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IX.
Marie

Eine Dorfgeschichte.


Daß Gott erbarm! sagte eine Gevatterin leise zur andern, es ist doch ein Elend so von seinen sechs Kindern fort zu müssen. Das wollt ich meinen, entgegnete die andere seufzend. Sie standen beide neben der Leiche der eben verstorbenen Frau des Bauern Germer. Ist sie wirklich todt? fragte eine dritte Nachbarin und sah zur Thüre hinein. Die Frauen nickten und zeigten auf die Verstorbene, wie sie da lag, die bleichen Hände auf der Decke, das Haupt so sanft in den Kissen. Ein herzergreifender Anblick. Ja wenn es nur die Herzen für den Himmel ergriffen hätte, wenn sie nur gehört hätten, was diese Leiche predigte: »Irdisch werd ich ausgesät, himmlisch werd ich auferstehen,« – und wenn sie nur die Mahnung und den Trost herausgefunden hätten. Die Frauen wußten sich alle drei nichts Tröstliches zu sagen: Es ist ein Jammer! – ein Elend! – aber es ist nicht anders; – ein dumpfes Gefühl, daß nach dem Tode noch etwas folgt, und was da wohl folgt, macht sie schaudern, es rüttelt etwas an ihrer Seele, aber nur nicht aufrütteln; die Frau wird begraben werden, das Bild ist vorüber und wird ja vergessen. Recht schlimm ist es, daß alles um einen herum abstirbt und man nicht weiß, woran man ist.

In der Nebenstube weinte der Wittwer zuweilen laut auf, und das Gewimmer der Kinder ward dann auch lauter. Wir müssen doch mal zu ihm gehen, sagte eine von den Frauen, wir wollen ihm zureden.

Na, Gevatter, gebt Euch nur zufrieden, sagte die eine, es ist nun mal nicht anders.

Ach du lieber Gott, du lieber Gott! rief der arme Mann. Er dachte dabei aber nicht an den lieben Gott, nur an seinen Verlust.

Es ist ein rechtes Unglück, sagte die zweite.

Wir vertrugen uns doch nur zu gut, jammerte der Wittwer.

Es war eine gute Frau, das ist wahr, und so jung! sagte eine der Frauen.

Wie kann der liebe Gott das thun, ich habe doch keinem Menschen was zu Leide gethan! fuhr er fort.

Und die armen unschuldigen Kinder; ja, es ist aber in der Welt nicht anders, – sagte die erste wieder.

Da öffnete sich die Thür und eine stattliche Frau trat ein. Das ist die Rößner, Germers Schwester, nun bei solchen Gelegenheiten paßt sie, dachten die Frauen, sie hat es dem Pastor abgelernt; aber so ruhig sieht sie aus, als ob sie gar nicht der Verstorbenen beste Freundin gewesen wäre. Sie ging zum Bruder, reichte ihm die Hand und sagte herzlich: Lieber Bruder, der Herr Gott, der Dir dies Kreuz aufgelegt, der helfe es Dir auch tragen. Dann trat sie zu den Kindern. Elisabeth, das älteste 16jährige Mädchen, hatte das kleinste auf dem Arm, die vier andern standen trübselig daneben. Die Muhme führte den Mann und die Kinder zu der Verstorbenen.

Seht, wie sie daliegt so sanft und selig, ja sanft und selig, weil sie gottesfürchtig war und in dem Glauben an den Herrn Jesum Christum gestorben ist. Seht Euch die Mutter jetzt recht an, sie sagt: Kinder seid gottesfürchtig, daß ich euch alle wieder habe, daß ihr auch selig und sanft sterben könnt.

Elisabeth, die sonst die Muhme wenig leiden konnte, weil ihre Jugendlust durch die strengen Grundsätze der Muhme oft verkürzt ward, war jetzt in der Stimmung so etwas zu hören, sie reichte ihr die Hand und weinte sich satt an ihrer Brust. Auch der Bruder mußte jetzt Worte hören, die ihn aus dem alten Schlendrian reißen sollten, und er hörte sie willig, es war doch etwas, etwas in seiner Leere, seiner Hilflosigkeit! Selbst die Frauen, die eben zuhörten, nickten mit dem Kopf. Ja, ja, es müßte anders werden, es ist keine Treue, kein Glauben mehr in der Welt! sagten sie seufzend, – aber, daß es bei ihnen auch fehlte, darüber dachten sie nicht weiter nach und gingen an ihre tägliche Hantierung.

Die Verstorbene wurde begraben, die Unruhe der ersten Tage war vorüber, alles war im alten Geleis und Germer fand in seinen Berufsgeschäften etwas Zerstreuung. Aber noch nicht genug, meinte sein Schwager Rößner, er muß mehr unter die Menschen, er muß mehr von der Sache abgebracht werden. Seine Frau konnte er gar nicht begreifen, die wollte gar nichts von Zerstreuung hören, ja sie that das Gegentheil, als ob sie dem Bruder nicht genug das Kreuz in das Herz prägen könnte. Der Herr hat ihm das Unglück nicht umsonst geschickt, sagte sie ruhig, und vergessen wird er es noch schnell genug, wir wollen sehen, wer recht hat.

Leider war dies nicht das erste mal, daß die Eheleute ungleicher Meinung waren, ja Rößner war eigentlich seiner Frau immer entgegen, und wenn sie es nicht so hinter den Ohren gehabt hätte, wie er selber sagte, so würde er seiner Meinung immer Geltung verschafft haben. Die Zeit war aber vorüber, wo die Frau nicht wagte ein Wörtlein einzureden; und das war so gekommen.

Als sie sich beide freiten, waren sie eines Sinnes, er war der reichste Vollspänner im Dorfe, ein schmucker junger Bursche, sie war eines Vollspänners Tochter und ihr Vater sagte: »Ik bin en Mann, ik kann et daun, un kann et ok laten; ich sitte im Vullen, min Sohn sitt im Vullen, un zum Schwiegersohn nähm ik kenen Nackedei.« Die junge Frau lebte in demselben Sinne, in der Sicherheit und Häbigkeit des Reichthums, und vertrug sich gut mit dem Mann, denn sie waren eines Sinnes. Nun begab es sich, daß der alte Pastor starb, und ein junger wurde geschickt um die Stelle einige Zeit zu verwalten. Das war aber ein sonderbarer Mann, ein Teufelsprediger, wie sie ihn nannten, mit dem war kein Umgehen. Der gute alte Pastor! hieß es da, er legte keinem Menschen was in den Weg und wir legten ihm nichts in den Weg und alles ging so schön; dieser aber bringt Unfrieden in das ganze Dorf. Er brachte auch den Unfrieden in den Rößnerschen Hof, denn es war sicher, er hatte die Frau verrückt gepredigt. Ja sie ging still einher, redete oft wirre, und wollte allerhand Neuerungen im Leben einführen, die lächerlich waren. Rößner ward zornig, behandelte die Frau schlecht, und die Arme ward immer tiefsinniger. Der neue Pastor wollte sie trösten, aber er konnte es nicht, denn er war eben kein Teufelsprediger. Ihr Vater war sehr betrübt darüber, denn die einzige Tochter war sein Augapfel, und er konnt es eigentlich nicht fassen, sie war doch in demselben Falle wie er, sie konnte alles daun und konnte alles laten und war doch unglücklich. Sie setzte es endlich bei dem Vater durch, daß sie mit ihrem Kind, einem prächtigen zweijährigen Jungen, konnte nach Breitenfeld reisen zu einer Muhme. Rößner sah es ein, daß sie zerstreut werden müsse, er wollte ja von Herzen, daß sie wieder kurirt und alles wie früher sein möge. Daß dort auch ein Teufelsprediger sei, daran erinnerte der Vater den Schwiegersohn gar nicht, denn sonst hatte Rößner die Reise wohl nicht zugegeben. Die Frau war acht Wochen fort, kam wieder und war ganz kurirt. Wie früher war sie aber doch nicht, sie machte zwar nicht viel Wesens davon, sie war freundlich und gesprächig mit jedermann, aber sie ging ihren eigenen Weg und hatte ihre eigene Meinung, und wenn die Gelegenheit passend war, sprach sie sich in gewandten Worten darüber aus. Während nun der gute neue Pastor niemanden etwas in den Weg legte, that sie es, und hin und wieder blieb auch einer stehen und besann sich, so daß die Betschwester, wie sie bald genannt wurde, doch noch drei bis vier andere Frauen gewonnen hatte, die mit ihr recht ein Herz und eine Seele waren. Ihren Mann gewann sie nicht, sie lebten nicht in großem Streit, denn er war nicht schlimm geartet, und sie war so gescheit, daß sie meistens die Gelegenheit zum Streite aus dem Wege räumte; aber er war doch ihrem Leben und Streben entgegen, und das war überall zu merken, am traurigsten bei der Erziehung des einzigen Jungen. Das Kind merkte bald, daß seine Eltern uneins waren, und da sein Vater ihm das Leben weit bequemer und leichter machte, so hielt er es mit dem Vater und wurde ein lustiger Bursche, wie all die anderen Burschen im Dorfe. Er that keine schlechten Streiche, denn er hielt auf Ehre und Reputation, er war ja auch des ersten Vollspänners einziger Sohn, aber während der Pastor auf der Kanzel den Teufel leugnete, trieb derselbe in der Gemeinde sein lustig Spiel und bei Alten und Jungen war trotz der Ehre und Reputation ein gottlos, lüderlich Leben eingerissen.

