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VII.
Die Sonntagsschule


Es war der Sonntag vor Himmelfahrt und ein herrlicher Tag, Klaus Höffner hatte ein frisches Hemd und Halstuch angethan, aber sein schmutziges Wammes darüber, denn er mußte seine Kartoffeln heut noch hacken. Klaus war ein vortrefflicher Wirth, er sorgte für seinen Haushalt, für Frau und Kinder nach Kräften, das mußte ihm jederman zugestehen. Er ging regelmäßig auf Arbeit, brachte den Wochenlohn ungeschmälert nach Haus, und nichts davon blieb in der Schenke, noch ward sonst etwas an Schnaps oder Bier verthan. Hatte er in der Woche sich abgequält für fremde Leute, ging er des Sonntags sein eigenes kleines Feld zu bestellen. Daß die Frucht immer zur rechten Zeit hinein und das Unkraut je eher je lieber heraus kam, war ihm eine Ehrensache, und er hätte wohl die Nacht daran gegeben. Seine Frau war eben so thätig, sie ging alle Tage auf Arbeit, nur die Kindbetten konnten sie davon abhalten, und waren die Kinder erst einige Wochen oder Monden alt, mußten die älteren Kinder die Wartung des kleinsten besorgen. Höffners, hieß es im Dorfe, sorgen rechtschaffen für ihre Familie, wenn alle so sorgten, würde es nicht viel Bettelei im Dorfe geben.

Ja, sagten dann zwar andere Stimmen, das ist recht gut, aber er ist zu sehr aufs Verdienen, nicht allein in der Woche, auch den lieben Sonntag. In die Kirche kömmt er höchstens alle Festtage und alle Jahr einmal, wenn sie zum heiligen Abendmahl gehen, und seine Frau, wenn sie Kirchgang hält. Die Kinder wachsen auf wie das liebe Vieh, die Frau bekümmert sich nicht um das Häuflein, sie laufen ungekämmt und ungewaschen mit zerrissenen Kleidern umher. In die Schule gehen sie gar selten, treiben lieber zu Hause Unfug, reden den Eltern nachher vor, was sie wollen, und die fragen kaum danach, denn wenn sie den langen Tag nicht zu Hause waren, findet sich da auch noch manche Arbeit, und sie haben weder Zeit noch Lust, zu fragen, was hast du vorgenommen, und was hast du gelernt heute. Höchstens setzt es tüchtig Prügel, wenn sie sehen, daß eine Fensterscheibe zerschmissen, oder ein Gartenbeet zertreten, oder ein Küken umgekommen ist.

Das ist alles nur die bittere Noth, sagten die ersten wieder. Die fünf Kinder wollen essen, und wenn die Eltern nicht arbeiten, haben sie nichts, da kanns mit dem Kämmen und Waschen und Flicken nicht so genau genommen werden, auch mit dem Schulen- und Kirchengehen, es ist freilich ein Uebelstand, aber was sollen arme Leute machen? Höffners sind rechtschaffen genug, die würden schon in die Kirche gehen, wenn sie nur könnten.

Höffners sind rechtschaffen genug! so dachten Höffners selber. Wir gingen schon in die Kirche, wenn wir nur könnten. Ihr Gewissen beruhigte sich freilich dabei nicht; wenn die Glocken läuteten, da war es ihnen, als ob sie riefen: Komm komm, komm komm! Heute haben wir keine Zeit, aber nächsten Sonntag kommen wir, sagten sie dann. So ging es von einem Sonntage zum anderen, bis ihnen Arbeit und Unruhe über den Kopf wuchsen und sie selbst das: Komm komm! nicht mehr hörten.

