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Madonna schreibt.


– – Bruchstücke aus einem Originalbriefe. und so kommt es, daß ich jetzt so ganz unerwartet aus München schreibe.

Hoffentlich sehen wir uns nun bald, da ich für immer hier bleiben werde bei meinen neuen Verwandten und Beschützern, und da der reiselustige Freund auch nach München kommen will! Wie sehr freue ich mich auf dies Wiedersehen, auf diese längst herbeigewünschte Begegnung, in der ich nicht mehr als das seltsame, eckige, von der Leidenschaft des Unglücks hingerissene Mädchen erscheinen werde, wie damals auf meinem böhmischen Dorfe, wo der Freund ein wunderliches Reiseabenteuer an mir erlebte. Ach, wie vieles hat sich seitdem verändert, wie vieles hat sich zugetragen, außer mir und in mir! Ich bin glücklicher geworden! Ich bin ein frohes, ausgesöhntes Geschöpf, froh mit den Menschen und froh mit Gott, froh mit meinem ganzen Leben! Froh möchte ich auch nun einmal mit dem Freunde sein, mit dem ich so gern Gefühl um Gefühl, und Wort um Wort wechsele!

Und mein armer Vater, der nach einem finstern selbstquälerischen Leben durch einen finstern Tod so plötzlich fortgerafft wurde, sprach noch in seinen letzten Lebensstunden viel von Dir! Er hatte den Casanova nie vergessen können, und staunte noch immer still in sich über das Unbegreifliche und Ungeheuere, was Du ihm davon vorerzählt haben mußt. In seinen unruhigen Träumen phantasirte er davon, schlafend und wachend nannte er den Namen. Auch hoffte er noch immer, daß Du einmal eines Abends unversehens wieder in unsere Stube treten würdest, um ihm über Manches, wonach er Dich fragen wollte, Auskunft zu ertheilen. So schied er endlich in einem völlig bewußtlosen Zustande ab, der gute arme freudlose Mann, und ich weinte herzliche Thränen an seinem Hügel, den ich noch selbst mit dem hoffnungsvollen Grün bekleiden half. Er hatte mich nie, vielleicht auch nicht ein einziges Mal in seinem Leben geliebt, und ich schauerte recht in meiner innersten Seele zusammen, wenn ich daran gedachte. Und doch kam ich mir nun noch einsamer und verlassener in der Welt, ja trostloser vor, seitdem ich nicht mehr für ihn zu sorgen, mich nicht mehr vor ihm zu ängstigen, mich nicht mehr gegen ihn zu verstellen hatte. Mein Verhältniß zu ihm war immer das der innern Furcht gewesen, aber jetzt empfand ich es, wie in der Furcht auch die Liebe eine heimliche, leise wärmende Stelle gehabt. So kann uns etwas genommen werden, was wir selbst kaum besessen zu haben glauben.

Wie mein Schicksal dann sich wandte, wie ich, eine lebenslustige Pilgerin, mein böhmisches Dorf wieder verließ, wie ich die bisher mir fremdgebliebenen Verwandten gefunden und hier in München von den besten, herrlichsten Menschen in einem schönen häuslichen Kreise aufgenommen worden bin, – dies Alles scheint mir noch selbst ein Wunder, wenn nicht ein Traum. Doch die fortgesetzten Bekenntnisse der weltlichen Seele kann und mag ich wenigstens nicht schreiben! Ich bin bei weitem zu glücklich dazu, um viel zu schreiben. Ein Weib hat wenig Talent zum Schreiben und zum Darstellen von der Natur erhalten, und nur, wenn es recht unglücklich ist, wird es etwas Besonderes hervorzubringen und zu leisten verstehn. Nur ein Weib, das unglücklich ist, sollte schreiben. Dieser Gedanke wurde mir neulich an den Briefen der Rahel, die ich gelesen habe, recht deutlich. Sie war eine große Unglückliche, und ebendeßhalb groß als Weib, weil sie unglücklich war, und sie schrieb den erhabenen Geist ihres Unglücks ab in ihren Briefen, und schrieb Briefe, wie sie kein Weib je geschrieben hat.

Darum will ich Dir die fortgesetzten Bekenntnisse der weltlichen Seele, Du daran theilnehmender Freund, erzählen! Erzählen kann ich, aber nur nicht schreiben. Meine Lebensgeister alle sind wieder ungeduldig geworden, und halten es nicht lange aus auf dem Papier. Mündlich! Mündlich! Und komm recht bald her, lieber Freund! Wir könnten uns auch vielleicht in Salzburg treffen, wohin ich in vierzehn Tagen mit meinen Verwandten eine Partie unternehmen werde. Es wäre schön, und ich könnte mich dann zeigen, wie mein neuer Lebensmuth auf den Bergen herumspringt und bis in die blauen Wolken hineinklettert.

