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VIII.
Eine Dienstmägde-Geschichte

Für Herrschaften.


Erste Abtheilung.

Na, Sofie, heut will ich die Butter nicht sparen, es ist das letzte Brot das Du von Rechtswegen bei uns ißest, sagte die Schneidermeister Weber zu ihrer fünfzehnjährigen Tochter, indem sie ihr ein Butterbrot reichte.

Gott sei Dank, daß wir eine von der Tasche los sind! unterbrach sie ihr Mann: ist die Sache erst in Schuß, denke ich, werden die andern sachte folgen, und man kann wieder Athem schöpfen in seinen vier Pfählen.

Nu, nu, lachte die Frau Meisterin, wer hat die meiste Arbeit von der Kinderwirthschaft gehabt? Das war doch ich. Aber es vergißt sich das, und dann heißts auch: Kleine Kinder, kleine Sorgen; große Kinder, große Sorgen. Ich erlebe, Du sagst noch einmal: Mutter, es war doch besser, als die Kinder im Haus waren und standen einem im Wege, als jetzt wo sie fort sind und liegen einem auf der Seele.

Ei, ich denke doch wir werden Ehre einlegen mit unseren Kindern, entgegnete der Meister eifrig, alle Mühe und Arbeit wird nicht vergebens gewesen sein. Hörst Du, Sofie, Du machst es gut bei der Frau Postmeisterin, Du bist rechtschaffener Leute Kind, auf Deinen guten Namen hin wirst Du genommen, nun halte Dich danach.

Sofie schaute aus dem dickbäckigen Gesichte mit vergnüglichen Augen. Was sollte sie es nicht gut machen? Sie hatte den besten Willen und freute sich über alle Maaßen auf den Dienst. Dazu hatte sie einen blanken neuen Koffer von den Eltern bekommen, wenn auch noch nicht viel darin lag, so trug sie doch den Schlüssel an einem Bande um den Hals, und sah in Gedanken Koffer und Einsatz voll der schönsten Wäsche und Kleidungsstücke und die sorgfältig gesparten Thaler in der kleinen Beilade liegen. Lieber, als zur Frau Postmeisterin, wäre sie freilich noch in die Branntweinbrennerei drüben gezogen, das war ein fetterer Dienst; aber die Mutter hatte es nicht gewollt, drüben in der Schenkstube ging es oft toll her, und ihr Kind sollte nicht mitten in solchem Unfug stecken. Die Frau Meisterin war eine brave Frau, und wenn ihr Gottes Wort und das lautere Evangelium angeboten wäre, sie hätte es mit willigem Herzen aufgenommen. Aber es war dürres Land, darin sie groß geworden, sie hörte nichts vom frischen Wasser, das den Durst der Seele stillt, nichts vom Brot des Lebens; und doch wollte sich ihr Suchen und Sehnen mit dünner Moral nicht beruhigen lassen. Sie suchte hin und her, ein Bibelvers, ein gutes Lied mußte sie hinhalten und die Leere ihres Herzens nothdürftig füllen.

»Dein Lebelang habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte dich daß du in keine Sünde willigest noch thuest wider Gottes Gebot.« Diese Worte gab sie der Tochter mit auf den Weg, als diese sich zum Abschied rüstete. Sofie nickte, trocknete sich mit der Schürze die Thränen ab, reichte Eltern und Geschwistern die Hand und ward darauf von der Mutter und dem Lehrburschen, der den neuen Koffer karrte, in den ersten Dienst geführt.

Ach liebe Frau Postmeisterin, noch ein Wort unter vier Augen, sagte Frau Weber, ich habe noch etwas auf dem Herzen.

Die Frau Postmeisterin machte ein stutzig Gesicht, sie dachte: Was will die? Miethsgeld hat das Mädchen, Lohn ist ihr reichlich versprochen, vor der Arbeit darf sie sich nicht scheuen, und darf sich keiner schämen, das hat sie genug betheuert, ist auch eine vierschrötige Person, kann zugreifen, darf nicht zimperlich thun, wirds auch vor dem Brotschrank nicht sein, – was in aller Welt mag die Frau noch für Bedenken haben? So schossen der Postmeisterin in aller Eil die Gedanken durch den Kopf und waren auf dem stutzigen Gesicht zu lesen.

Ach liebste Frau Postmeisterin (der Frau Weber ging vor Rührung die Stimme über), ich bitte Sie, daß Sie über das Mädchen wachen, sie ist noch so jung, ist nie aus dem väterlichen Haus gewesen, hat nichts Unrechtes gesehen, und kennt auch die Welt nicht, wie schlecht sie ist.

Liebe Frau, sie wird auch in unserem Hause nichts Schlechtes sehen, entgegnete die Postmeisterin hochfahrend.

Ach, das meine ich damit nicht, stotterte Frau Weber erschrocken, ich meine, daß Sie das Mädchen nirgends hin lassen, wo sie Böses hören und sehen könnte. Man ist doch so besorgt vor Verführung. Wenn so junge Mädchen nicht bewacht werden, wenn sie nicht immer noch erzogen werden, können sie leicht auf schlechte Wege gerathen. Sie könnens sich wohl denken, liebe Frau Postmeisterin, wie es einer Mutter um das Herz ist, wenn sie zum erstenmal ein Kind von sich giebt.

Das müssen aber die meisten Mütter ihres Standes thun, fiel ihr die Postmeisterin belehrend in das Wort, und wenn die Welt jetzt nicht so hochfahrend wäre, würden Sie dabei gar nichts finden. Ich selber habe schon gedacht, ob ich nicht eine von meinen drei Töchtern unter andere Leute schicke, und wenn es nöthig wäre wollt ich mir keine Gedanken drüber machen, und es nicht gegen meine Ehre finden.

Frau Postmeisterin, denken Sie doch das nicht, sagte Frau Weber immer verlegener, ich wollte nur sagen: es ist noch ein Kind, und Sie möchten, so zu sagen, meine Stelle bei ihr ersetzen.

Nun ja, ich hoffe, daß sie ihre Pflicht thut, und dann soll sie es schon gut haben, brach die Postmeisterin das Gespräch kurz ab. – Mutterstelle vertreten! rümpfte sie die Nase und ließ ihren Gedanken freien Lauf: was sich die Menschen denken! Aber das ist der Zeitgeist; Freiheit und Gleichheit! Mich wunderts; soll ich Mutterstelle vertreten, so müßte das Mädchen meine Töchter als geliebte Schwestern begrüßen. Es ist vorgekommen 1848, ja die unteren Stände möchten einem über den Kopf wachsen, und vernünftige Dienstboten bekömmt man nicht mehr, sie saugen die Unvernunft mit der Muttermilch ein.

Frau Weber aber verließ das Haus mit schwerem Herzen, sie wußte selbst nicht warum, und tröstete sich mit dem Spruch: »Befiehl dem Herrn deine Wege und hoff auf ihn, er wirds wohl machen.«

Wenn Frau Weber eine christliche Erkenntniß gehabt und in christlichen Kreisen gelebt hätte, würde sie gewußt haben, warum ihr das Herz so schwer war, als sie ihre Tochter in dem Hause zurück ließ, trotzdem es vor der Welt als ein unbescholtenes galt. Ihr natürliches Gefühl trieb sie, die Frau Postmeisterin zu bitten, daß sie Mutterstelle bei ihrem Kind verträte. Der waren das böhmische Dörfer, das Mädchen bekömmt Kost und Lohn, dafür muß sie arbeiten, sonst geht sie das Mädchen nichts an, und wird wie eine Last des Hauses betrachtet. Daß es jeder christlichen Hausfrau Pflicht ist, mütterlich für ihre Dienstmädchen zu sorgen, daran dachte die Frau Postmeisterin nicht. Wenn sie sich die Frage oft genug vorlegte: ob das Mädchen wohl gut ist, ob sie ihre Pflicht thun wird? fiel ihr die andere Frage gar nicht ein: ob du wohl dem Mädchen eine gute und getreue Herrschaft sein wirst? O über die schlechten Dienstmädchen! so heißt es jetzt überall; und sollte doch viel eher heißen: O über die schlechten Herrschaften! – Die Mädchen gehen meistens in einem Alter in den Dienst wo noch etwas aus ihnen zu machen wäre, wo eine pflichtgetreue Hausfrau mit christlicher Liebe und christlicher Zucht und mit der getreuen Hilfe des Herrn, der nie sein Ohr wendet von denen, die im Glauben ihn anrufen, gut machen und nachholen könnte, was im elterlichen etwa verdorben und versäumt ist. Um mit christlicher Liebe und Zucht zu regieren, muß freilich erst beides im Herzen der Hausfrau sein. Wo das ist, da leuchtet eine recht wahrhafte Liebe und Theilnahme aus dem Auge, aus dem ganzen Wesen, und spricht zum Herzen des Mädchens. Wie man in den Wald hineinruft, ruft es wieder heraus, – das ist ein recht alltäglich Sprichwort, aber es paßt auch hier. Die Liebe, die langmüthig ist und freundlich, die nicht eifert, sich nicht blähet, nicht das Ihre suchet, sich nicht erbittern läßt, aber alles trägt, glaubet, hoffet, – diese Liebe ist allmächtig und wirkt Wunder, – o eine jede Hausfrau sollte nur mit großer Zuversicht diese Liebe anwenden, sie würde den Segen an sich und an den Dienstboten fühlen.

Bei der Liebe darf aber die Zucht nicht fehlen. Wenn eine Hausfrau verlangt, daß die zehn Gebote gehalten werden, darf sie selbst dieselben nicht mißachten. »Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!« heißt es. Die Frau aber hat noch viel Götter neben Gott dem Herrn, sie huldigt der Mode, der Ehrsucht, dem unnützen Aufwande, der Vergnügungssucht, kurz und gut, die Welt ist der Gott den sie gründlich anbetet. Thut das Mädchen auf ihre Weise dasselbe, so heißt es: Sie ist ein leichtfertig Ding, jeden Groschen verthut sie an Lümpchen, die sie an sich hängt, die Mädchens sind toll, eine will es der anderen vorausthun, und wenn sie sich nicht putzen können, nicht auslaufen und schwatzen können, sind sie unglücklich.

Das zweite Gebot heißt: »Du sollst den Namen Deines Gottes nicht unnützlich führen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbrauchet.« Die Frau beklagt sich, wie das Mädchen gegen Kinder oder andere auffährt mit häßlichen Worten und Fluchen. Ihre eigene und wie sie meint sehr unschuldige Angewohnheit ist es, bei jeder Gelegenheit in Küche und Keller mit Scherzen und Lachen zu rufen: Herr Jesus! und: Ach Gott! So sündigen beide nach Gewohnheit und Erziehung verschieden, vor dem Herrn gilt die Sünde gleich.

»Du sollst den Feiertag heiligen!« Gegen dies Gebot sündigen die Frauen meistens mehr als die Dienstboten, ja sie übertreten dabei zugleich das siebente Gebot. Erst entheiligen sie den Sonntag auf vielfache Weise und rauben zugleich dem Dienstboten, was sein ist, seinen Ruhe- und Feiertag. Die Dienstboten sehen es, und wenn sie auch nicht so viel christliches Bewußtsein und Zucht im Herzen haben, die Sünde zu fühlen, so folgt der Fluch der Sünde ganz heimlich und im Stillen, und rächt sich durch gottlose Dienstboten an gottvergessenen Hausfrauen. Am Sonntage wird meistens etwas Besonderes vorgenommen, Gesellschaften, Kaffees, es muß dazu noch besonders gefegt, geordnet werden, das Mädchen hat mehr zu thun als in der Woche. Der Sonntagstisch soll, wenn auch nicht Gäste kommen, reicher besetzt sein als in der Woche, das Mädchen kann unmöglich anders als sehr selten in die Kirche gehen und findet für sich keine Ruhe und Feierstunde. Das thut aber nichts, die Hausfrau geht selbst selten in die Kirche, des Sonntags Morgens muß die Wäsche ausgesucht werden, wohl auch ausgebessert, Rechnungen werden abgeschlossen, Briefe geschrieben, – es ist eine so stille ungestörte Zeit, heißt es, – sie wird kaum fertig um zur rechten Zeit Toilette zu machen und Besuche anzunehmen. Um das Mädchen nicht mißmüthig zu machen, erlaubt sie ihr, die Nacht zu tanzen oder anderen leichtfertigen Vergnügungen nachzugehen; sie wundert sich dann, daß das Mädchen am andern Morgen träge und zerstreut ist, und von einem Tanzsonntage zum anderen, leichtfertiger, unordentlicher und fauler wird. Eine kluge und gewissenhafte Hausfrau wird nie ein Mädchen auf Tanzböden lassen, lieber Zeit und Geld-Kräfte opfern, die sich zehnfach verzinsen, dem Mädchen hin und wieder eine passende Zerstreuung, ein passendes Vergnügen zu verschaffen, sie durch kleine Geschenke zu erfreuen, besonders durch das Geschenk des lieben heiligen Sonntages. Wenn die Frau selbst den Sonntag heiligt, und als Christin und Hausfrau ihre Pflichten erfüllt, gehört dazu auch, für die Dienstboten zu leben, ihnen Ruhe und Feierstunden zu verschaffen, diese Stunden mit dem Wesen der Liebe, von der oben die Rede war, zu erfüllen und dadurch die Dienstboten an Haus und Familie zu fesseln. Muß in der Woche das Mädchen arbeiten und dienen, so soll sie am Sonntage feiern und an den Sonntagsfreuden der Familie, wie es sich gerade passen und schicken will, Theil nehmen, dazu müssen die Sonntagsfreuden eingerichtet werden. Und gewiß, wenn die Herrschaften wieder gottesfürchtig und getreulich werden, werden es auch die Dienstboten sein. Gottes Wort ist gewaltig, es muß und muß überwinden, die ihm nahe kommen, die eine Luft athmen, erfüllt von seinem Geiste, denen es immer angeboten wird mit Liebe und Geduld und Treue.

»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, heißt das vierte Gebot,« und die Auslegung: »Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir Eltern und Herren nicht verachten und erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und werth halten.« Den Dienstboten wird hier gesagt, sie sollen ihre Herrn nicht erzürnen, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und werth halten. Das thun die wenigsten, es ist keine Ehrerbietung, keine Achtung, kein Gehorsam! heißt es. Wo aber christlich soll gehorcht werden, muß auch christlich befohlen werden. Daran denkt selten eine Frau. Sie befiehlt in einem Ton, dem immer anzuhören ist: Ich bin die Herrschaft, du der Diener. Sie kann heftig sein, ungeduldig, oft über große Kleinigkeiten, sie denkt nicht daran ihre Launen zu beherrschen. Wenn das Mädchen es ihr nachthut, auch heftig herausfährt, oder launig und unfreundlich ist, dann heißt es: Wie ist mein Mädchen doch impertinent, oder: Wenn ich etwas sage, kann sie thun als hörte sie es nicht.

