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Achtes Kapitel

Am Lande entlang

Donnerstag, 8. August. Nachdem wir unser Gepäck über einige Schollen gezogen hatten, gelangten wir gestern ohne große Schwierigkeit ins offene Wasser. Als wir den Rand desselben erreicht hatten, fertigten wir uns aus unsern Schneeschuhstöcken, an welche wir aus zerbrochenen Schneeschuhen hergestellte Blätter befestigten, jeder ein Paddel an, das eine große Verbesserung gegen die etwas plumpen Paddeln war, die aus Bambusstöcken bestanden, an welche Blätter aus Segeltuch befestigt waren. Ich hatte große Neigung, die Schlitten abzuschneiden und sie auf die halbe frühere Länge zu verkürzen; thaten wir das, so konnten wir sie auf dem Hinterdeck der Kajaks mitführen und auf diese Weise jeder allein rudern, wodurch wir sehr viel schneller vorwärts gekommen wären, als wenn wir die zusammengebundene Flotille ruderten. Es schien mir aber doch, daß es vielleicht nicht rathsam sein würde. Das Wasser vor uns ließ sich gut genug an, allein es herrschte Nebel, sodaß wir nicht weit sehen konnten; wir wußten nichts von dem Lande oder der Küste, die wir erreicht hatten, und konnten vielleicht noch gute Verwendung für die Schlitten haben. Wir setzten daher die Fahrt wie bisher auf dem Doppelkajak fort, mit den Schlitten vorn und hinten quer über Deck.

Das Wetter klarte bald etwas auf. Es war todtenstill, die Wasserfläche lag wie ein großer Spiegel vor uns, und kleine Stücke Eis, hier und dort eine Scholle, trieben darauf umher. Es war ein wunderbar schöner Anblick und wirklich herrlich, in unsern leichten Fahrzeugen zu sitzen und ohne Anstrengung über das Wasser zu gleiten. Plötzlich tauchte ein Seehund vor uns auf, während über uns beständig Elfenbeinmöven, Stummelmöven und Eissturmvögel hinflogen. Auch Krabbentaucher sahen wir, sowie einige Rosenmöven und ein paar Seeschwalben. Hier mangelte es nicht an Thierleben und an Nahrung, wenn wir derselben bedürfen sollten.

Wir fanden, als wir neben der Eiswand hinruderten, daß das offene Wasser immer breiter wurde; das Wetter wollte jedoch nicht so klar werden, daß wir von der Umgebung etwas sehen konnten. Der Nebel lagerte hartnäckig über dem Lande.

Anfänglich war unser Kurs mißweisend West zu Nord; allein das Land wendete sich immer mehr nach Westen und Süden, und die Wasserfläche wurde größer und breitete sich zu einer großen See aus, die sich nach südwestlicher Richtung ausdehnte. Aus Nordnordwest sprang eine Brise auf, und es entstand dadurch eine erhebliche Bewegung, die nicht angenehm war, weil das Wasser beständig zwischen den beiden Fahrzeugen emporspülte und uns durchnäßte. Gegen Abend legten wir auf dem Eise an und richteten unser Zelt auf; kaum war das geschehen, begann es zu regnen, sodaß es für uns hohe Zeit gewesen war, unter Dach zu kommen.

Freitag, 9. August. Gestern Morgen mußten wir die Schlitten mit den Kajaks wieder über Eis schleppen, das vor unserm Lagerplatz zusammengetrieben war. Bei dieser Arbeit brachte ich es fertig, ins Wasser zu fallen, und wurde naß. Mit Mühe kamen wir endlich durch, hinaus ins offene Wasser. Nach einer Weile fanden wir den Weg versperrt, sodaß wir gezwungen waren, die Schlitten über einige Schollen zu schleppen; dann aber hatten wir den ganzen Tag gutes offenes Wasser. Es wehte ein nordwestlicher Wind, der das Eis dem Lande zugetrieben hatte, und es war ein Glück, daß wir so weit gekommen waren, weil, der Luft nach zu urtheilen, hinter uns die See stark mit Eis besetzt war. Der Nebel hing über dem Lande, sodaß wir von diesem wenig sahen. Je weiter wir vorwärts kamen, desto mehr konnten wir einen südlichen Kurs einhalten, und da wir den Wind hinter uns hatten, setzten wir gegen 1 Uhr Segel ein und segelten den ganzen Tag weiter, bis wir gestern Abend anhielten. Unsere Segelfahrt wurde nur einmal unterbrochen, als wir um eine Eisspitze nördlich von der Stelle, wo wir uns jetzt befinden, herumrudern mußten. Die Gegenströmung war so stark, daß wir nur mit unserer ganzen Kraft dagegen ankommen konnten und es uns nur nach beträchtlicher Anstrengung gelang, die Spitze zu umschiffen. Wir haben bisjetzt des Nebels wegen wenig von dem Lande gesehen, an dem wir entlang fahren; soweit ich aber beobachten kann, besteht es aus Inseln. Zuerst war da eine große, mit einem Gletscher bedeckte Insel; westlich davon war eine kleinere, auf der sich die beiden Felsenklippen befinden, die uns zuerst auf die Nähe des Landes aufmerksam gemacht haben; dann kam ein langer Fjord oder ein Sund mit schwerem Küsteneis, und endlich ein kleines, niedriges Vorgebirge oder wol richtiger eine Insel, an deren Südseite wir uns jetzt gelagert haben. Das längs des Landes liegende Küsteneis ist sehr merkwürdig. Es ist ungewöhnlich schwer und uneben und scheint aus zusammengeschweißten ungeheuern Blöcken zu bestehen, die jedenfalls zum großen Theile von Gletschern herstammen. Vielleicht hat auch ein heftiger Druck gegen das Land stattgefunden und das Meereis zugleich mit von dem Gletscher herrührenden Eisstücken emporgehoben, worauf das Ganze zu einer zusammenhängenden Masse gefroren ist. Ein mittelgroßer Eisberg lag unweit des Vorgebirges nördlich von uns, wo die Strömung so stark war. Wo wir jedoch jetzt sind, ist flaches Buchteneis zwischen der niedrigen Insel hier und einer größern weiter nach Süden.

Das Land wird mir immer räthselhafter. Ich bin mehr als je in Verlegenheit darüber, wo wir sind. Es erscheint mir sehr merkwürdig, daß die Küste sich beständig nach Süden erstreckt, anstatt nach Südwesten. Ich könnte es am besten erklären, wenn ich annehme, daß wir uns an der Westküste von Franz-Joseph-Land befinden; aber dazu scheint die Mißweisung zu groß, und ich kann mir auch nicht erklären, woher so viele Rosenmöven kommen sollen. Auf Spitzbergen ist noch nicht eine einzige mit Bestimmtheit gesehen worden, und wenn meine Annahme richtig ist, kann dieses nicht weit entfernt sein. Gestern sahen wir wieder eine Anzahl derselben; sie sind hier ebenso gewöhnlich wie die andern Mövenarten.

Sonnabend, 10. August. Wir haben die kleine Insel bestiegen, in deren Nähe wir gelagert haben. Sie war mit einem Gletscher bedeckt, der sich wie ein regelrechter Schild darüber hin wölbte; alle Seiten fielen langsam ab. So gering war die Neigung, daß unsere Schneeschuhe auf der Schneekruste nicht einmal von selbst glitten. Von der Höhe hatten wir einen guten Ausblick, und da der Nebel sich gerade hob, so sahen wir das Land rundherum ziemlich klar.

Es zeigte sich deutlich, daß es nur Inseln gewesen waren, an denen wir entlang gefahren sind. Die erste war die größte. Die andere mit den beiden Felsenklippen hatte, wie wir wahrnahmen, längs der Küste an der Nordwestseite einen Streifen kahlen Landes. Versammelten sich dort vielleicht die Rosenmöven und hatten sie ihre Brutstätten daselbst? Die Insel im Süden von uns sah ebenfalls groß aus; sie schien vollständig von einem Gletscher bedeckt zu sein.

Ich nannte die erste Insel Eva-Insel, die zweite Liv-Insel und die kleine, auf welcher wir uns befanden, Adelaide-Insel. Die vierte Insel, südlich von uns, ist vielleicht schon von Payer gesehen und von ihm Freeden-Insel genannt worden. Die ganze Inselgruppe taufte ich » Hvidtenland« (Weißes Land).

Zwischen den Inseln und soweit wir nach Südosten und Osten sehen konnten, war die See mit vollständig flachem Buchteneis bedeckt, doch war in dieser Richtung kein Land zu erkennen. Eisberge waren hier nicht, dagegen sahen wir im Laufe des Tages einige auf der Südseite der Insel südlich von uns.

Der Gletscher, der die kleine Insel bedeckte, auf welcher wir standen, ging in fast unmerkbarer Weise in Buchteneis über, und nur einige kleine Spalten längs der Küste deuteten an, wo er zu beginnen schien. Ein merkliches Steigen und Fallen des Eises mit der Gezeitenströmung konnte hier nicht stattfinden, sonst wären die Spalten bedeutend größer gewesen. Das schien merkwürdig, da die Gezeitenströmung hier so rasch wie ein Fluß lief. An der Westseite der Insel lag vor dem Gletscher ein Wall von Eis und Schnee, der sich wahrscheinlich aus zusammengeschweißten Stücken von Gletscher- und Meereis gebildet hatte. Er war von derselben Beschaffenheit wie das massive Küsteneis, das wir früher an der Küste gesehen hatten. Mit einer glatten Böschung ging dieser Wall ganz sanft in den Gletscher über.

