Marie Nathusius
Tagebuch eines armen Fräuleins
Marie Nathusius

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Montag, den 28. Januar.

Die Kälte wird immer strenger, wir müssen jetzt täglich für die Armen kochen. Auch stehen viele Kinder seit gestern hungrig und erfroren vor der Schloßkirche, der alte Koch giebt ihnen die Reste, doch reicht es nicht. Er kochte gern für sie: Christine, die Küchenmagd, beklagt sich über die Arbeit, die ihr daraus erwächst. Ich las heut in der Morgenandacht Matthäi 25, Vers 31 –46, wo es da heißt: »Kommt, her ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeiset u. s. w. Was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan.« Zu denen aber, die zu seiner Linken stehen, spricht er: »Was ihr nicht gethan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan. Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben,« Christine war dabei. Als der Koch sie darauf bat, ihm einige Eimer Kartoffeln zu schälen für die armen Kinder, hat sie es gern gethan. Lucies Eifer für die Kochstube schien auch nachzulassen. Sophie könnte es wohl thun und für die Alten kochen, doch soll es Lucie nicht nur zur Unterhaltung thun, sie soll es aus Barmherzigkeit thun und soll Opfer bringen. Ich sagte aber nichts. Gegen Abend, als der Schnee wieder leise niederfiel, forderte ich sie auf, mich in das Dorf zu begleiten. Sie fürchtete sich vor der Kälte, doch nahm sie Muff und Pelz und folgte mir. Wir gingen zur kranken Großen. Sie lag im Bett, ein kleiner Junge legte einige Reiser auf verglimmende Kohlen, die Stube war sehr kalt. Zwei kleine Mädchen hockten an der Erde, das kleinste Kind lag mit im Bett. O der harte Winter! klagte die arme Witwe, den letzten Groschen haben wir für Holz hingegeben, jetzt haben wir auch kein Brot. Ich unterhielt mich mit ihr, Lucie hörte schweigend zu. Darauf führte ich sie zum alten Werder, sein Ofen war ganz kalt, doch war er zufrieden, seine Hilfe ist das warme Essen, das ihm das liebe junge Fräulein Lucie jeden Mittag selbst kocht. Er flehte des Herrn Segen auf Lucie herab. Lucie weinte, ich verstehe ihre Thränen, sie fühlte ihre Lauheit. Als ich sie beim Herausgehen bat, diese beiden Häuser täglich selbst zu besuchen und nach allem Nötigen zu sehen, schlang sie die Arme um mich und küßte mich. Wir haben heute Abend einen Plan gemacht. Tante Julchen, Lucie, ich, Sophie und Vollberger haben uns in die kranken und notleidenden Familien geteilt, die wir besuchen müssen. Der Schnee knirscht, dichte Eisblumen sitzen an den Fenstern, wir sollen 18 Grad Kälte haben.

Den 31. Januar.

Lucie ist unermüdlich in ihren Hausbesuchen, sie näht auch für ihre Pfleglinge und kocht und sorgt mit großer Treue. Zum gottseligen Leben gehören auch gottselige Werke, sagt unser Herr Pastor, nichts thun und nur feiern und anschauen wollen, das hält die Seele nicht aus. Wie wohl ist mir bei diesem thätigen Leben, wie viel frischer ist mir das Herz, müßig und zerstreut dahingehen macht viel Pein, das habe ich erfahren, und sollen wir nicht Rechenschaft von jeder Stunde geben, von jedem unnützen Worte? O bei diesem Gedanken könnte man sehr mutlos werden.

Montag, den 4. Februar.

