Johann Nepomuk Nestroy
Die beiden Nachtwandler
Johann Nepomuk Nestroy

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Verwandlung

Die Bühne stellt wieder denselben Teil des Marktfleckens wie im ersten Akte mit den Häusern des Bandelkrämers, der Kräutlerin und des Seilerers vor. Es ist spät abends.

Einundzwanzigste Szene

Frau Schnittling und Babette (kommen aus dem Hintergrunde und stellen die leeren Körbe, die sie zurückbringen, an ihrem Hause nieder)

Babette Ich kann mich halt nicht trösten, ich mag tun, was ich will, jeder Korb, den ich anschau', erinnert mich an den Korb, den ich ihm hab' geben müssen, jedes grüne Blattel mahnt mich schrecklich daran, daß sich bei mir 's Blattel gewendet hat.

Frau Schnittling Es wird sich geben, es muß sich geben, es hat sich alles noch auf der Welt gegeben.

Babette O, d' Frau Mutter weiß nicht, was Liebe ist!

Frau Schnittling Versteht sich, als ob unsereins ein Eckstein wär'! A Kräutlerin hat etwan keine Empfindungen! Unter die Heringköpf' gibt es so gut schwärmerische Gedanken als unter die Gros de Naple-Hüt'.

Babette (links in die Szene schauend) Da kommt die, die an mein' Unglück schuld is.

Zweiundzwanzigste Szene

Hannerl (traurig ihrem Hause zugehend); die Vorigen

Hannerl Ich geh' herum wie ein verlorenes Hendl; wenn nur der Bruder schon z' Haus wär', alleinig glaub' ich grad, es druckt mir 's Herz ab.

Frau Schnittling (höhnisch zu Hannerl) Das wird doch eine Betrübnis sein! Hat er sich also nicht beschwalbeln lassen von der Jungfer? Schau', schau', wie der Wind geht. Ich hab' schon a etliche kennt, die zwei haben woll'n, nachher haben s' gar keinen kriegt.

Hannerl Lass' mich d' Frau in Ruh! Ein Mädel ausspotten, die eh' unglücklich ist, das zeigt recht a schlechts Herz!

Frau Schnittling O, du Herzerl, du! Vom Herz ist da gar keine Red'. Ich hab' Ihr meine Meinung g'sagt; keine Kräutlerin behalt't ihre Meinung bei sich, und ich werd' wegen der Jungfer auch noch keinen neuen Brauch aufbringen.

Hannerl (nach links deutend) Ha, da kommen s' alle zwei! Was muß da g'schehn sein? Wie schaun die wieder aus?

Frau Schnittling (verwundert hinblickend) Ah, jetzt verschlagt's mir die Sprach'. (Alle drei ziehen sich lauschend zurück.)

Dreiundzwanzigste Szene

Faden, Strick; die Vorigen

Strick Da sein wir wieder bei unserm Stammschloß.

Faden (desperat) Ich möcht' mir d' Haar' ausreißen.

Strick Wenn der Meister a Lehrbub' wär', so tät' ich Ihm die Müh' ersparen.

Faden Wie hab' ich so übermütig sein können? Was hat mir der unschuldige Zopfen getan?

Strick Ich hab' alleweil g'sagt, bescheiden sein im Glück, nur bescheiden! Aber der Meister hat schon so was Marogantes an sich.

Faden Mehr als alles kränkt mich der Brief (zieht ein kleines Blatt hervor), den mir meiner Braut ihr Stubenmädel im Vorbeischusseln zug'steckt hat, wie wir daher'gangen sind. 's Glück hat ein End', schreibt sie mir, ihr war nur drum z' tun, a reiche Frau z' werden, es is alles aus. Es war nicht Liebe, es war nur Eigennutz von ihr.

Strick Das ist schon der dritte Grad von Vernaglung, daß Sie das jetzt erst einsehen.

Faden Ich hab' jetzt gar nix mehr, du wirst auch nit viel haben.

Strick Ich bin nur einen halben Tag Bedienter g'west, was kann ein Anfänger viel machen? Ich hab' Ihnen halt um dreißig Gulden betrogen, die will ich jetzt ehrlich mit Ihnen teilen.

Faden Das is edel, aber ich hab' eine andere Idee. Wir legen uns jetzt schlafen, morgen früh fangen wir zum arbeiten an, und wenn wir einen Strick fertig haben, so hängen wir uns alle zwei dran auf.

Strick Ich weiß nicht, ob ich von der Partie sein werde. Der Meister kann sich leicht aufhängen, aber bei mir kommt's zu hoch. (Ab ins Haus im Hintergrunde.)