Gegen 3 Uhr nachmittags machten wir uns endgültig in offenem Wasser auf und segelten bis ungefähr 8 Uhr abends. Dann schloß sich das Wasser, und wir waren gezwungen, die Flotille über flaches Eis nach dem offenen Wasser auf der andern Seite zu schleppen. Jedoch schien uns das Fahrwasser auch hier versperrt zu sein, und da wir die Strömung gegen uns hatten, schlugen wir das Zelt auf.

Am 10. August waren wir gezwungen, zum Theil die Schlitten über das Eis zu schleppen, zum Theil auf offenem Wasser in südwestlicher Richtung zu rudern. Als wir wieder schiffbares Wasser erreichten, passirten wir eine Heerde Walrosse, die auf einer Scholle lagen. Es war ein Vergnügen, soviel Nahrung an einer Stelle angehäuft zu sehen, jedoch nahmen wir keine Notiz von ihnen, da wir vorläufig Fleisch und Speck zur Genüge hatten. Nachmittags kamen wir in den Nebel und mit ihm geriethen wir in eine tiefe Bucht im Küsteneis, wo es keinen Ausweg gab; wir mußten umkehren, was uns beträchtlich aufhielt. Wir mußten jetzt einen westlichem Kurs am Rande des oft massiven und unebenen Eises entlang verfolgen. Allein die Strömung war uns gerade entgegen, und außerdem hatte sich tagsüber junges Eis gebildet, das so dick war, daß wir nicht mehr rudern konnten. Das Wetter war kalt und windstill gewesen, und es war Schnee gefallen, der so dicht geworden war, daß wir nicht mehr gegen denselben vorzudringen vermochten. Wir begaben uns daher ans Land auf das Eis und schleppten die Schlitten noch bis um 10 Uhr abends.

Bärenfährten, alte und neue, in allen Richtungen, sowol einzelne von alten Junggesellen, als auch von Bärinnen mit Jungen. Es sieht aus, als ob sie sich hier ein allgemeines Rendezvous gegeben hätten oder als ob eine Schar von ihnen hin- und hergetrabt wäre. Nie in meinem Leben habe ich so viele Bärenfährten an einer Stelle gesehen.

Heute haben wir vielleicht 22 Kilometer gemacht, und doch halte ich unser Weiterkommen noch für zu langsam, wenn wir Spitzbergen noch in diesem Jahre erreichen wollen. Ich denke immer darüber nach, ob wir nicht die Enden unserer Schlitten abschneiden sollen, damit jeder sein eigenes Kajak rudern kann. Das junge Eis jedoch, das stetig schlimmer wird, und die 6° C. unter dem Gefrierpunkt, die wir jetzt haben, halten mich noch immer davon zurück. Vielleicht steht der Winter vor der Thür, dann können die Schlitten uns sehr von nöthen sein.

Es ist ein seltsames Gefühl, so im Nebel weiter zu rudern, wie wir es thun, ohne auch nur einen Kilometer weit voraus sehen zu können. Das von uns entdeckte Land haben wir hinter uns gelassen. Wir hoffen stets auf klares Wetter, damit wir sehen können, wo das Land vor uns liegt – denn Land muß dort sein. Dieses flache ununterbrochene Eis muß mit irgendwelchem Lande in Verbindung stehen. Aber klares Wetter, scheint es, sollen wir nicht haben; unaufhörlich Nebel. Aber wir müssen gleichwol vorwärts.

Nachdem wir die Schlitten eine weitere Strecke über das Eis geschleppt hatten, kamen wir am nächsten Tage (11. August) wieder an offenes Wasser und ruderten vier oder fünf Stunden. Während ich auf einem Eishügel stand und das Wasser vor uns überblickte, tauchte ein ungeheueres Ungethüm von Walroß ganz nahe bei uns auf. Es lag pustend aus der Oberfläche des Wassers und glotzte uns an. Wir nahmen jedoch keine Notiz von ihm, sondern bestiegen unsere Kajaks und fuhren weiter. Mit einem mal kam es dicht neben uns wieder in die Höhe, richtete sich hoch aus dem Wasser empor, schnaubte, daß die Luft erzitterte, und drohte, seine Zähne durch unser gebrechliches Fahrzeug zu stoßen. Wir ergriffen sofort die Büchsen; indeß verschwand es in demselben Augenblicke, um unmittelbar darauf an der andern Seite, neben Johansen's Kajak, wieder aufzutauchen, wo es dasselbe Manöver wiederholte. Ich hatte ihm gesagt, daß, wenn das Thier die Absicht zeige, uns anzugreifen, wir eine Patrone daran wenden müßten. Es kam mehreremal empor und verschwand wieder; wir sahen es unten im Wasser, wie es auf der Seite liegend rasch unter unsern Fahrzeugen durchschlüpfte, und da wir befürchteten, daß es mit den Hauern ein Loch durch den Boden stoßen könnte, so schlugen wir mit den Rudern ins Wasser und scheuchten es fort. Plötzlich tauchte es aber nochmals gerade neben Johansen's Kajak empor, wüthender als vorher. Johansen schickte ihm eine Ladung direct in die Augen, worauf es ein fürchterliches Brüllen ausstieß, sich herumwälzte und, einen Blutstreifen auf dem Wasser zurücklassend, verschwand. Wir ruderten so stark wir konnten, da wir wußten, daß der Schuß gefährliche Folgen haben könnte, und fühlten uns erst erleichtert, als wir das Walroß weit hinter uns an der Stelle, wo es verschwunden war, wieder auftauchen sahen.

Wir waren gemächlich weiter gerudert und hatten die Geschichte mit dem Walroß längst vergessen, als ich plötzlich Johansen einen Luftsprung machen sah und fühlte, daß sein Kajak einen heftigen Stoß von unten erhielt. Was es war, konnte ich mir nicht denken, und ich blickte mich daher um, um zu sehen, ob ein treibender Eisblock das Fahrzeug gekentert oder den Boden desselben getroffen habe. Allein plötzlich sah ich wieder ein Walroß dicht neben uns sich aus dem Wasser erheben. Ich ergriff meine Büchse, und da das Thier seinen Kopf nicht so wenden wollte, daß ich hinter das Ohr zielen konnte, wo es leichter verwundbar ist, war ich gezwungen, ihm eine Kugel mitten durch die Stirn zu jagen; es war keine Zeit zu verlieren. Glücklicherweise genügte das; das Thier trieb todt auf dem Wasser. Mit großer Mühe gelang es uns, ein Loch in die dicke Haut zu schneiden; nachdem wir uns einige Streifen Speck und Fleisch aus dem Rücken geschnitten hatten, setzten wir unsere Fahrt fort.

Um 7 Uhr abends wechselte die Gezeitenströmung und schloß sich die Rinne; genügendes Fahrwasser war nicht mehr zu finden. Anstatt die Schlitten über das Eis weiterzuschleppen, beschlossen wir auf die Oeffnung der Rinne beim Gezeitenwechsel am nächsten Tage zu warten und in der Zwischenzeit die Enden unserer Schlitten abzuschneiden, wie ich schon längst zu thun beabsichtigt hatte, sowie gute Doppelruder herzustellen, damit wir mit um so größerer Geschwindigkeit weiter kommen und mit den Einzelkajaks von der Rinne, solange sie offen war, soviel wie möglich Vortheil ziehen könnten. Während wir hiermit beschäftigt waren, klarte der Nebel endlich auf, und vor uns dehnte sich Land aus, das sich weit nach Süden und Westen, von Südost nach Nordnordwest (mißweisend) erstreckte. Es schien eine Kette von größern und kleinern Inseln zu sein, mit Sunden dazwischen. Sie waren größtenteils mit Gletschern bedeckt; nur hier und dort stiegen steile schwarze Bergwände empor. So viel Land auf einmal zu sehen, war ein freudiger Anblick.

Aber wo waren wir? Das war die Frage, die schwieriger als je zu beantworten war. War es möglich, daß wir trotz allem an der Ostseite von Franz-Joseph-Land angekommen waren? Diese Annahme schien sehr einleuchtend. Allein dann mußten wir sehr weit im Osten sein und uns auf eine lange Wanderung nach Westen gefaßt machen, ehe wir Kap Fligely auf Kronprinz-Rudolf-Land erreichen konnten. Inzwischen arbeiteten wir eifrig an der Fertigstellung der Schlitten. Als aber der Nebel sich allmählich hob und es immer klarer wurde, mußten wir beständig auf einen Hügel neben uns klettern, um das Land zu betrachten und über das unlösbare Problem nachzugrübeln. Erst um 7 Uhr am Morgen des 12. August gingen wir zur Ruhe.