Tante Julchen und Lucie müssen das Zimmer hüten, sie haben beide rauhen Husten. Ich übernahm ihre Hausbesuche. Eisiger Nordwind und Schneegestöber hinderten mich fast zu gehen. Der Herr Amtsverwalter und der Gärtner haben mir sehr gütig Bahn fegen lassen bis zum Oberdorf. Auf dem Rückweg sprach ich bei Pastors vor, sie saßen alle zusammen in der kleinen Studierstube, auch die Wiege stand darin, man konnte sich kaum umwenden. Aber fröhlich sahen sie alle aus, der Herr Pastor an der Spitze. Als es dämmerte, trat ich den Rückweg an, ich litt es nicht, daß mich jemand geleitete. Es war grausig außen, der Wind fegte durch die kahlen Bäume und über die öden weißen Flächen, dann wieder trieb er mir dichte Schneewirbel in das Gesicht. Im Portal empfing mich Vollberger und schalt mich fast, daß ich ausgegangen, und Tante Julchen kam mir sehr vorsorglich mit warmem Thee entgegen. Es ward dunkel, der Wind brauste immer mehr. Wenn jemand außen wäre, müßte er umkommen, sagte ich, der Schnee verweht die Wege, und der Wind ist so, daß dem Wanderer der Atem vergeht. Da sich meine Phantasie mit solchen Bildern beschäftigte, war es mir öfters, als ob ich das Rasseln eines Wagens hörte. Erwarten Sie jemand? fragte Tante Julchen scherzend, als sie mein öfteres banges Lauschen bemerkte. Da tönte ein Posthorn, und schnell fuhr ein Wagen über die Brücke auf den Schloßhof. Wir sprangen erstaunt auf, ich allein aber durfte das Zimmer verlassen, ich lief nach dem Portal. Er war es, Herr von Schaffau, in Pelz und Schnee gehüllt, begrüßt mich freudig. Ich weiß nicht, ob meine Freude oder meine Teilnahme für sein Erfrorensein größer war, ich ging ihm voran in das Zimmer, Lucie aber kam mir schon entgegen. Es war ein großer Jubel, und wir haben alles gethan, ihn zu erquicken. Lucie saß dann auf einer Fußbank zu seinen Füßen. Du lieber Onkel, wir sind sehr glücklich, baß du hier bist, sagte sie zärtlich. Wir? fragte Herr von Schaffau scherzend und sah auf uns. Ja, wir, mein lieber Friedrich, sagte Tante Julchen treuherzig und klopfte ihm auf die Schulter. Es ist das erste Mal, daß ich sie ihn beim Taufnamen nennen hörte. – Es ist mir so lieb, daß ich wieder Licht im Türmchen sehe. Er hat uns nicht viel von der Stadt erzählt, wollte nur von hier hören, Tante Julchen hat ihm berichtet. Aber Rosalie hat mir einen langen Brief geschrieben. Herr von Tülsen ist seit einigen Tagen dort, er hat sich mit ihrer Mama ausgesöhnt. Rosalie traut ihm nicht, warnt uns vor ihm. Ich weiß nicht, was er von uns hier erzählt hat, Herr Heber ist auch dazwischen, ich verstehe es nicht, aber wahrlich, es ist mir sehr gleichgiltig. – Das ganze Haus war am nächsten Morgen zur Andacht versammelt, ich fühlte, daß Herr von Schaffau jetzt mein Amt übernehmen müsse, er that es, zum erstenmal in so großer Versammlung. Ich habe dem lieben Herrn sehr dafür gedankt. Ich dachte an den ersten Sonntag, wo ich in denselben Räumen gesungen habe: »Nun bitten wir den heiligen Geist.« Ich habe es heut gesungen, das war anders als damals. Nach dem Frühstück hatte Tante Julchen mit mir gesprochen, ich weiß nicht recht den Zweck. Sie bat mich, offenherzig zu sein, ich habe ihr nichts zu verheimlichen. Sie forschte, ob ich wirklich die Absicht habe, Herrn von Tülsens Hand auszuschlagen; ich entgegnete, daß die Sache langst vorbei sei. Sie stellte mir ernstlich vor, ob ich nicht mein Glück verscherzt habe, ob ich mit der Zeit es nicht bereuen würde. Ich konnte sie darüber beruhigen. Sie deutete mir an, daß er mein größter Feind sein würde, er würde mich verleumden, er suche mir zu schaden, sie glaube gewiß, er suche mich hier aus dem Hause zu bringen. Auch das kann mich nicht beunruhigen. Womit sollte er mich verleumden? Mein Leben liegt offen vor allen Leuten. Tante Julchen tadelte meine Sorglosigkeit, ja, als ich es nicht begreifen wollte, in welcher Weise man mich verleumden könne, zog sie eifrig ihrer Schwägerin Brief aus der Tasche und las ungefähr so:

»Das Mädchen ist sehr schlau, schlauer als Ihr denkt. Willst du mir das nicht glauben, liebe Julie, so prüfe selbst. Beherrscht sie nicht jetzt schon alle ihre Umgebungen? Ich höre, daß man sie im Haus und im Dorf als Gebieterin betrachtet; ich finde es, wie ich ihr Wesen beobachtet habe, sehr natürlich. Ich nenne es: eine alles an sich reißende Natur. Sie thut es natürlich nicht mit Gewalt, darin besteht eben ihre Schlauheit, sie thut es im Scheine der Liebe und Leutseligkeit. Prüfe, wie weit du selbst unter ihrem Pantoffel stehst. Rosalie spricht förmlich mit Sehnsucht von ihr, selbst Thekla versichert, daß ich ihr Unrecht thue. So bin ich die einzige, die mit klarem Auge sie beurteilt, – ich nehme Friedrich aus, der bis jetzt wenigstens noch nicht von ihr getäuscht zu sein scheint, wenn auch Herr von Tülsen das anzudeuten sucht. In einem verstehe ich sie nicht: warum sie Herrn von Tülsen so lange in Ungewißheit läßt. Der alte Thor glaubt wirklich ihren gottseligen Worten von Armut und Reichtum. Ich aber wünsche ihr von Herzen, daß ihre Schlauheit sie hier irre führt und er sie aufgiebt.«

