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Ein großes Ereignis ist im Entstehen. Regierungsrat Meseritscher

 

Als die Zimmer von den Strahlen der Festbeleuchtung und der Gesellschaft erfüllt waren, bemerkte »man« nicht nur Se. Erlaucht neben anderen Spitzen der Aristokratie, für deren Erscheinen er gesorgt hatte, sondern auch Se. Exzellenz den Herrn Kriegsminister und in seinem Gefolge den durchgeistigten, etwas überarbeiteten Kopf des Generals Stumm von Bordwehr. Man bemerkte Paul Arnheim. (Einfach und am wirksamsten ohne Titel. Das Man hatte es sich ausdrücklich überlegt. Litotes nennt man das, kunstvolle Schlichtheit des Ausdrucks, wenn man sich sozusagen ein Nichts vom eigenen Leibe zieht, wie der König den Reif vom Finger, und es einem anderen ansteckt.) Dann bemerkte man alles Nennenswerte aus den Ministerien (der Minister für Unterricht und Kultur hatte sich bei Sr. Erlaucht im Herrenhaus persönlich vom Erscheinen entbunden, weil er am gleichen Tag zur Einweihung eines großen Altargitters nach Linz mußte.) Dann bemerkte man, daß die ausländischen Botschaften und Vertretungen eine »Elite« entsandt hätten. Dann »aus Industrie, Kunst und Wissenschaft« bekannte Namen, und eine alte Allegorie des Fleißes lag in dieser unabänderlichen Zusammenstellung dreier bürgerlichen Tätigkeiten, die sich von selbst der schreibenden Feder bemächtigte. Dann nahm und brachte diese gewandte Feder die Damen zur Kenntnis: Beige, Rosa, Kirsch, Creme...; gestickt und geschlungen, dreimal gerafft oder unter der Taille fallend; und zwischen der Gräfin Adlitz und der Kommerzienrat Weghuber wurde die bekannte Frau Melanie Drangsal genannt, Witwe des weltberühmten Chirurgen, »selbst gewohnt, dem Geist auf liebenswürdige Weise in ihrem Haus eine Stätte zu bereiten«. Endlich kam abgesondert am Ende dieser Abteilung auch noch Ulrich von Soundso mit Schwester, denn Man hatte geschwankt, ob es schreiben solle: »von dessen aufopfernder Tätigkeit im Dienste des hochgeistigen und vaterländisch so erfreulichen Unternehmens man weiß« oder gar: »ein coming man«; man hatte längst gehört, daß von diesem Günstling des Grafen Leinsdorf viele voraussetzten, er könnte seinen Gönner noch einmal zu einer großen Unüberlegtheit verleiten, und die Versuchung, sich beizeiten eingeweiht zu erweisen, war groß. Aber die tiefste Genugtuung des Wissenden ist immer das Schweigen gewesen, zumal wenn er vorsichtig ist; und dem verdankten Ulrich und Agathe eine blanke Stellung ihrer Namen als Nachzügler unmittelbar vor jenen Spitzen der Gesellschaft und des Geistes, die nicht mehr persönlich angeführt wurden, sondern bloß fürs Massengrab des »Alles, was Rang und Namen hat« bestimmt waren. Dort hinein kamen viele Menschen, darunter der bekannte Strafrechtslehrer Hofrat Professor Schwung, der als Teilnehmer einer ministeriellen Enquete vorübergehend in der Hauptstadt weilte, und diesmal noch der junge Dichter Friedel Feuermaul, denn obwohl es bekannt war, daß sein Geist diesen Abend ins Leben zu rufen geholfen habe, blieb streng zu unterscheiden, daß damit noch lange nicht jene Geltung festerer Art gewonnen sei, die Toiletten und Titeln zukommt. Leute wie Titular-Bankdirektor Leo Fischel mit Familie – die den Zutritt zu Diotima nach großen Anstrengungen und auf Gerdas Betreiben, ohne Ulrich zu bemühen, also nur dank der augenblicklich herrschenden Nachlässigkeit erreicht hatten – wurden überhaupt bloß in einem Augenwinkel verscharrt. Und nur die Gattin eines bekannten, in solcher Gesellschaft aber noch unter der Wahrnehmungsschwelle liegenden, Juristen, mit ihrem heimlichen, selbst dem Man unbekannten Namen Bonadea, wurde nachträglich wieder ausgegraben und unter die Toiletten versetzt, weil ihre Erscheinung allgemein auffiel und bewundernden Anklang fand.

