Marie Nathusius
Tagebuch eines armen Fräuleins
Marie Nathusius

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Trinchen an Lulu.

Plettenhaus, den 23. März.

Du hast recht gehabt, liebe Lulu, ich habe mich unnötig gesorgt. Der Herr hat alles geordnet, wenn auch anders als wir glaubten. Deine liebe gute Tante liegt ohne Hoffnung und doch mit sehr viel Hoffnung, sie spricht aus vollem Herzen: »Jesus meine Zuversicht und mein Heiland ist im Leben dieses weiß ich, sollt ich nicht darum mich zufrieden geben, was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht?« So sei du auch getrost, teures Kind, der Herr hat sie erlöst von vielen Schmerzen – ja sie ist entschlafen, ich kann es dir nicht vorenthalten. Sie ist gerne geschieden, Sorge um dich ängstigte sie nicht mehr. Deine Briefe waren ihr ein heller Born des Lebens und der Erquickung. Komm, mein Kind, du sollst ihr einen Veilchenkranz auf die weiße Stirn legen und einen Strauß in die zarten Hände. Komme mit der Post bis Wenderburg, da ist Jakob, du kannst dann zu Fuß gehen. Der Herr aber sei mit dir – stehe, das sind rauhe Wege, das sind Prüfungen, und stehe, ob der Herr doch helfen kann.

Trinchen.

Plettenhaus, den 29. März. Charfreitag.

O lieber Herr, ich bin dennoch dein, je tiefer du mich demütigst, je mehr willst du mich erheben, je mehr Trübsal du schickst, je mehr soll ich getrost sein. An deinem Herzen fühl ich mich. Die Glocken sind verhallt, die Lieder verklungen, ich stand allein am frischen Grabe. Feuchter Nebel fiel darauf, der Himmel ist verhangen, alles trauert, und ein rechter Sterbetag. Ich habe viel, viel weinen müssen, o lieber Herr, du hast wohl noch heißere Thränen geweint, du hast gerungen vor mir, o komm und tröste mich. O ich weiß wohl, Herr, du wirst kommen, ich fühle es schon, nur bin ich' jetzt schon sehr matt und krank.

Den 30. März.

Trinchen geht einher wie träumend, ich muß die Starke sein. Weil ich es sein muß, wird der Herr mich dazu machen. Sie denkt an die Zukunft, es wird ihr schwer, unser liebes Haus zu verlassen, nur um deinetwillen. Ja, wohl ist's traurig, wenn ich hinauswandern muß, in meinen lieben Räumen fremde Leute zu sehen, im Garten, dort oben unter der Buche, wenn die Thür für mich verschlossen ist. Ich muß sehr weinen, aber Trinchen soll es nicht wissen, das wird mich stark machen. Aber ich bin jetzt matt, jetzt will ich ruhen. Wo war ich vor acht Tagen? Da saß ich auf dem Grasrain vor den Tannen, Frühling war in uns, um uns, wir sangen: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr.« Kann ich das jetzt nicht singen? –

Ich habe es gesungen, erst mußt ich weinen, aber fester und fester mit voller Stimme. Trinchen und Jakob standen bald hinter mir, da ward ich noch freudiger, ich wollte sie trösten. Ja: »Wohl uns des seinen Herren!« Trinchen, sagt ich, wir wollen sehr getrost sein, wir wollen morgen mit dem Herrn ein Auferstehungsfest feiern. Die eine, die wir lieben, ist entschlafen, so wollen wir drei aneinander festhalten, uns sehr lieben und nie von einander gehen. Wohnen wir auch nicht im lieben Hause mehr, wir nehmen den Frieden mit, und der Herr, der uns hier reich gemacht, wird überall bei uns sein. – Trinchen reichte mir die Hand, und lächelte. So ist's gut, sagte sie; Jakob aber ging hinweg, ich glaube wohl, er weinte.