»Du sollst nicht tödten,« und: »Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid thun; sondern ihm helfen und fördern in allen Leibesnöthen.« So lautet das fünfte Gebot. Danach sollen wir barmherzige Samariter gegen einander sein. Nicht allein die Dienstboten sollen theilnehmend und aufmerksam uns pflegen und hüten, auch wir sollen mit Liebe überwachen, was ihrem Leibe Schaden und Nachtheil bringen kann, nichts von ihnen verlangen, das sie nicht leisten können, ihnen Ruhe gönnen zu gehöriger Zeit und die gehörige Speise. Aber nicht allein gegen sie, gegen alle Menschen soll ein barmherziger Geist uns erfüllen, soll aus unserem ganzen Wesen strahlen, damit die Dienstboten von einem gleichen Geiste erfüllt und beseelt werden.

Das sechste Gebot: »Du sollst nicht ehebrechen,« und »keusch und züchtig leben in Worten und Werken.« Züchtigkeit ist leider nicht viel unter den Mädchen zu finden, Schande gilt nicht mehr für Schande, mit dem größten Leichtsinn stürzen sie sich ungewarnt in Elend und Verderben. Ja, ungewarnt und ungehütet, denn Frauen können ihre Mädchen hinschicken auf Tanzböden und in leichtfertige Gesellschaften, wo Zuchtlosigkeit und Leichtsinn das Szepter führen. Und sind die Frauen selbst keusch und züchtig in Worten und Werken, verabscheuen sie jedes zweideutige Wort, schenken sie Aufmerksamkeit und Wohlgefallen Erzählungen und Klatschereien, die auf unreinem Boden gewachsen? Sind sie züchtig und ordentlich in Wesen und Kleidung? Eine Hausfrau muß selbst am frühesten Morgen in geordneter, wenn auch noch so einfacher Kleidung, den Kindern und Hausleuten, ja sich selbst gegenüber erscheinen, und nicht im losen unfertigen Anzug, ein Bild der Unordnung, ihren Umgebungen Anstoß und übel Beispiel geben.

Die übrigen vier Gebote können wir hier zusammen in dem einen Sinne fassen: daß wir vom Nächsten nicht etwas antasten sollen, das sein ist, sei es guter Name, Geld oder Gut. Es ist von Lug und Trug und Unehrlichkeit die Rede, Sünden, die unter den Dienstboten leider gar sehr im Schwange sind. Wie steht es aber mit den Herrschaften? Das Lügen ist in der gebildeten Welt kein Fehler, es giebt so zu sagen privilegirte Lügen, die Dienstboten hören und sehen es, ja sie werden angehalten dazu. Wenn eine Frau nicht gerade in der Verfassung ist, jemand vorzulassen, befiehlt sie dem Mädchen zu sagen, daß sie nicht zu Hause sei. Die Mädchen bemühen sich mit einiger Entschiedenheit zu lügen, es würde der Frau unangenehm sein, wenn der Besuchende an der Verlegenheit des Mädchens die Lüge merkt. Dies ist ein Fall, wie es noch unzählige giebt. Das Mädchen wird zum Kaufmann, zum Bäcker, zum Fleischer geschickt. Sage nur so und so, – heißt es von der Frau, wenn es auch nicht so ist; es ist eine kleine Täuschung, mit der man sich heraus zu reden sucht, mit der man einen kleinen Vortheil, eine Annehmlichkeit erlangen will. Wie kann eine Frau sich beklagen, daß ein Mädchen lügt, wenn sie im Interesse der Frau das Lügen lernte, es endlich auch im eigenen Interesse anwendet? Die Mädchen belügen und beklatschen ihre Herrschaften hinter dem Rücken. Was thun die Frauen? Es ist das beliebteste Kapitel, wenn sie zusammen sind, ihre Dienstboten anzuklagen. Sie sollten ein Gelübde ablegen, nie über ihre Dienstboten zu reden, und nur mit ihrem Herrn Gott das zu betrachten. Dem Herrn Gott und der eigenen Schwäche gegenüber werden die Fehler im rechten Lichte erscheinen, und er wird auch der beste Rathgeber und Helfer sein. Unwahrheit und Untreue aber sind verbunden wie zwei Schwestern. Ein Mädchen, das untreu in Worten ist, wird sich kein Gewissen daraus machen, es in Thaten, wenn auch nur in sogenannten Kleinigkeiten zu sein. Ist aber die Frau getreu in allen Stücken gegen das Mädchen? macht sie sich ein Gewissen daraus sie hin und wieder, wenn auch nur in Kleinigkeiten, zu verkürzen? wenn auch nur in der Ruhezeit? wenn auch nur in der Liebe und Theilnahme, im freundlichen Zuspruch und freundlicher Ermahnung, wie es dem Mädchen von Rechtswegen zukömmt? – ja von Rechtswegen. Es ist die heilige Pflicht einer jeden Hausfrau über ihr Gesinde mit Liebe zu wachen, ebenso wie ihr vom Herrn die Kinder übergeben sind, so soll sie auch den Dienstleuten eine Mutter sein, und ebenso wie der Herr einst die Treue einer jeden Mutter prüfen wird, so wird er auch die Treue einer Hausmutter auf die Wagschaale legen. – Doch kehren wir zur Geschichte zurück.

Eine jede liebevolle rechtschaffene Mutter die ihr Kind aus dem Haus und in den Dienst giebt, fühlt, was dem Kinde Noth thut. Auch Frau Weber hatte eine Ahnung davon; da aber ihr eigener Haushalt nicht im christlichen Sinne geführt wurde, wußte sie auch nicht was sie von anderen fordern konnte, und beklagte nur das Mißgeschick, ein Kind unter fremde Leute geben zu müssen.

Mein neues Mädchen ist noch ein kleiner Holzkopf, sagte die Frau Postmeisterin lachend zu ihren Freundinnen, die bei ihr zum großen Kaffee versammelt waren.

Entweder sie sind klug und naseweiß und verlangen dabei, daß man sie in Seidenpapier wickelt, oder sie sind dumm und es ist nichts mit ihnen anzufangen, entgegnete eine von den Damen.

Ich will doch lieber eine dumme als eine überkluge! entgegnete der Postmeisterin älteste Tochter; die darf ihre Nase nicht in alles hineinstecken, und nicht über alles mitreden. Man muß sie sich freilich zustutzen, sie kann aber auch wieder einen Puff vertragen.

Es entstand nun eine wahre Fluth von Mädchenerzählungen, und da eine jede Erzählende meinte, ihre Geschichte sei die interessanteste und unerhörteste, und müsse am ersten vorgetragen werden, so sprachen fast alle zugleich. Gutes kam wenig zum Vorschein, aber die Frauen waren darüber einverstanden, daß sie die getreuesten rechtschaffensten Herrschaften seien, die Dienstmädchen aber meistens unter aller Würde gewissenlos und unverbesserlich.

Sofie hörte davon nichts, sie war seelenvergnügt. Wenn das alle Tage so hergeht, dann soll es eine Lust sein. Das Rauschen der seidenen Kleider, das Geflüster, das Klirren der goldenen Tassen, alles erregte ihre Bewunderung. Auch stand sie im Nebenzimmer und betastete die schönen Mäntel und Hüte, und das eine Fräulein hatte ihr schon 3 Tassen süßen Kaffee gegeben, die auf den Präsentirtellern herausgekommen waren. Nur drüben das Bureau, das war der dunkele Punkt ihres neuen Glückes. Als sie dem Herrn Postmeister den Kaffee hinüber trug, hatte er sie gar nicht angesehn, und nur als das Geschirr beim Hinsetzen des Tellers etwas wackelte, ihr zugerufen: Pladdere nicht! – Der Postmeister war ein strenger Mann, das wußte sie längst. Zum Glück hatte sie nicht viel mit ihm zu thun! er saß den Tag über bis zwei oder drei Uhr in seiner Schreibstube, ging jeden Nachmittag spazieren, ging jeden Abend in die Ressource, und bekümmerte sich um Frau und Töchter wenig.

Postmeisters Haus war eins wie sie zu Hunderten im Mittelstande zu finden sind. Der Mann bekömmt knappes Gehalt, er muß sich viele Stunden des Tages am Actentisch quälen. Dafür entschädigt er sich auf seine Weise. Er besucht Bier- und Kaffeegärten und ist jeden Abend am Spieltisch oder am Schachbrett zu finden. Das Regiment im Haus hat er nicht ganz behaupten können. Frauen lassen sich das selten ganz nehmen. Er regiert deshalb aber auf dem gewonnenen Grund und Boden desto strenger, gewissenhafter wie er es nennt. In einem Hause, wo die Liebe nicht das Regiment führt, da kämpfen sich allerhand Leidenschaften darum. Wenn des Postmeisters Jabots nicht in der obersten Schublade rechts in der hintersten Ecke lagen, so rügte er das nicht nur, sondern machte es zum Grunde mehrtägigen Ermahnens und Zankens, und als ihm seine Tochter das Tintenfaß nicht gehörig rein gewaschen, lief er selbst damit über die Straße, drüben die kleine Gasse hinunter nach dem Fluß und reinigte dort zur Verwunderung der wasserholenden Frauen das Tintenfaß selbst. Zurück stolperte er mit puterrothem Gesicht, und meinte er hätte sich eine rechte Ehre angethan mit dieser That. Die Frau Postmeisterin und die Töchter sahen es vom Fenster aus und ärgerten sich nicht wenig, aber sie verabredeten mit einander, gar nicht zu thun, als ob sie es gesehen hätten, und so blieb der letzte Aerger auf des Vaters Seite. Ein Tag aber wie heute, so ein großes Kaffeefest, hielt beide Parteien mit den schärfsten Waffen gerüstet einander gegenüber. Der Postmeister wußte, daß die Torten und Kuchen nicht umsonst zu haben waren, daß Wochen lang darauf Ebbe und Kargen im Haushalt war. Das ärgerte ihn. Dazu war ihm sein eignes Haus heut unheimlich, er durfte sich drüben in den Wohnzimmern nicht sehen lassen, selbst nicht auf dem Flur war er vor einem rauschenden und trippelnden Frauenzimmer sicher, er mußte ihr Anstands halber einen höflichen Gruß sagen, und hätte sie gern über alle Berge gewünscht. Den Abend riß er alle Fenster in der Wohnstube auf, er behauptete, der Pomaden- und Eau-de-Cologne-Geruch mache ihm Kopfschmerzen; die Frauen dagegen bewunderten seine gute Natur, wie er Abend für Abend die Atmosphäre der Ressource aushalten könne. Als beim Abendbrot einige süße Reste auf den Tisch kamen, berechnete er, wie viel vernünftige Gerichte anstatt dessen hätten angeschafft werden können; die Frau dagegen stichelte auf die theuren Kaffeeportionen, die er täglich bezahlen müsse, und auf die Wein-Achtelchen, die doch gelegentlich bei Frühstücken getrunken wurden. Solche Reibungen wurden mit vielem Eifer hervorgesucht, und nur das gegenseitige Streben, den geheimen Aerger nicht laut werden zu lassen, gab diesem öden zerrissenen Familienleben eine ruhige Oberfläche.

Sofie merkte instinktmäßig daß hier zwei Parteien sich gegenüberstanden, und wußte wohl, zu welcher sie sich halten müsse. Sie setzte die Pellkartoffeln, ihr erstes Kochkunststück, auf den Tisch und warf dabei das Salzfaß um. Dummkopf! murmelte der Postmeister leise. Es fällt kein Meister vom Himmel, sagte seine Frau im tröstlichen Gegensatze und reichte der verlegenen Sofie einen Teller mit Kuchenkrümel, mit dem freundlichen Bemerken, sie möge dieselben verzehren. Das war schon gut, und die Frau Postmeisterin erschien ihr als eine liebevolle Frau; aber daß es nur Krümeln waren und nicht einige Kuchen- und Tortenstücke, war eine unangenehme Täuschung. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen, als sie am Abend beim Zubettgehen durch das kleine Fenster in die Speisekammer sah, und dort im hellen Mondenschein die Ueberbleibsel der Kaffeegesellschaft erblickte. Ihr Schlafkämmerchen nämlich war einige Stufen hinauf in das Seitengebäude, und erhielt nur Licht von der Speisekammer. Eine Gardine war freilich vor dem Fenster, die hatte sich aber grausamer Weise umgeschlagen und verursachte so der armen Sofie verführende Gedanken. Aber nein, heimlich Torte nehmen, – das hätte sie nicht gethan wenn das Fenster auch nicht verschlossen war. Sie dachte an ihre rechtschaffenen Eltern, und schlief, zwar nicht ganz befriedigt, aber doch nicht ohne freundliche Hoffnungen ein.


Vierzehn Tage waren vergangen. Sofie hatte Erfahrungen gemacht und zwar nicht die angenehmsten. Das Zustutzen dauerte vom Morgen bis zum Abend, von sanftem Zureden und Ermahnen war nicht die Rede, es wurde gezankt oder ausgelacht, auch hin und wieder geschupst. Und das ging nicht nur den Alltag so, auch den lieben Sonntag. Sofie wollte den dritten Sonntag, den sie im Dienst war, gern in die Kirche gehen. Das geht heut nicht, sagte die Frau Postmeisterin, die Pflaumen zum Muß werden geholt, die Leute haben heute am besten Zeit und uns paßt es auch gut.

Pflaumen schütteln? Sofien ging ein Freudenstrahl durch das Herz und über ihre Züge.

Nicht Du, ergänzte die Frau Postmeisterin, meine Töchter wollen sich das Vergnügen machen, und Du hilfst mir hier im Hause.

Helle Thränen liefen über Sofiens rothe Backen, und die gestrenge Frau zankte über das muckische Wesen, und versicherte, daß sie so etwas nicht um sich litte. Die drei Fräuleins knüpften ihre guten Lehren mit vielem Wortreichthum daran und gingen dann kaltblütig in den hellen Sonnenschein, in den grünen Garten, um die blauen Pflaumen zu schütteln. Es fiel ihnen gar nicht ein, dem armen Mädchen einmal ein passendes Vergnügen zu machen, sie dachten nur an das eigne Vergnügen, das dumme Mädchen war gerade dazu im Haus, alles zu übernehmen was ihnen unangenehm war. Daß Sofie dafür unfreundlich und unaufmerksam war, schrieben sie dem abscheulichen Sinn des Mädchens zu.

Es war gegen Mittag, Sofie kam wie ein Aschenbrödel aus dem Zimmer der Töchter, und schlüpfte scheu durch den Hausflur, um von den Leuten, die nach dem Bureau gingen, nicht gesehen zu werden. Sie trat in die Küche und stand erfreut vor zwei Körben blauer Pflaumen. Sie sahen sehr einladend aus, und Sofie überlegte, wie schön sie schmecken würden, denn sie zweifelte nicht, daß darunter auch für sie etliche gewachsen wären. Da schoß die Frau Postmeisterin herein.

Nasche-Trine! rief sie dem erschrockenen Mädchen entgegen.

