Marie Nathusius
Tagebuch eines armen Fräuleins
Marie Nathusius

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Den 21. November.

Es regnet und regnet schon die ganze Woche. Seit Montag sind wir nicht außen gewesen, ich nur einmal im Regen, selbst die Parkwege sind nicht zu passieren. Die Verstimmung unten ist sehr groß;, Frau von Schlichten will durchaus nach Berlin, Herr von Schaffau wünscht, sie möchten es einen Winter hier versuchen. Er thut alles Mögliche, sie zu unterhalten, er hat angefangen den Dunallan vorzulesen, auch muß ich öfters spielen und singen. Mit Lucie singe ich zweistimmig: »Müde bin ich, geh zur Ruh«. – darüber hat selbst Frau von Schlichten sich gefreut. Tante Julchen bewundert in großer Liebe alles, was Lucie thut. Lucie aber beginnt stolz zu werden, sie neckt die Schwestern mit dem Nichtsthun und mit der Langweile, und ist in höchster Freude über die vielen Weihnachtsarbeiten. Im Turmstübchen sieht es oft aus wie in einer Schneiderei, Tante Julchen hat in allen Garderoben nach alten Sachen gesucht, die von uns zerschnitten werden, zwanzig Kindern soll zu Weihnachten bescheert werden. Wir gehen nie zum Lesen hinunter ohne den großen Nähkorb, Thekla witzelt darüber, Rosalie aber hat schon öfters geholfen. Morgen nach der Kirche haben wir die Erlaubnis, zu Pastors gehen zu dürfen, Lucie wünscht sehr Umgang mit Linchen und Martechen, sie hörte mit Verwunderung, daß Linchen schon sechs kleinen Mädchen Strickunterricht giebt. Von meiner Kolonie hörte sie früher. Sie wünscht etwas Aehnliches zu thun, doch treibe ich sie nicht und denke dabei an Trinchen, wie sie über solche Dinge zu reden pflegt.

Sonnabend den 1. Dezember.

Der erste Schnee ist gefallen, die Erde ist weiß, auch ist es ziemlich kalt; Tante Julchen fragte sorglich, ob ich ohne Mantel in den Garten wollte. Ich wurde etwas verlegen, ich sagte: ich habe keinen, sei aber hart gewöhnt. Sie borgte mir eine wattierte Jacke, ich war ihr sehr dankbar; sie fragte, ob ich sie wohl geschenkt nähme, ich freute mich wirklich sehr. So gebrauche ich keinen Mantel, sagte ich, und das Geld – Das Geld? fragte die Tante. Ich fühlte plötzlich das Vertrauen, ihr meine Geldsorge mitzuteilen. Aus Trinchens letztem Briefe geht hervor, daß sie Mangel haben und sich nach Weihnachten und nach meiner Sendung sehnen; auch gestand ich der Tante Julchen, daß meine Schuh sehr zerrissen und ich kein Geld zu neuen habe. Sie schalt mich, ihr das nicht eher gesagt zu haben, und kam bald mit 50 Thalern an. Ich weiß nicht, wie mir zu Mute war, es ist ein seltsam Ding um das Geld; was war ich plötzlich mächtig, was konnt ich alles thun. Ich schloß die Thür, um ungestört zu überlegen. Einen Mantel habe ich, da ich die Jacke erhielt, nicht nötig, die zwanzig Thaler also konnt ich Trinchen schicken; außerdem dachte ich, noch fünfzehn Thaler, dann für Jakob einen Livreerock und für Trinchen einen Merinooberrock. Ich mußte nur erst mit Vollbergern sprechen, wie viel solch ein Rock kostet. Ich lief schnell zu ihm, und wie immer war er sehr bereit mir zu dienen. Aber wie erschrak ich, als ich den Preis eines neuen Rockes hörte. Ich hatte zwar gewünscht, dem guten Jakob etwas Besonderes zu schicken und hatte dadurch den Preis so gesteigert, aber auch, als ich das Letztere aufgab und wir einen zweiten Überschlag machten von ganz grobem Tuch, war es noch ziemlich viel, Vollberger machte mir den Vorschlag, das Tuch auf Rechnung zu nehmen und später zu bezahlen. Ich wies das entschieden zurück; mir würde nicht wohl sein dabei und Trinchen hätte es dem Rocke angesehen. Ich ging seufzend fort, um mir die Sache zu überlegen. Der gute Vollberger, nach einiger Zeit kam er: nun, – so fein und zierlich wie er ist, bracht er es an. Längst hat er vom Herrn von Schaffau einen Rock zum Verschenken erhalten; wenn ich diesen Rock gelb füttern und mit neuen Aufschlägen versehen ließe, würde er prächtig für Jakob sich schicken. Freilich verdient er zwei neue, wenn ich noch keinen, setzte er hinzu; er schätzt Jakob hoch, seiner großen Treue und Aufopferung wegen. Ich nahm in Jakobs bescheidenem Sinn den Rock mit Dank an. Ich denke mit Entzücken daran, wenn Jakob zu Weihnachten der Tante Chokolade serviert. Drei Pfund Chokolade will mir Vollberger für die Tante besorgen, auch den braunen Merino für Trinchen, er kommt öfters nach der Stadt. Meine Schuh werde ich hier machen lassen, in der Stadt sind sie noch einmal so teuer, Sofie hat einen Vetter, der sehr geschickt sein soll. So ist vorläufig alles besorgt, ich bin sehr glücklich darüber. Ein expresser Bote hat Geld und Brief zur Post getragen, gerade zum ersten Adventsonntag kommt es an, – o könnt ich dabei sein!