Ist es möglich! sagte ich, nachdem sie zu Ende gelesen. Ja mein Kind, es ist möglich, und noch mehr, entgegnete Tante Julchen. Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß sie nicht klüger sind als alle Leute, damit Sie mir glauben. Als sie sah, wie sehr niedergeschlagen ich war, suchte sie mich zu trösten. Gehen Sie ruhig Ihren Weg und lassen Sie Ihr Herz nicht verbittern, sagte sie. O nein, gewiß nicht, es soll mir immer mehr eine Mahnung sein, der Liebe Schein abzulegen und ihr Wesen anzunehmen, sagte ich. Wenn nur Frau von Schlichten erst wieder hier ist, will ich sie von meiner Aufrichtigkeit zu überzeugen suchen, gewiß, mit des Herrn Hilfe wird es mir gelingen. Und versichern Sie sie, daß ich nie Herrn von Tülsen meine Hand reichen werde, und daß ich es ihr zeigen möchte, wie es mir Ernst mit meinen Worten sei, wenn ich auch in großer Schwachheit mit dem Thun immer zurückbleiben würde. – Tante Julchen umarmte mich zärtlich. Meine Schwägerin ist klug, aber ich bin klüger, meine Menschenkenntnis ist nicht geringer, sagte sie. Sie bat mich zugleich, ihr immer mein Vertrauen zu schenken. Könnten Sie wirklich das Leben in einer beschränkten Pfarre einer glänzenden Stellung vorziehen? forschte sie. Gewiß, entgegnete ich. Und Herr Heber? unterbrach sie mich zögernd. Ich mußte herzlich lachen. Gehört Herr Heber in, eine jede Pfarre? Der gute Herr Heber. Tante Julchen lachte mit. Ich habe es mir gleich gedacht, die Menschen wissen nicht, was sie wollen, aber gestehen Sie, hat Ihr Herz noch nie etwas Besonderes gefühlt? Ich wurde zwar rot, aber ich konnte ihr sagen, daß ich nie thörichte Gedanken gehegt. Wenn sie vor der Seele vorüberfliegen, kann ich's nicht recht wehren, aber ich gebe ihnen keinen Raum darin. So wollen wir das Faß zuschlagen, scherzte sie; bleiben Sie hübsch bei uns, die Ungewitter werden sich verziehen. Wir wurden beide sehr vergnügt und scherzten mit einander über der Menschen wunderlich Treiben. Ich kann nicht sagen, daß mich der Brief bange machte, vielmehr getrost, unbekümmert weiter zu gehen. Herr von Schaffau verlangte mich auf meinen Wanderungen zu begleiten. Ich führte ihn zu den Bedürftigsten. Weil der Winter so anhaltend streng ist, gehören kinderreiche Familien darunter, deren Hausväter arbeitsfähig sind, die Arbeit aber fehlt. Herr von Schaffau war mit unsern Einrichtungen zufrieden, lobte besonders des Herrn Pastors praktische Ratschläge. Auf dem Rückwege sprachen wir in der Pfarre vor. Es war mir sehr unlieb, Herrn von Tülsen dort zu finden. Er hatte den Kindern reiche Spielsachen aus der Stadt mitgebracht und that, als ob er der beste Freund des Hauses sei. Mit den Eindrücken des Briefes erfüllt, habe ich ihm deutlich meine Gesinnung zu zeigen gesucht, ich wünsche dringend, daß er meinetwegen in dieser Gegend nicht mehr weilt. Der Herr Pastor erinnerte ihn selbst an den Rückweg, es dämmerte, und der Wind trieb schon wieder einzelne Schneehuschen vor sich hin. Herr von Tülsen nahm sehr freundlich Abschied von den Pastorsleuten, dann wandte er sich zu Herrn von Schaffau, sagte leise und mit großer Ironie und Bitterkeit: Ich räume Ihnen das Feld. – Herr von Schaffau entgegnete nichts, er sah ernst und ruhig aus. Auf dem Rückwege ging er schweigend neben mir, der Wind trieb uns oft den Schnee so heftig entgegen, daß er sich schützend vor mich stellte. Steuern Sie nur so tapfer gegen alle Unwetter, die Ihnen hemmend entgegenkommen, sagte er halb scherzend, als wir in das Portal traten. Das war nicht schlimm, entgegnete ich. Schlimm ist nichts, fuhr er fort, es ist alles so, wie wir es ansehen; aber oft sind wir schwach und, sehen anderer schwachen Menschen Treiben für schlimme Trübsale an. Ich dachte an Herrn von Tülsen, an Frau von Schlichtens Brief und Verleumdungen und ähnliche Dinge. Mir können sie nicht schaden, sagte ich dann laut, er schien sich dieser Zuversicht zu freuen. Gestern hatte er den ganzen Tag Geschäfte, das Wetter ist etwas milder, Lucie konnte mich auf meinen Besuchen begleiten. Den Abend saßen wir sehr traulich unten im Versammlungszimmer, Pastors waren eingeladen. Tante Julchen war sehr heiter, und Lucie in der Hoffnung, daß der Onkel in kurzer Zeit zurückkehren werde. Ich besorgte den Thee, reichte Herrn von Schaffau eine Tasse, die Zuckerdose dazu. Er nahm drei der größten Stücke, darauf wandte ich mich mit der Dose fort. Ich bitte mir noch eins aus, sagte er und fügte hinzu, daß er in den Tagen nicht gewagt habe, den Thee süß zu machen, heut zum Abschied bäte er um diese Vergünstigung, Tante Julchen lachte sehr, warnte ihn, seiner Schwester das nicht zu sagen, die schon behaupte, daß ich Haus und Dorf regiere. Herr von Schaffau versicherte ziemlich ernst, daß seine Schwester nicht Unrecht habe, und auch Pastors stimmten ihm scherzend bei. Der Herr Pastor sagte, daß er sich sogar verwahren müsse, daß ich ihm nicht in sein geistlich Amt greife; im Hause würde mir die Herrschaft nicht mehr streitig gemacht. Sie knüpften daran zwei große Freundschaftsversicherungen, doch habe ich mich etwas verletzt gefühlt und werde sehr auf meiner Hut sein. Und Herr von Schaffau werde ich wirklich das Zuckernehmen ganz allein überlassen. Beim Gutenachtsagen, war ich gegen alle freundlich, weil ich mir vorgenommen, am Tagesschluß niemandem zu zürnen. Es könnte einer oder der andere die Nacht sterben; sollen wir nicht immer auf unserer Hut sein? – Heute morgen ist er abgereist, wir sind wieder allein. Nach so angenehmen Tagen tritt eine gewisse Stille ein, wir scheinen das alle drei zu fühlen.