Sofie war feuerroth geworden, und das war der klugen Frau Postmeisterin ein sicheres Zeichen der Schuld, und da es überhaupt ihr Prinzip war, jemanden, den sie im Verdacht hatte, die Sache gleich auf den Kopf zuzusagen und so das Leugnen zu verhüten, so sagte sie auch jetzt im bestimmtesten Tone: Schäme Dich was! konntest Du die Zeit nicht abwarten? Du hättest welche bekommen, so aber bekömmst Du keine.

Sofie versicherte ihre Unschuld.

Hauche mich an, rief die gestrenge Frau.

Sofie that es mit gutem Gewissen und die Frau Postmeisterin konnte auch durchaus nichts von Pflaumenduft entdecken, da es aber wieder gegen ihr Prinzip war, irgend ein Unrecht einzugestehen, am wenigsten gegen ein Dienstmädchen, so blieb sie bei ihrer Behauptung, und Sofiens Thränen rannen vergeblich.

Als die Frau Postmeisterin in die Wohnstube trat, ward sie von den drei Töchtern, die dem Gespräche durch die offene Thüre gelauscht, mit Versicherungen von Sofiens Unschuld überfluthet, sie hatten gehört, wie das Mädchen kurz vor der Mutter in die Küche trat, und hatten sie durch die angelehnte Thür beobachtet. So ists eine gute Lehre für die Zukunft! beruhigte sich wieder die kluge Frau.

Aber diesmal hatte sie sich geirrt. Denn kaum war Sofie allein, so trocknete sie sich die Thränen, griff hastig in die volle Pflaumenkiepe, lief auf ihr Zimmer, schloß die Thüre hinter sich zu und verzehrte im Gefühle der beleidigten Unschuld die gestohlenen Pflaumen. Sie schmeckten herrlich, es wäre zu abscheulich gewesen, hätte sie danach vergebens lüstern sollen, – und noch dazu unschuldiger Weise für eine Diebin gehalten zu werden? nein, es war eine höchst gerechte Sache, sich die Pflaumen zu nehmen, und ihrer Mutter fromme Zusprüche, als »Dein Lebelang habe Gott vor Augen,« fanden hier keine Anwendung. – Es war aber für das arme Mädchen ein trauriger Tag, sie wagte niemand anzusehen, sie hatte Pflaumen gestohlen. Ihre Herrschaft dagegen meinte, sie wolle grollen, und vergalt ihr das mit bösen Gesichtern und mit bösen Worten.

Nur die jüngste Tochter hatte Mitleid: Das Mädchen ist unschuldig, dachte sie, du willst ihr einige Pflaumen anthun. – Da, iß! sagt sie zutraulich, sei wieder vergnügt, die Mutter hat es nicht so böse gemeint, ich weiß wohl, daß du unschuldig bist.

Sofie nahm die Pflaumen nicht. Ich danke, sagte sie leise, und blickte nicht auf.

Das Fräulein dachte, dem Mädchen sei das Grollen lieber als die Pflaumen, und wandte sich böse ab.

Sofien aber krippelte es am Herzen. Ein so freundliches theilnehmendes Wesen hatte sie lange nicht erfahren; sie hätte lieber ihre Schuld eingestehen mögen, als das Fräulein böse fortschicken, und wenn die Frau Postmeisterin nicht dazwischen gefahren wäre, hätte sie es auch wohl gethan.

Nachher war sie froh, daß sie es nicht gethan. Sie sah nur zu wohl ein, daß von Verzeihen nicht die Rede gewesen wäre, viel weniger von Schweigen. Bei nächster Kaffeegesellschaft wäre die Sache vorgetragen und ihrer Mutter wäre es auch gehörig unter die Nase gerieben worden. – Und was war es denn eigentlich? »Du sollst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden,« heißt es in der Bibel. So war in Sofiens Gedanken die Frau Postmeisterin der schuldige Theil, und je mehr sie das Mädchen knapp hielt, je mehr sie ihr alles vor der Nase fortnahm und verschloß, und genau ihr alles zumaß, je weniger genau nahm es Sofie mit ihrem Gewissen. Ein Mädchen, das nicht ehrlich sein will, kann die Herrschaft doch auf alle Weise betrügen, und mißtrauische Herrschaften haben die schlechtesten Dienstboten.

Die Frau Postmeisterin hatte es bald mit Sofien so weit gebracht wie mit ihren meisten Mädchen, die sie gehabt, und das waren in den 24 Jahren, die sie verheirathet war, nicht wenige. Nach einigen Monaten hatte sie ihren Freundinnen die schlimmsten Sachen von ihrem Mädchen zu erzählen: Das war kein Holzkopf mehr, das war ein Schlaukopf, die impertinenteste Person von der Welt, dazu naschte sie ihr alles unter den Händen fort, und im Lügen besaß sie eine besondere Kunstfertigkeit. Das war alles richtig. Die Frau Postmeisterin war eine vorzügliche Lehrmeisterin gewesen. Durch Launen und auffahrend Wesen hatte Sofie antworten gelernt; durch Mißtrauen und Kargen hatte sie naschen und lügen gelernt; und unordentlich und faul war sie, weil das Befehlen oft so durcheinander fuhr, und jedes eigene Einrichten und Bestimmen in ihrem kleinen Küchenreiche durch unvernünftige Herrschsucht so verkümmert wurde, daß sie endlich gar kein Interesse und keine Liebe mehr zu ihrer Arbeit hatte. Sie wußte auch, wie über sie gesprochen wurde, zu ihrem Trost wußte sie aber auch, daß es ihren Kameradinnen ähnlich erging, und zu ihrem zweiten Troste konnte sie diesen Kameradinnen ihr Herz wieder ausschütten. Ja, was die Damen in den Gesellschaftszimmern thaten, ihre Mädchen verleumden und beklatschen, das thaten diese an den Straßen-Ecken, ihre Herrschaften wurden in der Bitterkeit des Herzens gewaltig mitgenommen. Sofie hatte darin bald die größte Fertigkeit erlangt, und fühlte dabei nicht die geringste Reue, es war nur die nöthige Gegenwehr, meinte sie, um den eigenen Ruf zu retten, und sich in den Augen der Welt und besonders in den Augen ihrer Eltern zu rechtfertigen.


So war Weihnachten herangekommen, die Frau Postmeisterin ärgerte sich im Stillen, daß sie ihrem ungerathenen Mädchen sollte ein Weihnachtsgeschenk geben, und doch hatte sich Sofie in den letzten Wochen zusammengenommen und keine Veranlassung zu einem offenbaren Bruch gegeben. Heute sollten die Festkuchen eingerührt werden, die Frau Postmeisterin stand schon mit mehlbestäubter Nase vor dem Backtrog, Sofie sollte nur schnell hinlaufen, um noch etwas fehlendes Gewürz zu holen. Zum Laufen aber hilft nicht schnell sein. Sofie kam keuchend in den Laden, und der war so voll Menschen, daß sie sich trotz aller Mühe nicht an den Ladentisch drängen konnte. Der Frau Postmeisterin daheim schwoll der Kamm, ihre Ungeduld wollte sich nicht meistern lassen. Das Mädchen ist vielleicht erst zu ihren Eltern gegangen, sagten die Töchter. Nicht vielleicht! eiferte die Mutter, nein jedenfalls!

Habe ich gesagt, Du sollst nach Hause gehen oder zum Kaufmann? wandte sie sich heftig zur eintretenden Sofie.

Ich bin nicht nach Hause gewesen! war die kurze Antwort.

So hast Du auf der Straße gestanden, oder hast im Laden das Fortgehen vergessen, fuhr die Frau fort.

Sofie widersprach, die Postmeisterin ward immer eifriger, sie zankte, schimpfte, Sofie ward grob und gröber, die Töchter mischten sich darein, bis endlich Sofie sich gezwungen sah, die Stube zu verlassen. Weinend ging sie zu ihren Eltern und schüttete ihnen ihr Herz aus. Der Vater zankte über die ungerechten abscheulichen Herrschaften, die Mutter klagte: Wenn es bei so ehrbaren Leuten wie bei Postmeisters nicht geht, wo soll es denn gehen? – Sofie aber nahm sich so viel als möglich zusammen. Morgen war Weihnachtsbescheerung, sie wollte sich mit den Geschenken trösten.

Der andere Tag kam, und sie hatte sich sehr getäuscht. Als die Frau Postmeisterin am Abend ihre Familie in die hellerleuchtete Stube führte, da wandte sie sich kaltblütig zu der erwartungsvollen Sofie: Wenn Du zusehen willst, meinetwegen! Daß Du nach dem Vorgefallenen nichts bekömmst, wirst Du denken können.

Sofie stand wie vom Blitz getroffen, das hatte sie doch nicht gedacht. Ein Weihnachtsgeschenk kam ihr von Rechts wegen zu, sie hatte getreulich gearbeitet, sie hatte sich quälen müssen vom Morgen bis zum Abend, – und nun – zusehen? Sie ging nicht mit hinein, sie ging auf ihr Kämmerlein und weinte sich satt. Als jedoch der erste Schmerz vorüber war, gewann der Aerger die Oberhand, sie trat in den Hausflur, da standen eben mehrere Kameradinnen am Glasfenster des Bureaus. Ein gegenseitiges Erzählen vom erhaltenen Weihnachten machte sie alle lebhaft.

Was ich bekommen habe? sagte Sofie höhnisch und wandte sich dabei nach der offenen Küchenthür, damit das älteste Fräulein ihre Worte höre: Das sind hier wahre Hungerleider, nicht für einen Dreier habe ich bekommen.

Abscheuliches Mädchen! tönte darauf die Antwort aus der Küche, und alle Mädchen kicherten.

Der Postmeister machte dem Geschwätz der Mädchen ein Ende. Sofie hatte darauf bis zum späten Abend Vorbereitungen zum Festtage zu machen, während dem man in der Wohnstube mit einigen Freunden im vollsten Jubel war.

Da stand nun die arme Sofie allein mit ihrem Kummer und ihrem Aerger, die in der Stube hatten keine Theilnahme für sie. Das Mädchen hat kein Gefühl! meinten sie, die macht sich viel aus einem Weihnachten, die ist so kaltblütig und höhnend! man muß nur ihre Gesichter sehen, man möchte sich todt ärgern! – Woher wußten sie das? Wer schaut denn hinein in so ein armes unerzogenes Mädchenherz? Das Mucken und Grollen könnte oft durch einen freundlichen ernsten Zuspruch dem Mädchen abgenommen werden, aber die Herrschaft geht auf gleichem Wege mit dem Mädchen, sie kann ihren bösen Sinn nicht bezwingen, ihr Herz ist ohne Liebe und Theilnahme. Aber das Mädchen soll sich bezwingen, es soll so kaltes, theilnahmloses Wesen vertragen lernen, es soll für Geld und Brot arbeiten. Was soll es dazu bewegen? Pflichtgefühl? Die Herrschaft weiß es selbst nicht, kurz und gut es soll und muß es thun.

Am ersten Festtag waren Postmeisters in einer Abendgesellschaft, am zweiten auf einen Ball. Sofie hatte schon längst die Erlaubniß, denselben Abend auch auf einen Ball zu gehen, die Frau Postmeisterin erklärte wieder sehr klug: Meinetwegen mag sie da tanzen und tollen, das kostet uns kein Geld und geschieht uns kein Abbruch. Aber Aerger kostete es. Wenn sie auf ihren Lebensweg zurücksah, waren die Tanzabende gar dunkle Punkte. Die Mädchen kamen nicht zur rechten Zeit, es wurde gewartet, sich geärgert, man mußte die Nacht aufstehen und sie einlassen, am andern Tag geschah keine Arbeit ordentlich, dazu waren Liebschaften angeknüpft, das Mädchen rannte umher, hatte nicht Ruhe im Haus, und naschte und entwendete nicht mehr für sich allein, auch noch für ihre Bekanntschaften. Die Frau Postmeisterin gab die Erlaubniß, weil die abscheulichen Mädchen ohne das nicht bestehen können. Sofie freute sich allerdings, daß ihr einförmiges Leben endlich einmal durch ein Vergnügen unterbrochen würde, und als die Mutter die Einwilligung nicht gleich geben wollte, kramte sie so viel Thränen und Klagen über ihr trauriges Leben aus, daß der Vater selbst sagte: Laß sie gehen, das Mädchen wird desperat, der Mensch will doch was zu seinem Vergnügen haben! Allzuhart macht schartig, vom Morgen bis Abend angestellt und gequält – sie führt ein wahres Hundeleben.

Ja, es ist wohl schwer, – dienen und abhängig sein ist wohl schwer, es ist aber leicht, wenn Liebe und Theilnahme ihre lichten Strahlen in das einförmige Dienstleben werfen. Die Frau Postmeisterin hatte von alle dem keine Ahnung, sie ging den harten Weg eines ungebrochenen Herzens. Ja ein harter Weg, – ihre Dienstboten hatten ihr nie Freude, nur Aerger und Unwillen erregt, hatten ihr die Tage verbittert und je älter sie wurde, je schlimmer wurden die Mädchen, behauptete sie.

In den beiden Festtagen war Sofie nicht die freundlichste, und die Frau Postmeisterin fand es nur eine gerechte Strafe, wenn sie ihre gegebene Erlaubniß zum Tanzvergnügen wieder zurücknahm. Sofie war von diesem neuen Angriff nicht wie vom Blitz getroffen, er kam ihr nicht unerwartet, sie hatte sich darauf vorbereitet. Als die Frau Postmeisterin ihr den Entschluß feierlich mittheilte, schälte sie ruhig ihre Kartoffeln weiter und wandte sich nicht um. Sie sagte auch kein Wort, als ihr der Befehl ward, die Waschfrau, die für den Abend bestellt war, um das Haus zu hüten, wieder abzubestellen. Sie ging hin zur Waschfrau, aber nicht um sie abzubestellen, sie bestellte sie nur eine Stunde später und erwartete in einiger Aufregung den Abend.

Als ihre Herrschaft fort war, hörte diese Aufregung auf, und sie rüstete sich mit ruhigem Herzen zu ihrem Festtagsvergnügen. Sie war schlau geworden, hatte sich wehren gelernt. Sie that, als ob die Frau Postmeisterin das unmöglich im Ernst gemeint haben konnte. Es wäre auch zu abscheulich, zu schlecht gewesen, sie wußte ja, daß Sofie schon Geld zur gemeinschaftlichen Punschbowle gegeben hatte, sie wußte, daß sie helle Handschuh gekauft hatte, und war mit allem einverstanden. Sofie ging also fort mit dem Gefühle des höchsten Rechtes in ihrem jetzt schon von Lügen und Untreue umstrickten Herzen, sie tanzte und jubelte, und vergaß allen Kummer und Aerger. Sie vergaß aber auch das Nachhausegehen und es schlug 4 Uhr als sie vor der Hausthür stand und an der Klingel zog. Sie klingelte und klingelte, niemand machte ihr auf. Ihr Gewissen sagte ihr, daß sich etwas Besonderes ereignet haben könnte. Ja, die Herrschaft war frühe zu Hause gekommen, hatte die Waschfrau fortgeschickt und Sofien die Thür zugeschlossen. Daran hatte sie vorher nicht gedacht, jetzt war es ihr klar, und nachdem der kalte Wind ihr noch ein Weilchen durch die dünnen Tanzkleider gefahren war, lief sie vor Kälte zitternd zu ihrer Eltern Haus. Hier klopfte sie nicht vergebens, die Mutter machte verwundert auf. Sofie hatte über die Zeit getanzt, sie hatte die festen Schläfer bei Postmeisters nicht zu laut wecken wollen, die Sache war erklärlich und ward zu dieser Stunde nicht weiter erörtert.