Die verstorbene Frau Germer gehörte zu den Stillen, sie hielt sich zu ihrer Schwägerin, und diese Schwägerin, die am ruhigsten bei dem Verluste schien, die fühlte ihn am tiefsten, denn ihr war ein großer Lebenstrost abgestorben. Wie manche stille Stunde hatten die beiden Frauen, wenn die Männer im Gasthof saßen, zusammen verlebt, sie hatten den Frieden dieser Männer, den Frieden des Hauses und das Heil der Kinder zusammen auf ihrer Seele getragen, sie hatten sich getröstet, wenn es eben nicht so ging, als sie wünschten, denn ebenso wie bei Rößner der Sohn es mit dem Vater hielt, so war Elisabeth in den letzten Jahren der schwachen Mutter entwachsen, und wenn die Mütter auch mit den Vätern einverstanden waren, daß beide einst möchten ein Paar werden, so konnten sie doch nicht ohne Trauer der Zukunft dieser Kinder entgegen sehen. Jetzt war die treue Mutter todt, Elisabeth war sich selbst überlassen, sie war noch ein Kind, wenn auch nicht der Größe nach, so doch der Gesinnung, sie mußte unter Aufsicht. Germer selbst sah das ein und war mit den Rathschlägen der Schwester einverstanden, seine Kinder mußten andere Pflege und Aufsicht haben. Niemand war passender dazu als Marie Hoppenstedt, die Tochter eines nahen Vetters, deren Eltern bereits todt waren. Das Mädchen war schon seit vielen Jahren bei einer Anverwandten in Breitenfeld, hatte der in der Wirthschaft und bet den Kindern viel Hilfe geleistet, und konnte jetzt abkommen. Obgleich erst zwanzig Jahr alt war sie doch zuverlässig und brav, und man konnte ihr ein Hauswesen ohne Sorgen anvertrauen.

Marie kam an, ein besonderer Ruf war ihr aber vorangegangen, ja von manchen Seiten war Germer gewarnt, solch eine Betschwester, einen Finsterling, in sein Haus zu nehmen. Der aber meinte, seine Frau selige wäre auch eine Betschwester gewesen und er wäre mit ihr so gut fertig geworden, seine Schwester, die eben so dächte, meine es auch gar treulich und wisse dabei im Leben alles am besten anzugreifen. Uebrigens konnte es mit Marien nicht zu schlimm sein, denn sie war ein ausgezeichnet hübsches und dabei ein frisches, lebensfrohes Mädchen.

Rößners Andreas tröstete seine Muhme Elisabeth, Lieschen, wie sie im Orte genannt wurde, und sagte: Paß mal auf, nun geht der Spaß in eurem Hause erst los, Marie sieht nicht aus wie ein Topf voll Mäuse; wer weiß, das arme Mädchen hat in Breitenfeld müssen beten und singen lernen, nun wird sie gern hier pfeifen und tanzen. – Lieschen aber schüttelte den Kopf, denn bei aller Lustigkeit machte Marie da oft große Augen, wenn Lieschen anstimmen wollte auf ihre Weise.

Es war um die grüne Pflaumen-Zeit, als die selige Frau starb; als Marie kam, wurde der Flachs gebrakt und die Rüben geerntet. Marie war fleißig von Morgen bis Abend, sie fand auch ein Häuflein Arbeit vor, und Germer meinte, sie könne besser um sich sehen, als seine selige Frau; sie war freilich weit größer und mehr bei Kräften. Elisabeth nahm sich in den ersten Tagen zusammen, sie wollte es der Muhme in allen Stücken nachthun, denn niemand hatte sie früher so laufen und rennen sehen, wie jetzt. Die Frau Rößner war glücklich und meinte, es wird alles gut gehen, Marie ist gescheit, sie hat aber auch das Herz auf dem rechten Flecke. Wie liebreich und sorglich war sie mit den Kleinen! Sie nahm das Kleinste in den Mantel, aber ihre Hände kamen darunter vor, daß sie Tassen waschen konnte und lachend hockte ein anderes Kleines ihr auf dem Rücken, oder sie erzählte ihnen und sang mit ihnen, wie es die selige Mutter gethan, ja die Kinder meinten, die Muhme wäre wie die selige Mutter so gut, nur daß sie besser spaßen könnte.

So war der erste Sonntag herangekommen. Marie war noch nicht aus dem Hause gewesen und hatte wenig Leute vom Dorf gesehen, denn Spinnezeit, wo die Jugend mit dem Spinnewocken Abends ausgeht, war noch nicht. Sie ging in die Kirche, auch Elisabeth nahm sie mit, und richtete vorher alles so ein, daß Wirthschaft und Kinder wohl versorgt waren. – Die Kirche war leer und der Prediger hielt eine Predigt, die ihr recht lang vorkam, aber es war darin nichts gegen Gottes Wort und sie war zufrieden. Ueber eines aber war sie nicht zufrieden; oben auf dem Chor der jungen Burschen war es unruhig und wurde fast immer leise geschwatzt, als sie einmal unwillkürlich ihre Blicke hinaufgleiten ließ, war es gerade der Vetter Andreas, der mit recht leichtfertigem Gesichte plauderte. Daß sie der Gegenstand dieser heutigen Plaudereien war, ahnete sie nicht, aber ihr that die arme Muhme Rößner leid, die den einzigen Sohn so gottlos sehen mußte.

Der Herr Pastor hatte zum Nachmittage Katechisation mit den erwachsenen Töchtern abgekündigt. Marie erwähnte zu Hause, daß sie mit Elisabeth Nachmittags hingehen würde. Diese aber lachte: Zwei Jahre bin ich hingegangen, sagte sie, nun aber schickt sichs für mich nicht mehr. Und nun gar Du! ich glaube, der Pastor würde Dich selbst auslachen, wenn Du kämest.

Marie war erst verwundert, aber sie sagte doch, daß sie hinginge.

Jetzt kam Andreas hinzu und der griff mit gewaltigen Witzworten des Mädchens Absicht an, ja er meinte zu Lieschen, als er mit ihr allein war: er habe Marien gründlich kurirt, der würde wohl die Lust vergangen sein, neue Moden hier einzuführen; aber Elisabeth sagte: Ich wette doch, sie geht hin.

Richtig, als es läutete, wanderte Marie ruhig zur Kirche und trat mit einigen 14- und 15jährigen Mädchen vor den Altar. Der Pastor schien selbst erschrocken über ihr Erscheinen, aber sie sah ihn so unbefangen an, antwortete mit so vieler Freudigkeit, daß er selbst sich daran freuen mußte. Selbst daß Andreas ein Häuflein junger Bursche in aller Eile zusammen getrieben und auf dem Chor wieder lärmte, störte sie nicht, nur einmal schaute sie so ernsthaft und unverwandt auf die jungen Bursche, daß sie selbst verlegen wurden. Auf dem Kirchweg hörte sie allerhand Spöttereien, aber sie that gar nicht, als ob sie es gehört hätte, und war zu Hause vergnügt wie immer.

Heute Abend kömmt sie gewiß nicht mit zu Brands, sagte Lieschen zu ihren Bekannten, die mit ihr hinten vor der Gartenthüre standen; denn daß es da über sie hergeht, läßt sich denken, die Bursche sind ganz wild über ihre Narrheit.

Nach Tische fragte Lieschen ganz kleinlaut, ob sie nicht mitginge nach Brands, da wären die jungen Mädchen und Bursche versammelt.

Ja freilich, sagte Marie, ich muß doch endlich bekannt werden hier.

Die ist dumm zum Thüreneinrennen, dachte Lieschen innerlich; denn sonst müßte sie wissen, wie die Sachen stehen. Und in einer gewissen Gutmüthigkeit lies Lieschen einige Worte fallen.

Ach habe keine Bange, lachte Marie, ich fürchte mich nicht, komm nur.

Die Mädchen traten in die jugendliche Gesellschaft, die schon vollständig versammelt war. Sofie Brand, ein recht hinterlistiges Mädchen, sagte am freundlichsten Guten Abend. Marie ging freundlich umher und reichte Bekannten und Unbekannten die Hand, sie wollte doch unbefangen sehen was es gab. Ihre Erscheinung machte auf die Gutmüthigen in der Gesellschaft einen besonderen Eindruck, sie hätten am liebsten gesehen, Spott und Neckereien würden nicht laut; selbst Andreas sah staunend auf das hübsche hellblickende Mädchen. Aber Christian Brand, ein ausgemachter übeler Bursche, durchbrach den Damm.