Den 15. Februar.

Lulu an Trinchen.

Liebes Trinchen. Ich adressiere den Brief an dich, damit du diesen Zettel vorher herausnimmst. Sage mir offen, was euch Sorge macht, dein letzter Brief ist schwer zu tragen. Geld zum täglichen Bedarf, sagst du, fehlt euch nicht, ich schicke dennoch zehn Thaler mit. Die Tante ist nicht kränker als alle Winter, was ist's nun? Heimliche Feinde habt ihr? ich habe hier wohl manche, was sollten die euch aber thun? Ich verstehe dich nicht und verlange Wahrheit. Ist dein Mut schwach geworden? O so will ich in großer Zuversicht zu dir reden. Der mächtige Herr Gott ist unser lieber, lieber Vater. Diesen Sonntag beginnt die Fastenzeit, sie ist mir immer so lieb, so reich und still ' trauernd und harrend, dazwischen lichte Tage, Ahnungen des Frühlings, der großen Auferstehung. Nun lebe wohl und sei Gott befohlen.

Deine treue Lulu.

Freitag, den 22. Februar.

Es weht eine milde Luft, der Schnee sinkt zusammen, neue Hoffnung belebt die Herzen der armen Leute. Sophie beklagt es fast, daß Kochen und Schaffen und Fürsorgen sehr aufhören wird. Ich stellte ihr heut vor, und mir zugleich, daß es das Thun nicht allein ist, ja es liegt eine nicht geringe Gefahr in diesem, sich zu sehr nach außen hin Wenden, die Seele bedarf hin und wieder der Einkehr, der stillen Anschauung, dazu ist die Fastenzeit schön. Wie hat der Herr Pastor heut in der Betstunde uns daran gemahnt.

Sonnabend, den 23. Februar.