Erst am andern Morgen brach das Ungewitter von allen Seiten über Sofien her. Die Frau Postmeisterin wies ihr die Thür, die Mutter war außer sich vor Schmerz und Unglück, der Vater gab ihr einige derbe Püffe, unterließ es dabei freilich nicht, weidlich auf Postmeisters zu schimpfen, – es ward hin und hergelaufen, gesprochen, kapitulirt, aber alles blieb ohne Erfolg. Gegen Abend karrte der Lehrjunge Sofiens neuen Koffer wieder in die väterliche Wohnung.

So war Sofiens erste Ausflucht beendet, sie hatte es freilich schlimm getroffen, und viele Mädchen kommen vielleicht erst in Jahren so weit, als sie in dem Vierteljahr. Sie war als ein dummes, unerfahrnes, gutwilliges Mädchen ausgegangen, und kam zurück als impertinent, lügenhaft, naschhaft und voller leichtsinniger Gedanken. So wie nun Postmeisters dachten: Mit einem andern Mädchen wird es besser gehen, – so dachte sie: Mit einer andern Herrschaft wird es besser gehen. Ihre Eltern dachten ebenso, und je ruhiger sie wurden, je mehr suchten sie ihren Trost darin, ihr Kind zu entschuldigen, die Herrschaft anzuklagen.

Das Mädchen soll nicht wieder zu so hochnäsigen Leuten, sagte der Vater, zu ehrlichen Bürgersleuten soll sie, zu Leuten, wo Hunger und Hoffarth nicht den Hausmeister spielen. Sie mag lieber drüben zum Branntweinbrenner. Ein derb Wort schadet weniger, als so getiftelte Redensarten, wie sie vornehme Leute führen, und hat sie auch grobe Arbeit, so ist sie mehr unter ihres Gleichen und fühlt sich nicht herabgesetzt.

Die Mutter wußte selbst nicht, wozu sie rathen sollte, sie war eine ängstliche Frau und tröstete sich mit Seufzen und Weinen. – Sofie aber nahm getrost das Miethsgeld von der Frau Stohmann, der reichen Branntweinbrennerfrau und versprach sich nicht wenig von diesem neuen Dienst.


Zweite Abtheilung.

Bei Postmeisters war Sofie wenigstens in einem äußerlich geordneten Hausstande gewesen, in ihrem zweiten Dienste fehlte auch das.

Stohmann war ein reicher Ackerbürger, aber selbst hinter dem Pflug zu gehen, wie sein Vater seliger gethan, behagte ihm nicht; er überließ das dem Knecht, und wußte seine Zeit besser anzuwenden. Er hatte eine Branntweinbrennerei angelegt, samt einer Schenkstube, war dazu Kornmäkler geworden, verdiente Geld im Umsehen, hatte keine Mühe davon, nur Unterhaltung. Freilich behauptete auch bei ihm das Sprichwort seine Giltigkeit: Wie gewonnen, so zerronnen. Seine Vermögens-Verhältnisse waren nicht besser als die seines Vaters, das Geld war ihm nur durch die Hände gegangen; der einzige Unterschied dabei war: er genoß, wie man zu sagen pflegt, seines Lebens, und das war ihm die Hauptsache.

Seine Frau theilte diese Ansichten. Können wirs doch, haben wirs doch! sagte sie bei jeder Gelegenheit. Faulenzen dürfen, hielt sie für einen Vorzug ihres Standes und Geldes. Sie stand noch Vormittags mit der schmutzigen Nachtmütze vor der Thür am Brunnen und klatschte mit den Dienstmädchen, während Kinder und Mägde vor dem Brotschrank saßen und sich eigenhändig fette Butterbrote schmierten. An demselben Abend konnte sie in einer Atlas-Mantille und Blumenhaube nach dem Conzert gehen, wo das Billet 15 Sgr. kostet, setzte sich in die erste Reihe, ließ sich Punsch und Baiser-Torte bringen, und freute sich, wenn Frau und Töchter der höchsten Beamten ihren Staat bewunderten. Für Haus und Kinder lebte sie nicht; es war ihr gleichgiltig die Kinder Alltags mit zerrissenen Hemden und Schuhen laufen zu sehen, wenn sie nur hin und wieder an Sonn- und Festtagen in aufgedonnerten Staats-Anzügen, die eben so geschmacklos als theuer waren, mit ihnen stolziren konnte.

Frau Stohmann war das traurige Bild einer modernen Bürgerfrau, und Sofie, die einer braven ordentlichen Mutter Tochter war, fühlte recht wohl die Lüderlichkeit und Gemeinheit ihrer Herrschaft, ja sie hätte es noch mehr gefühlt, wäre dies ihr erster Dienst gewesen. Was geht es dich an! dachte sie jetzt. Wenn du nur hier ein besseres Leben hast. Dienen ist schwer, fehlen nun gar die Fleischtöpfe, und soll man immer den Maulkorb fühlen, und tanzen wie gepfiffen wird, dann ists unerträglich. Laß sie sein, wie sie wollen, laß sies treiben wie sie wollen; wenn dus nur treiben kannst wie du willst! Und so iß und trink, liebe Seele, und sei guter Dinge!

Am grünen Donnerstage zog sie an. Sie hörte es noch mit an, wie ihre Vorgängerin mit groben Schimpfworten entlassen wurde; es ward ihr auch etwas bange dabei, sie dachte aber: Du willst es klüger anfangen! oder: Du lässest es zu einem Ohr eingehn und zum andern aus. Am Charfreitag wurde Kuchen gebacken, daß dies ein schöner heiliger Festtag sei, merkte Sofie hier im Haus nicht, – wenigstens nicht im Hauptgebäude, wohl aber im kleinen Seitenflügel.

Sofie hatte eben im Gastzimmer, wo schon frühe Gäste bei ihrer Herrschaft waren, sehr unwürdige Scherze und Gespräche mit angehört, und trat nun auf den Hof, um den Backtrog noch einmal auszustauben, als ein wunderlieblicher Gesang an ihre Ohren drang. Sie schaute hinauf zum Seitengebäude, die Fenster des Stübchens waren offen, eine ziemlich junge Frau saß nicht weit davon, mehrere Kinder standen neben ihr, alle sangen mit leiser rührender Stimme ein Charfreitagslied. – Das klang doch gar zu schön. – Sofie stellte unwillkürlich den Backtrog hin, und als nun das Geläut aller Glocken so feierlich einfiel, da faltete sie die Hände und dachte: Heut ist es ein Jahr, da bist du zum ersten Mal zum heiligen Abendmahl gegangen, das war doch so feierlich; willst auch deinen Herrn Gott, dem du da gelobt hast, nicht ganz vergessen.

Während dem kamen die frommen Sänger die Treppe herunter, sie wollten zur Kirche. Das Dienstmädchen war auch dabei, und Sofien ward es fast warm um das Herz, daß sie nicht auch heut zum heiligen Nachtmahl gehen konnte. Mit dem Mädchen hatte sie vorig Jahr zusammen vor dem Altar gestanden, sie hätte auch denselben Dienst bei der Frau Pastorin bekommen können, und ihre Mutter hatte es sogar gewünscht, weil es eine fromme stille Frau war; aber sie konnte nur zu wenig Lohn geben, ihr Mann war kürzlich gestorben, und mit den sechs Kindern war es eine Plackerei, zu der Sofie nicht Lust hatte. – Unwillkürlich folgte sie jetzt den Kirchengängern durch den Hausflur und sah ihnen über die Straße hin nach. Zugleich aber hörte sie aus der offenen Wirthsstube folgendes Gespräch:

Ich weiß nicht, warum meine Frau die Betschwester in unser Haus genommen hat; ich werde ihr aber nächstens den Laufpaß geben, ich kann nun einmal die Art Menschen nicht leiden, und das Gesinge ist unausstehlich. Vergangene Woche übte sie eines Abends mit den Kindern: »Jesus meine Zuversicht;« mit dem Lied ist mein Vater begraben, ich fing ordentlich an mich zu graulen, es war mir immer, als hört ich die Erde auf den Sarg poltern.

Aber es ist eine gute Frau, sagte Frau Stohmann, als ich im vorigen Jahr die Cholera hatte und mein Mann und meine nächsten Verwandten mich im Stich ließen, da hat sie sich nicht gescheut und nicht geekelt, und mich gepflegt aus reiner Christenpflicht, wie sie sagte. Ich habe es drum geschworen, ich behalte sie im Haus, wenn wir auch keinen Pfennig Miethe kriegen.

Die mußt Du in den Schornstein schreiben! fiel ihr der Mann in das Wort: ich kann schon nicht begreifen, wie die Frau ihre Kinder satt macht.

Die arme Frau! es fällt schwer genug. Aber das Dienstmädchen kann ich am wenigsten begreifen; die arbeitet vom Morgen bis Abend, ist immer vergnügt und klagt nie, obschon ich weiß daß sie mannigmal nichts zu beißen und zu brechen hat.

Das ist gewiß eine rechte Dumme! dachte Sofie einen Augenblick. Aber dann dachte sie schon wieder etwas anderes, auch kam Frau Stohmann, und das Wirthschaften und Kuchenbacken begann, und Sofien fiel es den ganzen Tag nicht wieder ein, daß stiller Freitag sei. – Den Abend lief sie mit einem großen Stück Kuchen zu ihrer Mutter; diese saß, sonntäglich, mit dem Strickzeug in der Hand, vor der Thür.

Ach Sofie, wie siehst Du aus. Es ist doch Festtag.

Bei uns aber nicht, lachte Sofie, wir haben Kuchen gebacken, und so schön! und so viel! ich habe einen ganzen bekommen, und bringe Dir dies.

Die Mutter nahm seufzend den Kuchen. Ich habe rechte Furcht, daß ich Dich zu gottlosen Leuten gebracht habe.

Von Gottesfurcht halten sie freilich nicht viel, ich bin darum aber nicht eben so, und werde auch nicht so, beruhigte Sofie die ängstliche Mutter, fügte noch mehr dergleichen hinzu, und wurde von ihr mit vielen Vermahnungen und den wenigen Bibelsprüchen, die sie wußte, entlassen.

Sofie hatte das aber bald über dem lustigen Leben bei Stohmanns vergessen. Hier hatte sie Unterhaltung vom Morgen bis zum Abende, und die Ostertage waren rechte Jubeltage. Einen Tag ging die Herrschaft zum Ball, den anderen Sofie. Sie war nun fast sechszehn Jahr, groß und stark, und das Herz geneigt zu allen Thorheiten. Frau Stohmann war gewissenlos genug, dies Herz mit leichtfertigen Neckereien und Erzählungen immer mehr zu vergiften, und Sofie hörte so etwas bald lieber als die Ermahnungen der Mutter.

Monate waren so vergangen. Sofie stand sich noch immer gut mit ihrer Frau, wenn deren Laune auch ein wahres Aprilwettern war. Zuweilen trank sie mit Sofien aus dem Bierglas, und kicherte und plauderte mit ihr wie ihres gleichen. Gestern, erzählte sie ihr, war die Frau Postmeisterin im Weingarten, aufgespreizt wie ein Puter, und ihre drei jungen Puten hippelten um sie herum, als ob sie seelenvergnügt wären, der neue Sekretär trug der Frau Postmeisterin den Pompadur nach, und die Therese soll ihn schon wieder in Gnaden angenommen haben.

Das ist nun der neunte Sekretär, mit dem sie verlobt ist, lachte Sofie.

Ich kanns den Burschen nicht verdenken, versetzte Frau Stohmann wieder, sie haben wenigstens gut Futter auf die Weise, und wer weiß, am Ende bleibt einer doch mal feste.

Wenn nun Sofie, sicher gemacht durch solche Vertraulichkeiten, mit ihrer gutherzigen Plumpheit lachend dazwischen gepoltert kam: Ja, es kann doch mal glücken! denn Sie sollen auch erst lange geangelt haben, ehe Sie den reichen Fisch gefangen! – da fuhr aber Frau Stohmann auf:

Impertinente Person! Du weißt wohl nicht mit wem Du redest? Wie kannst Du Dich das unterstehen? Weißt Du wer ich bin? Ich bin nicht auf der Straße gefunden, ich könnte wohl mit Vieren fahren, wenn es mir Spaß machte, Du dummes Bettelmädchen!

Sofie war ganz verblüfft, und schwieg.

Auch in anderen Stücken war es nicht anders. Zuweilen durfte Sofie kochen und machen und nehmen, was sie wollte; sie war aber keine Minute sicher, Frau Stohmann trat in die Küche, schalt über alles, tadelte alles.

Bist Du noch so dumm, daß Du nicht weißt wie man quirrelt? Links herum wird gequirrelt.

Die Frau Postmeisterin sagte aber gerade, ich müßte rechts quirreln.

Dummheiten! Hier bei uns quirrelst Du links!

Oder: – Wie kannst Du nur das Holz vor quer legen, das legt man gerade; das ist ja eine wahre Holzverschwendung! – Sofie begriff es nicht, aber sie mußte schweigen, wenn sie nicht Ohrfeigen ernten wollte. – So war es, wie gesagt, mit vielen Dingen; aber Sofie gewöhnte sich bald daran: sie schwieg, wenn die Frau in der Nähe war, und that ihr den Willen; war sie dann allein, so that sie nach ihrem eigenen, denn es war auch wirklich unmöglich, sich in solchen Wetterwechsel zu finden.

Eines Tages stand Sofie im Alkoven und sah durch das Glasfenster, wie ihre Frau aus der Wirthsstube in die Wohnstube kam, sich scheu umsah, und dann schnell vor den Schreibtisch trat, an welchem ihr Mann den Schlüssel stecken gelassen. Aufschließen, in den Geldkorb langen, geschwind wieder zuschließen, und ihrem Manne, der gleich darauf ins Zimmer trat, gleichgiltig und singend entgegen gehn, war das Werk weniger Augenblicke. – Sofie stand erschrocken. – Sie bestiehlt den Mann! dachte sie, und war froh, bald darauf ungesehen entwischen zu können; sie fürchtete sich dieser Mitwissenschaft.

Einige Wochen später aber, als sie in der Schenkstube die Tische abwischte rief ihr Herr, der in der Nebenstube vor dem Sekretär stand, ganz heftig: Zum Donnerwetter! wir haben einen Hausdieb! Ich möchte meinen Kopf verwetten, das Geld ist weniger geworden.

Das glaube ich schon, lachte die Frau, es mag unter Deinen Händen manchmal weniger werden.