Dieses Man, die überwachende Neugierde der Öffentlichkeit, war natürlich ein Mensch; gewöhnlich sind es ja deren viele, in der Metropole Kakaniens überragte aber damals einer alle übrigen, und zwar war das Regierungsrat Meseritscher. Geboren in Wallachisch-Meseritsch, wovon sein Name Spuren behalten hatte, war dieser Herausgeber, Chefredakteur und Chefberichterstatter der von ihm gegründeten »Parlaments- und Gesellschaftskorrespondenz« in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als junger Mann in die Hauptstadt gekommen, der die Aussicht, den elterlichen Schnapsausschank in Wallachisch-Meseritsch zu übernehmen, für den Beruf des Journalisten hingab, angezogen von dem Glanz des damals in Hochglut strahlenden Liberalismus. Und alsbald hatte auch er das Seine zu dieser Ära beigetragen durch Gründung einer Korrespondenz, die mit der Versendung kleiner lokaler Nachrichten polizeilicher Art an die Zeitungen begann. Diese Urform seiner Korrespondenz erregte dank des Fleißes, der Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit ihres Besitzers nicht nur die Zufriedenheit der Zeitungen und der Polizei, sondern wurde in Bälde auch von anderen Hohen Behörden bemerkt, zur Unterbringung wünschenswerter Nachrichten, für die sie nicht selbst einstehen wollten, benutzt, schließlich bevorzugt und mit Material versehen, bis sie auf dem Gebiete der nichtamtlichen, aber aus amtlichen Quellen schöpfenden Berichterstattung eine Ausnahmestellung einnahm. Ein Mann voll Tatkraft und unermüdlichem Arbeitseifer, hatte Meseritscher, als er diesen Erfolg sich entwickeln sah, seine Tätigkeit aber auch schon um die Hof- und Gesellschaftsberichterstattung erweitert, ja wahrscheinlich wäre er niemals aus Meseritsch in die Hauptstadt gekommen, wenn ihm das nicht immer vorgeschwebt hätte. Lückenlose Präsenzlisten galten als seine Spezialität. Sein Gedächtnis für Personen und das, was man von ihnen erzählte, war außergewöhnlich und verschaffte ihm zum Salon leicht das gleiche ausgezeichnete Verhältnis wie zum Kriminal. Er kannte die Große Welt, wie sie sich selbst nicht kannte, und mit unerschöpflicher Liebe vermochte er die Leute, die sich in Gesellschaft trafen, am nächsten Tag miteinander bekannt zu machen, wie ein alter Kavalier, dem man seit Jahrzehnten alle Heiratspläne und Schneiderangelegenheiten anvertraut hat. So war schließlich bei Festen und Feiern der emsige, bewegliche, stets dienstbereite und gefällige kleine Herr eine stadtbekannte Figur, und in den späteren Jahren seines Lebens empfingen solche Veranstaltungen überhaupt erst durch ihn und sein Erscheinen ihre unanfechtbare Geltung.