Na, Ihr wißt doch, daß ein neuer Abc-Schütze hier im Dorfe angekommen ist.

Ja, sagte ein anderer, und handlich groß.

Aber was Hänschen nicht lernt, wird Hans sicher nicht lernen, sagte Christian wieder, wir müßten ihm denn eine rechte Rosinentute schenken.

Die Mädchen kicherten, die Bursche ebenfalls und Christian ward kühner in seinem Spotte.

Nun Christian, nahm Marie mit einem mal zu aller Verwunderung das Wort, und so ruhig, als ob sie gar nicht gemerkt hätte, der Spott gelte ihr: sieh mal an, ich muß doch dem Abc-Schützen die Stange halten, denn wenn er auch etwas alt ist bei seiner Lernbegierde, so ist er doch besser als die faulen, nichtsnutzigen Schlingel, die gar nichts lernen wollen.

Ein schallendes Gelächter folgte diesen Worten, und wie das ist bei so gehaltlosen Menschen, Marie hatte die Lacher wieder auf ihrer Seite und Christian biß sich in die Lippen. Aber er gab sich noch nicht gefangen. Es ist hier nicht die Rede von faulen Schlingeln, sagte er, sondern von Leuten, die ihre frühe Jugend zum Lernen benutzt haben und zur gehörigen Zeit fertig sind.

Ei Christian, entgegnete Marie wieder, da irrst Du Dich, sieh mal das Sprichwort sagt: Es ist kein Mensch so alt, er kann noch zulernen wollen. Es steht ja schon in der Bibel, daß sich nur die Narren für Weise halten.

Wieder Gelächter. – Da kömmst Du schön an Christian, riefen die Unparteiischen, aber Andreas und Lieschen und Sofie schwiegen gereizt.

Ich halte es nun mit dem Zulernen, fuhr Marie fort, darum bin ich auch heute vor den Altar getreten und werde es jeden Sonntag thun, wenn an uns Mädchen die Reihe ist, und ich möchte wohl mal hören, ob die Leute, die sich schon für fix und fertig halten, nicht auch heute in der Kirche etwas hätten lernen können.

Marie hat Recht, nahm jetzt ein Bursche mit recht treuherzigem Gesichte das Wort. Es war Fritz Altenhaus, und eigentlich der beste von der ganzen Gesellschaft. Wir sind alle so beschaffen, daß wir zulernen könnten, wenn wir nur Lust hätten.

Ich danke Dir auch, sagte Marie, stand auf und reichte Fritzen die Hand, wenn man so ganz verlassen ist, das ist auch nicht gut. Ihre Lippen zitterten bei den Worten, und man sah jetzt wohl, daß sie trotz der äußeren Ruhe Bewegung im Herzen hatte. Andreas fühlte einen Stich und dachte, es ist auch Unrecht so viele gegen eine. Marie aber nahm sich zusammen und fuhr freundlich fort: Nimm Dich nur des armen Abc-Schützen an, und sage auch, daß die Ausgelernten hübsch in Obacht nehmen, was sie gelernt haben und Respekt vor Gottes Wort und Gottes Hause haben.

Ja hört mal, nahm Fritz das Wort, es ist wahr, ich habe mich heute selber geschämt, das war doch ein Skandal auf unserer Priche –

Andreas fuhr auf, er fühlte sich schuldig und hatte nicht Lust mehr davon zu hören. Wir sind hier nicht hergekommen Predigten zu hören, zum Kukuck auch, wir wollen endlich anfangen zu spielen. – Ja, ja, spielen! hieß es und es kam plötzlich wieder Leben in die Gesellschaft.

Marie sah erschrocken dem Anfange des Spieles zu. Jeder Bursche nahm ein Mädchen auf den Schooß, und Fritz forderte Marien auf, sich zu ihm zu setzen. Marie that es nicht. Alle sahen neugierig auf sie: da stand sie feuerroth bis unter die Stirn. Sie schämt sich, und wir schämen uns nicht, rief es da in manchem jungen Mädchen, und unwillkürlich standen sie auf. Ja, sie schämt sich und wir schämen uns nicht, – das war eine Thatsache, die stärker predigte als harte Worte.

Was ist denn das? rief da Andreas wieder erzürnt.

Marie aber sah jetzt zürnend um sich, ihre Lippen zitterten wieder: Pfui über die Mädchen! sagte sie und verließ die Gesellschaft.

Nun gab es aber Lärm in der Gesellschaft, – »Nachbar oben und Nachbar unten« ist auch ein häßliches Spiel! sagten einige Mädchen. – Unsere Mütter haben es aber auch gespielt, sagten andere und Sofie Brand an der Spitze: wollt ihr besser sein wie die Alten? – Es wurde hin und her gesprochen und die am lautesten sprachen hatten Recht, das Spiel kam wieder in Gang. Elisabeth fühlte auch Gewissensbisse, aber Andreas hatte sie ausgezankt und so meinte sie ehrbar genug gewesen zu sein, und spielte weiter. Die Leichtsinnigsten in der Gesellschaft waren besonders ausgelassen, um Mariens Erscheinen ganz und gar vergessen zu machen, aber es gelang ihnen dennoch nicht. Einige Mädchen sagten sich immer: Sie hat sich geschämt und wir schämen uns nicht; pfui über solche Mädchen! Und die Burschen fast alle dachten: Ein hübsches, ehrbares Mädchen ist die Marie doch. Ja Andreas sagte sich das am deutlichsten, trotz seines Widerstrebens, und der Mädchen leichtfertiges Juchen und Lachen war ihm manchmal gar widerlich. War es denn allein dies eine Spiel, was Marie unschicklich finden wird? Nein, der ganze Verkehr zwischen den jungen Leuten war leichtfertig und gottlos. Andreas wußte das alles recht gut, denn wenn seine Mutter ihn auch nicht abhalten konnte von seinem Thun und Treiben, so hatte sie ihm doch auch die Augen darüber geöffnet.

Andreas ging heut früher heim, als gewöhnlich. Warum? es war ihm selbst unbegreiflich. Er sah immer Mariens Bild vor sich, wie sie mit zitternden Lippen dem Fritz Altenhaus die Hand reichte, und wie sie ebenso sagte: Pfui über die Mädchen! Er konnte auch nicht widerstehen, er ging die Paar Schritt nach ihrem Fenster zurück, kletterte auf das Steinsimms der Wand und sah hinein. Marie saß allein, sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und las in einem Buche. Zuweilen sah sie auf und nachdenklich vor sich hin. Andreas sahs mit klopfendem Herzen, erst als er ein Geräusch zu hören glaubte, schlich er leise davon.

Er mußte vor Brands am nächsten Nachbarhofe wieder vorbei, er hörte das Jubeln eine Strecke vorher, und obgleich die Mädchen eine Schürze vor das Fenster gehängt hatten, sah er doch genug. Wie die Mädchen doch so heiß und wild aussahen, ja Elisabeth, die jüngste von allen, sonst ein hübsches Mädchen, neckte sich mit Christian Brand so leichtfertig, daß es Andreas ganz warm ward und er unwillig an das Fenster pochte, ehe er von dannen ging.

Am andern Tag überlegte er sich die Sache anders, besonders als er hörte, daß im Dorf von Mariens Betragen gesprochen wurde und an manchen Orten die andern Mädchen schlecht dabei weg kamen. Ei, dachte er, wenn alle Mädchen wie Marie wären, würde die Sache langweilig, wenn man jung ist, muß man lustig sein. Er dachte aber nicht allein so, er sprach auch so, und da er ein gewandter Bursche war, überredete er andere und sich selbst, daß sie auf dem richtigen Wege wären, den die Jugend gehen müsse.

Höre mal, sagte er aber im Stillen zu Lieschen: wenn ich Dich noch einmal mit Christian so sehe wie den Abend durch das Fenster, dann ist es aus mit uns. – Elisabeth ward roth, sie wußte wohl, was er meinte, sie hatte wohl gemerkt, daß er es war, der gestern an das Fenster pochte. Sie wollte es mit dem reichen Vetter nicht verderben, aber wenn der nicht da war, gefiel ihr Christian recht wohl, er konnte schwatzen, ebenso gut wie Andreas, und war weit freundlicher.

Es kam nun nach und nach in den Gang, daß die Mädchen mit dem Spinnwocken ausgingen, da kamen sie noch häufiger mit den Burschen zusammen. Marie hielt sich seit dem Abend ganz von ihnen entfernt, und sie wurde auch nicht aufgefordert, in diese Gesellschaft zu kommen, denn fast allen war sie ein Dorn im Auge.