Die wenigen Tage, seitdem ich Braunsdorf verließ, erscheinen mir wie eine lange Lebenszeit. An meinem Geburtstage stand ich früh auf, ich ging nach der Hecke, ich sah die stille Pfarre, das Schloß träumend in Frühlingsduft, ich glaubte nicht, daß es zum letztenmale sei. Als ich zurückkam, ward ich freudig überrascht. Herr Schulz selbst stand auf dem Korridor, mir seine Glückwünsche zu bringen, und von seiner Frau eine Theeserviette, von ihr gesponnen aus Braunsdorfer Flachs, o die ist mir sehr lieb. Der Gärtner überreichte mir ein Bildchen von getrockneten Blumen, so schön und frisch ich sie noch nie gesehen. In meiner Stube war aber ein Blumengarten, und Lichter und Kuchen und Festgeschenke. Die Tante und Lucie und fast alle Hausleute waren versammelt und bei meinem Einzuge sangen sie: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren.« Ich sang gerührt mit, reichte dann jedem die Hand und dankte mit bewegtem Herzen. Tante Julchen küßte mich zärtlich und wünschte mir alles Glück, Lucie hing an meinem Halse. O die viele Liebe war das Schönste bei dem Feste. Plötzlich sah ich Frau von Schlichten in der offenen Thür stehen, sie hatte alles mit angesehen, denn sie sagte, in großer Aufregung: Sie nehmen hier förmlich Huldigungen an. Huldigungen aufrichtiger Liebe, entgegnete die Tante scharf. Ich aber ward traurig, ich bat Frau von Schlichten mir nicht böse zu sein. Sie sah mich zornig an und verließ das Zimmer. Tante Julchen suchte mich zu trösten, es kann nicht so bleiben, sagte sie. So muß ich fort? fragte ich. Oder sie! entgegnete die Tante. Ich weiß nicht, wie mich das freudig durchzuckte, o des Hochmutes, ich bereue ihn sehr. Wir hielten Andacht, wir frühstückten zusammen, wie gewöhnlich. Kaum war eine halbe Stunde vergangen, ich war allein und freute mich der schönen Geschenke, da trat Betti, das sehr böse Mädchen der Frau von Schlichten, ein und gab mir einen Brief. Ich las ihn, ich fühlte, wie er mir eisig durch das Herz ging, ich mußte mich am Stuhl halten. Er war im höchsten Zorn geschrieben: sie hatte meine Pläne durchschaut, ich sollte das Haus augenblicklich verlassen – aber nicht eher das Zimmer, als bis zum Einsteigen in den Wagen, bei Androhung beschämender Auftritte für mich. – Soll ich Ihnen vielleicht einpacken helfen? fragte das Mädchen spöttisch. Ich war ruhig und freundlich gegen sie, auch von ihr helfen ließ ich mir, so schwer es mir ward. Betti, sagte ich, wissen Sie, daß Sie mir leid thun, daß Sie mich zu kränken suchen? Sie sah mich trotzig an. O Betti, Sie werden es einst bereuen, ich habe Ihnen nie wehe gethan, und habe ich Sie beleidigt, so bitte ich um Verzeihung, heute wo ich von hier gehe, ich habe es gewiß nie böse gemeint. Sie sah mich jetzt verwundert an. Ja, fuhr ich fort, auch Frau von Schlichten wird es einst bereuen, daß sie so heftig ward, aber sagen Sie ihr, daß ich ihr nicht zürne, und daß es mir nur sehr wehe thut, ihre Liebe nicht erlangt zu haben. – Betti war von dem Augenblick an verlegen, aber freundlicher; ja sie sagte, daß die gnädige Frau gewaltig tobe. Es wird ihr vielleicht doch nichts helfen, sagte sie, und machte dann ähnliche Andeutungen wie die Frau Pastorin. O ich schäme mich sehr, daß ich Gelegenheit zu solchen Reden gegeben. Ich brach das Gespräch ab, ich fragte nur nach Tante Julchen und Lucie. Die sind in der gnädigen Frau Kabinet, wissen von nichts. – Meine Sachen waren bald gepackt, der Wagen fuhr vor, ich stieg ein. Vorher siegelte ich den Brief von Frau von Schlichten ein, ich wollte Gelegenheit finden ihn zum Herrn Pastor zu schicken, da war er gut aufgehoben, und meine Abreise ward ihm erklärt. Ich hatte ihn gebeten, Tante Julchen und Lucie die Sache schonend mitzuteilen. Betti selbst übernahm die Besorgung meines Briefes, sie war augenblicklich sehr aufrichtig für mich gestimmt. Im Portal überreichte mir Betti wieder einen Brief, den von Trinchen mit schwarzem Siegel. Ich erbrach ihn, ich las, ich, weinte heftig Ich weiß nicht, wie mich Betti überredete, in den Wagen zu steigen, ich war wie im Traum. Auf dem Hof lief mir Vollberger nach: Was ist nur? Er sah mich weinen. Der Kutscher wollte nicht halten, er mußte. Ich gab ihm Trinchens Brief mit der Bitte, ihn Tante Julchen zu geben. Meine Abreise ist nun erklärt, auch wenn Betti meinen Brief nicht besorgt. Der Kutscher fuhr mich nicht nach der nächsten Station, sondern zur zweiten. Das that mir weh, aber Frau von Schlichten hatte mich durchschaut; ich hoffte und wünschte ihren Bruder dort an der Bahn zu treffen, er mußte den Morgen kommen, ich wollte, ihm mein Herz ausschütten, er sollte meinen Kummer teilen. – Ich stieg aus, ich stand, harrend auf den Zug, da kam der Zug von der andern Seite. Er hielt. Plötzlich sah ich Herr von Schaffaus verwunderte Züge an einem Fenster. Unwillkürlich hob ich meine Hände zu ihm auf, der Zug brauste fort, nach wenigen Minuten flog ich nach der anderen Seite. – Ungern bestieg ich den häßlichen Postwagen. Kann ich nicht eben so gut fahren als die Bürgersfrauen? ich werde noch manches im Leben überwinden müssen. In Wenderburg fand ich Jakob. Das war ein stiller trauriger Gang. Wir haben den ersten Tag hier viel zusammen gelesen, und haben gesungen, und ich ging oft zum Sarg der Tante, wie schön sie aussah und friedlich. O ich glaubte immer, sie sollte durch mich noch bessere Tage sehen, und mm ist's auch wohl gut, daß sie mein Unglück nicht erlebte.