Als Klaus heut am lieben Sonntage wieder zur Hacke greifen wollte, und Katharina seine Frau wie gewöhnlich des Sonntags Morgens am Waschfaß stand, trat Christoph, Katharinens Bruder, ein. Nun der hätte auch zehn Minuten später kommen können, der war dem Klaus bei solchen Gelegenheiten ein rechter Dorn im Auge. Christoph Görne war Höffners nächster Nachbar, er hatte ein eben so kleines Häuschen als sie, hatte gerade so viel Schuld darauf als sie, und Zinsen und Kosten beliefen sich so hoch, daß er sich dafür hätte eine Wohnung miethen können. Einen Morgen Land hatte er dazu gepachtet, die Pacht war zwar schwer aufzubringen, doch konnte er ohne eigene Kartoffelernte nicht bestehen. Fünf Kinder wollten satt gemacht sein, und Anne, Christophs Ehefrau, wunderte sich nicht wenig, daß die Kinder größeren Appetit hätten als sie selber. Christoph, gewitziger als sie, erklärte ihr, wie die Kinder fürs Wachsen mitessen müßten, und sie nach gerade ausgewachsen sei. Anne begriff es dann und sorgte sich nicht weiter, sie hatte ein ruhig Temperament, und was sie nicht von Natur hatte, hatte sie bei Christoph gelernt, denn der war immer guter Dinge, und die Leute, denen das nicht recht war, nannten ihn Gevatter Sorgenlos. Gevatter Sorgenlos aber war drebisch und hatte den Schelm im Nacken. Er dachte: Spottet nur, zum Laufen hilft nicht schnell sein, wir wollen sehen, wer Recht hat. Höffners aber ärgerten sich am meisten drüber. Die Anne geht nicht halb so viel aufs Feld, sagte Katharine, des Sonntags thut sie keinen Handschlag, und sie leben da drüben alle wie die Prinzen, wenn wir uns plagen Tag für Tag, um mit Ehren durch die Welt zu kommen. Daß Christoph jeden Sonntag Morgen ankam und jedesmal sagte: Ich wünsche Euch einen gesegneten Sonntag! und sich dann breitspurig beistellte und mit zweideutigem Gesicht zusah, wie Höffners sich abmühten, das war eben der Dorn im Auge. Klaus war oft ganz böser Laune drüber, und wenns nicht ein zu großes Kunststück gewesen wäre, mit dem Christoph in Feindschaft zu gerathen, es wäre längst geschehen. Wenn wir ihn des Sonnabends aus der Thüre werfen, so ruft er am Sonntag Morgen seinen: Gesegneten Sonntag! in das Fenster, sagte Klaus aufgebracht. Christoph aber hatte es hinter den Ohren, er wußte, was er wollte: zum Laufen hilft nicht schnell sein, der Mühe muß man sich nicht verdrießen lassen, und Geduld muß man auch haben. Für böse Gesichter habe ich keine Augen, für böse Worte keine Ohren, und hats den Anschein, als könnts Prügel geben, ziehe ich mich bei Zeiten zurück.

Als er heute eintrat, wünschte er so wie gewöhnlich seinen gesegneten Sonntag. Das Ehepaar dankte wie gewöhnlich halb verdrießlich halb verlegen, und Katharina warf in aller Eile eine Schürze über einen Haufen Teller, der mit den Resten der gestrigen Abendsuppe in der Ecke stand.

Da liegt sie aber schlechter, – sagte Christoph kaltblütig und legte die Schürze wieder auf den Stuhl.

Sich placken vom Morgen bis Abend! seufzte die Frau, man müßte sich fast schämen, wie es hier noch aussieht.

Das wollt ich meinen! sagte Christoph mit einem Ton, daß man nicht wußte, ob er das Placken oder das Schämen meinte.

Komm mal her, Christelchen! wandte er sich zu einem zweijährigen Mädchen, weißt Du, daß heut Sonntag ist? Mußt Dich schmuck machen, mußt den Dreck vom Gesicht waschen, daß man Deine rothen Backen sieht, und die Kartoffelsuppe vom Schnäbelchen waschen. Sieh mal dem lieben Herrn Gott seinen schmucken Himmel an und Du siehst aus, wie ein Ferkelchen.

Christelchen verstand wenig davon, es sah verwundert nach dem Himmel, lief aber doch nach dem Waschzimmer und patschte mit seinen dicken rothen Händchen im Wasser und im Gesicht herum. Vetter Christoph trocknete es, strich ihm das Haar aus dem Gesicht und hielt ihm eine Lobrede. Es freute sich darüber, wenn es auch wieder nicht viel davon verstand. Die älteren Geschwister verstanden es desto besser. Maria, die zwölfjährige Tochter, strich sich die struppigen Zöpfe hinter die Ohren und Fritz noch im schmutzigen Alltagswammes drückte sich in die Stube.

Könntest längst gewaschen und gekämmt sein, Du faules Mädchen! rief die Mutter heftig, was stehst Du da und reibst die Wand ab?

Ja Mariechen, sagte Christoph, wenn Deine arme Mutter nicht Zeit hat, Dich zur Ordnung anzuhalten, mußt Du es selber thun, mußt Dich früh Morgens gleich kämmen und waschen, und Deine Schwestern und Brüder auch, einen nach dem andern. Kannst dem Fritz auch ein anderes Wamms anziehen, es wird gleich einläuten.