Dienstag, 13. August. Nachdem wir ein paar Stunden geschlafen hatten, erhoben wir uns aus dem Sacke, da die Strömung gewechselt hatte und eine breite Rinne vorhanden war. In den Einzelkajaks kamen wir gut vorwärts. Nachdem wir etwa 8 Kilometer gerudert hatten, schloß sich die Rinne, und wir mußten auf das Eis hinaufklettern. Wir hielten es für rathsam, zu warten und zu sehen, ob sich nicht eine weitere Rinne öffnen würde, wenn die Strömung umschlug. Wenn nicht, dann mußten wir neue Holzgriffe an unsern verkürzten Schlitten anbringen und sie nach einem Sunde zu ziehen suchen, den ich in ungefähr rechtweisend Westnordwest sehe und den ich, nach Payer's Karte, für den Rawlinson-Sund halte.

Allein die Rinne öffnete sich nicht, und so blieb es, sodaß wir die Schlitten wieder weiter schleppen mußten.

Mittwoch, 14. August. Wir schleppten die Schlitten und Lasten über eine Anzahl Schollen, fuhren über mehrere Rinnen und trafen schließlich bei einer Rinne ein, die westwärts lief und in der wir rudern konnten. Bald aber schob sie sich wieder zusammen, sodaß wir aufgehalten wurden. Die Elfenbeinmöven sind sehr kühn; in letzter Nacht stahlen sie ein Stück Speck, das dicht neben der Zeltwand lag.

Am nächsten Tage mußten wir die Reise fortsetzen. Bald ruderten wir kurze Strecken in den Rinnen, bald schleppten wir unsere Lasten über kleinere oder größere Schollen, die sich in der reißenden Strömung aneinander mahlten. Das Weiterkommen mit den kurzen Schlitten war nicht sehr schnell, und von Wasser, in dem wir hätten rudern können, fanden wir immer weniger. Mehreremal hielten wir an und warteten, daß das Eis beim Gezeitenwechsel sich öffnen sollte. Allein dies geschah nicht, und am Morgen des 15. August gaben wir es auf, gingen auf das Landeis zu und hielten uns ernstlich an das Küsteneis. Wir hatten den Kurs jetzt westwärts dem Sunde zu gerichtet, den wir schon seit mehrern Tagen gesehen und den zu erreichen wir uns so schwer gequält hatten. Die Eisfläche war ziemlich eben, und wir kamen gut fort. Unterwegs passirten wir einen eingefrorenen Eisberg, den höchsten, den wir in diesen Gegenden gesehen haben; ich schätze ihn auf etwa 16-20 Meter. Man will unweit Franz-Joseph-Land Eisberge von beträchtlicherer Größe gesehen haben; jedoch kann ich in dieser Beziehung nur sagen, daß ich während unserer ganzen Reise durch diesen Archipel nichts Derartiges erblickt habe. Der hier erwähnte Eisberg war der größte von allen, die wir getroffen haben. Im Vergleich mit den grönländischen Eisbergen waren sie alle ganz unbedeutende Gletschereismassen. Ich wäre gern hinaufgeklettert, um einen bessern Blick über unsere Umgebung zu erhalten, doch war er zu steil, und wir kamen nicht weiter als bis zum dritten Theile seiner Höhe.

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Umrisse von Franz-Joseph-Land, aus Nordosten gesehen (13. August 1895).
Die Theile dieser Skizze hängen an den gleichbezeichneten Enden zusammen.

Abends erreichten wir endlich die Inseln, nach denen wir während der letzten Tage gesteuert hatten, und zum ersten mal seit zwei Jahren hatten wir eisfreies Land unter den Füßen. Es war ein unbeschreiblich herrliches Gefühl, von einem Granitblock Ich habe es in meinem Tagebuch Granit genannt, während es in Wirklichkeit sehr grobkörniger Basalt oder Diabas war. Die Proben, die ich mitgenommen hatte, sind leider verloren gegangen. zum andern springen zu können. Es wurde uns noch schöner dadurch, daß wir in einem kleinen versteckten Winkel zwischen den Steinen Moos und Blumen, großen schönen Mohn ( Papaver nudicaule), Steinbrech ( Saxifraga nivalis) und eine Sternmiere ( Stellaria sp.?) fanden. Selbstverständlich mußte die norwegische Flagge über diesem unserm ersten eisfreien Lande wehen, und ein Festmahl wurde bereitet. Unser Petroleum war jedoch mehrere Tage vorher zu Ende gegangen, sodaß wir eine andere Lampe erfinden mußten, in welcher wir Thran brennen konnten. Das dampfend heiße Labskaus aus Pemmikan und unsern letzten Kartoffeln schmeckte köstlich, als wir im Innern des Zeltes saßen und nach Herzenslust den nackten Kies mit Füßen treten konnten.

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Erstes Lager auf schneefreiem Boden. Nansen-Insel.

Wo wir sind, wird uns immer unbegreiflicher. Westlich von uns scheint ein breiter Sund zu liegen, aber welcher? Die Insel, auf der wir uns jetzt befinden und wo wir auf trockenem Lande herrlich geschlafen haben (dies schreibe ich am Morgen des 16. August), ohne daß das Eis zu Pfützen unter uns schmolz, ist ein langer moränenartiger Rücken, der ungefähr in der Richtung von mißweisend Nord nach Süd verläuft und aus theilweise großen Steinblöcken mit, soweit ich beobachtete, einzelnen anstehenden Klippen besteht. Ich nannte die Insel Houen-Insel. Die Blöcke sind zum Theil abgerundet, jedoch habe ich keine Anzeichen der Scheuerung an denselben gefunden. Die ganze Insel erhebt sich kaum über das Schneefeld, in welchem sie liegt und das allmählich nach dem umgebenden Eise abfällt. Westlich von uns liegt eine kahle, etwas höhere Insel, die wir seit mehrern Tagen gesehen haben. An der Küste entlang führt eine ausgeprägte Strandlinie. Nördlich von uns sind zwei Inselchen und eine kleine Inselklippe. Die Inseln und Inselchen müssen die Coburg-Inseln Payer's sein; aber ihre gegenseitige Lage ist auf dessen Karte falsch angegeben, denn die größere Insel (von mir Torup-Insel genannt) liegt nicht im Norden, sondern im Süden der Inselchen.

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Eisberg im Norden von Franz-Joseph-Land.

Wie ich schon früher (13. August) erwähnt habe, hatte ich anfänglich angenommen, daß der Sund westlich von uns der Rawlinson-Sund sei. Doch schien das jetzt unmöglich zu sein, weil vom Dove-Gletscher nichts zu sehen war, der ihn auf der einen Seite begrenzt. Wenn wir dort waren, dann mußten wir diesen Gletscher und Wilczek-Land überschritten haben, ohne von beiden eine Spur zu sehen, da wir einen guten halben Grad südlich von Kap Budapest westwärts gezogen waren. Die Möglichkeit, daß wir in dieser Gegend sein könnten, hielten wir infolge dessen jetzt endgültig, für ausgeschlossen. Wir mußten zu einem neuen Land im westlichen Theile von Franz-Joseph-Land und so weit westlich gekommen sein, daß wir von den durch Payer entdeckten Ländern nichts gesehen hatten. Aber auch so weit westlich, daß wir nicht einmal etwas von König-Oskar-Land gesehen hatten, das auf 82° nördlicher Breite und 52° östlicher Länge liegen soll? Das war in der That unbegreiflich. Aber gab es eine andere Erklärung?

Sonnabend, 17. August. Gestern war ein guter Tag. Wir befinden uns, soweit ich sehen kann, in offenem Wasser an der Westküste von Franz-Joseph-Land und können wieder hoffen, noch in diesem Jahre nach Hause zu kommen. Gegen Mittag wanderten wir von unserm Moräneninselchen über das Eis nach der höhern Insel westlich von uns. Da ich vor Johansen fertig war, ging ich voran, um die Insel ein wenig zu untersuchen. Als er mir folgte, bekam er auf dem flachen Eise in Lee von uns einen Bären in Sicht, der gegen den Wind gerade auf ihn zugetrottet kam. Er hatte seine Büchse schußbereit. Aber als der Bär ein wenig näher gekommen war, blieb er stehen, überlegte sich die Sache noch einmal, kehrte plötzlich um und setzte sich in Bärengalopp, worauf er bald außer Sicht war.

Die Insel, zu der wir jetzt kamen, schien uns einer der lieblichsten Orte auf der Erde zu sein. Ich habe sie Torup-Insel genannt. Ein schöner flacher Strand, eine alte Strandlinie mit weißen Muscheln, die überall verstreut waren, ein schmaler Gürtel offenen Wassers längs der Küste, wo Schnecken und Seeigel ( Echinus) auf dem Grunde sichtbar waren und Flohkrebse umherschwammen. In den Bergwänden über uns waren Hunderte von kreischenden Krabbentauchern, und neben uns flatterten Schneeammern mit fröhlichem Gezwitscher von Stein zu Stein. Plötzlich brach die Sonne durch die leichte Wolkendecke, und der Tag schien eitel Sonnenschein zu sein. Hier war Leben und eisfreies Land, nicht mehr das ewige Treibeis! Ueberall Bärenfährten, hier und da auch Fuchsfährten. Auf dem Meeresgrunde dicht am Strande sah ich ganze Wälder von Seetang ( Laminaria und Fucus). Unter den Klippen bemerkte man da und dort Schneefelder mit hübschem, rosenfarbigem Schnee. Die Farbe rührt von einer zierlichen mikroskopischen rothen Alge her, die auf dem Schnee wächst. Man sah auch einige gelblich-grüne Flecken im Schnee, die sicherlich einer andern Algenart zugeschrieben werden müssen.