Ihre Höhe hatte diese Laufbahn mit der Ernennung Meseritschers zum Regierungsrat gefunden, denn an diesem Titel hing eine Besonderheit, die dazugehörte: Kakanien war ja das friedlichste Land der Welt, aber irgendwann hatte es in der tiefen Unschuld seiner Überzeugung, Kriege gebe es doch nicht mehr, den Einfall gehabt, seine Beamten in Rangklassen einzuteilen, die denen der Offiziere entsprachen, und hatte ihnen sogar ebensolche Uniformen und Abzeichen verliehn. Der Rang eines Regierungsrats entsprach seither dem eines kaiserlich und königlichen Oberstleutnants; aber wenn das auch an und für sich kein sehr hoher Rang war, so bestand seine Besonderheit, als er Meseritscher verliehen wurde, doch darin, daß dieser nach einer unverbrüchlichen Überlieferung, die, wie alles Unverbrüchliche, in Kakanien nur ausnahmsweise durchbrochen wurde, eigentlich Kaiserlicher Rat hätte werden müssen. Denn Kaiserlicher Rat war nicht etwa, wie man nach dem Gehalt des Worts urteilen sollte, mehr als Regierungsrat, sondern weniger; Kaiserlicher Rat entsprach nur dem Range eines Hauptmanns. Und Meseritscher hätte Kaiserlicher Rat werden müssen, weil dieser Titel außer an Kanzleibeamte nur an die Angehörigen freier Berufe verliehen wurde, also etwa an Hoffrisöre und Wagenfabrikanten, aus dem gleichen Grund aber auch an Schriftsteller und Künstler; wogegen Regierungsrat damals ein wirklicher Beamtentitel war. Darin, daß ihn Meseritscher trotzdem als erster und einziger erhielt, drückte sich also mehr aus als bloß die Höhe des Titels, ja sogar mehr als die tägliche Aufforderung, das, was hierzulande geschehe, nicht allzu ernst zu nehmen: durch den ungerechtfertigten Titel wurde dem unermüdlichen Chronisten seine nahe Zugehörigkeit zu Hof, Staat und Gesellschaft auf eine feine und bedächtige Weise bestätigt.

Meseritscher hatte auf viele Journalisten seiner Zeit vorbildlich gewirkt, und er war Vorstandsmitglied maßgeblicher Schriftstellervereine. Es ging auch die Sage, daß er sich eine Uniform mit einem Goldkragen hätte machen lassen, sie aber nur manchmal zu Hause anzöge. Aber es dürfte nicht wahr gewesen sein, denn im Grunde seines Wesens hatte Meseritscher immer gewisse Erinnerungen an das Schankgewerbe in Meseritsch bewahrt, und ein guter Schankwirt trinkt nicht selbst. Ein guter Schankwirt weiß auch die Geheimnisse aller seiner Gäste, aber er macht nicht von allem Gebrauch, was er weiß; er mengt sich niemals mit einer eigenen Ansicht in die Debatte, erzählt aber und merkt sich mit Behagen alles, was Tatsache, Anekdote oder Witz ist. Und so war Meseritscher, dem man auf allen Festen als dem anerkannten Berichterstatter der schönen Frauen und vornehmen Männer begegnete, für seine Person nie auch nur auf den Versuch gekommen, sich einen guten Schneider zu nehmen, er kannte alle Kulissengeheimnisse der Politik und betätigte sich nicht mit einer Zeile politisch, er wußte von allen Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit und verstand keine einzige. Es genügte ihm vollauf, all das vorhanden und gegenwärtig zu wissen. Er liebte ehrlich seine Zeit, und auch sie vergalt es ihm mit einer gewissen Liebe, weil er täglich von ihr berichtete, daß sie da sei.

Als er eintrat und Diotima ihn gewahrte, winkte sie ihn sofort zu sich heran. »Lieber Meseritscher,« sagte sie, so lieblich sie konnte »Sie werden die Rede, die Seine Erlaucht im Herrenhaus gehalten hat, doch nicht etwa für den Ausdruck unserer Gesinnung gehalten oder gar wörtlich genommen haben!?«

Seine Erlaucht hatte nämlich, zusammenhängend mit dem Ministersturz und gereizt durch seine Sorgen, im Herrenhaus nicht nur eine viel bemerkte Rede gehalten, in der er seinem Opfer vorwarf, daß es den aufbauenden wahren Geist der Hilfsbereitschaft und Strenge habe vermissen lassen, sondern hatte sich dabei von seinem Eifer auch zu allgemeinen Betrachtungen hinreißen lassen, die auf unaufgeklärte Weise in einer Würdigung der Wichtigkeit der Presse gipfelten, worin er dieser »zur Großmachtstellung aufgerückten Institution« ungefähr alles vorwarf, was ein ritterlich denkender, unabhängiger und unparteiischer christlicher Mann einem Institut vorwerfen kann, das nach seiner Meinung in keiner Weise so ist wie er. Das war es, was Diotima diplomatisch gutzumachen suchte, und während sie immer schönere und schwerer verständliche Worte für die wahre Gesinnung des Grafen Leinsdorf fand, hörte ihr Meseritscher nachdenklich zu. Aber plötzlich legte er ihr die Hand auf den Arm und schnitt ihr großmütig das Wort ab: »Gnädige Frau, wo werden Sie sich darüber aufregen« sagte er zusammenfassend. »Seine Erlaucht ist doch unser guter Freund. Er hat groß übertrieben: warum soll er nicht als Kavalier?!« Und um ihr gleich sein ungetrübtes Verhältnis zu ihm zu beweisen, fügte er hinzu: »Ich geh jetzt zu ihm!«