Ja der ungezogene Bengel, fuhr die Mutter im gleichen Tone fort, hat es zerrissen, man sollte gar nichts Neues an die Kinder wenden. Vor acht Tagen hatt ich nicht Zeit das alte Wamms zu flicken, kaum hat er das neue bis Montag Abend an, kuckt schon der Ellenbogen durch.

O! – entgegnete Christoph, das ist ein Schade, worauf nicht gerechnet ist; siehst Du, Fritze, dafür muß Deine Mutter wohl zwei Tage auf Arbeit gehen.

Katharine verstand, was der Bruder damit sagen wollte, nämlich: Wenn Du immer mal einen Tag zu Hause bliebest, und flicktest Deiner Kinder Sachen und hieltest sie zur Ordnung an, würdest Du Dich besser stehen, manchen Groschen sparen und auch den heiligen Sonntag feiern können.

Christoph ging jetzt dem Fritz in die Stube nach. Da sah es gut aus. Mariechen, komm mal geschwind her, rief Christoph spaßhaft, hier ist was zu sehen.

Mariechen kam schnell, aber auch Katharine und Klaus neugierig nach.

Sieh mal, Mariechen, sagte Christoph lachend, bist gewiß gestern Abend schon im Schlaf gewesen, hast die Kartoffelschaalen hinter den Ofen geschmissen, und wolltest sie in den Schweinestall tragen, wenn Du Dich mit Fritzen da drauf setzst, so siehts possirlich aus und accurat wie ein kleiner Schweinestall.

Marie und Fritz lachten über den lustigen Vetter, packten die Kartoffelschaalen in den Korb und liefen hinaus. Katharine aber zankte über die Kinder, und Klaus ärgerte und schämte sich. Die Stube sah wirklich schlimm aus. Das große Bett lag noch, wie sie heut Morgen herausgekrochen, das sechsjährige Riekchen schwenkte die Wiege, damit der kleine Bruder, der noch in seinem nassen Nachtwickel steckte, nicht gar so sehr schreien sollte, und steckte ihm von Zeit zu Zeit den sauren Nutsch in das Mündchen. Als Katharine weiter zankte und sich über Müh und Noth beklagte, entgegnete Christoph ernsthaft: Ja Ihr armen Leute seid recht zu beklagen.

Nun, sagte Katharine stutzig, ich dächte, Ihr hättet auch nicht dickere Butter aufzuschmieren.