Lulu an Trinchen.

Liebes Trinchen! Der Herr meint es mit Deinem Waisenkinde sehr gut. Soviel Geld kann ich Dir schicken; verdient habe ich es nicht, aber danken will ich ihm dafür tausendfach. Diese Stunde wiegt viel Sehnsucht und Thränen nach Euch auf. Sonst geht es mir gut, sehr gut. Die Adventszeit kommt, die herrliche Zeit! mein Herz ist zum Ueberlaufen, ich möchte springen, und möchte wieder still die Englein singen hören. Sage der Tante, daß ich im Ueberfluß lebe, und meine Stellung ganz nach Wunsche sei. Liebes Trinchen, wirst Du bange, daß es mir zu gut geht? Ach nein, von den schweren Stunden sag ich nur nichts; aber sei getrost, der Herr läßt mich nicht im tiefen Thal, wenn ich mich auch selbst hinab gestürzt. Sei fröhlich, feiere eine fröhliche, selige Adventszeit, gedenke meiner, ich singe mit Dir:

Wir soll ich dich empfangen,
Und wie begegn' ich dir,
O aller Welt Verlangen!
O meiner Seele Zier!
O Jesu, Jesu, setze
Mir selbst die Fackel bei,
Damit, was dich ergötze,
Mir kund und wissend sei. Amen.

Und nun lebt wohl, grüße die Tante, grüße Jakob, schreibe bald und viel, die Briefe mache nicht frei. Beikommende Vanillekuchen habe ich mit Lucie selbst gebacken, sie sind nach Deinem Rezept, es freut mich, Euch Lieben davon schicken zu dürfen. Tante Julchen weiß es, sie läßt der Tante auch ihre besten Empfehlungen sagen. Denke Dir, diesen Brief schickt Vollberger mit einem expressen Reitenden zur Post. Er grüßt auch Jakob schön.

Deine liebe Lulu.

Den 2. Dezember. Erster Advent.

Ich stand früh auf, der Vollmond stand mit vielen Sternen am lichtblauen Himmel. O liebe, selige, heilige Adventszeit, bringe mir ein so reines Herz, als der reine Himmel über mir, und fülle es mit lichtem Himmelsfrieden und mit stiller Freude.