Lucie an Lulu.

Braunsdorf, den 18. März.

Liebe teure Lulu! Werden Sie diesen Brief wohl aufbrechen? Werden Sie uns nicht zu sehr hassen? O wie es in mir kocht seit gestern! Aber auch der Onkel hat die Lippen zusammengebissen und sich fortgewandt. Liebe Lulu, Sie müssen erst wiederkommen: wir werden das Unrecht nicht gut machen können; aber wenn Sie nur erst hier sind! Wäre ich doch gestern mit der Bahn fortgekommen, ich lief Ihnen nach, hatte aber das Geld vergessen, der Onkel kam dann zu schnell, holte mich zurück. Lulu ich soll Ihnen schreiben, daß wir alle sehr traurig sind. Tante Julchen hat sehr getobt, der Onkel hat uns ermahnt. O liebe Lulu, ich habe gekämpft, ich habe für die Mutter gebetet, und für mich, daß ich möchte Geduld und Liebe im Herzen haben. – Was macht Fräulein von Plettenhaus an der Bahn? fragte der Onkel sehr hastig, als er ankam. Ich lachte ihn aus; Lulu feiert ja Geburtstag. O nein, er hatte Sie zu deutlich gesehen, er ward sehr heftig, wollte die Wahrheit wissen. Die Mutter war sanft und freundlich, sprach von Hausfrieden, von inniger Liebe untereinander, ich weiß nicht was alles; sie sagte aber, daß sie die Ursache Ihrer schnellen Abreise sei. Da war es, wo der Onkel sich wandte, und ich schnell über Graubergen weiter lief. Kam der Onkel mir nicht nach, ich hätte es doch möglich gemacht, ich wäre jetzt bei Ihnen, ich wollte Sie trösten, o und sehr lieb haben. Wenn Sie nicht kommen, werde ich die Mutter hassen müssen. O verzeihen Sie mir diese Worte! Ich kann nicht ohne Sie leben, schreiben Sie gleich, ich bin sehr ungeduldig.

Ihre liebe Lucie.

Tante Julchen an Lulu.