Auf die Butter kömmts auch nicht an, fuhr Christoph fort; aber höre mal zu, wie sich die Sache verhält. Sechs Tage in der Woche bin ich Christoph Görne, ein armer Arbeitsmann, da wird gearbeitet für das liebe Brot, der Schweiß läuft einem von der Stirn, und es gehen einem allerhand irdische Sorgen durch den Kopf. Als da: wenn der Winter kalt wird, muß die Gustel einen neuen Unterrock haben und der Christian ein Wamms, dir selber könnten ein Paar Stiefeln nicht schaden, und die Anne nähme gar zu gern eine neue Jacke. Auch müßte die Bodenkammer mit Holz verschalt werden, damit Gottlieb und Gustel die Ohren nicht erfrieren, und ein neues Stacket an den Garten wäre wohl nöthig, Höffners Gänse haben schon manches Beet vertrappt. Nun und wie der Sorgen so manche für uns arme Leute da sind. Die Anne sorgt mit, Haus und Kinder sehen nicht so aus, wie sie es gern möchte, auch wird ihr das Umherwirthschaften, Waschen, Flicken, Kinderwarten, Hacken, Krauten gewaltig sauer, und sie schaut zuweilen drüben nach der Frau Amtmännin, die den ganzen Tag in der Sommerlaube sitzt. Ich sage, das alles ist für die sechs Wochentage; aber wenn am Sonnabend Feierabend geläutet wird, da wird Schied gemacht, das heißt Basta mit allen Sorgen, kannst den Montag wieder anfangen und hast die liebe lange Woche Zeit dazu. Am Sonnabend Abend wird noch gefegt und Ordnung im Haus gemacht. Die Kindlein werden gewaschen, die Sonntagskleider hingelegt, und Sonntags sehen Haus und Kinder so blank aus, daß mir und der Anne das Herz im Leibe lacht, und so lacht es von früh bis spät Abends. Die Frau Amtmännin kann nicht glücklicher sein, ja der König nicht. Am Sonntag sind wir auch eben so vornehm wie die vornehmsten Leute, da sind wir alle Gottes Kinder, und haben keinen andern Beruf als ihm zu dienen, und ich wollte mich wohl hüten, eine solche Auszeichnung hinzugeben. Dem Müller Wenzer habe ich neulich Sonntag ein schön Gesicht geschnitten, als ich an seinem Zaun hinschlendere, er legte gerade Bohnen, und da sagt er: Görne, Ihr thätet mir einen rechten Gefallen, Ihr hackt Nachmittags mein Kartoffelfeld mit. Ich sagte ihm aber stolz: Meister Wenzer, das ist unter meiner Würde, und schickt sich nicht für mich. Er sah mich stutzig an, ja gerade so wie Du, Klaus, jetzt aussiehst, aber verstehst Du, was ich damit meine? – Jetzt wurde Christoph ernst und feierlich: – Wenn der Herr Christus mich einmal so hoch erhoben und so theuer erkauft hat, auf daß ich die ewige Seligkeit sollte mit ihm und durch ihn ererben – Klaus, an die ewige Seligkeit glaubst Du doch? nicht wahr? wie sollten wir armen Leute ohne den Glauben unser Leben ertragen, ein Leben voller Mühe und Arbeit und Sorge und Noth. Ja, Klaus, wenn ich den Glauben nicht hätte, ginge ich heute noch ins Wasser. – Wenn der Glaube aber mein einziger Trost, meine einzige Hoffnung ist, da will ich ihn nicht leichtsinnig von mir werfen, sondern meinem Herrn und Heiland, der allein der Grund dieser Hoffnung ist, in Liebe und Treue nachfolgen, und kein Mensch ist sein Nachfolger und ist ein Christ, der seine Gebote mit Füßen tritt. Es heißt: Du sollst den Feiertag heiligen. Eigentlich ists gar kein Gebot, sondern ein rechtes Gnadengeschenk, und der Balsam auf das harte Wort, das unserm Adamsmenschen gegeben ist: Du sollst im Schweiße deines Angesichts dein Brot essen. Jeder Sonntag ist so ein Stückchen Seligkeit, ein Stückchen Himmel, das uns die schwere Woche leicht machen soll, und wenn wir nun die 52 Sonntage und die Festtage zusammen rechnen, da ists schon ein gut Theil des Jahres, daß wir wie im Himmel leben können.

Katharinen liefen die Thränen über die Backen, sie saßen freilich nicht fest bei ihr, und es war diesmal nicht gerade Rührung, daß sie weinte, sondern mehr Unmuth, daß die Anne und Christoph es besser in der Welt hatten als sie. Die Arbeit ließ ihr nicht Ruhe, und das Gewissen dazu, in ihrem Herzen war kein Friede, und sie wußte sich nicht besser als durch Seufzen und Klagen zu trösten. Auch jetzt entfuhren ihr einige herzhafte Stoßseufzer. Klaußen aber war längst die Galle übergelaufen.

Daß Du Dein Lebelang Hans ohne Sorgen gewesen bist, wissen wir längst! sagte er ärgerlich, Gott weiß es nur, wie Du Deine Würmer durchbringst, daß sie nicht verhungern.

Ja Gott weiß es, entgegnete Christoph ruhig, und es ist gut, daß er es weiß und daß das meine Sache nicht ist. Meine Sache ist nur, seine Gebote zu halten, und der Herr wird in seiner Güte und Weisheit nichts von mir verlangen, das ich nicht halten könnte. Also heilige ich den Feiertag und lasse ihn thun, daß meine Kinder nicht verhungern. Ich könnt auch nichts dazu thun, eben so wenig als Du.

So? kann ich nicht für sie arbeiten? fiel ihm Klaus barsch in die Rede.

Und wer giebt die Kräfte zum Arbeiten?

Das findet sich dann, – entgegnete Klaus verlegen.