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Auf der Torup-Insel.

Auf der Nordseite der Insel trafen wir an einer Bergwand Scharen von Mantelmöven, die hier nisteten; sie saßen mit ihren Jungen auf den vorspringenden Rändern der Klippen. Natürlich mußten wir hinaufklettern und uns eine photographische Aufnahme dieses ungewöhnlichen Familienlebens sichern. Als wir hoch oben auf dem Berge standen, konnten wir auf das Treibeis zurückblicken, von dem wir gekommen waren. Wie eine weiße Ebene lag es unter uns und verschwand am fernen Horizont. Darüber weg waren wir gewandert. und noch weiter draußen trieb die »Fram« mit unsern Gefährten.

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Auf der Nordseite der Torup-Insel.

Ich hatte beabsichtigt, auf den Gipfel dieser Insel zu klettern, um eine bessere Aussicht zu erhalten und vielleicht der Lösung des Problems, wo wir eigentlich waren, näher zu kommen. Aber als wir uns an der Westseite der Insel befanden, setzte der Nebel wieder ein und umhüllte den Gipfel, sodaß wir uns damit begnügen mußten, eine Strecke am Abhange hinaufzugehen und nach dem Wasser im Westen auszuschauen. Eine Strecke weit hinaus bemerkten wir offenes Wasser; es sah aus wie das Meer selbst, aber bevor man es erreichen konnte, war noch ziemlich viel Eis zu passiren. Am Lande entlang zog sich eine Strecke weit eine Rinne. Wir probirten sie; sie war jedoch überall mit einer so dünnen neuen Eisschicht bedeckt, daß wir sie mit unsern Kajaks nicht zu durchbrechen wagten, es wären sonst Löcher in unsere Fahrzeuge geschnitten worden. Etwas weiter südlich legten wir daher schließlich an, um die Kajaks hinaufzuschleppen und uns wieder auf dem Eise zu halten. Während wir damit beschäftigt waren, steckte ein ungeheuerer bärtiger Seehund nach dem andern den Kopf neben dem Rande des Eises hervor und stierte uns mit seinen großen Augen verwundert an; dann pflegten sie mit einem gewaltigen Kopfsprung, wobei das Wasser nach allen Richtungen umherspritzte, zu verschwinden, um bald darauf an der andern Seite wieder aufzutauchen. Sie spielten fortwährend um uns herum, schnaubend, tauchend, wieder erscheinend und sich überschlagend, sodaß das Wasser rundum schäumte. Es wäre leicht genug gewesen, einen zu erlegen, wenn wir Bedarf gehabt hätten.

Endlich, nach großer Anstrengung, standen wir am Rande des Eises. Vor uns lag die blaue Wasserfläche so weit das Auge reichte, und wir dachten daher, daß wir in Zukunft nur noch mit ihr zu thun haben würden. Nach Norden war Land, Es ergab sich später, daß es Kronprinz-Rudolf-Land war. dessen steile schwarze Basaltklippen senkrecht in die See abfielen. Wir sahen Vorgebirge hinter Vorgebirge sich nach Norden erstrecken und konnten in der weitesten Ferne einen bläulichen Gletscher erkennen. Das Innere war überall gletscherbedeckt. Zwischen den Wolken und dem Lande war ein Streifen des röthlichen Nachthimmels, der sich in der sich hin- und herbewegenden melancholischen See widerspiegelte.

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Aussicht von Kap Felder nach Norden.

Nunmehr paddelten wir weiter an dem Gletscher entlang, der das ganze Land südlich von uns bedeckte. Unsere Aufregung nahm zu, je mehr wir uns dem Vorgebirge im Westen näherten. Würde die Küste sich hier südwärts wenden und war westwärts kein Land mehr? Das war es, was, wie wir erwarteten, unser Schicksal entscheiden mußte; entscheiden, ob wir die Heimat noch in diesem Jahre erreichen oder gezwungen sein würden, irgendwo in diesem Lande zu überwintern. Immer näher kamen wir heran, an dem Rande der senkrechten blauen Eiswand entlang. Endlich hatten wir das Vorgebirge erreicht, und das Herz hüpfte im Leibe vor Freude: die Küste wandte sich nach Süden und Wasser, nur Wasser lag im Westen! Wir erblickten auch einen kahlen Berg, der in einiger Entfernung aus dem Gletscher hervorragte; es war ein merkwürdig hoher Rücken, so scharf wie eine Messerklinge. Dieser Berg muß Payer's Kap Felder sein. Ich glaube es auf einer seiner von Kap Brorok aus aufgenommenen Skizzen wiedererkennen zu können. Er war der steilste und schärfste, den ich noch gesehen hatte, dunkler, säulenförmiger Basalt mit Zinnen und Zacken, sodaß er wie ein Kamm aussah. In der Mitte des Berges war ein seichter Einschnitt, und dort kletterten wir hinauf, um uns den Wasserweg nach Süden hin zu betrachten. Ein schneidender Wind blies in dem Einschnitt. Die Felsenmauer war dort keineswegs breit. An der Südseite stürzte sie senkrecht über hundert Meter auf den flachen Strand ab.

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Am Rande des Eises entlang.

Während wir dort lagen, vernahm ich plötzlich ein Geräusch hinter mir, und als ich mich umsah, erblickte ich zwei Füchse, die um einen Krabbentaucher kämpften, den sie soeben gefangen hatten. Sie kratzten und zerrten und rissen sich dicht am Rande des Abgrundes aufs heftigste, bis sie plötzlich uns, keine zehn Schritt von ihnen entfernt, in Sicht bekamen. Da hörten sie auf zu streiten, schauten verwundert auf und begannen um uns herumzulaufen und uns, erst von der einen, dann von der andern Seite, anzublicken. Ueber uns flogen Scharen Krabbentaucher hin und her und ließen unaufhörlich ihren schrillen Schrei von den Absätzen der Bergwand hören. Soweit wir sehen konnten, schien dem Lande entlang nach Westen hin offene See zu sein. Der Wind war günstig, und obwol wir ermüdet waren, beschlossen wir doch, die Gelegenheit zu benutzen, etwas zu genießen, dann Mast und Segel auf den Kajaks aufzurichten und abzusegeln. Wir segelten bis zum Morgen; dann legte sich der Wind, wir landeten wieder an der Kante des festen Eises und schlugen unweit des Kaps Brögger das Lager auf.

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Lager am Kap Brögger.

Ich freue mich wie ein Kind bei dem Gedanken, daß wir jetzt endlich an der Westküste von Franz-Joseph-Land sind, offenes Wasser vor uns haben und unabhängig von Eis und Strömungen sind.

Mittwoch, 24. August. Die Widerwärtigkeiten wollen in diesem Leben kein Ende nehmen. Als ich zuletzt schrieb, war ich erfüllt von Hoffnung und Muth. Und hier werden wir nun durch stürmisches Wetter schon den siebenten Tag aufgehalten von dem Eise, das dicht gegen die Küste gepackt und von allen Seiten unzugänglich geworden ist. Wir sehen nichts als aufgethürmte Rücken, Hügel und zerstückeltes Eis ringsum. Muth ist wol noch vorhanden, aber die Hoffnung – die Hoffnung, bald wieder zu Hause zu sein, ist schon seit langer Zeit aufgegeben, und vor uns liegt die Gewißheit eines langen, dunkeln Winters in dieser Umgebung.

Es war um Mitternacht zwischen dem 17. und 18., als wir bei wunderschönem Wetter unsern letzten Lagerplatz verließen. Es war bewölkt und die Sonne nicht sichtbar, aber man sah doch längs des Horizonts im Norden den herrlichsten röthlichen Glanz mit von der Sonne goldig geränderten Wolken, und das Meer lag glänzend und träumerisch in seiner Farbenpracht: eine wundervolle Nacht. Auf der Meeresfläche, die so glatt wie ein Spiegel war, ohne einen Eisblock, so weit das Auge reichte, glitten die Kajaks dahin, während das Wasser bei jedem leisen Schlag von den Rudern rieselte. Es war wie eine Gondelfahrt auf dem Canal grande in Venedig, und wir hätten es uns nicht besser wünschen können. Doch lag beinahe etwas Unheimliches in all dieser Stille, und das Barometer war rasch gefallen.

Inzwischen steuerten wir rasch auf das Kap im Südwesten zu, das ich 22 Kilometer entfernt schätzte und das von mir später nach Clements Markham benannt wurde. Nach einigen Stunden erblickten wir Eis voraus, jedoch hielten wir es beide nur für einen Streifen mit der Strömung treibender loser Eisstücke und paddelten vertrauensvoll weiter. Als wir aber allmählich näher kamen, sahen wir, daß das Eis ziemlich zusammenhängend war und sich immer weiter hinaus erstreckte, obgleich es von den niedrigen Kajaks aus nicht leicht war, die genaue Ausdehnung des Packeises zu übersehen. Wir kletterten auf einen Hügel, um die beste Route ausfindig zu machen.