Liebe Lulu! Wundern Sie sich nicht, wenn ich so ruhig schreibe; ich muß Ihnen sagen, es ist mir eigentlich ganz recht, daß es so gekommen ist. Feuer und Wasser passen nicht zusammen, meine Schwägerin zieht nach Plüggen, ich bleibe mit euch lieben Kindern hier. Die letzte Zeit hat mir so wohlgefallen, daß ich nur wünsche, so zu leben bis an mein Ende. Friedrich hätte meiner Ansicht nach noch zorniger sein können, doch war er ernsthaft genug. Gleich nach dem Feste reist die Schwester in die Verbannung, so kommt es mir vor. Thekla ist außer sich. Rosalie hofft bei uns zu bleiben; ich weiß noch nicht, ob ich ja dazu sagen soll, was meinen Sie? Es war so hübsch allein. Mein Schwager wollte Ihnen erst selbst einige Worte schreiben, doch versicherte er, es sei nicht nötig, Sie wissen alles, was er sagen könnte, und was er von der Sache denkt. Ich meine das von mir auch und fasse mich darum auch kurz. Der Tod Ihrer Frau Tante macht Ihre schnelle Abreise den Leuten erklärlich; gemunkelt wird zwar, aber was thut's? Sie arme Lulu sind wohl sehr traurig über den Verlust? Eilen Sie so schnell als möglich zu uns, wir wollen Sie trösten. Sie wissen doch, daß ich nun ihre liebe Tante bin. Adieu, mein Herzens-Kind. Wir werden Sie alle von der Bahn holen. Mein Kind, Sie haben gewiß Geldwünsche, hierbei schicke ich fünfzig Thaler; bei solchen Gelegenheiten fehlt es oft. Die Blumen in Ihrer Stube pflegt Bollberger, der Geburtstagstisch steht unberührt, aber noch reicher ist er geworden, Sie können denken von wem. Es ist hier jetzt ein jämmerlicher Zustand, seien Sie froh, daß Sie fort sind. Ich drücke Sie sehr zärtlich an mein Herz.

Julie von Schlichten.

Lulu an Tante Julchen und Lucie.

Ihr Lieben, Lieben, darf ich euch mein weiches Herz aufthun? Ich habe den ganzen Abend geweint, als ich eure lieben Briefe erhielt, ich glaubte mein Glück sei für immer verschwunden, weil ich nie wieder zu euch kann. O hört mich weiter, gerade weil ich euch so lieb habe, kann ich nicht hin; ich darf Mutter und Kind nicht trennen. Trinchen hat es mit mir reiflich überlegt, ich fühle sie hat recht, ich gebe alles dahin, ich bleibe. Der Herr hat es schon ersehen, was aus mir wird. Aber behaltet mich lieb! Sie, liebe teure Tante, wenn auch Ihnen fern, muß ich doch Ihrem Herzen nahe sein, und du, meine geliebte Lucie, wirst mich begleiten vom Morgen bis zum Abend, ich werde dich lieben, werde für dich beten, will dir oft und viel schreiben, und du schreibst mir wieder. Meine Sehnsucht ist sehr groß, der Herr wird mir helfen. O wie still und einsam ist es hier, und der Frühling treibt fröhlich dabei! Vielen Dank, verehrte liebe Tante, für das Geld! Zwanzig Thaler, die schon für voraus wären, schicke ich hier wieder. Es ist alles hier verwickelt, doch kam ich noch nicht zu den Geschäften; es ist auch gleich, mir ist nicht bange, und auch für die Treuen hier im Haus wird gesorgt werden. Nächstens schreibe ich mehr, ich bin so müde und matt. Der Herr sei mit uns allen! In treuer Liebe eure

Lulu.

Den 3. April.