Aber auch im Hause hatte Marie es nicht gut. Elisabeth, die von Natur mehr einfältig war, wurde von Sofien und Christian Brand so aufgereizt, daß sie Marien Schabernack that, wo sie konnte, und diese sich manches gefallen lassen mußte, wenn sie das Verhältniß nicht gar noch schlimmern und es Elisabeths Vater klagen wollte. Ja, bei Germer hatte sie einen gewaltigen Stein im Brette, – und die Leute munkelten schon: Lieschen solle sich in Acht nehmen, das Mädchen könne wohl ihre Stiefmutter werden und dann das Blatt sich wenden. Was die Rößnern dazu dachte, wußte man nicht, und als Andreas, der großen Trieb hatte, von der Sache zu reden, bei seiner Mutter forschte, da wandte sie es eifrig ab: Ihre Schwägerin wäre kaum kalt geworden und ihr Bruder würde der Welt kein solch schlecht Schauspiel geben, und wenn solche Gespräche mehr verlauteten, sollte Marie wieder fort. Richtig war es, daß Germer nach dem Tode seiner Frau nicht mehr so viel in den Gasthof ging als früher, aber das war wohl auch natürlich: seine Schwester stellte es ihm oft genug vor, wie er jetzt für seine armen Waisen leben und sie nicht verlassen müsse, und sein Herz war vom Verluste der Frau weich genug, das zu beherzigen. Er forderte lieber Rößnern und seine Frau und andere Freunde auf, im kleineren Kreise zusammen zu sein, und da war eben Marie auch dabei und gern gesehen, und Rößner meinte: sie habe so viel Schnurren im Kopfe, und sei so ausnehmend lustig, daß es ein Wunder sei, wie sie doch auch kopfhängerisch und taktfest wäre.

War Marie allein, so ging sie zu ihrer Muhme Rößner mit dem Spinnwocken, und die Muhme gewann das Mädchen so lieb, daß sie dachte: wenn der Andreas geheirathet hat, was bald geschehen muß, damit er vielleicht verständig wird, dann nehmen wir das Mädchen zu uns ins Altentheil, – und zu ihrer Freude war auch ihr Mann, dem sie einst scherzweise den Gedanken mittheilte, ganz damit einverstanden.

Eines Abends kam sie allein von der Muhme. Sie hatte gerade die Zeit getroffen, wo auch die jungen Leute auseinandergingen, und sie hörte schon, wie sie ihr entgegen kamen. Es wurde ihr etwas bange, besonders vor Christian, der ein frecher, wilder Bursche war und der sie haßte noch aus besonderen Gründen. Nur Muth, sagte sie sich da, mit Muth kommt man am besten durch die Welt und so ging sie rüstig weiter.

An einem Uebergang durch den tiefen schmutzigen Fahrweg stellte sie den Wocken hin, um die Kameraden erst durchzulassen. Es war heller Mondenschein, man konnte sich erkennen. Ein junges Mädchen blieb bei Marien stehen, sie hatte sich hin und wieder mit Marien gesehen und hatte Gefallen an ihr gefunden.

So alleine? fragte sie freundlich.

Ja freilich, entgegnete Marie, komm nur und besuche mich, ich bin recht gern in Gesellschaft.

Ich komme sicher, sagte das Mädchen wieder, Du sollst sehen.

Fritz Altenhaus, der der nächst folgende war, hatte die Worte gehört und sagte: Darf ich auch kommen?

Gewiß, wem meine Gesellschaft angenehm ist, der mag wohl kommen, entgegnete sie. Dabei nahm sie freundlich die dargebotene Hand.

Andreas, der auch nahe war, sah und hörte das und es war ihm gar nicht recht. Er hatte längst gemerkt, daß Fritz ein Auge auf Marien geworfen. Die Partie paßte zwar: Fritz war Kossath, hatte nur noch eine alte Mutter bei sich, er würde kein Mädchen kriegen, die mehr hat wie Marie; aber Andreas meinte, es ärgere ihn, daß es einen vernünftigen Menschen in der Welt gäbe, der es mit Marien halten könne. So ging er seines Weges und Marie ging nach der anderen Seite, jetzt erst merkte sie, daß sich die Gesellschaft da getheilt hatte, und bei den wenigen, die drüben blieben, auch Elisabeth und Brands waren. Richtig, Christian wollte ihr etwas in den Weg legen, er stellte sich vor den Uebergang und sagte keck: Hier stehe ich, und Du gehst da. Dabei zeigte er auf den Schmutz daneben.

O ich habe Zeit, sagte Marie ruhig.

O ich ebenfalls, lachte Christian.

Lieschen und Sofie kicherten und zwei ganz junge Bursche, die die Sache mehr für Spaß als Ernst hielten, lachten auch.

Marie besann sich. Auf wen fällt die Schande, wenn ich hier durch den Dreck muß? sagte sie noch einmal ruhig.

Von Schande ist hier nicht die Rede, lachte Christian, nur von Dreck und der kömmt sicher auf Dich.

Fritz und Andreas waren durch das Gespräch zurückgelockt, und Andreas, als der flinkeste, stand eben neben Marie, als sie den gewichtigen Schritt thun wollte. Bubenstreiche werden hier nicht gelitten im Dorfe! rief er heftig: So schlimm sind wir denn doch nicht, – schäme Dich Christian! Darauf nahm er Mariens Wocken, trug ihn auf den guten Weg und ging dann fort ohne Dank oder Antwort abzuwarten. – Fritz Altenhaus zankte noch auf Christian, der aber nannte es einen Spaß, und meinte, die feine Jungfer habe tapfere Ritter.

Von da an ward Christian dem Mädchen immer feindseliger, sie ließ sich aber nicht einschüchtern, ja sie sah ihn mit ihren hellen Augen so fest an, daß ihm bange wurde, und er dachte: Vor der mußt du dich in Acht nehmen. Ja wohl mußte er sich in Acht nehmen, denn sie hatte längst seine Absichten durchschaut, und wußte gut, daß er es auf Elisabeth abgesehen, er dachte wohl, deren Geld könne seinem verschuldeten Kossathenhof aufhelfen, und zu Ränken und Abscheulichkeiten, dazu war er genug bei der Hand.


Weihnachten war vorüber und ein Tag still nach dem andern hingegangen, das Dorf war tief eingeschneit und es war nichts besonders passirt. Aber so tief es eingeschneit lag und so still es schien in den Häusern, in den Herzen rumorte es immer zu, und besonders war im Kreise der jungen Leute ungewöhnliche Bewegung. Es war an einem Sonntag, Ende Januar, es war sehr kalt und ein dichter Nebel ließ es den Tag nicht viel hell werden. Marie war wieder mit den konfirmirten Mädchen vor dem Altar gewesen, und außer ihr noch zwei Jungfrauen, die durch Mariens Muth muthig geworden, keinen Spott fürchteten. Es war aber auch nicht mehr so schlimm; Marie stand in Respekt und das ärgerte besonders Christian über die Maaßen. Zu heute hatte er sich für sie ein Arges ausgedacht: er hatte es endlich durchgesetzt, daß auch zu Elisabeth die Sonntagsversammlung der jungen Leute kam, obgleich Marie sich längst dagegen gewehrt hatte. Ob sie wohl fortgehen wird? O nein, sie wird sich hüten, sie bleibt ruhig und denkt: es ist noch Zeit genug zum Fortgehen, wenn du siehst, wie sie es treiben. Sie hatte im Stillen die Hoffnung, es solle heute mal einen Ausschlag geben, und ihre Partei sich sondern und nicht die kleinste bleiben.

Marie hatte die kleineren Kinder zu Bett gebracht, die größeren waren zu ihren Genossen gegangen; auch war Germer nach dem Gasthof, denn die Eltern sind ja einmal so thöricht, daß sie geradezu der leichtsinnigen Jugend das Feld räumen, damit sie ungestört ihr leichtfertig Spiel treiben könne. Marie saß erwartungsvoll, die Zeit war nahe, daß die Gäste kommen mußten. Aber sonderbar ists, was Lieschen jetzt noch bei Brands macht; was mögen sie abzukarten haben? Dabei lauschte sie noch einmal in die dunkle Schlafkammer nach den Kleinen, es war alles still, sie ging auch weiter und stand gedankenvoll bei den sanft schlafenden. Da hörte sie Geflüster auf der Straße, sie öffnete leise das Kammerfenster, sie dachte gleich an Lieschen und Christian. Es war stockfinster, aber deutlich erkannte sie die Stimmen, ja sie waren es, und waren in einem Liebesgespräch vertieft. Christian sprach von seiner Zuneigung und von seinem Unglück in hochtrabenden Worten, das sollte erbaulich klingen und klang doch sehr albern, und nur die gutmüthige und leichtsinnige Elisabeth konnte das für baare Münze nehmen.

Den Liebesworten folgte noch eine ernstliche Ermahnung: Und heute Abend, sagte er, thust Du, wie ichs gesagt habe. Gegen Andreas bist Du wie immer, – wie ein Ohrwürmchen, setzte er lachend hinzu; der dumme Bengel soll es erst merken, wenn es Zeit ist. Und dann kehrst Du Dich nicht an das Weibstück, wir thun gar nicht, als ob sie in der Stube ist, es soll kopfunter kopfüber gehen; es zwingt sie keiner, daß sie dableibt, und wenn Fritze Umstände macht, so kann er sich mit ihr packen.

