor, es is so e Romaneschinke vum Ullweiler odder vum Stihwer! Weis emol her! (Er lies't buchstabirend.) Die spukende – wos die Krenk! – Nonne – im Scha – Schauerthal. – Hehr emol, Junfer, wann ich noch ahmol so en verfluchte Roman bei der verdapp, so schmeiß ich der'n links un rechts um de Kopp erum, daß der die Ohrn wackele! Merk der'sch for die Zukunft! Geh an dei Arweit, helf deiner Mudda in der Kich koche, odder mach, daß der Klah kah verrissene Hose ohhott, daß mer sich vor de Leit scheeme muß! Ich will der de Hochmuthsdeiwel aus dem Kopp bringe, do bin ich der blanmäßig gut davor; du Schlamp!

Bärbel (schnippisch.) No, spor'n Se nor Ihne ihr Schimpredde!

Knippelius (mit Würde.) Dofor bin ich Vadda, un du bist e gensig Ding! Geh enaus, un sog der Mudda, sie soll erei kumme. (Bärbel ab.) Ich wahß net, wos des for Zeide sinn, die Kinner howwe gor kahn Reschbekt mehr vor de Eldern! Wann ich meim Vadda seelig widdersproche hett, oder hett nor e verdrießlich Gesicht geschnitte, wann er mich wos gehaaße hett, do hett er mer de Buckel so dorchgewammscht, daß nix mehr druf gange wehr. Awwer alleweil setze die Kinner glei ihrn Mottekopp uf un brotze, wann sie noch net hinner de Ohrn drucke sinn: des is die neimodisch Kinnerzucht!

 
Sechste Scene

Knippelius, seine Frau und Bärbel.

Knippelius. Da, Bärwel, les emol de Brief, ich mißt sunst mei Brill ufsetze. (Setzt sich in den Lehnstuhl.) Allo!

Bärbel. Der Brief is merderlich fest zubitschirt. So, jetz haw ich en uf. (Sie lies't.)

»Gießen, den 8ten Oktober.

Geliebte Ältern!

Euren lieben Brief habe ich empfangen, und beeile mich, ihn zu beantworten, eine Pflicht, welche mir jetzt um so dringender am Herzen liegt, je deutlicher ich einsehe, daß fremde Lästerzungen es sich angelegen seyn lassen, den Saamen des Argwohns in Eure sorgenden Herzen zu streuen, und mich Euch mehr und mehr zu entfremden suchen. Wie nahe mir dieß geht, wie groß mein Schmerz hierüber ist, möchte ich Euch vergebens zu schildern versuchen. Nur Einiges will ich darauf entgegnen, in der festen Zuversicht, daß ich noch nicht ganz aus Eurem Herzen verdrängt bin, daß ich noch stets einen Platz in demselben einnehme.«

Fr. Knippelius. Ach, er schreibt gor schee! (Wischt sich die Augen.)

Bärbel (lies't weiter.) »Ihr schreibt von einem Bekannten, der Euch mancherlei zu meinem Nachtheil gemeldet hätte, z. B. ich machte Schulden, ginge in kein Colleg, tränke viel Bier etc. Theure Ältern, einen großen Gefallen würdet Ihr mir erzeigen, wenn Ihr mir den Namen dieses schändlichen, boshaften Lügners und Verläumders nennen wolltet, damit ich mir persönlich Satisfaction von ihm holen könnte. Wenn alle Studenten so solid wären als ich, so könnten die Wirthe ihre Wirthschaften aufgeben, die Billards und Kegelbahnen stünden leer, und die Collegia wären desto voller.«

Knippelius. Bärwel, halt emol ei. Mei, Frah, was sehkst du dazu, solle mer unserm Fritz weniger glaawe, als dem Herr Gevadda?

Fr. Knippelius. Der Fritz hot gewiß kah Lumbereie ohgestellt, des how' ich jo immer behaubt.

Bärbel (lies't weiter.) »Ich lebe so solid als möglich, trinke keine geistigen Getränke, und studire rastlos, damit ich recht bald Eure Hoffnungen erfüllen kann. Deinen Geburtstag, lieber Vater, habe ich letzthin auch gefeiert, indem ich einen halben Schoppen Wein auf Deine Gesundheit leerte. Hoffentlich werdet Ihr es auch nicht übel nehmen, wenn ich Euch in Gegenwärtigem um Geld angehen muß. Meine Kleider sind schlecht bestellt –«

Knippelius. Er hot doch den grihne Rock erscht krickt!

Bärbel (lies't.) »Meine Wäsche hat durch die Gewaltthätigkeit der hiesigen Waschfrauen sehr gelitten, und ich brauche nothwendig ein Dutzend neue Hemden.«

Fr. Knippelius. Ich how'-em doch erscht uf de Michelsdoog neie Hemmer mache losse!

Bärbel (fährt fort.) »Meine Stiefel sind durch das hiesige schlechte Pflaster ganz auf dem Hund.«

Knippelius. Daß dich! Hot vier poor Stiwwel mitgenumme!

Bärbel (lies't.) »Sodann brauche ich viele nothwendige Bücher. Alles dieses zusammen beläuft sich auf ungefähr 100 Gulden, welche Ihr mir in der Kürze schicken müßt, denn ich kann nicht bis zum Herbst warten. Ihr würdet auch gut thun, wenn Ihr noch außerdem einiges Geld für mich beifügtet, denn ich habe schon seit acht Tagen keinen Hessenbatzen mehr, und leide an dem Nothwendigsten Mangel.«

Knippelius. Nah, des is iwwer'sch Bohneliedche! Wie lang is es, Kathrine, daß mer'm Geld geschickt howwe?