Der Blick, der sich uns bot, war nichts weniger als ermuthigend. Auf der Höhe des Vorgebirges, nach welchem wir steuerten, war eine Anzahl kleiner Inselchen und Felsen, die sich weit in die See hinauserstreckten; sie waren es, die das Eis festhielten, das in allen Richtungen lag, zwischen und außerhalb von ihnen. In der Nähe von uns war es etwas aufgelockert, aber weiter hinaus sah es viel schlimmer aus, sodaß ein weiteres Vordringen zu Wasser vollständig außer Frage stand. Unser einziger Ausweg war, uns am Rande des Küsteneises zu halten und zu hoffen, daß zufällig ihm entlang eine Rinne eine Strecke weit laufen möge. Auf dem Wege zum Lande kamen wir an einem Seehund vorbei, der auf einer Scholle lag, und da unsere Vorrathskammer leer zu werden begann, so versuchte ich, ihn zum Schuß zu bekommen. Er tauchte jedoch ins Wasser, noch ehe wir in Schußweite gelangt waren.

Während wir durch kleine Eisstücke weiter paddelten, erhielt mein Kajak plötzlich von unten einen heftigen Stoß. Ich blickte mich überrascht um, da ich rundherum keine großen Stücke Eis bemerkt hatte. Es war auch nichts Derartiges zu sehen, aber es waren schlimmere Feinde in der Nähe. Kaum hatte ich einen Blick nach unten geworfen, als ich ein ungeheueres Walroß sah, das hinter mir das Wasser durchschnitt. Es kam plötzlich nach oben, richtete sich auf und stand aufrecht vor Johansen, der in meinem Kielwasser folgte. In der Befürchtung, daß das Thier in der nächsten Minute seine Hauer durch das Deck seines Fahrzeugs bohren möchte, ruderte er, so stark er konnte, rückwärts und griff nach seiner Büchse, die er im Kajak liegen hatte. Auch ich besann mich nicht und zog mein Gewehr aus dem Futteral. Das Thier stürzte sich jedoch schnaubend wieder ins Wasser, tauchte unter Johansen's Kajak durch und kam gerade hinter ihm wieder empor. Johansen meinte, genug von einem solchen Nachbar zu haben, und kletterte hurtig auf die ihm nächste Scholle. Ich folgte seinem Beispiel, nachdem ich eine Weile mit der Büchse im Anschlage gewartet hatte, daß das Walroß in meiner Nähe wieder auftauchen sollte. Das hätte mich beinahe ein kaltes Bad gekostet, welches das Walroß mir zu geben versäumt hatte. Denn gerade als ich den Fuß auf den Rand des Eises setzte, gab dieses nach, und das Kajak trieb ab, während ich aufrecht darin stand und so gut wie möglich das Gleichgewicht zu halten suchte, um nicht zu kentern. Wäre das Walroß gerade in diesem Augenblicke wieder erschienen, dann würde ich es sicherlich in seinem eigenen Elemente empfangen haben. Schließlich gelang es mir, auf das Eis zu kommen. Lange noch schwamm das Walroß immer um unsere Scholle herum, wo wir die Zeit damit ausnutzten, daß wir unser Mittagsmahl einnahmen. Bald war es bei Johansen's Kajak, bald bei dem meinen. Wir konnten sehen, wie es im Wasser unter den Kajaks hinschoß; es hatte augenscheinlich sehr große Lust, uns nochmals anzugreifen. Wir gedachten erst, ihm eine Kugel zuzuschicken, um es los zu werden, hatten jedoch keine sehr große Neigung, dafür eine Patrone zu opfern, und außerdem zeigte das Thier uns auch nur Nase und Stirn, die just nicht die besten Zielpunkte sind, wenn man es mit einem Schusse tödten will. Es war ein großes männliches Walroß.

Es ist etwas merkwürdig Phantastisches, Prähistorisches an diesen Ungethümen. Unwillkürlich mußte ich an einen Triton oder etwas Aehnliches denken, als es hier lange Zeit pustend und schnaubend dicht unter der Oberfläche des Wassers lag und uns mit seinen runden, glasigen Augen anglotzte. Nachdem es dies einige Zeit lang fortgesetzt hatte, verschwand es ebenso spurlos, wie es gekommen war.

Da wir unser Mahl beendet hatten, konnten wir die Fahrt ungehindert fortsetzen, froh, zum zweiten mal nicht umgeworfen oder von den Hauern des Walrosses vernichtet worden zu sein. Das Seltsamste dabei war, daß es so plötzlich aus der Tiefe auftauchte. Johansen hatte zwar einige Zeit vorher ein starkes Plätschern hinter sich gehört, aber gedacht, es sei ein Seehund; möglicherweise kann es das Walroß gewesen sein.

Die Rinne längs des Küsteneises befriedigte uns wenig, da sie vollständig mit jungem Eise bedeckt war, sodaß wir nicht vorwärts kommen konnten. Dazu hatte sich noch Wind aus Südsüdwest aufgemacht, und das Eis trieb auf uns zu, sodaß uns nichts weiter übrigblieb, als den Rand des Eises anzulaufen und zu warten, bis es sich wieder lockern würde. Wir holten daher den Schlafsack hervor, breiteten das Zelt über uns aus und legten uns zur Ruhe, in der Hoffnung, daß wir bald weiter fahren könnten. Das sollte jedoch nicht sein. Der Wind frischte auf, das Eis schob sich immer dichter zusammen, und bald war nach keiner Richtung mehr offenes Wasser zu sehen, und selbst das offene Meer, von dem wir hergekommen waren, war verschwunden. Alle unsere Hoffnungen, in diesem Jahre noch die Heimat zu erreichen, sanken mit einem Schlage. Nach einer Weile sahen wir ein, daß nichts anderes zu machen sei, als unsere Lasten weiter auf das Küsteneis hinaufzuschleppen und das Lager aufzuschlagen. Zu versuchen, die Kajaks weit über das unebene Eis zu schleppen, das schlimmer war als alles Eis, das wir je angetroffen hatten, hielten wir für nutzlos. Wir würden an einem Tage nicht sehr weit gekommen sein, und es hätte uns mit den Kajaks auf den kurzen Schlitten zwischen all diesen Rücken und Hügeln theuer zu stehen kommen können. Wir warteten daher Tag und Nacht darauf, daß der Wind sich legen oder sich drehen sollte. Er wehte aber ohne Unterlaß, immer aus derselben Richtung, und die Sachlage wurde durch starken Schneefall, der das Eis absolut unpassirbar machte, nicht verbessert.

Unsere Lage war keineswegs angenehm: vor uns massives, aufgebrochenes Meereis, dicht bei Land, und Gott weiß, ob es sich in diesem Jahre wieder öffnen wird; eine größere Strecke hinter uns Land ( Kap Helland), welches nichts weniger als zum Ueberwintern einladend aussieht; um uns herum unpassirbares Eis und dabei unser Proviant stark auf der Neige. Die Südküste des Landes und Eira-Hafen erschienen uns jetzt als ein wahres Kanaan, und wir meinten, alle unsere Sorgen würden vorüber sein, wenn wir nur dort wären. Wir hofften, Leigh Smith's Hütte oder doch einige Ueberbleibsel davon finden zu können, sodaß wir etwas haben würden, um darin zu leben. Wir hofften auch, daß da, wo zweifellos viel offenes Wasser sei, es auch leicht sein müsse, Wild zu finden. Wir bedauerten, nicht einige Seehunde geschossen zu haben, als sie so zahlreich waren; am Abend, als wir unsern letzten Lagerplatz verließen, waren viele in der Nähe. Als Johansen am Rande des Eises stand und etwas an seinem Kajak richtete, war ein Seehund gerade vor ihm aufgetaucht; er hatte gemeint, es sei eine Art, die er noch nicht gesehen hätte, und hatte mich gerufen. Aber in demselben Augenblicke war in aller Stille ein schwarzer Kopf nach dem andern, zehn bis zwanzig an der Zahl, in die Höhe gekommen, die ihn alle mit ihren großen Augen anstarrten. Er war ganz verdutzt und glaubte, es sei der reine Spuk; ebenso geräuschlos wie sie gekommen, waren sie wieder verschwunden.

Ich tröstete ihn und sagte, es sei wirklich eine Art, die wir auf unserer Reise noch nicht gesehen hätten; es seien junge grönländische Seehunde ( Phoca groenlandica). Im Laufe des Tages sahen wir noch mehrere Heerden davon.