Marie machte jetzt unwillkürlich ein Geräusch am Fensterflügel, Lieschen fuhr erschrocken auf und verließ eilig ihren Verführer.

Als sie in die Stube trat, hatte Marie ihr den Rücken zugewendet, sie war noch ganz verwirrt von dem, was sie gehört hatte und überlegte, was sie thun solle. Aber verstellen konnte sie sich den Abend lang nicht, sie wandte sich und sah Elisabeth an, die wurde verlegen: ein furchtbarer Schrecken erfaßte sie, als sie ahnete, Marie habe sie belauscht.

Marie ließ sie nicht lange in Ungewißheit, sie ging zu ihr, faßte ihre beiden Hände und sagte recht ernsthaft: Ich habe alles gehört. Du armes Lieschen! wer wird Dich retten von Deinem Verderber?

Sag doch nur nichts, sag doch nur nichts, schluchzte Lieschen. –

Da aber ging die Hofthür, und beide Mädchen hatten genug zu thun ihre Bewegung zu verbergen. Doch gelang es nicht, man sah noch deutlich die Spuren von Lieschens Thränen, und auch daß Marie sich zur Unbefangenheit zwingen mußte. Ein jeder deutete das natürlich so: Marie hat gezankt, daß Lieschen sich die Gesellschaft geladen und selbst die Besseren wurden auf Marien gereizt, denn sie meinten: Marie solle sich in ihrer Gesellschaft wohl fühlen, und Andreas, den es seit einiger Zeit innerlich getrieben, ganz besonders rechtschaffen und ehrbar zu sein, damit Marie Respekt vor ihm habe, ja der eigentlich gemeint, sie habe den Respekt schon und sei nicht ungern in seiner Gesellschaft, kam durch seine Beobachtung in sehr übele Laune und dachte: nun willst du sie aber ganz laufen lassen.

Marie gab allen freundlich die Hand: Die Heuchlerin! dachten die meisten.

Heute bleiben wir nicht lange bei der Vorrede stehen, sagte Andreas, wir fangen gleich an zu spielen.

Nachbar unten, Nachbar oben, sagte Christian.

Das heute nicht, entgegnete Lieschen kleinlaut.

Warum denn nicht? rief Christian heftig. Er glaubte auch, Lieschen habe sich von Marien einschüchtern lassen. Seine Partei fing nun an, mit ihm für das Spiel zu sprechen, Andreas war heut auf seiner Seite, obgleich seit einiger Zeit sich zwischen beiden ein heimlicher Widerspruch eingestellt, ja Fritz selbst ließ sich verleiten, aus stillem Grollen gegen Marien, die so stolz und hochmüthig war und ihnen gar nichts Gutes zutraute. Nur Mariens Freundinnen blieben fest, sie folgten Marien nach dem stillen Plätzchen an den Ofen und sagten: wenn andere Spiele an die Reihe kämen, wollten sie mitspielen. Christian triumphirte, er konnte zwar nicht begreifen, was Fritz und Andreas bewogen hatte, zu seiner Partei zu treten, aber er jubelte und sein Wesen war wüster als je.

Marie war sehr betrübt, daß sie sich so getäuscht; sie hatte gemeint, daß sie schon weit mehr Einfluß so unter der Hand auf die jungen Leute geübt hatte; aber das ging heute toll her. Mit wenigen Ausnahmen war die Gesellschaft gleich wild, und Andreas, der seit einiger Zeit so vernünftig gewesen, zeigte sich heute wieder ganz anders. Mit einem mal stand sie auf, sie konnte es nicht lassen, sie trat an den Kreis und sagte: Man kann es doch gar nicht mit ansehen, wie Ihr den heiligen Sonntag so verunglimpft.

Brauchst es auch nicht, fiel ihr Andreas schnippisch in die Rede; geh doch zu meiner Mutter, da könnt ihr zusammen singen.

O Deine arme Mutter, entgegnete Marie.

Da ward sie durch Lärm überboten. Wir sind keine Heiligen, rief Christian, wir wollen wie brave Bursche leben.

Brave Bursche kenne ich auch, nahm Marie wieder entschieden das Wort, die treibens aber anders, und sie würden es sich für eine Schande ansehen, wenn sie mit Mädchen umgingen, die sich das gefallen lassen.

Ei hört doch die! rief Sofie ärgerlich.

In dem Augenblick trat ein junger Bursche hinter Marien und belustigte die andern durch seine Geberde, als ob er sie küssen wolle. Sie munterten ihn durch Zeichen auf, aber er hatte deutlich nicht den Muth dazu. Da trat Andreas schnell vor, legte seinen Arm um Mariens Hals und küßte sie. Ein lautes Gelächter zollte ihm Beifall, Marie wandte sich schnell, sie kämpfte einen Augenblick, aber eine tüchtige Ohrfeige brannte auf seiner Backe.

Gott verzeih Dirs, sagte Marie und Thränen des Zornes standen in ihren Augen: das war ein Bubenstück.

Das ist wahr, sagte Fritz erzürnt, schäme Dich, Andreas.

O Du bist schlechter, als Du aussiehst, fuhr Marie fort, und wenn Du nicht eine so brave Mutter hättest, so glaube ich, Du müßtest verloren gehen.

Was, bin ich denn so schlecht? was habe ich für schlechte Streiche gemacht? fragte Andreas heftig, um seine Verlegenheit zu verbergen; sein leichtfertiger Streich that ihm schon leid, er wollte es aber doch nicht merken lassen.

Du bist ein gottloser Bursche, entgegnete Marie, Du achtest nicht Gottes Wort und seine Gebote, ja Du spottest selbst Deiner Mutter vor den bösen Leuten.

Das war nicht so schlimm gemeint, sagte Andreas wieder. – Er hatte den Ausspruch gegen seine Mutter schon vorhin bereut, und es trieb ihn dazu, seine Reputation zu retten. Mariens Strafpredigt schnitt in sein ehrgeiziges Herz. Und that sie ihm nicht Unrecht? hatte er nicht wirklich in der letzten Zeit sich zu Christians Gegenpartei gehalten? hatte er nicht sogar Marien an manchen Orten vertheidigt, und Ordnung gehalten, im Kirchenstuhl sowohl als bei den Zusammenkünften der jungen Leute?

Er wollte eben seine Vertheidigung beginnen, als Christian lachend Lieschen umarmte, sie küßte und sagte: Seht Ihr das ist ein vernünftig Mädchen, die macht nicht viel Umstände um solche Lumperei.

Das fuhr Andreas wie ein Stich durch das Herz. Elisabeth galt vor der Welt als sein Schatz und er hatte sie auch lieb gehabt, aber ihr Wesen mit Christian hatte er wohl gemerkt. Also auch von dieser Seite gereizt, sagte er heftig: Glaube nicht, daß ich weniger Ehre im Leibe habe als Deine braven Bursche, zum Spielen und zur Kurzweil lasse ich mir lose Mädchen schon gefallen, deswegen verachte ich sie doch und heirathen werde ich sicher keine davon.

Hu, wie da das Feuer aufloderte! Sofie, die gedacht, wenn ihr Bruder Lieschen freit, freite sie wohl den Andreas, setzte nun ihren giftigen Mund in Bewegung, um den abscheulichen Burschen anzugreifen, und er wieder hielt in Eifer und Aerger auf Elisabeth allen lüderlichen Mädchen eine gewaltige Strafpredigt. Marie hörte verwundert. Er sagte mehr, als sie je gewagt haben würde zu sagen, und immer mehr ward er gereizt und sprach sich in die Heftigkeit hinein.

Wenn Du so von uns denkst, hatte Sofie zuletzt gesagt, so hast Du gar nicht nöthig mit uns zu spielen.

Ei, entgegnete er wieder, hatte ich das nur längst gelassen, Eure Gesellschaft hat mich wahrhaftig nicht besser gemacht, denn mit den Wölfen muß man heulen. – Andreas sprach hier die Wahrheit, er hatte das Unrecht seines Lebens längst erkannt, ja er hatte sich schon mit Rührung ausgemalt, wenn er seiner Mutter sagen würde: Du hast Recht und ich will anders werden. Der rechte Zeitpunkt war nur nicht gekommen, und sein Trost war auch, daß er noch keine schlechte That begangen und nur ein bischen leichtfertig in Worten sei. Mariens Worte: er sei schlechter als er aussähe, hatten ihn so verwundet, und es war ihm ordentlich wohl, daß er sich ihr gegenüber so auf seine hohe Moral setzen durfte, und hier vor aller Welt bezeugte, daß Mariens gottesfürchtiges und ehrbares Wesen eigentlich das rechte sei.

Fritz Altenhaus, der von allen der ruhigste war, nahm jetzt das Wort: Nun laßt uns mal vernünftig sein: wenn doch viele unter uns sind, die nicht so wildes Wesen wollen, warum machen wir denn nicht Ernst? Aber Du, Marie, wandte er sich zu dieser, bist heute an allem schuld, wenn Du uns hättest freundlich willkommen geheißen, hätten wir Dir zu Gefallen gethan und gar nicht die alten Sachen angefangen.

