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General Stumm von Bordwehr betrachtet Besuche bei Diotima als eine schöne Abwechslung in den dienstlichen Obliegenheiten

 

Der kleine, dicke General hatte Diotima abermals seine Aufwartung gemacht. – Obgleich dem Soldaten im Beratungszimmer eine bescheidene Rolle angemessen sei, hatte er begonnen, wage er doch zu prophezeien, daß Staat die Macht sei, sich im Völkerkampf zu behaupten, und daß die militärische Kraft, die man im Frieden entfalte, den Krieg fernhalte. Aber Diotima war ihm sofort ins Wort gefallen. »Herr General!« sagte sie, zitternd vor Zorn »Alles Leben ruht auf Friedenskräften; selbst das Geschäftsleben, wenn man es richtig zu betrachten weiß, ist eine Dichtung.« Der kleine General sah sie einen Augenblick lang bestürzt an, rückte sich aber sogleich im Sattel zurecht. »Exzellenz« pflichtete er bei – und um diese Anrede zu verstehen, muß daran erinnert werden, daß Diotimas Gatte Sektionschef war, daß in Kakanien ein Sektionschef den gleichen Rang hatte wie ein Divisionskommandeur, daß aber nur die Divisionskommandeure ein Anrecht auf die Ansprache Exzellenz besaßen und daß auch ihnen dieses Anrecht nur im dienstlichen Verkehr zukam; da aber der Soldatenberuf ein ritterlicher ist, hätte man darin nicht vorwärtskommen können, wenn man sie nicht auch außer Dienst mit Exzellenz angesprochen hätte, und im Geiste ritterlichen Strebens redete man ihre Gattinnen gleich auch mit Exzellenz an, ohne lang über die Frage nachzudenken, wann sich diese im Dienst befanden –: so verwickelte Zusammenhänge durcheilte der kleine General im Fluge, um Diotima gleich mit dem ersten Wort seiner unbedingten Zustimmung und Ergebenheit zu versichern, und sagte also: »Exzellenz nehmen mir das Wort aus dem Munde. Das Kriegsministerium hat selbstverständlich bei der Bildung der Komitees aus politischen Gründen nicht berücksichtigt werden können, aber wir haben gehört, daß die große Bewegung ein pazifistisches Ziel erhalten soll – eine internationale Friedensaktion, sagt man, oder die Stiftung von heimischen Wandgemälden für den Haager Palast? – und ich kann Exzellenz versichern, wie ungeheuer sympathisch uns das ist. Man macht sich ja gewöhnlich falsche Vorstellungen vom Militär; natürlich, ich will nicht behaupten, daß sich ein junger Leutnant nicht den Krieg wünsche, aber alle verantwortlichen Stellen sind aufs tiefste überzeugt, daß man die Sphäre der Gewalt, die wir nun einmal leider darstellen, mit den Segnungen des Geistes verbinden müsse, genau so, wie Exzellenz es eben gesagt haben.«

Er grub ein kleines Bürstchen aus der Hosentasche und fuhr damit einigemale über seinem kleinen Bart hin und her; es war das eine schlechte Angewohnheit aus seiner Kadettenzeit, wo der Bart noch die ungeduldig erwartete große Lebenshoffnung bildet, und er wußte es gar nicht. Mit seinen großen braunen Augen starrte er Diotima ins Gesicht und suchte die Wirkung seiner Worte abzulesen. Diotima zeigte sich besänftigt, wenn sie es auch niemals in seiner Gegenwart gänzlich war, und geruhte, dem General Aufschlüsse über das zu geben, was seit der großen Sitzung vor sich gegangen war. Der General zeigte sich namentlich von dem großen Konzil begeistert, gab seiner Bewunderung für Arnheim Ausdruck und sprach die Überzeugung aus, daß eine solche Zusammenkunft hervorragend segensreich wirken müsse. »Es gibt ja viele Menschen, die gar nicht wissen, wie wenig Ordnung der Geist hat!« führte er aus. »Ich bin sogar, wenn Exzellenz gestatten, überzeugt, daß die meisten Menschen glauben, täglich einen Fortschritt der allgemeinen Ordnung zu erleben. Sie sehen alles voll von Ordnung; die Fabriken, die Büros, die Eisenbahnfahrpläne und Unterrichtsanstalten, – ich darf da wohl auch mit Stolz unsere Kasernen erwähnen, die mit bescheidenen Mitteln geradezu an die Disziplin eines guten Musikorchesters erinnern –, und man kann hinschaun, wo man will, so sieht man eine Ordnung, eine Geh-, Fahr-, Steuer-, Kirchen-, Geschäfts-, Rang-, Ball-, Sittenordnung und so weiter. Also ich bin überzeugt, daß fast jeder Mensch heute unser Zeitalter für das geordnetste hält, was es je gegeben hat. Haben Exzellenz nicht auch, so im Innersten, dieses Gefühl? Ich wenigstens hab' es. Also ich, wenn ich nicht sehr aufpasse, habe ich sofort das Gefühl, daß der Geist der Neuzeit eben in dieser größeren Ordnung liegt und daß die Reiche von Ninive und Rom an irgendeiner Schlamperei zugrunde gegangen sein müssen. Ich glaube, die meisten Menschen empfinden so und setzen stillschweigend voraus, daß die Vergangenheit zur Strafe vergangen ist, für irgendetwas, das nicht in Ordnung war. Aber diese Vorstellung ist ja freilich eine Täuschung, der sich gebildete Menschen nicht hingeben sollten. Und darin liegt leider die Notwendigkeit der Macht und des Soldatenberufs!«

Der General empfand tiefe Befriedigung darüber, mit dieser geistvollen jungen Frau so zu plaudern; da hatte er einmal eine schöne Abwechslung in den dienstlichen Obliegenheiten. Aber Diotima wußte nicht, was sie ihm antworten sollte; aufs Geratewohl wiederholte sie: »Wir hoffen ja wirklich die bedeutendsten Männer zu versammeln, aber die Aufgabe bleibt auch dann noch schwer. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie mannigfaltig die Anregungen sind, die man empfängt, und man möchte doch das Beste wählen. Aber Sie haben Ordnung gesagt, Herr General: Niemals wird man durch Ordnung, durch nüchternes Abwägen, Vergleichen und Prüfen ans Ziel kommen; die Lösung muß ein Blitz, ein Feuer, eine Intuition, eine Synthese sein! Wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, so ist sie keine logische Entwicklung, wohl aber erinnert sie mit ihren plötzlichen Eingebungen, deren Sinn sich erst nachträglich herausstellt, an eine Dichtung!«

»Halten zugute, Exzellenz,« erwiderte der General »der Soldat versteht wenig von Dichtung; aber wenn jemand einer Bewegung Blitz und Feuer schenken kann, so sind es Exzellenz, das versteht ein alter Offizier!«


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