Nichts, nichts hat dich getrieben
Zu mir vom Himmelszelt,
Als das geliebte Lieben,
Womit du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerlast,
Die kein Mensch kann aussagen,
So fest umfangen hast.

Das haben wir heut in der Morgenandacht gesungen und haben es uns in das Herz gesagt. Der Herr Pastor hat noch mehr gesagt, seine Adventsrede war sehr schön und mächtig. Sofie war sehr bewegt davon, sie sagte mir, sie möchte dem Herrn gern etwas zur Adventsgabe bringen, ihr Herz könne sie ihm nicht bringen, das sei zu unrein, sie wolle ihm bringen Eitelkeit und Schwatzsucht und Zorn und Neid, und streben, daß es Weihnachten besser darin ist. Lucie aber sagte mir darauf leise, sie wolle dem Herrn bringen: daß sie Mutter und Schwestern liebe und für sie bete. Ich erschrak fast, das zu hören, daß sie es als ein Opfer nannte. Doch ist es leider wahr. O lieber Herr, hilf ihr, und hilf mir und uns allen. Den Nachmittag haben wir die zwanzig Waisenkinder hier gehabt und haben ihnen Maß genommen, drei von den Kindern sind dabei, auf deren Mutter Grab ich im Herbst die Aster legte, ich habe sie ganz besonders angesehen. Wir haben auch eingeübt mit ihnen: »Vom Himmel hoch da komm ich her.« Jeden Sonntag sollen sie jetzt kommen, damit sie Weihnachten unter dem Weihnachtsbaume singen lernen. Lucie war sehr eifrig, ich glaube doch, wir werden bald mit einer Schule anfangen.

Dienstag den 11. Dezember.

Herr von Schaffau beklagte sich heut über den dünnen Kaffee, den er jetzt trinken müsse. Ich war erst verlegen, doch merkt ich bald, daß es Spaß sei, und verteidigte mich so gut ich konnte, auch kam mir Lucie zu Hilfe, die Sache ward friedlich beigelegt. Er ist sehr gütig. Einen großen bequemen Vorratsschrank ließ er uns machen, der steht auf unserm Korridor, an jeder Seite hängt eine Küchenschürze und wir haben jetzt wahrlich oft stundenlang zu thun. Trinchens Vanillekuchen gefallen besonders sehr, wir müssen sie wöchentlich backen. Gestern erfuhr ich von Vollberger ein Geheimnis, das der Sache die Krone aufsetzt. Der Onkel läßt Lucie zu Weihnachten eine Kochstube einrichten, hier oben ganz in unserer Nähe. Lucie soll sich in der großen Küche nicht aufhalten. Daran habe ich schon wieder herrliche Pläne geknüpft. Wir wollen hier kochen lernen, indem wir für alte und kranke Leute kochen. Es wird mir ordentlich schwer, Lucie nichts davon zu sagen; ich besprach es mit Vollbergern, und der ist verschwiegen wie das Grab, Vollberger ist recht brav, aber wunderlich ist's, daß er, wenn andere dabei sind, thut, als ob er mich nicht kennt; er will mir bei seiner Gegenpartei hier im lebhaften Flügel nicht schaden durch seine Freundschaft, sagte er, und nennt es Schlangenklugheit. Sollte Herr von Schaffau deswegen auch so veränderlich gegen mich sein? Oft ist es mir, als ob er zufrieden mit mir sei und sich ausgesöhnt hätte mit meinem Hiersein, und neulich hat er mir in Tante Julchens und seiner Schwester Gegenwart sehr Unrecht gethan. Ich kann nicht zweifeln, daß er es treulich mit mir meint; und wenn Vollberger seine Härte tadelte (er hatte sie zufällig mit angehört), so war es mir nicht recht, ich sagte ihm: Jakob würde nie über seine Herrschaft gesprochen haben.

Den 12. Dezember.