Klaus! sagte Christoph theilnehmend, ich will Dich nicht zu Worten reizen, die nicht aus Deinem Herzen kommen. Du glaubst eben so gut an den Herrn Gott als ich, Du glaubst, daß er Dir Leben und Gesundheit gegeben, daß er sie erhält, daß er Dich aber auch auf das Krankenlager werfen kann, und kann Deine arbeitslustigen Hände zur Ruhe bringen. Du glaubst auch, daß, wenn er dies thut, er dennoch Deine Kinder nicht wird verhungern lassen. Darum habe nicht Sorge, versuche wie es geht, wenn Du den Sonntag nach des Herrn Willen verlebst. Wirf die Hacke fort, zieh Deinen Sonntagsrock an, und komm mit in die Kirche. Und Kathrine, Du hast auch noch Zeit, laß die Wäsche stehn, gieb den Montag dran, es ist ein Tagelohn, morgen kannst Du waschen und flicken, und mach es mannigmal einen Wochentag so, es wird Dir viel mehr einbringen als Dein Lohn. Was Du durch Ordnung ersparen kannst, weißt Du noch gar nicht. Du mußt Zeit haben, auch Deine Kinder zur Ordnung anzuhalten, da werden sie manches Stück Zeug weniger gebrauchen. Kathrinchen! – seine Stimme wurde weich, – Du weißt, ich habe es immer gut gemeint.

Kathrinchen liefen wieder die Thränen, und jetzt zwar aus wirklicher Rührung, über die Backen, und Klaus, der den Widerhaken, der nach solchen Gesprächen in seinem Herzen saß, gern mit ein paar derben Reden herauswarf, schien doch heute auch von Christophs brüderlich-ehrlichen Worten etwas bewegt, wenigstens wußte er keine grobe Antwort darauf und darum schwieg er. Kathrine aber sagte: Künftigen Sonntag will ich wahrhaftig in die Kirche gehen.

Komm heute mit! bat Christoph dringend. »Verziehe nicht, dich zum Herrn zu bekehren, und schiebe es nicht von einem Tage auf den anderen,« – stehet in der Schrift. Heute hast Du keine Abhaltung, wer weiß, was Dir der liebe Gott künftigen Sonntag schickt? »Denn es kann vor Abends wohl anders werden, weder es am Morgen war,« heißt es wiederum.

Ach was! sagte Klaus, was wird er schicken? Wenn sie heute nicht kann, denn laß sie. Ich kann heute auch nicht, damit Basta. Künftigen Sonntag gehen wir zum heiligen Abendmahl, da wären wir ohnehin gekommen, und dabei bleibts.

Die Glocken fingen an zu läuten, Christoph sah die Geschwister beweglich an, grüßte noch einmal freundlich und verließ sie. Er war niedergeschlagen, aber sein Gebet für die Geschwister war desto inniger, und nur noch fester setzte er seine Zuversicht auf den Herrn, der da hilft.

Katharinen ward es ganz bange am Waschfaß. Die Glocken riefen wieder: Komm, komm, komm, komm! und es war ihr, als ob sie dem Herrn Gott trotze. Er ruft, sie hört nicht. – Klaußen ging es eben so, er traute sich mit der Hacke nicht zwischen die Kirchgänger und stand harrend hinter dem großen Fliederbusch an der Hofthür. Künftigen Sonntag gehst du zum heiligen Abendmahl tröstete er sich. »Schiebe es nicht von einem Tage auf den andern!« hörte er Christophs warnende Stimme: wer weiß, was der Herr bis dahin schicken kann? Komm komm! riefen auch die Glocken. Der Herr ruft mit sanfter Liebesstimme; hörst du nicht, so wird er dich zwingen müssen. »Seid nicht wie Rosse und Mäuler, die nicht verständig sind, welchen man Zäume und Gebiß muß ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen.«

Lauf hin, lauf immer hin! Gott wirst du nicht entfliehn.
Läßt du dich nicht von ihm durch Liebes-Seile ziehn,
So wird er einen Zaum dir anzulegen wissen,
Der heißet Noth und Tod; da wirst du folgen müssen.
Halt ein! besinne dich: es folgt die Ewigkeit;
Wie bald mußt du davon! Bist du denn wohl bereit?
Du sollst ja Rechenschaft von allen Werken geben;
So lauf doch nicht so hin; ach! ändre bald dein Leben.