Die Briefe sind geschrieben und sind abgeschickt, und so ist es geschehen, – ich bleibe hier. – Ich weinte, Trinchen trat hinter mich, da wandt ich mich. Trinchen, sagt ich freudig, ich werde bald aufhören zu weinen, und werde bald wieder fröhlich sein. Trinchen küßte mich auf die Stirn. Jakob aber sagte zu mir, als ich neben ihm unter den Kastanien stand: Es ist alles gut, Sie sind wieder hier. Das hat mich sehr gerührt; ich sagte ihm, wir wollten uns nie wieder trennen. Wir haben einen Plan gemacht, so lange Trinchen nicht die ganze Stelle im Stift hat, bleiben wir zusammen. Von diesem Jahr bekommt sie schon eine Präbende von dreißig Thalern. Jakob will späterhin zu seines Bruders Sohn; dann ist's aber vorbei, sagt er, ich will die Jahre hier noch recht genießen. Der Herr Amtmann ist auf Trinchens Rat mein Vormund, er ist damit einverstanden, daß ich noch einige Jahre hier bleibe, ich soll erst etwas verständiger werden. Trinchen glaubt doch immer, daß ich voreilig und unvorsichtig gewesen bin; ich lasse sie gern dabei, ich bleibe lieber hier, als daß ich jetzt neue Versuche mache. Der Herr Amtmann hat es uns vorgestellt, es sei praktischer, Haus und Garten zu verkaufen, er hoffe so viel zu bekommen, daß mir noch beinahe hundert Thaler Zinsen bleiben. Das Gärtnerhäuschen im Plantagengarten will er uns vermieten, Jakob soll beschäftigt werden, wenn ich und Trinchen dann nähen, würden wir auskommen. Aber alle drei haben wir beschlossen, lieber kärglich zu leben und hier zu bleiben. Trinchen thut am stärksten, aber es geht ihr auch an das Herz, wenn sie aus dem Hause müßte. Du mein liebes Haus, jedes Plätzchen im Garten, – mir steht das Herz still, denke ich an das Plantagenhäuschen. Morgen früh gehe ich zum Müller.

Donnerstag, den 4. April

Der Morgen war lieblich und still, ich ging durch die Wiesen an dem kleinen raschen Bach entlang, drüben auf dem Weg zogen knarrend die Pflüge, und Lerchen und Amseln sangen. Mir war, es, als könnt ich Hoffnung fassen, ich wußte noch nicht, daß es in der Welt sehr wunderlich hergeht, und daß der Herr mancherlei benutzt, unsre Herzen zu ziehen. Ich brausete auf, fühlte tiefe Verachtung für den Mann, der so Abscheuliches anrichten kann. Das gerade hat mich nun stark gemacht, er soll nicht triumphieren, auch drüben im kleinen Häuschen will ich meinem Herrn dienen, – Herr von Tülsen ist unser heimlicher Feind, auch dort hat er mich vertrieben. Meint er, daß so hilfsbedürftig er mich leichter gewinnen könne? Trinchen glaubt das, kann sich aber wenig in solch ein Treiben finden. Der alte Müller schätzt sich und mich glücklich, einen solchen wunderlichen Käufer gefunden zu haben, der so versessen darauf sei, daß er über den Preis bezahlen würde. Der Herr Amtmann thut so klug, wie er die Eigentümlichkeit benutzen wolle, wie er ihn höher treiben will; beim Verkauf zu anderer Zeit, ohne diese Gelegenheit, würde nichts übrig bleiben. Des Müllers Kapital steht wirklich unsicher, am Haus ward seit Jahren nichts repariert. Soll ich aber von solchem Gelde leben? Der Gedanke ist mir zuwider, ich kann es nicht, und dem Herrn Amtmann kann ich den Grund nicht sagen. Ich habe an meinen lieben Herrn Pastor geschrieben, alles, alles; er wird mir raten, es ist mir, als müßte der Herr durch teure Menschen Hilfe senden. Ich habe Trinchen viel von Braunsdorf erzählt. Herrn von Schaffan liebt sie sehr, sie sagt mir: sie denke ihn sich wie meinen seligen Vater. Ich muß sehr viel nach Braunsdorf denken, es ist auch ganz unmöglich, daß ich nicht noch einmal hinkommen sollte. Ich habe einen tröstlichen Traum gehabt. Mußte noch den ganzen Morgen daran denken.