Mittlerweile vertrieben wir uns die Zeit, so gut wir konnten, hauptsächlich mit Schlafen. Früh am Morgen des 22., ich dachte gerade darüber nach, was aus uns werden sollte, wenn das Eis sich nicht lockern sollte und wir keine Gelegenheit haben würden, uns neuen Fleischvorrath zu verschaffen, hörte ich draußen etwas scharren und sich bewegen. Es konnte wie gewöhnlich eine Eispressung sein, doch erschien es mir als nichts dergleichen. Ich sprang auf, da hörte ich es auch schon an der Zeltwand schnüffeln. Ich guckte durch einige Löcher an der einen Seite, sah aber nichts; dann ging ich nach einem großen Loch an der andern Seite, und nun erblickte ich einen ungeheuern Bären. Er bekam mich im selben Augenblick ebenfalls in Sicht und schlich davon, blieb dann aber wieder stehen und blickte nach dem Zelte zurück. Im Nu hatte ich die Büchse von der Zeltstange herabgerissen, schob sie durch das Loch und sandte dem Bären eine Kugel mitten in die Brust. Er stürzte vornüber, erhob sich aber wieder und taumelte davon, sodaß ich ihm den Inhalt des andern Laufes in die Seite geben mußte. Er stolperte noch weiter, stürzte dann aber in geringer Entfernung zwischen einigen Hügeln nieder. Es war ein ungewöhnlich großes Männchen. Vorläufig sind alle unsere Sorgen wegen unserer Nahrung zu Ende. Aber der Wind bläst unverdrossen aus derselben Richtung. Da wir an der Stelle, wo wir gelagert hatten, nicht viel Schutz fanden und ferner in unbehaglicher Nähe des Rückens waren, an dem das Eis sich beständig zusammenschob, so verlegten wir unsern Aufenthalt weiter einwärts auf das Ufereis, wo wir noch liegen. Gestern Abend war wieder ein Bär in der Nähe, aber dem Zelte nicht ganz so nahe.

Gestern machten wir einen Ausflug nach dem Lande bei Kap Helland, um zu sehen, welche Aussichten wir haben würden, wenn wir gezwungen sein sollten, hier zu überwintern. Ich hatte gehofft, weiter im Lande flacheres Eis zu finden; allein statt dessen wurde es, je näher wir demselben kamen, immer schlechter, und direct unter dem Kap ragte es hoch in die Höhe, sodaß man nicht in die Nähe kommen konnte. Das Eis war bis zum Gletscher aufgethürmt. Wir bestiegen diesen letztern und blickten nach dem Sunde im Norden des Kaps hinaus. Eine kleine Strecke sah das Eis flacher aus, mehr wie Buchteneis; jedoch waren nirgends Rinnen zu erblicken, in denen wir auf Seehunde hätten rechnen können. Auch war dort keine Stelle für eine Hütte, während andererseits an der Südseite des Kaps ein ganz einladender Platz war, da das Terrain ziemlich eben war und auch etwas Kräuter und Gras sowie Moos und Steine zum Bauen vorhanden waren. Weiter draußen am Strande stieg das Eis jedoch wieder nach allen Seiten in chaotischer Verwirrung empor. Etwas ebener war es in der Richtung des Fjords oder Sundes, der weit ins Land hinein nach Südosten lief, wo das Eis bald in flaches Buchteneis überging. Doch befanden sich auch dort keine Oeffnungen, in denen wir Seehunde zu fangen hoffen konnten; es sah also mit Wild nicht gerade gut aus. Wir trösteten uns jedoch mit der Erwägung, daß in allen Richtungen Bärenfährten seien und Bären im Nothfalle unsere einzige Quelle für Nahrung und Bekleidung sein würden. In den Klippen über uns nisteten Scharen von Krabbentauchern wie an allen ähnlichen Stellen, an denen wir vorübergekommen waren. Auch sahen wir einen Fuchs.

Das Gestein war grobkörniger Basalt. Jedoch entdeckten wir neben dem Gletscher einen Hügel von losem, halb verwittertem Thonschiefer, in welchem wir aber keine Versteinerungen finden konnten. Auch einige Blöcke, die wie Granit aussahen, lagen umher. Ich sammelte Proben der verschiedenen Gesteine, Flechten u. s. w., welche wir antrafen, jedoch wurde meine Sammlung im Laufe des Winters von Füchsen gestohlen, sodaß ich aus den Gegenden nördlich von unserm Winterlager wenig mit nach Hause gebracht habe.] Ueberall am Strande waren die Gletscher mit rothem Schnee bedeckt, der sich im Sonnenschein herrlich ausnahm.

Beide waren wir einig, daß es möglich sei, hier zu überwintern, hofften aber, daß es das erste und letzte mal sein möge, daß wir diese Stelle beträten. Der Weg dorthin war so schlecht, daß wir kaum wußten, wie wir die Schlitten und Kajaks hinbringen sollten.

Heute ist endlich der Witterungsumschlag eingetreten, auf den wir so sehnlich gewartet haben. In der Nacht flaute der Südwestwind ab. Das Barometer, das ich täglich vergeblich angestoßen hatte, hat endlich zu steigen begonnen, und der Wind ist nach der entgegengesetzten Richtung herumgegangen. Es fragt sich jetzt, ob er sich dort hält und im Stande sein wird, das Eis wieder hinauszutreiben. –

 

Nun kommt eine große Lücke in meinem Tagebuche, und erst spät im Winter (Freitag, 6. December) schreibe ich:

»Endlich muß ich dieses Loch in meinem Tagebuche zu flicken suchen. Ich habe mich um so viele Dinge bekümmern müssen, daß ich nicht zum Schreiben kommen konnte; diese Entschuldigung ist jedoch jetzt nicht mehr gültig, da wir den ganzen Tag schlafen.«

Nachdem ich mein Tagebuch für den 24. August geschrieben hatte, ging ich hinaus, um einen bessern und geschütztern Platz zu suchen, da der Wind sich gedreht hatte und nun gerade ins Zelt hineinblies. Ich hoffte auch, daß dieser Landwind das Eis öffnen werde, und machte mich daher zunächst auf, um nachzusehen, ob am Rande des Küsteneises kein Anzeichen von Lockerung zu entdecken sei; allein die Schollen lagen noch ebenso fest zusammengepackt wie vorher. Ich fand jedoch einen vorzüglichen Platz zum Aufschlagen des Zeltes, und wir waren eifrig damit beschäftigt, dorthin umzuziehen, als wir wahrnahmen, daß das Eis landwärts zerrissen und bereits eine breite Rinne entstanden war. Wir wünschten gewiß, daß das Eis sich öffnen möchte, nicht aber auf der dem Lande zugewendeten Seite. Nun handelte es sich darum, um jeden Preis wieder auf das Küsteneis zu gelangen, um nicht mit dem Packeise in die See hinauszutreiben. Allein der Wind hatte sich zu einer steifen Brise erhoben, und es war mehr als zweifelhaft, ob wir es fertig bringen könnten, gegen denselben anzurudern, selbst für die kurze Entfernung über die Rinne. Diese wurde zusehends breiter und breiter. Wir mußten indeß einen Versuch machen und gingen daher am Rande des Eises entlang nach einer Stelle weiter östlich, wo wir unserer Ansicht nach, wenn wir die Kajaks ins Wasser lassen würden, etwas mehr Schutz vor dem Winde hätten.

Bei der Ankunft daselbst fanden wir jedoch, daß es auch hier keine leichte Sache sein würde, sie flott zu machen, ohne daß sie vollschlügen. Es wehte so, daß der Schaum über das Wasser getrieben und der Wasserstaub weit über das Eis geschleudert wurde. Es war daher wenig anderes zu thun, als unser Zelt aufzurichten und auf bessere Zeiten zu warten. Mehr als je eilten wir, Schutz im Lee zu finden, um das Zelt vor dem Zerreißen durch den Wind zu bewahren. Aber soviel wir auch suchen und auf- und abwandern mochten, es gelang uns doch nicht, einen dauernden Rastplatz zu finden, und wir mußten uns schließlich mit dem spärlichen Schutze einer kleinen Erhöhung begnügen, die, wie wir glaubten, ausreichen würde. Noch hatten wir nicht lange gelegen, als die Windstöße solche Angriffe auf das Zelt machten, daß wir es für das rathsamste hielten, es herunterzulassen, um sein Zerreißen zu verhüten.

Nunmehr konnten wir unter dem niedergelegten Zelt ruhig in unsern Säcken schlafen, mochte der Wind auch über uns wüthen. Nach einer Weile wachte ich auf und bemerkte, daß der Wind sehr nachgelassen hatte, sodaß wir unser Zelt wieder aufrichten konnten; ich kroch daher hinaus, um nach dem Wetter zu sehen. Wenig angenehm wurde ich überrascht, als ich dabei entdeckte, daß wir schon weit in die See hinausgetrieben waren. Wir mußten 8 bis 15 Kilometer vom Lande entfernt sein, und zwischen ihm und uns lag die offene See. Das Land erschien jetzt ganz niedrig, weit draußen am Horizont. Inzwischen hatte das Wetter sich aber beträchtlich gebessert, und wir machten uns daher nochmals am Rande des Eises entlang auf, um die Kajaks zu Wasser zu bringen. Das war aber keine leichte Sache. Noch immer wehte es stark, und die See ging hoch. Dazu kam, daß eine Anzahl loser Schollen umhertrieb, die beständig in Bewegung waren, sodaß wir davor auf der Hut sein mußten, um zu verhindern, daß die Kajaks zwischen ihnen zermalmt würden. Nach einigen vergeblichen Versuchen wurden wir endlich flott, aber nur um zu finden, daß Wind und Wogen zu stark waren; wir wären kaum im Stande gewesen, gegen beide nennenswerth weiter zu kommen. Unser einziger Ausweg war daher, zu segeln, wenn dies ausführbar war. Wir legten uns an einem Vorsprung im Eise fest, banden die beiden Kajaks zusammen, richteten den Mast auf und stachen wieder in See. Bald hatten wir ein Segel gehißt und fanden nun zu unserer unaussprechlichen Freude, daß wir vorzüglich weiter kamen. Endlich sollten wir dem Eise Lebewohl sagen, wo wir unsere Hoffnung, in diesem Jahre die Heimat zu erreichen, hatten aufgeben wollen. Stundenlang setzten wir die Segelfahrt fort und machten gute Fortschritte; dann aber nahm der Wind für unser einfaches Segel zu sehr ab, worauf ich es wagte, das ganze Doppelsegel aufzuziehen. Kaum war dies jedoch geschehen, als der Wind wieder einsetzte, sodaß wir rauschend dahinschossen. Bald wurde dies etwas zu viel; die See spülte über das im Lee gelegene Kajak, der Mast bog sich in gefährlicher Weise, und die Lage war nicht sehr anheimelnd. Es blieb uns weiter nichts übrig, als das Segel so rasch wie möglich einzureißen. Wir hißten das einfache Segel wieder auf und waren für einige Zeit von dem Wunsche geheilt, weitere Versuche anzustellen.