Soll ich Dir noch hier von München etwas sagen? Du wirst es ja sehen oder hast es vielleicht früher schon gesehn. Die neue Stadt ist schön, reinlich, festtäglich, prächtig, und man kann hier recht gewahr werden, wie eine hübsche Residenzstadt durch Händewerk gemacht wird. Alles ist hier gemacht, aber schön gemacht, und mir fiel sogleich zum Gegensatz die Beschreibung ein, welche Du mir von dem alten, auf seiner Vergangenheit ehrwürdig getragenen Prag damals gesandt. München, wie es jetzt im Werden begriffen ist, steht blank da auf dem ebenen Boden der Gegenwart, und hat fast gar keine Vergangenheit, an die es mahnte oder sich knüpfte. Und das ist mir lieb, und darum lebe ich doppelt gern in seinen Mauern. Denn auch ich mag mich gern als losgetrennt von der Vergangenheit ansehn, ich mag nicht zurückblicken in die Vergangenheit, in der ich schwarze und gräßliche Bilder meines Daseins begraben habe. Ich habe viele Ursache, das Vergangene vergangen, ja verblichen sein zu lassen. So wird mir denn wohl hier in diesem vergangenheitslosen München. Neue Häuser, neue Paläste, neue Museen, ja neue Straßen erstehen hier unaufhörlich rings um mich, und ich freue mich wie ein Kind an allen diesen Neubauten, daß ich jubelnd darüber die Hände zusammenschlagen möchte. Ich freue mich, daß immer wieder etwas Neues gebaut werden kann, und es ist mir, als würden auch schon in meinem Herzen ganz neue Häuser und neue Straßen angebaut auf dem alten, frisch umgegrabenen Fundamente. Die Baulust ist groß in meinem Herzen, Grundstücke sind im Ueberfluß da, und ich könnte noch Freiwohnungen an die Armen, die ganz ohne Liebe leben müssen, darin vermiethen! – –

Ich bin glücklicher geworden! Bei einem Mädchenherzen kommt viel darauf an, ob es glücklich ist oder nicht. Ein Mann, denke ich, kann vielleicht des Glücks ganz entbehren, und in der rastlosen Begeisterung seines Strebens und Arbeitens dennoch zu einer ihm gemäßen Bildung und Befriedigung kräftig gedeihen. Ein Weib, ich habe es gefühlt, muß durch Unglück immer aus seinen Fugen gerissen werden. Es wird entweder größer, als ihm die Natur zu sein bestimmt hat, oder es wird häßlicher und verliert seine besten Eigenschaften in der Unschönheit, der es anheimfällt. Dein böhmischer Mägdekrieg, Freund, hat mich empört. Und Du konntest boshaft genug sein, Deine eigenen Ansichten über die Bestimmung unseres Geschlechts dabei zu verschweigen. Wlasta aber, wie Du sie Dir gedacht hast, ist mir ein wahres tragisches Exempel des verfehlten weiblichen Berufs. Siehst Du, ich hasche nach Glück! Unser Geschlecht hat ein durchaus ästhetisches Naturell, und die Aesthetik unsres Herzens verlangt nach einem blauen, heitern, sonnigen Himmel, um gegen das Licht gekehrt, schöne Farben und Formen entwickeln zu können. Diese Aesthetik ist unsre Schwäche so gut, wie sie unser Vorzug ist! Keine schöne Kunst aber vermag ohne eine von innen heraus geschaffene Begränzung zu bestehn, und wer weiß nicht, daß auch die ganze schöne Kunst unsres Frauenlebens nur in der Begränzung liegt! In der Begränzung siedeln wir unser Glück an, in der Begränzung finden und erfüllen wir unsern Beruf, in der Begränzung sind wir für uns und für die Andern ein harmonisches, in sich befriedigtes Gebild. Diese Reflexionen – verzeih' das Reflectiren, denn es gehört mit zu der Begränzungs- und Einfriedigungs-Kunst unseres Geschlechts! – sind mir der einzige Trost gegen Deinen böhmischen Mägdekrieg, der, wie gesagt, mich wahrhaft empört hat.

Ich bin glücklich, und ich bin fromm! Ja, ich bin auch fromm! Ich glaube, ein Frauenherz kann und darf fromm sein, und auch hier will ich den Männern gern die Ueberlegenheit des Geistes einräumen, eines Geistes, der auch in der Andachtslosigkeit und in der Lostrennung von einem bestimmten religiösen Bekenntniß sich noch immer eigenthümlich und selbständig zu gestalten vermag.