Dienstag, den 9. April

Ich wanderte im Garten, die Kastanien sind am Aufbrechen, die Stachelbeeren sind grün, lieblich ist der Frühling wie im vergangenen Jahr. Jakob hat Erbsen gelegt und anderes mehr, ich habe nicht den Mut ihn abzuhalten, ich weiß nicht, was er hofft. Ich ging weiter nach den Weiden hin, Gänserieschen war wieder mit ihrer goldnen Herde hier, sie freute sich, mich zu sehen. Auch Dortchen kam mir mit dem Strickzeug entgegen, sie sah ordentlich aus auch das Kleine. Ich freute mich, und nahm mir vor, die Schule so bald als möglich wieder anzufangen. Ich ging deswegen wieder nach dem Plantagen-Häuschen. Es war verschlossen und ganz leer. Ich sah mir durch die Fenster die Stuben an, Raum genug. Vor der Thür ist eine Steinbank und zwei Akazien. Ich setzte mich. Der Sonnenschein lag so still auf dem einsamen Garten, nur die Vögel sangen fröhlich. Mein liebes Plettenhaus scheint mit dem grauen Giebel hierher. Ich weinte erst, als ich aber länger gesessen und gesonnen und immer tiefer in den blauen Himmel geschaut, da kam ein großer Friede über mich. Lieber Herr, ich weiß es wohl, du wirst mich dort in dem kleinen Häuschen sehr reich machen. Trinchen und Jakob will ich Pflegen, und Nähschule will ich halten, und alle Menschen will ich sehr lieb haben. Freudig kam ich nach Haus, erzählte Trinchen, wie vertraulich das Plantagenhäuschen sei, und wie wir fröhlich dort mit einander leben wollten. Wir haben am offenen Fenster sehr fleißig genäht. Trinchen erzählte von der Vergangenheit, von der Jugend der teuren Tante; sie war so hoffnungsreich, und ist so unbemerkt entblättert – das ist ein wehmütig Bild. Trinchen warnt mich, nur nichts von der Zukunft zu erwarten. Sie sieht mich so scharf dabei an. Nein, ich will in der Gegenwart leben, und will meinen lieben Vater im Himmel für die Zukunft sorgen lassen. Bleibe ich gesund, kann ich mir Geld verdienen. Werde ich krank und schwach, da wird der Herr weiter sorgen. Die Welt ist doch sehr schön und herrlich, ich freue mich auf des Frühlings Pracht. Werde ich wohl bald Briefe haben?

Dienstag, den 16. April.

Am ersten Mai wird das Testament eröffnet, sollen auch die Siegel von den Sachen genommen werden; doch haben wir Lust vorher zu ziehen. Manche Leute kommen, um sich Haus und Garten anzusehen; das ist sehr störend. Am 3. Mai wird es verkauft. Trinchen sieht so bleich aus, daß mir bange wird, sie härmt sich. Ich auch – und darf es mir nicht merken lassen. Ueber dem Dorf drüben türmen sich graue Wolken, einzelne schwere Tropfen fallen, die Nachtigallen singen. Jakob steht unter dem Kastanienbaum mit untergeschlagenen Armen und schaut über den Garten hin. Er ist viel in Gedanken und hat das Arbeiten eingestellt.

Sonntag, den 21. April.

Wir sind im Plantagenhäuschen, Herr, lieber Gott, hilf uns. Wir waren zur Kirche. Den Tag über alle sehr still. Gegen Abend setzt ich mich an das Klavier und sang: »Befiehl du deine Wege«. Trinchen und Jakob sangen mit, dann weinten wir mit einander. Und traurig sind wir dennoch nicht, es ist eine wunderbare Erhebung mit uns vorgegangen.

Dienstag, den 23. April.

Trinchen liegt im Bett. Das Wetter ist sehr unfreundlich, es ist gut, daß wir den nötigsten Umzug gemacht. Wenn Trinchen bleich im Bett liegt, könnte mir bange werden. O nein. »Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft; denn er ist mein Hort, meine Hilfe und mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist. Hoffet auf ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus: Gott ist unsere Zuversicht.«

Mittwoch, den 24. April.

Eine Rechnung vom Arzt kam an, Trinchen wollt ich nicht wecken. Auch weiß ich, daß wir so viel Geld nicht haben. Ich schrieb dem Arzt, wir würden zum Mai bezahlen. Es wurde mir sehr schwer, ich bat ihn aber zugleich, zu Trinchen zu kommen, sie scheint mir sehr krank. Kalte Regenschauer treiben an das Fenster, es ist öde außen, – und keine Briefe von Braunsdorf.