Wir haben auch am Mittwoch die Kinder hier gehabt, sie würden die Lieder sonst nicht lernen, und außerdem macht es uns große Freude. Tante Julchen hat heut zugehört, sie will in diesen Tagen mit uns nach der Stadt, um Spielsachen und allerhand an den Weihnachtsbaum einzukaufen. Ich freue mich sehr dazu. Ich werde auch einkaufen, ich habe noch Geld. O ich möchte viel einkaufen, ich möchte allen etwas schenken, aber allen möcht ich auch die selige Weihnachtsfreude in das Herz schenken. O ich bin sehr reich. Wenn ich in der Dämmerung allein in meiner Stube sitze, da ist's, als sähe ich die Lichter glänzen und höre die Englein singen, und mein Herz ist sehr voll, ich weiß nicht, was ich alles thun möchte, und ich kann doch nichts weiter, als das heilige Kind lieben und es anbeten. Aus lauter Liebe ist es zu uns gekommen, können wir ihm denn nichts zu Liebe thun? Ich habe zu den Kindern heute davon gesprochen, was wir ihm zu Liebe thun könnten. Rosalie und Thekla sahen gerade hinein, als ich so sprach; sie kamen aus Neugierde, und Thekla sah etwas spöttisch aus. Ich aber ließ mich nicht stören, o nein, ich konnte immer wärmer und wärmer reden, ich sagte ihnen, die Leute, die das Christlein nicht lieben, seien sehr unglücklich; wenn sie auch reiche Leute wären, sie wären doch arm; und wenn sie noch so gelehrt wären, sie wären doch sehr thöricht; und wenn sie vor der Welt sehr angesehen wären, so wären sie doch nur sehr gering; und wenn sie auch noch so viel schenken und geschenkt bekommen, sie haben doch keine wahre Weihnachtsfreude. Was die Welt sich schenkt, ist nur vergänglich Wesen, und hängt oft mehr Trauer als Lust daran; was aber das Christkindlein uns schenkt, bleibt ewig das Beste, es ist Friede und Freude und Seligkeit. Wir wollten nun dem Christkindlein unser Herz aufthun und es aufnehmen mit seinen schönen Gaben, und es bitten, daß es möchte in viele, viele Herzen einziehen und ihnen eine selige Freude bringen. – Ich weiß nicht, ob es ganz passend war, so zu reden, aber ich konnt es nicht lassen. Und als nachher Thekla gereizt zu mir sagte: ob es recht sei, den Dorfkindern so etwas zu sagen und dadurch unehrerbietige Anspielungen auf die Herrschaft zu machen? da konnt ich nicht schweigen; nein, ich habe ihr recht warm und eindringlich gesagt, daß ich wohl nicht von der Herrschaft gesprochen, daß ich sie selbst aber für arm und unglücklich erachte, wie ihre Tage leer und nutzlos dahin gingen und ihr Leben Täuschung und Thorheit sei. Sie sagte kurz, sie würde auf ihre Weise selig werden. Nein, sagte ich, Sie werden nicht selig werden, Sie wollen auch nicht selig werden. Sie denken nicht an ihre Seligkeit und an die Ewigkeit. Sie gehen auf dem breiten Wege, der zum ewigen Verderben führt. O Sie haben wohl die Erkenntnis, Thekla, aber