Ich Euch nicht freundlich willkommen geheißen? fragte Marie verwundert.

Das war doch deutlich, warum hat denn Lieschen geweint? entgegnete Fritz. Weil Du sie ausgezankt, daß sie uns eingeladen.

Nein, das ist nicht wahr, sagte Marte ruhig, Lieschen hat um etwas anderes geweint. – Sie sah bei diesen Worten mit ihren hellen Augen so fest auf Christian, daß er erschrocken niedersah, und alle, die ihrem Blicke folgten, auch ahnten, daß etwas anderes dahinter stecke. – Sage die Wahrheit Lieschen, habe ich Dir heute ein unfreundliches Wort gesagt?

Nein, – entgegnete diese, und sah dabei wie eine arme Sünderin aus.

Im Gegentheil fuhr Marie fort, ich habe mich gefreut, daß Ihr heute kämet, ich dachte, ich würde vielleicht einige Freunde unter Euch entdecken und es würde sich machen, daß ich den übrigen Winter nicht immer alleine hier sitzen müßte.

Sie sagte dies mit unterdrückter Bewegung in der Stimme. Andreas fühlte sein Herz schwer, daß er dem Mädchen wieder Unrecht gethan, und manchen anderen rührte es das Herz, daß Marie, die immer so stolz und zurückgezogen that, ihnen hiermit entgegen kam, und ihnen das erste gute Wort geboten.

Das hätten wir eher wissen sollen, entgegnete Fritz vergnügt, von nun an soll es in unserer Gesellschaft sicher so hergehen, daß Du dabei bleiben kannst.

Christian sagte nichts; er hatte an Lieschen gemerkt, daß das Geräusch am Fenster seine Ursach hatte und konnte es noch nicht verdauen. Zu aller Verwunderung setzte er sich zu dem Spiel, das Marie aufgefordert ward anzugeben. – Was wird Andreas wohl thun? er hat sich alle zu Feinden gemacht: Fritz und die Gutgesinnten ärgerten sich über den Kuß, und die übrigen zürnten ihm wegen seiner Meinung, die er über sie ausgesprochen. Am liebsten hätten sie es alle gesehen, wenn er fortgegangen wäre, aber er blieb und spielte mit.

Marie nahm sich recht zusammen, jetzt mußte sie die gute Gelegenheit benutzen und sich mehr Freunde gewinnen. Sie that vergnügt und schlug ein Spiel vor: ein jeder mußte sich einen Blumennamen wählen. Sie fing dann an: Ich bin verliebt in das Veilchen. Das Veilchen sagte: Ich bin verliebt – Worin denn? fragte Marie. In die Rose, entgegnete das Veilchen. Schnell mußte die Rose sagen: Ich bin verliebt – und das Veilchen fragte: Worin denn? So mußte das Fragen und Antworten schnell herumgehen, und wer nicht aufpaßte und nicht schnell eine Blume wußte, mußte ein Pfand geben. Das war auch ein Spiel, das Vater und Mutter längst gespielt hatten, und war Spaß genug dabei, denn in der großen Eile gab es manche Verwickelung und Pfänder kamen genug ein. Bei dem Austheilen der Pfänder durfte aber auch nichts Anstößiges vorkommen, Marie und ihre Freundinnen bestimmten jedes Pfand. Da gab es: dem Ofen neunerlei Ehre anthun, oder dreimal schreien wie ein Esel, oder auf dem breiten Stein stehen. Als eines von den soliden Mädchen auf dem breiten Stein stand und sagte: »Ich stehe auf dem breiten Stein, wer mich lieb hat holt mich heim,« stand Andreas auf und holte sie; als er aber dieselbe Rede wiederholen mußte, regte sich niemand ihn zu holen. Sofie und ihre Genossen kicherten. Da stand Marie entschlossen auf und gab ihm die Hand, wie es üblich dabei war, – nein, Sofie sollte nicht Recht haben, aber sie war feuerroth dabei geworden.

Mit diesem Augenblick ging in Andreas eine seltsame Bewegung vor. Du haßest das Mädchen nicht, nein du liebst sie aus tiefster Seele, was du dich auch dagegen streubst, sagte er sich, und sie hat auch recht, daß du schlechter bist als du scheinst, was du dich auch dagegen wehrst. – Er war den Abend still, und niemand wunderte sich darüber. Als er Marien Gute Nacht sagte, sah er düster vor sich hin. Marie dachte! er grollt dir wegen der Ohrfeige und daß du ihn öffentlich schlecht gemacht, und ihr Gewissen fragte, ob sie wohl jähzornig gewesen sei.

Als Andreas nach Hause kam, fand er die Mutter allein, der Vater war noch aus. Sie legte ein Buch aus der Hand und schien geweint zu haben. Andreas setzte sich still zu ihr und nahm zerstreut das Buch in die Hand. Mutter, sagte er dann, wenn Du Dich hinlegen willst, ich bleibe auf und lasse den Vater ein. – Die Mutter sagte wie immer Gute Nacht, und legte sich nieder.

Als Andreas allein war, sah er in das Buch, er fing an zu lesen, er las immer weiter, er ward so davon hingenommen, daß er seine eigenen Gedanken vergaß und nur Sinn für das Gelesene hatte. War ihm das Buch vom lieben Gott jetzt hingelegt? Gewiß, es war ja seine eigene Geschichte, seine weinende Mutter war die Mutter, die hierin so viele Thränen vergossen. Das Buch, in dem seine Mutter heute Abend gelesen, war die Geschichte von Monika, von der Mutter des heiligen Augustinus. Augustinus war ein reicher lebenslustiger Jüngling, er hörte nicht auf die Ermahnungen der frommen Mutter, er stützte sich in die Vergnügungen der Welt, in den Strudel der Sünde, sie meinte ihn schon untergehen zu sehen, aber sie ließ nicht nach mit ihren Gebeten den Herrn zu bestürmen um die Rettung des einzigen geliebten Sohnes, ihre treue Mutterliebe hatte weder Rast noch Ruhe, bis der Herr sich gnädig zu ihr wandte und das Herz des verlornen Kindes bewegte und so der armen Mutter wieder schenkte.

Andreas hatte das Heftlein zu Ende gelesen, Thränen rannen über sein Gesicht, auf die gefalteten Hände. Mutter, Mutter, seufzte er leise, Du sollst auch wieder ein Kind haben.

Es trieb ihn nach ihrem Bett, sie mußte längst schlafen, er wollte nur einmal ihr bleiches Angesicht schauen. Er nahm leise die Gardine zurück, sie lag da mit geschlossenen Augen und hatte die Hände gefaltet, sie sahe aber nicht traurig aus, sie schien zu träumen. O ja wohl, sie hatte gewußt, daß er sich in dem Buche vertieft, und ihr Gebet hatte sein Lesen begleitet. Jetzt, mit geschlossenen Augen, fühlte und schaute sie die Bewegung seines Herzens, eine Stimme sagte ihr frohlockend: Es wird anders mit ihm werden. Sie schlug aber auch die Augen auf, sie sah das alles auf seinem Gesichte geschrieben, sie nahm seine Hand, drückte sie an ihre Lippen und er sagte leise: Mutter, sei getrost, es soll anders werden.

Um dieselbe Zeit war Marie mit Lieschen auch allein, Marie konnte es nicht aufschieben, dem Mädchen ernsthaft zuzureden. Sie hatte schon längst nach Gelegenheit dazu gesucht, aber immer nicht guten Grund gehabt, dem Mädchen die Sache auf den Kopf zu sagen.

Lieschen, begann sie jetzt, sage mal, wo denkst Du nur hinaus mit Christian? – Lieschen weinte. – Denke, wie er seine Mutter, seine Schwester behandelt, fuhr Marie fort, er wird Dich nicht anders behandeln, er ist ein gottloser Bursche.

Ich will ihn auch nicht freien, entgegnete Lieschen.

Marie sah sie verwundert an. Du willst ihn nicht freien? So hast Du aber heute nicht gesprochen, und Christian muß sicherlich denken, Du willst ihn freien.

Ja, weil er mir immer bange macht: wenn ich ihn nicht nehme, will er uns beide umbringen, schluchzte Lieschen.

Marie wußte nun, woran sie war und konnte sich alles deutlich denken. Lieschen war leichtsinnig hineingegangen, und jetzt ward es ihr bange. Sie hatte nie anders gedacht, als die Bauerfrau im Rößnerschen Hofe zu werden, sie hatte sich aber nicht überlegt, wie die Sache mit Christian dazwischen paßte, und nun wäre sie gern von dem Burschen los, und der ist schlau genug, sie zu halten. Aber sicher ists mit solcher Schlauheit doch nicht, und der Mutter Segen und andere fromme Gebete sind mächtiger als des Teufels List; Elisabeth soll gerettet werden, noch zu rechter Zeit.