Nein, nein! entgegnete er, ich habe doch gestern Abend 20 Thaler hineingelegt, und drei Zweithaler-Stücke sind dabei gewesen. Und jetzt nur zwei. Es ist mir aber schon lange kurios vorgekommen. Und die Viergroschenstücke müssen auch weniger geworden sein.

Ludwig, gestern hast Du doch gewiß nicht zählen können! sagte die Frau pathetisch: gestern hattest Du Deine fünf Sinne nicht beisammen als Du ankamest, – Gott seis geklagt! Du konntest auf keinem Beine stehen.

Das mag sein wie es will! polterte Stohmann; ich habe doch gezählt. Und wenn ich von gestern gar nicht reden will, es ist nicht das erste Mal, das mir das Ding bedenklich ist.

Weißt Du denn jetzt, wie viel Du hast?

Wenn ich auch das nicht weiß, so weiß ich doch, daß was fehlt, und kurz und gut ich will von heute auch jeden Dreier zählen.

Fremde Leute unterbrachen das Gespräch, Stohmann mußte das Zimmer verlassen. Sofie war schon vor ihm gegangen. Die Frau bestiehlt den Mann, dachte sie, der Verdacht kann auf dich fallen; was thust du nun? In einer Art Unruhe ging sie wieder in die Schenkstube und zwar leise. Richtig, sie hörte wieder ganz deutlich in der Nebenstube Geld klimpern, und instinktmäßig trat sie hinein. Eben steckte die Frau das Geld in die Tasche und erschrak nicht wenig, als so plötzlich Sofiens Kopf in die Thüre fuhr. Beide sahen sich erschrocken an, aber beide verstanden sich.

Dummes Mädchen! rief Frau Stohmann.

Sofie faßte sich bald. Es ist einem doch nicht gleich, wenn von Hausdieben die Rede ist! sagte sie weinerlich.

Unsinn! fiel ihr die Frau in das Wort. Wo ist von Hausdieben die Rede? Ich darf doch wohl hier Geld nehmen; was dem Mann gehört, gehört der Frau; wenn der Mann nicht so unvernünftig wäre, gäbe er es, anstatt daß ich es nehmen muß.

Aber er muß doch wissen, daß Sie es nehmen und ich nicht.

Wissen muß er gar nichts! sagte die Frau. Sofie, setzte sie begütigend hinzu, wir schweigen beide, es soll Dein Schade nicht sein, im Nothfall will ich es schon sagen. Aber Du kennst meinen Mann, oft schüttet er einem 50 Thaler mir nichts dir nichts in die Schürze, und denn wieder will er jeden Dreier zuzählen. Jetzt will ich Deinem Vater die Schneiderrechnung bezahlen, und wenn ich kein Geld habe, kann ichs nicht.

Sie könnten es ihm doch lieber sagen.

Ei, wozu unnöthigen Lärm machen? Er weiß doch im Grunde nicht, ob er ein paar Thaler mehr oder weniger im Kasten hat, dazu ist er viel zu baselig, das habe ich eben erst wieder gesehen. Und verdienen thut er jetzt so über die Maaßen, daß ich nicht leben will, wie die Grille im Winter.

Frau Stohmann drückte Sofien noch einen Gulden in die Hand, daß sie sich zum Jahrmarkt nächster Woche sollte was zu gute thun, und die Sache schien abgemacht.

Sie war aber nicht abgemacht. In Sofien regten sich entsetzliche Gedanken. Es war immer, als ob ihr der Teufel ins Ohr flüsterte: »Er weiß es nicht ob er ein paar Thaler weniger oder mehr im Kasten hat, dazu ist er viel zu baselig, – und verdienen thut er jetzt so über die Maaßen, es kann dem reichen Mann gleich sein, ob er einige Groschen mehr oder weniger hat, und dir wären sie von großem Nutzen.« Natürlich, thalerweise wollte sie ja nicht nehmen, nur zuweilen ein paar Groschen. Nehmen? stehlen? Sofie bebte noch zurück. Hin und wieder stand mahnend das Bild der Mutter vor ihrer Seele; aber immer allmählig trug es das Wesen, das sie hier bei ihrer Herrschaft umgab, mit dem Einflusse seines Leichtsinns, seiner Gottlosigkeit, über sie davon, immer mehr wurde das arme Mädchen vom Strudel der Sünde ergriffen.

Es war ein sonniger Tag vor Michaelis, Sofie ging über den Hof und durch die Brennerei nach dem kleinen Garten, der sehr einsam am Wasser lag, um einige Kinderwäsche zu holen. Frau Stohmann kam ihr nach, und beide standen plaudernd unter den Bäumen.

Der alte Narr da neben an hat so viel Pflaumen und wir haben keine einzige, sagte Frau Stohmann spaßend, mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich sie sehe. Mache, Sofie, steige über das Stacket und schüttele, es sieht uns kein Mensch, ich passe auf die Pforte. – Sie zeigte dabei auf den Nachbargarten, der das Eigenthum eines alten Gerbermeisters war.

Sofie fürchtete sich. Bis jetzt hatte sie nur genascht, aber noch nicht gestohlen. Frau Stohmann aber wußte solchen Einwendungen zu begegnen.

Das nenne ich nicht stehlen, sagte sie. Ob der alte Junggeselle ein paar Hände voll Pflaumen mehr hat oder nicht. Es ist nur ein Spaß. So zimperlich muß man nicht sein. – Und dergleichen mehr.

Sofie stieg wirklich mit Frau Stohmanns Hilfe über das Stacket, beide kicherten leise, Sofie faßte schon an den Baum. Da rief eine Stimme:

Sofie thue es nicht!

Sofie vom höchsten Schrecken ergriffen sprang zurück, zitternd stand sie neben ihrer Verführerin, aber beide waren froh, daß die Warnung nicht von Feindes Seite, sondern aus dem eigenen Garten kam. Die Frau Pastorin hatte in Gesellschaft einer ihr befreundeten ältlichen Dame in der kleinen Laube am Wasser gesessen, beide hatten das Gespräch mit angehört, und als die Frau Pastorin sah, daß das Böse gesiegt, konnte sie nicht schweigen.

Zu gleicher Zeit aber hatte sich des Nachbars Gartenpförtchen geöffnet und der alte Gerbermeister stürzte nach der Gegend des Pflaumenbaumes hin. Die Stohmann trat schnell zu den Frauen in die Laube, schob Sofien mit hinein, und bat um alles in der Welt, sie nicht zu verrathen; ihr Mann würde sonst einen Heiden-Aerger davon haben, wie sie sagte. Der Nachbar schalt auf das Diebsgesindel, vor dem nichts sicher wäre; aber er hätte wohl gehört, wie einer über das Stacket gesprungen, u. s. w. – bis die Freundin der Frau Pastorin aus der Laube trat und ihn versicherte, seine Pflaumen wären nicht angerührt.

Wenn Sie, Frau Muhme, drüben gewesen sind, glaub ich schon, daß der Teufel hier nicht kramen durfte, entgegnete der Gerber, und da er nicht dachte, daß die Uebelthäter in die Laube, sondern in die Pforte nach der Brennerei entschlüpft wären, begann er, über das Stacket hin, seiner Frau Muhme eine Schilderung der Stohmanns zu machen, daß denen in der Laube das Blut heiß in die Stirne schoß.

Sofie hätte weinen mögen. Ja, ja, so ist deine Herrschaft, dachte sie, und du bist auch ein ganz schlechtes Mädchen; wenn deine Mutter das alles wüßte, sie weinte sich todt.

Die Frau Pastorin aber sagte leise, aber sehr ernsthaft: Frau Stohmann, Sie können es vor Gott nicht verantworten, daß Sie Sofien zu solcher Sünde verleiten.

Es ist ja nur ein Spaß gewesen, meinte diese.

Die Frau Pastorin stellte ihr vor, daß nur ein todtes und abgestumpftes Gewissen so etwas für Spaß halten könne, daß es vor Gott und vor den Augen aller rechtschaffenen Menschen Sünde sei und als solche auch von den weltlichen Gerichten bestraft werde. Wenn der Alte Sofien traf, wenn wir es bezeugen mußten, so wurde Sofie verurtheilt, sie hätte sitzen müssen, wäre gebrandmarkt vor der Welt, und hätte ihre Eltern zum Tode betrübt. Du aber, Sofie, sagte sie zu dem Mädchen, bedenke wie es mit Dir steht: vor der Welt Richterstuhl bist Du noch einmal gerettet, aber der Herr dort oben sieht alles und kennt alles; prüft Dich, auf was für Wegen Du wandelst.

Sofie weinte, Frau Stohmann bat mit der beredtesten Zunge, die Sache für diesmal ruhen zu lassen, es sollte nicht wieder geschehen. So lange der Alte noch am Stacket stand, war ihr bange zu Sinne, und Bangigkeit trieb sie zu so bittenden Worten.

Als sie mit Sofien aber wieder in der Brennerei war, ergoß sich ein Strom von Schimpfworten auf die Frau Pastorin. Ihr Mann hätte recht, die müßte den Laufpaß haben, sie wäre eine hochnäsige, verrückte Person; Sofie sollte sich darum kein graues Haar wachsen lassen – (einzelne Thränen liefen der noch immer über die Wangen); die Betschwester verstünde gar keinen Spaß; wenn man es mit dem Gewissen so zimperlich nähme, hätte man kein Vergnügen mehr im Leben; sie, die Stohmann, hätte schon als Mädchen sich einen Spaß daraus gemacht, in die Nachbargärten zu klettern und zu naschen, und im Backhaus hätte sie, wie oft, ein Weißbrot gemaust, danach hätte kein Huhn und kein Hahn gekräht; und kurz – Sofie sollte sich nur trösten.

Freilich mußten sie solche Worte wohl trösten, sie waren Balsam für die wunden Stellen, die der Pastorin mahnende Worte berührt hatten, und mit viel größerer Ruhe nahm Sofie den Abend ein Stück Speck aus der Speisekammer und schenkte es dem Brennknecht, mit dem sie, nach längeren vergeblichen Neckereien ihrer Frau, endlich ein Liebesverhältniß angeknüpft hatte.

So lebte sie herrlich und in Freuden. Eine Störung darin war immer noch das Zusammentreffen mit ihrer Mutter, deren Ermahnungen immer ernster und bedenklicher wurden. Sie wußte sich freilich gut zu vertheidigen und mit Lügen um sich zu werfen, darin hatte sie es in so guter Schule ziemlich weit gebracht. Frau Stohmann bewegte sich stets in einem Gewebe von Nothlügen; wie aus der Pistole geschossen hatte sie auf jede unangenehme Frage eine Antwort, daß Sofie anfänglich gestaunt hatte. Jetzt belogen Frau und Magd einander um die Wette.

Fast noch mehr aber als ihre Mutter fürchtete Sofie das Zusammentreffen mit der Frau Pastorin. Seit dem Erlebten im Garten nahm diese sich zuweilen die Freiheit, mit sanften und ernsten Worten Sofien zu ermahnen; dabei sah sie mit ihren klaren Augen so fest in Sofiens Angesicht, als ob sie den Grund ihrer Seele durchforschen müsse. Sofie kam bald soweit, daß sie mit ziemlicher Grobheit solche Zudringlichkeit, wie sie es nannte, zurückwies, und durch Anhören und Einstimmen in Frau Stohmanns Lästerungen auf die stille Frau suchte sie sich zu entschädigen. Ein Trost war, daß diese Aufpasserin zu Ostern das Haus verließ, sie hatte selbst gekündigt. Stohmanns waren damit allein aber nicht zufrieden; sie suchten Kränkungen und Reibungen aller Art hervor, um der Mietherin das Leben noch sauer zu machen. Doch blieb die Frau Pastorin immer ruhiger und guter Laune, selbst ihr Mädchen ließ sich durch keine Anfeindungen aus der Fassung bringen.

Du hast wahrhaftig ein dickes Fell, sagte Sofie eines Tages zu ihr, als die Frau Stohmann sie ausschalt und sie ganz ruhig ihr das Strickknäul vom Boden aufhob.

Das Mädchen sah sie nachdenklich an, dann sagte sie: Sofie, wenn ich früher an keinen Teufel glaubte, jetzt glaube ich dran.

Wie so denn?

Er regiert bei euch im Haus, und führt euch alle in die Hölle.

Sofien schauderte es bei diesem unerwarteten Ausspruch.

Jeden Abend, wenn ich mich hinlege, fuhr das Mädchen fort, bete ich, daß Gott der Herr uns behüte, daß der Böse keine Gewalt über uns habe, und wenn Stohmanns schimpfen und ihr tollt und jubelt, da möchte mir das Herz vor Mitleiden über euch brechen. Der Herr mag sich über euch erbarmen: je schlimmer ihrs treibt, je mehr wollen wir beten.

Die einfältigen Worte des ganz einfachen und sonst wortarmen Mädchens gingen Sofien eiskalt ans Herz. Sie konnte den Eindruck nicht verwinden und erzählte ihrer Frau die dummen Redensarten wieder, die denn nicht wenig über die abergläubige Gans spottete. Das half aber alles nicht, Sofie mußte, so oft sie allein war, gar wunderliche Gedanken haben; darum aber war sie auch nie allein, sie suchte Unterhaltung und Zerstreuung vom Morgen bis zum Abend, ging auf Tanzböden, in lustige Gesellschaften, und trank den Taumelkelch des Leichtsinns und der Jugendlust.

So war Fastnacht gekommen. Es war ein milder Februartag, Stohmanns standen beide drüben vor der Nachbarsthür, die Kinder spielten Ball vor der Thüre, niemand war im Haus.

Sofie trat in die Wohnstube. Der unglückliche Schlüssel steckte. Bis jetzt hatten sich Lust und Gelegenheit noch nicht recht zusammengefunden, heute war alles wie erwünscht. Frau Stohmanns Moral stand ihr Muth machend zur Seite, sie nahm einen halben Thaler aus der Schublade. Doch als es geschehen, ward ihr das Herz schwer. Zitternd öffnete sie den Koffer, den schönen neuen Koffer, und legte das Geld in die Lade. Sie dachte dabei an die Mutter, an ihre Kameradin, und was sie vom Teufel gesagt hatte; sie fühlte eine entsetzliche Angst, sie hätte das Geld fast wieder hingetragen; doch waren schon wieder Gäste ins Haus getreten, und Geld und Angst blieben ihr auf der Seele sitzen.