Freitag, den 26. April.

Der Arzt kam, er hat auch Medizin verschrieben, Jakob ging mit dem letzten Geld nach der Apotheke. Das kleine Dortchen habe ich als Wache in das Haus gesetzt und lief schnell nach Amtmanns. Ich bat, uns etwas Geld zu borgen. Sie waren sehr teilnehmend, die Frau meinte, ob ich wohl so vielen Sorgen gewachsen sei, ich möchte doch lieber unter andere Leute gehen. Erst will ich Trinchen zu Tode pflegen, sagt' ich, und mußte dabei weinen. Als ich nach Hause kam, habe ich Suppe gekocht, der Wind fuhr durch den Schornstein, Thüren und Fenster klappten. In der Stube heizt' ich ein, weil es kalt war. Trinchen seufzte, ich soll so etwas nicht thun. O wie gern. Sie hat mich prüfend angesehen, ich habe mein Herz gehalten, sie merkte nicht, wie ich um sie besorgt bin. Jakob kam zurück mit der Medizin. Gegen Abend schlief Trinchen. Ich wanderte fort, das Haus ist zu klein, ich weiß keinen Ort, mich auszuweinen. Ich ging den Herrenstieg, der Wind rauschte in den Wipfeln, oben an der Trift war es öde, der Schäfer saß nicht unter der Hainbuche, graue Regenwolken flogen über das Thal. Der Regen trieb mich fort. Am Plettenhaus kam ich vorbei, es lag. so still, und grau und öde, ich wollte hinein, es war verschlossen. Am alten Gewächshaus klirrte der Wind, eine starke Regenhusche trieb mich hinein, da habe ich gesessen und geweint, ich weiß nicht wie lange. Ein wunderbarer Schein weckte mich aus meinen Gedanken, ich trat in den Garten. Die schwarzen Wolken waren nach Morgen gezogen, die Sonne hatte Raum gewonnen und leuchtete in wunderbaren Farben über die Frühlingswelt. Purpur und Gold hing an dem jungen Grün und den dunklen Tannen, die Pappeln strahlten wie Lichter gegen den tiefvioletten Himmel, und ein voller Regenbogen stand über dem lieben Plettenhaus. Kein Lüftchen regte sich, es war still und lau, und frischer Duft erfüllte die Luft, immer glühender wurden die Farben, Erde und Himmel strahlten mit einander. Ich habe tief aufgeatmet, ich habe die Hände gefaltet, das war ein Wunder, eine Herrlichkeit! ich hätte laut aufjauchzen mögen vor Freude und Ehrfurcht und Anbetung. Sollt ich da noch zagen? noch trauern? O nein! ich ging zum Plantagenhäuschen, es war von demselben Lichte angestrahlt. Jakob sang in seinem Stübchen: »Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt.« Trinchen saß im Bette, der Abendschein lag rosig auf ihrem Gesichte, sie sah freudig nach dem Regenbogen über dem lieben Plettenhaus. Sie war wohler, sie hatte geschlafen, auch ihr Mut, ihre Zuversicht war wieder stark. Das ist ein Friedenszeichen, ein Segenszeichen, sagte sie. O ja, der Herr wird alles gut machen, Trinchen, mir ist mein Herz schon im Voraus voller Dank.

O! daß ich tausend Zungen hätte
Und einen tausendfachen Mund;
So stimmt ich damit um die Wette
Vom allertiefsten Herzensgrund
Ein Loblied nach dem andern an
Von dem, was Gott an mir gethan.

Ihr grünen Blätter in den Wäldern,
Bewegt und regt euch doch mit mir;
Ihr schwanten Gräschen in den Feldern,
Ihr Blumen, laßt doch eure Zier
Zu Gottes Ruhm belebet sein
Und stimmet lieblich mit mir ein.

Ach! nimm das arme Lob auf Erden,
Mein Gott in allen Gnaden hin:
Im Himmel soll es besser werden,
Wenn ich ein schöner Engel bin:
Da sing' ich dir im höhern Chor
Viel tausend Halleluja vor.

So haben wir gesungen. Trinchen ist auf, sie ist besser, wir haben Pläne gemacht.