Christoph hatte das Haus der Unordnung und des innern Unfriedens verlassen und trat nun in sein eignes, das ihm ein Stückchen Seligkeit, ein Stückchen Himmel war. Anna saß mit allen Kindern in sonntäglichen Kleidern vor der Hausthür im kleinen reingefegten Hof. Die Fenster der Wohnstube standen offen, Sonnenschein lag auf den hellen Dielen, und zum entgegengesetzten Fenster vom Garten her wehte ein blühender Kirschenbaum Zweige und Blüthen und kühlen Duft herein. Anna schälte Kartoffeln; nachdem sie es in sich und um sich sonntäglich gemacht, störte die Arbeit ihrer Hände nicht den innern Frieden ihrer Seele. Das 14jährige Kathrinchen hatte Gesangbuch und Taschentuch der Mutter und einen Blumenstrauß in der Hand, und hörte aufmerksam zu, wie die drei älteren Geschwister der Mutter Liederverse hersagten, die ihnen der Kantor am Sonnabend aufgegeben. Als die Glocken anfingen zu läuten, wusch Anna eilig die Kartoffeln in den Topf, empfahl dem 12jährigen Gustchen die jüngste Schwester in der Wiege und das Essen auf dem Feuer, und wandelte mit dem Mann und den andern drei Kindern zur Kirche. Die Familie sah eigentlich sehr ärmlich aus. Christophs Rock war, als er ihn als Bräutigam trug, dunkelblau, jetzt war er licht geworden und man sah deutlich die Weberei. Annas Kleid war gewaschen und hier und da zu eng, es stammte aus ihrer Dienstzeit, und trug Spuren von rosigen Farben. Christians Wamms war an allen Näthen abgetragen, und so ähnlich stand es mit den Sachen der andern Kinder. Aber alles war so schön gewaschen, so ordentlich geflickt, – dazu die hellen Gesichter, die glattgekämmten Köpfe, – daß zwischen all den geputzten Kirchgängern Christoph und seine Familie im Grunde doch die am schönsten geschmückten waren.


Ein Jahr war vergangen, Christoph hatte getreulich den Geschwistern stets seinen gesegneten Sonntag gewünscht und zuweilen war es, als ob in Klaus etwas Besseres sich regen wollte, er kam aber immer wieder auf den alten Weg. In die Kirche ging er mit Katharinen zuweilen, nur um dem Herrn Gott so gelegentlich die gebührende Ehre anzuthun, und um den Leuten zu zeigen, daß er sich noch zu den Christen rechnete; außerdem trieb er es wie immer. Und er trieb es nicht anders als noch viele Dorfbewohner, sie wußten nichts vom Sonntagssegen, wohl aber von des Lebens Mühe und Arbeit, sie unruhten von einem Tag zum andern, und es kam gar wenig dabei heraus. In Klaus aber, wie gesagt, regten sich zuweilen sonderliche Gedanken: Ich quäle mich fast Tag und Nacht und komme doch nicht weiter als Hans Sorgenlos da drüben. Die Sache war ärgerlich.

Höre mal Frau, sagte er, ich habe gespart und gespart, daß wir zwei Schweine kaufen können, Dein Bruder drüben kömmt mit einem aus, die Anne verstehts Wirthschaften. – O! versetzte Kathrine, vorwurfsvoll: Christoph verlangt auch keinen Speck zum Frühstück, der ist mit Salz und Brot vergnügt.

Und ich weiß nicht, sagte Klaus wieder, Christoph braucht fast nur halb so viel Brot als wir, unsere ungezogenen Kinder sind nicht satt zu machen. – Das ist natürlich, entgegnete Katharine, Anne kocht fast jeden Tag, und eine Kartoffelsuppe oder Mehlsuppe hält gut vor und kostet nur halb so viel wies liebe Brot. – Kannst ja auch öfter kochen, warf Klaus wieder ein, versuchs doch mal wie Anne und koche und flicke mehr, die Leute kommen weiter als wir und wenn wir uns todt ärgern.

Katharine hatte auch Lust, und es wurden hin und wieder in dem äußeren Leben Abänderungen getroffen. Aber was hilft ein neuer Flicken auf ein altes Kleid? Höffners ganzes Leben war faul, der Unsegen ruhte darauf, weil sie ohne Gottesfurcht lebten, und wenn eine Lebensänderung nicht aus dem innersten Herzen, aus Buße und Reue kommt, hilft sie nichts. Doch Christophs getreues Herz verzagte immer noch nicht, seine Gebete wurden nur dringender, und der Herr hatte den Frieden über die Ruhelosen beschlossen. Wollen sie nicht, so sollen sie zu mir kommen.