Am Tage suchte sie sich der Gedanken und Schreckensbilder zu erwehren; als aber am Abend die Herrschaft ausging, und sie allein bei den schlafenden Kindern saß, da fing sie an sich zu fürchten. Beim leisesten Geräusch fuhr sie zusammen, und endlich als es ihr unerträglich war allein zu bleiben, wollte sie hinauf zu Christinen, zum Mädchen der Frau Pastorin. Doch blieb sie zagend vor der Thür stehen, sie hielten drinnen gerade ihre Abendandacht und sangen: »Ach bleib mit deiner Gnade.« Sofie setzte sich auf die Treppenstufe, faltete die Hände und sang das bekannte Lied mit leiser Stimme nach. Ihr Herz wußte nichts davon, nur in ihrer Angst ergriff sie dies als Zerstreuungsmittel, weil sich kein anderes ihr darbot. Sie hörte darauf die Thür verschließen und merkte, daß man sich zur Ruhe begab. Sie konnte sich nicht entschließen, hier fortzugehen, sie wußte, daß Christine an der nahen Thür schlief, und da unten bei Stohmanns war es ja nicht richtig. Erst aber holte sie das gestohlene Geld aus dem Koffer und streute es unter den Sekretär, so meinte sie der Gewalt der bösen Geister zu entrinnen. Dann wickelte sie sich in einen Mantel, ließ die Lampe unten brennen, und setzte sich vor Christinens Stubenthür, wo sie abwechselnd schlief und wachte, bis die Herrschaft kam.

Am hellen Tag mußte sie sich über sich selbst ärgern, und sehr angenehme Gedanken vertrieben den Nachtspuk aus ihrer Seele. Ihr Schatz, der Brennknecht, machte ihr den Vorschlag, zur Nachfeier der Fastnacht sich heut bei seiner Schwester Vergnügen zu machen; er fragte dabei nach ihren Geldvorräthen, sie wollten zusammenthun. – Geld hatte Sofie nicht, sie wollte ihr Theil an Mehl, Butter und Eiern geben. Ein bischen naschen war ja keine Sünde. – Du, nimm Dich in Acht, sagte der Brennknecht, die Frau, glaube ich, hat Dich auf dem Korne, ich habe so ein Wörtchen fallen hören. – Richtig, dachte Sofie, ist es nicht, neulich stöberte sie in meiner Kammer. Sie versicherte aber ihren Schatz, sie würde vorsichtig sein und sich nicht ertappen lassen.

Als die Frau weder in der Küche noch in der Speisekammer noch im Hausflur war, that sie Mehl, Butter und Eier in ein Körbchen und setzte es unter ihr Bett, dann ging sie zu sehen, ob die Frau auch nicht vor der Thür stünde, denn die gestohlenen Sachen sollten sogleich aus dem Hause. Sie war nicht dort, Sofie, leichtfertig und sicher in ihrem Gewerbe, schlüpfte schnell durch den Hausflur.

Sofie! tönte da der Frauen Stimme aus der Schenkstube, zugleich trat sie selbst in den Flur und sah lauernd nach dem Korb unter dem Mantel.

Ich will gleich die Stiefel nach dem Schuster tragen, sagte Sofie hastig.

Zeige doch mal!

Die Stohmann machte den Korb auf. Schöne Stiefel! ei du Spitzbube!

Bei diesen Worten trat ihr Mann herzu und einige Gäste aus der Stube folgten. Stohmann lachte und schimpfte, beides durcheinander: Da haben wirs! da ist ja der Galgenstrick endlich entdeckt! u. s. w.

Sofie gab sich noch nicht verloren. Sie behauptete alles ehrlich gekauft zu haben, als ihren Antheil zum Fastnachtsvergnügen, und nur aus Furcht vor den Neckereien oder Scheltworten der Frau hätte sie gesagt, sie hätte Stiefel im Korb.

Nun entstand ein Schimpfen und Hin- und Herreden, Stohmann schlug und puffte endlich so gewaltig auf Sofien ein, daß diese ihre Schuld eingestand.

So hast Du auch das viele Geld gestohlen, rief er, gesteh es nur, sonst schlage ich Dich hier auf der Stelle todt!

Da bat Sofie um Gottes willen, die Frau möchte doch gestehen, daß sie selbst ihrem Manne immer das Geld genommen. Ich kanns bezeugen und beschwören! fügte sie hinzu.

Frau Stohmann ward feuerroth, und da der Mann die Wahrheit merkte, die er längst geahnet, und sich vor den Gästen schämte, ließ er die Sache fallen.

Was wir hier gefunden haben, ist schon genug, rief die Stohmann zornig, sie wird verklagt, sie muß sitzen, ich weiß recht gut, daß sie mich die ganze Zeit her bestohlen hat, was zu viel ist, ist zu viel, jetzt ist sie ertappt.

Niemand hatte bemerkt, daß die Frau Pastorin auf die Treppe getreten war und den Lärm mit angehört hatte. Jetzt trat sie herunter, ihre hohe ruhige Gestalt imponirte allen.

Frau Stohmann, haben sich in so kurzer Zeit Ihre Ansichten geändert? fragte sie ernst. Erinnern Sie sich unseres Begegnens im Garten? Sofie hat jetzt nur gethan, was Sie damals gut hießen. Wird das Mädchen angezeigt, so halte ich es für meine Pflicht, zu ihrer Entschuldigung auch dies zu offenbaren.

Spaß ist Spaß und Ernst ist Ernst! rief die Stohmann zornig; aber sie fühlte, daß sie nicht auf festem Boden stand und lenkte ein: Diesmal mag es dem Mädchen noch so hingehen, nur um der rechtschaffenen Eltern willen wollen wir keinen Skandal machen.

Aber Skandal machte sie genug, ihre Verlegenheit suchte sie in einem Wortschwall zu verbergen, und Schimpfworte und Anschuldigungen stürmten auf Sofien los. Stohmann, der seine Frau wohl kannte, durchschaute die Sache und ging brummend weg. Sofie mußte aber augenblicklich das Haus verlassen, und wenn die Frau Stohmann der schwarzen Frau Pastorin wegen die Sache auch nicht anhängig machen konnte, so brachte sie sie doch mit geläufiger Zunge unter die Nachbarschaft.

Sofie saß zerschlagen und zerknickt bei den Eltern auf einer Bodenkammer, der neue Koffer stand neben ihr, schon zum zweiten Mal hatte ihn der Lehrjunge nun wieder hergekarrt. Der Vater hatte seinen Zorn durch Schläge an der Tochter ausgelassen, jetzt schimpfte und fluchte er abwechselnd auf die schlechten Herrschaften. Die Mutter ging weinend und händeringend im Haus umher. Gegen Abend kam ein guter Freund, der Erfahrung hatte und die Welt besser kannte als Webers. Bringt das Mädchen aus der Stadt, sagte er weise, hier nimmt sie fürs erste keiner, sie muß in eine große Stadt, wo sie niemand kennt und wo die Mädchen alle nicht besser sind.

Der Vater hatte nichts dagegen. Wenn sie nur fort war, nur aus seinen Augen, er wolle nicht nach ihrem Schicksal fragen. Die Mutter aber brach in Thränen aus, sie hob die Hände zum Himmel auf. Herr Gott! rief sie schluchzend, wenn sie fort kömmt, wenn sie in einer großen Stadt ist, geht sie unter, ist sie ganz verloren. Ach lieber Gott, erbarme dich doch, hilf doch, ich habe ja so viel zu dir gefleht! – Da klopfte es leise an die Thür und herein trat die hohe Gestalt der Frau Pastorin.

Da kommt ein Engel! sagte Frau Weber schluchzend: o Sie haben mein Kind heute gerettet, wie sollen wir es Ihnen danken!

Ich möchte das Mädchen zu mir nehmen, entgegnete die Angeredete; wenn Sie keinen Dienst für Sofien haben, kann sie Ostern zu mir ziehen. Meinem Mädchen habe ich einen bessern Dienst verschafft, da sie mehr Lohn verdient und ich nur wenig geben kann.

Der weise Freund staunte, daß es eine Frau geben könnte, die eine entdeckte Diebin, ein leichtsinniges, unordentliches Mädchen in den Dienst nehmen will.

Denken Sie denn das Mädchen auf andere Wege zu bringen? fragte Meister Weber kleinlaut.

Ich nicht, aber der Herr dort oben, – war die Antwort.

Frau Weber konnte vor großer Bewegung nur wenige Worte stammeln, und Sofie nahm mit zerknirschtem Herzen das Miethsgeld von der Frau Pastorin.


Dritte Abtheilung.

Es war wieder am grünen Donnerstag, aber früh in der Dämmerung, – denn Mutter und Tochter scheuten sich, von den Leuten gesehen zu werden, – als der Lehrjunge zum drittenmal den Koffer aus dem Hause karrte. Sofien war es schwer um das Herz, sie wußte nicht wie. Sie wußte nicht, wie sie in das Elend herein gekommen war, viel weniger aber wie sie herauskommen sollte. Dienen ist schwer, dachte sie, du hast es bei vornehmen Leuten und bei Bürgersleuten versucht.

Der Vater hatte auch diesmal Furcht, ja wo möglich noch mehr als bei den ersten Versuchen, denn es ging erst recht zu einer vornehmen Frau. Der Frau Pastorin Vater war Consistorialrath gewesen, und von Schippau, wo der selige Herr Pastor war, kam jetzt noch öfters die Frau Gräfin, oder schickte die große Kutsche und ließ die ganze Familie hinüberholen. Wie kann es eine solche Frau gut meinen mit eines armen Schneiders Tochter? Sie wird denken, Sofie darf jetzt nicht viel Ansprüche machen, und mag sich plagen mit den sechs Kindern. Meinetwegen mag sie sich auch plagen, wenn es nur nicht wieder bald aus ist! dachte der Vater.

Frau Weber hatte sich mit bange machen lassen, ihr Herz schlug sehr, als sie der Frau Pastorin gegenüber stand, und es nicht lassen konnte, wie damals der Frau Postmeisterin, ihr jetzt die Tochter an das Herz zu legen.

Ich verstehe Sie wohl, entgegnete ihr diese. Ja ich will versuchen, mit Mutteraugen über sie zu wachen und mit Mutterliebe für sie zu sorgen, ich werde sie aber auch besonders der Liebe und Fürsorge dessen anempfehlen, der unser getreuester Helfer ist. Sie wissen, liebe Frau Weber, welchem Herrn ich diene, und da ich seiner Hilfe so freudig gewiß bin, habe ich auch die frohe Zuversicht, es wird alles gut gehen. Nicht wahr Sofie? (sie reichte dabei freundlich dem Mädchen die Hand) Du willst auch unserem theueren Heilande, dem Herrn Jesu Christo dienen, und mit seiner Hilfe fromm und selig werden.

Sofie weinte und nickte mit dem Kopf. Welch ein Mädchen hätte auch dagegen etwas einzuwenden? sie möchten wohl alle gern fromm und selig werden, sie denken aber zugleich, sie sind auf bestem Wege dahin. Sofie fühlte sich jetzt schon viel getroster; so freundlich hatte lange niemand mit ihr geredet, selbst die Mutter nicht. Wenn die Frau Pastorin so frohe Zuversicht hat, wird sie auch wissen wie ichs anfangen muß, dachte sie. Und Frau Weber sang in ihrem Herzen ein frohes Danklied und dachte: Der Herr hat noch niemand verlassen, der auf ihn gehoffet hat, so willst du nicht nachlassen auf ihn zu bauen.

Die Frau Pastorin hatte sich nicht gescheut, sogleich zu sagen, daß auf den Herrn Jesum Christum ihr Haus gebauet sei, daß in seinem Geiste ihr Hauswesen geführt würde, und daß sie nur in seinem Beistande Ruhe und Frieden finde. Das ist ein gar schweres Wort, aber ein gar seliges Wort. Den armen Hausfrauen liegen die tagtäglichen kleinen Sorgen des Lebens ob, Steinchen und Steine rollen ihnen unaufhörlich in den Weg, und wenn auch ihre Füße da hinüber müssen, so müßte doch das Gemüth nicht mit springen und hüpfen und sich auf und ab bewegen vom Morgen bis Abend. Frühmorgens ist eine Fahrt von Oelflecken die Treppe hinauf, die Magd hat gestern Abend halb schlafend die Lampe schief gehalten, – da klirrt es in der Küche, man weiß nicht was zerbrochen ist, – die Katze ist an den Kälberbraten gesprungen und hat die Niere abgefressen, – in den Honigtopf sind die Ameisen gelaufen, das kribbelt und zappelt und ist schon eine schwarze Decke drauf, – aus der Wäsche ist ein einzelner Strumpf gekommen, wo steckt der andere? – die Jungens machen Dreckstapfen durch die Stube, die eben ausgefegt ist, – das Kleinste greift nach der Ofenröhre und stößt den Milchtopf um, das brunstet gewaltig, – der Mann legt die Cigarrenasche auf die reine Kaffeeserviette, und die Frau selbst steppt den einen Hemdärmel links, den andern rechts ein. So stürmt es auf sie ein, so giebt es hundert und aber hundert kleine Begebenheiten, die das Leben einer Frau beunruhigen können, wenn sie nicht auf felsenfestem Grunde steht, auf einem Grunde, an dem die Wellen dieses alltäglichen Lebens nur spielen ohne ihn zu bewegen. Dieser Grund ist eine innige Gemeinschaft mit dem Herrn:

Groß und Kleines so im Leben,
Alles sei dir übergeben,
Alle Noth will ich dir klagen,
Alles dir ins Herze sagen.

Ach ja, die Noth bleibt nicht aus, sie wird uns oft genug hintreiben zu unserem treuen Herrn, und er wird uns immer trösten und an sein Herz nehmen. Aber solche geringfügigen Dinge, so winzige Kleinigkeiten wollen wir doch nicht Noth nennen? wollen sie doch nicht dem Herrn bringen? Und wenn wir es wollten, und so in der ersten Hitze einen Anlauf nehmen und seufzen, bald würden wir uns schämen, alles hinter uns lassen, recht freudig vor den Herrn treten und beten: Lieber Herr, es schien mir da etwas zu sein, aber es ist nichts, gieb mir nur einen recht himmlischen Sinn, und gieb, daß ich mir nicht Bürden auflege, die du mir gar nicht zugedacht hast, und die ich trage aus Eigensinn und mir und meinen Hausgenossen zur Last und Strafe. In diesem Stücke leicht fertig sein ist eine herrliche Sache, und wer einmal anfängt damit, dem behagt es, es treibt ihn, es immer besser zu lernen, er behandelt das alltägliche Leben mit fleißiger Hand und mit verständigem Sinn, das heißt mit dem Verstande, mit dem untersten Diener der Seele; die Seele selbst merkt nichts davon, und lebt ungestört den Seelen, die ihr theuer sind, und lebt mit ihnen dem Himmel zu.