die Welt hat Ihr Herz bestrickt, und die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut, der bleibt in Ewigkeit. Die Welt ist eine schlechte Freundin, sie bietet Ehre, die dem Weisen eine Schmach ist, sie bietet Lust, die sich nur zu bald in Jammer verwandelt. Thekla unterbrach mich, sie wollte so etwas nicht hören. Rosalie aber entgegnete: Warum nicht? daß wir es nicht hören möchten, ist ein Zeichen, wir fühlen uns getroffen; ich will es gern hören. Das war mir eine große Freude, ich mußte an Trinchens Worte denken: Auch den Frauen und Mädchen ist eine große Kraft gegeben; wenn sie nur predigen wollten den Kindern und ihresgleichen, in aller Liebe und Demut, aber in aller Zuversicht, der Segen würde größer sein als sie ahnen. Der Herr hat sich ein Lob bereitet aus dem Munde der Unmündigen. O lieber Herr, ich bitte dich um die rechte Demut und um die rechte Kraft. – Als Thekla uns verlassen hatte, sagte Rosalie, sie möchte gern Friede und Freude und Seligkeit im Herzen haben, sie wisse nur nicht, wie das anfangen. Ich entgegnete, ich sei selbst zu schwach, um ihr den Weg zu zeigen, sie möchte aber nur mit recht demütigem Herzen in der heiligen Schrift forschen und lesen, was der Herr Christus und seine Apostel sagen, und jeden Sonntag in die Kirche gehen, unser Herr Pastor wisse das Wort Gottes sehr schön auszulegen. Rosalie entgegnete: sie habe jetzt öfter versucht in der Bibel zu lesen, es sei ihr bange dabei geworden, es sei da vom ewigen Verderben und vom Teufel die Rede und würde soviel zum Seligwerden verlangt, ihrer Meinung nach könne kein Mensch selig werden. O liebe Rosalie, sagt ich, Sie sind auf gutem Wege, ja wohl könnte kein Mensch selig werden, wenn unser Herr Jesus Christus sich nicht für uns geopfert hätte, ja wohl müßte uns bange sein, wenn nicht seine unermeßliche Liebe auf sich nähme unsere Sünde. Das sollen wir recht fühlen, erleben und glauben, um diesen Glauben sollen wir den Herrn und Heiland selbst bitten, daß ist ein seliges Geheimnis, eine wunderbare Kraft, eine große Freudigkeit, ein himmlischer Friede, eine Seligkeit. Bitten und immer wieder bitten, und glauben und vertrauen, der Herr hört uns, er kann uns nicht lassen, er kommt und nimmt Raum in unseren Herzen. So sprach ich mehr in Herzensfreudigkeit. Ich dachte wieder an Trinchen: Wenn die Gläubigen nur selbst gläubiger wären, aber sie hängen nur noch zu sehr von der Welt ab, und wenn sie von dem reden, was ihnen das Teuerste und ihrer Seele Leben ist, so thun sie es so zimperlich und kleinlaut, als ob sie selbst der Welt gegenüber kein groß Recht hätten und selbst der Stärkung bedürften. Wir kennen wahrlich unsern Herrn noch nicht, und die Macht seiner Stärke. Jetzt aber will ich Mut haben, was auch kommt, du bist meine Hilfe für und für.