Der Herr Pastor beklagte sich heut, daß der Amtsverwalter vergangenen Sonntag Holz fahren ließ und auch morgen wieder anspannen lassen will. Tante Julchen nannte ihn einen alten Esel, mit dem sie sich nicht einlassen möchte. Auf Vollbergers Mahnung hat er nicht gehört; ich sollte die Sache übernehmen. Seit der Frau schwerem Krankenlager ist er sehr aufmerksam gegen mich und scheut keine Mühe, mir gefällig zu sein. Der Herr Pastor erinnerte mich daran, aber doch hatte ich nicht Lust; erstens meines »Regierens« wegen, und dann ist der Amtsverwalter ein harter Kopf, fühlt sich dabei, weil er über dreißig Jahre treu der Familie diente, und viele Jahre gewohnt war, allein zu herrschen. Die Sache war mir sehr lästig, ich wies sie ab. Gegen Abend ging ich allein an der stillen Hecke, weiche Luft wehte leise von Süden her, die Vögel hüpften in den Zweigen, lange grüne und braune Streifen erhoben sich aus den Schneefeldern, von der Kirche drüben klang das Abendläuten. In meinem Herzen ward es unruhig, es rief mich nach dem Amtsverwalter, und ich ging auch. O du lieber Herr, du hast wohl zeigen wollen, daß alles, was in deinem Namen geschieht, eine wunderbare Kraft hat, o du lieber treuer Herr, ich bin noch sehr schwach. – Ich trat zagend ein. Das Ehepaar saß zusammen, sie hatten eben die Nachricht von der glücklichen Ankunft eines ersten Enkelchens erhalten, ich freute mich mit ihnen. Nach einiger Zeit fragte ich: Herr Schulz, werden Sie morgen wieder Holz fahren lassen? Da haben wir es! brauste er auf, dacht ichs doch, daß dort ein Komplott geschmiedet würde. Sein Gewissen war getroffen, seine Heftigkeit gab mir Mut. Halten Sie es selbst für kein Unrecht? fragte ich. Wenn ich das Holz nicht fahren lasse, so lange der Weg noch etwas fest ist, ruiniere ich Wagen und Vieh, entgegnete er wieder heftig. Ich sagte ihm, wie es mir im Herzen leid thue, wenn ich ihn so handeln sähe, da ich überzeugt sei, daß er im Herzen den lieben Gott achte und ehre. O mein Mann ist brav und gottesfürchtig, sagte die Frau, wenn er es auch anders ist, als es jetzt Mode ist. Die zehn Gebote müßten immer Mode sein, entgegnete ich ihnen. Und ob sie es für größeres Unrecht hielten, wenn einer von ihren Leuten stiehlt, mit der Entschuldigung, seine Kinder müßten hungern, als wenn sie den Feiertag entheiligen, um die Pferde zu schonen. Schulz lächelte, seine Frau aber sagte: Das Fräulein hat Recht, und du hast Unrecht. Lassen Sie nicht fahren morgen, bat ich dringend, und kommen Sie morgen in die Kirche, ich sehe Sie so selten dort; seien Sie dem Pastor nicht immer entgegen, er meint es gut mit Ihnen und mit allen; und wissen Sie, daß Sie dadurch auch Herrn von Schaffau sehr betrüben? – Wenn ich erst darf, werde ich oft kommen, sagte die Frau. Und Sie auch, lieber Herr Schulz, bat ich weiter, haben Sie nicht nur im Herzen die Gottesfurcht, legen Sie ab das teure Bekenntnis vor der Welt. Ich bin nun so alt geworden und sollte noch so neues anfangen, sagte er halb ernstlich, halb im Scherz. Je älter man wird, je höherer Ehren wird man würdig, fuhr ich fort, bis jetzt haben Sie Menschen mit Treue und Liebe gedient, nun dienen Sie dem Herrn aller Menschen. Sie kommen morgen? bat ich zum Schluß. Ihnen zu Liebe, sagte er. Mir zu Liebe? fragte ich verwundert, warum das? Weil ich Ihnen so viel zu danken habe, sagte er treuherzig. Wenn Sie mir schon zu danken haben, unterbrach ich ihn eifrig, mir zu Liebe in die Kirche gehen, was müssen Sie denn dem Herrn zu Liebe thun, der hundert- und tausendmal mehr an Ihnen gethan hat? O Herr Schulz, bedenken Sie, wie thöricht Sie sprachen, und kommen Sie dem Herrn zu Lieb, lassen Sie Ihr ganzes Leben und Thun, jeden Atemzug Dank gegen den sein, der Sie seit mehr als fünfzig Jahren Tag für Tag so treu geführt hat. – Ich ging fort, und bat den Herrn, er möchte anfangen und vollenden. Aufrichtige Gebete haben Einfluß auf andere Seelen: ich wußte, der alte Mann war heut in der Kirche, hätte ich ihn gestern nicht fest gemacht, ich hätte ihn heut hineingezogen. Als ich eintrat, saß er drüben im Verwalter-Chor, Der Herr Pastor redete, was der Herr für uns gethan, und was wir ihm wieder thun sollen. Das paßte zum gestrigen Gespräch. Nachmittag sagte der Pastor zu mir scherzend: Bedarf es Ihres persönlichen Thuns gar nicht mehr, und herrschen schon ihre Gedanken hier um uns her? Schulz war seit dem Erntedankfeste heute zum erstenmal in der Kirche. Ich sprach meine Freude darüber aus, aber sagte nichts Näheres und brach das Gespräch ab. Es ist, als ob ich meiner Seele die Kraft nähme, wenn ich ohne einen heiligen Zweck über solche Dinge spreche.

Sonnabend, den 2. März.

Die Luft ist lau, die Wasser fließen in Strömen, eine Goldammer singt den ganzen Tag unter meinem Fenster, dann halt ichs nicht aus und laufe nach der stillen Höhe, da höre ich die Lerchen singen hoch oben in der Luft. O du Herr Gott, wirst du bald deine Wunderwelt aufthun? o du herrlicher und mächtiger Gott, o du mein lieber Vater im Himmel!

Montag, den 4. März.