Es war wieder eines Sonntags nahe vor Himmelfahrt, die Glocken riefen mit lauter Stimme, aber Katharine und Klaus konnten nicht kommen. Klaus lag im Bett mit geschlossenen Augen und schwerem Athem, seine Hände ruhten schlaff an der Seite. Er hatte als Arbeitsmann bei einem Bau gearbeitet, ein schweres Stück Holz war ihm auf den Rücken gefallen, er lag in dumpfer Betäubung, und der Arzt wußte selbst noch nicht, was daraus werden würde. Christoph saß am Bett und legte dem Kranken nasse kalte Tücher auf die Stirn. Katharine stand händeringend ihm zu Füßen. Bete, Katharine, sagte Christoph theilnehmend, bete, es ist kein Unglück zu groß, wenn man beten kann. Katharine versuchte es, aber es ward ihr schwer, sehr schwer, das Gewissen wollte ihr alle Kraft und Zuversicht nehmen. Ich habe den Herrn nicht gehört, so wird er auch mich nicht hören. – O thörichter Mensch, und wenn du hunderttausendmal undankbar und kaltherzig gewesen, des Herrn Liebe und Gnade und Treue bleibt sich immer gleich, komm nur, strecke deine Hände zu ihm aus, bitte um Barmherzigkeit; ist deine Sünde auch noch so groß, Gottes Gnade ist dennoch größer. Sprichst du mit reuigem Herzen: Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach; so spricht der Herr: »Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.« – Katharine konnte nicht beten, nur seufzen, aber der Herr hört auch das Seufzen.

Das ist die Strafe für unsere Sündenschuld, klagte sie. Weißt Du Christoph, wie wir immer sagten: Ach was wird der Herr schicken! und wie wir meinten, die Arbeit unserer Hände sorge besser für unsere Kinder als des Herrn Segen?

Christoph schwieg, aber Klaus schlug die Augen auf und nickte leise mit dem Kopf. Er war zur Besinnung gekommen und hatte Katharinens letzte Worte verstanden. Katharine, hoch erfreut über diese Lebenszeichen, rief: Ach Gott und Herr, wie will ich dir danken! Klaus wird wieder. – Ja zum Danken sind wir immer eher bereit, als zum Kreuz tragen. Katharine wollte es so gern von sich weisen. Klaus sollte gesund werden, alles sollte vergessen und wieder beim Alten sein. – Klaus aber schüttelte den Kopf und zeigte nach oben.

Nein, sagte Kathrine weinend, ich werde zum lieben Herr Gott so viel beten, daß er Dich nicht sterben lassen kann. Sieh doch unsere fünf Kinder an!

Sie standen alle in der Thür, so still und bange. Klaus schlug seine Hände zusammen und weinte bitterlich. Ich möchte nicht gerne sterben, sagte er leise, ach so gern noch bei Euch bleiben, sagte er, aber der liebe Gott hat mich nicht nöthig, um Euch zu ernähren.

Nein, entgegnete Christoph, nöthig hat er Dich nicht, er hat noch keine Wittwe und keine Waisen verhungern lassen, die auf ihn gehoffet haben, und so gut er Dich als Werkzeug gebraucht hat, kann er sich auch andere Hilfe wecken. Den Glauben halte fest, wenn er auch die Krankheit von Dir nimmt, und so wollen wir ihn bitten. Kommt Kinder, stellt Euch alle her, Klaus, falte die Hände, das kannst Du ja, und Kathrine, bete recht aus Herzensgrund. O du lieber Herr, wir sind alle schwache Sünder, gieb uns nur Kraft, daß wir uns zu dir halten, nimm alle innere Noth von uns, willst du die äußere nicht von uns nehmen. Herr, du giebst aber keine größere Last, als wir tragen können, o hilf uns, hilf dem Kranken, hilf der Mutter, hilf den fünf Kindern, gieb ihnen Glauben und Frieden, gieb ihn uns allen, und führe uns alle einst in dein Himmelreich. Vater unser – Und so betete Christoph weiter. Und nun lieben Kinder, sagte er, glaubet nur immer, daß der liebe Gott im Himmel wird das Beste für euch thun, schenket ihm Euer Herz und Euer Leben und Eure Gedanken immer mehr. Wenn Euch was fehlt, so betet, wenn Euch was sorgt, so betet, o wie lieblich wird Euer Leben sein, wenn Ihr fromm vor dem Herrn wandelt, und Euer Vater mag leben oder sterben, es wird Euch hier und ewig wohl ergehen, wenn Ihr den lieben Gott zum Vater wählet, und seine Gebote immer vor Augen und im Herzen habt.