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Segelfahrt längs der Küste.

Es ging den ganzen Tag stetig und gut vorwärts. Endlich mußte einmal das schwierige Kap passirt werden, an dem wir eine ganze Woche gelegen hatten. Aber erst am Abend hatten wir es hinter uns. Nun nahm der Wind so sehr ab, daß wir wieder das Doppelsegel aufhissen mußten, aber selbst dann ging es nur langsam weiter. Wir setzten jedoch auch während der Nacht die Fahrt längs der Küste fort, entschlossen, den Wind soviel wie möglich auszunutzen. Wir passirten ein niedriges Kap, das von einem sanft abfallenden Gletscher bedeckt war. Da dieses Kap wahrscheinlich das Land ist, welches Jackson im Frühjahr 1895 als nördlichstes gesehen hatte, so hat es auf meiner Karte keinen Namen. Anders ist es mit den Inseln an der Außenseite, die Jackson nicht bemerkt hat. Sie sind nur annähernd (als Geelmuyden-Insel und Alexander-Inseln) angegeben, weil ich über ihre Zahl und ihre genaue Lage nicht ganz sicher bin. Draußen lag eine Anzahl Inseln, die, wie wir meinten, das Eis festgehalten haben mußten. Etwas weiter hin kamen wir an hohen Basaltklippen vorbei, und hier hörte der Wind vollständig auf. Da außerdem unsichtiges Wetter war und wir zur Rechten wie zur Linken von uns Land und Inseln unterscheiden konnten, sodaß wir nicht wußten, in welcher Richtung wir steuern sollten, legten wir an, zogen die Kajaks auf den Strand, schlugen das Zelt auf und kochten uns eine tüchtige warme Mahlzeit, die uns in dem Bewußtsein, ein gutes Tagewerk vollbracht zu haben, ausgezeichnet schmeckte. Ueber unsern Köpfen an der ganzen Bergwand hinauf lärmten unaufhörlich die Krabbentaucher, getreulich unterstützt von den Elfenbein- und Stummelmöven, den Mantel- und Raubmöven. Wir schliefen deshalb jedoch nicht schlechter. Es war ein hübscher Berg; er bestand aus dem schönsten Säulen-Basalt, den man sich nur denken kann. Die Pfeiler und Nischen an der Außenseite der Klippe und die unzähligen Zacken und Spitzen an jedem Kamm erinnerten an den Mailänder Dom. Von oben bis unten folgte eine Säule auf die andere, bis sie sich am Fuße in der Geröllhalde verloren.

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Unser Lagerplatz am 25. und 26. August 1895.

Als wir am nächsten Morgen aufstanden, hatte sich das Wetter so weit aufgeklärt, daß wir den Weg, den wir einschlagen sollten, besser sehen konnten. Es schien, als ob sich ein tiefer Fjord oder Sund vor uns ostwärts erstreckte, und unser Weg führte deutlich um eine Spitze, die wir ungefähr in Südsüdwest an der andern Seite des Fjords sahen. In dieser Richtung schien das Wasser offen zu sein, während innerhalb des Fjords festes Eis und draußen in der See überall Treibeis lag. Durch die nebelige Luft konnten wir auch mehrere Inseln unterscheiden. Diese Inseln, drei an der Zahl, die wir später anpeilen und von unserer Winterhütte aus sehen konnten, sind wahrscheinlich das Land, welches Jackson gesehen und für »König-Oskar-Land« gehalten hat. Weil er sie nur von einem Punkte (seinem Kap Fisher) aus gesehen hat, der rechtweisend Süd auf 81° Breite liegt, hat er die Entfernung überschätzt und sie daher 40' zu weit nach Norden (auf 82°) verlegt. (Man vgl. seine Karte im Geographical Journal, Bd. VII, Nr. 6, December 1896, London.) Hier hinein war auch, wie wir es morgens gewöhnlich fanden, im Laufe der Nacht eine große Menge Eis getrieben, ausgedehnte flache und dünne Schollen, die sich vor uns festgelegt hatten, und es sah aus, als ob wir schwere Arbeit haben würden, um in offenes Wasser zu gelangen. Es ging jedoch etwas besser, als wir erwartet hatten, und wir kamen durch, ehe sich das Eis vollständig schloß. Vor uns war jetzt offenes Wasser bis über das weit vorn liegende Vorgebirge hinaus. Das Wetter war gut, und alles schien einen erfolgreichen Tag zu versprechen. Da es vom Fjord her ein wenig zu wehen begann, und wir hofften, daß Segelwind daraus werden möchte, so legten wir neben einem kleinen Felseneiland an, das aus der See wie ein großer Stein gerade emporstieg, und takelten dort Mast und Segel auf. Allein aus dem Segelwinde wurde nichts, sodaß wir bald gezwungen waren, wieder abzutakeln und uns auf das Rudern zu verlegen. Wir waren noch nicht weit gepaddelt, als der Wind herumging und aus der entgegengesetzten Richtung, Südwest, kam. Er nahm rasch zu, und bald lief eine hohe See; der Himmel im Süden überzog sich, und es sah aus, als ob ein Sturm kommen wollte. Wir waren noch mehrere Kilometer vom Lande auf der andern Seite des Fjords und hätten vielleicht noch stundenlang schwer rudern müssen, ehe wir das Land gewonnen hätten. Wie es so da lag, vom Gipfel bis an die Küste mit Gletschern bedeckt, sah es nichts weniger als anmuthend aus; nur an einer Stelle ragte ein kleiner Felsen hervor. Nach Lee zu hatten wir den Rand des niedrigen und keinen Schutz gewährenden Küsteneises. Die Wellen brachen sich daran, und es würde kein guter Platz gewesen sein, um dort Zuflucht zu suchen, falls dies nöthig werden sollte. Am besten würde es sein, an Land zu gehen und zu sehen, wie das Wetter sich machen würde. Die Aussicht, nochmals im Treibeise eingeschlossen zu werden, war nicht verlockend; wir hatten schon genug davon und steuerten daher auf das Land zu, das eine kleine Strecke hinter uns lag und ganz einladend aussah. Sollte es schlimm werden, so war dort vielleicht ein guter Platz zum Ueberwintern zu finden.

Kaum hatte ich den Fuß an Land gesetzt, als ich eine kleine Strecke landeinwärts einen Bären sah. Wir zogen deshalb die Kajaks herauf, um den Bären zu schießen. Inzwischen kam er längs der Küste auf uns zugetrottet, weshalb wir uns ruhig hinter die Kajaks legten und warteten. Als er uns ganz nahe war, erblickte er unsere Fußspuren im Schnee, und während er sie noch beschnüffelte, sandte ihm Johansen eine Kugel hinter die Schulterblätter. Der Bär brüllte und versuchte zu laufen, jedoch war die Kugel durch das Rückgrat gedrungen, das Hintertheil seines Körpers war gelähmt und versagte seine Dienste. Ganz verwirrt setzte sich der Bär nieder und biß und schlug seine Hinterpfoten, daß sie bluteten; es war, als ob er sie durch Prügeln veranlassen wollte, ihre Pflicht zu thun. Dann versuchte er wieder, sich fortzubewegen, allein mit demselben Resultat; der hintere Theil seines Körpers schleppte nach, sodaß das Thier, im Kreise herumgehend, sich nur auf den Vorderbeinen weiter schieben konnte. Eine Kugel durch den Schädel machte seinen Leiden ein Ende.