Der alte Werder scheint seiner Auflösung nahe zu sein, er ist still und freudig, Lucie hat ihm heute das siebzehnte Kapitel aus dem Johannes gelesen. Liebes Fräulein, sagte er dann, dort oben sehen wir uns wieder; ich gehe schlafen, Sie werden noch lange wallen; aber das Leben ist kurz, die Ewigkeit ist lang. Lucie ist sehr bewegt, sie will ihn durchaus sterben sehen, und schaut oft mehr als einmal den Tag in seine Hütte. Die Grossen ist gesund, ihre beiden ältesten Jungen sind beschäftigt in der Ziegelei, dort wird schon gearbeitet, auch wird bald im Feld gegraben.

Mittwoch, den 6. März.

Vor acht Tagen sprach ich in der Nähschule zu den Kindern, was wir dem Herrn wohl zu Liebe thun könnten. Bei den schönen Liedern und Geschichten wollten wir es nicht bewenden lassen, wir wollten ihm unser Herz einräumen, und ausräumen, was seiner nicht würdig sei. Frisch wollten wir an das Werk gehen und damit anfangen, Ungeduld, Unverträglichkeit, Scheltworte und liebloses Wesen zu vertauschen mit Sanftmut und Geduld und Demut, und bitten um einen stillen liebevollen Sinn, die größte Zierde für Mädchen und Frauen, und so ähnliches. Heute erinnerte ich sie an das Gespräch, und sie möchten sich prüfen, ob sie wohl Gelegenheit gehabt hätten, Sanftmut und Geduld zu üben. Ein kleines Mädchen, des Bäckers Lieschen, sah mich mit großen blauen Augen ernsthaft an und nickte. Das arme Kind hat eine jähzornige Mutter, ich habe schon viel darüber gehört, und weil mir die Kinder mit der Zeit immer lieber und lieber werden, ist es mir, als müßt ich auch außer der Schule etwas für sie thun. So diesem armen Kind, ich weiß nur nicht wie. Was deines Amtes nicht ist, laß deinen Vorwitz. Und doch treibt es sehr.

Sonntag, den 10. März.

Wer will uns denn aus dem Plettenhaus haben? wer sind unsere heimlichen Feinde? was veranlaßt den alten Müller, das Kapital zu kündigen? Es stände unsicher, weil das Besitztum mit jedem Jahre geringer würde; zum 1. Mai soll bezahlt werden oder verkauft, es kommt mir so unglaublich vor, daß ich mich kaum darüber beruhigen kann. Das Kapital borgt uns niemand, sagt Trinchen, weil der Müller recht hat. Die Tante ist seit einiger Zeit leidender, wie sehne ich mich nach Haus! Ostern hoffe ich zu reisen, ich schrieb das an Trinchen, ich will selbst mit dem Müller sprechen. Sollten jetzt rauhe Wege für mich kommen? Es ging mir auch zu gut, ich bin wohl zuversichtlich und hochmütig geworden; darum will ich geduldig nehmen, was der Herr mir schickt, o ich habe viel Vertrauen, er wird schon helfen, er wird der lieben armen Tante diesen Schmerz nicht machen. Nun, du treuer Herr, gieb mir ein starkes Herz.

Dienstag, den 12. März.

Einen Schneeglöckchenkranz haben wir auf des alten Werders Grab gelegt. Lucie war nicht bei seinem Tode, sie fand ihn schon eingeschlafen. Es war ein armer Mann, er hat viel gearbeitet, viel Sorge gehabt. Frau und Kinder starben vor ihm, ein Sohn lebt in der Fremde. Aber es war ein reicher Mann, er war fröhlich und getrost, glücklicher als viele Tausende. Nachmittag führt ich Lucie an unsere Gartenarbeit, eine passende Beschäftigung in so schönen Frühlingstagen. Wir haben erst Pläne gemacht, Blumengarten und Gemüsegarten und Baumschule, alles will mitgeteilt sein. Wir blieben, bis es tief dämmerte, bis die Vöglein immer stiller und die Kinder im Dorfe immer lauter wurden. Ich möchte wohl fröhlich sein, der Frühling so schön, das Herz so voll. Der Gedanke an die Lieben daheim bedrückt mich dann.

Sonnabend, den 16. März.

Mir ist das Herz wieder schwer, ich weiß nicht recht warum, die Tage sind so licht und frühlingsschön, es ist mir wie eine bange Ahnung, ich muß viel an zu Haus denken. Ich schwankte, ob ich nicht könnte Tante Julchen zur Vertrauten meiner Sorge machen; sie könnte aber denken, ich möchte von ihr das viele Geld, da sie immer so gütig war. Wie könnt ich das verlangen? Trinchen hat Recht, die Tante wohnt eigentlich viel zu teuer, das Haus steht fast unbenutzt, Vorteil wäre, in einer kleinen Mietswohnung zu wohnen; und doch möcht ich der lieben Tante den Kummer erspart sehen. Ich sprach mit dem Herrn Pastor, er hat mir ein und den andern guten Rat gegeben.

Montag den 18. März.