Ihr dürft euch nicht bemühen,
Noch sorgen Tag und Nacht,
Wie ihr ihn wollet ziehen
Mit eures Armes Macht:
Er kommt, er kommt mit Willen,
Ist voller Lieb und Lust,
All Angst und Not zu stillen,
Die ihm an euch bewußt.

Jetzt ist die Adventszeit, die Rüstzeit, jetzt sollen wir mehr als je ihn einladen, ihm unser Herz aufthun. Es ist mir, als ob ich mich den lieben heiligen Kindlein noch mehr als ein armes schwaches Kind nahen dürfe, als dem verklärten Herrn, dem Welterlöser. Rosalie will jeden Sonntag mit uns in die Kirche gehen, sie fragte auch, wann unsere Morgenandacht wäre, als sie aber die frühe Stunde hörte, versicherte sie, so früh nicht aufstehen zu können, ihrer Nerven wegen, sie wäre dann den ganzen Tag abgespannt. O liebe Rosalie, Sie werden dem Herrn noch mehr opfern als eine Stunde Schlaf, ich weiß es im Voraus. Er gebe seinen Segen.

Den 13. Dezember.

Wir haben ein Komplott gegen Tante Julchen, sagt ich heut, zu Bollberger, wir siegen, passen Sie auf. Nicht doch, Fräulein! sagte Bollberger warnend, fangen Sie so etwas nicht an, damit thun Sie uns hier im stillen Flügel keinen Gefallen, nichts von Komplott. Ich mußte lachen. Bollberger, nicht hinter dem Rücken kämpfen wir, es ist alles offen und ehrlich, und wir kämpfen und siegen auch nicht allein, es ist der Herr dort oben. Aber Tante Julchen wirds nicht lassen können, sie muß am heiligen Abend in die Christmette und dem lieben Kindlein selber frohe Lieder singen. – So ists gut, ich habe nichts dagegen, sagte der Alte.

Den 14. Dezember.

Gestern fuhr Tante Julchen mit mir und Lucie nach der Stadt. Sie ist sehr gut, daß sie mich mitnahm. Thekla hatte gesagt: wenn mein roter Sammethut in Gesellschaft mit der Tante grüner Atlasjacke zur Stadt führe, würde sie nicht von der Partie sein, Rosalie blieb wegen Kopfweh, so fuhren wir drei allein. Wir waren sehr vergnügt, ich gewinne die Tante immer lieber, sie hatte auch den Schlingel, den Bollberger, wie sie sagte, mitgenommen, er sollte uns nützlich sein. Er aber möchte sich auflösen in Dienstfertigkeit gegen sie. Mich hatten sie in einen Pelz gewickelt, das war sehr angenehm, denn der Wind strich scharf über die Schneefelder, und wir hatten bald rote Nasen. In der Stadt wurde ich vom Laufen und Staunen warm, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Es war ein Spaß, von Laden zu Laden, Tante Julchen versteht das Einkaufen prächtig, ich hatte mich kaum in einem Laden umgesehen und mich in Verwunderung versetzt, da mußt ich schon weiter. Für Rosalie ist ein schöner Mantel gekauft, auch ein dunkelblauer Sammethut, ich mußte beides anprobieren, und muß gestehen, ich hätte beides gebrauchen können. Aber freilich nur in einer Hinsicht, in Hinsicht des Ueberflusses. Ach nein, Trinchens Antwortbrief für das Geld wärmte mich mehr als der wärmste Mantel, kurz und gut, ich mache mir nichts daraus, gar nichts; vielleicht kann ich mir künftigen Winter einen kaufen. Das Merinokleid für Trinchen habe ich gekauft, es ist sehr hübsch. Für meine drei Waisenkinder habe ich Strumpfgarn gekauft, Sofie will mir noch stricken helfen. Lilas Seidenzeug zu den Morgenschuhen für die Tante, und Pergamentpapier, um Lesezeichen zu malen. Das war von meinem Geld; aber Herr von Schaffau hat uns noch viel Geld mitgegeben, und als die Tante einige Besuche machte, gingen wir mit Bollbergern in einen Spielsachen- und einen Honigkuchenladen. Nun wir sahen alle drei wunderlich aus, als wir durch die Straßen gingen, und manch Kind hat uns lüstern angestaunt. Es hat mich sehr unterhalten, wie die Kinder vor den Buden und vor den Läden stehen und durch die Straßen trippeln, Neugierde und Erstaunen und freudiges Erwarten in den Zügen. Ja ein stiller Zug des Erwartens, des Sehnens und der Freude geht durch die ganze Welt, die Menschen wissen nur nicht, woher dieser Zug kommt. Wir kamen ziemlich spät nach Hause. Unterwegs konnte ich nur an die Trommeln und Flinten und Puppen deuten, und sie im Geist ordnen und verteilen. Ich muß gestehen, daß mich auch die herrliche Tapisseriewolle und die schönen Stickmuster beschäftigten, die ich andere kaufen sah; meine Weihnachtsgeschenke kamen mir gar zu winzig vor, ich hätte gern einige hübschere dazwischen geschoben, doch beruhigte ich mich mit Trittchens Warnung: nicht zu viel zu unternehmen, und durch äußere zerstreuende Arbeiten den Adventsegen nicht zu schmälern. Ich habe für jeden etwas, die Bildchen sind sehr niedlich, besonders das für Tante Julchen: Lucie in der Kinderstube. Nur für Herrn von Schaffau habe ich nichts. Ich habe reiflich überlegt, doch wäre es nur lächerlich, er zeichnet und malt selbst weit schöner. So ist das also beigelegt und ich denke nur an die Kinderbescherung. In meiner Stube war die Niederlage, ich habe mit Lucie bis elf Uhr eingepackt, geordnet und Zettel daran gesteckt. Tante Julchen und Herr von Schaffau waren anfänglich dabei, doch haben sie sich nicht darein gemischt. Ich habe gefürchtet, daß wir zu viel Spielsachen und Honigkuchen eingekauft hätten, und nun scheint es fast, als fehlte es für die Kinder noch an einigen nötigen Stücken; doch hat Herr von Schaffau uns versprochen, alles Nötige zu besorgen. Uebrigens hat er für zwei Groschen Honigkuchen davon gegessen, ich finde das etwas viel.