Am anderen Morgen schritt Marie zur Muhme Rößner, um über Elisabeth mit ihr zu rathen. Es war ein schöner Tag, die Sonne lag hell auf den weißen Dächern und röthlicher Rauch stieg kräuselnd zum blauen Himmel auf. Rößners Hof war am Ende des Dorfes, ein großer Teich lag davor, und kleine Hügel mit Kirschenbäumen bepflanzt umkränzten auf der anderen Seite den Teich. Die Muhme Rößner wohnt hier hübsch, dachte Marie, aus ihrem Fenster schaut es sich lieblich hinaus, die Kirschenbäume mit den feinen weißen Zweigen sehen fast aus als wenn sie blühten, wie schön mag es hier im Frühling sein. Aber freilich, trotz der schönen Aussicht und trotz des stattlichen Hofes ist sie nicht glücklich, Einigkeit und Friede ist nicht im Hofe, – aber Einigkeit und Friede ist doch in ihrem Herzen, setzte sie tröstend hinzu, sie hat wohl nicht viel Freude um sich, aber sie hat Freude im Herzen, denn:

Selig, ja selig ist der zu nennen.
Des Hilfe der Gott Jakobs ist.
Der sich vom Glauben nicht läßt trennen
Und hofft getrost auf Jesum Christ.
Wer diesen Herren zum Beistand hat.
Findet am ersten Rath und That,
Halleluja, Halleluja.

Und diesen Herrn wirst du auch immer zum Beistand haben, dachte Marie weiter, und wie es dir auch gehen mag, selig und fröhlich wirst du im Herzen sein, dies Herz wird ja immer noch fester und getroster werden in seinem Glauben.

Als Marie über den Hof ging, stand Andreas auf der Banse und warf den Dreschern Korn auf die Deele, er kam aus dem Zählen und die Männer mußten ihn erst wieder auf die rechte Bahn bringen. Sie geht zu deiner Mutter und wird dich verklagen, dachte er; wenn es eine passende Gelegenheit gäbe, könntest du ihr ein gut Wort geben, aber so jetzt hineingehen magst du nicht.

Die Rößnern hatte auch das Mädchen über den Hof kommen sehen und hatte auch gedacht: sie kömmt um deinen Andreas zu verklagen; denn auch sie hatte schon früh am Tage den Streit der jungen Leute von gestern Abend erfahren. Die Drescher-Frau, die es ganz frisch von Schulzen Anna erfahren, hatte auch hinzugesetzt: Unser Andres ist ein Staatsbursche, er hat auch gesagt, zur Kurzweil warm ihm die lüderlichen Mädchen gut genug, aber freien wollt er keine. Daß er der fremden Jungfer einen Kuß gegeben, war nicht so böse gemeint, und die Ohrfeige hat er dafür ruhig hingenommen. – Was sollte die Rößner zu Marien sagen, sie mußte ihr wohl recht geben: Andreas liebt lustig Wesen und das gesetzte Mädchen ist ihm ein Dorn im Auge; – daß er sich was Besseres vorgenommen, wollte sie noch nicht ausschwatzen, der Herr sollt es erst im Stillen gedeihen lassen.

Marie aber kam mit ihren seligen und fröhlichen Gedanken und wußte nichts von einer Anklage. Sie fiel mit ihrer Sache auch nicht gleich in das Haus, sondern setzte sich neben die Muhme und sprach vom Wetter und vom Spinnwocken, und dann erst sagte sie: Ich wollte auch noch von Lieschen erzählen, – und sie erzählte den ganzen Hergang.

Die Muhme seufzte und beide überlegten, was zu thun sei. Meiner Meinung nach müßte sie aus Brands Nachbarschaft, sagte Marie, sie müßte hier zu Euch in das Haus, dahin sie gehört, so wäre die Sache zu Ende, und Christian wüßte woran er ist.

Das wäre schon gut, sagte die Rößner, und Andreas sprach neulich, er möchte noch ein Jahr Verwalter werden; wenn er aus dem Hause ist, möcht es sich noch besser schicken, da kann sie unser Kind sein, bis er sie wirklich heirathet. Und dann setzte die Muhme freudig hinzu, wenn Andreas geheirathet hat, und wir ziehen in das Altentheil, dann habe ich mit dem Vater ausgemacht, daß Du mit uns ziehst, und unser Kind bist, so lange bis der liebe Gott Dir eine andere Stelle anweist. Freilich, ich setze voraus, Du kömmst gerne zu uns.

Gerne? fragte Marie lächelnd, ich fürchte nur, es wird nichts, weil es zu gut für mich wäre.

Ist es Dir denn schon schlecht in der Welt gegangen? fragte die Muhme, und legte theilnehmend ihre Hand auf des Mädchens Stirn.

Es ist mir nicht zu gut gegangen, fuhr Marie fort, ich bin doch ein Waisenkind, und ich weiß nicht, ob mich Menschen lieb haben, und bin immer so von einem zum andern gegangen; aber es ist mir auch nicht zu schlecht gegangen und dem Herrn habe ich zu danken genug. Und Muhme, setzte sie lachend hinzu, wenn es nicht schon vielen Narren so gegangen wäre dacht ich, es wäre mir ein besonder Glück aufgespart, so über die Maaßen fröhlich bin ich oft im Herzen.

In dem Augenblick kam Andreas herein, er sagte gar nicht Guten Tag, ging hastig zu seiner Mutter und sagte: Ich wills nur sagen, ich habe am Schiebfenster Eure Rede gehört, aber Verwalter werde ich nicht, und Lieschen darf nicht in das Haus, ich freie sie gewiß nicht und will von allem nichts mehr hören.

Marie war erschrocken an das Fenster getreten, denn Andreas sah so finster aus und war in so heftiger Bewegung, daß sie meinte, es würde einen tüchtigen Streit mit der Mutter geben.

Andreas, sagte diese. Du bist sehr heftig, so was muß in Ruhe überlegt werden.

Ja Mutter, entgegnete er, und mit anderem Ton: ich will geduldig sein wie ein Lamm, aber das ist richtig, Lieschen wird nie meine Frau, und vom Altentheil ist gar nicht die Rede, wenn ich mal freie, bleibt Ihr im Hause und meine Frau ist Euer Kind, wie ich es bin.

Die Mutter sprach noch einige Worte der Beruhigung und sie dachte: Er hat gehört, daß Marie zu uns soll, und will es nicht, darum spricht er vom Altentheil. Marie dachte ebenso, und benutzte eine Pause und sagte der Muhme Adieu. Sie wollte schnell an Andreas durch, der aber reichte ihr die Hand und hielt sie einige Augenblicke fest, er wollte sie sollte aufschauen, aber in der Unruhe und in der Furcht hatte sie es nicht gethan, er mußte sie so lassen.

Das arme Mädchen, sagte die Mutter, sie freute sich so, daß sie zu uns ins Altentheil könnte, Du hättest ihr wohl die Freude gönnen können.

Gönnen? stotterte Andreas, ich Marien? Er lief schnell nach, aber sie eilte schon über den Fahrweg und mit bittervollem Herzen ging er zurück, aber nicht zu seiner Mutter, die Wahrheit, wie er eigentlich von Marien dachte, konnte er ihr doch nicht sagen, weil er selbst nicht wußte, wie ihm zu Sinne war.


Es war Anfang März, eines Sonnabend Abends, die Luft war lau, die Kinder spielten auf der Straße, und die Sperlinge lärmten, und einzelne stille goldene Sterne tauchten am blauen Himmel auf. Marie saß allein am offenen Fenster. Die Stube war schon sonntäglich rein gemacht, und Marie feierte die Dämmerzeit. Wie wird es wohl mit dir werden? hatte sie gedacht, die Sommervögel ziehen alle ein in das Dorf, und wenn es so weit ist, mußt du fort. Wenn sie gewollt, konnte sie wohl bleiben, Germer hatte es genug angedeutet, daß er sie am liebsten möchte im Hause behalten, doch hatte sie ihn nicht verstanden und selber ihm eine passende Frau vorgeschlagen, und die Sache war beinahe richtig, und ehe die volle Sommerarbeit kam, sollte die neue Frau im Hause sein und auch Lieschen zurückkommen, die jetzt in Breitenfelde bei Mariens früherer Pflegemutter war. – Und noch einmal hätte sie im Dorfe bleiben können, wenn sie Fritzen Altenhaus hätte leiden mögen, aber sie hatte kein Herz zu ihm und hatte ihm das keinen Augenblick verborgen, um ihn nicht hinzuhänseln, wie es wohl sonst Mädchen gern thun. – Am liebsten wäre Marie zur Muhme Rößner in das Altentheil gegangen, wenn nur Andreas nicht dagegen wäre; aber sie fühlte es deutlich, wie sie meinte, daß er einen Widerwillen gegen sie habe. Seit dem Abend und der Ohrfeige hatte er kein freundlich Wort mit ihr gesprochen, ja als es sich einige mal paßte, daß sie ihn bei der Muhme traf, hat er stundenlang schweigend am Ofen gesessen, und Marie war in der letzten Zeit gar nicht viel hingegangen, um ihm nicht in den Weg zu treten. Bei anderen Leuten hatte sie ihn auch wenig gesehen, er kam wohl zuweilen in die Gesellschaft, die sich um Marien gesammelt hatte, aber erschien doch den Groll gegen sie nicht überwinden zu können. Ja, als ob er recht beweisen wollte, daß Marie ihm Unrecht gethan, so war er seitdem ein anderer Mensch. Fremde konnten das zwar nicht viel merken, er hatte ja früher auch auf Reputation gehalten; aber er war in seinem Wesen anders, seine Mutter lobte ihn, und es war auch auffällig, wie er ihr zu Liebe lebte, und auch den Vater immer zu gute redete, wenn der anders wollte.