Heut überlegt ich mir ernstlich, warum ich gar nicht mehr fröhlich sei. Ist das mein freudiger Mut, mein Vertrauen, meine Zuversicht? Ich ging im warmen Sonnenschein an den Rabatten vor dem Gewächshaus, ich pflückte Veilchen, Crocus, Schneeglöckchen, Leberblümchen und dazwischen zartes Spiräengrün, ich hielt den Strauß gegen den blauen Himmel, ich schaute in die lichten glänzenden Blumenkelche, mein Herz that sich weit auf und Thränen rannen leise auf die Blumen. O das waren selige Thränen. Ja, du lieber Herr, du bist der liebe treue Gott, herzlich lieb ich dich, die Liebe macht mich über alle, Maßen glücklich, reich und getrost. Jetzt komme, was da will, wäre ich heut schon bei Trinchen gewesen! Alles, alles muß sich ordnen, fügen, o mein Herz ist sehr fröhlich. Ich konnte mit Lucie wieder durch den Garten tanzen. Wir eilten zu Pastors; weil von unseren Gärtnertalenten etwas laut geworden, waren wir dahin berufen. Sie wollen einige Veränderungen vornehmen, der Garten ist vom alten Herrn Pastor unpraktisch und unschön eingerichtet. Die Blumenpartien und Gebüsche sollen nahe ans Haus. Der Herr Pastor fragte mich nun wohl um Rat, aber wollte doch seine Ideen am schönsten finden und danach thun; ich ließ ihn, um nicht den Vorwurf der Herrschsucht auf mich zu laden, obgleich ich es sehr geschmacklos fand. Der Gemüsegarten ward uns überlassen, ich machte mit Herrn Heber die Einteilung, die Frau Pastorin ist mit allem zufrieden. Wir maßen die Beete ab, darauf wurden sie fest getreten, das war eine Lust; ich voran, Herr Heber, Lucie und die ganze Kinderschar folgten. Mitten in dem Jubel öffnete sich die Gartenthür, Herr von Schaffau trat ein. Wir begrüßten ihn mit großer Freude, er war so sehr ruhig dabei, daß ich mich meiner Lebhaftigkeit schämte, und schnell wieder zu meiner Arbeit ging. Es that mir aber sehr weh. Herrn Hebers gute Laune schien auch vorbei, fühlte er sich auch beleidigt? ich habe alles versucht, ihn wieder fröhlich zu machen, es gelang mir auch. Was wollte aber der Herr Pastor, als er mich am Abend warnte, vorsichtig gegen Herrn Heber zu sein. Ich weiß nicht, was sie wollen, kann mir aber kaum denken, daß sich Herr Heber über mein freundliches Wesen täuscht.

Dienstag, den 19. März.

Mir steht das Herz fast still, wenn ich denke, daß der Frau Pastorin Worte Wahrheit wären. O nein, sie spricht zu viel, spricht gern. Sollte er wirklich glauben, daß meine Achtung – und wie soll ich noch sagen – etwas anderes sei. Sollte ich so thörichte Hoffnungen hegen? Sollte er deswegen oft so stolz und kalt gegen mich sein, um mich von solcher Thorheit zu heilen, mich deswegen gestern so kalt begrüßt haben? O nein, das ist nicht möglich. Ich habe viel gesonnen, konnte nicht ruhig werden. Ich saß am offnen Fenster, laue Luft wehte mich an, der Mond schien golden, alles war still, und doch hört ich des Frühlings Weh'n, und Weben. Die Frühlingsblumen vor mir in der Glasschale schauten mit den lichten Augen mich wunderbar an, es war als müßt ich frühlingsfröhlich sein. Da trat er ein, – ich wußte nicht, sollt ich getrost oder bange sein; er war ernst, aber freundlich. O könnte er in mein Herz sehen, ich habe keine thörichten Gedanken darin, aber ich kann so kaltes, gleichgiltiges Wesen nicht vertragen. Lulu, sagte er, ich möchte, Sie hätten mir etwas zu verzeihen. Ich sah ihn ruhig an, ich kann ihn nicht begreifen. Ich hätte ihm sagen mögen, was mich eben bewegte, hatte ihn bitten mögen darüber nicht zu sorgen, das könnt ich nicht. Und er schien doch meine Gedanken erraten zu haben. Lächelnd sagte er: Wir machen uns viel unnötige Sorge. Da war es mir, als gäbe es nichts was mich sorgen könnte, seine Züge waren licht wie die der Frühlingsblumen vor mir. Was war es nur? sagt ich freudig. Es waren thörichte Gedanken, entgegnete er. So weiß er es vielleicht? Ich ward befangen. Ich schenkte ihm die Blumen, die er so schön fand; es wäre alles gut, wenn nur die Frau Pastorin das nicht gesagt hätte.

Donnerstag, den 21. März.