Nachdem wir den Bären abgehäutet hatten, unternahmen wir einen Ausflug ins Innere des Landes, um unser neues Reich zu besichtigen, und waren nicht wenig überrascht, als wir in der Nähe der Stelle, wo ich den Bären zuerst erblickt hatte, zwei Walrosse ruhig auf dem Eise liegen sahen. Dies schien mir zu beweisen, wie wenig die Walrosse Bären zu beachten scheinen und daß diese sich mit Walrossen ungern einlassen. Ich erhielt hiervon später noch überzeugendere Beweise. Weiter draußen im Meere erblickten wir ebenfalls ein Walroß, das fortwährend den Kopf aus dem Wasser streckte und so stark Luft holte, daß man es auf weite Entfernung hören konnte. Etwas später sah ich, wie es sich dem Rande des Eises näherte und verschwand, um in der durch die Flut entstandenen Rinne nahe am Lande eine tüchtige Strecke vom Rande des Eises wiederzuerscheinen. Es schlug die großen Hauer ins Eis, während es schwer Athem holte, wie ein erschöpfter Schwimmer. Dann hob es sich hoch auf den Hauern empor, blickte über das Eis dahin, wo die andern lagen, und tauchte wieder unter. Bald darauf erschien es mit sehr viel Geräusch weiter landeinwärts, worauf es das Manöver von vorhin wiederholte.

Ein Walroßkopf ist, wenn er über dem Wasser erscheint, kein hübscher Anblick. Mit den ungeheuern Hauern, den groben Schnauzborsten und der plumpen Form hat er etwas Wildes und Koboldartiges an sich, das in den Zeiten, als noch mehr Aberglauben herrschte, leicht begreifliche Furcht einflößen und zu der Vorstellung von fabelhaften Ungethümen Anlaß geben konnte, von denen in alten Zeiten diese Gewässer angeblich erfüllt waren.

Endlich kam das Walroß in dem Loche, neben welchem die andern lagen, in die Höhe und hob sich mit den Hauern ein wenig über den Rand des Eises; dadurch erwachte aber das größere der beiden, ein ungeheueres altes Männchen, plötzlich zum Leben. Es grunzte in drohender Weise und bewegte sich ruhelos umher. Der Neuangekommene beugte den Kopf ehrerbietig bis zum Eise herab, zog sich aber bald vorsichtig auf die Scholle hinauf, bis er sich mit der Vorderfinne am Eise festhalten konnte, und warf sich ein kleines Stück hinauf. Nunmehr kam der alte Bulle ganz in Harnisch. Er drehte sich herum, bellte und watschelte an den Neuankömmling heran, um ihm die kolossalen Hauer in den Rücken zu stoßen. Der letztere, der dem alten Bullen an Hauern wie an Größe gleich zu sein schien, verbeugte sich demüthig und legte, wie der Sklave vor dem Sultan, den Kopf aufs Eis, worauf der alte Bulle zu seinem Gefährten zurückkehrte und sich wie vorher ruhig niederlegte. Kaum rührte der Neuangekommene sich aber wieder, nachdem er einige Zeit in seiner knechtischen Lage verharrt hatte, als der alte Bulle grunzend nach ihm stieß, und nun zog sich der andere achtungsvoll zurück. Das wiederholte sich mehreremal. Endlich, nach vielem Hin- und Hermanövriren, gelang es dem Neuankömmling, sich ganz auf die Scholle hinaufzuziehen und schließlich neben die andern zu kommen. Ich glaubte, etwas Liebe müsse hier mit im Spiele sein, entdeckte jedoch später, daß es sämmtlich Männchen waren. In dieser freundschaftlichen Weise empfangen also die Walrosse ihre Gäste. Das Mitglied der Schar, das diese gastlichen Pflichten zu erfüllen hat, scheint besonders ausgewählt zu werden, und ich neige zu dem Glauben, daß es der Führer ist, der sich diese Würde aneignet und jedem Neuankömmling anzuzeigen wünscht, daß ihm gehorcht werden muß. Die Thiere müssen außerordentlich gesellig veranlagt sein, wenn sie trotz solcher Behandlung doch beständig die Gesellschaft der andern suchen und immer dicht beieinander liegen. Als wir etwas später zurückkamen, um nach ihnen zu sehen, hatte sich noch ein Thier hinzugesellt, und am nächsten Morgen lagen sechs nebeneinander. Man sollte fast nicht glauben, daß diese auf dem Eise liegenden Klumpen lebende Thiere sind. Mit eingezogenem Kopfe und die Hinterbeine glatt unter dem Körper legend, verharren sie stundenlang vollständig bewegungslos und sehen aus wie ungeheuere Würste. Es ist leicht zu verstehen, daß diese Burschen sich sicher und ohne Furcht vor irgendetwas in der Welt fühlen.

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Auftauchendes Walroß.

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Walroß-Idyll.

Nachdem wir uns die Walrosse ganz aus der Nähe sattsam betrachtet hatten, kehrten wir zurück, bereiteten uns ein tüchtiges Mahl von dem frisch zerlegten Bären und legten uns am Lande unter dem Zelte zum Schlafen nieder. Am Strande unterhalb des Zeltes machten die Elfenbeinmöven einen fürchterlichen Lärm. Sie hatten sich aus allen Richtungen in Scharen versammelt und konnten sich über die gerechte Vertheilung der Eingeweide des Bären nicht einigen; unaufhörlich kämpften sie und erfüllten die Luft mit ihrem ärgerlichen Geschrei. Es ist eine von den unberechenbaren Launen der Natur, daß sie diesen Vogel so hübsch gemacht und ihm dabei eine so häßliche Stimme gegeben hat. In geringer Entfernung saßen gravitätisch und feierlich die Tauchermöven und schauten zu, wobei sie ihr etwas angenehmer klingendes Geschrei hervorstießen. Draußen auf dem Meere schnaubten und bellten die Walrosse unaufhörlich, doch wurde alles das von den zwei ermüdeten Kriegern im Zelte nicht beachtet; sie schliefen fest, obwol sie nur die nackte Erde als Lager hatten. Mitten in der Nacht wurden wir jedoch durch einen sonderbaren Ton geweckt; es war, als ob ein Mensch wimmere und weine und sich krank fühle. Ich stand auf und sah durch das Guckloch. Da standen neben unserm Bärenfleisch zwei Bären, eine Bärin und ihr Junges, und schnüffelten an den blutigen Spuren im Schnee, wobei die Bärin jammerte, als ob sie um einen theuern Verstorbenen trauere. Unverzüglich ergriff ich meine Büchse und schob sie gerade vorsichtig hinaus, als die Bärin mich am Guckloche erblickte und beide davonrannten, die Mutter voran, das Junge so rasch, wie es konnte, hinterdrein trottend. Ich ließ sie gern laufen – wir hatten wirklich keine Verwendung für sie –, wir drehten uns um und schliefen wieder ein.

Aus dem Sturm, den wir befürchtet hatten, wurde nichts. Der Wind wehte jedoch stark genug, um unser jetzt tüchtig abgenutztes Zelt zu zerreißen und zu zerschlagen. Wo wir lagen, konnten wir keinen Schutz finden. Wir hofften, am nächsten Morgen die Reise fortzusetzen, fanden aber zu unserer Enttäuschung, daß der Weg versperrt war; der Wind hatte das Eis wieder hereingetrieben. Wir müssen für den Augenblick bleiben, wo wir sind. In diesem Falle wollten wir es uns recht gemüthlich machen. Vor allem galt es, einen warmen, wohlgeschützten Platz für das Zelt zu suchen; doch war ein solcher nicht zu finden. Es blieb nichts anderes übrig, als etwas aufzubauen. Wir brachen daher in dem Geröll Steine und schleppten soviel wie möglich zusammen. Das einzige Geräth, das wir zum Steinbrechen hatten, war eine von einem Handschlitten abgeschnittene Kufe; am meisten mußten wir aber unsere bloßen Hände dazu gebrauchen. Wir arbeiteten die ganze Nacht daran. Was nach unserer anfänglichen Absicht nur ein Schutz vor dem Winde sein sollte, wuchs allmählich zu vier Wänden heran, und dann blieben wir bei der Arbeit, bis wir eine kleine Hütte vollendet hatten. Weiß der Himmel, diese Hütte war gerade nichts Rares; nicht einmal so lang, daß ich mit meinen sechs Fuß im Innern ausgestreckt liegen konnte – ich mußte die Füße zur Thür hinausstecken –, und eben breit genug, daß wir beide nebeneinander liegen konnten und noch Raum für den Kochapparat hatten. Das Schlimmste war jedoch die Höhe. Zum Liegen war ja Platz genug, aber anständig gerade zu sitzen war für mich eine Unmöglichkeit. Das Dach war aus unserm dünnen, schwachen Seidenzelt hergestellt, das über Schneeschuhen und Bambusstäben ausgebreitet war. Die Thür schlossen wir mit unsern Jacken, und die Wände waren so lose zusammengesetzt, daß wir auf allen Seiten das Tageslicht durch die Steine sehen konnten. Später nannten wir es die »Höhle«. Es war wirklich eine schreckliche Höhle; nichtsdestoweniger waren wir stolz auf unser Bauwerk. Jedenfalls würde es nicht umgeweht werden, wenn auch der Wind durch dasselbe hindurchblies. Als wir unser Bärenfell als Lager ausgebreitet hatten und warm und behaglich in unserm Sacke lagen, während ein tüchtiger Topf voll Fleisch über der Thranlampe brodelte, fanden wir den Aufenthalt ganz angenehm, und selbst der Umstand, daß es dort so sehr rauchte, daß unsere Augen sich rötheten und uns die Thränen an den Backen herabströmten, konnte unsere Zufriedenheit nicht stören.


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