Braunsdorf, 26. September.

Wunderbarer König, Herrscher von uns allen, Laß dir unser Lob gefallen.

Meines Vaters Güte hast du lassen triefen,
Ob wir schon von dir wegliefen,
Hilf uns noch, – stärk' uns doch,
Laß die Zunge singen, laß die Stimme klingen.

Himmel! lobe prächtig deines Schöpfers Thaten,
Mehr als aller Menschen Staaten.
Großes Licht der Sonne, schieße deine Strahlen,
Die das große Rund bemalen;
Lobet gern, – Mond und Stern,
Seid bereit zu ehren einen solchen Herrn!

O, du meine Seele, singe fröhlich, singe!
Singe deine Glaubenslieder;
Was den Odem holet, jauchze, preise, klinge;
Wirf dich in den Staub darnieder!
Er ist Gott, – Zebaoth!
Er ist nur zu loben, hier und ewig droben.

Halleluja bringe, wer den Herren kennet,
Wer den Herren Jesum liebet,
Halleluja singe, welcher Christum nennet,
Sich von Herzen ihm ergiebet.
O wohl dir, – glaube mir,
Endlich wirst du droben ohne Sünd' ihn loben.

Trinchen hat mir eine schöne Hochzeitsrede gehalten: Glaube nicht, daß du am Ende bist und nun sicher ruhen kannst auf deinem Glücke. Erst jetzt beginnt für dich das Leben. Bis jetzt glich es einem Spazierengehen am Ufer, du erfreutest dich an den lieblichen Blumen und an den spielenden Wellen; jetzt aber mußt du hinaus auf das bewegte Meer, und Sturm und Wellen werden nicht fehlen. Danke dem Herrn, daß du einen treuen Freund zur Seite hast, aber halte fest an dem rechten Steuermann, der dich allein nur über den Wogen halten kann, ohne den dir die Liebe des treuesten Freundes weder Trost noch Hilfe ist. – Amen! so soll es sein. Du liebes Trinchen. Deine Erziehung an mir ist vollendet; jemand, der mich ebenso lieb hat, wird sie fortsetzen. Aber in jedem Frühjahr, mit Gottes Hilfe, gehen wir einige Wochen nach dem lieben Plettenhaus. Jakob freute sich schon, zu meinem Geburtstag soll das alte Gewächshaus ein wahrer Blumengarten sein, und reife Kirschen sollen wir essen. Er ist sehr froh, daß es mit dem Brudersohne nichts wird, raucht auch wieder Louisiana, und Trinchen wird gepflegt und ißt jeden Morgen Kaffeebrote. Ich fürchtete, sie würde mit Tante Julchen sich nicht wohlgefallen: doch schreibt mir Lucie, sie leben herrlich zusammen. Des lieben Herrn Pastors Schwester ist die rechte Person dazwischen und ist eine bessere Gouvernante als ich es war. Obwohl mein lieber Herr und Gemahl gestern scherzend sagte: da meine Erziehung so ausgezeichnet im Plettenhaus geglückt, möchte ich dort eine Erziehungsanstalt für junge Mädchen sehen. Haus und Lage paßten gut dazu.

Eben kam Vollberger und fragte: mit welchen Pferden ich auszufahren geruhte; ich mußte lächeln. Das ist des Herrn Sache zu bestimmen, entgegnete ich, gehen Sie und fragen Sie ihn. Der Herr schickt mich eben, war seine Antwort. So gehen Sie und sagen, ich würde mit den Pferden am liebsten fahren, die er bestimmte. Vollberger hatte nicht Lust zu dem Gang. Wollen Sie nicht bestimmen, gnädige Frau? der Herr ist etwas übler Laune, sagte er. Ich mußte ihm antworten: Mein Gemahl ist nie übler Laune. – Vollberger kann nie vergessen, daß er seinen Herrn auf den Armen trug. Ich aber werde nie in Sachen bestimmen, die meines Amtes nicht sind. Eine sehr demütige Hausfrau möchte ich sein, eine Edelfrau, wie sie im Bilde am Altar betend kniet, so sanft und ergeben und fromm und treu. Das hilf mir, du mein lieber Herr.

Ende.


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