So war Meseritscher! Aber ehe er sich auf den Weg machte, wandte er sich noch einmal vertraulich an Diotima: »Und was ist eigentlich mit Feuermaul, gnädige Frau?«

Diotima hob lächelnd die schönen Schultern. »Wirklich nichts Erschütterndes, lieber Regierungsrat. Wir wollen uns nicht nachsagen lassen, daß wir irgendjemand zurückweisen, der sich uns mit gutem Willen naht!«

»›Guter Wille‹ ist gut!« dachte Meseritscher auf dem Weg zu Graf Leinsdorf; aber ehe er diesen erreichte, ja ehe er auch nur seinen Gedanken zu Ende gedacht hatte, dessen Ende er selbst gern gewußt hätte, stellte sich ihm freundlich der Hausherr in den Weg. »Lieber Meseritscher, die amtlichen Quellen haben wieder einmal versagt,« begann Sektionschef Tuzzi lächelnd »ich wende mich an die halbamtliche Berichterstattung: Können Sie mir etwas über den Feuermaul erzählen, der heute bei uns ist?«

»Was soll ich erzählen können, Herr Sektionschef?!« beklagte sich Meseritscher.

»Man sagt, daß er ein Genie sein soll!«

»Hör ich gern!« antwortete Meseritscher. – Will man rasch und sicher berichten können, was es Neues gibt, so darf das Neue nicht allzu verschieden vom Alten sein, das man schon kennt. Auch das Genie macht davon keine Ausnahme, das heißt, das wirkliche und anerkannte, über dessen Bedeutung sich seine Zeit rasch einig ist. Anders das Genie, das nicht gleich jeder für ein solches hält! Das hat sozusagen etwas ganz und gar Ungeniales, aber nicht einmal das hat es für sich allein, so daß man sich in ihm in jeder Hinsicht irren kann. Für Regierungsrat Meseritscher gab es also einen festen Bestand an Genies, den er mit Liebe und Aufmerksamkeit versorgte, aber Neuaufnahmen vollzog er nicht gern. Je älter und erfahrener er wurde, desto mehr hatte sich sogar in ihm die Gewohnheit herausgebildet, daß er das aufstrebende künstlerische Genie, und vornehmlich das ihm beruflich nahestehende der Literatur, bloß für einen leichtfertigen Störungsversuch seiner Berichterstatteraufgabe ansah, und er haßte es mit seinem guten Herzen so lange, bis es für die Rubrik der Personalnachrichten reif war. So weit war Feuermaul aber damals noch lange nicht und sollte erst dahin gebracht werden. Regierungsrat Meseritscher war nicht ohneweiters damit einverstanden.

»Man sagt, daß er ein großer Dichter sein soll« wiederholte Sektionschef Tuzzi unsicher, und Meseritscher erwiderte fest: »Wer sagt das?! Die Kritiker im Feuilleton sagen das! Was zählt das schon, Herr Sektionschef?!« fuhr er fort. »Die Sachverständigen sagen das. Was sind die Sachverständigen? Manche sagen das Gegenteil. Und man hat Beispiele, daß Sachverständige heute so und morgen anders sagen. Kommt es überhaupt auf sie an? Was wirklich ein Ruhm ist, muß schon bei den Unverständigen angelangt sein, dann ist er erst verläßlich! Wenn ich Ihnen sagen soll, was ich denke: Von einem bedeutenden Mann darf man nicht wissen, was er macht, außer daß er ankommt und abreist!«

Er hatte sich schwermütig in Feuer geredet, und seine Augen hingen an Sektionschef Tuzzi. Dieser schwieg verzichtend. »Was ist eigentlich heute los, Herr Sektionschef?« fragte Meseritscher.