Faden Das wird a traurige Nacht werden! O, Unglück ohnegleichen! Doch ich hab's verdient – um einen Zopfen hab' ich es verdient! (Schlägt sich mit der Hand vor die Stirne und geht ebenfalls ins Haus ab.)

Vierundzwanzigste Szene

Frau Schnittling, Babette, Hannerl

Hannerl Das is mir unbegreiflich!

Frau Schnittling Die Herrlichkeit hat nit gar z' lang gedauert!

Babette (mitleidig) Und wie s' ausgeschaut haben!

Hannerl Die armen Narren!

Frau Schnittling (links in die Szene sehend) Was kommt denn da für ein Quark? (Ziehen sich zurück, der Mond fängt an aufzugehen.)

Fünfundzwanzigste Szene

Herr von Rauchengeld, Emilie, Mathilde, Theres, Geyer; die Vorigen

Herr von Rauchengeld Die zehntausend Gulden können mir also in keinem Fall mehr genommen werden?

Geyer In keinem Fall, liebster Mann, verlassen Sie sich auf mich, sub conditione, daß die Fräule Tochter –

Emilie Ich werde die Ihrige –

Herr von Rauchengeld Sub conditione einer dem Vater zu verabreichenden lebenslänglichen Atzung.

Emilie Der Abstand ist freilich groß.

Theres Sie werden halt doch eine reiche Frau!

Mathilde (für sich) Die Schwester kriegt zwei Partien in einem Tag, und ich gar keine; wenn das gerecht ist, so weiß ich's nicht.

Geyer Gut ist es aber doch, wenn der Seilerer heute noch als freier Mensch allen seinen Rechten auf Ihre Tochter entsagt, wir wollen ihn gleich – denn morgen wird er arretiert, er muß Rechenschaft geben über die verdächtigen zwei Fremden, die einen solchen Rumor auf dem Schlosse angefangen haben, und über seine Verbindung mit ihnen.

Herr von Rauchengeld (links in die Szene sehend) Da kommen s' Ihnen grad in 'n Wurf! (Alle treten etwas beiseite.)

Sechsundzwanzigste Szene

Wathfield, Howart, Malvina; die Vorigen

Wathfield Sie sind noch ziemlich gut weggenommen, mein lieber Howart!

Howart Weil nur Malvina mir verziehen hat!

Malvina Ich hoffe, Sie werden mich nie wieder aufs Spiel setzen, und nun reißen Sie den armen Menschen aus seiner verzweifelten Lage, jetzt erst müßte ihm seine Armut schrecklich sein.

Howart Sogleich! (Will durch das Haus im Hintergrunde ab.)

Geyer (ihm entgegentretend) Halt! Wächter, herbei! (Zwei Wächter, denen Geyer schon früher in die Szene zugewinkt, treten an und nehmen Howart in die Mitte.)

Howart Was will man von mir?

Wathfield und Malvina (erschrocken) Was ist das?

Geyer Er ist verdächtig, lieber Mann! (Zu einem dritten Wächter, welcher eben kommt, auf Wathfield zeigend.) Der wird auch festgehalten! (Der Wächter stellt sich mit der Hellebarde zu ihm.) Die Dirne mag entlaufen! Haben wir euch, ihr saubern Vögel? Wir kennen euch schon, das hohe Amt munkelt von Falschmünzern, Räubern, Geisterbannern und diversen Filou-Gattungen.

Wathfield Wenn ich aber –

Howart Ha, da ist er! (Zeigt nach Fadens Haus, alle sehen bin und erschrecken.)

Siebenundzwanzigste Szene

Faden (tritt unter leiser Musikbegleitung, welche durch einen Teil der folgenden Szene fortwährt, in seinem ersten Negligé aus dem Bodenfenster des Hauses und wandelt somnambül das Gesimse entlang); die Vorigen

Alle Was ist das?

Babette (in heftigster Bewegung) Das is mein –

Howart Still, still, nur ja nicht beim Namen nennen, bis er auf sicherem Boden ist! Die Mondsüchtigen fallen, wenn man ihren Namen ruft.

Babette Jetzt geht mir ein Licht auf – du bist unschuldig, er is unschuldig – das war ein schrecklicher Irrtum!

Frau Schnittling Sixtes, sixtes, jetzt wandelt der Nacht!

Faden (ist über die verfallene Mauer herabgestiegen, kommt nach dem Vordergrund und spricht im Schlaf) Adieu! Adieu! Es ist doch gut, wenn man ein Seilerer is. (Macht die Pantomime, als ob er sich eben aufhängen wollte.) Die Emilie is eine falsche Katz – meine Wettel is ein Engel – und ich war ein Stockfisch –

Babette (ihre Gefühle nicht mehr unterdrücken könnend) Sebastian!