Fr. Knippelius. Am Freidoog worn's verzeh Daag, do hot er finf-en sibzig Gulde krickt.

Knippelius. Richdig, un die hot der Musjeh schun dorchgebutzt. Er mahnt, ich kennt des Geld aus dem Ermel schiddele – awwer woher nemme un net stehle?

Fr. Knippelius. Ja, wann er'sch nu awwer braucht?

Bärbel. Ach, des sinn lauder Piff vun em, wann er des Geld hot, do verreit un verfehrt er'sch un kaaft seim Hund e nei Halsband. Ja, un der krickt Alles, wos er will, wann ich awwer nor en neie Mutze, oder e Band oder e Scherzche hawwe will, de haaßt's: du kannst noch worte, es werd net so bressirn!

Knippelius. Rässenir mer net, Romanelesern! Is der Brief schun ferdig?

Bärbel. Nah, ach es sinn doch lauder Lije! (Sie lies't.) »Verflossene Woche war ich krank und mußte im Bette liegen bleiben; der Arzt hat mir verordnet, ich solle, wenn ich wieder aufstehen könnte, rothen Wein, des Tags eine Flasche, als Stärkung trinken. Nun bin ich wieder seit ein paar Tagen auf, bin aber noch sehr schwach, weil ich dieses Stärkungsmittel wegen Geldmangels nicht gebrauchen kann. Habet daher die Güte, bei Eurem baldigen Briefe Rücksicht darauf zu nehmen, damit ich wieder zu Kräften komme.«

Knippelius. Nah, do meegt mer sich uf de Kopp stelle un sich mit de Bah verwunnern! Ich wor aach e junger Borsch, un wor doch aach lustig, wann ich awwer mei Halmooß Bier odder Eppelwei hatt, do wor ich zufridde. Awwer do der Herr will rohde Wei saufe un de große Herr spiele, schwitjesirt, hält sich en Hund, der en noch zum Haus enaus frißt, dujelirt sich –

Fr. Knippelius (erschrocken.) Ach Herr Je, Balser, dujelirt bot er sich?

Knippelius. Kah Wunner, driwwe des Schnerre Hannes bot mer'sch gesogt, dem hot's des Winnels Adam erzehlt, un der hot's vun eme Student erfohrn. Er hot aach sein Dappe krickt, en Schmiß iwwer die Brust, wann er widder kimmt, will ich en emol visedirn.

Bärbel. Ja, Vadda, un e gut Freindin hot mer gesogt, neilich wie ich in dehre Kaffevisitt wor, sie hett gehehrt, er hett sich e Bolenehs mache losse.

Knippelius. Wos is dann des for e Ding?

Bärbel. Ei des is so e Schnihrrock, wo so e Meng Schnihrn un Kwaste droh erumbambele.

Knippelius. Wos, so en Hansworschderock? Do soll er mer net mit iwwer die Schwell kumme, ich hetz sunst de Spanjer hinner'n, wahß Gott! Hett ich en nor wos annerscht lerne losse; do wor mei Geschwisterkindsvedda in Bermesens, der unner dem olte Landgraf gestanne hot, bei dem hett er des Sahlerhandwerk lerne kenne! Geh mer de Wisch her!

Fr. Knippelius. Der Brief is jo noch gor net all.

Knippelius. No so mach, daß er ferdig werd, ich alderir mich, daß mer alle Glidder ziddern, iwwer so en Schliffel!

Bärbel (lies't.) »Seyd auch so gut und besorgt beifolgendes Paquet an Herrn Puttel. Es sind Proben von Tabak, um die er mich ersucht hat.« – Wos is dann des for e Paket?

Fr. Knippelius. Do leit's. Mer mahnt, die Kordel wehr erunner gange.

Bärbel (neugierig nachsehend.) Da, do henkt ebbes eraus, ach, e Schählche! Gucke Se emol, Vadda!

Knippelius. Weis! Kotz Krenk! (Zieht ein Halstuch aus dem Paquet.) Is des Tuwack? Mer wolle's doch emol ufmache, do sinn faule Fisch dahinner. (Öffnet das Paquet vollends.) E Weibshalsduch, so e neimodischer Kamm, e poor Hannschuh un e Schnall! Des is mer e scheener Tuwack! Do is aach noch e Briefche.

Bärbel. Des is gewiß an's Bienche, mit dehre hot er'sch immer gehatt, ich wahß, wie er noch in die Klaß is gange. (Lies't die Adresse.) »An Fräulein Sabine Puttel, Wohlgeboren« – Gelle Se ich hob recht?

Knippelius. Des versteh ich awwer net. Die Sache sinn doch an de Puttel selbst adressirt!

Bärbel. Ja, er bekimmert sich awwer um gor nix vun Briefschafte, weil er mi'm Lese net recht fort kann, un do geht Alles dorch dem Bienche sei Hend.

(Es klopft an.)

Fr. Knippelius. Duht die Sache eweck! Ach, un es sieht so schlambig aus in der Stubb, raum emol do de Dreck vun de Stihl! Herein!


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