Sonnabend den 15. December.

Es ist sehr gut, daß ich nicht noch neue Arbeiten angefangen habe, es findet sich noch manche unerwartete ein. Die Frau Pastorin besonders nimmt meine Zeit in Anspruch. Ich bin oft da und bin gern da, und es ist mir, als ob ich eine Verpflichtung fühle, der Wirtschaft etwas abzuhelfen. Die Frau ist herzlich gut, aber mit den sieben Kindern fängt sie es nicht recht an, wenn auch Herr Heber ihr manches abnimmt, es ist doch kein Fertigwerden. Die Kinder laufen teilweise noch in den Sommerkleidern, ich habe heute einen alten Schlafrock vom Herrn Pastor und einige Kleider der Mutter untersucht, um den Kindern etwas Warmes daraus machen zu können, doch reicht es nicht hin. Herr Heber erinnerte sich an einen sehr hübschen Einghamvorhang, der oben vor dem Kleiderrock in der Fremdenstube hängt, eigentlich ganz unnütz; wir nahmen den guten Rat an, so hoffe ich, soll die Equipterung noch in Gang kommen. Die armen Pastors! die Stelle ist zu geringe, der Kinder zuviel, Schulden will der Herr Pastor natürlich unter keiner Bedingung machen, da ist oft Not. Mir ist als müßt ich das alles mittragen, es ist mir so heimlich bei ihnen, es erinnert mich an unser Haus: immer Not, aber immer der liebe Gott, – ja je mehr Not, je mehr der liebe Gott. Auch für eine Weihnachtsbescherung wird der liebe Gott sorgen. Herr Heber hat neulich einige Soldatenbilderbogen gekauft, wir haben sie zusammen, ausgemalt und auf Pappe geklebt, Stützen dahinter, es ist eine stattliche Arme für die Jungen. Lucie hat mir einige alte Puppen geschenkt, unter meinen Händen sind sie frisch geworden, die kleinen Mädchen werden eine große Freude haben. So habe ich für jeden etwas, meine Bilder spielen eine Rolle dabei. Mit meinen Arbeiten bin ich ziemlich fertig, in künftiger Woche werden Vanillekuchen und allerhand Zuckerwerk gebacken und der Schmuck zu den Weihnachtsbäumen gemacht. Unten in den Fremdenzimmern, wird gefegt und gelüftet, Frau von Schlichten hat sehr viel Gäste eingeladen, zum Ersatz für die Residenz. Herr von Schaffau hat es nicht erlaubt, früher dahin zu gehen; aber gleich nach dem Feste wird dahin übersiedelt. Wo wir bleiben, Tante Julchen, Lucie und ich, ist unbestimmt. Es wird von Herrn von Schaffau abhängen, Frau von Schlichten wünscht nicht, daß wir mit ihm zusammen sind, erzählte mir die Tante. Ich sehe den Grund nicht ein, die Feindschaft scheint mir gar so schlimm nicht mehr zu sein.


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