Faden Ha! (Erwacht und sinkt der herzueilenden Frau Schnittling in die Arme; in diesem Augenblick schweigt die Musik.)

Frau Schnittling Erholen Sie sich, Herr Schwiegersohn, erholen Sie sich!

Faden Was is denn vorgegangen mit mir? (Babette erblickend.) Du bist da? O, verzeihe mir! Wettel, sei kein obstinates Mädel!

Babette O, mein Sebastian!

(Die leise Musik fällt wieder ein.)

Wathfield Dort schaut hin! Dort schaut hin!

Alle Da kommt noch einer!

Achtundzwanzigste Szene

Strick (kommt aus dem andern Bodenfenster, ebenfalls somnambül); die Vorigen

Hannerl (im höchsten Staunen) Das ist ja mein –

Howart Still, um Himmels willen!

Strick (ersteigt den Giebel des Daches, macht von da einen Schritt auf den Rauchfang, nimmt aus demselben einen Schinken heraus, druckt ihn ans Herz und blickt dabei sehnsüchtig in den Mond)

Hannerl (sich in der Angst vergessend) Fall nit, Fabian, fall nit!

Strick Ha! (Erwacht und fällt in den Rauchfang hinunter.)

Alle Ach! Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Hannerl (desperat ins Haus laufend) Jetzt ist er weg, mein Fabian!

(Frau Schnittling und Babette laufen ins Haus, Pumpf kommt mit vielen Nachbarsleuten.)

Die Nachbarn Was gibt's denn da? (Einige davon gehen ins Haus ab.)

Pumpf Was ist denn das für ein G'schrei? (Ebenfalls in des Seilerers Haus ab.)

Wathfield So ein Schornstein geht schräge, es kann ihm unmöglich viel geschehen sein.

Faden (Howart und Wathfield erblickend) O je, da sein meine Geister!

Howart Du irrst; die Täuschung mag entschwinden. Du bist als Nachtwandler zufällig mein Retter geworden, dafür gebe ich dir nun das Häuschen wieder, was du heute übermütig schon verschmäht.

Wathfield Und ich füge ein kleines Kapital zum besseren Betriebe seines Geschäftes hinzu.

Faden Ist's möglich –?!

Die Nachbarsleute (erstaunt auf Howart sehend) Was is denn der Herr?

Howart Euer neuer Gutsherr bin ich, Lord Howart.

Alle Ah!

Geyer Mich trifft der Schlag! (Howart zu Füßen sinkend.) Euer Gnaden, ich erstarre!

Howart Das dürft Ihr nicht, mein Amtmann muß rührig sein. Steht auf! (Reicht ihm die Hand, welche Geyer mit devoter Zerknirschung küßt. Frau Schnittling, Pumpf, Babette, Hannerl und die Nachbarsleute bringen Strick, der vom Rauchfang ganz schwarz geworden ist, aus dem Hause.)

Pumpf Da is er also ganzer.

Strick (auf den Faden zueilend) Meister, jetzt hör' ich grad, daß wir Nachtwandler sein. Das war der ganze Verdacht! Hannerl, ich hab' dir Unrecht getan, zum Lohn will ich jetzt deine ganze Erbschaft mit dir teilen.

Geyer Nun gibt es ja Hochzeiten die schwere Menge.

Howart (Malvinas Hand ergreifend) Ich selbst will euch mit gutem Beispiel vorangehen.

Alle Vivat! (Allgemeine Gruppe.)

Faden (zu Hannerl und Babette) Weiber, ihr dürft's achtgeben auf uns!

Strick Es ist ein kurioser Zustand – übrigens, die Nachtwandlerei is auch ohne Mondsucht viel häufiger auf der Welt, als man glaubt.

Schlußgesang

Strick
Der Verstand is das Licht unsers Lebens, darum:
Wer keinen hat, wandelt im Finstern stets um.
Auch 's Geld ist a wichtige Sach' heutzutag',
Und der Mensch, bei dem 's allweil schwarz ist im Sack,
Für den is das Leben dann, sei's, wie es sei,
Auch nichts als a beständige Nachtwandlerei.

Chor (wiederholt das Ende der Strophe)

Strick
Auch wir wandeln allweil auf d' Nacht da herum
Und reden dabei einmal g'scheit, einmal dumm,
Und soll dieser Zustand kein trauriger sein,
Brauchen wir statt 'n Mond einen anderen Schein,
Der Stern Ihrer Huld muß uns leuchten dabei,
Sonst tut's es nicht mit unsrer Nachtwandlerei.

Chor (wiederholt)

Der Vorhang fällt.


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