Der Frau Pastorin erzählte einst ein guter Freund wie er in seinen jungen Jahren wollte eine Fußreise machen, Sehnsucht trieb ihn fort, fort aus dem alltäglichen Leben und Umgebungen nach einem herrlichen Ziele. Einen großen Tornister schaffte er sich an, denn mitnehmen mußte er mancherlei Dinge, die, wie er meinte, ihm alle unentbehrlich waren. Mit den Wissenschaften darfst du nicht ganz und gar aus der Uebung kommen, die nöthigsten Bücher müssen mit, und hin und wieder wird studirt, es finden sich Ruhestunden, man kann nicht immer wandern und vorwärts streben. Dazu gehört dann der Schlafrock, Bequemlichkeit ist nach weiter mühevoller Wanderung eine angenehme Sache. Seine Mutter hörte lächelnd diesen Ueberlegungen zu. Du mußt das aber alles selbst tragen, liebes Kind, sagte sie. Ei das ist auch alles nicht schwer, und was einmal so nothwendige Dinge sind, muß man doch mit sich führen. Ich muß auch den Leibrock mitnehmen, ich komme durch größere Städte, ich habe Empfehlungsbriefe an vornehme und berühmte Leute, ich werde vielleicht zu Tische geladen, und es wäre mir unlieb, meines Anzuges wegen das ausschlagen zu müssen. So fanden sich noch allerhand Dinge und er trat seine Reise an, mit einem Tornister innen und außen bepackt und Rock und Hosentaschen auch nicht leer. – Am ersten Abend that ihm sein Rücken gewaltig weh. Er nahm die Sache in Ueberlegung: Willst du nicht alle Freude an der Reise aufgeben, und wohl gar das Ziel, so schicke Sachen fort. Er schickte alle unnützen Bücher an seine liebe Mutter. – Am zweiten Abend that ihm sein Rücken wo möglich noch weher. Das Ding geht nicht. Ei, laß den Leibrock zurück; wenn man eine so herrliche Reise macht, fragt man nicht nach vornehmen Gesellschaften, und Leute, die mich nicht in Reisekleidern sehen wollen, müssen rechte Philister sein. Er schickte den Leibrock zur lieben Mutter. Wie freute er sich als er am nächsten Morgen mit leichterem Tornister weiter ging. – Noch viel zu schwer! rief er am dritten Abend. Unsinn über Unsinn, der Schlafrock muß noch fort; wenn man so viel Herrliches sieht und erlebt, frägt man viel nach dem Schlafrock der Bequemlichkeit. Er wurde heimgeschickt. – Es blieb auch dabei nicht, je schöner und herrlicher die Reise ward, je mehr unnützer Dinge fanden sich in Taschen und Tornister, und da es gar nicht mehr der Mühe werth war, sie heim zu schicken, ließ er sie am Wege liegen. Und je leichter er an diesen Bürden zu tragen hatte je frischer und fröhlicher ward sein Sinn, und seine Reiselust und Kraft ward immer schöner und reicher.

Dasselbe hatte die Frau Pastorin auch erfahren. Mit vollem Tornister, und Täschchen und Taschen bepackt mit nöthigen Bedürfnissen, hatte sie ihre Lebensreise angetreten. Aber dem Ziele zu Lieb und dem eigenen Frieden und der eigenen Seligkeit, hatte sie nach und nach alles dahingegeben, kluges Wissen, und Ehre vor den Leuten, und Bequemlichkeit und allerhand kleine Neigungen, die angenehm scheinen, aber doch nur Bürden sind und die rechte Reiselust und Freude stören. Weil sie gern leicht reisete, that es ihr gar von Herzen weh, wenn sie eine arme Schwester, eine vielgeplagte Hausfrau schwer bepackt einherseufzen sah. Ach liebe Schwester, wirf es von dir, lege alles dem Herrn zu Füßen nieder, er will ja auf sich nehmen unsere Last, und will uns segnen mit Freude und Friede und mit Kraft.

Als die Frau Pastorin mit Sofien die Kinder angezogen, nachdem die Morgenandacht vorüber, und alles im Hause geordnet war, blieb noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Kirche. Die Frau Pastorin brachte Sofien den Katechismus mit der freundlichen Weisung, die zehn Gebote genau durchzunehmen und zu prüfen, wie sie am meisten dagegen gefehlt hätte, um nachher wohl vorbereitet zur Beichte gehen zu können. Sofie that es gern, es war in dem Wesen der Pastorin ein Zauber, von dem sie sich gehalten fühlte. Welch ein Zauber war es denn? Es war die Kraft der Gebete und Fürbitten, die frohe Zuversicht des Glaubens, der Herr werde mächtig sein im Schwachen und sich auch an dem armen Mädchen nicht unbezeugt lassen. Sofie weinte in der Kirche viel und ihre Mutter, die mit ihr vor dem Altar stand, bat gar herzlich und dringend, daß diese Thränen möchten eine gute Frucht bringen.

Die Frau Pastorin bewohnte ein kleines Häuschen hinten an der Stadtmauer. Es war Sofien ganz recht, daß es so einsam lag; hier war sie sicher, ihren früheren Bekannten, vor denen sie sich schämte, nicht zu begegnen. Es war auch sehr lieblich hier. Aus der kleinen freundlichen Küche sah sie auf den reinlichen Hof und auf den hübschen Garten und grünen Wall unter der Stadtmauer. Die Frau Pastorin saß mit den Kindern am Wall und pflückte Veilchen und Schlüsselblumen, Sofie sollte die Milchsuppe kochen. So viel Milch, so viel Wasser nimmst Du, so viel Gries und Salz, sagte die Frau Pastorin, ich komme nicht in die Küche, Du mußt allein kochen; wird die Suppe etwas zu dick, so essen wir sie, wird sie zu dünn, essen wir sie auch, und das nächstemal machst Du es besser. – Sofie befolgte wohl die Angaben ihrer Herrschaft, aber sie war froh, das Holz nach eigener Einsicht unter den Topf legen und die Suppe nach Gefallen rechts oder links quirreln zu dürfen.

Ich habe ein neues Mädchen bekommen, ich muß sie anlernen, heißt es von den meisten Frauen. Das ist recht gut, wenn damit nicht gemeint ist, das Mädchen mit einem Labyrinthe von Eigenthümlichkeiten bekannt zu machen, deren Wirkungen sich im Grunde gleich bleiben. Viele Hausfrauen suchen ihren neuen Mädchen durch Erfahrenheit, kluges Wissen und praktisches Thun zu imponiren, es wird darum gerügt, getadelt, belehrt, und die Gewohnheiten der früheren Herrschaft werden unbedingt gemißbilligt. Und wenn die Frau dem Mädchen in den ersten Tagen vom Morgen bis zum Abend zur Seite steht, so verliert es gewiß Muth und Freudigkeit, und zeigt sich leicht ungeschickter als es im Grunde ist. Es giebt viele Verschiedenheiten in der Küche, bei der Wäsche, beim Reinmachen, wobei die Resultate dieselben bleiben, und die nur geeignet sind ein Mädchen verwirrt zu machen. In dieser Hinsicht hatte es Sofie sehr leicht. Viele geringfügige Dinge durfte sie auf ihre Weise machen, ja die Frau Pastorin konnte scherzend sagen: Wir wollen sehen, ob wir nichts von Dir lernen können. Dazwischen belehrte sie Sofien über diesen und jenen Punkt auf eine so stille und milde Weise, daß diese es kaum gewahr ward, und Vertrauen und Freude zum eigenen Thun gewann. Alle diese äußerlichen Dinge kommen nach und nach von selbst in die gewünschte Ordnung, wenn der innerliche Zusammenhang der rechte ist. Vertrauen, Liebe, die daraus wachsende Treue, der Gehorsam, der Fleiß, – das hat alles seinen Grund im geistigen Verkehr und Verhältniß zu einander.


Als Sofie am Charfreitage zusammen mit ihrer Frau das heilige Abendmahl genommen, trat diese an demselben Tage zu ihr in das kleine Kämmerlein. Sofie, sagte sie, und reichte dem Mädchen die Hand (daß ihr Herz bewegt war, bezeugte ihr ganzes Wesen): Sofie, wir wollen nun den lieben treuen Herrn bitten, daß er uns beide in seinem Geiste und in seiner Liebe hält, daß wir beide zu seiner Ehre leben und in seinem Sinne unsere Pflicht erfüllen. Du wirst noch oft straucheln, verzage nicht, scheue Dich nie es dem Herrn zu bekennen, und fürchte Dich nie, mir Deine Fehler zu gestehen; glaube mir, daß ich mehr wahre Liebe und Theilnahme für Dich habe, als Du selbst, daß ich Dich trösten und Dir helfen werde. Aber stellen will ich mich mit Dir und mit danken will ich, wenn Du mit des Herrn Hilfe einst Glück und Frieden im Herzen haben wirst.

Sofie war jetzt mit allem einverstanden, das liebevolle Wesen der Frau hatte ihr ganzes Herz eingenommen. Sie dachte gar nicht daran, je wieder zu straucheln, die Rückerinnerung an die Vergangenheit war ihr entsetzlich, und das Schlimmste, was ihr in diesen Tagen begegnen konnte, war, einem alten Bekannten zu begegnen.

Am zweiten Osternachmittage wurde das kleinste Kindchen in einen Wagen gepackt, Sofie zog ihn, und von der ganzen Familie wurde so ein Spaziergang unternommen. Die Saaten leuchteten im ersten Grün, die Lerchen sangen, die Weißdorn blühten, es war ein herrlicher stiller Weg auf dem Grasrain an der Höhe. Sie setzten sich hier, spielten, sangen, die Frau Pastorin war fröhlich wie ein Kind. Während dessen zogen unten auf der Chaussee Schaaren von Vergnügungssüchtigen nach den Kaffeegärten und Tanzböden. Sofie dachte daran, wie sie im vergangenen Jahr mit ihnen zog, wie sie die Mutter belogen, wie sie ihr Geld verthan, und wie Mißmuth und Reue diesen wüsten Vergnügungen folgten. Laß sie ziehen, dachte sie, mich sollt ihr nicht wieder mit euch ziehn sehen. – Ob die Frau Pastorin diese Gedanken errathen hatte? ob sie Sofien in solchen Beschlüssen bestärken wollte? Sie begann ein ernsthaftes Gespräch, wie belehrend mit den Kindern, aber immer mit Bezug auf Sofien. Sie sprach vom Frühling, von der Herrlichkeit und Güte Gottes, von dem Frieden eines gottseligen Lebens, und Sofie war in geeigneter Stimmung, das alles in sich aufzunehmen.


So vergingen Wochen, und Sofie hatte in dieser Zeit in der Erkenntniß große Fortschritte gemacht. Die Frau Pastorin benutzte jede Gelegenheit, den Saamen des Gottes-Wortes zu säen, nicht immer mit dem belehrenden scharfen Tone eines Schulmeisters, mit der sanften Liebe, mit dem guten Zutrauen einer Schwester zur andern. Besondere Stimmungen des Mädchens suchte sie zu verstehen und zu benutzen; wenn es nur ein treuer Rath, eine treue Bitte war, der Segen konnte nicht ausbleiben. Sofie schien auch eine ganz andere geworden zu sein, und wenn die Frau Pastorin das menschliche Herz nicht zu genau gekannt hätte, würde sie geglaubt haben, bald am Ende aller Sorgen zu sein.

In der Erkenntniß war Sofie so weit fortgeschritten, daß sie wußte, was recht und unrecht sei, daß die Sündhaftigkeit ihres Lebens klar vor ihr lag, und überzeugt hatte sie sich, daß, wenn sie selig werden und wahren Frieden der Seele erwerben wolle, müsse sie gottesfürchtig werden und eine Nachfolgerin des Herrn Christi. Sie sahe deutlich, wie sie in das Elend hineingekommen und wie sie wieder heraus kommen könne, aber der breite Weg deuchte ihr oft noch fröhlich und angenehm und der schmale traurig und beschwerlich.

Die Frau Pastorin hatte öfter erwähnt, daß Leute, die einmal erkannt haben, daß der breite Weg der Weg ist, der in das Verderben führt, nie fröhlich wieder darauf wandern könnten. Hunderte, ja Tausende thuen es, sie thun auch als ob sie fröhlich dabei seien, sie täuschen sich aber einer den andern, das Schwert sitzt ihnen im Herzen, Mißmuth, Reue und Unbehagen verfolgen sie in jede einsame Stunde. Ob das wohl wahr ist? dachte Sofie; ob du in deinen alten Gesellschaften nicht mehr könntest lustig sein? Es war doch eine schöne Zeit, es ist doch Schade, daß es nicht so fortgehen konnte. Deine Herrschaft ist herzensgut, aber oft ist es zu einsam hier, man kann doch mit Menschen verkehren, ohne gleich gottlos zu werden, und jetzt würdest du deinen Herrn Gott doch nicht wieder vergessen; ja, versuchen mußt du, wie dir die alten Bekannten und ihre Vergnügungen jetzt vorkommen. Mit ihnen angeknüpft hatte sie hin und wieder, die Zeit trat mildernd zwischen das Vorgefallene, die Freunde waren ja leichtsinniger als sie selbst, und als der Reiz des Besprechens vorüber war, fand man eigentlich nichts mehr bei ihrem Vergehen. Im Gegentheil – Sofie ward von vielen, auch sonst ehrbaren Leuten bedauert, sie sahen den Dienst bei der Pietistin, die dem Mädchen keine Lebensfreude gönnte, als eine harte Strafe an. Sofie mußte das oft mit anhören, im Anfang vertheidigte sie ihre Herrschaft, schilderte wie sie behandelt würde, wie gut sie es hätte, wie fröhlich sie zusammen lebten, und wie sie wünschte, den Dienst nie wieder zu verlassen. Bald aber war es ihr ein Reiz, sich so bedauert zu sehen, sie schwieg. Ja endlich durfte der Versucher immer lauter sprechen, und nur die lichten Blicke und die sanften Worte der Frau Pastorin hielten sie zurück.

Es war Ende Juli, wo die Tage schwül und lang sind, da ging Sofie, nachdem sie den Tag viel unruhige Gedanken gehabt, auch oft seufzend die stille sonnige Straße hinabgesehen, noch spät Abends in den Garten und schaute vom Wall über die Stadtmauer in das Feld. Da war es auch still, nur die Grillen zirpten, und ein einsamer Wanderer ging zwischen dem hohen Korn. Der Wandrer kam näher, Sofie erkannte den Brennknecht. Sie hatte damals ganz und gar mit ihm gebrochen, weil er, um jeden Verdacht von sich abzuwenden, sie abscheulich beklatscht und verleumdet hatte. In letzter Zeit hatte er hin und wieder angeknüpft, auch seine Schwester abgeschickt, und Sofie, – wie sie meinte, nur aus Neugierde, wie ihr die alten Bekannten wohl vorkommen möchten, – hatte eine gelegentliche Unterhaltung nicht verschmäht und so dem Teufel ein Fingerlein gereicht.

Heute beredete er sie mit den glattesten Worten, nächsten Sonntag mit ihm zu Tanze zu gehen. Sofie sagte zu. Nur einmal zum Spaß, nie wieder aus Ernst, meinte sie. Da die Frau Pastorin es nicht erlauben würde, sollte es heimlich geschehen. Um diese Zeit, wo die Thür vorn fest verschlossen war und alles im Hause schlief, wollte sie über die Mauer klettern, aber nur eine Stunde ausbleiben. Mit dem abscheulichen Menschen, dem Brennknecht, that sie nur als ob sie gut wäre; sie wollte ihren Bekannten zeigen, wie sie ihn haben könnte, wenn sie nur wollte. So ähnlich ließ sie sich vom Teufel bereden, denn er hatte jetzt ihre ganze Hand.