Tuzzi zuckte lächelnd und zerstreut die Schultern. »Nichts. Eigentlich nichts. Ein bißl Ehrgeiz. Haben Sie schon einmal ein Buch von dem Feuermaul gelesen?«

»Ich weiß, was darin steht: Friede, Freundschaft, Güte und so.«

»Sie halten also nicht viel von ihm?« meinte Tuzzi.

»Gott!« begann Meseritscher und wand sich. »Bin ich ein Sachverständiger?« – In diesem Augenblick steuerte aber Frau Drangsal auf die beiden los, und Tuzzi mußte ihr höflich einige Schritte entgegentun; diesen Augenblick benutzte Meseritscher, der in dem Graf Leinsdorf umgebenden Kreis eine Lücke erspähte, mit raschem Entschluß, und ohne sich noch einmal aufhalten zu lassen, warf er neben Sr. Erlaucht Anker. Graf Leinsdorf stand im Gespräch mit dem Minister und einigen anderen Herren, wandte sich aber, sobald Regierungsrat Meseritscher allen seine große Verehrung ausgesprochen hatte, sofort ein wenig ab und zog ihn zur Seite. »Meseritscher,« sagte Se. Erlaucht eindringlich »versprechen Sie mir, daß keine Mißverständnisse entstehn, die Herren bei den Zeitungen wissen ja nie, was sie schreiben sollen. Also: Am Stand der Dinge hat sich seit dem letztenmal nicht das geringste geändert. Vielleicht wird sich etwas ändern. Das wissen wir nicht. Vorderhand dürfen wir nicht gestört werden. Ich bitt Sie also, auch wenn Sie jemand von Ihren Kollegen fragt, ist der ganze heutige Abend nur eine häusliche Angelegenheit der Frau Sektionschef Tuzzi!«

Meseritschers Augendeckel bestätigten langsam und besorgt, daß er die ausgegebene feldherrliche Disposition verstanden habe. Und da ein Vertrauen das andere wert ist, feuchteten sich seine Lippen mit dem Glanz, der eigentlich in die Augen gehört hätte, und er fragte: »Und was ist mit Feuermaul, Erlaucht, wenn es erlaubt ist, das zu wissen?«

»Warum soll das nicht zu wissen erlaubt sein?« erwiderte Graf Leinsdorf erstaunt. »Gar nichts ist mit dem Feuermaul! Er ist halt eingeladen worden, weil die Baronin Wayden nicht früher Ruh gegeben hat. Was soll denn sonst sein? Wissen Sie vielleicht was?«

Regierungsrat Meseritscher hatte der Angelegenheit Feuermaul bisher keine Bedeutung beimessen wollen, sie vielmehr bloß für eine der vielen gesellschaftlichen Rivalitäten gehalten, von denen er alle Tage erfuhr. Daß nun aber auch noch Graf Leinsdorf so energisch bestritt, sie besäße Wichtigkeit, erlaubte ihm nicht mehr, bei dieser Auffassung zu bleiben, und er war nun doch überzeugt, daß sich hier etwas Wichtiges vorbereite. »Was können sie vorhaben?« grübelte er, während er weiterwanderte, und ließ die kühnsten Möglichkeiten der inneren und äußeren Politik an sich vorüberziehn. Nach einer Weile dachte er aber kurz entschlossen: »Es wird schon nichts sein!« und ließ sich von seiner Berichterstattertätigkeit nicht länger ablenken. Denn so sehr es in Widerspruch mit dem Inhalt seines Lebens zu stehen schien: Meseritscher glaubte nicht an große Ereignisse, ja er liebte sie nicht. Wenn man überzeugt ist, daß man in einer sehr wichtigen, sehr schönen und sehr großen Zeit lebe, verträgt man nicht die Vorstellung, daß in ihr noch etwas besonders Wichtiges, Schönes und Großes geschehen könnte. Meseritscher war kein Alpinist, aber wäre er einer gewesen, so würde er gesagt haben, das sei so richtig wie die Tatsache, daß man Aussichtstürme ins Mittelgebirge setzt, und niemals auf Hochgebirgsgipfel. Da ihm solche Vergleiche fehlten, begnügte er sich mit einem Unbehagen und dem Vorsatz, Feuermaul dafür auf keinen Fall in seinem Bericht schon mit Namen zu erwähnen.


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