Sie dachte ebenso, als sich die Thüre leise öffnete und Andreas zu ihr trat. Sie ward fast bange, daß sie allein mit ihm war, und dachte immer, er möchte ihr noch mal Vorwürfe machen; er aber sagte freundlich Guten Abend, und sagte daß seine Mutter ihn schicke, ob sie morgen nach Hagen zur Kirche mitfahren wolle, und nach der Kirche noch weiter, nach Rumsleben, zum Schwager Richter.

Marie sagte freudig zu. – In Hagen war ein neuer Prediger, der gewaltig predigte und den sie mit der Muhme längst gern hören wollte, und noch eine kleine Reise weiter war ja auch ein Vergnügen. – Als Andreas darauf schweigend vor ihr stand, sprach sie vom guten Wetter und gutem Weg, er aber schien gar nicht zu hören und mit einemmal sagte er:

Marie, Du hast mal gesagt, ich wäre schlechter als ich aussähe, das liegt wie ein Stein auf meinem Herzen, und wenn Du es einmal zurücknehmen kannst, so thue es.

Andreas, sagte Marte, ich habe unrecht gehabt, trag es mir nicht länger nach.

Wenn Du meinst, so laß uns gut Freund sein, sagte Andreas und gab ihr die Hand. – Und weil er darauf noch schweigend bei ihr blieb, sprach sie vom schönen Wetter und vom Frühling, bis die Kinder in die Stube kamen und Andreas Abschied nahm.

Am andern Morgen schirrte Andreas rüstig die Pferde an, der Kaleschwagen war sauber und rein, und Andreas sah festlich und fröhlich aus.

Ich weiß nicht, warum Andres Marien abholt, sagte die Rößner zu ihrem Manne, das Mädchen hätte gut herkommen können, da wir hier zum Dorfe hinaus müssen.

Bist sonst eine so kluge Frau, lachte Rößner, aber das hast du nicht gemerkt; wenn die Leute verliebt sind, thun sie manches, was vernünftige Leute nicht begreifen können.

Da fuhr Andreas zum Thore hinaus, er schaute freudig zu den Eltern auf, der erste Frühschein schimmerte eben rosenroth auf dem Teiche und die Lerchen wirbelten drüben über dem Kirschenhügel auf, des Burschen Herz aber jubelte noch höher und das war auf seinem Gesichte zu lesen.

Als er vor Germers vorfuhr, stand Christian mit der langen Pfeife im Munde, und noch nicht sonntäglich (der Sonntag ging für ihn erst am Abend an), vor seiner Hofthüre. Andreas grüßte freundlich, äußerlich war das gute Vernehmen wieder hergestellt, und als er nun umgewendet und vom Wagen stieg, trat Christian näher.

Wo denn so früh hin? fragte er.

Nach Hagen, in die Kirche, entgegnete Andreas.

Ach zu dem Frommen? fragte Christian.

Ja, da einem Gottes Wort recht lauter und wahrhaftig gepredigt wird.

He, he, so sprichst Du nun, also ist der Vogel wirklich gefangen?

Nein, Christian, sagte Andreas eindringlich, der Vogel ist nun frei, so frei und fröhlich wie die Vögel, die jetzt den Frühling einsingen; Dir aber ist nicht wohl in Deiner Haut, das weiß ich wohl.

In dem Augenblick kam Marie, Andreas half ihr in den Wagen, und beide fuhren recht froh und selig der aufsteigenden Sonne entgegen.

Christian biß sich auf die Lippen, sollte es doch wahr sein, daß es dem Gottesfürchtigen wohl geht auf Erden und der Böse die Hölle hat? Es war ihm nicht wohl zu Sinne, und daß Sofie jetzt hinter der Thüre vortrat und ihre Bemerkungen über das Paar machte, verbesserte seine Laune nicht.

Als Marie mit Andreas bei Rößners vorfuhr, ward sie verlegen, weil Väter Rößner sie so schelmisch angelacht. Sie sagte: Ich setze mich wohl zur Muhme. Eibewahre, sagte Rößner, die Jugend gehört zusammen und das Alter gehört zusammen. – Und es war ihm gar ernst mit seiner Freundlichkeit, und warum? das Mädchen hatte einmal sein Herz gewonnen, und sein Junge hatte Geld genug, er braucht nicht auf Geld zu sehen, so hatte er eben zu seiner Frau gesagt, und seiner Frau war es seltsam zu Sinne, war der Friede wirklich eingekehrt im Hause? ja der Herr hat es gerne, wenn wir geduldig harren und nicht nachlassen zu beten und wieder zu beten, dann überrascht uns die Hilfe, wenn wir es nicht denken, und Er giebt überschwenglich mehr als ich verlange, bitte und begehr.

Von dieser Zeit an verbarg Andreas nicht mehr seine Gesinnung für Marien. Er war fast jeden Abend mit ihr zusammen, und Fritz Altenhaus war gutmüthig genug, sich darin zu finden und sich ganz mit Andreas auszusöhnen. Die jungen Leute verlebten jetzt erst fröhliche Abende mit einander, es wurde gelesen, gesungen, erzählt und gespielt, und Marie zeigte jetzt erst, daß sie keine Kopfhängern: war, sie war immer die fröhlichste voran, und niemand war vor ihren Neckereien sicher. Andreas, der unangefochten seinen Platz neben ihrem Wocken hatte, ihr das Tupfnäpfchen füllte, oder den fortgelaufenen Faden suchen half, Andreas ließ sich am liebsten von ihr necken, weil sie ihm dann wieder die besten guten Worte geben mußte. – Wenn doch nur in jedem Dorfe ein solches Mädchen wäre, hatte Fritz einmal gesagt, so sollte es bald anders werden, – so gottesfürchtig und so muthig (wer aber die rechte Gottesfurcht hat, hat auch Muth, und dabei die rechte Geduld) – die Mädchen sollten sich wohl schämen lernen und die ordentlichen würden bald die Oberhand gewinnen. Seit dem Sonntag, wo Marie vor den Altar trat und wo sie nachher muthig allen Spott von sich wandte, und wo sie sagte: Pfui über die Mädchen! habe ich Respekt vor dem Mädchen.


Als die Sommervögel alle da waren und die volle Sommerarbeit in Aussicht stand, zog die neue Hausfrau in den Germerschen Hof, und die Rößner holte sich ihre künftige Schwiegertochter in das Haus.

So gehts nun, dachte die Rößner: als die selige Frau da still und bleich in der Kammer lag, meint ich, das Leben sei auch mir ein groß Stück abgestorben, und nun hat der Herr alles so wohl gemacht. – Die selige Frau hatte durch ihren Tod auf den Sinn des Mannes mehr gewirkt als durch ihr Leben, und die neue Frau sollte mit des Herrn Hilfe den Frieden im Hause erlangen, den die selige Frau durch ihren frommen Sinn vorbereitet.

Elisabeth war in Breitenfelde geblieben bei Mariens früherer Pflegemutter, und Germer vertraute seiner Schwester, daß sich dort eine hübsche Partie für sie finden würde.

Als Marie aber zuerst mit Andreas allein in der großen Stube stand, an dem Fenster, da man die liebliche Aussicht auf den Teich und auf den Kirschenhügel hat, da sagte Andreas: Ists nicht so besser, daß wir Dich hier in das große Haus geholt haben, und nicht drüben in das Altentheil? Sieh, als ich den Morgen so hastig war, da hatt ich das schon im Sinne, ich wollte das bravste Mädchen selber freien.

Marie gab ihm gerührt die Hand und sagte: Das habe ich damals nicht gedacht, ich glaubte Du wärest mir gram wegen der Ohrfeige.

Die Ohrfeige war Dein bravster Streich, fiel Andreas ein, und ich habe sie bald verschmerzt, denn von da an wußt ich, daß Dich mein Herz liebte und das machte mich glücklich.

Und ich will Dich lieben und ehren mein Lebenlang, sagte Marie, und will mit des Herrn Hilfe Dir eine brave Hausfrau werden.


»Wohl dem, der nicht wandelt im Rath der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzet, da die Spötter sitzen. Sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum, gepflanzet an den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht und was er macht, das geräth wohl.«


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