Vor drei Tagen erlebte ich hier eine schöne rührende Scene, die für mein ganzes Leben Eindrücke in mir gegründet hat. Vor dem Karlsthor auf dem geräumigen Karlsplatz steht die hiesige protestantische Kirche, ein schönes einfaches Gebäude, das erst neu errichtet und vor Kurzem für den evangelischen Gottesdienst eingeweiht worden ist. Hier sollte ein junges katholisches Mädchen, das zu dem protestantischen Glauben übergetreten, in einer feierlichen öffentlichen Handlung zu demselben eingesegnet werden.

Es war gerade ein Madonnen-Tag, Freund! O denke Dir, ein Madonnen-Tag! Mariä Himmelfahrt war es, und auf den Straßen in München, die sonst so menschenleer erscheinen, sah man ein reges und bewegliches Treiben geputzter, fröhlicher und spazierengehender Leute. Die Sonne schien in hellen blitzenden Strahlen über Häuser und Wege, die ganze Bevölkerung war in einer freudigen Erregung auf den Füßen. Dieser Tag wird in hiesigen Gegenden mit besonderen Volkslustbarkeiten gefeiert.

Auch ich hatte mich, zu einer stillern Feier, festlich geschmückt. Wie eine Braut, hatte ich mir ein ganz weißes Kleid angelegt und einen schlichten weißen Schleier in das Haar geflochten. Ich fuhr mit meinen Verwandten nach der protestantischen Kirche vor dem Karlsthor. Ein kleines, schönes Madonnenbild, das ich noch bis jetzt in einem goldenen Medaillon nur als Schmuck getragen, hatte ich an demselben Morgen abgelegt, aber mit einem Kuß. Jetzt überfiel mich ein tiefes Zagen, als ich vor der Kirche ausstieg, und doch brach zugleich eine geheime Freude in mir los. Mit bewegter Seele betrachtete ich das dem freien Glauben geheiligte Gebäude, dessen anspruchslose, freundlich zuwinkende Bauart zugleich den edelsten Gesetzen der Kunst genügte.

Das Mädchen, das ihr neues Bekenntniß an dieser heiligen Stätte ablegen wollte, stand vor dem Altar. Ein großer, tiefer Ernst schien es ihr mit ihrem Vorhaben, und nachdem sie die erste Schüchternheit und Scheu überwunden, sich als den Gegenstand der rings um sie versammelten Menge zu sehn, blickte sie mit ruhigem Bewußtsein und hellen, klaren Augen um sich her. Sie betrachtete mit besonderer Freude den Ort, an dem sie sich befand, die Räume, die in ihrer hehren Stille, in ihrer schmucklosen Weihe das trostbedürftige Kind so freundlich umgaben. O wie wohlthuend sind die hellen Räume einer protestantischen Kirche für ein nach Klarheit sich sehnendes Gefühl, das bisher in den Dämmerschauern katholischer Kapellen und vor der unverständlichen Sprache des Hochamts sich seiner eigenen Andacht nie ohne eine peinigende Bangigkeit bewußt werden konnte! Wie drückt schon die erhabene, edle Einfachheit dieser Wölbungen, Bögen und Mauern den Charakter eines Gottesdienstes aus, in dem nicht die Phantasie, sondern das Wort in der Andacht gepflegt werden soll, das die Seele befreiende, lösende, erweckende, verständigende Wort! Die protestantischen Kirchen sind die Kirchen des Wortes, des Wortes Gottes! Wie kann man Gott besser dienen, als durch das Wort, da Gott das Wort ist!

Und der ehrwürdige, wohlsprechende Geistliche erhob seine Stimme, die in schöner Vernehmlichkeit die Halle durchtönte, und die ganze versammelte Gemeinde lauschte in geräuschloser Aufmerksamkeit dem rührenden, gehaltvollen Sinn seiner Predigt. Es war eine heilige Stille in der Kirche, daß man jeden Athemzug, jeden aufsteigenden Seufzer ringsum hören konnte. Jetzt aber beugte das Mädchen, längst dieses wichtigen Augenblicks harrend, ihre Knie auf die Stufe des Altars nieder, um ihr Bekenntniß zu sprechen – –

Doch, wozu, wozu, Freund, kleide ich die schönsten Gefühle meines Lebens, aus Furcht, daß sie Dir zu weich erscheinen möchten, in das Bild einer fremden Scene?

Brauche ich es Dir noch zu sagen: dies Mädchen war ich! – – –

Maria.


 


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