Der Tag war heut zu schön, wir haben uns erst müde gearbeitet, dann gingen wir, Tante Julchen, der Herr Pastor und Herr von Schaffau spazieren, sehr weit, an den Bergen hinauf bis zu dem kleinen Tannenwald. Hier setzten wir uns auf das Moos, schauten hinab in die Ebene. Der Herr Pastor stimmte das Lied an: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr und Dank für seine Gnade.« Wir sangen alle mit. An den Frühlingsbeeten sind wir noch im Mondenschein lange auf- und abgewandelt, nur Tante Julchen ging hinein. Die Herren sprachen schöne ernste Dinge, und wir hörten ihnen zu. Morgen reist Herr von Schaffau nach Plüggen, er will vor seiner Schwester Ankunft wieder hier sein; das ist mir sehr lieb, ich habe Furcht vor ihr, möchte nicht gern allein mit ihr sein. O nein, das ist Unrecht, ich will sie nicht fürchten, ich will sehr freundlich bitten, nicht mißtrauisch zu sein, da ich es sehr aufrichtig meine. Zu meinem Geburtstag wird sie noch nicht hier sein, das ist mir eigentlich lieb, ich wünschte den Tag noch Ruhe zu haben, allein mit meinen lieben Freunden und dem Frühling.

Sonnabend, den 23. März.

Die Glocken läuten den Palmsonntag ein, die Töne werden auf weicher Luft zu mir getragen, der Himmel ist rosenrot und goldig angemalt von der untergehenden Sonne. Das rosige Licht schimmert an meiner weißen Hyacinthe im offnen Fenster. O so weiß und zart und rein möchte mein Herz sein, und angestrahlt vom Himmelslicht, o so tiefer Frieden, o so Frühlingsleben und Feierkleid darin. Ich habe Korinther das 13. Kapitel gelesen, und mit ganzer Seele eingesogen. »Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie blähet sich nicht, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.« Ich fürchte Frau von Schlichten nicht mehr, o nein, wie sie auch gegen mich sein mag, diese Liebe will ich im Herzen festhalten, mit dieser Liebe will ich alles bezwingen. Ich habe sehr guten Mut, weil du, lieber Herr, mein treuer Herr bist.

Sonntag, den 24. März.

Lucie schickte mich nachmittags zu Pastors, sie hat mit Sophie irgend etwas vor, sie weiß freilich meinen Geburtstag, auch Tante Julchen thut heimlich. O ich freue mich doch sehr auf diesen Tag. Herr von Schaffau wird morgen abend kommen, oder doch Dienstag morgen. Ich will mich nur nicht zu sehr freuen, das ist nicht gut. Aber, lieber Herr, ich bin auch zufrieden, wie du über den Tag bestimmt hast.

Montag, den 25. März.

Ich betrachte den Tag wie eine Vorfeier meines Geburtstages; Lucie wünscht allein zu sein, das war mir lieb. Ich bin gewandert an der stillen Hecke, ich hörte die Vögel singen und betrachtete die kleinen Unkrautsblümchen, die so bescheiden und doch so frisch und lieblich blühen. Wilde Gänse zogen über mir hoch am lichten blauen Himmel, das war kein wehmütiger Herbstton, heller Frühlingston, – sie zogen nach Norden. O ich hätte mich schwingen mögen und weit, weit fliegen. Was ist denn jetzt? Ich sitze in der stillen Stube, der Mond scheint auf die weiße Hyacinthe, mir ist es so bange. Wir gingen gegen Abend Herrn von Schaffau entgegen, er kam nicht, der Wagen, der ihn von der Bahn holen sollte, brachte unerwartet Frau von Schlichten. Sie sah unser freudiges Grüßen und dann unsere getäuschte Hoffnung, sie war sehr scharf. Da nur noch für eine Person Platz im Wagen war, mußte Lucie sich einsetzen. Lucie weigerte sich, Frau von Schlichten befahl. Rosalie stieg aus, mich zu begleiten, obgleich die Mutter auch das nicht zu wünschen schien, Rosalie ist sehr freundlich, sie sagte seufzend, daß wir leider nicht lange mit einander bleiben würden. Soll ich fort? O gewiß denkt Frau von Schlichten daran. Warum haßt sie mich? – Frau von Schlichten war unten in der blauen Stube, ich versuchte es noch einmal sie freundlich zu begrüßen, bis jetzt ist mir ihr Herz verschlossen. Als wir uns zu Tische setzten und vorher still beten wollten, setzte sie sich schnell, flüsterte von unausstehlicher Heuchelei. Ich erschrak und schwankte, doch glaubt ich es thun zu müssen, Lucie und Tante Julchen folgten mir. Tante Julchen ist der Schwägerin sehr entgegen, doch auf keine schöne Weise. Frau von Schlichten war den ganzen Abend verstimmt, auch die Blumen, die wir am Fenster haben, gaben ihr Veranlassung zum Aerger, sie hätte so etwas nie vom Gärtner erlangen können, sagte sie bitter. Ich ging früh hinauf. Wie soll es werden? Ich würde sehr schwer mich von hier trennen.


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