Mit großer Spannung vergingen ihr die drei Tage, es war entsetzlich, sie konnte weder beten, noch auf die freundlichen Worte der Pastorin hören. Ich glaube doch, sie hat Recht, du wirst da nicht mehr vergnügt sein können, dachte sie, denn deinen Heiland, den du so gern suchen möchtest, findest du dort nicht; aber es hilft nichts, du mußt das erst gewiß wissen.

Sie ging den Sonntag zweimal in die Kirche, um nur beschäftigt zu sein, und den Nachmittag kam glücklicherweise die Frau Gräfin aus Schippau, da war so viel äußerliche Bewegung, daß Sofie ihre innerliche Bewegung wohl verbergen konnte. Als die Zeit endlich gekommen, alle im Hause schliefen, stieg sie mit Hilfe der Hühnerleiter an der Stadtmauer hinunter.

Von ihren Freunden wurde sie mit Jubel empfangen, sie lachten, spotteten über die Muckerfrau, und bemühten sich, durch Lust und Freude Sofiens Gewissen zu betäuben. Das gelang aber nicht, Sofie fühlte keine Freude, nur Pein und Angst, und die Größe ihrer Sünde stand ihr gar deutlich vor Augen. Der Frau Pastorin Schilderungen vom wüsten Treiben der Sünde waren getreu, und auch darin hatte sie Recht: wer einmal erkannt hat den breiten und den schmalen Weg, sieht mit andern Augen, hört mit andern Ohren. Sofie verglich mit den sanften Liebesworten und lieblichen Erzählungen der Frau Pastorin, diese schandbaren Worte dies leichtsinnige Wesen ihrer alten Freunde, sie konnte es richtig beurtheilen. Die meinen es schlecht mit dir, sie reißen dich ins Verderben, hörte sie eine deutliche Stimme, ja als des Brennknechts Schwester ihr allerlei schlechte Pläne mittheilte, wie sie möchten die Frau Pastorin betrügen und hintergehen, da entfuhren ihr einige Worte des Unwillens und sie eilte fort, von Angst und Schrecken getrieben.

Sie schlich sich leise in ihr Stübchen; sie hoffte, niemand sollte sie vermißt haben, und es sollte niemand von ihrem nächtlichen Gange etwas erfahren. In dieser Absicht zeigte sie sich am andern Morgen ihrer Herrschaft ganz besonders harmlos, ja freudiger und rüstiger als je, die Erinnerung an die vergangene Nacht war ihr wie ein wüster Traum, die Sehnsucht nach solchen Vergnügungen war für jetzt geheilt, sie hätte nur gewünscht, es gar nicht versucht zu haben.

Als sie zur Morgenandacht in das Zimmer trat, schienen der Frau Pastorin Blicke ganz besonders traurig auf ihr zu ruhen. Sie erschrak heftig. Sollte die doch etwas ahnen? Ja, sie ahnete nicht nur, sie wußte es.

Gleich nach dem Nachmittagsgottesdienste war die Frau Muhme, die schon im Stohmannschen Hause zuweilen der Gast der Frau Pastorin war, auf einige Worte am Fenster vorgesprochen. Sie hatte allerhand Uebles von Sofien zu berichten, sich aber nicht so, wie sie es wünschte, darüber auslassen können. Erstens liebte die Frau Pastorin solche Berichte nicht, und dann machte damals auch die Frau Gräfin von Schippau dem Gespräche ein Ende. Als die Frau Pastorin nun aber spät Abends im Bette noch keinen Schlaf finden konnte, fielen ihr die Berichte der Muhme wieder ein, noch mehr aber beunruhigte sie das wunderliche Wesen, das sie seit einiger Zeit an Sofien bemerkt hatte. Wie von einer Ahnung getrieben, stand sie auf und sah in Sofiens Kammer. Die war leer, die Hausthür war verschlossen, Sofie war nirgends und konnte nur über die Gartenmauer gegangen sein. Sie forschte dann genauer nach, sie fand die Leiter an der Mauer und erkannte die ganze Wahrheit. So Schlimmes hatte sie nicht mehr von dem Mädchen erwartet, sehr bittere Gedanken stiegen in ihr auf. Der Rath ihres natürlichen Menschen war, die Leiter heraufzuziehen und Sofien ihrem Schicksale zu überlassen; das wäre nur die gerechte Strafe, denn an dem Mädchen wäre Hopfen und Malz verloren. Eine andere Stimme in ihr aber sagte: Handele nicht in der ersten Hitze, überlege die Sache erst ruhig mit deinem Herrn, der wird dir sagen, was du zu thun hast. Sie ging hinein, legte sich zu Bett, aber schlafen konnte sie nicht, doch hörte sie zu ihrem großen Troste sehr bald die hintere Hofthür und Sofiens Kammerthür auf und zugehen. Was wirst du morgen mit ihr thun? sie strafend zur Rede stellen? oder noch einmal es mit liebevollem Zuspruch versuchen? So gingen die Gedanken in ihr auf und ab. Das erstere würde ihrer Stimmung am leichtesten geworden sein, aber sie mußte sich gestehen, daß sie mit dem letzteren im Geiste des Herrn handeln und auch dem Mädchen damit am meisten helfen würde. Sie betete innig zu Gott für sich und für das Mädchen, schlief dann ruhig ein, und fing am Morgen mit sanftem liebewarmem Herzen getrost ihr Tagwerk an. Sofiens geschicktes Benehmen, ihren Fehltritt zu verbergen, hätte sie noch mehr entmuthigen können, sie dachte aber: es ist des Herrn Sache, alle deine Sorgen wirf auf Ihn, thue nur was Er dir gebietet. Als Sofie nach der Andacht schnell das Zimmer verließ, folgte sie ihr in die Küche.

Sofie, sagte sie, mir kannst Du vielleicht entgehen, aber dem Herrn Gott nicht. Wolltest Du thun, als ob ich es nicht weiß, wolltest Du thun, als ob Du mich nicht betrübt hättest, so sage mir, ganz wie Du es Deinem eignen Herzen sagen würdest, was Du vor Deinem Gewissen jetzt beginnen willst.

Sofie weinte heftig, bat um Verzeihung und gelobte wahrhaftige Besserung. Die Pastorin zeigte so viel Ruhe und Theilnahme, daß es Sofien gar nicht schwer wurde, ihr Herz aufzudecken und genau zu zeigen, wie sie sich hatte verführen lassen. Sie fügte hinzu, daß sie gestern einen solchen Ekel empfunden und nun gewiß wäre, nie wieder mit diesen schlechten Freunden anknüpfen zu können, und bat nur noch die Frau Pastorin, ihren Eltern nichts davon zu sagen.

Sie würden es von andern Leuten erfahren, entgegnete diese: und willst Du zeigen, daß es Dir Ernst mit der Besserung ist, so darfst Du keine Scheu vor der Wahrheit haben, Du wirst jetzt selbst gehen und es ihnen gestehen und um Verzeihung bitten.

Sofie hatte manche Einwendungen, sie fürchtete sich vor den Schlägen des Vaters; aber die Frau Pastorin blieb strenge bei dem Gesagten.

Nicht allein Deinen Eltern, auch Deinen Bekannten mußt Du gestehen, wie Du gesündigt hast und wo Du Vergebung und Kraft zur Besserung zu finden hoffst; Du kannst jetzt aus Erfahrung sprechen, Du mußt ein kräftiges Zeugniß ablegen. Sprich Deinen Ekel und Abscheu gegen das Treiben der Sünde offen aus, halte Dich entschieden zu den Gottesfürchtigen, und siehe zu, wie Du so durch Wesen und Worte Herzen gewinnen kannst, die leichtfertig dahingehen und ihr zeitliches und ewiges Wohl verscherzen. Einem Dienstmädchen wird es noch leichter, auf Dienstmädchen zu wirken, als den Herrschaften. Bitte den Herrn um Kraft, daß Du nicht allein an Dir, auch an andern arbeiten kannst, wirke ihm zu Liebe, aber leide auch ihm zu Liebe.

Ja ich will, sagte endlich Sofie entschlossen, ich will auch alles bekennen. Was die Menschen sagen, soll mir gleich sein, und will mein Vater mich schlagen, so mag er es thun. Von heute an aber werde ich anders, ja ich fühle es, der Herr wird mich stärken, ich habe ein großes Vertrauen, daß er mir alle meine Sünde vergiebt und mir ein neues Herz geben wird.

Sofie ging, sie fühlte den Muth und die Zuversicht einer begnadigten Sünderin. Wie ganz anders war ihr doch, als gestern auf dem Wege der Sünde. – An einem Bäckerladen wurde sie von einer Bekannten aufgehalten, und sogleich ausgeforscht über die Folgen des gestrigen Abends.

Sofie sprach aus bewegtem Herzen ohne Zagen ihre Gesinnung und Vorsätze aus. Nun weiß ich erst daß ich im Himmel lebe, sagte sie, und daß meine Herrschaft mein guter Engel ist. Gehet Ihr hin, wohin Ihr wollt; ich will treu bleiben, Gott vor Augen haben und mich zu denen halten, die Ihn fürchten. Dann erzählte sie auch, daß sie jetzt zu ihren Eltern ginge, um alles zu gestehen und um Verzeihung zu bitten.

Und erntete vielleicht Sofie von diesem Thun und Reden Spott und Schande? O nein. Wer so recht muthig sich dem Bösen gegenüberstellt, führt den Sieg mit sich, und es ist wahrlich nur die Einbildung eines schwachen Herzens, was da immer meint, in den Ungläubigen und Gottlosen einen starken Feind zu sehen.

Sofie fand ihre Mutter allein. Sie gestand ihr alles. Diese rang wieder die Hände, wollte nicht glauben, daß die Frau Pastorin wirklich verziehen, und lief sogleich selbst zu ihr. Gott sei Dank, Sofie hatte nicht wieder gelogen. Aber traurig, sehr traurig machte sie die Sache doch. Nur die Frau Pastorin, die weiter sah, die fühlte, daß Gott der Herr diesen Fall als Heilmittel benutzen wollte, war ruhig und getrost, und konnte die ängstliche Mutter trösten. Frau Weber übernahm es endlich, auch dem Manne alles mitzutheilen, und verließ wie gewöhnlich mit herzlichen Ermahnungen ihr Schmerzenskind.

Die arme Frau! sagte die Pastorin, fast unbewußt, als Frau Weber das Haus verlassen. Die Worte gingen Sofien wie ein Schwert durch die Seele, sie sahe zum erstenmal die arme betrübte Mutter in ihrem Jammer, in ihrem Herzeleid vor sich. Sie lief plötzlich der Mutter nach, umschlang sie weinend und sagte:

Mutter, ich kanns in meinem Leben nicht wieder gut machen, ich bin ein gar zu gottloses Kind gewesen.

Sie weinten beide, der Herr segnete die Thränen. Der Mutter waren sie Balsam auf die harten Wunden, der Tochter erweichten sie das Herz und brachten Frucht der jungen Saat ihres neuen Lebens.

Kaum war Sofiens Mutter die stille Gasse hinuntergegangen, da kam die Frau Muhme mit wichtiger Miene an. Heute müssen Sie mich anhören, sagte sie, denn endlich muß Ihr Geduldsfaden auch reißen, Sofie treibt es zu arg.

Die Pastorin lächelte. Sie wissen aber, sagte sie, daß, was ich nicht als getreue und sorgsame Hausfrau selber sehe, ich auch nicht von anderen hören will und darf.

Zuweilen, Kind, ist das aber höchst nöthig.

Zuweilen ja, weil es aber in hundert Fällen schadet, so darf man es des Principes wegen nicht thun.

Liebe Frau, sagte die Alte etwas gereizt, ich habe auch Principe, und ich habe mit mehr Leuten zu thun gehabt, als Sie. (Sie war früher Wirthschafterin auf einem bedeutenden Gute gewesen.) Wenn ich da nicht hin und wieder den einen durch den andern hätte bewachen lassen, würde ich so viele nicht haben regieren können.

Gerade dadurch haben Sie es sich wahrscheinlich erschwert, entgegnete die Pastorin ruhig; bedenken Sie wie viel Noth Sie mit Ihren Leuten hatten. Sie hatten das Princip des Trennens, Sie wollten die Kräfte zertheilen, um sie besser beherrschen zu können, Sie säeten aber dadurch Gift in die Herzen der Leute, das auch Ihnen bittere Früchte bringen mußte. Mißtrauen ist das schlimme Gift, das dann Streit und Haß und Unzufrieden gebiert. Ein ehrliche Hausfrau darf sich nie darauf einlassen, sie muß einigen, zusammenführen im Geiste der Liebe, überall Vertrauen zeigen und Vertrauen verlangen. So mögen die guten Leute im Haus mit liebevollem Sinn und gutgemeinter Ermahnung die schwachen Herzen gewinnen, denn gerade dadurch, daß wir die guten Leute zu Aufpassern machen, verderben wir auch sie und versündigen uns an ihnen. Ich bleibe dabei, was ich nicht selbst von meinen Leuten sehe, darf ich nicht wissen. Uebrigens weiß ich schon, was Sie mir sagen wollen. – Sie erzählte darauf alles genau, und die Frau Muhme, die außer ihrer Geschwätzigkeit eine treue Christin war, mußte der jungen Freundin endlich Recht geben.

Sofie ging nun auf gutem Wege weiter. Sie war zwar nicht plötzlich geheilt; Lügen entfuhren ihr unwillkürlich, gleich aber sagte sie: Ach nein so war es nicht; sie blieb oft länger aus, als sie sollte, aber sie verleugnete nie ihr Unrecht; und mit treuen Bitten und treuem Lieben gewann die Frau Pastorin das Herz des Mädchens immer mehr für sich und für den Herrn. Von Michaelis ab hatte sie eigentlich keiner Hilfe mehr bedurft, das jüngste Kind war nun zwei Jahr alt und das älteste Töchterchen konnte schon in der Hauswirthschaft helfen; aber Webers baten so dringend, die Tochter zu behalten, verlangten auch keinen Lohn, und Sofie blieb. Die Frau Pastorin gab sich die Mühe, ihr das feine Nähen, Stopfen, Waschen und Plätten beizubringen, ja, als solche Arbeit sich außer dem Hause für sie fand, blieb sie auch noch den nächsten Sommer, nähte unter ihrer Herrschaft Aufsicht für fremde Leute, und zog dann im Herbst als Jungfer zur Frau Gräfin nach Schippau. Sofie wollte nie mehr anders wohin, als zu einer christlichen Herrschaft. Ich sehe was das zu bedeuten hat, sagte sie. Und nicht nur zu sich selbst, auch zu ihren Bekannten sagte sie es, und gar manche von diesen Schwachen hat sie ermahnt und belehrt. Und freudig und liebevoll war ihr ganzes Wesen, am innigsten aber liebte sie die Frau, die mit des Herrn Hilfe ihr rettender Engel geworden war.


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