»Du sollst den Feiertag heiligen,« sagte Klaus mit bewegter Stimme. – Gegen dies Gebot hatte er am meisten mit Bewußtsein gesündigt, darum lag ihm dies am schwersten auf der Seele. Er hatte des Herrn Wort und Predigt verachtet, da kam der Herr mit einer gewaltigen Predigt zu ihm in das Haus. Aber diese Predigt, obgleich sie allen ein rechter Schrecken deuchte, war nur ein Liebes- und Gnadenzeichen. Christophs Gebete sollten erhört und die Geschwister dem Herrn gewonnen werden. Wollten sie nicht mit Liebe, so mußten sie mit Gewalt kommen, sie durften ihm nicht widerstehen, sie sollten selig sein. – Nicht alle Menschen zieht der Herr sich so heran, er will nur zuweilen durch solche Zeichen und Warnungen an ihren Herzen rütteln. Sie aber haben Augen und sehen nicht, und haben Ohren und hören nicht. Aber irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Am Tage des Gerichts wird der Herr sagen: »Gehet hin, ich kenne euch nicht.« Dann hilft keine Reue, dann hilft kein Klagen, dann rufen die Glocken nicht mehr mit treuer Stimme: Komm komm, komm komm!


Abermals ein Jahr war vergangen, Klaus lebte, aber die Hände konnte er wenig, die Füße gar nicht bewegen. Die Glocken riefen, er saß vor der Hausthür, Fritz mit dem jüngsten Kinde neben ihm, und Katharine mit den drei andern Kindern ging zur Kirche. Christoph freute sich, daß sein Häuflein so gewachsen war, und wenn er mit Theilnahme den armen Klaus ansah, mußte er sich mit dem Gedanken trösten: Sind seine Füße zwar gelähmt, so ist es doch in seiner Seele lebendig geworden. – »Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen,« stand darin. Er trug sein Schicksal mit großer Geduld, Katharine hatte sich jetzt nicht so oft über seine böse Laune oder über Scheltworte wie früher zu beklagen, er war immer dankbar und freundlich gegen sie, und wie hätte sie, wenn sie sein Leiden sah, je unfreundlich sein können, oder sich über ihre Mühe und Arbeit gegen ihn beklagen? Sie hatte jetzt mehr zu thun als früher, sie mußte auf Arbeit gehen und sich im Haus oft noch mühen bis spät in die Nacht. Aber sie war freudig, weil sie dem Herrn vertraute, und in Freudigkeit und gläubigem Vertrauen ward der Sonntag gefeiert und dem Herrn geweiht. Klaus aber feierte nicht allein den Sonntag, er feierte die ganze Woche hindurch und holte nach, was er früher versäumt hatte. Er hatte jetzt Zeit, seine Kinder zu lehren, mit ihnen zu singen und zu beten. Fromme, wohlgezogene Kinder sind ein Segen Gottes. Klaus konnte nicht oft ein neues Wamms oder einen neuen Rock anschaffen, es wurden aber auch nicht so viel zerrissen. Die Kinder gingen immer ordentlich einher. Vetter Christoph brauchte Christelchens rothe Backen nicht erst unter dem Dreck hervor zu waschen, Mariechen hatte gleich früh Morgens einen glatten Kopf, und Fritzens Sonntagswamms war stets am Sonnabend geflickt. Katharine aber sagte: Christoph hat recht, wie sollte man sein Leben ohne den Sonntag tragen, und wie habe ich mich und Gott und alle Welt belogen, wenn ich früher meinte, ich hätte nicht Zeit zur Kirche und zum heiligen Sonntag? Wie manche Stunde habe ich im Leben verthan und verschwatzt, und mußte dann den Herrn um sein Eigenthum und mich um die eigene Seligkeit betrügen. Der Sonntag ist schon hier ein Stückchen Seligkeit, ein Stückchen Himmel, meine Seele kann schon dort oben sein, ich denke, was meiner dort wartet, und wie ich mit Klaus und meinen Kindern dort werde zusammen sein und vergessen dieses Lebens Mühe und Last.

Den Sonntag heiligen ist kein Gebot, ist ein Gnadengeschenk des Herrn. Wer ohne den Sonntag dahin gehet, gehet ohne den Herrn, was seine Klugheit ihm auch vorreden möchte. Wer ohne den Herrn wandelt, hat keinen Theil an ihm! Wer Augen hat zu sehen, der sehe! Wer Ohren hat zu hören, der höre!


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